Ius Publicum Europaeum

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a) Öffentlich-rechtliche Verträge

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Weitgehende Übereinstimmung besteht insoweit, als öffentlich-rechtliche Verträge einem besonderen Regime unterliegen, das der Gemeinwohlverpflichtung der Verwaltung Rechnung tragen soll und besondere Privilegien und Verpflichtungen beinhaltet.[216] Öffentlich-rechtliche Verträge sind aus der Sicht der Verwaltung rechtlich gebundenes Handeln und nicht Ausdruck von Privatautonomie. Da sie jedoch die Gleichordnung von Verwaltung und Bürger zum Ausdruck bringen und deren Rechte tendenziell weniger stark beeinträchtigen als einseitige Verwaltungsakte, werden sie vielfach als einer modernen Verwaltung besonders angemessen erachtet.

b) Privatrechtliche Verträge

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Wo die Verwaltung – wie in Deutschland, Polen oder der Schweiz – über die Wahl der Handlungsform grundsätzlich frei entscheiden kann, steht ihr auch ein privatrechtlicher Verwaltungsvertrag zur Verfügung.[217] Die Abgrenzung zu den öffentlich-rechtlichen Verwaltungsverträgen richtet sich dann nach dem Vertragsgegenstand[218] oder danach, ob das zugrunde liegende Rechtsverhältnis durch öffentlich-rechtliche Rechte und Pflichten geprägt wird.

c) Vergaberecht

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Dass die Einordnung einzelner Vertragstypen vor diesem Hintergrund uneinheitlich ausfällt, zeigt insbesondere ein Blick auf das Vergaberecht. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts werden Verträge über die öffentliche Auftragsvergabe in Frankreich, aber auch in Griechenland, Italien, Portugal oder Spanien ausdifferenzierten Regelungen unterworfen, die insbesondere der Korruptionsvermeidung dienen sollen. Sie werden hier mitunter geradezu als Prototyp eines öffentlich-rechtlichen Vertrags eingestuft.[219] Das hatte maßgeblichen Einfluss auf die unionsrechtliche Ausgestaltung des Vergaberechts.[220]

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In Deutschland wird das Vergaberecht nach wie vor dem Privatrecht zugeordnet und seine öffentlich-rechtliche Überformung nur widerwillig akzeptiert.[221] Erst nach jahrzehntelangen Debatten hat der Gesetzgeber hier die Oberlandesgerichte für die gerichtliche Überprüfung von Auftragsvergaben oberhalb der sogenannten Schwellenwerte für zuständig erklärt (§§ 97ff. GWB).[222]

3. Pläne

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Die Planung als Staatsaufgabe und mit ihr der Plan haben eine wechselvolle Entwicklung erlebt. Einer ersten Planungseuphorie in den 1960er- und 1970er-Jahren, die vor allem im Bau- und Raumplanungsrecht zur Entfaltung eines ganzen Referenzgebiets geführt hat,[223] war eine lang andauernde Ernüchterung gefolgt. In jüngerer Zeit erlebt die Planung im Finanz- und Umweltrecht eine – unionsrechtlich induzierte[224] – Renaissance.

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„Plan“ ist in der Regel keine fest konturierte Handlungsform der Verwaltung, sondern ein Sammelbegriff für final strukturierte Entscheidungen (nicht nur) der Verwaltung, die in ganz unterschiedlichen Rechtsformen ergehen können. Kennzeichen eines Plans ist ein erheblicher, auch Planungsermessen[225] genannter Gestaltungsspielraum, der nur einer eingeschränkten Kontrolle unterliegt.

4. Informales Verwaltungshandeln

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In einzelnen Verwaltungsrechtsordnungen hat die rechtliche Einordnung von Realakten und informalem Verwaltungshandeln, etwa die Informationstätigkeit der öffentlichen Hand durch Warnungen und Empfehlungen sowie Konsensvereinbarungen und Absprachen, eine größere Debatte ausgelöst. Während das österreichische Verwaltungsrecht das Problem jedenfalls teilweise durch die Figur des Aktes unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt systemkonform bewältigt hat,[226] markiert diese Debatte in Deutschland in gewisser Weise einen Schlusspunkt in der Konstitutionalisierung des Verwaltungsrechts, weil sie die Wirkungen der Realakte vor allem von den (Grund-)Rechten der nachteilig Betroffenen her zu erfassen und einzudämmen versucht.[227]

5. Verfahren

a) Allgemeines

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Zu den traditionellen Unterschieden zwischen dem Common law und den meisten Verwaltungsrechtsordnungen des Kontinents gehört der unterschiedliche Stellenwert des Verwaltungsverfahrens. Während das britische, aber auch das schwedische Verwaltungsrecht schon immer einen starken Akzent auf die Verfahrensförmigkeit und -richtigkeit des Verwaltungshandelns gesetzt haben,[228] konzentriert sich das Verwaltungsrecht auf dem Kontinent traditionell auf die materielle Rechtmäßigkeit der (abschließenden) Entscheidung.[229]

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Dessen ungeachtet gehören – allerdings mit teilweise substantiellen Unterschieden im Detail – Zuständigkeits- und Befangenheitsregelungen, die Anhörung der Betroffenen vor Erlass eines belastenden Verwaltungsakts, das Recht auf Akteneinsicht und auf Zugang zu den Unterlagen, die Begründungspflicht und andere Verfahrensrechte in praktisch allen europäischen Verwaltungsrechtsordnungen seit langem zu den zumindest richterrechtlich entwickelten Anforderungen an das Verwaltungsverfahren.[230]

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Zum Siegeszug des Verwaltungsverfahrens[231] hat nicht zuletzt die Rezeption des US-amerikanischen „due process“-Gedankens erheblich beigetragen.[232] Trotzdem bleibt sein spezifischer Stellenwert bis heute diffus. Noch immer tendieren die nationalen Verwaltungsrechtsordnungen dazu, Verfahrensfehler jedenfalls bei gebundenen Entscheidungen für unbeachtlich zu erklären und die Richtigkeits- und Rechtsschutzgewähr des Verwaltungsverfahrens auf diese Weise zu relativieren.[233] Diese Verfahrensblindheit des in der Regel zu einseitig auf die Effizienz des Verwaltungshandelns fixierten Gesetzgebers steht nicht nur in einem deutlichen Spannungsverhältnis zur Anerkennung des Prozeduralisierungsgedankens, sondern degradiert die verfahrensrechtlichen Anforderungen an den Erlass einer Verwaltungsmaßnahme zu folgenlos verletzbaren Ordnungsvorschriften. Das ist sowohl mit Blick auf das Legalitätsprinzip als auch im Hinblick auf die demokratische Steuerung der Verwaltung und ihre rechtsstaatliche Einhegung ein zu hoher Preis und – soweit die Durchführung des Unionsrechts in Rede steht – mit Art. 41 GRCh bzw. dem spezielleren Sekundärrecht in der Regel nicht ohne weiteres zu vereinbaren.[234]

b) Rechte der Verfahrensbeteiligten

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Wichtigstes Instrument eines rechtsstaatlichen Verfahrens ist die Anhörung der Betroffenen, bevor die Verwaltung in ihre Rechte eingreift. Alle Verwaltungsrechtsordnungen der europäischen Staaten sehen dies heute vor,[235] auch wenn die rechtlichen Grundlagen und die Sanktionen bei einer Verletzung nicht einheitlich sind.

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Zum gesicherten Bestand eines europäischen Verwaltungsverfahrens gehört darüber hinaus das Recht der Beteiligten auf Akteneinsicht und auf Zugang zu Unterlagen, das in seiner ursprünglichen Ausprägung vor allem auf die Effektivierung des Rechtsschutzes zielt.[236]

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Auch die Pflicht, Verwaltungsakte zu begründen, gehört – außer in Großbritannien[237] – meist zu den unverzichtbaren Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verwaltungsverfahren. Denn erst die Begründung ermöglicht eine effektive gerichtliche Kontrolle. Während sie im Unionsrecht – angesichts der in Rede stehenden Sachverhalte nicht verwunderlich – obligatorisch ist (Art. 296 AEUV), ist sie in Deutschland und Griechenland nur für schriftliche oder elektronische Verwaltungsakte vorgesehen (§ 39 Abs. 1 VwVfG).[238] In Italien ist die Begründungspflicht mit dem Gesetz 241/1990 geregelt worden.[239]

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Die meisten Verwaltungsrechtsordnungen kennen darüber hinaus in unterschiedlichem Umfang weitere Verfahrensgarantien zugunsten der Beteiligten, Vorschriften über die Befangenheit[240] etwa, die Anordnung der Kostenfreiheit,[241] Recht, einen verantwortlichen Vertreter für das Verwaltungsverfahren zu bestellen oder das Recht, an Behördenkonferenzen (conferenza dei servizi) teilzunehmen.[242]

c) Typen des Verwaltungsverfahrens

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Das Verwaltungsverfahren in Deutschland ist „einfach, zweckmäßig und zügig“ durchzuführen (§ 10 VwVfG) und in der Regel nicht förmlich. Als Sonderformen existieren nach Maßgabe spezialgesetzlicher Anordnung das förmliche Verwaltungsverfahren (§§ 63ff. VwVfG) und das Planfeststellungsverfahren (§§ 72ff. VwVfG), in dessen Zentrum eine weite Öffentlichkeitsbeteiligung steht.[243] Den meisten Verwaltungsrechtsordnungen Europas sind gesetzlich geregelte besondere Typen des Verwaltungsverfahrens hingegen fremd.[244] Wo es – wie in Frankreich oder Großbritannien – an einer Kodifikation des Verwaltungsverfahrens fehlt, könnte man allerdings auch davon sprechen, dass es so viele Typen von Verwaltungsverfahren gibt wie Verwaltungsentscheidungen.[245]

6. Europäisierung und Anpassungsbedarf

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Der Anpassungsbedarf der einzelnen nationalen Verwaltungsrechtsordnungen im Hinblick auf die Europäisierung fällt naturgemäß unterschiedlich aus. Signifikante Veränderungen haben sich etwa mit Blick auf den Ausbau der Verfahrensrechte sub specie Art. 41 GRCh und 6 EMRK, mit Blick auf den Stellenwert der Prozeduralisierung, im Hinblick auf die Gewichtung von Legalitätsprinzip und Vertrauensschutzgesichtspunkten und bei der Rekonstruktion des Vergaberechts ergeben bzw. zeichnen sich für die Zukunft ab.

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So statuiert Art. 41 Abs. 2 GRCh Ansprüche auf Anhörung, Akteneinsicht und Begründung, die nicht alle nationalen Verwaltungsrechtsordnungen kennen bzw. kannten. Er enthält damit eine Art Mindestgarantie für das Verwaltungsverfahren im europäischen Rechtsraum.[246]

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Da das Unionsrecht zudem stärker als das Verwaltungsrecht der meisten kontinentaleuropäischen Staaten auf Verfahrensförmigkeit und -gerechtigkeit ausgerichtet ist, haben Instrumente wie die Umweltverträglichkeitsprüfung[247] oder der Umweltinformationsanspruch nach der Richtlinie 90/313/EWG den Prozeduralisierungsgedanken in den Mittelpunkt eines modernen unionalen (Umwelt-)Verwaltungsrechts gerückt. Auch mit der Beteiligung der Öffentlichkeit und Instrumenten wie der Verbandsklage[248] tut sich das Unionsrecht leichter als das nach wie vor primär auf materielle Richtigkeit ausgerichtete nationale Verwaltungsrecht.

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Das Unionsrecht misst dem Legalitätsprinzip und mit ihm dem (unionalen) Vollzugsinteresse (Effektivitätsgrundsatz) ein hohes Gewicht zu; zurückstehen darf es grundsätzlich nur, wenn rechtlich geschützte Belange des Vertrauensschutzes seiner Durchsetzung widerstreiten. Das hat in Deutschland, das im Bereich des Vertrauensschutzes nach dem Zweiten Weltkrieg einen Sonderweg eingeschlagen hatte, zu einer weitgehenden Überformung der die Rücknahme von Verwaltungsakten regelnden Bestimmungen (§§ 48ff. VwVfG) in unionsrechtlichen Angelegenheiten geführt.[249]

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Im Bereich des Vergaberechts schließlich hat das Unionsrecht vielfach zu einer rechtsstaatlichen Durchdringung und jedenfalls bereichsspezifischen Rekonstruktion des Verwaltungsvertragsrechts gezwungen. Für die meisten nationalen Verwaltungsrechtsordnungen lassen sich heute insoweit spezifische Gesetze nachweisen, die den wesentlichen Grundsätzen des unionalen Vergaberechts – Transparenz, Diskriminierungsfreiheit und die Anerkennung individueller Rechte der Bieter – Rechnung zu tragen suchen.[250] Diese Europäisierung war so erfolgreich, dass sich mittlerweile die Frage stellt, ob sie nicht eine übermäßige Bürokratisierung des Rechtsgebietes bewirkt hat, die nicht zuletzt auch für das Scheitern mancher Großprojekte verantwortlich zeichnet.

Einführung › § 73 Grundzüge des Verwaltungsrechts in Europa – Problemaufriss und Synthese › VI. Verwaltungsrecht und Demokratieprinzip

VI. Verwaltungsrecht und Demokratieprinzip

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Öffentliche Verwaltung im europäischen Rechtsraum bedarf der demokratischen Legitimation und Kontrolle. Dies setzt – um die Zurechnung der Verwaltungstätigkeit zum Volk zu gewährleisten – typischerweise eine effektive politische Steuerung voraus. In Deutschland, wo dieser Gesichtspunkt in den vergangenen 20 Jahren wohl am intensivsten diskutiert worden ist,[251] verlangt die Rechtsprechung insoweit ein hinreichendes demokratisches Legitimationsniveau, das mit Hilfe institutioneller, materieller (sachlich-inhaltlicher) oder personeller Legitimationsmechanismen sichergestellt werden kann[252] und dessen Absenkung, sogenannte Einflussknicks,[253] der Rechtfertigung bedarf.

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Instrumente demokratischer Legitimation und Kontrolle der Verwaltung und ihrer politischen Steuerung sind das Gesetz (dazu unter 1.), das Budget (dazu unter 2.) und die Ausübung von Aufsichts- und Weisungsrechten (dazu unter 3.) sowie der Rückgriff auf sonstige Steuerungsinstrumente (dazu unter 4.). Soweit deren Leistungsfähigkeit in den vergangenen Jahrzehnten nachgelassen hat, bieten sich weitere Instrumente zum Ausgleich von Einflussknicks an (dazu unter 5.).

1. Gesetz

a) Zentrales Steuerungsinstrument der parlamentarischen Demokratie

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Unverändert ist das Gesetz das wichtigste Instrument zur Steuerung der Verwaltung durch das Parlament. Das parlamentarisch beschlossene Gesetz ist insoweit nicht nur ein Instrument zur Bindung und Beschränkung der Exekutive, sondern auch zur Verwirklichung des demokratisch gebildeten Mehrheitswillens durch die Verwaltung (Legalitätsprinzip, Vorrang des Gesetzes).[254] Je enger das Gesetz das Verwaltungshandeln bindet, je bestimmter es ausfällt (Bestimmtheitsgebot), umso intensiver und präziser ist auch die parlamentarische Steuerung der Verwaltung, umso höher das demokratische Legitimationsniveau ihrer Entscheidungen.[255] Dabei ist Verwaltung, die sogenannte gesetzesakzessorische Verwaltung eingeschlossen, natürlich immer auch eigenständige Konkretisierung des Rechts und insoweit mehr als bloßer Gesetzesvollzug. Diese Einsicht ist allen Verwaltungsrechtsordnungen in Europa vertraut.[256]

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Als zentrales Steuerungsinstrument der Verwaltung in der parlamentarischen Demokratie erhält das Gesetz durch den Vorbehalt des Gesetzes („riserva di legge“) eine noch größere Bedeutung. Ursprünglich auf Eingriffe in Freiheit und Eigentum bezogen,[257] wurde dieses Institut in Deutschland mit der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten sogenannten Wesentlichkeitsdoktrin seit den 1970er-Jahren auf alle für das Zusammenleben in der Gesellschaft bedeutsamen Fragen ausgedehnt und entsprechende Maßnahmen an eine hinreichend bestimmte gesetzliche Ermächtigung gebunden.[258] Das kann im Einzelfall auf einen Parlamentsvorbehalt hinauslaufen und hat der Einsicht den Weg geebnet, dass sich der Vorbehalt des Gesetzes auch unter dem Blickwinkel des Demokratieprinzips (re-)konstruieren lässt.[259] Eine in gewisser Weise parallele, weil den Anwendungsbereich des Vorbehalts des Gesetzes ausdehnende Entwicklung lässt sich für Italien und die Rechtsprechung der Corte costituzionale nachweisen.[260]

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Waren die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und ihre Konkretisierung im Vorrang und im Vorbehalt des Gesetzes ursprünglich ein Produkt des Konstitutionalismus und Kern des Rechtsstaatsprinzips im formalen Sinne schlechthin,[261] so haben sie nach 1945 eine zusätzliche Verankerung im Demokratieprinzip erfahren.[262] Vor diesem Hintergrund liegt es auf der Hand, dass auch wesentliche Organisationsentscheidungen wie die Gründung juristischer Personen des öffentlichen Rechts oder die Beleihung Privater einem institutionellen Gesetzesvorbehalt unterliegen.[263]

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Die Steuerung der Verwaltung durch das Gesetz erfolgt zwar idealtypisch mit Hilfe abstrakt-genereller Regelungen. Der Gesetzgeber kann allerdings auch zur Regelung konkret-individueller Einzelfälle Gesetze erlassen – Maßnahmegesetze (leggi provvedimenti)[264] oder Planungs- und Investitionsmaßnahmegesetze[265] – und auf diese Weise materiell verwaltend tätig werden. Um die damit verbundene Verkürzung des Rechtsschutzes auszugleichen, sind einige Verfassungsgerichte dazu übergegangen, materielle Anforderungen an das Verwaltungshandeln wie das Abwägungsgebot u.ä. auch an derartige Gesetze zu stellen.[266]

b) Erosionstendenzen

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Konstitutionalisierung, Europäisierung, Internationalisierung und Privatisierung haben die Steuerungskraft des Gesetzes geschwächt. Vor allem der Anwendungsvorrang des Unionsrechts hat dazu beigetragen, dass sich das parlamentarische Gesetz vom vorrangigen Steuerungsinstrument der Verwaltung mehr und mehr zu einem Zufallsgenerator gewandelt hat und die Institute des Vorrangs und Vorbehalts des Gesetzes erodieren.[267] Die demokratische Steuerung der Verwaltung wird damit zunehmend prekär.

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Begrenzte Möglichkeiten der Gegensteuerung bietet die Beteiligung der nationalen Parlamente an der europäischen Rechtsetzung in der sogenannten aufsteigenden Phase (upstream phase, fase ascendente), wie sie heute in Art. 12 EUV und den Protokollen über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union und über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit niedergelegt und mittlerweile auch in fast allen Verfassungen der Mitgliedstaaten der EU verankert ist.[268]

2. Budget

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Die Bewilligung des Budgets und seine Ausgestaltung im Detail ermöglichen dem Parlament eine wirkungsvolle Steuerung der Verwaltung. Mit dem Haushalt, der teilweise im Wege eines Haushaltsgesetzes festgestellt wird,[269] entscheidet das Parlament über die personellen und sachlichen Ressourcen der Verwaltung sowie über Art und Umfang der nicht gesetzesakzessorischen Leistungsverwaltung.[270]

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Durch eine kontinuierliche Begleitung des Haushaltsvollzuges, Rechnungskontrolle und Entlastung, in einigen Verwaltungsrechtordnungen auch durch Genehmigungserfordernisse für größere Dispositionen u.a.m.[271] kontrollieren die Parlamente in der Regel durch besondere Ausschüsse ferner die Ausführung des Budgets und üben auf diese Weise einen nicht geringen Einfluss auf die Verwaltung aus.[272]

3. Bürokratische Steuerung der Verwaltung

a) Weisungsabhängigkeit der Verwaltung

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Ein wichtiger Aspekt der demokratischen Legitimation der Verwaltung ist ihre Kontrolle durch Regierung und Parlament. Zentrale Bedeutung kommt dabei zum einen der parlamentarischen Verantwortlichkeit der Regierung zu,[273] die sich durch ein Bündel von Informations-, Kontroll- und Sanktionsbefugnissen des Parlaments gegenüber der Regierung auszeichnet,[274] zum anderen der Unterordnung der Verwaltung unter die Regierung.[275] Die parlamentarische Steuerung und Kontrolle der Verwaltung setzt daher grundsätzlich einen hierarchischen Verwaltungsaufbau und eine Legitimationskette zwischen dem Minister und seinen nachgeordneten Mitarbeitern voraus sowie eine effektive (Dienst-)Aufsicht der übergeordneten und Weisungsabhängigkeit der nachgeordneten Behörden.[276] Abweichungen von diesem Modell bedürfen zumindest sachlicher Gründe.[277]

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Ob und inwieweit diese, in Deutschland, Österreich und Spanien aus dem demokratischen, in Frankreich aus dem republikanischen Prinzip abgeleiteten Anforderungen auch in der Verwaltungsrealität eine Rolle spielen, lässt sich nicht klar beantworten. Während in Deutschland und Österreich die Umwälzungen nach 1918, 1945 und 1989 die alten Verwaltungseliten, wenn nicht beseitigt, so doch geschwächt haben und der nach 1949 entstandene Parteienstaat und die mit ihm verbundene Ämterpatronage den Selbststand der Verwaltung nachhaltig geschwächt haben, konnte sich in Frankreich in Fortführung monarchisch-etatistischer Traditionen seit dem 19. Jahrhundert ein „pouvoir administratif“ herausbilden und erhalten, der einer parlamentarisch-politischen Steuerung der Verwaltung bis heute tendenziell zuwiderläuft.[278]

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In Großbritannien, Italien (dirigenza amministrativa)[279] und Schweden finden sich im Übrigen sogar – in jüngerer Zeit eingeführte –Konstruktionen, die die öffentliche Verwaltung dem Einfluss der Regierung absichtlich weitgehend entziehen, um einen entpolitisierten – technokratischen – Verwaltungsvollzug sicherzustellen. Demokratiedefizite werden damit (erstaunlicherweise) nicht verbunden.[280]