Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas

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2.4.8 Vielfalt auf Lebensraumebene

Ein ausschlaggebender Faktor für die Biodiversität im Wiesland ist auch die Vielfalt und Verteilung unterschiedlicher Wiesentypen (Abb. 22). Je nach Standort und Bewirtschaftung entwickeln sich andere Wiesentypen, die je ihre unterschiedliche, charakteristische Flora und Fauna aufweisen (Kap. 5). Die Schweiz beherbergt im internationalen Vergleich eine ausgesprochen grosse Vielfalt verschiedener Wiesentypen, von denen einige zu den weltweit artenreichsten gehören (PFADENHAUER und KLÖTZLI 2014; eigene unveröff. Aufnahmen). Die Vielfalt der Wiesentypen hat über viele Jahrhunderte aufgrund der Kleinstrukturierung der Kulturlandschaft mosaikartig vielfältig gewechselt. Durch die Vergrösserung der Schläge, die Drainierung und Meliorierung immer grösserer Teile des Wieslandes und der damit einhergehenden Uniformierung der Standortbedingungen, aber auch durch die Vereinheitlichung der Bewirtschaftung, hat sich diese sogenannte Beta-Diversität in den vergangenen Jahrzehnten stark reduziert (vgl. Kap. 6.8.3).

2.4.9 Einfluss der Fragmentierung auf die Biodiversität

Fragmentierung bezeichnet in ökologischer Hinsicht eine Entwicklung, bei der die Grösse eines zusammenhängenden Lebensraums abnimmt und gleichzeitig dessen räumliche (Distanz zum nächsten ähnlichen Lebensraum) oder funktionale Isolation (z. B. durch Barrieren wie Autobahnen) zunimmt. Dadurch entstehen «Inseln», zwischen denen sich die Populationen von Tieren und Pflanzen nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr genetisch austauschen können. Die Auswirkungen der Fragmentierung können zu lokalem Aussterben von Arten führen (FISCHER und STÖCKLIN 1997), weil auf kleinen, isolierten Flächen die Wahrscheinlichkeit, dass Arten aussterben, höher ist als auf grösseren, vernetzten Flächen. Denn kleine Flächen beherbergen kleinere Populationen. Je kleiner diese sind, desto eher ist ein Aussterben infolge eines Extremereignisses möglich. Wenn zugleich die Isolation zunimmt, können lokal ausgestorbene Arten nicht oder nur noch erschwert aus noch bevölkerten Lebensräumen der Umgebung wieder besiedelt werden (BULLOCK 2011). Zudem sind kleine, isolierte Populationen genetisch oft deutlich weniger divers und dadurch von geringerer Vitalität (KERY et al. 2001; HENSEN und WESCHE 2006).

Kleine Wieslandflächen sind zudem oft besonders empfindlich gegenüber negativen Randeffekten (z. B. Eindringen anderer Arten oder Nährstoffeintrag aus benachbarten intensiv genutzten Parzellen). Wenn die Distanzen dazwischen grösser sind als die Ausbreitungsdistanzen der Arten, ist eine Wiederbesiedlung ohne unterstützende Massnahmen unwahrscheinlich (BOSSHARD 1999).

Die verbliebenen Bestände von artenreichen Wiesen wie Trockenwiesen und -weiden (TWW-Inventar) oder Fromentalwiesen (Kap. 7) sind heute oft nur noch sehr klein und isoliert. 1900 gab es etwa 6559 TWW mit einer Fläche von mehr als zehn Hektaren. Heute sind es nur noch 766 (LACHAT et al. 2010).

Bis Fragmentierung und Randeffekte zum Verlust von Arten führen, kann es Jahrzehnte dauern. Denn das Aussterben von Populationen als Folge dieser Prozesse erfolgt immer mit einer Zeitverzögerung. Man spricht deshalb von der Aussterbeschuld (BUTAYE et al. 2005; SANG et al. 2010; COUSINS und VANHOENACKER 2011): Viele Arten sind immer noch vorhanden als Relikte früherer Landschaftszustände, doch sie sind aufgrund der gegenwärtigen Landschaftssituation aus den genannten Gründen früher oder später dem Aussterben geschuldet. Die Artenzahlen zeichnen in solchen Situationen also aufgrund der Zeitverzögerung des Aussterbens ein zu positives Bild.

2.4.10 Fazit

Die Intensivierung der Bewirtschaftung einerseits und die Nutzungsaufgabe andererseits sind heute die Hauptgefährdungsursachen der Biodiversität des Wieslandes unterhalb der Waldgrenze.

Da artenreiches Wiesland eine besonders hohe Biodiversität aufweist im Vergleich mit fast allen anderen Lebensräumen Mitteleuropas, und weil Wiesland der dominierende Lebensraum der Schweiz und anderer niederschlagsreicher und gebirgiger Regionen der Erde darstellt, kommt der Erhaltung des artenreichen Wieslandes und damit der Landwirtschaft beziehungsweise eines standortgemässen, ressourcenschonenden Futterbaus in solchen Regionen eine Schlüsselrolle zu bei der Erhaltung der Artenvielfalt.

Doch auch ausserlandwirtschaftliche Einflüsse beeinflussen die Biodiversität des Wieslandes und sind mitzuberücksichtigen, so die Überbauung oder die Stickstoffdeposition über die Luft, die erheblich zur Nährstoffbelastung (Überschreitung der «critical loads», Abb. 73) des Wieslandes und damit zur Gefährdung der Artenvielfalt des artenreichen, extensiv genutzten Teils des Wieslandes beiträgt.

Massnahmen und Empfehlungen für die Erhaltung der Artenvielfalt im produktiven Wiesland werden ausführlich im Kapitel 9 behandelt.

2.5 Standort- und Konkurrenzbedingungen: Warum kommt welche Pflanzenart wo vor?

Die meisten Wiesenpflanzenarten haben physiologisch ähnliche Vorlieben: zum Beispiel eine gleichbleibende mittlere Wasserversorgung und eine gute Nährstoffversorgung. Sie wachsen unter diesen Bedingungen schneller und werden grösser. Trotzdem kommt nur ein kleiner Teil der Arten in diesem sogenannten «physiologischen Optimum» vor. Die meisten Wiesenpflanzen werden durch die Konkurrenzbedingungen und weitere Faktoren mehr oder weniger an den Rand ihrer physiologischen Präferenz gedrängt – in das «ökologische Optimum». Als heute klassisches Beispiel hat dies WALTER 1960) im Hohenheimer Grundwasserversuch gezeigt. Wiesenfuchsschwanz, Fromental und Aufrechte Trespe sind in Mitteleuropa drei wichtige Wiesengräser, von denen das erste in feuchteren, das zweite in mittleren (frischen) und das dritte auf trockenen Wiesen verbreitet ist oder zur Vorherrschaft gelangt. In Reinsaat wachsen jedoch alle drei Gräser bei mittleren Wasserverhältnissen am besten. Das ökologische Optimum unterscheidet sich insbesondere bei weniger konkurrenzstarken Arten von ihrem physiologischen Optimum.

2.6 Der unterirdische Teil des Wiesenökosystems

Obwohl viel weniger darüber bekannt ist, ist der Wurzelraum für die vielfältigen Funktionen des Wieslandes ebenso wichtig wie der oberirdische Teil der Vegetation. Der Wurzelraum ist ausschlaggebend für den Erosionsschutz, die Wasenstabilität und damit Bewirtschaftbarkeit (Befahren und Beweiden) einer Fläche, für die Ertragsfähigkeit und die CO2-Bindung des Wieslandes. Vor allem in nicht intensiv genutztem Wiesland kann die unterirdische Biomasse die oberirdische um ein Mehrfaches übersteigen, während in stark gedüngtem Wiesland die Wurzelbiomasse nur geringfügig grösser ist.

2.6.1 Einfluss von Bewirtschaftung und Pflanzenbestand auf den Wurzelraum

Jede Bewirtschaftungsmassnahme beeinflusst auch den Wurzelraum. Die stärksten Auswirkungen haben die Düngung, die eine flache Durchwurzelung fördert, und der Einsatz schwerer Maschinen. Das zunehmende Gewicht der Bewirtschaftungsgeräte und die häufigen Überfahrten führen zunehmend zu Verdichtungsschäden (Umweltamt Luzern 2013).

Die Koexistenz von Flach-, Mitteltief- und Tiefwurzlern ermöglicht eine vollständige Durchwurzelung des Bodenraums (KUTSCHERA et al. 1992) und damit eine entprechend optimale Erschliessung der Nährstoffe und des Bodenwassers.

SCHNEIDER (1954) betont die Bedeutung einer guten Durchlüftung des Bodens und bezeichnet sie «als besondere Eigenschaft der Fettmattenstandorte. … Das beim Betreten der (Fromental- beziehungsweise Fettwiesen-)Matte leicht wahrnehmbare elastische Nachgeben der Unterlage ist der Lockerheit des Bodengefüges zuzuschreiben, welches die unerlässliche Voraussetzung einer ausgezeichneten Bodendurchlüftung darstellt» und Voraussetzung für das gute Wachstum der Fettwiesen und ihre Nährstoffaufnahme sei.

Für einen gut befahrbaren, stabilen, erosionssicheren Wasen entscheidend ist vor allem ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Rasen- und Horstgräsern; viele Kräuter – insbesondere Korbblütler und Umbelliferen, aber auch Ampferarten – sorgen auf der anderen Seite in quasi komplementärer Weise mit ihren langen, dicken Pfahlwurzeln für eine wirksame «Tiefenverankerung». Zur Ausbildung von tiefgehenden Wurzeln sind auch Leguminosen befähigt, zum Beispiel Rotklee, Hornklee, Esparsette oder Luzerne (KUTSCHERA et al. 1992; Abb. 23 und 24).


Abb. 23. Vielfältige Durchwurzelung eines Wiesenbodens durch Koexistenz verschiedener Wieslandarten, schematisch. Quelle: KUTSCHERA et al. 1992 / www.biolandhofbraun.de/html/durchwurzelung.html


Abb. 24. Pflanzenartenvielfalt ist Erosionsschutz. Links: jeder Nagel- und Schraubentyp symbolisiert eine Pflanzenart beziehungsweise eine funktionielle Gruppe. Eine vielfältige Vegetation mit standortangepassten Arten umfasst zahlreiche verschiedene Durchwurzelungstypen (mitte). Abbildung aus KÖRNER 2004. Rechts: Je mehr Pflanzenarten, desto höher ist die bodenkrümelstabilität. Quelle: POHL et al. 2009.

 

2.6.2 Wieslandböden als wichtige CO2-Speicher

Boden unter Dauerwiesland speichert aufgrund des höheren Humusgehaltes rund doppelt so viel CO2 wie bei ackerbaulicher Nutzung. Bei extensiver Nutzung und zunehmender Höhenlage nimmt das Speichervermögen zu (Abb. 25). Gegenüber einer Nutzung als Ackerland und Kunstwiesen können Naturwiesen pro Hektare mehrere Dutzend Tonnen mehr CO2 binden und so in hohem Ausmass die CO2-Bilanz einer Region beeinflussen.


Abb. 25. Nachhaltig bewirtschaftetes Wiesland leistet durch seinen erhöhten Humusgehalt einen wichtigen Beitrag zur CO2-Speicherung im Boden. Links: Anstieg des Boden-CO2-Gehaltes bei Umwandlung von Kunstwiesen beziehungsweise Ackerland in Dauerwiesland (gestrichelte Kurve). Die Speicherung kann pro Hektare mehrere Tonnen CO2 jährlich betragen (LEIFELD et al. 2007). Rechts: Dauerwiesland kann 50 bis über 200 Prozent mehr CO2 binden als Ackerland; Kunstwiesen liegen dazwischen (LEIFELD et al. 2003).

3 Beurteilung von Pflanzenbestand und Standort im Hinblick auf Ertrag, Nutzungsmöglichkeiten und Artenvielfalt
3.1 Pflanzenbestand als integraler Indikator

Der Pflanzenbestand ist integraler Ausdruck des komplexen Wirkgefüges von Standort und Bewirtschaftung. Die Artenzusammensetzung in Kombination mit der Physiognomie der Vegetation – Wasendichte, Bestandeshöhe, Lückigkeit usw. – erlaubt vielfältige Rückschlüsse auf die Natur- und Kulturfaktoren, welche die betreffende Wiese oder Weide prägen beziehungsweise die vergangenen Jahre prägten. Vor allem aber ermöglicht der Pflanzenbestand die Abschätzung von Ertrag und Futterwert einer Wiese oder Weide und die Identifikation von Entwicklungspotenzialen – beispielsweise im Hinblick auf den Ertrag oder die Artenvielfalt –, aber auch von Bewirtschaftungsfehlern. Die Beurteilung des Pflanzenbestandes ist deshalb in praktischer Hinsicht für die Landwirtschaft und die übergeordnete Planung der Bewirtschaftung, beispielsweise im Rahmen von Meliorationen, von Vernetzungsprojekten oder Betriebs- und Alpplanungen, von zentraler und weitreichender Bedeutung.

Besonders drei Methoden haben sich bewährt, um die Standortbedingungen und die Bewirtschaftung anhand des Pflanzenbestandes einschätzen und beurteilen zu können: Die Verwendung von Zeigerwerten (Kap. 3.2), die Analyse der funktionellen Gruppen (Kap. 3.3) und die Identifikation des Wiesentyps (Kap. 5). Bei der Beurteilung des Wieslandes ist die Qualität und Quantität des Futters oft der wichtigste Gesichtspunkt. Doch das Wiesland hat zahlreiche weitere Funktionen, die je nach Aufgabenstellung und Kontext mehr oder weniger zentral in die Beurteilung miteinbezogen werden müssen (Kap. 1.3). So wird bei zunehmender Steilheit die Befahrbarkeit und damit die Qualität der Grasnarbe zunehmend wichtiger. Oder im extensiver genutzten Bereich ist die Artenvielfalt von besonderer Bedeutung, kommen hier doch oft seltene und gefährdete Arten vor, deren Erhaltung gesetzliche Pflicht ist.

Die Multifunktionalität des Wieslandes ist heute bei allen ganzheitlich orientierten Betriebsplanungen, Nutzungsplanungen und Bestandesbeurteilungen ein integraler Bestandteil.

3.2 Zeigerarten und Zeigerwerte zur Standortindikation

Die Artenzusammensetzung kann mithilfe der ökologischen Zeigerwerte wichtige Hinweise auf die Standortbedingungen geben (ELLENBERG 1974). Für die Schweizer Flora hat diese Zeigerwerte vor allem LANDOLT (1977 und folgende) entwickelt. Zeigerwerte beruhen weitgehend auf der Erfahrung und auf Beobachtungen von Feldbotanikern und beinhalten bei jeder Art einen kleineren oder grösseren Unschärfebereich. Die Aussagekraft der Zeigerwerte in Bezug auf die Standortbedingungen, insbesondere den Wasser- und Nährstoffhaushalt sowie das Mikroklima, haben unzählige Studien und praktische Anwendungen immer wieder bestätigt. Um zuverlässige Aussagen machen zu können, sind die Werte möglichst vieler am Standort vorkommender Pflanzenarten zu mitteln, gegebenenfalls unter Berücksichtigung ihrer Mengenanteile. Einzelne Arten weisen zudem bessere Indikatoreigenschaften auf als andere. So gibt es typische Feuchte-, Nährstoff- oder Säurezeiger, deren Vorkommen ausreicht, um mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die betreffende Standorteigenschaft zu schliessen (Tab. 3).

3.3 Die funktionellen Gruppen Gräser, Kräuter und Leguminosen als Indikatoren für Stabilität, Ertrag und Artenvielfalt

Die Ausprägung der drei funktionellen Gruppen Gräser, Kräuter und Leguminosen ist einer der wichtigsten Gesichtspunkte für die Beurteilung einer Naturwiese im Hinblick auf ihre Ertragsfähigkeit und Stabilität.

3.3.1 Gräser

Ausdauernde Gräser bilden das Grundgerüst der Naturwiesen Mitteleuropas und sind damit hauptsächlichen für den Ertrag und die Stabilität des Bestandes verantwortlich. Nur Gräser sind fähig, einen dichten, stabilen Wasen zu bilden, und dieser wiederum ist in steileren Lagen für die Befahrbarkeit und den Erosionsschutz entscheidend.

Aus futterbaulicher Sicht wird in produktionsorientiert genutztem Naturwiesland ein Anteil ausdauernder Gräser von 50 bis 75 Massenprozent angestrebt. Sofern dagegen Artenreichtum oder Ästhetik im Vordergrund stehen, ist ein geringerer Gräseranteil erwünscht, weil die Gräser viel weniger Arten aufweisen als die Kräuter, Kräuter zudem für mehr Insektenarten Nahrung bieten (z. B. Nektar), und ein starker Graswuchs, vor allem von rasenbildenden Arten, die Kräuter konkurrenzieren und ihre Vielfalt unter Umständen stark vermindern kann. Auch aus ästhetischer Warte ist ein höherer Kräuteranteil attraktiver, sind doch solche Bestände blütenreicher, farbiger und von den Wuchs- und Blattformen her vielfältiger.

Besonders deutlich zeigt sich die Wirkung einer Übermacht der Gräser in vielen Wiesentypen beim Brachfallen. Durch die ausbleibende Nutzung nehmen einige Grasarten stark überhand, je nach Standort beispielsweise die Fiederzwenke oder der Rotschwingel. Diese Gräser können innerhalb von wenigen Jahren einen dichten Filz bilden, welcher kaum mehr weitere Arten aufkommen lässt (Abb. 26).

Umfangreiche Ansaatversuche haben gezeigt, dass auf der anderen Seite das Fehlen von mehr oder weniger konkurrenzfähigen Grasarten den Pflanzenbestand instabil werden lässt. Wurden nämlich in blumenreichen Ansaatmischungen wüchsigere Gräser ganz weggelassen, konnten sich die Wiesenblumen anfänglich tatsächlich besonders üppig entfalten. Bereits nach wenigen Jahren brachen ihre Massenanteile und Artenzahlen aber ein und gingen deutlich unter die Werte einer ausgewogenen Ansaatmischung mit einem geeigneten Gräseranteil zurück (BOSSHARD 1999). Auch aus Naturschutzsicht ist deshalb ein minimaler Gräseranteil von mindestens 30 Massenprozent wichtig, um die Stabilität des Bestandes sicherzustellen.

In funktioneller Hinsicht trägt die Unterscheidung zwischen Horst- und Rasengräsern viel zum Verständnis des Ökosystems Wiese bei (z. B. DIETL und LEHMANN 2006), eine Einteilung, die auf eine alte englische Futterbautradition zurückgeht (THAER 1801). Horstgräser bilden kräftige Horstbüschel, aber keine Ausläufer. Sie durchwurzeln den Boden kräftig und eher tief und wachsen tendenziell rasch in die Höhe. Dadurch bilden sie relativ rasch viel Biomasse und Ertrag. Horstgräser werden in der Regel nur wenige Jahre alt und müssen regelmässig absamen können, um sich im Bestand zu halten.

Rasengräser dagegen vermehren sich vor allem über – oberirdische oder unterirdische – Ausläufer. Sie sind entsprechend nicht auf eine Vermehrung über Samen angewiesen und ertragen damit häufigen Schnitt meist problemlos oder werden durch diesen sogar noch gefördert. Viele Rasengräser bilden einen stabilen, mitunter dichten Wasen («Rasen»), wurzeln aber nur oberflächlich. Der Ertrag vieler Rasengräser ist deutlich geringer als von Horstgräsern. Die ertragreichsten Rasengräser sind das Englische Raygras, das Wiesen-Rispengras und der Wiesenfuchsschwanz; futterbaulich geringwertig sind das Gewöhnliche Rispengras oder verschiedene Straussgrasarten.

Während Horstgräser vor allem andere Horstgräser konkurrenzieren, lassen sie zwischen den Horsten relativ viel Platz für zahlreiche weitere Arten, insbesondere Kräuter, aber auch Rasengräser. Rasengräser neigen dagegen zu Monokulturen (Abb. 26), wobei es je nach Standort, Bewirtschaftung und Grasart grosse Unterschiede gibt.

Die von der Artenzusammensetzung wie bezüglich mechanischer Belastbarkeit stabilsten Wasen entstehen bei einem ausgewogenen Anteil sowohl an Horst- wie Rasengräsern. Fehlen stabile Rasengräser, weist eine Wiese nach der Mahd viele (Tab. 3) offene Bodenstellen auf, welche beispielsweise die Befahrbarkeit in steilem Gelände oder nach Regen gefährlich mindern können (Abb. 8). Solche Lücken lassen aber auch Platz für die Besiedlung des Bestandes mit «Lückenbüssern» – Pflanzen also, die futterbaulich minderwertig, wertlos oder in seltenen Fällen sogar giftig sind, beispielsweise Fadenehrenpreis, kriechender und scharfer Hahnenfuss oder Kerbelarten. Dominieren dagegen Rasengräser zu stark, nimmt die Artenvielfalt ab und Horstgräser können sich nicht mehr genügend etablieren durch Versamung. Dadurch kann der Ertrag einer Wiese deutlich zurückgehen, und in steileren Flächen kann infolge der nur flachen Durchwurzelung die Erosionsgefährdung ebenfalls zunehmen (Abb. 26 rechts).

Einige Rasengräser, vor allem solche, die in intensiver genutzten Wiesen vorkommen, wie das Gemeine Rispengras, bilden nur ein sehr schütteres, oberflächliches Rasengeflecht und können diese stabilisierende Funktion nicht übernehmen.


Abb. 26. Auf mesischen Standorten (nicht allzu nährstoffreich und nicht allzu feucht) kann sich die Fiederzwenke (Brachypodium pinnatum) nach Aufgabe der Mahd durch klonales Wachstum rasch ausbreiten. Sie bildet einen dichten Filz, den schon bald nur noch die Grasart selber durchdringen kann (Bild links). Viele Arten, vor allem Rosettenpflanzen, werden verdrängt, die Artenvielfalt kann dadurch schon nach wenigen Jahren stark zurückgehen. Da die Fiederzwenke nur oberflächlich wurzelt und andere Arten zunehmend fehlen, die je ein unterschiedliches Wurzelssystem bilden (vgl. Abb 23 und 24), sind Fiederzwenken-Monokulturen deutlich erhöht erosionsanfällig. Im Bild rechts eine abrutschende Wegböschung, deren regelmässige Mahd vor einigen Jahren aufgegeben wurde und an der sich seither ein Reinbestand von Fiederzwenke breit gemacht hat. Zürcher Oberland (CH), 900 m ü.M.

Tab. 3. Vorkommen und Eigenschaften der wichtigsten Gräser der mitteleuropäischen Naturwiesen unterhalb der alpinen Stufe. Quelle der Zuordnungen: DIETL 1986 u.a.; LAUBER und WAGNER 2007; sowie zahlreiche eigene Vegetationsaufnahmen.


Da Rasengräser typischerweise den Grossteil ihrer Assimilationsorgane nahe am Boden haben, können sie sich nur in einem relativ lichtdurchlässigen oder niedrigen Pflanzenbestand gut etablieren. Dagegen können viele Horstgräser ihre Blätter in einem dichten Bestand in den lichten, oberen Bereich verlagern und damit auch in massenwüchsigen Beständen sich gut halten. Rasengräser kommen deshalb zum einen in relativ nährstoffarmen, extensiver genutzten Beständen vor, bei denen das Pflanzenwachstum keine sich rasch schliessenden Bestände bildet.

 

Die Grenze ist im mittelintensiven Bereich, also bei der Knaulgraswiese erreicht: Während die wenig intensiv genutzten Fromentalwiesen durch Rotschwingel und weitere wertvolle Rasengräser charakterisiert sind, fehlen – mit Ausnahme von Lückenfüllern in schütteren Beständen – kräftige, eigentliche Rasengräser in den nährstoffreicheren Knaulgraswiesen und den gut gedüngten oder überdüngten Goldhaferwiesen weitgehend. In noch intensiver genutzten Wiesentypen kommen sie dann – insbesondere in Form des Englisch Raygras und des Wiesenrispengras – wieder zu grösseren Masseanteilen, vorausgesetzt, es sind Gräser vorhanden, welche die intensive Nutzung ertragen. Dies ist nur in den tieferen Lagen auf guten Böden der Fall. Der Grund liegt darin, dass die hohe Nutzungsfrequenz in solch intensiv genutzten Beständen ein hohes und dichtes Aufwachsen des Bestandes verhindert und immer wieder Licht in die bodennahen Schichten bringt. Insbesondere eine intensive Beweidung fördert Rasengräser, weil der Bestand dadurch permanent kurz gehalten wird und Licht immer bis in die unteren Schichten dringen kann.

Infolge des Fehlens konkurrenzkräftiger Rasengräser sind die mittelintensiv genutzten Wiesen die labilsten Wiesentypen – sowohl was die Wasen- wie die Bestandesstabilität anbelangt.

Für jeden Standort und jede Nutzungsintensität sind die geeigneten Grasarten und -ökotypen in der Samenbank des Bodens oder der Umgebung in Mitteleuropa in der Regel vorhanden (Tab. 3). Sie müssen oder müssten deshalb nur in Ausnahmefällen gezielt mittels Samenmischungen eingeführt werden (Übersaaten). Die Samenproduktion eines reifen Wiesenaufwuchses übersteigt die Saatmenge, welche normalerweise bei Neuansaaten oder Übersaaten eingebracht wird, in aller Regel deutlich (KIRMER et al. 2012). Bei richtiger Bestandeslenkung (Kap. 4.2) können Arten, sofern sie in kleinen Anteilen im Bestand vorhanden sind, also meist innerhalb weniger Jahre wieder etabliert werden.

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