Ius Publicum Europaeum

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b) Staatsaufsicht

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In einer dezentralisierten Verwaltungsorganisation, also gegenüber rechtlich verselbständigten, mit Autonomie ausgestatteten Körperschaften, Anstalten, Stiftungen und Unternehmen des öffentlichen Rechts erfordert die Notwendigkeit demokratischer Legitimation und Steuerung der verselbständigten Verwaltungseinheiten eine hinreichend effektive Staatsaufsicht[281] durch übergeordnete, letztlich parlamentarisch verantwortliche Stellen. Als Rechtsaufsicht ist sie auf die Kontrolle der Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns beschränkt, als Fachaufsicht erstreckt sie sich auch auf dessen Zweckmäßigkeit.[282]

c) Erosionstendenzen

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Im Europäischen Verwaltungsverbund, im Agrar-, Beihilfen-, Kartell- oder Umweltrecht etwa, sind die nationalen Kontrollstrukturen in den vergangenen Jahren nachhaltig europäisiert, d.h. in eine Verbundaufsicht eingebunden worden, in deren Mitte typischerweise die auch zu Weisungen ermächtigte Kommission steht.[283] Die damit verbundenen Verantwortungs- und Rechtsschutzprobleme sind allenfalls ansatzweise aufgearbeitet; ob die Kommission mit ihren knapp 30.000 Mitarbeitern die notwendige personelle und fachliche Kapazität besitzt, diese Aufgaben auch interessengerecht zu erfüllen, wurde bislang nicht thematisiert. Die Fülle ihrer Aufgaben mit ihrem fachlichen Leistungsvermögen abzugleichen, dürfte jedoch zu einer der großen Herausforderungen für die nächsten Jahre werden.

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Auch der vor allem im Kontext der Regulierungsverwaltung vorgesehene, jedoch keineswegs auf sie beschränkte Einsatz unabhängiger Behörden und Agenturen bereitet – wie bereits dargelegt – unter dem Gesichtspunkt der demokratischen Steuerung der Verwaltung Probleme. Zwar mag er der Entpolitisierung der Verwaltung dienen und unter einem technokratischen Blickwinkel plausibel oder sogar wünschenswert erscheinen;[284] dies ändert jedoch nichts daran, dass er mit erheblichen Einflussknicks, d.h. Beeinträchtigungen oder Verletzungen des Demokratieprinzips verbunden ist und letztlich auch zu einer Verletzung der auch für das Unionsrecht unantastbaren (Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV) Verfassungsidentität führen kann.[285] Es gibt daher unverkennbare Versuche, die parlamentarische Kontrolle über unabhängige Behörden wieder zu intensivieren[286] oder sie mit Hilfe von Instrumenten sicherzustellen, die jenseits der parlamentarischen Verantwortlichkeit der Regierung und der mit ihr verbundenen „Legitimationskette“ liegen.[287]

4. Sonstige Instrumente der Verwaltungssteuerung

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Seit Ende der 1990er-Jahre setzt sich allmählich die Einsicht durch, dass sich eine demokratische und insoweit auf Akzeptanz ausgerichtete Verwaltung unter den Bedingungen eines insgesamt deutlich gestiegenen Bildungsniveaus der Bürger und ubiquitärer Kommunikationsmöglichkeiten nicht darauf beschränken kann, auf ihre Anbindung an das demokratisch beschlossene Gesetz, den Haushalt und die parlamentarische Rückbindung der Exekutive zu vertrauen. Sie bedarf vielmehr weiterer, akzeptanzsichernder oder zumindest -verstärkender Instrumente, die auch in einem juristisch-dogmatischen Sinne durchaus zum demokratischen Legitimationsniveau des Verwaltungshandelns beitragen können.[288] Dies betrifft etwa die Bildung von Selbstverwaltungseinheiten (dazu unter a), direkt-demokratische Formen der Partizipation (dazu unter b), Transparenz (dazu unter c), den Ausbau der Öffentlichkeits- und/oder Interessentenbeteiligung (dazu unter d) sowie das sogenannte New Public Management (dazu unter e).

a) Selbstverwaltung

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Häufig wird die Einräumung von Autonomie und Selbstverwaltung als ein Instrument angesehen, das Legitimations- und Steuerungsdefizite bei der Erledigung von Verwaltungsaufgaben ausgleichen kann. Das leuchtet unmittelbar ein, wenn man erkennt, dass das demokratische Prinzip seinen Bezugspunkt in der Selbstbestimmung des Einzelnen findet und dass die Einräumung von Selbstverwaltungsbefugnissen es den Betroffenen ermöglicht, ihre Angelegenheiten im Wesentlichen auch selbst zu entscheiden. Insoweit kann die Einräumung von Selbstverwaltungsbefugnissen durchaus zur Anhebung des demokratischen Legitimationsniveaus beitragen.[289]

b) Direkte Demokratie

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Auch Formen der direkten Demokratie haben in den vergangenen Jahren europaweit an Bedeutung gewonnen. Volksbegehren und Volksentscheide, Volksinitiativen und Volksabstimmungen, Referenden und andere Formen der plebiszitären Willensbildung sind in vielen Verwaltungsrechtsordnungen mittlerweile eine wichtige Grundlage, um den Bürgern Einfluss auf die Verwaltung zu eröffnen. Werden sie wie in der Schweiz mit dem sogenannten Vernehmlassungsverfahren gekoppelt, so eignen sie sich auch als Instrumente der Konfliktschlichtung und der Kompromissbildung.[290] In Deutschland finden sich Formen der direkten Demokratie bislang nur auf Landesebene; von ihnen wird regional sehr unterschiedlich Gebrauch gemacht. In Frankreich wurden die Möglichkeiten für Volksbefragungen und Referenden durch die Verfassungsänderung vom 28.3.2003 eröffnet bzw. ausgebaut.[291]

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Vor allem auf kommunaler Ebene spielt die direkte Demokratie eine wichtige Rolle für das Verwaltungsrecht. In Deutschland, Polen und der Schweiz prägen heute Bürgerversammlungen, Bürgeranträge, Bürgerbegehren und Bürgerentscheide das politische Leben vor Ort, etwa im Bauplanungsrecht oder in der Verkehrspolitik.[292]

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Auf Unionsebene ist in diesem Zusammenhang die Initiative „Right2Water“ zu nennen, die erste europäische Bürgerinitiative nach Art. 11 Abs. 4 UAbs. 2 EUV und Art. 24 Abs. 1 AEUV, die sich mit Erfolg für eine Herausnahme der Wasserversorgung aus dem Entwurf einer Konzessionsrichtlinie eingesetzt hat.

c) Transparenz

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Die Transparenz der Verwaltung ist eine wesentliche Voraussetzung für ihre demokratische Steuerungsfähigkeit. In Schweden bereits seit dem 18. Jahrhundert anerkannt[293] und in den USA spätestens mit dem Freedom of Information Act von 1966 etabliert, tun sich viele europäische Verwaltungsrechtsordnungen nach wie vor schwer mit dem Paradigmenwechsel von der ursprünglich grundsätzlich geheimen zu einer grundsätzlich öffentlichen und transparenten Verwaltung.[294] Ob es sich bei diesem Grundsatz, wie die italienische Corte costituzionale meint,[295] tatsächlich bereits um einen den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen in Europa zu entnehmenden Rechtsgrundsatz handelt, mag dahinstehen. Tatsache ist jedoch, dass es sich – angetrieben nicht zuletzt durch den unionsrechtlich vorgegebenen Umweltinformationsanspruch (Richtlinien 90/313/EWG und 2003/4/EG) – um eine gemeineuropäische, auch primärrechtlich verankerte (Art. 11 Abs. 2 EUV, Art. 14 AEUV) Konzeption handelt, die die einzelnen Verwaltungsrechtsordnungen nach 1990 teils allgemein, teils auch nur für bestimmte Referenzgebiete kodifiziert haben.[296] Überwiegende öffentliche Interessen wie auch Belange des Datenschutzes können das Transparenzgebot begrenzen.

d) Öffentlichkeits- und Interessentenbeteiligung

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Zur Demokratisierung der Verwaltung und zur Optimierung ihrer Steuerung gehört schließlich der Ausbau von Öffentlichkeits- und Interessentenbeteiligungen. Dies fördert die Transparenz der Verwaltung, intensiviert ihre Kontrolle und sichert damit auch die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Partizipationsmöglichkeiten dieser Art für Bürger, Bürgerinitiativen, Nichtregierungsorganisationen u.a.[297] gibt es – häufig auf unionsrechtlicher, teilweise aber auch auf verfassungsrechtlicher[298] Grundlage – vor allem im Umwelt-, Planungs- und Regulierungsrecht.[299] Sie beziehen sich teilweise auf das Verfahren zum Erlass von Gesetzen, Rechtsverordnungen und Satzungen oder abstrakt-generelle Maßnahmen der Regulierungsbehörden,[300] überwiegend aber auch auf konkrete Vorhaben- und Fachplanungen.

e) New Public Management

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Unter dem Stichwort des New Public Management haben seit den 1980er-Jahren der Unternehmensführung entlehnte Steuerungsinstrumente Einzug in die Verwaltung gehalten, weil man sich von ihnen – dem auf Ökonomisierung aller Lebensbereiche drängenden Zeitgeist entsprechend – eine effektivere und vor allem kostengünstigere Erledigung der Verwaltungsaufgaben versprach.[301] Zu diesen Steuerungsinstrumenten zählen entsprechend dem „principal-agent-Konzept“ etwa die Budgetierung, die Zusammenführung von Fach- und Ressourcenverantwortung, Zielvereinbarungen oder ein Verwaltungscontrolling, das ganz oder teilweise an die Stelle der überkommenen Aufsicht tritt.[302]

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In Deutschland wurde vor diesem Hintergrund das sogenannte Neue Steuerungsmodell entwickelt, das insbesondere im kommunalen und universitären Bereich zum Einsatz gelangt, und vor allem eine stärkere „Kundenorientierung“ der Verwaltung zum Ziel hat.[303] Das Modell setzt freilich ein gewisses Maß an Unabhängigkeit der zu steuernden Einheiten voraus. In der unmittelbaren Staatsverwaltung steht es daher in einem Spannungsverhältnis zu den Erfordernissen des parlamentarischen Regierungssystems, das unter den Bedingungen der modernen Mediendemokratie kurzfristige Handlungsmöglichkeiten der Regierung verlangt. Breitere Verwendung findet es gegenüber mit Autonomie ausgestatteten Verwaltungsträgern, wobei stets das Risiko besteht, dass die Autonomie durch derartige Steuerungsinstrumente unterlaufen wird.

 

5. Einflussknicks und Kompensationen

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Die parlamentarisch-demokratische Steuerung der Verwaltung erodiert. Das liegt zum einen an der parteipolitischen Überformung des verfassungsrechtlichen Institutionengefüges und dem mit ihr verbundenen Dualismus von Regierung und Opposition, der die Kontrollfunktionen des Parlaments gegenüber der Regierung relativiert und im Wesentlichen auf die Opposition begrenzt;[304] es liegt aber auch an der Diversifizierung der Verwaltungsorganisation durch Dezentralisierung und Privatisierung[305] sowie in gewissem Umfang am Bedeutungszuwachs des Verwaltungsvertrages, der die bürokratische, d.h. hierarchische Steuerung der Verwaltung erschwert.[306] Darüber hinaus ermöglicht die Einbindung der nationalen Verwaltungen in den europäischen Verwaltungsverbund nicht nur Interventionen der Europäischen Kommission und anderer Stellen in konkrete Verwaltungsverfahren, was die Steuerung der Verwaltung durch Regierung und Parlament zusätzlich erschwert; mit dem unionsrechtlich induzierten Ausbau unabhängiger Behörden schafft die Europäische Union auch immer mehr Bereiche, die sich dieser Steuerung von vornherein entziehen. Das läuft verfassungsrechtlichen Vorgaben vielfach zuwider, sei es, dass man darin Einflussknicks sieht, die das demokratische Legitimationsniveau der Verwaltung senken, sei es, dass es an der Verfügungsgewalt der Regierung über die Verwaltung rührt (Art. 20 Abs. 1 Satz 2 CF).

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Das Bedürfnis, die demokratische Rückbindung der Verwaltung sicherzustellen, gilt heute aber in besonderem Maße für die Europäische Union selbst. Konzepte demokratischer Legitimation und Kontrolle, die in den 1950er-Jahren noch selbstverständlich waren,[307] sind beim rasanten Ausbau der unionalen Eigenverwaltung in den letzten Jahren zunehmend in Vergessenheit geraten. Das zeigen die wenig konzise Ausgestaltung der Agenturen ebenso wie das Ringen um die europäische Bankenaufsicht.

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Auch wenn der Verlust an demokratischer Steuerungsmöglichkeit der Verwaltung in der Regel nur zurückhaltend als konkretes rechtliches Problem formuliert wird, so sind die Instrumente zur parlamentarischen Kontrolle von Regierung und Verwaltung in den vergangenen 20 Jahren doch nach und nach ausgebaut worden. Das gilt nicht nur mit Blick auf die Angelegenheiten der europäischen Integration, die in ganz Europa zur Einrichtung von mit besonderen Befugnissen ausgestatten Ausschüssen geführt hat,[308] sondern auch für die Figur der – insoweit multifunktionalen – Ombudsmänner und sonstigen Beauftragten[309] und Einrichtungen.[310] Weitere Kompensationsmöglichkeiten werden in einem verstärkten Ausbau von Transparenz und Partizipation in der Verwaltung gesehen,[311] in Kreationsbefugnissen des Parlaments bei der Besetzung von Verwaltungspositionen,[312] in der Entsendung von Parlamentariern in Gremien unabhängiger Verwaltungsbehörden[313] sowie in zusätzlichen Berichtspflichten der Verwaltung gegenüber dem Parlament.

Einführung › § 73 Grundzüge des Verwaltungsrechts in Europa – Problemaufriss und Synthese › VII. Verwaltungsrecht und Rechtsschutz

VII. Verwaltungsrecht und Rechtsschutz

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Art, Umfang und Ausgestaltung des Rechtsschutzes gegenüber dem Verwaltungshandeln sind für das Verwaltungsrecht schlechthin konstituierend. Nicht nur hängen Stellung und Aktionsradius der Verwaltung gegenüber der Dritten Gewalt entscheidend von der Ausgestaltung des Rechtsschutzes ab. Ohne die Dialektik zwischen Verwaltungshandeln und gerichtlicher Verwaltungskontrolle wäre die Ausbildung des modernen Verwaltungsrechts gar nicht möglich gewesen.[314] Wesentliche Weichenstellungen bilden dabei die Gewährung von Rechtsschutz durch die allgemeinen Gerichte oder eine spezialisierte Verwaltungsgerichtsbarkeit (dazu unter 1.) sowie die Entscheidung, ob die gerichtliche Kontrolle der Verwaltung als objektive Rechtmäßigkeitskontrolle oder als Instrument zur Durchsetzung subjektiver öffentlicher Rechte der Bürger gegenüber dem Staat und seiner Verwaltung konzipiert ist (dazu unter 2.). Vor diesem Hintergrund haben sich nicht nur unterschiedliche Formen der gerichtlichen Kontrolle und Kontrolldichte herausgebildet (dazu unter 3.), sondern auch Instrumente zu ihrer Substitution (dazu unter 4.). Ein wesentlicher Aspekt ist in diesem Zusammenhang die Vollstreckung (dazu unter 5.). Schließlich sieht sich auch die nationale Ausgestaltung des Rechtsschutzes gegen die Verwaltung Europäisierungserfordernissen ausgesetzt (dazu unter 6.).

1. Allgemeine Gerichtsbarkeit oder spezialisierte Verwaltungsgerichtsbarkeit

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Von Beginn des modernen Verwaltungsrechts Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts an wird darüber gestritten, ob die Kontrolle der Verwaltung im Interesse der Bürger (Untertanen, administrés etc.) den allgemeinen – ordentlichen – Gerichten obliegen oder durch eine in der Verwaltung selbst angesiedelte spezialisierte Verwaltungsgerichtsbarkeit erfolgen soll. Die Unterwerfung der Verwaltung unter die allgemeine und damit von der Exekutive unabhängige Gerichtsbarkeit gehörte zu den liberalen Forderungen der französischen Revolution von 1789 wie auch der Revolution von 1848. In Deutschland fand sie als eine der zentralen Forderungen der Märzrevolution Eingang in § 182 der Paulskirchenverfassung von 1849, der bestimmte: „Die Verwaltungsrechtspflege hört auf; über alle Rechtsverletzungen entscheiden die Gerichte“.

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Grob typisierend lassen sich vor diesem Hintergrund drei Modelle verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes in Europa unterscheiden, die freilich nirgends ohne Abstriche verwirklicht worden sind: Verwaltungsrechtsordnungen, in denen die allgemeine Gerichtsbarkeit auch für den Schutz des Bürgers gegenüber der Verwaltung zuständig ist (dazu unter a), Verwaltungsrechtsordnungen, in denen diese Aufgabe zwischen einer spezialisierten Verwaltungsgerichtsbarkeit und den ordentlichen Gerichten aufgeteilt ist (dazu unter b), und Verwaltungsrechtsordnungen, in denen die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Wesentlichen über alle verwaltungsrechtlichen Fragen entscheidet (dazu unter c). Dessen ungeachtet ist die konkrete Ausgestaltung des Verwaltungsrechtsschutzes kontinuierlichen Veränderungen ausgesetzt (dazu unter d).

a) Allgemeine Gerichtsbarkeit

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In Großbritannien (und Irland) ist es nie zur Ausbildung einer verwaltungsinternen Administrativjustiz gekommen. Die judicial review lag hier stets bei den ordentlichen Gerichten.[315] Schon vor längerem sind beim High Court allerdings verwaltungsrechtliche Abteilungen eingerichtet worden, die in den meisten judicial review–Verfahren entscheiden. 2007 hat der Tribunals, Courts and Enforcement Act darüber hinaus die Bildung eines First-Tier Tribunals und eines Upper Tribunals angeordnet, die ebenfalls für die judicial review zuständig sind, so dass das britische Gerichtssystem nicht mehr ganz so monolithisch erscheint.[316] Neben diesen (materiell) verwaltungsgerichtlichen Rechtsbehelfen gibt es nach Maßgabe spezialgesetzlicher Regelung ein right of appeal. Auch in Ungarn sind seit der Abschaffung der 1896 gegründeten Verwaltungsgerichtsbarkeit im Jahre 1949 die ordentlichen Gerichte, d.h. bei ihnen eingerichtete Verwaltungskollegien für die Gewährung verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes zuständig.[317]

b) Gemischtes Modell

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In Deutschland und Italien hat die historische Entwicklung zwar zur Ausbildung einer spezialisierten Verwaltungsgerichtsbarkeit geführt, doch sind die allgemeinen – ordentlichen – Gerichte nicht (vollständig) aus der Kontrolle der Verwaltung verdrängt worden.

aa) Deutschland

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In Deutschland kam es nach dem Scheitern der Paulskirchenverfassung von 1849 nach und nach zur Ausbildung einer spezialisierten Verwaltungsgerichtsbarkeit, die einerseits eine Trennung von Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit beinhaltete,[318] andererseits jedoch die für das Common Law charakteristische Gleichstellung von Bürgern und Verwaltung vermied;[319] in der für die Abgrenzung von Verwaltungs- und Zivilrechtsweg nach § 40 VwGO herangezogenen sogenannten Subordinationstheorie lebt dies noch immer fort. Erstes unabhängiges Verwaltungsgericht in Deutschland war der am 5.10.1863 in Baden errichtete Verwaltungsgerichtshof in Karlsruhe; große Bedeutung sollte vor allem das am 3.7.1875 errichtete Preußische Oberverwaltungsgericht erlangen,[320] an dessen Rechtsprechung ab 1953 auch das Bundesverwaltungsgericht anknüpfen konnte.

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Seit 1949 sieht das Grundgesetz neben der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der Arbeitsgerichtsbarkeit drei verwaltungsrechtliche Gerichtszüge vor: die die Verwaltungsgerichte, die Verwaltungsgerichtshöfe/Oberverwaltungsgerichte und das Bundesverwaltungsgericht umfassende allgemeine Verwaltungsgerichtsbarkeit sowie die Sozialgerichtsbarkeit und die Finanzgerichtsbarkeit (Art. 95 Abs. 1 GG).

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Zu einer klaren Zuordnung verwaltungsrechtlicher Streitigkeiten hat dies jedoch nicht geführt. Seit langem waren etwa die ordentlichen Gerichte für bestimmte Streitigkeiten im Bauplanungsrecht zuständig (§§ 217ff. BauGB), für das Vergaberecht (§§ 97ff. GWB) und neuerdings auch für den überwiegenden Teil des Regulierungsrechts. Die disparate Zuordnung der öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten ist darüber hinaus auch im Grundgesetz angelegt, das Streitigkeiten über die Höhe einer Enteignungsentschädigung (Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG) und über Amtshaftungs- und Regressansprüche (Art. 34 Satz 3 GG) den ordentlichen Gerichten zuweist.

bb) Italien

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Einen nicht weniger verschlungenen Mittelweg bei der Aufteilung verwaltungsrechtlicher Streitigkeiten zwischen ordentlicher Gerichtsbarkeit und Verwaltungsgerichtsbarkeit hat auch Italien beschritten. Hier wurde die Rechtsprechung nach der Einigung 1860 zunächst allein den ordentlichen Gerichten übertragen. Da sich diese jedoch nicht auf eine effektive Durchsetzung subjektiver öffentlicher Rechte gegenüber der Verwaltung einließen, in der gesetzlichen Beschränkung subjektiver Rechte vielmehr deren Abstufung (degradazione) sahen, entschied man sich 1889 für die Bildung eines vierten Senats beim Consiglio di Stato und damit für die Bildung einer eigenständigen Verwaltungsgerichtsbarkeit mehr oder weniger nach französischem Muster.[321] Später folgten weitere Senate, 1971 die Errichtung erstinstanzlicher Verwaltungsgerichte in den Regionen (Tribunali amministrativi regionali). Gegen Entscheidungen des Consiglio di Stato ist allerdings ein revisionsähnliches Rechtsmittel zur Corte di Cassazione eröffnet.[322] Zudem hindert die Errichtung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit die ordentlichen Gerichte nicht an einer inzidenten Kontrolle von Verwaltungsakten auf ihre Wirksamkeit u.ä.

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Der Sekundärrechtsschutz bei der Verletzung von subjektiven öffentlichen Rechten, Interessen oder vergleichbaren Positionen, d.h. die Gewährung von Schadensersatz- und Entschädigungsansprüchen, liegt dagegen in den Händen der auch für den Primärrechtsschutz zuständigen Gerichte. Insoweit sind die italienischen Verwaltungsgerichte auch für Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche zuständig, die sich aus einer Verletzung der interessi leggitimi ergeben.[323]