Ius Publicum Europaeum

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c) Anpassungsstrategien und -probleme mit Blick auf den europäischen Rechtsraum

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Die geringe Leistungsfähigkeit der griechischen öffentlichen Verwaltung, die seit dem Beitritt Griechenlands zu den Europäischen Gemeinschaften (1.1.1981) auch das Gemeinschafts- bzw. Unionsrecht vollziehen muss, hat immer wieder zu neuen Reformbestrebungen in der griechischen Verwaltung geführt, die zuweilen auch mit Hilfe internationaler Organisationen (OECD) vorgenommen und innenpolitisch sogar als „Neugründung des Staates“ (επανίδρυση του κράτους) propagiert wurden.[106] Dazu zählen u.a. die Gründung des Nationalen Zentrums für Öffentliche Verwaltung und Selbstverwaltung (Εθνικό Κέντρο Δημόσιας Διοίκησης και Αυτοδιοίκησης), die Einrichtung eines an den Lehren des New Public Management orientierten, zielgerichteten und messbaren Verwaltungssystems, die Einführung neuer Dienstgrade und Dienstposten bzw. -stellen, die Förderung von öffentlich-privaten Partnerschaften, die Steigerung der Transparenz beim Abschluss von Verwaltungsverträgen, die Verringerung der Zahl der einzuholenden Bescheinigungen und Unterschriften für den Erlass von einfachen Bescheiden, die Verbreitung von Formen des elektronischen Regierens, die Schaffung von Bürger-Service-Zentren (Κέντρα Εξυπηρέτησης Πολιτών), vielfältige Maßnahmen zum Abbau von Bürokratie, zur Herstellung von mehr Bürgernähe und zur Verbesserung der Staat-Bürger-Beziehungen und nicht zuletzt das noch laufende revidierte Verwaltungsreformprogramm 2007–2013.[107] Das griechische Verwaltungssystem scheint also alle typischen institutionellen und organisatorischen Strukturmerkmale aufzuweisen, welche sich die meisten Verwaltungen der EU-Mitgliedstaaten um die Jahrhundertwende auch im Zuge der „Lissabon-Strategie“ (2000–2010) und mittlerweile der Strategie „Europa 2020“ (2010–2020) für die Umsetzung der Unionsziele anzueignen haben.

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Dass eine deutliche Verbesserung dennoch nicht eintreten will, hat verschiedene endogene wie exogene Gründe, die die Reformfähigkeit des griechischen Verwaltungssystems überhaupt in Frage stellen. Die griechische Verwaltung bleibt sehr zentralistisch aufgebaut, ist schwerfällig, stark bürokratisch, wenig entscheidungsfreudig, kaum innovativ, von der Parteipolitisierung sowie von vermeintlichen oder tatsächlichen Korruptionsskandalen und Bestechungsaffären erdrückt und vom verfassungsrechtlich gebotenen Leistungsprinzip bzw. Befähigungsgrundsatz (αρχή της αξιοκρατίας) weit entfernt. Die wiederholten Interventionen des Gesetzgebers bleiben stets Teil-Reformen, sind hauptsächlich verfahrensrechtlicher Natur, haben selten einen umfassenden und langfristigen, sondern eher nur einen fragmentarischen und kurzatmigen Charakter und stoßen meist auf heftigen Widerstand. Vor allem die Leistungsbereitschaft und -moral sowie der Glaube an eine zukunftsträchtige Entwicklung im griechischen öffentlichen Dienst haben sehr darunter gelitten.[108] Dass es auch besser gehen kann, zeigen der nicht vor allzu langer Zeit erreichte Beitritt Griechenlands zur Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (1.1.2001) und die erfolgreiche Durchführung der Olympischen Spiele von Athen (2004). Aber die chronischen Schwächen der griechischen öffentlichen Verwaltung sind nicht nachhaltig behoben und haben negative Auswirkungen auch auf die Staatsfinanzen. Letztere haben sich besonders nach der noch anhaltenden globalen Wirtschaftskrise von 2008 dramatisch verschlechtert, vor allem im Hinblick auf die Staatsschulden und das Staatsdefizit. Das Land stand seit dem Frühjahr 2010 wiederholt kurz vor dem Staatsbankrott, der nur noch mit der finanziellen Hilfe und Solidarität der Mitgliedstaaten der Eurozone und des Internationalen Währungsfonds (IWF) vorerst abgewendet werden konnte. So hat Griechenland einen Notkredit in Milliardenhöhe vom derzeitigen Europäischen Krisen- oder Hilfsfonds bzw. „Rettungsschirm“, der sogenannten „Europäischen Finanzstabilitätsfazilität“ (EFSF), aufnehmen müssen und führt seitdem ein sehr hartes Spar- und Sanierungsprogramm durch. Das Programm enthält eine Fülle von strukturellen Reformen und Konsolidierungsmaßnahmen auch organisationsrechtlicher Art,[109] und seine Ausführung wird streng überwacht und ständig aktualisiert. Diese durchgreifenden Reformen und Sparmaßnahmen waren eigentlich längst fällig und müssen diesmal tatsächlich rasch und konsequent umgesetzt werden, damit sie in absehbarer Zeit zum erwünschten Erfolg führen. Bis dahin wird sich Griechenland in einem singulären langwierigen finanziellen Ausnahmezustand befinden, der sicherlich alle politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kräfte in Anspruch nehmen und der griechischen Bevölkerung viele große Opfer abverlangen wird. Dazu soll Griechenland nach den Beschlüssen des Euro-Gipfeltreffens vom 26.10.2011 einen zweiten enormen Notkredit aufnehmen, einen Schuldenschnitt von über 50% mit seinen privaten Gläubigern aushandeln und ein EU/IWF-Wirtschaftsanpassungsprogramm durchführen, um seine Schuldenlast bis zum Jahr 2020 auf 120% des Bruttoinlandsprodukts zu senken.[110] Dieses Programm wurde inzwischen nach den Beschlüssen der Euro-Gruppe vom 26.11.2012 durch ein Bündel von weiteren Maßnahmen ergänzt, das u.a. einen Rückkauf griechischer Staatsanleihen von privaten Investoren zum Marktwert, Zinsstundungen für Hilfskredite vom EFSM und längere Darlehenslaufzeiten beinhaltet und die zu erzielende Verringerung der Schuldenquote auf 124% der Wirtschaftsleistung bis zum Jahr 2020 revidiert. Bei der technischen Umsetzung dieses ehrgeizigen Anpassungsprogramms wird das Land auf Anfrage der griechischen Regierung durch eine von der Europäischen Kommission eingerichtete Task-Force für Griechenland unterstützt, die bereits ihren vierten Vierteljahresbericht (April 2013) vorgelegt hat. Die Lage bleibt freilich infolge der langjährigen Rezession und der dramatisch gestiegenen Arbeitslosigkeit besonders bei der Jugend außerordentlich schwierig und heikel.

2. Verfahren und Instrumente

a) Grundlagen des Verwaltungsverfahrensrechts

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Das griechische Verwaltungsverfahrensrecht bleibt weitgehend unkodifiziert. Das Verwaltungsverfahren ist in einigen Verfassungsbestimmungen und vor allem in einer großen Anzahl von Spezialgesetzen geregelt und wurde durch eine umfangreiche Rechtsprechung besonders des Staatsrates ausgestaltet und fortentwickelt. Im Jahr 1999 ist zwar ein Verwaltungsverfahrensgesetz (Κώδικας Διοικητικής Διαδικασίας)[111] erlassen worden, aber dieses Gesetz hat einen sehr beschränkten Inhalt, übernimmt nur einen Teil der durch die Rechtsprechung entwickelten Grundsätze und wiederholt bereits geltende Vorschriften neuerer Gesetze. Es ignoriert zudem völlig das Unionsrecht und andere europäische Rechtsordnungen, enthält kaum nennenswerte neue Regelungen zur Lösung nicht geregelter oder offener Fragen, nimmt von modernen Problemen keine Notiz und lebt eigentlich in der Vergangenheit. Sein Beitrag zur Bewältigung des Alltags der Verwaltung ist gering und seine Existenzberechtigung fraglich.[112] Deshalb hat sich die Rechtslage auch nach seinem Erlass kaum geändert. Die Verfassung gewährleistet allgemein das Recht eines jeden oder auch mehrerer gemeinsam, sich schriftlich unter Beachtung der Gesetze an die Behörden zu wenden (Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Verf.), und das Recht auf rechtliches Gehör des Betroffenen bei jeder Tätigkeit oder Maßnahme der Verwaltung zu Lasten seiner Rechte oder Interessen (Art. 20 Abs. 2 Verf.). Der Staatsrat legt seinerseits darüber hinaus besonderen Wert u.a. auf die Einhaltung der Zuständigkeits-, Unparteilichkeits- und Unbefangenheitsregeln, der Regeln über die Zusammensetzung und Funktion der Kollegialorgane, der Bekanntgabe- und Veröffentlichungsregeln und der Begründungspflicht beim Erlass von (individuellen) Verwaltungsakten. Hinzu gekommen ist in jüngerer Zeit auch das gesetzlich gewährte Recht jedes Interessierten auf Akteneinsicht. Die Unzuständigkeit und der Verstoß gegen wesentliche Form- oder Verfahrenserfordernisse stellen eigenständige Aufhebungsgründe vor dem Staatsrat dar und werden unter der Rubrik „Voraussetzungen der externen oder formellen Rechtmäßigkeit der Verwaltungsakte“ behandelt.[113] Eine Beteiligung von Betroffenen an Verwaltungsverfahren sowie Rechte und Pflichten von Verfahrensbeteiligten sind nicht allgemein vorgesehen. Förmliche Verwaltungsverfahren, Planfeststellungsverfahren, Massenverfahren, „public inquiries“ und andere Verfahrenstypen sind im griechischen Verwaltungsrecht ebenfalls unbekannt.[114]

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Während das griechische Verwaltungsverfahrensrecht über die Bestimmungen der Art. 10 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 2 Verf. hinaus keine allgemeingültige Regelung über die Beteiligung von Betroffenen an Verwaltungsverfahren kennt, beinhalten weder das allgemeine Petitionsrecht noch das Recht auf vorherige Anhörung des Betroffenen als solche ein Recht auf Beteiligung am Verwaltungsverfahren. Selbst das Anhörungsrecht (δικαίωμα ακροάσεως), das in diesem Sinne ausgebaut werden könnte, wird von der Rechtsprechung des Staatsrates eng ausgelegt und auf die Adressaten von (individuellen) Verwaltungsakten beschränkt. Das ist nicht nur auf die allgemeine Formulierung der Verfassung, sondern auch auf die theoretische Konzeption des Rechts auf vorherige Anhörung als eines fundamentalen Verteidigungsrechts (δικαίωμα υπερασπίσεως, droit de la défense) gegenüber den Verwaltungsbehörden zurückzuführen.[115] So findet Art. 20 Abs. 2 Verf. grundsätzlich nur auf von Amts wegen ergehende belastende individuelle Ermessensentscheidungen der Verwaltung Anwendung, bei denen der Betroffene keine Gelegenheit gehabt hat, sich zu äußern. Dagegen bedarf es in der Regel bei Rechtsverordnungen und bei begünstigenden oder gebundenen oder auf objektiven Gegebenheiten beruhenden oder auf Antrag ergehenden (individuellen) Verwaltungsakten keiner vorherigen Anhörung ihrer Adressaten. Die Anhörung kann ausnahmsweise auch unterbleiben, wenn die belastende Maßnahme zur Abwendung einer Gefahr oder im zwingenden öffentlichen Interesse sofort vorzunehmen ist.[116] Drittbetroffene, die von einer Handlung oder Unterlassung der Verwaltung in ihren Rechten oder Interessen berührt werden, ohne Adressaten zu sein, haben kein Anhörungsrecht und sind nur auf die Mittel der verwaltungseigenen und der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle angewiesen.

 

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Besondere Bedeutung kommt der Begründung (αιτιολογία) von (individuellen) Verwaltungsakten zu. Der Staatsrat hat schon in den ersten Phasen seiner Rechtsprechung ihre grundlegende Bedeutung anerkannt und eine Begründung verlangt, nicht nur wenn sie gesetzlich ausdrücklich vorgesehen ist, sondern auch, wenn die Begründungspflicht aus der Natur des Aktes resultiert. Letzteres ist etwa der Fall bei belastenden Verwaltungsakten, bei Verwaltungsakten, die von vorherigen Entscheidungen desselben Verwaltungsorgans oder von Stellungnahmen und Gutachten kollegialer Verwaltungsorgane abweichen, bei Verwaltungsakten, die auf der Grundlage von Vorschriften ergehen, die eine Ausnahme von der Regel statuieren, und nicht zuletzt bei Ermessensentscheidungen der Verwaltung. Der Kreis der begründungsbedürftigen Verwaltungsakte ist mittlerweile so breit, dass man die Regel aufstellen kann, dass jeder schriftliche Verwaltungsakt begründungspflichtig ist, auch wenn dies gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehen ist. In diesem Sinne bestimmt auch das Gesetz, dass der individuelle Verwaltungsakt eine Begründung enthalten muss.[117] Ausnahmsweise bedürfen – außer wenn das Gesetz dies vorschreibt – Rechtsverordnungen, Allgemein- bzw. Sammelverfügungen, automatisierte Bescheide sowie gebundene oder begünstigende (individuelle) Verwaltungsakte, die keine nachteiligen Auswirkungen für Dritte entfalten, keiner Begründung.[118]

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Auf der anderen Seite braucht nur die gesetzlich ausdrücklich gebotene Begründung, zumindest summarisch, im Text des Verwaltungsaktes selbst enthalten zu sein. In allen anderen Fällen reicht es nach der Rechtsprechung und dem Gesetz schon, wenn sich die aus der Natur des Aktes resultierende Begründung aus den Akten („Dossier“) ergibt.[119] Auf der Grundlage dieser Unterscheidung wird auch prozessrechtlich nach dem einschlägigen Aufhebungsgrund differenziert: Im ersten Fall stellt die Unterlassung einer gesetzlich ausdrücklich gebotenen Begründung einen von Amts wegen zu berücksichtigenden „Verstoß gegen ein wesentliches Formerfordernis“ dar, während im zweiten Fall die Unterlassung bzw. Verletzung der aus der Natur des Aktes heraus resultierenden Begründungspflicht als ein auf Antrag des Betroffenen hin zu untersuchender „materieller Gesetzesverstoß“ behandelt wird. In beiden Fällen bietet die Aufhebung eines Verwaltungsaktes wegen fehlender, unzureichender oder fehlerhafter Begründung dem Staatsrat oft die Möglichkeit einer milderen Form der Aufhebung besonders von ermessensfehlerhaften Verwaltungsentscheidungen, welche es der Verwaltung erlaubt, den Verwaltungsakt gegebenenfalls erneut, wenn auch diesmal mit einer anderen „tragfähigeren“ Begründung zu erlassen. Das liegt sogar nach dem Selbstverständnis des Staatsrates in der durch das Gewaltenteilungsprinzip gebotenen richterlichen Zurückhaltung (judicial self-restraint) begründet und lässt die Aufhebung wegen Begründungsmängeln praktisch zu einem verbreiteten eigenständigen Aufhebungsgrund „zweiter Kategorie“ avancieren.[120]

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Das Recht auf Akteneinsicht (δικαίωμα πρόσβασης σε έγγραφα) wurde erst durch Art. 16 G. 1599/1986 gewährt und ist nun in Art. 5 G. 2690/1999 allgemein vorgesehen.[121] [122] Danach hat „jeder Bürger“ bzw. „jeder Interessierte“ das Recht, von schriftlichen Verwaltungsdokumenten Kenntnis zu nehmen, an denen er ein „angemessenes“ oder „gerechtfertigtes Interesse“ hat, und zwar unabhängig davon, ob er an einem Verwaltungsverfahren beteiligt ist oder von einer Handlung der Verwaltung in seinen Rechten berührt wird. Dazu ist ein schriftlicher Antrag an die zuständige Behörde zu stellen, die dem Antragsteller entweder Einsicht in das Dokument in ihrer Geschäftsstelle und/oder eine Ablichtung (Kopie) des Dokuments auf seine Kosten zu gewähren hat, außer wenn die Vervielfältigung das Dokument beschädigen kann. Unter „Verwaltungsdokumenten“ sind alle Dokumente zu verstehen, die von den Verwaltungsbehörden des Staates, der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften und der anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts sowie von den Verwaltungsorganen der öffentlichen Unternehmen und der sonstigen Einrichtungen des öffentlichen Sektors ausgestellt werden. Darunter fallen nicht nur Rechtsverordnungen und (individuelle) Verwaltungsakte im technischen Sinne, also sogenannte „vollstreckbare Akte der Verwaltungsbehörden“,[123] sondern auch Beschlüsse, Erklärungen, Mitteilungen, Empfehlungen, Gutachten, Stellungnahmen, Berichte, Studien, Unterlagen, erteilte Informationen, Runderlasse, Verwaltungsvorschriften, Ermessensrichtlinien, statistische Angaben usw. Das Akteneinsichtsrecht erstreckt sich außerdem auf private Dokumente, die sich bei den oben genannten Verwaltungsbehörden und -organen befinden. Dabei geht es allerdings nur um Dokumente, an deren Kenntnis der Antragsteller ein „besonderes Interesse“ hat und die mit einer ihn betreffenden Angelegenheit zu tun haben, die vor ihnen anhängig oder von ihnen erledigt worden ist.

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Demgegenüber umfasst das Akteneinsichtsrecht nicht Dokumente, die das Privat- und Familienleben eines Dritten oder das von Spezialvorschriften vorgesehene Geheimnis betreffen. Die zuständige Behörde kann auch den Antrag auf Akteneinsicht zurückweisen, wenn sich das Dokument auf die Debatten des Ministerrates bezieht oder wenn die Einsicht die Ermittlungen von richterlichen, polizeilichen, militärischen oder sonstigen Verwaltungsbehörden zur Aufklärung einer Straftat oder eines Verwaltungsvergehens wesentlich erschweren kann. Weitere Einschränkungen können sich aus gegebenenfalls vorhandenen geistigen oder gewerblichen Eigentumsrechten ergeben. In jedem Einzelfall ist die Zurückweisung zu begründen und dem Antragsteller schriftlich innerhalb von zwanzig Tagen von der Einreichung des Antrags an bekannt zu geben. Die Ablehnung der Verwaltungsbehörde stellt einen (individuellen) Verwaltungsakt dar, der der Anfechtung vor den zuständigen Verwaltungsgerichten unterliegt und Schadensersatzansprüche wegen Staatshaftung begründen kann.[124] In der Praxis ist es auch üblich, die Aushändigung von Dokumenten oder die Gewährung von Ablichtungen auf Anordnung des Staatsanwalts auf der Grundlage von Art. 25 Abs. 4 Satz 2 Gerichtsorganisationsgesetz[125] zu erzwingen. Vor Gericht wird schließlich nach der Rechtsprechung ein besonderes In-camera-Verfahren eingeschaltet, um die Rechtmäßigkeit der Berufung der Verwaltung auf etwaige schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen zu überprüfen.[126]

b) Grundlagen der Verwaltungsinstrumente

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Unter den Rechtsformen des Verwaltungshandelns nimmt der Verwaltungsakt (διοικητική πράξη) traditionell eine dominierende Stellung ein. Darunter versteht auch die griechische Handlungsformenlehre nur hoheitliche Regelungen auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts, die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet sind. Der griechische Begriff des Verwaltungsaktes umfasst allerdings nicht wie im deutschen Recht nur Individualakte der Verwaltungsbehörden zur Regelung von Einzelfällen, sondern auch normative administrative Akte (Rechtsverordnungen oder Satzungen), die an eine unbestimmte Zahl von Personen adressiert sind und Rechtssätze enthalten: Im ersten Fall handelt es sich um individuelle Verwaltungsakte (ατομικές διοικητικές πράξεις) und im zweiten Fall um normative Verwaltungsakte (κανονιστικές διοικητικές πράξεις).[127] Zwischen Einzelakt und Norm bestehen freilich auch im griechischen Recht erhebliche und zahlreiche Unterschiede, die eine Unterscheidung zwischen diesen beiden administrativen Handlungsformen auch terminologisch durchaus rechtfertigen würden. Auf der anderen Seite beschränkt sich der griechische Begriff des Verwaltungsaktes ausschließlich auf einseitig-hoheitliche Regelungen und erstreckt sich nicht wie im französischen Recht auch auf verwaltungsrechtliche Verträge.[128] Zur Abgrenzung der letzteren von den Verwaltungsakten wird zudem herkömmlich der Begriff des „vollstreckbaren Verwaltungsaktes“ (εκτελεστή διοικητική πράξη) nach dem Vorbild der französischen décision exécutoire verwendet.[129] Im griechischen Verwaltungsrecht ist aber der Begriff des Verwaltungsaktes im technischen Sinne mit dem Begriff des „vollstreckbaren Verwaltungsaktes“ identisch. Ein „vollstreckbarer Verwaltungsakt“ ist ein Verwaltungsakt, und ein Verwaltungsakt ist ex definitione „vollstreckbar“, d.h. eine einseitig-hoheitliche Regelung. In diesem Sinne erklärt auch Art. 30 Verwaltungsverfahrensgesetz, dass im Rahmen dieses Gesetzes (G. 2690/1999) mit dem Begriff „Verwaltungsakt“ der vollstreckbare Verwaltungsakt gemeint ist.

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Individuelle wie normative („vollstreckbare“) Verwaltungsakte und verwaltungsrechtliche Verträge können gleichwohl nach der Rechtsprechung nur von Verwaltungsbehörden erlassen bzw. abgeschlossen werden, die Organe des Staates, der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften und der anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind. Organe von öffentlichen Unternehmen und sonstigen privatrechtlich organisierten Einrichtungen des öffentlichen Sektors können dagegen schon aus diesem Grund keine Verwaltungsakte erlassen und keine verwaltungsrechtlichen Verträge abschließen; ihre Akte und Verträge sind daher stets privatrechtlicher Natur.[130] Die griechische Rechtsprechung folgt hierbei nicht der europäischen und internationalen Rechtsentwicklung und stellt nach wie vor auf das formelle oder organisatorische Kriterium (τυπικό bzw. οργανωτικό κριτήριο) ab. Dieses Kriterium ist zwar relativ einfach zu handhaben, aber recht unbefriedigend und entspricht nicht der gegenwärtigen Verwaltungspraxis in Griechenland, wo, wie bereits erläutert, breite Felder der öffentlichen Verwaltung in den letzten Jahrzehnten privatrechtlich organisierten, aber staatlich kontrollierten öffentlichen Unternehmen in der Rechtsform von Aktiengesellschaften anvertraut wurden. Diese Rechtsprechung führt zudem zu einer umfangreichen „Privatisierung“ des öffentlichen Sektors und honoriert geradezu die Zielsetzung der öffentlichen Verwaltung, mit der Wahl privatrechtlicher Organisationsformen den öffentlich-rechtlichen Bindungen zu entgehen.[131] Richtig, wenn auch schwieriger anzuwenden, ist demgegenüber das materielle oder funktionale Kriterium (ουσιαστικό bzw. λειτουργικό κριτήριο), das nicht an die Rechtsform des Verwaltungsorgans, sondern maßgeblich an die Ausübung von öffentlicher Gewalt anknüpft. Die Rechtsprechung hält jedoch an dem formellen oder organisatorischen Kriterium fest und bedient sich der Konstruktion der sogenannten „juristischen Person gemischter oder zweifacher Natur“ (μεικτό bzw. διφυές νομικό πρόσωπο), wenn juristische Personen des Privatrechts gesetzlich eingeräumte hoheitliche Regelungsbefugnisse ausüben. Dabei handelt es sich um öffentliche Unternehmen und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Sektors, die im Prinzip dem Privatrecht unterstehen, aber ausnahmsweise bei der konkreten Ausübung solcher hoheitlichen Befugnisse (z.B. Enteignung) als Verwaltungsorgane von juristischen Personen des öffentlichen Rechts handeln. Insofern üben sie öffentliche Gewalt aus und können dann auch Verwaltungsakte erlassen und verwaltungsrechtliche Verträge abschließen.[132]

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Das Recht der Verwaltungsakte im dargelegten Sinne ist nicht viel anders als in den meisten europäischen Staaten ausgestaltet. Auf einige Besonderheiten soll hier jedoch hingewiesen werden: Nach der Verfassung können Rechtsverordnungen nur auf Grund und im Rahmen einer speziellen gesetzlichen Ermächtigung erlassen werden.[133] Speziell ist eine gesetzliche Ermächtigung, wenn sie nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt ist. Sie muss mit anderen Worten erkennen lassen, was, zu welchem Zweck und in welchem Umfang geregelt wird.[134] Adressat der gesetzlichen Ermächtigung ist in der Regel der Präsident der Republik, der seine Rechtsetzungsbefugnis auf Vorschlag des zuständigen Ministers und in der Form der Präsidialverordnung (προεδρικό διάταγμα) ausübt (Art. 43 Abs. 2 Satz 1 Verf.). Präsidialverordnungen, die Rechtssätze enthalten, bedürfen der präventiven Ausarbeitung durch den Staatsrat (vgl. Art. 95 Abs. 1 Buchstabe d Verf.). Diese gutachtliche Stellungnahme, die die einzige beratende Verwaltungskompetenz des griechischen Staatsrates darstellt, ist zwar inhaltlich nicht verbindlich, die Unterlassung ihrer Einholung kann aber zur gerichtlichen Aufhebung der Präsidialverordnung wegen Verstoßes gegen ein wesentliches Formerfordernis führen. Ausnahmsweise können auch andere Verwaltungsorgane zum Erlass von Rechtsverordnungen und Satzungen ermächtigt werden, aber nur, wenn es um die Regelung von besonderen Fragen oder von Fragen mit örtlichem Interesse oder mit technischem oder Detailcharakter geht (Art. 43 Abs. 2 Satz 2 Verf.). Hier kommen der Form nach Beschlüsse des Ministerrates bzw. der Regierung, einfache oder gemeinsame Ministerialerlasse, Entscheidungen der Generalsekretäre der dekonzentrierten Verwaltungen, der Regionalvorsteher u.a., Beschlüsse der Stadt- und Regionalräte, Satzungen oder andere normative Akte von juristischen Personen des öffentlichen Rechts, polizeiliche Anordnungen usw. in Betracht. Insbesondere kennt das griechische Recht keine „autonome“, d.h. von einer speziellen gesetzlichen Ermächtigung unabhängige Satzungsgewalt von Kommunalkörperschaften oder anderen Selbstverwaltungsträgern; ihre normativen Akte sind Rechtsverordnungen und Satzungen, die durch andere Verwaltungsorgane auf Grund und im Rahmen eines besonderen Ermächtigungsgesetzes gemäß Art. 43 Abs. 2 Satz 2 Verf. erlassen werden.[135]

 

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Auf der anderen Seite können vom Parlamentsplenum beschlossene Gesetze zum Erlass von Rechtsverordnungen über Fragen ermächtigen, die in den Ermächtigungsgesetzen nur dem Rahmen nach festgesetzt sind (Art. 43 Abs. 4 Satz 1 Verf.). In diesen Fällen handelt es sich – nach dem Modell der französischen lois-cadres[136] – um eine generelle Ermächtigung auf Grund von Rahmengesetzen (νόμοι πλαίσια), die allein dem Präsidenten der Republik erteilt werden kann. In einem solchen Rahmengesetz sind ferner die allgemeinen Grundsätze und Richtlinien der beabsichtigten Regelung zu bestimmen und zeitliche Grenzen für den Gebrauch der Ermächtigung zu setzen (Art. 43 Abs. 4 Satz 2 Verf.). Auch Fragen, die zur ausschließlichen Zuständigkeit des Parlamentsplenums gehören, können nicht Gegenstand eines Rahmengesetzes sein (Art. 43 Abs. 5 i.V.m. Art. 72 Abs. 1 Verf.).

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Normative Verwaltungsakte sind zwar ebenfalls „vollstreckbare Akte der Verwaltungsbehörden“, die der Aufhebungskontrolle des Staatsrates unterliegen (vgl. Art. 95 Abs. 1 Buchstabe a Verf.), aber nur individuelle Verwaltungsakte erwachsen in Bestandskraft (τεκμήριο νομιμότητας, βασική ισχύς). Die Rechtmäßigkeit von Rechtsverordnungen und Satzungen kann auch nach Ablauf der Anfechtungsfrist inzident überprüft werden, wenn auch die inzidente Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit lediglich zur gerichtlichen Aufhebung der sich auf sie stützenden und fristgemäß angefochtenen individuellen Verwaltungsakte, nicht aber der Rechtsverordnung oder Satzung selbst führt. Rechtsfehlerhafte normative wie individuelle Verwaltungsakte sind nach der Rechtsprechung in der Regel aufhebbar (ακυρώσιμες) und nur in wenigen Ausnahmefällen Nichtakte (ανύπαρκτες bzw. ανυπόστατες). Selbst Nichtakte können aber aus Rechtssicherheitsgründen gerichtlich „aufgehoben“ werden, wenn sie dem Schein nach die Form eines Verwaltungsaktes aufweisen und von der Verwaltung bereits angewandt wurden.[137] Nichtige (άκυρες) Verwaltungsakte werden dagegen von der Rechtsprechung nicht anerkannt. Im griechischen Verwaltungsprozessrecht ist insoweit auch keine eigenständige Feststellungsklage vorgesehen.

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Die Aufhebbarkeit von Verwaltungsakten durch die Verwaltung[138] ist im Grunde eine Ermessensfrage. Während normative Verwaltungsakte für die Zukunft (ex nunc) grundsätzlich frei aufhebbar bzw. abänderbar sind, können individuelle Verwaltungsakte unter Umständen auch rückwirkend (ex tunc) aufgehoben werden. Dabei ist auch im griechischen Verwaltungsrecht zum einen zwischen rechtswidrigen und rechtmäßigen und zum anderen zwischen belastenden und begünstigenden individuellen Verwaltungsakten zu unterscheiden: Die Rücknahme eines rechtswidrigen belastenden Verwaltungsaktes ist stets möglich und in einigen Fällen sogar geboten.[139] Ist der rechtswidrige individuelle Verwaltungsakt begünstigend, so ist seine Rücknahme aufgrund des Vertrauensschutzgrundsatzes nur innerhalb einer „angemessenen“ Zeit zulässig, es sei denn, dass die Rechtswidrigkeit auf das vorsätzliche Verhalten des Betroffenen zurückgeht oder die Rücknahme im öffentlichen Interesse geboten ist. Das Notgesetz 261/1968 sieht vor, dass die angemessene Zeit „nicht kürzer als fünf Jahre ist“ und dass die Rücknahme „ohne jegliche Folge“ für den Staat erfolgt. Es ist zweifelhaft, ob dieser pauschale Haftungsausschluss mit der wohl nicht nur prozessual zu verstehenden Gewährleistung des Rechts auf gerichtlichen Rechtsschutz gemäß Art. 20 Abs. 1 Verf. vereinbar ist. Der Widerruf rechtmäßiger individueller Verwaltungsakte ist bei belastenden Akten stets möglich, bei begünstigenden jedoch nur bei Widerrufsvorbehalt im Verwaltungsakt selbst, im Gesetz oder wenn der Widerruf aus Gründen des öffentlichen Interesses geboten ist.[140]

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Im Mittelpunkt des griechischen Verwaltungsvertragsrechts stehen bislang vor allem die Verträge über öffentliche Arbeiten, staatliche Beschaffungsaufträge und Dienstleistungen sowie die Konzessions- bzw. Beleihungsverträge, die auch in Frankreich traditionell kraft Gesetzes (par détermination de la loi) oder von Natur aus (par nature) als contrats administratifs angesehen werden.[141] Zu deren Abgrenzung von den privatrechtlichen Verträgen der öffentlichen Hand wird sogar nach der Rechtsprechung nicht nur das organisatorische, sondern – in enger Anlehnung an die Abgrenzungskriterien des französischen Rechts[142] – auch das funktionale Kriterium kumulativ angewandt: Danach handelt es sich um einen verwaltungsrechtlichen Vertrag (διοικητική σύμβαση), wenn er vom Staat bzw. von kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften oder anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts abgeschlossen wird und wenn der Vertrag inhaltlich einem im öffentlichen Interesse liegenden Zweck unmittelbar dient sowie seine Durchführung einem besonderen oder außerordentlichen Regime von Privilegien und Verpflichtungen unterliegt, die der Ausübung von öffentlicher Gewalt entsprechen bzw. gleichkommen.[143] Bis auf den einschlägigen Rechtsweg[144] spielt jedoch die Qualifizierung solcher Verträge – der in Frankreich eine vom griechischen und deutschen Recht erheblich abweichende Bedeutung des Begriffs des Vertrages (Art. 1101 Code Civil) zugrunde liegt – als privat- oder verwaltungsrechtlich in materiellrechtlicher Hinsicht kaum eine Rolle, denn in beiden Fällen gelten die gleichen Spezialgesetze, einschließlich des Unionsrechts, für die Verträge über die Ausführung von öffentlichen Arbeiten und die Beschaffungs- und Dienstleistungsverträge der öffentlichen Hand.[145] In der Rechtslehre wird daher die Meinung vertreten, dass ein verwaltungsrechtlicher Vertrag immer, aber auch nur dann vorliegt, wenn er sich auf ein verwaltungsrechtliches Rechtsverhältnis bezieht und Rechte und Pflichten auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts zum Gegenstand hat.[146] Diese wohl richtige Lehrmeinung hat sich allerdings noch nicht durchgesetzt.