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5. Vollstreckung

203

Wirksamkeit und Effektivität der Kontrolle der Verwaltung hängen nicht zuletzt von den Vollstreckungsmöglichkeiten (verwaltungs-)gerichtlicher Urteile ab. Dies war über lange Zeit ein nicht unerhebliches Problem, weil das Verwaltungsrecht mit Blick auf das Legalitätsprinzip allein auf eine freiwillige Befolgung von Urteilen setzte.[397] Heute orientiert sich die Vollstreckung verwaltungsgerichtlicher Urteile teils an den Regeln des Zivilprozesses,[398] teils gilt für sie ein spezifisches Vollstreckungsregime.[399]

6. Anpassungsstrategien und -probleme

a) Art. 47 GRCh und Art. 6 und 13 EMRK

204

Für die Mehrzahl der europäischen Verwaltungsrechtsordnungen lässt sich eine grundsätzliche Übereinstimmung mit den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben erkennen. In allen nationalen Verwaltungsrechtsordnungen hat die Einbindung in den europäischen Rechtsraum im Allgemeinen und das Unionsrecht im Besonderen allerdings Anpassungserfordernisse ausgelöst, die – naturgemäß – zunächst auf Irritationen und Ablehnung gestoßen sind und auch in Zukunft stoßen werden. Das liegt zum einen an einer strukturellen Aversion der auf Rechtssicherheit, Berechenbarkeit und Kontinuität angelegten Rechtsordnung gegenüber Veränderungen, zum anderen daran, dass vor allem die nationalen Obergerichte mit dem Europäischen Gerichtshof und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Konkurrenz erhaltet haben, die mitunter auch grundlegende und deshalb schwierige Neuausrichtungen der nationalen Verwaltungsrechtsordnung erfordert hat und weiterhin erfordern wird.[400]

aa) Effektiver Rechtsschutz

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Art. 47 GRCh und Art. 6 und 13 EMRK zielen auf einen umfassenden und effektiven Rechtsschutz durch unabhängige Gerichte und treffen sich insoweit mit Vorgaben, wie sie in zahlreichen europäischen Verwaltungsrechtsordnungen seit langem verfassungsrechtlich verankert sind. In Deutschland ergeben sie sich aus Art. 19 Abs. 4 GG, in Italien aus Art. 24 Cost. und in Spanien aus Art. 24 CE. Vergleichbares gilt für die Unabhängigkeit der Richter.[401]

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Wo das nationale Verwaltungsrecht diesen Anforderungen nicht im vollen Umfang genügte bzw. genügt – etwa mit Blick auf die Unabhängigkeit der Gerichte,[402] den Anspruch auf ein faires Verfahren und eine mündliche Verhandlung, den rechtzeitigen[403] und vorläufigen Rechtsschutz, Entschädigungsansprüche u.a.m. –, war das nationale Verwaltungsprozessrecht teilweise erheblichen Modifikationen ausgesetzt. Diese Entwicklung ist keineswegs abgeschlossen. Das gilt für die Eröffnung des Primärrechtsschutzes, den Bereich des vorläufigen Rechtsschutzes[404] wie auch für die Ermöglichung eines angemessenen Sekundärrechtsschutzes.

207

Zur nachhaltigen Orientierung nationaler Rechtsschutzstandards an den Vorgaben von Art. 47 GRCh und Art. 6 und 13 EMRK trägt nicht zuletzt bei, dass die nationalen (Verwaltungs-)Gerichte zugleich funktionale Unionsrichter sind und bei der Entscheidung ihrer Fälle unionale und nationale Maßstäbe zugleich anzuwenden haben. Das legt schon rein faktisch eine parallelisierende Auslegung nahe.[405]

bb) Defizite des unionalen Verwaltungsrechtsschutzes

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Nicht ganz eindeutig fällt dagegen die Beurteilung des unionalen Rechtsschutzes aus. Während teilweise davon ausgegangen wird, das Unionsrecht habe ein „kohärentes Rechtsschutzsystem etabliert, das dem Einzelnen lückenlosen effektiven Rechtsschutz gegen die Unionsgewalt zur Verfügung stellt“,[406] bedürfen vor allem jene Defizite einer verstärkten Aufmerksamkeit, die sich aus den unterschiedlichen Kontrollzuständigkeiten bei ebenen- oder grenzüberschreitenden Fällen im europäischen Verwaltungsverbund ergeben.

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Unbefriedigend wirkt auch, dass der vom Europäischen Gerichtshof gewährte Rechtsschutz gegenüber Akten von Unionsorganen angesichts von Art. 263 Abs. 4 AEUV und dem Festhalten an der sogenannten Plaumann-Doktrin[407] erheblich hinter dem Niveau zurückbleibt, das von den nationalen Verwaltungsrechtsordnungen (zu Recht) gefordert wird.

b) Entmaterialisierung und Prozeduralisierung

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Soweit das unionale Verwaltungsrecht weniger auf materielle denn auf prozedurale Standards setzt und kompensatorisch zugleich qualifizierte Begründungserfordernisse statuiert, drängt es die nationalen Verwaltungsrechtsordnungen, die wie die deutsche durch eine intensive gerichtliche Kontrolldichte gekennzeichnet sind, tendenziell zur Anerkennung großzügigerer Beurteilungs- und Ermessensspielräume.[408]

211

Auch hat die kontinuierliche Ausweitung subjektiver Klagerechte die Unterschiede zwischen den dem Individualrechtsschutz verpflichteten und den eher am Legalitätsprinzip orientierten Kontrollansätzen erkennbar eingeebnet. Das wird durch die Einführung von Verbands- und Popularklagen weiter befördert. Zu einem Systemwechsel, gar zum Abschied von einem subjektiv-rechtlich ausgerichteten Rechtsschutz zwingt es jedoch nicht.

Einführung › § 73 Grundzüge des Verwaltungsrechts in Europa – Problemaufriss und Synthese › VIII. Verwaltung und Politik

VIII. Verwaltung und Politik
1. Die Dichotomie von Effektivität und Bindung

a) Schwächung der politischen Steuerung

212

Die historischen Grundlagen der nationalen Verwaltungsrechtsordnungen in Europa unterscheiden sich zwar zum Teil erheblich. Ihre Leitbilder reichen vom Weber’schen Ideal einer bürokratischen, lediglich gesetzesvollziehenden und apolitischen Verwaltung in Deutschland[409] und Österreich über das „buon andamento“ in Italien[410] bis zur flexiblen und politisch versierten Politikgestaltung in Frankreich und Großbritannien.

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Dabei erscheint das auf das nationale Parlament zentrierte bürokratische Legitimationsmodell – ungeachtet seiner weitgehenden verfassungsrechtlichen Verankerung in den meisten Verwaltungsrechtsordnungen – auf dem Rückzug. Föderalisierung und Dezentralisation, die Schaffung unabhängiger Agenturen[411] und Einrichtungen sowie die Suche nach neuen Steuerungsformen lassen dieses Steuerungs- und Legitimationsmodell veraltet und zunehmend dysfunktional erscheinen.[412] An seine Stelle tritt eine final ausgerichtete, unterschiedliche Belange integrierende, entmaterialisierte und prozeduralisierte politisch gestaltende Verwaltung durch parlamentarisch nicht verantwortliche und nur schwach legitimierte technokratische Akteure.[413] Ob und inwieweit dieser Paradigmenwechsel mit Grundanforderungen des nationalen Verfassungsrechts vereinbar ist und ob seine politischen Kosten nicht zu hoch sind, wird weder auf unionaler noch nationaler Ebene angemessen diskutiert. Dabei birgt diese Entwicklung durchaus das Risiko, dass sich die Bürger Europas mehr und mehr einem von ihnen nicht mehr beeinflussbaren System ausgesetzt sehen könnten, das Züge eines autoritären Regimes trägt.

b) Bedeutungsgewinn der Gerichte

214

Zu den Gewinnern von Internationalisierung, Europäisierung und Privatisierung gehören die (Verwaltungs-)Gerichte. Sie haben – was Klagemöglichkeiten, einstweiligen Rechtsschutz, Vollstreckungsmöglichkeiten oder die Zuerkennung von Schadensersatz anlangt – unter dem Einfluss des Unionsrechts sowie von Art. 6 und 13 EMRK in vielen Verwaltungsrechtsordnungen nicht nur eine deutliche Ausdehnung ihrer Zuständigkeiten erfahren bzw. durchgesetzt.[414] Als funktionale Unionsgerichte können sie sich unter Rückgriff auf das Unionsrecht auch über nationale Rechtsanwendungsbefehle hinwegsetzen oder im Rahmen des von ihnen angewandten Methodenkanons Wertungen der Europäischen Menschenrechtskonvention auch contra legem Rechnung tragen. Ihre Stellung gegenüber der Politik hat das nachhaltig gestärkt.

2. Der Einzelne als Bezugspunkt des Verwaltungshandelns

a) Die traditionelle Selbstreferentialität der Verwaltung

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Traditionell wird das Verwaltungsrecht schlicht als Recht der Verwaltung begriffen und weist insoweit eine hohe Selbstreferentialität auf. Dass Verwaltung aber kein Selbstzweck ist, dass sie – wie alle staatliche Gewalt – letztlich nur um der Bürger Willen existiert und von daher in größere, häufig verfassungsrechtlich determinierte Zusammenhänge eingebunden ist, ist dem modernen Verwaltungsrecht und seinen Akteuren zwar geläufig. Praktische Konsequenzen werden daraus jedoch kaum gezogen. So bleiben der Einzelne und seine Interessen im Verwaltungsrecht allen rechtsstaatlichen und demokratischen Errungenschaften zum Trotz letztlich doch immer ein wenig „randständig“. Dafür mag auch die in den meisten Staaten des europäischen Rechtsraumes überkommene disziplinäre Trennung von Verfassungs- und Verwaltungsrechtswissenschaft verantwortlich zeichnen, aber auch der Vorrang des Unionsrechts, das selbst einer eher institutionellen Betrachtung des Rechts folgt und die gegenläufigen Vorgaben des Verfassungsrechts und seiner Grundrechte tendenziell verdrängt.

 

b) Der Einzelne als Rechtsträger, Staats- und Unionsbürger

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Die Konstitutionalisierung des Verwaltungsrechts seit 1949, seine Europäisierung und der Versuch, die Verwaltung als „Dienstleister“ zu begreifen, haben allerdings dazu beigetragen, diesen Bezugsrahmen des Verwaltungsrechts zu verschieben und den Einzelnen stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Insofern kann man von einer démocratie administrative im Werden sprechen.[415]

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Konstitutionalisierung und Europäisierung haben das Verwaltungsrecht aus seinem Selbststand befreit und in die größeren Zusammenhänge des Verfassungs- und des Unionsrechts eingeordnet. Sie haben seit Beginn der 1970er-Jahren der Figur des besonderen Gewaltverhältnisses in der Schule, dem Strafvollzug und dem öffentlichen Dienst den Boden entzogen oder ihren Anwendungsbereich doch wesentlich eingeschränkt,[416] einen Ausbau individueller Klagemöglichkeiten vorangetrieben und die Stellung des Einzelnen im Verwaltungsverfahren gestärkt.

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In eine vergleichbare Richtung zielt der an britische Traditionen anknüpfende, eher kulturell inspirierte Versuch, die Verwaltung weniger als gemeinwohlverpflichtete Obrigkeit zu begreifen, denn als Dienstleisterin am Bürger, wie dies paradigmatisch in der Dienstleistungsrichtlinie (Richtlinie 123/2006/EG) zum Ausdruck kommt, aber auch in den (verwaltungsinternen) chartes, die in Frankreich die Ausgestaltung der Beziehungen zwischen dem service public und seinen Nutzern zum Gegenstand haben.[417] Auf diese Weise wird der Bürger ein Stück mehr zu einem Partner der Verwaltung auf Augenhöhe.

219

Es passt in dieses Bild, dass die italienische Verfassung ein horizontales Subsidiaritätsprinzip anordnet, nach dem die Verwaltung „die autonome Initiative sowohl einzelner Bürger als auch von Vereinigungen bei der Wahrnehmung von Tätigkeiten im allgemeinen Interesse fördert“ (Art. 118 Abs. 4 Cost.). Das zielt darauf ab, den Bürger vom einfachen Adressaten der Verwaltungstätigkeit zu einem aktiven Rechtssubjekt und Förderer von Tätigkeiten zu Gunsten der Allgemeinheit zu machen.[418]

220

Im modernen europäischen Verwaltungsrecht ist der Einzelne so mehr und mehr zum entscheidenden Bezugspunkt des Verwaltungshandelns avanciert. Das ist vielleicht noch nicht überall hinreichend präsent. Im deutschen Verwaltungsrecht, das in besonderer Weise durch die Hervorbringung des Rechtsstaats geprägt ist, wird Verwaltung bis heute weniger als Konkretisierung demokratischer Selbstbestimmung begriffen, denn als obrigkeitliche Bedrohung individueller Freiheit.[419] Dass dieser Grundansatz die Wirklichkeit nicht mehr (vollständig) erfasst, zeigt sich jedoch am tendenziellen Rückgang einseitiger und dem Ausbau konsensualer Handlungsformen, an der Aufwertung des Einzelnen im Verwaltungsverfahren, dem Ausbau der Informationsfreiheitsrechte und den Transparenzanforderungen an das Verwaltungshandeln. Die Verabschiedung der Figur des „administré“ im französischen Verwaltungsrecht[420] ist, so gesehen, weit mehr als eine bloß semantische Neuerung. Sie ist Ausdruck einer grundlegenden Neuausrichtung des Verwaltungsrechts, in dem Über- und Unterordnungsvorstellungen von Staat und Bürger nicht mehr zeitgemäß erscheinen.

3. Das Recht auf gute Verwaltung – Art. 41 GRCh als benchmark

221

Soweit der Grundsatz der guten Verwaltung nicht ohnehin als Erbe der eigenen Verwaltungsrechtsordnung wahrgenommen wird,[421] herrscht in den meisten Verwaltungsrechtsordnungen die Auffassung vor, dass die Statuierung des Rechts auf gute Verwaltung in Art. 41 GRCh im eigenen Verwaltungsrecht keinen nennenswerten Anpassungsbedarf auslöst, ja dass sein Schutzgehalt hinter dem nationalen Recht zurückbleibe. Dieses gewährleiste – mitunter als verfassungsrechtliche Anforderung – eine unparteiische und gerechte Behandlung einer Sache innerhalb einer angemessenen Frist (Art. 41 Abs. 1 GRCh) bereits ebenso wie die Anhörung der Betroffenen, Akteneinsicht, den Anspruch auf eine Begründung (Art. 41 Abs. 2 GRCh) oder eine ausreichende Amtshaftung (Art. 41 Abs. 3 GRCh); gehe es darüber hinaus.[422]

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Gleichwohl ist die rechtspolitische Bedeutung von Art. 41 GRCh nicht zu unterschätzen. Denn obwohl sich das Recht auf gute Verwaltung primär an die Unionsorgane richtet und an die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union (Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRCh), wirkt es doch als „benchmark“ für die Modernisierung des nationalen Verwaltungsrechts.

223

Das gilt einerseits mit Blick auf die – freilich diffuse – Subjektivierung des Rechts auf gute Verwaltung. So wird es etwa in Italien neuerdings kritisch gesehen, dass bei der Rechtsetzung der Verwaltung und dem Erlass von Plänen keine der Rechtslage bei eingreifenden Verwaltungsakten vergleichbaren Verfahrensgarantien existieren oder das Akteneinsichtsrecht alleine auf den Rechtsschutz ausgerichtet ist.[423] Andererseits gewinnen über Art. 41 GRCh auch weiche Faktoren wie Bürgerorientierung, Kommunikationsbereitschaft, ethische Standards, Effektivität und Wirtschaftlichkeit der Verwaltungsführung einen – rechtlich noch nicht abschätzbaren – Stellenwert.[424] Diese können dazu beitragen, die mit Europäisierung, Internationalisierung und Privatisierung von Verwaltungsaufgaben verbundenen Nachteile für den Einzelnen auszugleichen oder doch zu begrenzen.

224

Bei alledem besteht allerdings die Gefahr, dass unter Berufung auf das diffuse („tentakelartige“) Konzept der guten Verwaltung die Grenzen der Anpassungsfähigkeit der nationalen Verwaltungsrechtsordnungen aus dem Blick geraten und der Wandel des Verwaltungsrechts, seiner Institutionen und Systemerfordernisse nicht mehr in einem Sinne bewältigt werden kann, der Freiheit, Gleichheit und Selbstbestimmung aller Bürger gewährleistet.

4. Konvergenz und Subsidiarität

225

Die Europäisierung des nationalen Verwaltungsrechts mag in einem ersten Schritt duale Regelungsregime[425] hervorbringen, weil Verwaltungsrechtsordnungen zunächst dazu tendieren, die mit der Europäisierung verbundenen Anpassungszwänge „minimalinvasiv“ zu verarbeiten. Auf längere Sicht dürften die Ableitung der allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts aus dem nationalen Verwaltungsrecht und ihre Rückwirkung auf dieses[426] sowie die Einbindung der nationalen Verwaltungen und der (Verwaltungs-)Gerichte in den europäischen Verwaltungs- und Gerichtsverbund jedoch auch aufgrund sogenannter spill-over-Effekte zu einer weiteren Konvergenz der unionalen und nationalen Verwaltungsrechtsordnungen führen.[427]

226

Das bedeutet freilich nicht, dass eine immer stärkere Konvergenz der europäischen Verwaltungsrechtsordnungen rechtlich zulässig und rechtspolitisch wünschenswert wäre. In rechtlicher Hinsicht stehen das Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 Abs. 1 und 3 EUV), die Verpflichtung der Europäischen Union, die nationale Identität der Mitgliedstaaten zu achten (Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV), und, als Teil davon, der Grundsatz der institutionellen und verfahrensmäßigen Autonomie einer ungebremsten Harmonisierung des Verwaltungsrechts im europäischen Rechtsraum vielmehr entgegen.[428] In rechtspolitischer Hinsicht spricht auch der drohende Verlust der mit einem föderalen und deshalb auf Vielfalt angelegten System verbundenen Möglichkeit, bürgernahe Lösungen dezentral zu entwickeln und sie nach dem Grundsatz des trial and error zu erproben, gegen eine zu detailversessene Harmonisierung des Verwaltungsrechts. Mehr als bisher wird es deshalb darauf ankommen, die richtige Balance zwischen Einheit und Vielfalt zu finden.

Einführung › § 73 Grundzüge des Verwaltungsrechts in Europa – Problemaufriss und Synthese › IX. Herausforderungen für das Verwaltungsrecht

IX. Herausforderungen für das Verwaltungsrecht

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Internationalisierung, Europäisierung und Privatisierung lassen die Unterscheidung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht zunehmend verschwimmen. Sie stellen das sogenannte rechtsstaatliche Verteilungsprinzip in Frage und könnten – in den Grenzen des verfassungsrechtlich jeweils Zulässigen – das Verwaltungsrecht in dogmatischer Hinsicht zu einer Annäherung an das Zivilrecht zwingen.

228

In methodischer Hinsicht scheint auch der überkommene juristische Methodenkanon nicht mehr ausreichend, um die kaum mehr überschaubare Vielfalt von Rechtsquellen und Akteuren zu erfassen und die Steuerungsfähigkeit des Verwaltungsrechts zu erhalten. Die (politische) Steuerung der Verwaltung durch das Verwaltungsrecht ist angesichts der immer hybrideren und ebenenübergreifenden Verwaltungsstrukturen offenkundig defizitär. Eine leistungsfähige Verwaltungsrechtspflege wird daher im Sinne des Governance-Ansatzes die komplexen Regelungsstrukturen, auf die sie trifft, analysieren und das Zusammenwirken der unterschiedlichen Akteure sowie ihre ökonomischen, politischen, religiösen und sozialen Rationalitäten ermitteln müssen, um eine verlässliche Grundlage für die Entscheidungen der öffentlichen Verwaltung zu erhalten. Dass dabei nicht jeder Befund mit der Rechtsordnung in Übereinstimmung zu bringen sein wird, liegt auf der Hand.

Einführung › § 73 Grundzüge des Verwaltungsrechts in Europa – Problemaufriss und Synthese › Bibliographie

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Einführung › § 73 Grundzüge des Verwaltungsrechts in Europa – Problemaufriss und Synthese › Anhang: Der Fragebogen