Das Monster im Schatten

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6. Kapitel

Am darauffolgenden Morgen brachen der Samurai und vierzig seiner besten Männer in das benachbarte Dorf auf, um den dortigen Bauern etwas von einem Wolfsangriff zu erzählen. Auch wenn es dem Samurai selbst nicht sonderlich gefiel, war dies die einzige Möglichkeit, die bliebe, wollten sie nicht einfach eine wilde Panik verursachen. Die Lage in Takomoru war so schon schlimm genug.

Hauptmann Asano ging in der Zwischenzeit zu seinem Herrn in die schwarze Festung. Dort tagte wieder einmal der Kriegsrat. Jedoch ohne den Samurai, eine Ausnahmesituation.

Der Kriegsrat bestand aus einem halben Dutzend gut geschulter Offiziere, die alle ihrem Kriegsherrn blind ergeben waren. Kein Einziger von Ihnen hatte sich jemals in einer Schlacht eine schwere Verwundung zugezogen, doch sehr viele Kämpfe bereits erfolgreich überlebt.

Kriegsherr Takomoru sah zu seinen Untergebenen.

»Unsere Situatíon ist nicht so einfach, wie gedacht. Ich rechne jeden Tag damit, daß unser ehrenwerter Herr Shogun uns wieder zu den Waffen ruft, weil er gegen die beiden Häuser im Norden und im Westen kämpfen will. Die Herren sind sich immer noch nicht einig über die Machtverteilung geworden. In Osaka bereitet der dortige Kriegsherr bereits wieder seine Maschinerie vor, was für uns bedeutet, daß wir uns auf eine harte Zeit einrichten müssen.«

Hauptmann Asano nickte zustimmend.

Seine eigenen Informanten hatten ihnen diese Informationen verschafft.

»Wir haben ein viel schwerwiegenderes Problem. Der Herr Samurai hat sich entschlossen, im Nachbardorf zu verkünden, daß die Wasserträgerin einem Wolf zum Opfer fiel, und das wir ihre sterblichen Überreste an unserem Schrein verbrennen werden. So möchte er eine Panik dort verhindern. Doch fanden unsere Soldaten keinerlei Spuren eines Wolfes!«

Ein Offizier sah zu seinen beiden Vorgesetzten und fragte: »Warum erzählen wir überhaupt eine Lüge? Wir wissen noch nicht einmal im Ansatz, was die junge Frau getötet hat. Über diesen Bambuswald kursieren schon seit Jahrzehnten Gerüchte und Legenden. Bisher erwiesen sie sich als Trugschluß! Doch was wäre, wenn sie doch der Wahrheit entsprächen?«

Kriegsherr Takumoru schlug mit der Hand hart auf den Kartentisch.

»Wir folgen keinen Legenden, noch weniger Gerüchten. Wir wissen alle, daß dieser Bambuswald etwas Besonderes ist, weil so tief im Südwesten sonst kaum Bambus wächst. Ja, er ist unsere einzige Quelle für einfaches Holz, und er bietet uns eine Quelle, deren Wasser so rein und klar wie selten in diesem Teil des Landes ist.«

Die Anwesenden nickten.

»Aber dieser Bambuswald gehört mit zu unserem Dorf. Also sind wir auch für ihn verantwortlich. Unabhängig davon, ob uns dies gefällt. Eine junge Frau kam überraschend zu Tode. Dies kann uns bedrücken, sollte es aber nicht. Unsere Nachbarn bereiten offen einen weiteren Krieg vor, darauf müssen wir uns vorbereiten.«

Hauptmann Asano fröstelte bei diesen Worten leicht.

Der Samurai und seine vierzig Mann erreichten am frühen Mittag das Nachbardorf. Die streitbare Truppe machte keinen sonderlich freundlichen Eindruck. Ihre schwarzen Rüstungen zeigten deutlich, daß sie auf Ärger aus waren.

Der Samurai kannte die Einwohner des Nachbardorfes gut genug, um zu wissen, daß eine einfache Erklärung kaum ihren Segen fand. Doch das Wort des Kriegsherrn hatte Gewicht. Und er war auch nicht mehr als ein Befehlsempfänger. Ginge es nach ihm, wäre der streitbare Geist im Nachbardorf längst mit Stumpf und Stiel ausgerottet worden.

Mit einem Handzeichen ließ er seine Leute Aufstellung nehmen, als ihm eine kleine Abordnung der Dörfler entgegen kam. Die restlichen Einwohner des Dorfes kümmerte sich um seine Felder, die rund um dieses Dorf herum lagen.

Der Samurai deutete eine höfliche Verbeugung an, bereute es aber fast sofort wieder, als er sah, wer die Dörfler anführte.

Das Nachbardorf verfügte nicht über eine Schmiede, nicht einmal über einen Seifensieder, sondern nur über einen Haufen ungehobelter Bauern. Als Krieger waren sie auch nicht wirklich zu gebrauchen, auch wenn einige von Ihnen in der Vergangenheit Soldaten bei ihrem Herrn gewesen waren.

Der Wortführer der Dörfler sah auf den Samurai herab und meinte: »Hat euch unser Herr also geschickt, um uns zu berichten?« Der Samurai konnte nicht anders als hämisch grinsend zu antworten: »Und um vielleicht ein Exempel zu statuieren, solltet ihr uns dazu zwingen!«

Der Wortführer, ein wirklich bulliger mann, lächelte amüsiert zurück. »Takomoru benötigt uns genauso, wie wir die schwarze Festung brauchen. Es würde euch also nichts bringen, wenn ihr uns angreift. Erklärt uns lieber, woran unsere Frau gestorben ist!«

Der Samurai machte eine kurze Pause, dann erklärte er: »Unser Herr trug uns auf, euch davon zu berichten, daß die junge Frau augenscheinlich Opfer eines Wolfangriffes wurde. Ihr Leichnam wird in Takumoru heute noch verbrannt.«

Der Wortführer nickte zustimmend.

»Damit können wir leben! Wenn es auch schwer fällt. Der letzte Kriegszug hat auch uns ausgeblutet. Uns fehlen Frauen, und Männer, die in der Lage sind, dieses Dorf im Falle eines weiteren Kriegszuges zu schützen.«

Der Samurai nickte zustimmend.

Seine eigene Analyse der Situation war zu einem ähnlichen Schluß gekommen.

»Deshalb bin ich bereit, jeden kampffähigen Mann von euch mit in die schwarze Festung zu nehmen, damit ihr helft, sie zu halten.«

Der Wortführer der Dörfler lachte gehässig zurück. »Wir haben alle lange genug im Dienst unseres Herrn gestanden. Wenn wir alle kampffähigen Männer zu euch entsenden, kümmert sich niemand mehr um unsere Felder. Und dann ergeht es uns wie Takumoru. Das Dorf verwaist und wird keinem weiteren Angriff mehr standhalten. Noch können wir ausreichend Nahrung für alle erzeugen. Doch auch unsere Felder sind nicht die Besten.«

Dies war dem Samurai durchaus bekannt.

»Also werdet ihr keine Männer mit uns schicken?«, wollte er dann wissen.

Zwar besaß er die Autorität, im Zweifelsfall auch mit Gewalt vorgehen zu können, doch es würde herzlich wenig bringen, wenn sie sich gegenseitig zerfleischten. Ein Exempel zu statuieren, würde nur etwas bringen, wenn es einen groben Regelverstoß gab. Noch waren die Zeiten nicht so schlecht, daß man wirklich jedes Vergehen ahnden mußte.

Mit einem Handzeichen ließ er seine Truppe wieder zusammentreten. »Wir werden nun den Grenzposten kontrollieren und danach wieder nach Takumoru zurückkehren. In der Zwischenzeit hätte ich gerne, daß ihr alles Wichtige der jungen Frau für die Aufbahrung ihrer Urne vorbereitet.«

Der Wortführer der Dörfler nickte zustimmend, dann schaute er schweigend zu, wie die Truppe durch das andere Tor seine kleine Gemeinde wieder verließ. Ja, die Zeiten waren schlecht, und sie konnten durchaus noch schlechter werden. Für ihn jedenfalls stand fest, daß die Macht des Kriegsherrn Takumoru im Schwinden begriffen war, und daß früher oder später ein neuer Kriegsherr dieses verfluchte Lehen zugesprochen bekommen würde.

7. Kapitel

Eine volle Woche blieb es in Takumoru ruhig. Die Bewohner des Nachbardorfes hatten die Urne der Ihren in einer Trauerprozession abgeholt. Beide Dörfer trauerten. Doch in Takumoru machte sich ein wenig Hoffnung breit. Vielleicht war es wirklich nur ein größerer Wolf gewesen, der sich die junge Wasserträgerin geholt hatte. Auch wenn es da diese Legende um den Bambuswald gab, die schon Jahrhunderte zurückreichte, und nicht eben als gutes Omen anzusehen war.

Auf der Straße war nicht eben wirklich viel Verkehr, weil Takumoru nicht eben eine Feste war, die für ihren Reichtum bekannt war. Aus Aishi war dann schließlich auch nur ein einzelner Karren in Richtung Takumoru unterwegs. Dieser Karren wurde von drei Gauklerinnen betrieben. Die drei jungen Frauen betrieben ihre Kunststücke schon längere Zeit. Sie waren professionell und beileibe nicht so unbewaffnet, wie sie immer auftraten. Wenn es hart wurde, konnten sie sich durchaus verteidigen.

In ihrem Gepäck befand sich eine Tonrolle, die sie vom Shogun selbst ausgehändigt bekommen hatten, nachdem sie am Hofe von Aishi einen Auftritt absolvierten. In der Tonrolle befand sich eine Nachricht für den Lehensherrn Takumorus. Die Anführerin der kleinen Gauklertruppe sicherte mit ihrem Leben diese Tonrolle.

Die Straße zwischen den beiden Dörfern war nicht eben in besten Zustand. Man hätte auch den etwas längeren Umweg über die Straße quer durch den Bambuswald nehmen können, doch auch Gerüchte wie umherstreichende Wölfe erreichten fahrendes Volk ebenfalls. Also hatten sie die Straße zwischen den beiden Dörfern gewählt, bevor ihr weiterer Weg sie dann in Richtung Osaka führen würde. Und dazu mußten sie mit ihrem Karren letztlich doch durch den Bambuswald.

Zuerst jedoch erreichten sie die äußere Umfassung von Takumoru, die nicht eben einen vertrauenserweckenden Eindruck hinterließ. Die Tore waren alt und ungepflegt, und sahen aus, als hätten sie bereits einmal eine unfreundliche Begegnung mit einem Rammbock gehabt. Auch die Palisade wirkte eher so, als würde sie bei einem der Sommerstürme endgültig in sich zusammenfallen.

Für die Gauklerinnen ein normales befestigtes Dorf. Auch wenn diese Befestigung schon lange keine guten Zeiten mehr gesehen hatte. Als Gaukler und Spielleute kannten sie den Zustand im Land. Nirgendwo sah es wirklich gut aus, außer in den großen Städten. Doch allzu viele hatte das Japan dieser Tage nicht zu bieten. Eine Handvoll Städte und Gemeinschaften, die wirklich diesen Namen verdienten. Eine Handvoll Städte, in denen man mit seinem artistischen Können wirklich Geld verdienen konnte. Es sei denn, man transportierte Nachrichten zwischen verfeindeten Häusern hin und her, mit dem sich auch gutes Geld verdienen ließ.

 

Die Gauklerinnen interessierte nicht wirklich der Inhalt der Tonrolle. Wichtig war nur, daß sie ihn ablieferten und dann mit ihrer Bezahlung von dannen ziehen konnten. Die drei Frauen verstanden sich auf den Schaukampf mit dem Katana, dem Bogenschießen und dem Jonglieren aller möglichen Gegenstände. Darunter fielen auch spitze Dolche oder brennende Fackeln.

Als ihr Wagen das Aishi-Tor von Takumoru passierte, fiel sofort auf, in welchem mißerablen Zustand das Dorf war. Es standen nur noch eine Handvoll baufälliger Hütten, dafür waren die Schmiede, die Häuser des Seifensieders und des Tofumachers noch die einzigen, die man wirklich als stabil ansehen konnte. Der Rest des Dorfes wirkte eher tot. Daran änderte auch nichts die aktive Truppenpräsenz.

Am Haus des Samurai machten die drei Frauen halt und stellten ihren Wagen ab. Dann trat die Anführerin der kleinen Truppe vor, verbeugte sich vor der Wache und zeigte ihren Passierschein vor.

Die Wache rief postwendend nach Hauptmann Asano.

Jener war nicht sonderlich erfreut, fahrendes Volk in dem kleinen Dorf zu sehen. Vor allem dann nicht, wenn es einen Passagierschein des Shoguns vorweisen und beim Kriegsherr vorsprechen wollte.

Auch wenn Asano nur ein einfacher Hauptmann war, versah er seinen Dienst immer beflissen. Und diese drei fahrenden Frauen machten ihn zwar nicht nervös, doch war er sich darüber sicher, daß sie nur weiteren Ärger bedeuteten.

Die Anführerin der Gaukler trat vor den Hauptmann, deutete ihre Verbeugung mehr an, als daß sie sie durchführte, und bemerkte dann: »Um unser aller Ehre Willen, laßt mich bei eurem Kriegsherrn vorsprechen. Ich trage eine Nachricht unseres Shoguns für ihn bei mir.«

Hauptmann Asano sah die Anführerin der kleinen Truppe maßnehmend an.

»Wer sagt mir, daß ihr die Wahrheit sagt?«, wollte er dann wissen.

Die Gauklerin sah ihn abschätzend an, und erwiderte: »Auch wenn ihr mir nicht glauben wollt, meine Mission ist wichtig. Ich kenne den Wortlaut der Nachricht zwar nicht, und es ist mir auch egal. Ich soll diese Nachricht nur übergeben.«

Der Hauptmann mußte nicht lange überlegen.

Mit einer Handbewegung wies er zwei Wachen an, die einzelne Frau in den kleinen Thronsaal des Kriegsherrn zu schaffen. Ihm war nicht wirklich wohl dabei, doch wenn sie die Wahrheit sprach, konnte er sich wieder um die Dinge kümmern, die wirklich wichtig waren, und dieses fahrende Volk einfach ziehen lassen.

8. Kapitel

Kriegherr Takumoru staunte nicht schlecht, als sein Hauptmann eine Gauklerin in seinen Thronsaal führte. Die junge Frau trug einen dreiteiligen Kimono, der reichlich auffällig und bunt gehalten war. Über ihrem Rücken hing eine schwere Tonrolle. Doch trug sie keinerlei Waffen. Zumindest nicht sichtbar.

Der Kriegsherr, der mit seinen beiden wichtigsten Beratern in seinem Thronsaal saß, schaute mißtrauisch zu Hauptmann Asano. Normalerweise hätte sich jener ein solches Verhalten nicht geleistet. Also mußte an dieser Gauklerin mehr dran sein, als es den Anschein hatte.

Die junge Frau verbeugte sich nun richtig und ehrvoll und stellte sich auch vor: »Mikani Haruna, Kriegsherr. Ich bin auf Geheiß unseres Herrn des Shoguns hier, um euch eine Botschaft zu überbringen. Eine Botschaft, die nur für euch bestimmt ist, nicht für euer Fußvolk.«

Mit einer Handbewegung scheuchte er Asano und seine beiden Begleiter wieder aus dem Raum. Als sich die Schiebetür hinter dem Hauptmann wieder geschlossen hatte, legte der Kriegsherr demonstrativ sein Wakizaki auf seine Knie. Gegen eine einzelne Frau wirkte das Katana ein wenig übertrieben. Er war immerhin Kriegsherr im Dienste ihrs Shoguns.

Die Gauklerin nahm nun bedächtig die Tonrolle von ihrem Rücken und erbrach deren Siegel. Dann ließ sie eine einfache Schriftrolle herausrutschen und reicht diese dem Kriegsherr. Dabei ließ sie aber deutlich erkennen, daß sie einen Dolch im Ärmel ihres Kimonos trug.

Der Kriegsherr mußte bei einer solchen Sicherheitsvorkehrung lächeln. Mit einem Dolch würde sie es kaum an seinem Wakizaki vorbei schaffen. Doch wäre sie vielleicht eher in der Lage seine beiden Berater zu erledigen, bevor er sie erwischte. In jedem Fall war Vorsicht angesagt.

Ehrerbietig übergab die Gauklerin die Schriftrolle.

Takumoru kannte dies bereits von anderen Tagen. Sein Shogun würde wieder seine Teilnahme an einem Feldzug von ihm erwarten. Dabei besaß er jetzt bereits zu wenig Männer. Die Schriftrolle trug wiederum selbst ein blaubraunes Siegel, was eindeutig darauf hindeutete, daß es schon wieder mit den wilden Samurai der westlichen Küste Schwierigkeiten gab. Kein besonders wilder Auftrag. Aber ein Auftrag, der ihn gute Soldaten kosten konnte.

Widerwillig warf Takumoru der Gauklerin einen kleinen Beutel mit Münzen zu.

»Dies ist für euch und eure Mühe, daß ihr den Weg hierher überhaupt gefunden habt. Ich erlaube euch, die Nacht in meinem Dorf zu verbringen. Sucht euch ein nicht so beschädigtes Haus und bleibt dort bis zum Morgen. Danach wird Hauptmann Asano euch bis zur nächsten Straßenkreuzung in Richtung Osaka bringen.«

Die Gauklerin schüttelte streng den Kopf.

»Herr, unser Herr wies mich nur an, euch den Inhalt der Tonrolle zu bringen. Mir wurde nicht gesagt, daß ich diese Nacht in eurem Dorf verbleiben soll.«

Der Kriegsherr lächelte nachsichtig.

»Es würde auffallen, würdet ihr bereits heute Abend weiterreisen. Meine Anweisung steht, Frau Mikani. Ihr verbleibt diese Nacht in den Befestigungen meines Dorfes, morgen früh könnt ihr dann mit eurer Truppe weiterfahren.«

Widerwillig beugte sich die Gauklerin.

»Wie ihr es befehlt. Doch erlaubt uns unseren Weg bis zur Kreuzung nach Osaka selbst zu suchen. Wir sind nicht das erste Mal in Takumoru, uns ist der Weg bekannt.«

Der Kriegsherr lächelte sie nachsichtig an.

»Mein Befehl für Hauptmann Asano galt nur eurer Sicherheit. Wenn ihr diese selbst gewährleisten könnt, umso besser. Denn eure Botschaft unseres Herrn an mich, bedeutet für mich, daß ich sowieso keine Leute hätte, die ich für euch abstellen könnte.«

Mit diesen Worten ergriff er von ihr die Schriftrolle, und verließ mit schnellen Schrittn den Thronsaal. Mikani Haruna senkte ehrerbietig den Kopf. Ihr wurde klar, daß sie soeben sehr knapp der Spitze eines Schwertes entkommen war. Anscheinend wußte der Kriegsherr sehr genau um den Inhalt der Schriftrolle.

9. Kapitel

In dem kleinen Eßzimmer der schwarzen Festung saß Takumuro Fumiko bereits am Essen, als ihr Vater eintrat. Tochter und Vater hatten ein besonderes Verhältnis miteinander. Wenn er wieder einmal von seinen Amtsgeschäften aufgehalten wurde, kam er immer zu spät zum Essen.

Fumiko und ihre Zofe Hara waren bereits am Essen. Viel gab es nicht. Ein wenig Reis, ein wenig gedünsteter Fisch, und nur drei Sorten Gemüse. Quasi alles, was das karge Land hergab.

Die Tochter des Kriegsherrn hatte sich auch nicht sonderlich hübsch gemacht, sondern trug nur die einfache Alltagskleidung, wie sonst auch. Ihre Zofe trug ein genauso einfaches Gewand, sah darin aber irgendwie wie die eigentliche Tochter des Hausherrn aus.

Takumuro deutete eine leichte Verbeugung an, als er sich hinsetzte. Den tadelnden Blick seiner Tochter ignorierte er erst einmal, als er sich seine Schüssel Reis und ein wenig Gemüse nahm.

»Tut mir Leid, Tochter. Aber die Nachricht des Shoguns besaß Dringlichkeit.«

Fumiko lächelte leicht. »Vater, ihr müßt mir nicht erklären, was euer Dienst an unserem Herrn ist.«

Takumoru nickte zustimmend.

Dann traf sein Blick den der Zofe.

Hara bewegte sich gesittet und langsam. Ein wenig langsamer als sonst.

»Was bewegt euch, Hara?«, wollte er dann wissen.

Die junge Frau senkte den Kopf und entgegnete: »Eure Tochter trainiert nach wie vor täglich mit den Soldaten des inneren Bereichs. Ich dachte, diese Männer wären für unseren Schutz abgestellt, nicht als Trainingspartner für eure Tochter.«

Anstatt Fumiko einen tadelnden Blick zuzuwerfen, traf dieser Tadel Hara.

»Ich habe dich in unseren Haushalt aufgenommen, damit ihr meine Tochter unterhaltet. Es steht mir nicht der Sinn danach, auch euch tadeln zu müssen. Doch zwingt ihr mich immer öfter hierzu. Sie ist die Tochter des Hauses, und wenn sie die Kampfkraft ihrr Garde prüft, ist das allein ihre Sache. Darüber habt ihr nicht zu befinden.«

Hara senkte niedergeschlagen das Haupt.

»Herr, es lag nicht in meiner Absicht, euch zu beleidigen. Doch einer Tochter selbst eurer Adelsstufe geziemt es sich nicht, mit einfachen Wachen zu trainieren. Ihr solltet ihr einen wirklichen Waffenmeister an die Seite stellen. Darin liegt meine Kritik.«

Fumiko lächelte leicht bei diesen Worten, doch bevor sie etwas erwidern konnte, donnerte ihr Vater: »Hara, benehmt euch. Meine Tochter weiß sehr genau, was sie tut. Und zu was sie das Recht hat. Wenn sie sich vorgenommen hat, die Kampfkraft der Garde zu prüfen, laßt sie gewähren. Kümmert euch eher um eure Kaligrafien, damit ihr der Nachwelt etwas hinterlassen könnt.«

Gelassen aß er weiter.

Nachdem die Hausdiener die Reste des Abendmahls abgeräumt hatten, traf er die beiden wieder in seinem Arbeitszimmer. Fumiko wirkte irgendwie gelöster. Bis sie die Schriftrolle auf dem Kartentisch bemerkte.

»Der Shogun wieder?«

Kriegsherr Takumoru nickte zustimmend.

»Wir sollen wieder gegen die Aufständigen an der Westküste ziehen. Ich habe sowieso zu wenig Mann. Aber ich werde meine Truppen anweisen, sämtliche Vorräte, die wir finden, einzusammeln.«

Fumiko senkte traurig den Kopf.

»Vater, der Shogun erwartet von euch immer wieder, daß ihr für ihn die Drecksarbeit macht. Haben wir dafür dieses Lehen erhalten? Weil wir die zurecht Unzufriedenen noch unzufriedener machen?«

Der Kriegsherr mußte bei der Klugheit seiner Tochter immer lächeln.

»Nicht ganz. Aber irgendeiner seiner Kriegsherren oder Samurai könnte diese Arbeit genauso gut erledigen. Als ich dort das letzte Mal mit unseren Truppen auftauchte, konnte ich den Aufstand lösen, ohne das ein einziges Schwert gezogen werden mußte. Es wird also nur wieder eine Befriedungsaktion sein.«

Fumiko senkte traurig den Kopf.

»Wäre es nicht besser, die Leute an der Westküste dazu zu bringen, daß sie ihre Steuer freiwillig dem Shogun bezahlen, anstatt jedes Mal, wenn sie ein wenig streitbar werden, mit voller Truppenstärke aufzumarschieren? Versucht doch diesmal eine Einigung zu erzielen, die allen zugute kommt.«

Takumoru mußte erneut lächeln.

»Immer darauf bedacht, daß es allen wirklich gut geht. Die Menschen der Westküste sind anders als wir. Sie verstehen den Krieg der Shogunate nicht. Sie gehen davon aus, daß sie das Recht besitzen, weil der alte Shogun ihnen diese Freiheit zugestand.«

Fumiko nickte verstehend.

»Warum führt ihr dann nicht im Kleinen die Politik des alten Shoguns fort? Mir ist klar, daß unser Herr einen gewissen Anspruch hat. Doch verweigert er nach wie vor unserem Dorf die notwendige Unterstützung. Und dies, obwohl ihr ständig für ihn unterwegs seid, Steuern einzutreiben, oder Aufstände niederzuschlagen.

Takumoru fehlt es an Baumaterial. Unsere Palisade muß seit gut einem Jahr überholt werden. Reitet auf dem Rückweg, wenn ihr das Problem an der Westküste gelöst habt, bei ihm vorbei und erbittet das notwendige Baumaterial. Er kann es euch beschaffen, Vater.«

Der Kriegsherr nickte zustimmend.

»Die Frage ist, ob er und das Baumaterial auch zugesteht, wenn ich die Schwierigkeit auf die Art löse, wie es mir meine Tochter vorschlägt!«, entgegnete er dann fest.

»Immerhin wäre dies eine Art zu zeigen, daß ihr nicht nur ein kleiner Kriegsherr für ihn seid, sondern auch ein begnadeter Diplomat. Somit würdet ihr euren Wert bei unserem Herrn erhöhen.«, erwiderte Hara.

Nun mußte der Kriegsherr tatsächlich lachen.

»Ich scheine nicht nur über eine ausnehmend kluge Tochter zu verfügen, sondern auch über eine nicht minder weise Zofe. Ihr beiden habt Recht. Ich sollte mein Möglichstes tun, um meinen Wert gegenüber unserem Herrn zu steigern. Löse ich den Zwischenfall friedlich, ist uns allen geholfen. Denn nach Frieden sehnt sich das Land.«

 

Die beiden jungen Frauen nickten.

Danach hieß er sie den Raum wieder verlassen.

So sehr er Fumiko auch liebte, und so sehr er ihren Geist für das wesentliche schätzte, war ihm klar, daß sie, sobald sie verheiratet war, ihrem Mann eine genauso gute Ratgeberin sein würde. Und dies bedeutete, daß er wohl seinen wichtigsten Unterpfand verlieren würde.

Es würde wieder eine lange Nacht werden.

Es gab Befehle aufzusetzen, und zu bestimmen, wer in Takumuro verbleiben sollte, während er mit seiner Hauptstreitmacht an der Westküste weilte. Die Reise würde nicht viel Zeit in Anspruch nehmen. Vielleicht zwei Tage Hinmarsch und genauso viele Tage wieder zurück. Legte er wirklich eine kleine Pause bei ihrem Herrn ein, wäre er mindestens eine Woche unterwegs. Denn das Problem an der Westküste ließ sich meist dadurch lösen, wenn er Stärke zeigte. Doch diesmal würde er den Rat seiner Tochter beherzigen, und sich anders als die Male zuvor verhalten. Genau deshalb war es wichtig, daß die Befehle eindeutig waren, bevor sie losmarschierten.