Auf den zweiten Blick (E-Book)

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TEIL 2
FÄLLE UND HINTERGRUNDINFORMATIONEN
2.1 Klassengemeinschaft
Fall 1: Das Erzählen von Freizeit- und Ferienerlebnissen führt zur Demonstration von Ungleichheiten

Es ist der erste Schultag nach den Sommerferien. Die Lehrperson fordert die Schülerinnen und Schüler auf, von ihren Ferienerlebnissen zu berichten. Manche von ihnen erzählen von weiten Flugreisen, andere vom Besuch bei ihrer Verwandtschaft in den Herkunftsländern der Eltern und einige davon, dass sie zu Hause geblieben sind, weil ihre Eltern arbeiten mussten.

Die Lehrperson beobachtet, dass Gefühle von Neid entstehen, und fragt sich, ob und wie sie darauf eingehen soll.


WAHRNEHMUNG AUF DEN ERSTEN BLICK

–Enttäuschung darüber, dass der gut gemeinte Einstieg gar nicht so gut angekommen ist: Die Absicht wäre das Vermitteln von Wertschätzung gewesen, nun ist eher Neid und Frustration dabei entstanden.

–Spontaner Gedanke: «Ja, so ist es halt, manche haben mehr, andere weniger finanzielle Möglichkeiten, das kann ich auch nicht ändern. Die Schülerinnen und Schüler müssen ohnehin früher oder später lernen, sich damit abzufinden.»

–Verdacht, dass einige der Schülerinnen und Schüler, die wenig erzählt haben, viel Zeit vor dem Fernseher verbracht haben und von den Eltern vernachlässigt werden, daraus Gefühle von Ärger über die Eltern und Mitleid mit den jeweiligen Kindern.


WAHRNEHMUNG AUF DEN ZWEITEN BLICK

–Anerkennen, dass Schülerinnen und Schüler in unterschiedlichen Familienverhältnissen aufwachsen und dass darin mitunter unterschiedliche Prioritäten gelten oder gelebt werden müssen, etwa

–das Pflegen verwandtschaftlicher Beziehungen,

–das Arbeiten beider Elternteile mit wenig Möglichkeiten zur Gestaltung von Ferien (auch aus finanziellen Gründen) und unter Umständen mit gleichzeitigem Fehlen eines sozialen Netzwerks für die Kinderbetreuung,

–die Mitarbeit der Kinder im Haushalt oder in der Betreuung von jüngeren Geschwistern,

–die Unmöglichkeit wegen des Aufenthaltsstatus, ins Ausland zu reisen.

–Differenzieren, dass es für Kinder nicht unbedingt wichtig ist, wie teuer die Ferien waren, und dass auch Verwandtschaftsbesuche und Ferien zu Hause attraktiv sein können. Allerdings ist es naheliegend, dass Gefühle von Benachteiligung und Neid entstehen, wenn Kinder unerfüllte Wünsche für Ferienreisen haben und die Klassenkolleginnen und -kollegen von genau solchen Reisen berichten.

–Eine Chance darin sehen, dass diese Erzählungen im Rahmen eines Unterrichtsgesprächs begleitet werden können. Viele Schülerinnen und Schüler berichten sehr gerne von ihren Ferienerlebnissen und sollen dafür auch Gelegenheit bekommen. Die Ungleichheiten, die dabei zum Ausdruck kommen, sollen weder ausgeblendet noch beschönigt werden, allerdings macht es für die Kinder einen grossen Unterschied, wenn die Lehrperson mit Sorgfalt und Einfühlungsvermögen damit umgeht. Sie lebt den Schülerinnen und Schülern vor, dass all die verschiedenen Feriengestaltungen ihren Wert haben und dass allen mit Interesse und Zuwendung begegnet werden kann.

ANREGUNGEN

Offene Fragen stellen und auf implizite Normalitätsvorstellungen achten: Wird etwa die Frage gestellt: «Wer von euch möchte berichten, wohin ihr in den Ferien gefahren seid», enthält sie implizit die Vorstellung, es sei «normal», in die Ferien zu fahren. Kinder, die nicht in die Ferien gefahren sind, bekommen das Gefühl, nichts erzählen zu können und irgendwie «anders» zu sein, vielleicht fühlen sie sich darüber sogar beschämt. Wenn die Frage hingegen offener gestellt ist, können damit alle angesprochen werden: «Wir haben uns fünf Wochen nicht gesehen, das ist eine lange Zeit. Manche von euch waren zu Hause, andere haben Verwandte besucht, einige waren mit der Familie unterwegs, und manche haben noch etwas anderes gemacht. Überlegt euch etwas, das ihr uns gerne erzählen möchtet.» Auf diese Weise fühlen sich alle angesprochen, und die Lehrperson signalisiert von Anfang an, dass allen gleichermassen Aufmerksamkeit geschenkt werden soll (vgl. auch Kölsch-Bunzen et al., 2015, S. 33).

Achtsam mit impliziten Wertungen umgehen: Die Chance in einer solchen Austauschrunde liegt darin, dass die Schülerinnen und Schüler sehen, wie vielfältig die Lebenssituationen und Erfahrungen sind und dass allen mit Wertschätzung und Interesse begegnet werden kann, unabhängig davon, ob es sich dabei um eine weite Flugreise handelt oder um etwas, das zu Hause erlebt wurde. Es erfordert allerdings ein hohes Mass an Achtsamkeit und Bewusstmachen der eigenen Werturteile, damit implizite Wertungen, wie etwa «Oh, das ist ja toll, das war sicher schön dort» oder «Aber hast du auch noch etwas anderes gemacht?» nicht doch wieder das Gegenteil vermitteln (vgl. auch Kölsch-Bunzen et al., 2015, S. 34; Nevyjel, 2009, S. 58).

Das Gespräch stärker strukturieren, sodass alle einen Anknüpfungspunkt zum Erzählen finden können. Die Schülerinnen und Schüler können zum Beispiel dazu aufgefordert werden, von einem einzelnen Ereignis zu erzählen, bei dem sie etwas Neues entdeckt haben, oder von einem, das sie berührt oder nachdenklich gemacht hat. Dabei kann es hilfreich sein, explizit darauf hinzuweisen, dass es sich um etwas handeln kann, das am Wohnort oder auch an einem anderen Ort erlebt wurde, oder auch um etwas aus einem Film, Buch, Spiel oder aus einer Begegnung oder Beobachtung.

Alternative Kommunikationsformen wählen, bei denen die Schülerinnen und Schüler zwar auch berichten können, gleichzeitig aber weniger exponiert sind, etwa einen Schreibanlass (Tagebuch- oder Blogeintrag) oder eine Gestaltungaufgabe zu einem auf die Ferien bezogenen Thema.

Alternative Übergänge gestalten im Wechsel von den Ferien in den Schulalltag, beispielsweise mit einer vorgelesenen Geschichte, einem neuen Lied oder einer Sportlektion, in der alle ein Erfolgserlebnis haben können.

Anregungen vermitteln für künftige Feriengestaltung zu Hause, indem die Lehrperson diejenigen Kinder aufeinander aufmerksam macht, die zu Hause bleiben, sodass sie sich verabreden können, oder indem sie den Kindern und ihren Eltern Freizeitangebot bekannt macht («Ferienpass», öffentliche und kostengünstige Freizeitangebote usw.)

«In der Klasse meiner Schwester fragte ‹Gwunderi› – ein Plüschnilpferd – die Kinder, was sie am Wochenende gemacht hätten. Meine Schwester mochte diese Austauschrunden nicht, weil sie fand, dass sie nie von so tollen Sachen berichten konnte wie die anderen. Wir haben dann einmal einen Ausflug auf den Bürgenstock unternommen, und sie war ganz froh, dass sie endlich auch etwas Tolles zu berichten hatte am Montagmorgen.» (Susanne Meier)

Klassen- und Schulkultur der Anerkennung

Eine Schul- und Klassengemeinschaft, in der Vielfalt als Normalität gesehen und Anerkennung gelebt wird, ist sowohl für den Bildungserfolg aller wie auch für die Identitätsentwicklung und den Aufbau sozialer Kompetenzen von überaus grosser Bedeutung. Allerdings ist das leichter gesagt als umgesetzt. Und gleichzeitig ist es inspirierend zu sehen, welche Ideen mancherorts verwirklicht werden und wie gerade Schulen mit einem hohen Anteil zugewanderter Kinder zu Laboratorien für pädagogische Innovation werden und spannende Ansätze entwickeln, um diesen Ansprüchen zunehmend gerecht zu werden (Bildungsdirektion Kanton Zürich, 2007; Truniger, 2001, S. 4).

Sträuli und Truniger (2001) knüpfen an diesen praxiserprobten Ideen an und schlagen vor, die entsprechenden Schulentwicklungen an zwei Polen auszurichten, denn Gemeinschaft müsse einerseits reguliert, andererseits auch gepflegt und gestaltet werden.

GEMEINSCHAFT REGULIEREN

Kinder mit und ohne Migrationsgeschichte wachsen oft in unterschiedlichen Regelsystemen auf und erleben Anforderungen an ihr soziales Verhalten, die sich mitunter widersprechen. In der Familie mögen andere Regeln gelten als in der Schule und auch in der Verwandtschaft, unter Gleichaltrigen, im Sportverein oder in einer Religionsgemeinschaft kann es sein, dass die Erwartungen divergieren. Während es am einen Ort vielleicht üblich ist, die eigene Meinung selbstbewusst zu äussern und Anschauungen zu verhandeln, kann an einem anderen Ort erwartet werden, Ältere als Autorität anzuerkennen und ihnen mit Respekt zu begegnen. In manchen Kontexten gilt die Orientierung an Solidarität und Gemeinschaft, in anderen wird Individualität und Besonderheit hochgehalten. Manche Kinder sind gewohnt, viele Freiheiten zu haben, andere werden stärker begrenzt und begleitet. Diese unterschiedlichen Vorstellungen können verunsichern und zu Missverständnissen, Frustrationen und Konflikten führen. Gleichzeitig wird die Schule zu einem exemplarischen Lernort, an dem demokratische Prozesse gelebt und eingeübt werden können: «Die Schule vermittelt, was Grundrechte und -pflichten sind und dass sie beachtet werden müssen, dass die meisten Konflikte lösbar sind, dass man in einer Gruppe verschiedene Meinungen haben und akzeptieren kann, dass ungerechtes Verhalten Konsequenzen hat, dass Stärkere Schwächere nicht einfach unterdrücken können, dass andere Sprachen und Religionen gleich viel wert sind wie die eigenen oder dass man den Platz, der allen gehört, nicht für sich allein beansprucht» (Sträuli & Truniger, 2001, S. 118 f.).

 

Damit ein solches Lernen stattfinden kann, ist es wichtig, dass gemeinsame Regeln formuliert werden, in denen das Erwartete klar benannt wird. Für die Entwicklung solcher Regeln gibt es eine Reihe von Empfehlungen, die aus der Erfahrung entstanden sind (vgl. auch Huschitt & Sturm-Schubert, 2009; Kirchhart, 2014, S. 72 f.):

–Die Regeln werden idealerweise gemeinsam entwickelt und eingehend besprochen, damit sich alle daran beteiligen und sich damit einverstanden erklären können.

–Der Prozess kann damit begonnen werden, dass jedes Kind seine Wünsche an die Klassengemeinschaft aufschreibt. Aus dieser Sammlung werden danach diejenigen Anliegen nach Oberthemen gruppiert und ausgewählt, zu denen es Regulationsbedarf gibt.

–Es werden nur so viele Regeln ausgewählt, wie gerade sinnvoll sind, und diese werden relativ einfach formuliert, damit sie übersichtlich und eingängig bleiben.

–Die Regeln werden wenn möglich positiv und in Wir- oder Ich-Form formuliert, zum Beispiel «Ich verhalte mich allen gegenüber respektvoll und nicht verletzend, weder mit Taten noch mit Worten», «Wenn jemand stopp sagt, höre ich auf» oder «Wir lösen Konflikte, indem wir miteinander reden».

–Wenn sich Regeln auf das Lösen von Konflikten beziehen, ist es hilfreich, wenn die Schülerinnen und Schüler mit mindestens einem Konfliktlösungsschema vertraut gemacht werden, damit sie in der Lage sind, die Regeln einzuhalten.

–Die gemeinsame Einigung auf eine bestimmte Auswahl von Regeln kann mit einem Ritual bekräftigt werden, etwa indem sich alle an einer schönen Darstellung der Klassenregeln beteiligen oder indem das Produkt feierlich von allen unterzeichnet und anschliessend gut sichtbar aufgehängt wird.

–Die Regeln sollten immer wieder im Rahmen eines Klassenrats besprochen und erneuert werden, damit sie lebendig und relevant bleiben.

Das Regulieren des Zusammenlebens über solche Vereinbarungen ist ein zentraler Bestandteil einer respektvollen Klassen- und Schulgemeinschaft. Allerdings kann nicht vorausgesetzt werden, dass damit das Thema der Diskriminierung automatisch in genügendem Mass Beachtung erfährt.

Diskriminierung, Vorurteile und Ausgrenzung sind soziale Realitäten, die typischerweise eher unsichtbar bleiben, besonders für diejenigen, die nicht davon betroffen sind. Oftmals gehören sie so sehr zum gesellschaftlich «Normalen», dass wir uns weitgehend daran gewöhnt haben. Plakate mit fremdenfeindlichen Abbildungen, Schlagzeilen in Gratiszeitschriften und beiläufig geäusserte rassistische Bemerkungen bleiben oft unkommentiert stehen und wirken auf diejenigen, die damit gemeint sind, wie Nadelstiche, die umso schmerzhafter sind, je mehr sie einem gesellschaftlichen Konsens zu entsprechen scheinen (vgl. Wagner, 2009).

Ein solcher gesellschaftlicher Konsens kann sich hartnäckig halten, denn das implizite oder explizite Abwerten «Anderer» trägt den attraktiven Gewinn in sich, das «Eigene» gleichzeitig aufzuwerten und die entsprechende Wir-Gruppenidentität zu stärken (siehe Hintergrundinformationen, «Soziale Grenzziehungsprozesse»).

Kinder erleben manchmal schon früh, dass sie gemeint sind, wenn von den «Anderen» die Rede ist, und manche Kinder – mit und ohne Migrationsgeschichte – wissen diese Vulnerabilität auch schon früh für sich zu nutzen (Diehm & Kuhn, 2005, S. 229), indem sie lernen, andere unter Verweis auf ihre Herkunft mehr oder weniger subtil herablassend zu behandeln oder auszugrenzen. Gleichzeitig ist es schwierig, solchen Angriffen wirksam entgegenzutreten. Reagiert ein Kind etwa auf eine Beschimpfung als «Jugo», mag darauf ein Kommentar folgen wie «Aber stimmt doch, du bist doch von dort», und wehrt es sich dagegen, dass behauptet wird, «die Muslime» seien frauenfeindlich, hört es möglicherweise als Erwiderung «Aber das steht ja in der Zeitung». Es kommt dazu, dass auch manche Erwachsene zurückhaltend darin sind, sich dagegen auszusprechen, weil sie nicht moralisierend auftreten wollen oder weil sie das dumpfe Gefühl haben, es wäre an den rassistischen Äusserungen doch etwas dran (vgl. Sträuli & Truniger, 2001, S. 121).

Wagner (2008) rät deshalb, als Lehrperson bei dieser Thematik proaktiv zu sein, sie zum Thema zu machen und sich klar und hörbar gegen diskriminierendes Verhalten auszusprechen (ebd., S. 28). Für Schülerinnen und Schüler mit bitteren Ausgrenzungserfahrungen macht es einen grossen Unterschied, wenn sie spüren, dass sie sich auf die Unterstützung ihrer Lehrperson verlassen können, und erleben, dass diese eine «Kultur des Hinschauens» pflegt (Wagner, 2009, S. 13). Damit ist die Lehrperson auch ein Vorbild für alle Schülerinnen und Schüler und kann dazu beitragen, dass alle Kinder für Diskriminierung und Ausgrenzung sensibilisiert werden und insbesondere lernen, sich ins Erleben Anderer einfühlen zu können (vgl. Huschitt & Sturm-Schubert, 2009, S. 41).

Diskriminierung nicht zu dulden sowie Klassenregeln auszuhandeln und damit die Gemeinschaft zu regulieren, sind schwierige Aufgaben. Es erscheint uns deshalb besonders wichtig, darauf hinzuweisen, dass die einzelnen Lehrpersonen damit nicht allein bleiben sollten. Es ist sowohl für die Wirksamkeit als auch für die Entlastung der einzelnen Bildungsfachleute höchst ratsam, diese Themen als Team anzugehen. Das gemeinsame Entwickeln und Durchsetzen von Vereinbarungen, die für die ganze Schule gelten, entlastet vom kräftezehrenden Anspruch, ganz allein immer wieder die geeigneten Antworten zu finden, und ermöglicht eine Form gegenseitiger Unterstützung, von der letztlich alle profitieren, insbesondere diejenigen Schülerinnen und Schüler, die den sozialen Ausgrenzungen ausgesetzt sind (vgl. auch Sträuli & Truniger, 2001, S. 118). Und schliesslich sei angemerkt, dass auch Lehrpersonen selbst rassistische oder sexistische Diskriminierung erfahren können und ebenso Anrecht auf Schutz und Unterstützung haben sollten (vgl. Fereidooni, 2012).

Im Folgenden führen wir einige Ansätze und Ideen auf, die in Schulen mit einem hohen Anteil Zugewanderter durchgeführt wurden:

Ideenbüro, Kinder beraten Kinder: Die Schule Leubringen führt ein Ideenbüro, bei dem Schülerinnen und Schüler einmal pro Woche an Alltagsproblemen tüfteln und andere Kinder beraten. Dabei geht es um Probleme in der Klasse, Schule oder Gemeinde, und es wird immer nach dem Schema «Aufnahme des Problems – Lösungsvorschlag – Überprüfung» vorgegangen. Mit diesem «Ideenbüro» wurden Möglichkeiten geschaffen, um Partizipation und Verantwortung zu üben. Und es wurde 2004 von Unicef mit dem 1. Preis zur Förderung des Interkulturellen Dialogs ausgezeichnet (Bildungsdirektion Kanton Zürich, 2007, S. 28).

Ausbildung von Peacemakern: In manchen Schulen können sich Schülerinnen und Schüler zur Wahl stellen, um Vermittlungspersonen bei Konflikten zu werden und bekommen – wenn sie gewählt werden – eine Ausbildung als «Peacemaker» oder Mediatorinnen respektive Mediatoren (beispielsweise angeboten von NCBI, Hinweise dazu in Kapitel 3.1 unter «Vorurteile, Diskriminierung, Rassismus, Gewalt»). Mit dieser Ausbildung und in dieser Rolle sollen sie helfen, dass Schülerinnen und Schüler Konflikte selbstständig unter sich lösen können. Einige Schulen vermerken diese Funktion im Zeugnis, sodass die «Peacemaker» diese Erfahrung auch später in ihrer Laufbahn ausweisen können (vgl. Bildungsdirektion Kanton Zürich, 2007, S. 28).

Schulregeln: Verschiedene Schulen erarbeiten mit den Schülerinnen und Schülern Regeln ihres Zusammenlebens, die für das ganze Schulhaus gelten. In einigen werden Schülerinnen und Schüler, die neu in die Schule kommen, jeweils durch ältere in diese Regeln eingeführt. In manchen Schulen gehören zu den Regeln auch solche zur Konfliktbewältigung und Hinweise auf Anlaufstellen, die helfen, wenn der Konflikt nicht allein bewältigt werden kann (Bildungsdirektion Kanton Zürich, 2007, S. 30).

Lösungsorientiert und faustlos: Einzelne Schulteams haben sich dazu entschlossen, auf ein bestimmtes Programm zu fokussieren, sich darin weiterzubilden und es dann an ihrer Schule zu etablieren. In der Schule Gutschick in Winterthur sind es die Prinzipien des «Lösungsorientierten Ansatzes» (LOA), nach denen mit einer lösungs- und ressourcenorientierten Grundhaltung gearbeitet und Wertschätzung gelebt wird; in der Schule Ruggenacher in Regensdorf ist es das Gewaltpräventionsprojekt «Faustlos», das vom «Heidelberger Präventionszentrum» (HPZ) angeboten wird und bei dem Schülerinnen und Schüler lernen, aggressives Verhalten zu vermindern und Sozialkompetenzen sowie sprachlichen Ausdruck zu stärken (Bildungsdirektion Kanton Zürich, 2007, S. 29).

Der Ton macht die Musik: In Gruppen von Gleichaltrigen gibt es manchmal Phasen, in denen ein rauer Ton herrscht und Beschimpfungen, Provokationen, Beleidigungen und verletzende Übernamen allzu gebräuchlich werden. Schulklassen können sich zu diesem Thema aber besprechen – zum Beispiel im Klassenrat – und darüber nachdenken, welche Wirkungen solche Ausdrücke haben können und wie über den Gebrauch von Sprache das Klima verbessert werden kann. Dabei kann ganz konkret aufgeschrieben und vereinbart werden, welche Wörter und Ausdrücke toleriert werden und welche nicht (Kirchhart, 2014, S. 114–115).

GEMEINSCHAFT PFLEGEN UND GESTALTEN

Wenn in einer Klassen- oder Schulgemeinschaft allzu viel Betonung auf Regeln und Vereinbarungen liegt, läuft sie Gefahr, mit der Zeit ängstliche Mitglieder zu erzeugen. Sie braucht deshalb den Gegenpol, bei dem die Gemeinschaft in ihrer Vielfalt gepflegt, gestaltet und auch zelebriert wird (Sträuli & Truniger, 2001, S. 119).

An erster Stelle stehen dafür all die Rituale, Feste, sportlichen und kulturellen Anlässe, Aktionen, Ausflüge und Projektwochen, in denen die Gemeinschaft gemeinsam ein Ziel erreicht, Applaus erhält, zusammen etwas Schönes, Spannendes oder Interessantes erlebt und bei denen sich die Schülerinnen und Schüler besser und auch von anderen Seiten und in unterschiedlichen Rollen kennenlernen und erleben können (siehe auch Kapitel 2.2, «Besondere Anlässe»).

Es ist erstaunlich, wie allein das gegenseitige Sichkennen bewirken kann, dass eine Schulklasse – und insbesondere eine ganze Schulgemeinschaft – respektvoller miteinander umgeht. Ein starkes Beziehungsnetz kann massgeblich dazu beitragen, dass der Gewaltpegel sinkt, und Konflikte können leichter bewältigt werden, wenn sich die involvierten und helfenden Personen gegenseitig kennen oder wenn sie gar miteinander vertraut sind (Sträuli & Truniger, 2001, S. 122).

«Wir sind erstaunt, wie wenig Aggressionen vorhanden sind. Die Kinder kennen sich aus den Kursen, weil diese klassendurchmischt sind. Sie kennen sich aus den Horten, wo sie wieder durchmischt werden. Sie kennen sich aus der Projektwoche, wieder durchmischt, oder aus den Nordlichtstunden, bei denen alle Kinder zusammen etwas unternehmen. So kommen sie viel weniger dazu, einander gegenseitig zu diskriminieren oder zu plagen.» (Schulleiterin, zitiert in Häusler, 1999, S. 32)

Ein scheinbar profaner, aber bedeutsamer Aspekt ist dabei das gegenseitige Kennen der Namen. Namen sind eng mit dem eigenen Identitätsgefühl verbunden, und es ist ein Ausdruck von Anerkennung, Namen korrekt aussprechen und schreiben zu können (vgl. auch Windischbauer, 2009, S. 59). Möglicherweise erfordert gerade die Aussprache etwas Übung, sowohl für die Lehrpersonen als auch für die Mitschülerinnen und Mitschüler, aber die jeweiligen Kinder werden vermutlich gerne – auch wiederholt – darüber Auskunft geben, wie ihr Name klingen soll.

«In der Primarschule wurde ich von meiner Klassenlehrerin lange mit dem Nachnamen angesprochen – und den hat sie auch noch falsch ausgesprochen. Mittlerweile bin ich erwachsen, aber das weiss ich bis heute.» (Neijla, vgl. Terkessidis, 2004, S. 158)

«In unserer Schule kommen viele Kinder aus sehr schwierigen Verhältnissen. Wir möchten sie deshalb an jedem Schultag als Erstes spüren lassen, dass sie willkommen sind, und empfangen sie jeden Morgen vor der Schule, indem wir jedes Kind mit Namen begrüssen.» (Sabrina Monti Giordano, Primarlehrerin)

 

«Im Berndeutschen ist es geläufig, männliche Namen mit einem -u abzukürzen, aus Daniel wird ‹Dänu›, aus Raphael ‹Räphu› und aus Michael ‹Michu›. In einer Klasse gab es auch einen Jungen mit dem tamilischen Namen Lashan, und kurzerhand nannten ihn seine Freunde ‹Läschu›, er war schliesslich einer von ihnen, und Lashan fand das super. Ausserdem war es ja beim Fussballspielen besonders wichtig, einen kurzen Namen zu haben, den man gut rufen konnte …» (Aus einer Schule im Kanton Bern)

Die Namen können auch zum Gegenstand des Unterrichts gemacht werden:

Namen untersuchen: Es ist faszinierend für Kinder, der Bedeutung ihrer Namen nachzugehen und auch über die Namen anderer mehr zu erfahren. Gleichzeitig ist das eine Möglichkeit, den kulturellen Horizont zu erweitern: Welche Namen haben eine Bedeutung, die man gleich erkennt (Erika, Iris, Müller, Schneider usw.)? Gibt es solche Namen auch in anderen Sprachen? Wer kennt die Bedeutung des eigenen Namens? Gibt es Namen, die Entsprechungen haben in anderen Sprachen (Peter, Pierre, Pietro usw.)? Haben Namen eine Herkunft (griechische, hebräische, italienische, arabische Namen usw.)? Haben alle Menschen einen Vor- und einen Nachnamen und welche anderen Formen der Namensgebung gibt es? Diese Fragen können durch Recherchen beantwortet werden, etwa mithilfe von Namensbüchern oder entsprechenden Internetseiten wie auch durch Nachfragen bei den Eltern oder Grosseltern. Als Produkt könnte ein schönes Bild mit den gewonnenen Informationen über den eigenen Namen gestaltet werden (diese und weitere Ideen finden sich bei Schader, 2012, S. 290 f.).

Auch das folgende kleine Spiel kann die Gemeinschaft und das positive gegenseitige Wahrnehmen stärken:

Positiver Spiegel: In diesem Spiel werden die Schülerinnen und Schüler in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt, und sie erleben, dass auch diejenigen Kolleginnen und Kollegen, mit denen sie selten zu tun haben, positive Eigenschaften haben. In einem ersten Schritt werden gemeinsam mögliche positive Eigenschaften und Fähigkeiten von Menschen gesammelt und aufgeschrieben, etwa «fröhlich», «mutig», «aufgeschlossen», «verlässlich», «einfühlsam», «geduldig», «kreativ», «sportlich», «basteln», «Witze erzählen» oder «Fussball spielen». Im zweiten Schritt bekommen die Schülerinnen und Schüler eine Vorlage mit allen Namen der Klasse. Sie schneiden die Namen einzeln aus und notieren auf der Rückseite bei jedem etwas Positives, das ihnen zu dieser Person einfällt. Die Zettel werden pro Name in einem Couvert gesammelt, danach liest jedes Kind für ein anderes alle ihm oder ihr zugeteilten Aspekte vor und übergibt danach das Couvert. Es wäre reizvoll, dieses Spiel auch über die Klassengrenzen hinweg durchzuführen (inspiriert von Kirchhart, 2014, S. 120–121).

Neben diesem gezielten Gestalten der Gemeinschaft durch besondere Anlässe ist es auch das alltägliche Einbeziehen von Vielfaltsthemen, das wesentlich zu einer Schul- und Klassenkultur der Anerkennung beiträgt. Wenn Vielfalt nicht als Sonder-, sondern als Normalfall gesehen wird, kann sie zu einem selbstverständlichen Bestandteil des Schulalltags werden, indem über unterschiedliche Familiengeschichten, Zugehörigkeiten, Sprachen, Lebensweisen oder Formen von Religiosität – einschliesslich der damit verbundenen unterschiedlichen Meinungen – respektvoll gesprochen und nachgedacht wird (siehe dazu insbesondere die Kapitel 2.3, «Vielfalt in der Welt», und 2.4, «Sprachenvielfalt»).

Auch hier ist es überaus hilfreich, diese Fragen als Gesamtteam zu thematisieren und Vielfalt auch in der Schulhausgestaltung sichtbar zu machen, etwa durch eine entsprechende Auswahl von Medien in der Schulbibliothek, mehrsprachige Beschriftungen, das Aufhängen eines «interreligiösen Kalenders» (Hinweis dazu in Kapitel 3.1 unter «Migration und Bildung») oder das Ausstellen von Fotos mit Namen von all denjenigen, die im Schulhaus ein- und ausgehen, einschliesslich des Reinigungspersonals.

Wenn es gelingt, insgesamt einen Rahmen zu schaffen, in dem sich die Schülerinnen und Schüler gut aufgehoben fühlen und gleichzeitig nichts verbergen müssen von dem, was ihnen wichtig ist und was sie ausmacht, dann ist viel erreicht.

«Ich übernehme eine Stellvertretung in einem Kindergarten, und als mich die Kinder zum ersten Mal sehen, kommt ein Junge auf mich zu und sagt mit Überzeugung und in stolzem Tonfall: ‹Ich bin Serbe! Er auch!› Dabei zeigt er zuerst mit dem Finger auf sich und dann auf den Jungen neben ihm. Wie schön, dass die beiden in dieser Schule so stolz sein können auf ihre Herkunft.» (Zitat aus der Projektgruppe)

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