Ius Publicum Europaeum

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c) Umfassende Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte

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In den meisten europäischen Verwaltungsrechtsordnungen sind verwaltungsrechtliche Streitigkeiten im Wesentlichen eigenständigen, in der Regel allgemeinen Verwaltungsgerichten zugewiesen.[324]

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Archetyp dieser klaren Trennung von ordentlicher Gerichtsbarkeit und Verwaltungsgerichtsbarkeit ist Frankreich,[325] auch wenn die ordentliche Gerichtsbarkeit selbst hier nicht vollständig von der Kontrolle der Verwaltung ausgeschlossen ist.[326] Obwohl dies eigentlich den Zielen der Revolutionäre von 1789 widersprach, entwickelte sich rasch eine eigenständige Administrativjustiz, die sich als Teil der Verwaltung verstand und wohl noch immer versteht. Nach diesem Verständnis ist das Richten über die Verwaltung immer noch Verwaltung,[327] auch wenn es im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einer Trennung von „aktiver Verwaltung“ und Verwaltungsgerichtsbarkeit gekommen ist. Diese fand ihren vorläufigen Höhepunkt in dem Gesetz vom 24.5.1872, das dem Conseil d’État neben seiner beratenden Tätigkeit erstmals richterliche Entscheidungsgewalt zuwies und ihm so die Möglichkeit verschaffte, sich im Laufe der folgenden Jahrzehnte auch als Institution des Rechtsschutzes und als Garant des Legalitätsprinzips zu etablieren.[328]

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Zu dem heutigen dreistufigen Instanzenzug – tribunaux administratifs, cours administratives d'appel, Conseil d'État – sollte die französische Verwaltungsgerichtsbarkeit erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausgebaut werden, als auch die Europäisierung weitere Korrekturen erforderte.[329]

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Viele europäische Verwaltungsrechtsordnungen haben sich an dieses Modell mehr oder weniger angelehnt.[330] Nach langem, mehr als ein Jahrhundert andauerndem Hin und Her hat sich auch Griechenland zunächst mit der Gründung des Staatsrats (1928) und dann mit der Verfassung von 1975 für ein (dreistufiges) Modell nach französischem Vorbild entschieden, in dem die Verwaltungsgerichte – mit Ausnahme der Festsetzung einer Enteignungsentschädigung und der dem Rechnungshof zugewiesenen Klagen – für alle verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten zuständig sind (Art. 94 Abs. 1 Verf.).[331]

d) Probleme und Entwicklungen

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Da es in den meisten Verwaltungsrechtsordnungen ein Nebeneinander von ordentlicher und Verwaltungsgerichtsbarkeit gibt, sind Institutionen zur Schlichtung von Zuständigkeitskonflikten erforderlich. In Deutschland etwa ist dies nach dem Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, in Frankreich das Tribunal des Conflits,[332] in Griechenland der Oberste Sondergerichtshof.[333]

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Eine klare Tendenz, welches der Modelle an Boden gewinnt bzw. verliert, lässt sich derzeit nicht ausmachen.[334] Während die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland und Frankreich auf dem Rückzug zu sein scheint und insbesondere wesentliche Bereiche des Regulierungsrechts an die ordentliche Gerichtsbarkeit verloren hat,[335] hat sie in Italien durch Entscheidungen des Gesetzgebers, die Ausweitung der interessi leggitimi, durch die Erstreckung des Verwaltungsrechtsschutzes auf Sekundäransprüche und durch das Institut der ausschließlichen Zuständigkeit eher an Boden gewonnen.[336]

2. Grundzüge des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes

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Aus historischer Perspektive bestand ein gewisser Zusammenhang zwischen der Errichtung einer eigenständigen Verwaltungsgerichtsbarkeit und einer objektiven Rechtmäßigkeitskontrolle einerseits und der Zuweisung der Kontrollaufgabe an die allgemeinen (ordentlichen) Gerichte und einer Begrenzung des Rechtsschutzes auf subjektive öffentliche Rechte andererseits. In Deutschland lässt er sich an der Konkurrenz von nord- und süddeutschem Modell festmachen,[337] in Italien an der die Zuständigkeitsverteilung nach wie vor prägenden Unterscheidung zwischen diritti soggetivi und interessi leggitimi.

a) Primärrechtsschutz

aa) Individualrechtsschutz

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Jedenfalls in Deutschland, wo sich letztlich die süddeutsche Lösung durchgesetzt hat,[338] in Griechenland,[339] Großbritannien,[340] Italien,[341] Österreich,[342] Portugal,[343] Schweden,[344] der Schweiz[345] und Spanien[346] ist der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz vor allem ein Instrument des Individualrechtsschutzes, das dem Schutz des Bürgers und seiner subjektiven öffentlichen Rechte dient. Dass mit der gerichtlichen Kontrolle von Verwaltungshandlungen auch dem Legalitätsprinzip zum Durchbruch verholfen wird, wird dabei – unbeschadet spezialgesetzlicher Regelungen[347] – als eher willkommene Nebenfolge begriffen. Dazu passt es, dass die Ausgestaltung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle stark an der materiellen Rechtmäßigkeit ausgerichtet ist und verfahrensrechtlichen Rechtspositionen nur ein begrenzter Eigenwert zugemessen wird.[348]

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Die Praxis ist allerdings durch eine kontinuierliche Ausweitung der ursprünglich restriktiv verstandenen subjektiven öffentlichen Rechte, der schutzwürdigen Interessen oder des „standing“ gekennzeichnet. Sie hat ihre Ursache zum einen in der Konstitutionalisierung des Verwaltungsrechts und der damit verbundenen Auslegung verwaltungsrechtlicher Regelungen im Lichte der Grundrechte oder äquivalenter Garantien – in Deutschland hat dies angesichts der weiten Schutzbereiche von Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG einerseits zur sogenannten Adressatentheorie geführt, nach der jeder Adressat einer belastenden Verwaltungsentscheidung geltend machen kann, diese sei ohne oder unter Verstoß gegen die gesetzliche Ermächtigung ergangen (sogenannte Freiheit vor gesetzlosem oder gesetzwidrigem Zwang),[349] andererseits zu einem einklagbaren Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, wenn der Bürger ein Tätigwerden der Verwaltung verlangt[350] –, zum anderen im Unionsrecht. Da zu dessen Wirkungsbedingungen die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts gehört,[351] verleiht es auch in großem Umfang Klagerechte.

bb) Objektive Rechtmäßigkeitskontrolle

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Frankreich kennt hingegen keine Dichotomie von Individualrechtsschutz und objektiver Gesetzmäßigkeitskontrolle. Der vom Conseil d’État entwickelte und für die französische Verwaltungsgerichtsbarkeit bis heute prägende recours pour excès de pouvoir sollte von Anfang an dazu dienen, rechtswidriges Verwaltungshandeln zu sanktionieren, damit die Rechte der Bürger (administrés) gewahrt bleiben.[352] Objektive Rechtmäßigkeitskontrolle und der (reflexartige) Schutz individueller Interessen gehen hier Hand in Hand, wobei die partikularen Interessen der Bürger nicht im Vordergrund stehen. So ist es nur konsequent, dass die Verwaltungsgerichte bei der Handhabung der Zulässigkeitsvoraussetzung des intérêt à agir eine extrem großzügige Linie verfolgen, mit der Folge, dass die Hürden für die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes eher niedrig sind.[353] Ähnlich ist die Rechtslage in Polen.[354]

b) Vorläufiger Rechtsschutz

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Ein effektiver Individualrechtsschutz erfordert auch einen hinreichend wirkungsvollen vorläufigen Rechtsschutz. Dazu gehört nach deutschem Verständnis, dass Rechtsbehelfe gegen Verwaltungsakte grundsätzlich einen Suspensiveffekt entfalten[355] und im Hinblick auf ein Unterlassen der Verwaltung (einstweilige) gerichtliche Regelungs- und Sicherungsanordnungen möglich sind. Nach französischem Verwaltungsprozessrecht kann der Richter (vorläufige) Anordnungen treffen (Art. L 521–1 und L 521–2 CJA) oder die zeitliche Wirkung einer Aufhebungsentscheidung modifizieren.[356]

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Die nationale Ausgestaltung des vorläufigen Rechtsschutzes ist in den vergangenen Jahren vielfach unter den Druck der Europäisierung geraten, was teils zu einer Erweiterung, teils aber auch zu einem Abbau von Rechtsschutzstandards geführt hat. So sind in Deutschland, soweit es um den Vollzug des Unionsrechts geht,[357] etwa Einschränkungen des Suspensiveffekts bei Rechtsbehelfen gegen Verwaltungsakte sowie der Entscheidungsbefugnisse der Verwaltungsgerichte bei Verpflichtungs- und Leistungsklagen zu verzeichnen, während es in Italien zu einer Ausweitung des einstweiligen Rechtsschutzes auch gegenüber öffentlich-rechtlichen Verträgen gekommen ist.[358]

c) Sekundärrechtsschutz

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Die Bürger haben in der Regel nicht die Wahl zwischen primär- und sekundärrechtlichen Ansprüchen. Es gilt insoweit der Vorrang des Primärrechtsschutzes; ein „dulde und liquidiere“ kennen die meisten europäischen Verwaltungsrechtsordnungen nicht.[359]

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Andererseits gehört die Ausweitung des Rechtsschutzes auf die Sekundäransprüche zu den moderneren Entwicklungen des Verwaltungsrechts. Das französische und das griechische Verwaltungsrecht gehen insoweit etwa von einer verschuldensunabhängigen Haftung der Verwaltung für Schäden aus, die durch ihr Handeln verursacht werden.[360] Sie wird teils als Gefährdungshaftung konstruiert, teils aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz abgeleitet. Das deutsche Verwaltungsrecht ist in dieser Hinsicht dagegen noch nicht auf der Höhe der Zeit.

 
d) Kontrolldichte

aa) Allgemeines

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Substantielle Unterschiede bestehen zwischen den Verwaltungsrechtsordnungen im europäischen Rechtsraum auch was die Dichte der gerichtlichen Kontrolle des Verwaltungshandelns anlangt. Während die gerichtliche Kontrolle der Verwaltung in Schweden Recht- und Zweckmäßigkeit umfasst,[361] sie in Deutschland aufgrund verfassungsrechtlicher Vorgaben (Art. 19 Abs. 4 GG) durch eine weitgehende Identität von Handlungs- und Kontrollnorm gekennzeichnet ist,[362] beschränkt sie sich in Frankreich, Italien und anderen Verwaltungsrechtsordnungen – ähnlich dem Unionsrecht (Art. 263 Abs. 2 AEUV) – traditionell auf die Prüfung bestimmter Klagegründe.[363] In der gerichtlichen Praxis sind diese Klagegründe allerdings vielfältig erweitert worden; zudem überschneiden sie sich auch, so dass es auf die genaue Zuordnung einer Rüge in der Regel nicht (mehr) entscheidend ankommt.

bb) Regierungsakte und besondere Gewaltverhältnisse

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Regierungsakte (actes de gouvernement) unterliegen in einigen Verwaltungsrechtsordnungen keiner oder nur einer sehr eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle, sei es, dass sie dieser von vornherein entzogen sind, sei es, dass der Exekutive ein gerichtlich nicht kontrollierbarer Spielraum eingeräumt wird.[364]

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Die Fälle, in denen ein bestimmter Verwaltungsbereich vollständig von der gerichtlichen Kontrolle ausgenommen ist, haben seit den 1970er-Jahren und der Verabschiedung des besonderen Gewaltverhältnisses in Schule, Strafvollzug, Militär und öffentlichem Dienst stark abgenommen.[365]

cc) Ermessen und andere Spielräume

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Alle Verwaltungsrechtordnungen in Europa kennen das Institut des Ermessens, also die Befugnis der Verwaltung, bei der Erfüllung ihrer Aufgaben eigene Präferenzentscheidungen zu treffen.[366] Solche Spielräume gibt es sowohl im Bereich der gesetzesakzessorischen als auch der gesetzesfreien Verwaltung, wobei teilweise nur mit Blick auf die gesetzesakzessorische Verwaltung von Ermessen gesprochen wird.[367] Die Einräumung von Ermessen und anderen Spielräumen bedeutet in der Sache eine Rücknahme der verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte und die Zuerkennung einer gerichtsfesten Prärogative zugunsten der Exekutive.

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In zahlreichen Verwaltungsrechtsordnungen markiert das Ermessen der Verwaltung geradezu den funktionalen Kern exekutivischer Gestaltungsaufgaben. In Frankreich hat das zur Folge, dass sich die verwaltungsgerichtliche Kontrolle von Ermessensentscheidungen auf offensichtliche Fehler bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage beschränkt (contrôle restraint).[368] In anderen Verwaltungsrechtsordnungen gilt grundsätzlich Vergleichbares; allerdings musste die gerichtliche Kontrolldichte vor allem unter dem Einfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips intensiviert werden.[369]

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Gerichtlich nicht kontrollierbaren Gestaltungsspielräumen der Verwaltung begegnet man in Deutschland, Italien[370] oder Österreich mit prinzipieller Skepsis. Ermessensentscheidungen werden hier auch auf die richtige Ermittlung der Tatsachenbasis und ihre Verhältnismäßigkeit hin überprüft.[371] Zudem hat man zur Gewährleistung einer möglichst intensiven gerichtlichen Kontrolle die Differenzierung zwischen unbestimmten Rechtsbegriffen und Ermessen entwickelt. Nach dieser – in Deutschland auf Otto Bachof zurückgehenden,[372] aber auch in Österreich, Polen, der Schweiz und wohl auch in Italien anzutreffenden – Unterscheidung unterliegen auf der Tatbestandsseite einer Norm anzusiedelnde unbestimmte Rechtsbegriffe wie „Gefahr“, „Zuverlässigkeit“, „schädliche Umwelteinwirkung“, „Denkmaleigenschaft“ etc. grundsätzlich einer vollständigen gerichtlicher Kontrolle. Beurteilungsspielräume, die zu einer Beschränkung der Kontrolldichte führen,[373] werden nur in engen Grenzen anerkannt.[374]

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Zudem haben Rechtsprechung und Literatur in allen Verwaltungsrechtsordnungen spezifische Grenzen des Ermessens herausgearbeitet und typische Ermessensfehler identifiziert, deren Vorliegen die – unterschiedlich dichte – gerichtliche Kontrolle überprüfen kann. Dazu gehören der Ermessensausfall, die Ermessensunter- und -überschreitung sowie der Ermessensmissbrauch (détournement de pouvoir, sviamento di potere[375]).[376]

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Mittel- und langfristig dürfte im Hinblick auf die gerichtliche Kontrolldichte des Verwaltungshandelns eine Konvergenz der Rechtsschutzsysteme zu erwarten sein. Während etwa das deutsche Verwaltungsrecht mit Figuren wie der normativen Ermächtigungslehre[377] den Bereich gerichtsfester Spielräume der Verwaltung vorsichtig ausgeweitet hat, zwingen in anderen Verwaltungsrechtsordnungen verfassungsrechtliche Anordnungen sowie Art. 6 und 13 EMRK und Art. 47 GRCh zu deren Reduzierung und zur Unterwerfung von Ermessensentscheidungen unter eine Verhältnismäßigkeitskontrolle.[378]

3. Klagearten und -gründe

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In den meisten Verwaltungsrechtsordnungen Europas steht der Verwaltungsakt bzw. seine Aufhebung traditionell im Mittelpunkt des (verwaltungs-)gerichtlichen Primärrechtsschutzes. Nach der insoweit prägenden Rechtsprechung des Conseil d’État, die breite Gefolgschaft gefunden hat,[379] ist bzw. war eine solche Aufhebung nur aus bestimmten Gründen zulässig: bei Unzuständigkeit (incompétence), bei Form- und Verfahrensfehlern (vice de forme et de procédure), bei einem materiellen Rechtsfehler (violation de la loi) und bei Ermessensmissbrauch (détournement de pouvoir). Die Entwicklung des französischen Verwaltungsprozessrechts ist jedoch durch eine Ausdehnung des auf die Aufhebung von Verwaltungshandlungen gerichteten recours pour excès de pouvoir und des auf alle anderen gerichtlichen Maßnahmen zielenden recours de plein contentieux gekennzeichnet, was zahllose Klagearten hervorgebracht hat.[380]

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Auch das italienische Verwaltungsprozessrecht kennt – wie das Unionsrecht (Art. 263 und 265 AEUV) – eine kassatorische Anfechtungsklage (azione costitutiva di annullamento) und eine Untätigkeitsklage (azione contro silenzio, Art. 2 Abs. 5 Gesetz 241/1990) sowie eine Leistungs- und Feststellungsklage (azione di accertamento); eine Verpflichtungsklage ist ihm jedoch fremd.[381]

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Die praktische Bedeutung dieses im Kern aktionenrechtlichen Ansatzes ist erheblich zurückgegangen. Die Garantien effektiven Rechtsschutzes auf europäischer und nationaler Ebene, die Pluralisierung der Handlungsformen der Verwaltung und die Erkenntnis, dass auch die Rechtsetzung, der Abschluss von Verträgen, der Erlass von Realakten und informales Verwaltungshandeln Rechte und Interessen der Bürger beeinträchtigen können, drängen letztlich auf eine Entkoppelung von Verwaltungsakt und verwaltungsgerichtlicher Kontrolle und zu einer stärkeren Konzentration auf das zwischen Verwaltung und Bürger bestehende Rechtsverhältnis.[382] Insgesamt lässt sich daher durchaus ein europaweiter Trend zur Überwindung der noch vorhandenen „aktionenrechtlich“ geprägten Teile der Rechtsschutzsysteme ausmachen.

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In Deutschland ist mit dem Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsordnung von 1960 der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz, den Vorgaben des Art. 19 Abs. 4 GG entsprechend, auf der Grundlage einer Generalklausel (§ 40 Abs. 1 VwGO) eröffnet.[383] Die einzelnen Klagearten – Anfechtungs-, Verpflichtungs-, Feststellungs- und Leistungsklage – sind durch die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung soweit homogenisiert worden, dass sie allenfalls noch bei Detailfragen wie der Fristberechnung eine Rolle spielen. In den anderen Verwaltungsrechtsordnungen geht die Entwicklung, wenn auch mitunter auf unterschiedlichen dogmatischen Grundlagen, in eine ähnliche Richtung.[384]

4. Sonstige Formen rechtsschutzorientierter Verwaltungskontrolle

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Neben dem gerichtlichen Rechtsschutz kennen nahezu alle Verwaltungsrechtsordnungen Europas auch eine kaum systematisierbare Fülle von (Verwaltungs-) Beschwerden,[385] Widersprüchen, Einsprüchen, Gegenvorstellungen, Petitionen u.a.m. Sie sind nur zum Teil formalisiert und haben typischerweise den Zweck, eine interne Korrektur der Recht- und Zweckmäßigkeit des Verwaltungshandelns zu erreichen.

a) Verwaltungsinterne Kontrollen

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Vor der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes ist in zahlreichen Verwaltungsrechtsordnungen ein internes Vorverfahren vorgesehen, in dem Recht- und Zweckmäßigkeit einer Verwaltungsmaßnahme, i.d.R. eines Verwaltungsakts, überprüft werden können bzw. müssen.[386] Dies eröffnet der Verwaltung Möglichkeiten zur Selbstkorrektur und entlastet zugleich die Verwaltungsgerichte.[387] Das gilt in Deutschland für das als Klagevoraussetzung konzipierte Widerspruchsverfahren ebenso wie für die „rechtsmittelähnliche Beschwerde“ in Griechenland.[388] Es entspricht funktional dem meist fakultativen recours administratif in Frankreich[389] bzw. dem ricorso in Italien, der allerdings in zahlreiche Unterkategorien zerfällt.[390]

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Im Zuge der Entbürokratisierungsbemühungen der vergangenen Jahre hat das Vorverfahren allerdings teilweise an Bedeutung verloren. In einigen deutschen Ländern ist es entweder abgeschafft oder nur mehr als Alternative zur Erhebung einer Verwaltungsklage ausgestaltet worden.[391]

b) Ombudsmann und Beauftragte

200

Als weitere Form einer rechtsstaatlich inspirierten Verwaltungskontrolle hat sich in vielen Verwaltungsrechtsordnungen Europas nach schwedischem Vorbild[392] die Institution des Ombudsmannes etabliert.[393] Sie findet sich auch auf Unionsebene (Art. 228 AEUV).[394]

201

In Deutschland hat man die Einrichtung eines dermaßen „klassischen“ Ombudsmannes mit Blick auf den umfassenden verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz zwar nur in zwei Ländern vorgenommen. Hier wie auch in anderen Verwaltungsrechtsordnungen gibt es jedoch eine ständig wachsende Zahl von Sonderbeauftragten, die teils dem Parlament, teils der Regierung verantwortlich sind.[395]

c) Schiedsverfahren, Schlichtung und Mediation

202

Daneben gewinnen – vor allem dort, wo die Dauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren erheblich ist – alternative Formen der Streitbeilegung wie Schiedsverfahren oder die Mediation an Bedeutung.[396]