Scheidung kann tödlich sein

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Klaus-Werner zeigte sich im Gegensatz zu mir damals aber nicht verzweifelt, sondern total erbost. In bitterbösem, hartem Ton ging er seine Tochter und alle Beteiligten an, merkte auch an, dass er das Geld aber zur Haushaltsführung dringend brauchte, das ihm Ann eingebracht hatte. Spätestens an dieser Stelle merkte auch die Psychologin, dass sie Klaus-Werner falsch eingeschätzt hatte und entschuldigte sich bei mir kleinlaut für die vorherige Fehlentscheidung. Klaus-Werner setzte noch einen weiteren negativen Eindruck obendrauf, als er in arrogantem Ton bemerkte, er wolle Ann nicht wiedersehen, sie komme ihm nicht mehr ins Haus. Sie besitze keinen Charakter, unter anderem, weil sie ihr Zimmer nicht aufräume. Ich versuchte draußen auf der Straße noch, mit ihm zu reden. Auf diese Weise konnte er doch nun Ann nicht dafür bestrafen, dass sie zu mir zurückziehen wollte! Doch Klaus-Werner war eiskalt, revidierte seine Entscheidung nicht. Nur zur Oma in die andere Haushälfte durfte sie fortan noch zu Besuch kommen.

Ann war wieder da, und ich rechnete diesen Erfolg zum Teil auch Günther an. Schließlich wäre sie nicht wiedergekommen, wenn sie nicht Günther besser akzeptiert hätte als seinen Vorgänger Theo. Günther bemühte sich dann auch rührend um sie, bis … ja, schon wieder spielte sich vor meinen entsetzten Augen genau dasselbe Szenario ab, das ich leider schon kannte. Es gab jetzt ein eigenes Söhnchen namens Fredrik.

Natürlich ist es verständlich, wenn sich ein Vater zum eigenen Fleisch und Blut mehr hingezogen fühlt, als zur mitgebrachten Kinderschar. Aber muss man dies so auffällig unterscheiden, dass die Kinder es deutlich merken? Es fing schon an, als Fredi noch ein Baby war. Andauernd kam die nervige, hypochondrische Mutter von Günther und erklärte in den höchsten Tönen, wie toll Fredi doch sei. Die anderen beiden wurden entweder kritisiert, oder links liegen gelassen. Auch bei Geschenken. Nur ganz selten befasste sie sich überhaupt damit, und wenn, dann eigentlich höchstens mit Axel. Diese egoistische, streitsüchtige Frau legte sich regelmäßig auch mit mir an, was ich mir aber nicht gefallen ließ. Sollte sie ihre Launen doch woanders loswerden, ich hatte schon genügend Probleme.

In der Zwischenzeit hatte ich meine Prüfung als Heilpraktikerin für Psychotherapie beim Gesundheitsamt bestanden und bekam meine Zulassung. Ich feierte mit Günther und den Kindern bei einem ausgiebigen Frühstück im Café »Sinopoli«, hoffte, nun doch irgendwann dem Beamtenberuf den Rücken kehren zu können. Ich gedachte, diesen neuen Beruf zunächst während der Elternzeit auszuüben und muss zugeben, dass ich nebenbei damit auch die schon wieder auftretenden Beziehungsprobleme niederbügeln wollte. Davon abgesehen, wäre dies erst einmal ein sinnvolles Gegengewicht zu meinem öden Job in der Behörde gewesen.

Da kam mir der Zufall zu Hilfe, nachdem zunächst tragische Entwicklungen fast zu Attilas Ableben geführt hätten. Er und Uschi hatten schon lange Eheprobleme, die ständig zu unschönen Auseinandersetzungen führten, die gelegentlich richtig eskalierten. Nach einem Vorfall mit einer Blumenvase und anderen Begebenheiten waren sie nach Hummeltal gezogen, um mal wieder neu anzufangen. Auch dort ging es aber nicht gut, und Uschi drohte Attila, mit den Kindern auszuziehen. Er unternahm einen Selbstmordversuch in seinem Büro, der trotz bombensicherer Vorbereitung seltsamerweise scheiterte. Und genau dieses Büro bot er mir nun an, meine Praxis dort unterzubringen. Er werde künftig zu Hause im Keller arbeiten, hatte er erklärt, und das Büro sei noch für mehrere Monate fest gemietet, aus dem Vertrag komme er ohnehin nicht raus. Die Miete müsse ich ihm aber nicht erstatten, ich solle erst einmal ausprobieren, ob die Praxis Gewinn abwerfe und dann entscheiden, ob ich die Räume weiter mieten will.

Ich konnte es gar nicht fassen. Was war das für ein großzügiger Mensch, der mir die Räume für die Restlaufzeit des Mietvertrages umsonst überlassen wollte? Attila konnte richtig selbstlos sein. Hierzu passten die Schilderungen Uschis, was für ein Unmensch er doch sei, so gar nicht.

Wir schmiedeten Pläne, neben der Praxis noch einen Vertrieb für Naturkosmetik-Produkte unterzubringen, damit auch Uschi eine Beschäftigung habe und wir beide zusammen dort etwas auf die Beine stellen können. Meine aufkeimenden Beziehungsprobleme waren jetzt relativ uninteressant geworden, ich war mit Hochdruck beschäftigt, die Arbeiten zur Praxiseröffnung voranzutreiben, und war ansonsten mit meinen Kindern beschäftigt und ausgelastet. Und natürlich mit Uschi. Diese hatte zwar Ideen, doch die Umsetzung erwartete sie ausnahmslos von mir. Um die Internetseite für die Kosmetik kümmerte sich Attila, bzw. eine von ihm beauftragte andere Verwandte.

Schließlich war Eröffnung. Günther und ich, Uschi und Attila standen vor dem offiziellen Teil in der Küche der Praxis und philosophierten über die Ungerechtigkeit der Steuern und die gemeine Welt an sich. Na ja, sagen wir, hauptsächlich Attila und ich taten das. Ich fand es klasse, mit ihm zu reden und bewunderte ihn wieder einmal für seinen messerscharfen Verstand.

Ich hatte eine neue Strategie: spätestens, wenn zu Hause etwas nervig wurde, fuhr ich in die Praxis. Dort gab es ja genug zu tun. Bis mir ein neidischer, arroganter Kollege aus dem Straßenverkehrsamt die Tour vermasselte, in welchem ich damals seit Jahren die Leitung der Fahrerlaubnisbehörde innehatte. Der »Kollege« flüsterte so lange meinem Dienststellenleiter ein, dass ein Interessenkonflikt mit meiner dienstlichen Tätigkeit in der Führerscheinstelle bestehe, wenn ich während der Elternzeit eine Praxis betreibe, bis dieser sich an das Personalamt wandte. Die wollten mir dann die Nebentätigkeitsgenehmigung entziehen oder mir versagen, eine Praxis im Stadtgebiet Bayreuth zu führen. Das war das Ende der Praxis, vom Kosmetikvertrieb und allem, was damit zusammenhing.

Natürlich war ich aufgrund der Vorgehensweise des sogenannten Kollegen entsetzt, enttäuscht und ausgesprochen wütend. Hätte ich ihn zwischen die Finger bekommen, so hätte ihn so schnell niemand mehr wiedererkannt. Er hatte aus Neid gehandelt, weil ich ihm seit Jahren auf seiner eigenen Karriereleiter im Wege stand. Alles gelang mir einen Deut schneller oder besser, er konnte es nicht verwinden, wollte ein Karrierebeamter sein. So trachtete er danach, mir möglichst Minuspunkte zu verschaffen, die ihm den Weg nach oben etwas freier machen würden. Denn mit bloßer Leistung schaffte er das nicht.

So musste ich den Ärger über die geschlossene Praxis hinunterschlucken, der sich jetzt schon wieder mit anderem Frust paarte. Frust mit Günther und dessen Mutter. Als ich mit Günther darüber redete, wurde es erst einmal besser. Er bemühte sich, wies auch die Mutter in die Schranken. Monatelang ging ich nun davon aus, dass die Schwierigkeiten überwunden seien. Ich traute mich sogar, Günther zu heiraten, was angesichts meiner Vorgeschichte schon recht mutig war. Als Trauzeugen fungierten Attila und Uschi, wir feierten in Mittelaltergewändern. Es entstand ein lustiges Foto, dem ich damals noch keine Bedeutung beimaß, das ich heute aber als durchaus richtungsweisend werte. Ich war strahlend neben Attila fotografiert worden, während sich Uschi und Günther mit den Kindern im Hintergrund hielten. Man hätte denken können ...

Nach der Hochzeit funktionierte alles recht gut, an Günthers Hang zum Märtyrertum und seine ständigen Krankheiten, die allesamt grundsätzlich viel schlimmer als bei anderen Menschen waren, gewöhnte ich mich einigermaßen. Allerdings geriet er immer wieder, meiner Meinung nach ungerechtfertigt, in Konflikte mit Ann und Axel. Ich schob das aber auf die beengte Wohnsituation und wollte umziehen, am liebsten in ein Häuschen, wo auch Günther in Ruhe arbeiten könne.

Günther teilte diese Überlegungen. Nach kurzer Suche fanden wir etwas Passendes in Voitsumra, schön ländlich und schön abgelegen. Ich dachte mir, hier könne man wenigstens die Kinder hinauslassen, in der Natur spazieren gehen und man liefe sich in der Weitläufigkeit des Hauses und Gartens nicht ständig über den Weg. Ich war ja auch noch wegen der Elternzeit zu Hause und musste mir momentan über den weiten Weg zur Arbeit keine Gedanken machen.

Die Zeit von März bis Oktober des ersten Jahres empfand ich als wirklich schön, auch wenn ich merkte, dass man die Kinder keineswegs alleine aus dem Haus lassen konnte. Vorbei donnernde Holzlaster, fehlende Zäune und Sickergruben verhinderten das. Ich spaltete Holz, schichtete dieses auf, arbeitete im Garten und strich alle Zimmer des Hauses an, freute mich über etwas Neues. Günther hatte sein Arbeitszimmer und war für seine Verhältnisse sogar gut drauf. Mit den Nachbarn freundeten wir uns an, so gab es am Abend oft ein Bierchen am Lagerfeuer.

Mit der Zeit merkte ich dann, dass mich Haus und Gartenpflege doch recht überforderten. Ich musste nun wieder halbtags arbeiten, und das 35 km entfernt. Im Winter warf das regelmäßig Probleme auf, mit heilem Auto dort anzukommen, ansonsten kostete es zumindest viel Zeit. Es blieb das Meiste rund um Haus und Hof an mir hängen, auch alle Fahrten zum Abholen der Kinder, zum Arzt usw. Günther mähte höchstens alle heilige Zeit den Rasen, ansonsten arbeitete er oder beschwerte sich über sein furchtbar stressiges Leben.

Langsam bemerkte ich nun auch, dass Günther absichtlich Tätigkeiten streckte, oder mit sinnloser Hektik herum rannte, ohne wirklich irgendeine Arbeit hinterher erledigt zu haben. Er wollte also jammern, fühlte sich ununterbrochen gestresst.

Märtyrer als Lebensinhalt. Dasselbe Schema bezüglich seiner ständig schmerzenden Zähne und chronischen Krankheiten, was ich durch beiläufige Bemerkungen der Ärztin erfuhr, die sich über so manchen Besuch bei ihr wunderte. Also hatte er womöglich die Hypochondrie von der lieben Mutter geerbt, die ich, nebenbei bemerkt, eines Tages des Hauses verweisen musste, weil sie sich boshaft aufführte und sogar mir recht geduldigem Menschen der Geduldsfaden riss. Ich habe noch nie damit umgehen können, wenn man mich nur zu dem Zweck anstänkerte, um seine eigene schlechte Laune auf jemanden abzuwälzen.

 

Theo versuchte in der Zwischenzeit durch viele kleine Aktionen, Axel zu sich zu ziehen, ähnlich, wie Klaus-Werner es mit Ann getan hatte. Ich kämpfte mit Klauen und Zähnen, sowie mit meiner Rhetorik und konnte es verhindern. Aber an meinen Nerven zerrte diese Erkenntnis selbstverständlich trotzdem, konnte ich doch das Muster erkennen und wusste auch, wohin es letzten Endes führen würde, wenn ich nicht ständig auf der Hut wäre.

Die Beziehung zu Günther zersetzte sich derweil langsam weiter. Die Nachbarn sprachen mich darauf an, was denn mit Günther los sei? Der sei total komisch, unfreundlich und tue nur, als ob er arbeite. Ja, das konnte ich teilweise leider bestätigen. Mehrfach hatte er mir extremen Stress vorgejammert, und wenn ich dann an seinen Arbeitsplatz vorbeikam, surfte er auf privaten Internetseiten, die garantiert nichts mit Arbeit zu tun hatten. Schrieb Beiträge für das Forum seines Fußballvereins und ähnliches. Was sollte das? Ich fand es unfair mir gegenüber. Zusammen mit den Nachbarn versuchte ich, Günther psychisch wieder auf die Reihe zu bekommen, doch ohne dauerhaften Erfolg. Er bekämpfte jetzt regelrecht Ann und Axel, kritisierte, jammerte und ärgerte sie. Bis hin zu Duschverboten und ähnlich sinnlosen Vorschriften. Zum Schluss war er nur noch bei unseren zahlreichen Fahrten nach Prag zu ertragen, die wir als gemeinsames Hobby entdeckt hatten, und selbst da störte ihn das Haar in der Suppe bei jeder Kleinigkeit. Oft brach er absichtlich Streit vom Zaun und verschwand beleidigt im Keller, sobald ich auch nur einen Hauch von Kritik anbringen wollte. Er schien mit einer Familie dieser Größe schlicht und einfach überfordert zu sein, denn Absicht wollte ich ihm nicht unterstellen. Ich wurde täglich trauriger und sah auch diese Beziehung immer rasanter zerbrechen.

So, was sollte ich nun tun? Schon wieder Scheidung? Ich mochte gar nicht daran denken. Verzweifelt überlegte ich, was ich verändern sollte. Da Günther dauernd über irgendwelche Umstände in Voitsumra jammerte, die ihn nervten, und dass das Haus so düster sei, womit er Recht hatte, dachte ich über Umzug nach. Ich wusste ja, dass das Reihenhaus in Bayreuth eigentlich leer stand, Theo hielt sich ja fast ausschließlich in Bindlach bei seiner Freundin Sisi auf. So fragte ich ihn, ob ich es nutzen könne, schließlich gehörte mir noch ein Viertel Anteil. Nach Theos üblichem Zögern und Befragung der gesamten Verwandtund Bekanntschaft stand fest, dass wir als eine Art Mieter dorthin ziehen würden. Natürlich brachte das neuen Stress, Umzug und Ärger mit den Exvermietern, die uns für unseren Auszug bestrafen wollten, indem sie um die Kaution stritten. Günther überließ den Löwenanteil der Diskussionen natürlich mir, was ich auch gar nicht anders erwartet hatte.

Leider lag Günthers Laune und sein Verhalten aber nicht an Voitsumra, was sich sehr schnell herausstellte. Während ich mich in Bayreuth besser und etwas entlastet fühlte, knüpfte er genau da an, wo er in Voitsumra aufgehört hatte. Allen Versuchen, eine Besserung herbeizuführen, wich er aus. Nur Fredi wurde von ihm gut behandelt und mit Geschenken überschüttet. Alle Warnungen und Bitten von mir, dass ich dies nicht mehr lange durchhalten werde, ignorierte er. Immer wieder verschwand er beleidigt im Keller, obwohl ich ihn wirklich nur angefleht hatte, die Kinder besser zu behandeln und auch mit mir etwas anders umzugehen.

Da endlich hatte ich verstanden. Auch diese Ehe hatte sich heimlich, still und leise erledigt. Es ging nur noch um Details, weil ich nicht einfach von heute auf morgen verschwinden konnte. Ich hatte jetzt drei Kinder zu versorgen und hätte mich erst einmal um einen Ganztagsjob kümmern müssen, um mit den Kindern gemeinsam finanziell überleben zu können. Bei der Behörde fragte ich gleich an, welche Möglichkeiten ich hätte, man vertröstete mich auf später. Jetzt sei keine Stelle frei.

Es erfüllte mich nicht gerade mit Freude, irgendwie weiter neben Günther her leben zu müssen und gleichzeitig die Zukunft ohne ihn zu planen. Ich war noch nie ein Mensch, der gerne etwas im Verborgenen tat. Aber die Möglichkeit, dass ich wirklich fortgehen könnte, die akzeptierte Günther nicht und nahm mich diesbezüglich auch gar nicht ernst.

Ich war an einem Punkt, an dem ich mich allen Ernstes fragte, was an mir eigentlich nicht stimmte. Beziehungen glitten mir allesamt durch die Finger und ich hatte keine Idee, was ich hätte anders machen sollen. War ich ein zu großer Idealist, der überzogene Ansprüche an das Verhalten anderer stellte? Passte überhaupt jemand zu mir auf diesem Planeten?

Auf der anderen Seite schaffte ich es nicht, den Kindern zuliebe eine Ehe einfach nur zu ertragen, wenn ich festgestellt hatte, dass ich mit dem Partner nicht zusammenpasste. Vielleicht musste ich einfach alleine bleiben, um niemandem mehr Schaden zuzufügen.

Kapitel III

Des Wahnsinns Chronologie beginnt

Dann trat Attila in mein Leben. Aber anders als bei bisherigen Begegnungen, die mich zwar nachhaltig beeinflussten, doch ansonsten keine Folgen nach sich zogen.

Uschis Mutter, die gleichzeitig meine Tante Thea ist, lag nach einem bösen Sturz auf der Intensivstation eines nahen Krankenhauses. Die Diagnose lautete auf Schädelbruch und Uschi hatte deshalb Attila aus München zurückbeordert. Da sie derartige Aktionen schon öfters gebracht hatte, um ihn bei seinem neuen Leben nach der Trennung zu stören, ohne dass wirklich irgend ein Notfall vorgelegen hätte, reagierte dieser zunächst nicht begeistert und erklärte ihr, er werde einen Arzt befragen, ob es Thea wirklich so schlecht ginge. Uschi regte sich maßlos auf und teilte mir mit, sie befürchte, Attila könnte im Krankenhaus eine Szene machen und Thea damit schaden. Ich sollte ihn anrufen und davon abhalten, bzw. wegen seines Verhaltens zur Sau machen.

Ich rief also Attila an und wollte eben dieses tun, da mir Thea natürlich leidtat. Aber nach wenigen Minuten merkte ich, dass ich ihm unrecht tat. Er war total verzweifelt und schilderte mir seine letzten Erlebnisse mit Uschi und was er tatsächlich gesagt und getan hatte. Hier ergab sich nun ein völlig anderes Bild und wir konnten uns wie eh und je sehr gut unterhalten. Am nächsten Morgen schickte ich ihm eine E-Mail, in der ich mich noch einmal für den beabsichtigten Anpfiff entschuldigte. Außerdem hatte ich während des Telefonats den Eindruck, dass es mir gelungen wäre, ihn wieder etwas aufzubauen. Daher fügte ich der Mail noch die Bemerkung hinzu, er könne mich jederzeit anschreiben oder anrufen, wenn er reden wolle. Ich grübelte, weshalb Uschi eigentlich gedacht haben könnte, dass er sich im Krankenhaus daneben benehmen könnte. Der Mann war einfach nur völlig fertig mit den Nerven.

Attila wollte mit mir sprechen. Er wollte keine Fehler machen, die seine Frau noch weiter gegen ihn aufbringen könnte, er wollte die Scheidung so fair wie möglich durchziehen. Mich wollte er hierzu um Rat fragen, weil ich Uschi ja nun auch recht gut kannte, sowie beider Ehegeschichte – wenn auch meist die einseitige Version von Uschi. So fand am 20.04.09 eine Art Krisensitzung im Café del Sol statt. Schnell stellte sich wieder einmal heraus, dass wir auf derselben Frequenz funkten, dass wir auch zu allen Punkten dieselben Ansichten hatten, und zwar so total, dass es schon unheimlich war. Da war es wieder, dieses seltsame Gefühl von Harmonie. Um es kurz zu machen: das Ganze hatte recht schnell den Charakter einer Krisensitzung verloren und stattdessen den eines stundenlangen Kaffeetrinkens zwischen vertrauten, wenn nicht verschworenen Freunden erhalten. Beide fühlten wir uns total wohl und wollten das Gespräch am liebsten gar nicht mehr beenden. Doch ich musste irgendwann nach Hause und bemerkte noch zu Attila, dass Günther mittlerweile bestimmt schon die Küche abgefackelt habe, weil er so gerne vergaß, die Herdplatten auszuschalten.

Ich fuhr gut gelaunt nach Hause, weil ich schon lange keinen so schönen Nachmittag mehr erlebt hatte. Ann hatte ihn mir ermöglicht, denn sie hatte Fredi beaufsichtigt. Beim Betreten der Küche hätte ich mich totlachen können, tatsächlich hatte Günther die Herdplatte angeschaltet gelassen. Natürlich schickte ich Attila eine SMS, und der amüsierte sich köstlich.

Das war der Startschuss für eine Serie von SMS und dann auch E-Mails, in denen wir uns freundschaftlich über unsere Erlebnisse austauschten und langsam dann auch Passagen einflochten, dass wir beide uns ja eigentlich schon wirklich sehr gut leiden können. Aber noch vorsichtig, ganz vorsichtig. Langsam und behutsam wurden die Andeutungen aber deutlicher und wir hatten das dringende Bedürfnis, uns wiederzusehen. Später stellte sich heraus, dass bei uns beiden zu diesem Zeitpunkt bereits Unmengen von Amors Pfeilen im Hinterteil steckten.

Dann wollten wir etwas Verrücktes tun, etwas, dass unser beider Natur entsprach. Wir wollten nach endlosen Jahren, die mit Problemen vollgestopft waren, endlich wieder Dinge tun, die unsere extreme und unkonventionelle Persönlichkeit widerspiegelten und die wir in unseren Ehen so lange unterdrücken mussten. Wir verabredeten uns daher, im Regen im Wald spazieren zu gehen. Das natürlich heimlich, am Waldweiher. Weder Günther, noch Uschi hätten hierfür Verständnis aufgebracht, soviel war klar. Nachdem Attila nicht wusste, wo sich der von mir angedachte Wald befindet, wollten wir mein Auto unterhalb des Kindergartens abstellen, um nach der Aktion gleich vor Ort zu sein, damit ich Fredi abholen konnte. Wir hatten ja nur eine halbe Stunde Zeit.

Ich war völlig nervös, wenn nicht aufgelöst. Die Stunden vergingen im Amt überhaupt nicht, und als es endlich so weit war, fühlte ich mich wie eine 16-Jährige. Ich bog nervös in die Brahmsstraße ein, und da stand tatsächlich schon ein gewisser Honda CRV mit einem strahlenden Attila am Steuer. Mir ging das Herz auf. Schnell wurde umgestiegen und weitergefahren Richtung Wald. Ach, war das herrlich. So schön verboten und mit einem Traummann im Auto, der sich über die Situation ebenfalls sichtlich freute. Und es regnete tatsächlich.

Am Parkplatz beim Waldweiher angekommen, stiegen wir aus und liefen nebeneinander den Weg zum Weiher hinunter. Wir lachten und erzählten, wieder totale Harmonie. Aber die Distanz zwischen uns, mindestens dreißig Zentimeter, fühlte sich falsch an. Ich konnte nicht anders, ich nahm Attila einfach in den Arm, dann küssten wir uns. Attila war zunächst zwar etwas perplex, weil er mit so einer Spontanaktion nicht gerechnet hatte, aber freute sich dann genau wie ich über die neue Situation. Natürlich klebten wir den Rest des Spaziergangs aneinander, auf dem Rückweg beschlossen wir bereits die Familienneuordnung. Skorpione sind halt schnell, und im Doppelpack überhaupt nicht mehr aufzuhalten. Bei dieser Übereinstimmung in sämtlichen Punkten war das auch möglich, sowie trotz der Schnelligkeit realistisch, sofort die gemeinsame Zukunft zu planen. Es fühlte sich einfach vollkommen richtig und gut an. So, als hätte diese Beziehung schon seit Jahren auf Lager gelegen.

Ich war für die Welt nicht mehr zu gebrauchen. Ich lief nur noch lächelnd durch die Gegend, tauschte mit Attila Unmengen von SMS und E-Mails aus, die nun total liebevoll waren. Niemals zuvor hatte ich solche Schmetterlinge im Bauch verspürt, nie so viel Mist gebaut, weil mein Kopf nicht bei meinen Tätigkeiten weilte. Und erst recht niemals solche Sehnsucht gehabt, wenn Attila auch nur fünf Minuten nicht persönlich, per Mail oder SMS präsent war. Ihm ging es genauso. Wir hatten auch seltsame Erlebnisse. Wenn Attila Schulterschmerzen plagten und ich in genau demselben Moment daran dachte, ich wolle ihn jetzt gerne massieren. Wenn wir um exakt dieselbe Zeit räumlich getrennt einschliefen. Wenn Attila, obwohl er das Schlafzimmer gar nicht kannte, genau das Bild vor Augen hatte, wie ich im Bett gelegen hatte. Er konnte es detailliert beschreiben. Ja, es war einfach schön, faszinierend, außergewöhnlich und extrem liebevoll. Ein Traum.

Besonders liebte ich an Attila auch, dass er meinen Gedanken und Ideen mühelos folgen und diese noch ergänzen konnte. Das war mir nie zuvor passiert, immer musste ich erklären und quasi übersetzen, was ich dachte und warum ich so funktioniere. Das war nun überflüssig, was Gespräche für mich äußerst angenehm machte, egal, ob sie nun verliebter oder sachlicher Natur waren. Von seiner Seite kamen dieselben Feststellungen.

 

Attila hatte immer wieder sehr kultige Ideen. So verkleidete er sich beispielsweise als Zustelldienst-Bote mit Originaluniform, und stellte mir im Amt einen lieben Brief sowie eine CD mit ausgesuchten Liedern zu, die fortan bei mir im Auto ständig gehört wurden. Ein Kumpel hatte ihm die Uniform geliehen, er besaß einen Kurierdienst. Auch unsere realistische, sachlich nüchterne Seite lebten wir aus. Es galt schließlich ständig, sich Strategien gegen Uschis Kriegshandlungen gegen Attila auszudenken. Sie dachte mittlerweile, sie könne ihn mit hinterlistigen Aktionen bei sich halten, ihn zumindest aber finanziell aussaugen, wenn er nicht zum Zurückkommen zu bewegen wäre. Auch bei unseren Ansichten hierzu totale Ergänzung und Übereinstimmung sowie das eine oder andere Erfolgserlebnis.

Die Wochenenden waren für uns katastrophal. Wir konnten uns nicht sehen, und SMS konnte ich auch nur heimlich aus dem Wäschekeller, oder von hinter der Hecke im Garten schicken. So hielten wir mit der Heimlichtuerei nicht mehr lange durch, nachdem wir auch beide über ein sehr funktionstüchtiges Gewissen verfügten. Uschi hatte schon spitz gekriegt, dass Attila eine Freundin hatte, wusste nur noch nicht, um wen es sich handelte. Attilas Tochter Solveig war nämlich aufgefallen, dass Papa auch nur noch grinsend durch die Gegend rannte und von seiner »Traumfee« sprach. Er hatte zwischenzeitlich das Aufenthaltsbestimmungsrecht für seine Lieblingstochter erhalten, sie wohnte nun bei ihm im Büro.

So fasste ich mir am 26.05.09 ein Herz und teilte Günther unumwunden mit, dass die Beziehung hiermit beendet sei, und dass dies nichts mit meiner neuen Beziehung zu tun habe. Dass ich ohnehin gegangen wäre und diese Tatsache durch das Auftauchen einer neuen Liebe nur beschleunigt worden ist. Er war entsetzt, hatte es trotz meiner zahlreichen Warnungen nicht kommen sehen oder nicht wahrhaben wollen. Oder er glaubte, er bekomme endlos viele Chancen, das Ganze zu wandeln. An diesem Tag wollte er gar nicht wissen, um wen es sich bei meiner neuen Beziehung handele. Attila wartete vorsichtshalber auf dem Parkplatz neben dem benachbarten Krankenhaus, um eingreifen zu können, falls die Situation eskalierte.

Ich war erleichtert. Erstens fühlte sich mein Gewissen besser, zweitens konnte ich nun endlich offiziell Kontakt zu Attila haben und mich mit ihm zusammen überall sehen lassen, ohne mich verstecken zu müssen. Als Günther schließlich doch wissen wollte, wer denn der »Neue« sei, sagte er, er habe es gewusst. Er habe immer schon so ein komisches Gefühl von Gefahr verspürt, wenn ich mit Attila geredet hatte. Ich denke, er glaubte mir nicht, dass vor dem 20.04. gar kein Kontakt mit Attila bestand und wir auch nicht voll bewusst Gefühle dieser Art wahrgenommen hatten.

Noch wusste Solveig und damit auch Uschi nicht, um wen es sich bei Attilas Freundin handelte. Ich führte noch ein Gespräch mit Solveig, um ihr etwas über die Probleme hinweg zu helfen, die sie wie jedes Kind wegen der Trennung der Eltern hatte. Sie kannte mich ja schon ewig. Vater und Tochter besuchten mich auch einmal im Amt, weil sie nebenan beim Jugendamt einen Termin hatten. Und »zufällig« traf ich beide im Café del Sol, man setzte sich zusammen und redete über Gott und die Welt.

Irgendwann wollte Solveig wissen, wer denn die »Traumfee« sei, und Attila klärte sie auf. Einerseits war sie froh, die »Neue« schon zu kennen, keiner Fremden ausgesetzt zu sein. Andererseits aber ergab sich hier natürlich ein Loyalitätsproblem ihrer Mutter gegenüber, mit der ich bis dato notgedrungen ja auch noch Kontakt unterhielt. An einem Besuchswochenende bei Mama fragte sie Attila per SMS, ob sie Mama aufklären dürfe. Sie durfte, was blieb uns auch übrig.

Das war natürlich auf der Stelle das Ende jeglicher Beziehung zu Uschi, seither hasste sie mich wie die Pest. Sie ging davon aus, dass ich schon länger mit Attila heimlich zusammen gewesen sei und ihre Ehe deshalb scheiterte, nicht etwa aus eigenem Verschulden. So einfach kann man es sich auch zurechtlegen, wenn man keine Schuld bei sich selbst suchen möchte. Beteuerungen, dass diese Beziehung wirklich erst seit Einreichung der Scheidung besteht, wollte sie niemals Glauben schenken. Sie hatte wohl, genau wie Günther, bemerkt, dass zwischen Attila und mir schon immer eine Art unsichtbarer Draht existiert hatte. Da diese beiden auch regelmäßig miteinander telefonierten, werden sie sich wohl die »es geht mit denen schon länger«-Geschichte zurechtgebastelt haben.

1977 – Viel Rauch um nichts

Ich liebe die Tage, an denen ich bei meiner Oma in der Altstadt geparkt werde. Wenn meine Eltern uns Kinder nicht gebrauchen können, bin ich meistens dort. Man kann in dieser Umgebung wundervollen Unsinn anstellen, denn gegenüber der Reihenhauszeile ist ein Durchgang zum ehemaligen Exerzierplatz. Ein wildes Brachgelände, wo alles möglich ist, was Kinder sich so wünschen. Wilde Fahrradrallye, Zelten, Cowboy und Indianer (wobei ich selbstverständlich immer ein Indianer war, ein gefürchteter Marterpfahlund Skalpier-Experte).

Vor allem aber war dieser Platz immer gut dafür gewesen, meinen lästigen kleinen Bruder abzuhängen, den meine Cousine Uschi und ich schon seit Jahren immer mitnehmen mussten, wenn wir nach draußen gingen. Stellten wir etwas an, so petz te er mit triumphierendem Gesicht sämtliche Details in den schillerndsten Farben. Und in die verfärbte sich regelmäßig hinterher auch mein Hintern, wenn er mit Teppichklopfer oder Handbesen bearbeitet worden war.

Man kann dort am Exerzierplatz auch brave, sinnvolle Dinge tun. Wie zum Beispiel, mit der Oma echte Kamille sammeln, die sie dann für Umschläge oder Tees nutzt. Von solchen Dingen hat sie echt Ahnung, die Oma Frederike. Sie kennt auch sämtliche Pilze, eht gerne Blaubeeren sammeln oder im Wald dürre Äste holen, um damit den Badezimmerofen zu befeuern. Wenn sie etwas aus der Natur extrahieren kann, was man nicht für Geld im Laden kaufen muss, sieht sie total befriedigt aus. Ich bewundere diese Fähigkeit. Diese Oma ist was ganz Besonderes, und ich glaube, meine Mutter mag sie aus diesem Grund nicht. Sie kann mit Kreativität wenig anfangen.

Oma hat auch schon immer Getränkekästen im Keller und Unmengen von Eisspezialitäten in der Tiefkühltruhe, weil sie dies alles zur Aufbesserung ihrer Rente an der Haustüre verkauft. Natürlich haben wir immer alles durchgetestet. Manchmal mit einem geschmacklichen Schaudern, denn Grand Marnier-Eis schmeckt nicht mehr ganz wie zuvor, wenn man es lange genug auf eingefrorenen Pilzen oder Spinat lagert. Wenn man Oma vorsichtig von der Geschmacksentgleisung erzählt, lacht sie nur. Da müssen die Leute dann halt durch, sie hat nun mal keinen anderen Platz in der Gefriertruhe. So ist sie. Man muss sie nehmen, wie sie ist. Oder es bleibenlassen.

Bei dieser Oma habe ich einst auch meine adoptierte Cousine Uschi kennen gelernt. Eines Tages saß sie als kleines, putziges Mädchen auf einer riesigen Stoffgiraffe auf Omas Terrasse. Meine Tante Thea hatte in einem Kinderkrankenhaus gearbeitet und sie von dort mitgebracht, weil sie ein Waisenkind war und ihr leidgetan hatte. Außerdem sammelte meine Tante Unmengen von Puppen, und Uschi sah damals mit ihren rothaarigen Zöpfchen aus wie eine solche. Das muss so um die Zeit meiner Einschulung herum gewesen sein, weil Uschi drei Jahre jünger ist als ich.