Scheidung kann tödlich sein

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Fast schon will Attila wieder Hoffnung schöpfen. Es muss doch einen Grund haben, dass er wie durch ein Wunder überlebte. Vielleicht war dies eine Art heilsamer Schock, und die Ehe wäre doch noch zu retten. Von seiner Lähmung blieben nur kleine Reste zurück, die ihn aber nicht weiter behinderten. Als der Krankenhauspsychologe ihn gefragt hatte, ob er es wieder tun würde, bejahte Attila. Wenn er in der gleichen ausweglosen Situation wäre, würde er. Der Krankenhauspsychiater entließ ihn nach Hause, offensichtlich sah auch er den Selbstmordversuch als einzig gesunde Lösung für solch ein Dilemma an, stufte Attila nicht als behandlungsbedürftig im Nervenkrankenhaus ein.

So sitzt Attila wieder in seinem Büro, das er inzwischen nach Hause in den Keller verlegt hat, und arbeitet. Er muss sich nun des Vertrauens seines neuen Kunden würdig erweisen und ein brillantes Ergebnis abliefern. Der Auftrag macht Spaß und so kann Attila die restliche Problematik ein wenig ausklammern. Denn nach der Eheberatung gerät schon wieder alles ins alte Fahrwasser. Und Uschi tut, was sie immer getan hat: nichts. Außer Geld auszugeben und zu mosern.

Als alles wieder beim Alten ist, weiß Attila Bescheid: er wird es ertragen müssen, oder bei Gelegenheit noch einmal einen Versuch unternehmen.

* * *

Nach dieser unschönen Auseinandersetzung erhielt Attila eine eiskalte SMS von Uschi, in der sie ihm mitteilte, ihre Tochter werde künftig nach ihrem eigenen Wunsch bei ihr leben. Die Sachen könne er am Ende der Ferien vorbeibringen. Sie werde die Altstadtschule und somit eine Hauptschule besuchen. Gründe wurden nicht mitgeteilt, Attila wurde nur empfohlen, er solle seine Lebensgefährtin fragen, wenn er die Gründe wissen wolle. Verständlicherweise war Attila absolut schockiert und hatte keine Ahnung, was Solveig zu diesem Schritt bewogen haben könnte. Ich ebenfalls nicht. Soviel also zu der netten, einsichtigen Uschi von letztem Mittwoch. Zumal Ronja schon Wochen vorher beim Besuchswochenende erzählt hatte, Solveig bekomme jetzt doch das große Zimmer. Wie eine Schlange hatte Uschi den richtigen Moment abgewartet.

Was sollte Attila denken? Die Sache war wohl schon länger geplant und somit keine Momententscheidung. Wir kamen uns ziemlich veräppelt vor, ich selber hatte auch noch mit Solveig Pläne geschmiedet, dass ich ihr das Nähen langsam beibringen würde und wir Stoff aussuchen wollten. Konnte die Kleine derart gut schauspielern? Dieser Gedanke gefiel uns natürlich gar nicht, wir kamen uns hintergangen vor. Natürlich in erster Linie von Uschi. Attila wollte nun verständlicherweise über die Angelegenheit sprechen, auch mit seiner Tochter selbst. Uschi ging sofort wieder in die alte Verweigerungshaltung und beantwortete nun keine Anrufe oder SMS mehr. Solveig auch nicht. Es galt ja nebenbei noch, eine Vereinbarung wegen eines Termins für den Kieferorthopäden zu treffen, weil Attila ja mit hingehen wollte um sicherzustellen, dass Solveig nicht aus Kostengründen eine Billiglösung bekäme oder etwa eine unnötige Spange. Aber Uschi war nicht zu erreichen, obwohl Attila sie fragte, ob denn schon wieder eine gerichtliche Klärung unausweichlich sei, da das gemeinsame Sorgerecht wieder einmal nicht ausgeübt werden könne. Das sei doch so was von überflüssig und albern.

Attila gab nicht auf, setzte Uschi schließlich eine Frist, während der sie die gerichtliche Klärung noch hätte verhindern können. Leider keine Resonanz. Er schrieb auch mehrere SMS, dass er wenigstens mit Solveig reden wolle. Er mache sich Sorgen um sie und wolle mit ihr sprechen. Attila hatte mir auch seine Bedenken mitgeteilt, dass er sich wegen des psychischen Zustands seiner Frau Sorgen mache. Nicht, dass diese eine Kurzschlusshandlung begehe und die Kinder schädige oder Schlimmeres. Schließlich habe sie auch früher schon illegal Psychopharmaka erworben und eingenommen, bis er den Spuk damals zumindest vorläufig beendet habe. Er erwog schon, die Polizei einzuschalten und teilte dies auch Uschi mit.

Ich beruhigte ihn, ein solch übles Szenario konnte ich mir nun doch nicht vorstellen. Schließlich teilte ihm Uschi per SMS mit, dass Solveig nicht mit ihm sprechen wolle. Obwohl er keinerlei Auseinandersetzung mit ihr gehabt hatte, und sich auch bei der Mathe-Stunde am Montag zwischen ihm und ihr kein allzu negativer Vorfall ereignet hatte. Wir überlegten nun, ob Solveig ihrer Mutter vielleicht irgendwelche Geschichten erzählt haben könnte, die uns in ein schlechtes Licht gestellt hätten und hierbei gelogen oder übertrieben hat. In einem solchen Fall wollte sie freilich nicht mit dem Vater reden, sie wäre dann ja entlarvt gewesen. Wie auch immer, spätestens jetzt musste Attila das Familiengericht wieder anrufen und informierte seinen Anwalt über die neueste Entwicklung. Der Antrag lautete jetzt auf einstweilige Übertragung des vorläufigen alleinigen Sorgerechts für alle drei Kinder, sowie auf Herausgabe von Solveig. Denn er hatte nach wie vor das Aufenthaltsbestimmungsrecht.

Darüber hinaus wollte Attila für die Hauptverhandlung vom

30.09.09 erreichen, für alle drei Kinder das alleinige Sorgerecht zugesprochen zu bekommen, weil Uschi nicht oder nicht mehr erziehungsfähig erschien. Jedenfalls nicht kommunikationsbereit. Wir tätigten daher auch schon Überlegungen bezüglich eines ausreichend großen Wohnobjektes, da diese Anzahl von Kindern, insgesamt fünf bis sechs, je nachdem, ob Axel bis dahin zurück wäre, im Reihenhaus keinesfalls Platz finden könnte.

Am Freitag, 04.09.2009 hätte der Termin beim Kieferorthopäden stattfinden sollen. Attila rief vorsichtshalber um halb zwölf in der Praxis an und fragte nach dem Termin, er war nicht abgesagt worden. Also fuhr Attila erleichtert um halb zwei in die Birken, um Solveig abzuholen, um den Termin mit ihr und eventuell ihrer Mutter um zwei Uhr wahrzunehmen. Dort waren aber im gesamten Erdgeschoß die Rollläden herunter gelassen, das Auto von Uschi war auch nicht zu sehen. Attila fuhr also weiter zum Kieferorthopäden und wartete dort, aber Uschi und Solveig tauchten zum Termin nicht auf, hatten nach Auskunft der Sprechstundenhilfen auch nicht abgesagt.

Attila rief mich an und teilte mir den Sachverhalt mit. Auch, dass er die Sache mit den Rollläden komisch finde. Er fuhr dann zu Thea, seiner Schwiegermutter, um diese zu fragen, ob sie etwas wisse. Diese gab zur Auskunft, Uschi sei vorhin kurz bei ihr gewesen und habe geäußert, sie werde um ein Uhr in die Stadt fahren und einkaufen. Attila wunderte sich. In die Stadt? Dort hätte sie doch auch zum Kieferorthopäden gehen können. Attila war beunruhigt und versuchte, Uschi telefonisch zu erreichen. Sie beantwortete jedoch wieder keine SMS und auch keinen Anruf, obwohl ihr Attila sagte, er müsse die Polizei benachrichtigen, wenn sie ihm nicht bestätige, dass alles in Ordnung sei. Keine Reaktion. Nervös tigerte Attila auf und ab, wusste nicht recht, was er tun sollte. Er wollte natürlich nicht aus einer Mücke einen Elefanten machen, andererseits auch nichts versäumen. Was, wenn Uschi wirklich durchgedreht war? Man las in der Zeitung genügend schlimme Geschichten über Elternteile, die das Leben nicht mehr gepackt und ein Blutbad angerichtet hatten.

Attila hielt die Ungewissheit schließlich nicht länger aus und ging mit bleichem, besorgtem Gesicht zur Polizei. Die Beamten wollten ihn zunächst beschwichtigen und auf Montag verweisen. Er ließ aber nicht locker, und so fuhren die Beamten in der Altstadt vorbei. Zwischenzeitlich war Uschi daheim angekommen und versicherte den Beamten, dass alles in Ordnung sei. Sie sahen auch die Kinder. Uschi bemerkte den Polizisten gegenüber, Solveig habe Angst vor ihrem Vater.

Diese Auskunft war es, die weiteren Anlass zu Bedenken gab. Warum oder wovor hatte Solveig Angst? Nach einigen Telefonaten beauftragte die Polizei schließlich eine Sachbearbeiterin vom Jugendamt, die Rufbereitschaft hatte, nochmals in die Altstadt zu fahren und dies in Erfahrung zu bringen. Frau Kies teilte Attila danach telefonisch mit, dass alle drei Kinder Angst vor ihm hätten, und dass dies so sei, weil er bei Auseinandersetzungen in der Ehe immer so laut gewesen wäre, und so aggressiv. Uschi bemerkte noch, Attila würde sie mit Anrufen bombardieren und sie damit belästigen. Nette Interpretation besorgter Anfragen, wenn er versuchte, das gemeinsame Sorgerecht auszuüben und sie nicht kooperieren wollte. Telefonterror, der Angst machte. So konnte man es auch nennen. Jemand, der Uschi und die tatsächlichen Vorgänge nicht kannte, nahm so etwas natürlich ernst.

Der recht engagierten Frau Kies wurde seitens Attila der Sachverhalt erklärt, auch dass er in den letzten Tagen mit zweien der Kinder erst Kontakt gehabt habe und da keine Spur von Angst vorhanden gewesen sei. Es gebe auch gar keinen Grund, er war den Kindern gegenüber niemals aggressiv. Was ich bestätigen konnte. Und dass seine Frau Ängste der Kinder bewusst schüre oder diesen einrede, um ihn von den Kindern fernzuhalten. Auch weitere Details wurden besprochen, weil Frau Kies augenscheinlich einen guten Eindruck von Uschi und den Kindern hatte, freilich mangels tieferen Einblickes. Frau Kies war schon kurz vor dem Rentenalter und recht gutmütig, traute Uschi anscheinend nichts Böses zu. Wie sollte man jemandem erklären, was hier los war. Wir wussten es ja selbst nicht genau.

Am Sonntag darauf führten wir ein längeres Gespräch mit Attilas Eltern in Anzing. Diese teilten unsere Bedenken, Uschi betreffend. Schließlich hatten sie auch schon länger mit ihr zu tun und eigene Erfahrungen gemacht mit ihr und den Kindern. Die Auffassungen deckten sich mit denen, die Attila und ich hegten, besonders den Punkt betreffend, dass die Kinder bei Uschi derzeit nicht sicher seien.

Mehr zufällig kam das Gespräch auf einen Ungarn-Urlaub im Sommer 2007, den Attilas Mutter bis heute nicht recht verarbeitet hat, weil eine Krankheit von Solveig merkwürdige Umstände aufzeigte. Dieses Thema kam auf den Tisch, nachdem die Rede von Uschis Medikamentenmissbrauch war und davon, dass der Medikamentendealer »Schneemann« Attila erzählt hatte, Uschi habe Antibiotika für die Kinder illegal bezogen und diese ohne Verschreibung durch einen Arzt verabreicht, um »nicht ständig zum Arzt rennen zu müssen, wenn die Kinder krank sind«.

 

Solveig sollte mit Attilas Eltern drei Wochen in deren Haus in Ungarn verbringen. Vor der Abreise sagte Uschi zu Attilas Mutter, sie solle Solveig, falls diese krank werde, ein bestimmtes Medikament besorgen. Sie gab ihr den Namen des Präparates und den Namen des Wirkstoffes des Medikamentes, es war cortisonhaltig. Kein Wort davon, weshalb sie auf die Idee komme, dass Solveig genau eine Krankheit ausbrüten könnte, die ein solches Medikament notwendig machen würde.

Solveig fuhr dann mit den Großeltern nach Ungarn und verbrachte mehrere schöne Tage mit Unternehmungen, nichts war auffällig. Dann, ganz plötzlich, klagte Solveig, ihr gehe es nicht gut. Der zu Rate gezogene ungarische Arzt konnte keine Symptome der üblichen Art feststellen, wenn jemand Lungenentzündung oder Grippe hat. Er meinte aber, Solveig müsse schon zuvor krank gewesen sein, und dies sei wahrscheinlich ein Rückfall. Die Szábos fuhren dann zurück nach Deutschland, und der dortige Arzt stellte eine Lungenentzündung fest. Solveig bekam Antibiotika, die aber nicht anschlugen, sie war zwei Wochen lang richtig krank. Uschi machte ihrer Schwiegermutter Vorwürfe. Sie behauptete, Solveig habe sich in einem nagelneuen ungarischen Erlebnisbad, das Frau Szábo mit ihr besuchte, mit Legionellen infiziert, dies habe im Anschluss die Lungenentzündung ausgelöst. Das habe ihr der Arzt so zur Auskunft gegeben.

Wir waren uns einig, dass bei einer Legionellen-Infektion weitere Nachforschungen durch das Gesundheitsamt erfolgt wären, diese Geschichte somit nicht stimmen konnte. Und angesichts der Kenntnisse über Uschis unkritische Selbstverabreichung von Antibiotika schien es nun nahe liegend, dass Solveig bereits vor Reiseantritt krank gewesen war und dies nicht richtig auskuriert wurde. Daher der Rückfall. Und die Antibiotika könnten deshalb nicht angeschlagen haben, weil Solveig wegen der immer wieder selbst verabreichten Antibiotika schon längst eine Resistenz gebildet hatte. Aber beweisen konnte man all das natürlich nicht, auch wenn sich jetzt immer mehr Puzzlestückchen zusammenfügten. Zusammen mit der Erkenntnis, dass kürzlich eine Cortison-Salbe gegen einen Ausschlag im Gesicht bei Solveig nicht wirkte, obwohl diese laut Auskunft der ratlosen Ärztin hätte schnell wirken müssen.

Attilas Schwester unterschrieb noch eine Erklärung des Inhalts, dass Uschi ihr von Halluzinationen und Wahnvorstellungen erzählt habe, die sie wegen »längerem« Konsum von Psychopharmaka bekam und die ihr Angst gemacht hatten. Auch diese Medikamente hatte ihr der Dealer »Schneemann« besorgt. Weil die Nebenwirkungen bei Absetzen des Präparats schlimmer wurden, nahm sie es einfach weiter, so berichtete sie es Attilas Schwester Ingrid. Und Attilas Mutter gab ihm einen Brief mit, in dem sie bestätigte, welche Angaben Uschi zum Trennungsjahr machte, dessen Beginn im letzten Sommer Uschi mittlerweile leugnen wollte, um den Ehegattenunterhalt zu verlängern.

Am darauf folgenden Montagmorgen ging ich zu den Kolleginnen Kies und Kellermann ins Jugendamt, die bei mir auf dem gleichen Flur ihr Büro haben. Die beiden Damen waren gerade in ein Gespräch vertieft und guckten ärgerlich, als ich anklopfte und die Türe einen Spalt breit öffnete. Ob ich kurz stören dürfe, so fragte ich. Begeistert waren sie nicht, das konnte ich an den Gesichtern mühelos ablesen. Die verständnislosen Blicke fragten:

»Was will die denn?«

Ich erklärte nochmals die Zusammenhänge im Fall Szábo, die zum Notfalleinsatz vom Freitag geführt hatten. Attila und ich waren zu dem Ergebnis gekommen, dass für Außenstehende ein völlig falscher Eindruck entstanden sein könnte und die Intervention von Attila vielleicht als hysterische, unberechtigte Aktion gesehen werde, weil weder die Polizisten, noch die Sozialtanten Uschi wirklich kannten. Die konnte sich gut als armes Opfer verkaufen und wir beide wussten das.

Ich betonte, dass wir durchaus eine Gefährdungslage für die Kinder sehen, und auch warum. Gleichzeitig übergab ich erklärende Schriftstücke zur Sache. Leider hatte ich den Eindruck, als ob die Sachbearbeiterin sich ausschließlich auf das Gutachten des Gerichts stützen wollte, welches allerdings ein halbes Jahr dauern würde. Den Schilderungen nach hatte sich Solveig beim Hausbesuch derart gut ins Licht gesetzt, dass der Eindruck entstand, dass ein solches Kind kaum unter Druck gesetzt sei oder es ihm schlecht ginge. Auf erklärende Worte, Solveigs Art betreffend, meinten sie nur, auch das werde der Gutachter schon herausfinden. Sie nahmen mich nicht richtig ernst, vermutlich, weil ich selbst keine Sozialtante war und sie glaubten, ich wolle nur meinen Lebensgefährten schützen, sei vielleicht gar von ihm beauftragt.

Am Nachmittag hatte Attila einen Anwaltstermin. Er wollte in Erfahrung bringen, ob es möglich wäre, die Kinder gleich nach der Gerichtsverhandlung zu uns oder in eine Pflegefamilie in Sicherheit zu bringen, besonders wegen des Verdachts auf Medikamentenmissbrauch und wegen des sonstigen Verhaltens von Uschi, das kaum zum Kindeswohl sein dürfte.

Als er nach Hause kam, war er sichtlich bedrückt. Er wollte zunächst gar nicht über die Sache reden, hatte die Auskünfte des Anwalts gedanklich noch nicht verarbeitet. Verzweifelt arbeitete er zur Ablenkung konzentriert auf der Terrasse, dann kam er herein, nahm mich an der Hand und lotste mich zum Auto. Ich war noch in Joggingklamotten und wunderte mich, was er vorhaben möge. Wir fuhren zum Roxy, dem American Style Café beim Cineplaza.

Wir aßen dort zu Abend und Attila klärte mich auf. Die Mutter habe in Deutschland dermaßen viele Rechte, der Vater hingegen fast keine. Zu Deutsch: momentan nix zu machen, die Kinder sind weiterhin Uschi ausgesetzt. Selbst, wenn diese die Kinder absichtlich unter Vorwänden bei sich zurückhält, keine Handhabe. Bis zu einem Gutachten – wobei die Frage ist, ob sich da etwas für Uschi Negatives findet, weil sie ja vorgewarnt ist – keine Chance.

Also bliebe nichts anderes übrig als abzuwarten, zu hoffen, dass nichts passiert und so in einem halben Jahr weiterzusehen. Bis dahin zu versuchen, die Kinder wenigstens ab und zu an Wochenenden und in den Ferien zu sehen. Wir führten ein gutes Gespräch und beschlossen, dann eben momentan wenigstens an unserer gemeinsamen Zukunft zu arbeiten und auch konkreter über den Umzug nachzudenken. Es tat mir richtig weh, diesen sich sorgenden Papa zusammengesunken da sitzen und resignieren zu sehen.

Ich stellte wieder einmal fest, wie sehr ich ihn liebte. Ein Vater, der für seine Kinder alles tun würde, damit es ihnen gut geht. Und ein Partner, der dasselbe für mich täte. Eine für mich völlig neue Erfahrung. Wieder einmal bedauerte ich, dass wir nicht schon früher zusammenkommen konnten, mit diesem Mann hätte ich gerne gemeinsame Kinder gehabt.

Attila meinte, seine Mama möge mich gerne, so was sei er gar nicht gewohnt. Normalerweise hätte sie an jeder Frau, die er anschleppte, etwas auszusetzen gehabt. Auch das freute mich sehr, man denke an die immerzu garstige Mutter von Günther. Na ja, es war verständlich, ich habe ihr Bübchen damals schließlich schon im zarten Alter von 38 Jahren an mich gebunden. Da darf man schon eifersüchtig werden. Eigentlich war die genau wie Uschi, hatte Günther nach der Scheidung an sich gerissen, den Vater nur schlecht gemacht, nicht mit diesem kommuniziert und schließlich erreicht, dass Günther diesen nicht mehr sehen wollte und ihm bis heute völlig entfremdet ist, was ihn sehr belastet. Klasse, und jetzt schlägt Uschi in dieselbe Kerbe mit ihren Kindern. Hoffentlich verrechnet sie sich da.

Am nächsten Morgen setzte Attila ein Schreiben an Uschi auf, dass sie bitte alle drei Kinder zum Schulanfang bei der Privat-Schule abliefern möge, da dort nach wie vor Schulverträge bestehen und er mit einer Einschulung in der Luitpold-, bzw. Altstadtschule nicht einverstanden sei. Er habe das den fraglichen Schulen auch bereits so mitgeteilt. Außerdem wollte er alle drei Kinder zwecks Besuchswochenende am Samstag abholen. Das Schreiben war sachlich formuliert und völlig frei von Vorwürfen oder ähnlichem und ließ keinen Raum für Missverständnisse. Um 13 Uhr hatte er außerdem einen Termin in der Luitpoldschule mit der Konrektorin, um dieser den Sachverhalt zu erklären.

Als Attila bei der Konrektorin vorsprach erfuhr er, dass kurz zuvor Uschi schon dort gewesen sei, um die Einschulung endgültig dingfest zu machen. Ihr wurde erklärt, dass das nichts werde, weil ein Schulvertrag bei der Privat-Schule besteht, sie musste unverrichteter Dinge wieder abziehen. Die Konrektorin äußerte sich dann Attila gegenüber noch erstaunt, warum Ronja überhaupt für einen Schulwechsel vorgesehen war. Dies sei ein sensibles, ruhiges Mädchen, das in der Regelschule Schwierigkeiten bekommen würde. Somit fühlte sich Attila in seiner Entscheidung bestärkt, das Richtige für die Kinder getan zu haben.

Am Abend kam Theo, brachte einen Karton mit Kinderbüchern und Klamotten, die Axel zu klein geworden waren. Er war sichtlich bemüht, so zu tun, als sei alles in Ordnung und erwartete von mir, ich müsse seinen Vertrauensbruch vergessen und mich ihm gegenüber wieder lieb und nett verhalten. Tat ich aber nicht, und so unterhielt er sich hauptsächlich mit Attila. Er sollte Axel fragen, ob er übernächstes Wochenende zu Besuch kommen möchte. Attila betonte, dass sich Axel dann aber benehmen müsse, weil er ansonsten quasi postwendend zurück nach Bindlach fahren werde.

Unterdessen funktionierte unsere verbliebene Kleinfamilie recht gut. Seit Axel weg war, hatte Fredi merklich an Aggressivität verloren und wollte nicht mehr nur ausschließlich mit Schwertern prügeln oder ähnliches. Er war ruhiger, kam nachts nicht mehr so häufig aus dem Bett und war insgesamt richtig lieb. An Attila hatte er sich nicht nur gewöhnt, er fragte tagsüber oft, wann er denn aus dem Büro komme. Er suchte auch seine Nähe, quasselte ihn gnadenlos voll und konnte ihn gut leiden. Das galt auch für meine Große, obwohl sie gewohnheitsmäßig selten aus ihrem Zimmer kam. Attila tat allerdings so einiges für sie, zum Beispiel kaufte er extra ein neues Telefon mit zweitem Mobilteil, damit sie von ihrem Zimmer aus mit ihrem Freund telefonieren konnte. In dieser Zusammensetzung gab es niemanden, der regelmäßig Stress machte und wir genossen das.

Manchmal passte Ann kurz auf Fredi auf, damit wir einen Abendspaziergang machen konnten, um von all dem Theater mit Uschi oder dem Job einmal herunter zu kommen. Und trotzdem kamen natürlich immer wieder Gedanken bei uns beiden hoch, dass wir eigentlich noch mehr Kinder haben, die wir jetzt vermissen mussten. Auch wenn diese anstrengend waren und wir gar nicht wirklich wussten, ob wir mit ihrer Erziehung fertig werden würden, wären alle bei uns. Hinzu trat natürlich Attilas Vertrauensverlust, Solveig betreffend, die ihn ja eiskalt hintergangen hatte. Für ihn war damit das Bild, das er zuvor von seiner Tochter und deren Liebe und Loyalität hatte, ziemlich zusammengebrochen. Man würde eine neue Ebene finden müssen, falls sie zurückkäme.

Ganz nebenbei erledigten wir unsere Jobs und ich dazu meinen Haushalt. Beide hatten wir so das Gefühl, das alte Leben habe komplett ausgedient, einschließlich der Berufe. Meiner hatte mich noch nie glücklich gemacht, ich hatte immer mehr den Eindruck, als handele es sich bei der Behördenbesetzung um eine schlechte Schauspielertruppe, die ein merkwürdiges Programm abzog. So richtig ernst nehmen konnte ich den Dienst schon lange nicht mehr, und schon gar nicht den Großteil meiner Kollegen. Ich vermisste hier vor allem zwei Dinge: Hirn und Charakter. Beides für mich unersetzliche Attribute, wenn ich jemanden respektieren soll.

Attila mochte eigentlich keine Computer mehr sehen, schlechtes Vorzeichen für einen Programmierer. Aber wir mussten zunächst weiter durchhalten, nachdem schon der Rest unserer Gesamtsituation mehr als unsicher war, da konnten wir nicht noch finanzielle Schwankungen abfangen. Also waren wir in jeder Hinsicht in einer Art Wartestellung, und nichts hasst ein Skorpion mehr, als Dinge nicht aktiv beeinflussen zu können. Und wir sind auch noch gleich zwei von der Sorte.

Dann erhielt Attila eine SMS von Uschi in Beantwortung seines Briefes. Sie ging überhaupt nicht auf die schulischen Angelegenheiten ein und schrieb stattdessen, sie habe lange mit den Kindern gesprochen, und keines davon wolle ihn am Wochenende besuchen. Attila und Uschi wechselten ein paar SMS, zuletzt bat Attila, doch wenigstens Marco abholen zu dürfen, nachdem er das letzte Besuchswochenende so genossen habe. Keine Antwort. Fazit: Kinder beeinflusst, Uschi aus ihrem Termin am Montag bei der Diakonie nichts gelernt. Attila teilte Uschi mit, er werde trotzdem am Samstag um 10 Uhr da sein, da sollen ihm die Kinder selber sagen, dass sie nicht kommen wollen, vor allem auch warum. Schulranzen und die Materialliste des neuen Schuljahres für Solveig hatte Attila auch noch, zumindest das musste er ja vorbeibringen.

 

Am Abend war bei uns Brainstorming auf der Terrasse angesagt. Attila war natürlich wieder recht mitgenommen, wusste längst nicht mehr, wie das weitergehen sollte. Es war nun schließlich davon auszugehen, dass Uschi die Besuchsregelung bis zum Scheidungstermin weiterhin boykottieren werde. Wir hingen bezüglich unserer eigenen Lebensplanung ganz schön in der Luft. Waren wir noch letzte Woche vollkommen davon überzeugt, dass die Kinder wenigstens alle 14 Tage, wenn nicht ganz bei uns wären, so sahen wir jetzt weitaus schwärzer.

Wir wollten ein großes Haus in einem Dorf namens Neuenreuth mieten, das wir besichtigt hatten und das für alle genug Platz bot. Mittlerweile würde aber vermutlich eine 3-ZimmerWohnung ausreichen. Falls dann doch Kinder auftauchen sollten, wäre eben Matratzenlager angesagt. Wohnung in Bayreuth, oder gleich in Attilas Lieblingsgegend Oberbayern, weit weg von den Problemherden? Wer macht welchen Job weiter, wie regeln wir das mit der Firma? Unterm Strich mussten wir erkennen, dass wir eigentlich überhaupt nichts planen konnten. Wir beschlossen nur, uns nicht mehr ausschließlich um andere und deren Willen, sondern zur Abwechslung mal um uns selber zu kümmern, da wir sonst nicht mehr lange durchhalten könnten. Ganz schön nervig, so von einem Tag auf den anderen leben zu müssen.

Donnerstag ging ich morgens zum Arzt, litt unter Bronchitis und Darmproblemen. Meine Ärztin Christina schrieb mich krank, im Amt war man natürlich begeistert. Aber das ging mir ziemlich am Hinterteil vorbei, es stellte derzeit eines meiner kleinsten Probleme dar. So war ich wenigstens zu Hause, konnte meine Hausarbeit in Ruhe machen und ein bisschen entspannen. Am Nachmittag war für Attila ein erster Beratungstermin bei der Diakonie, Familienberatungsstelle, angesagt. Das Gegenstück zu dem Termin, den Uschi am Montag zuvor hatte.

Und dann erhielt ich den Anruf, der den weiteren Fortgang der Geschichte maßgeblich beeinflusste. Ein völlig verzweifelter Attila hing am Telefon und wusste nicht mehr ein noch aus. Er konnte vor Aufregung kaum schildern, was passiert war und gab mir so nach und nach die Information, dass Uschi das vorläufige alleinige Sorgerecht für die gleichen Teilbereiche wie er selbst beantragt hatte. Und habe es erhalten. Begründung: Attila habe die Kinder alle geschlagen, sie hätten deshalb Angst vor ihm. Solveig würde weglaufen, wenn sie ihren Vater auf der Straße sehen würde, so stand es im Bericht des Jugendamtes, zusammen mit anderen Lügen, die Uschi der Jugendamts-Mitarbeiterin erzählt und den Kindern offenbar eingetrichtert hatte.

Was Solveigs »Angst« betraf, so glaubte ich durchaus, dass sie ihrem Vater nicht mehr unter die Augen treten wollte, deren Gewissen durfte wegen der notorischen Lügen zentnerschwer sein. Selbst Marco hatte angegeben, der Papa schlage ihn. Und er wolle nie mehr Streit.

Ich war völlig perplex, konnte es nicht fassen. Deshalb also waren die »Kolleginnen« vom Jugendamt in den letzten Tagen so überfreundlich und betrachteten mich leicht mitleidig. Die Lebensgefährtin eines Schlägers. Nun mussten wir davon ausgehen, dass Uschi auch im Hauptverfahren das alleinige Sorgerecht, möglicherweise das komplette, erhalten und Attila seine Kinder in den nächsten Monaten, evtl. bis zum Vorliegen von Gutachten, überhaupt nicht mehr sehen würde. Derb auch für mich, denn ich kannte ja den wirklichen Sachverhalt, dass Attila im Gegenteil gar nichts gegen die Frechheiten seiner Kinder unternommen hatte, geschweige denn, sie zu schlagen.

Was konnte nun als nächstes kommen? Uschi erzählt es Günther, und der versucht ebenfalls, das Sorgerecht für Fredi zu bekommen, weil ja ein Kinder-Prügler bei uns lebt? Wenn ich ehrlich bin, habe ich in diesem Moment Uschi und Solveig gewünscht, dass sie einfach tot umfallen. Wie konnte man aus egoistischen Motiven derart lügen?

Am Abend, als Attila und ich wieder einigermaßen klar denken konnten, setzten wir uns zusammen und zerpflückten erst einmal die Stellungnahme des Jugendamtes. Diese enthielt zahlreiche Fehler und schlampige Recherchen, sowie eine äußerst einseitige Darstellung fast ausschließlich der Äußerungen von Uschi. Unlogisches wurde nicht hinterfragt. Wir schrieben alle Ungereimtheiten nieder, in Stellungnahmen für das Gericht sowie in einer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Frau Kellermann vom Jugendamt, die diese Stellungnahme zu verantworten hatte. Natürlich musste sich das Gericht wegen der Eilbedürftigkeit erst einmal darauf stützen, und so gingen wir davon aus, dass das Machwerk einer genaueren Überprüfung in der Hauptverhandlung nicht standhalten würde, besonders nicht nach unserer Gegendarstellung.

Aber eines war trotzdem schon jetzt klar: egal, wer letzten Endes das Sorgerecht erhalten würde, es gäbe bei dieser Sache ausschließlich Verlierer. Die Kinder sind psychisch belastet und Attilas Verhältnis zu den Kindern hat schwer gelitten, teilweise hat das Szenario irreparable Schäden hinterlassen. Welcher Vater möchte durch seine Kinder schon als Prügler hingestellt werden, besonders, wenn es unwahr ist?

Am nächsten Morgen erhielt Attila eine SMS von Uschi, er solle die Sachen von Solveig vorbeibringen, und zwar in die Garage in der Birken. Diese Garage hatte Attila für seinen Honda S 2000 gemietet, wir hatten sie kürzlich ausgeräumt. Den Ausweis und andere Kleinigkeiten solle er auf dem Postweg senden. Typisch, wenn Uschi etwas haben will, kann sie plötzlich kommunizieren. Außerdem wolle sie den Fernseher haben, den Attila Solveig kürzlich geschenkt habe. Ebenfalls typisch, Fernseher ins Zimmer und glotzen lassen bis der Arzt kommt. Und Mama hat währenddessen Ruhe. Attila war dagegen, weil das mit Uschi ja auch anders vereinbart worden war, danach sollte ein eigener Fernseher für Solveig tabu sein.

Attila beschloss, er werde am Samstag den Schulranzen vorbeibringen und klingeln. Wegen der anderen Sachen wollte er erst Rücksprache mit seinem Anwalt nehmen, ob er die Sachen etwa im Austausch gegen Hausrat, den er selber noch zu beanspruchen hatte, herausgeben soll. So einiges befand sich von seinen persönlichen Sachen bei Uschi, das er auf die Schnelle nicht hatte mitnehmen können.

Wie schon erwartet, stand Attila am Samstagvormittag vor verschlossener Tür. Das Haus glich Fort Knox, alle Rollläden heruntergelassen, Auto nicht da. Man hatte sich vorsichtshalber verdrückt und das Haus gesichert, weshalb auch immer. Wieder ein Indiz dafür, dass Uschi den Kindern gezielt Angst machte und womöglich ihren eigenen Verfolgungswahn ausgebaut hat. Attila stellte also den Schulranzen vor die Tür und ging unverrichteter Dinge wieder.

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