Ius Publicum Europaeum

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bb) Die Dezentralisierung

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Der Wunsch nach Dezentralisierung ist alt. Er äußert sich zunächst in einer Raumordnungspolitik, die in einem engen Zusammenhang mit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg steht und die Entwicklung der Idee der Region und schließlich ihre Einrichtung als juristische Person des öffentlichen Rechts im Jahre 1972 sowie städteplanerische Maßnahmen ermöglicht, aus denen schließlich neue Städte hervorgehen. Auch die Politik der Verlagerung von Behörden aus Paris in andere Gebiete (délocalisation) folgt Dezentralisierungsbestrebungen. Freilich ist die Dezentralisierung des Betriebs nicht gleichbedeutend mit der Dezentralisierung von Befugnissen. Erst die Kritik an der Effektivität der öffentlichen Behörden, die insbesondere das schlechte Verhältnis zwischen Verwaltung und administrés in den Blick nimmt, führt dazu, dass nach dem Machtwechsel von 1982, der die Linke an die Macht bringt, und nach mehreren gescheiterten Versuchen (Verfassung vom 27.10.1946, Referendum vom 27.4.1969, Gesetzesvorhaben betreffend die Entwicklung örtlicher Verantwortlichkeit von 1979), schließlich eine Politik der Dezentralisierung auf den Weg gebracht wird.

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Der Grundstein wird ungewöhnlich schnell durch die Verabschiedung mehrerer Gesetze in den Jahren 1982 und 1983 gelegt:[53]

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Erstens erhält die Region den Status einer Gebietskörperschaft.[54] Zweitens führt das Prinzip der freien Verwaltung durch gewählte Versammlungen[55] zur flächendeckenden Einführung des Prinzips gewählter Exekutivorgane für alle Gebietskörperschaften: Der Präfekt, bis dahin Exekutivorgan des Departements, verliert diese Funktion. Drittens erfolgt zur Entlastung des Zentrums blockweise eine umfassende Übertragung von Befugnissen; zugleich erhalten die Gebietskörperschaften eigene Verantwortung und Mittel. Nunmehr „regeln die Gemeinden, die Departements und die Regionen durch ihre Beschlüsse die Angelegenheiten in ihrem Zuständigkeitsbereich“.[56] Viertens erhalten die bis dahin unterfinanzierten Gebietskörperschaften eine Mittelpauschale, die ihre Finanzierung sicherstellen und die mit staatlichen Hilfen strukturell einhergehenden Verpflichtungen vermeiden soll. Fünftens werden die Aufsichtsbehörden (tutelles) abgeschafft und durch eine gerichtliche Kontrolle der Verwaltung und ihrer Finanzen ersetzt. Die Verwaltungsakte der dezentralisierten Behörden sind grundsätzlich von Amts wegen vollstreckbar; lediglich die wichtigsten Akte bedürfen einer vorherigen Übermittlung an den Präfekten als Vertreter des Staates. Hält dieser sie für rechtswidrig, kann er sie dem Verwaltungsgericht vorlegen und erforderlichenfalls ihre Aufhebung beantragen.

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Die einmal erreichten Fortschritte werden nicht mehr nach jedem politischen Machtwechsel wieder in Frage gestellt; sie werden sogar ausgebaut. So fördern das Gesetz vom 6.2.1992 über die territoriale Verwaltung der Republik und, dieses Mal nicht auf gesetzlicher, sondern auf verfassungsrechtlicher Ebene, das konstitutionelle Gesetz vom 28.3.2003 die lokale Demokratie.[57] So werden die Information und die Befragung der Einwohner gestärkt. Insbesondere besteht nun die Möglichkeit, neben den eigentlichen örtlichen Befragungen Referenden durchzuführen. Auch werden die gewählten Minderheitsvertreter besser geschützt (Gesetz vom 13.8.2004). Sodann wird die Zusammenarbeit zwischen den Gebietskörperschaften durch die Einführung neuer Rechtsformen ausgebaut. Im Mittelpunkt stehen neue Arten von Körperschaften (wie die Gemeindeverbände und Vereinigungen auf örtlicher Ebene). Schließlich wird durch die Anerkennung überseeischer Körperschaften eine weitere wichtige Hürde genommen (Art. 72–3 CF). Sie führt zu einer größeren Autonomie innerhalb der Republik, auch normativ. So erlaubt die Berücksichtigung der Besonderheiten der betroffenen Regionen Ausnahmen vom Prinzip der Einheitlichkeit, das das französische Recht der territorialen Verwaltungsorganisation nach wie vor prägt. Entsprechendes gilt für Korsika, Paris und die Pariser Region, denen wegen ihrer geographischen und historischen Besonderheiten ebenfalls ein besonderer Status eingeräumt wird.

cc) Die Dekonzentration

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Schon in der III. Republik kommt es zu richtungsweisenden Gesetzen (Gesetz vom 10.8.1871 und Gesetz vom 5.4.1884), die den Wahlgrundsatz innerhalb der Departements und Gemeinden verankern, dabei zugleich den Präfekten als Vertreter des Staates zur Exekutive des Departements erklären und ihre Zuständigkeiten festlegen. Auch wenn diese Gesetze ihrem Anschein nach dezentralisierend wirken, bedeuten sie doch nicht das Ende der Zentralisierung. Vielmehr gewinnt der Präfekt, der vor allem während des Zweiten Kaiserreichs und infolge der Politik der Dekonzentration stetig an Macht gewonnen hatte, im 20. Jahrhundert angesichts der Entwicklung öffentlicher Interventionen und seiner Zuständigkeit für die Aufsicht über die örtlichen Behörden noch an Bedeutung. Er wird als eine Art Regierungschef auf örtlicher Ebene zu einem Symbol der Staatsmacht im institutionellen System (Pierre-Laurent Frier, Jacques Petit).[58] Die Dezentralisierung geht einher mit der verfassungsrechtlichen Anerkennung staatlichen Handelns auf territorialer Ebene durch dekonzentrierte Behörden, deren Leiter und Koordinator der Präfekt ist: „In den Gebietskörperschaften der Republik trägt der Vertreter des Staates als Vertreter eines jeden Regierungsmitglieds die Verantwortung für die nationalen Interessen, die Verwaltungsaufsicht und die Einhaltung der Gesetze“ (Art. 72 Abs. 6 CF). Es geht darum, die Kohärenz staatlichen Handelns dadurch zu wahren, dass ein Vertreter der Zentralmacht auf Ebene der Departements und der Regionen vorhanden ist. Gleichzeitig wird dem Präfekten die Aufgabe übertragen, Beziehungen zwischen dem Staat und den dezentralisierten Körperschaften zu gewährleisten.

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Die am 1.7.1992 auf Grundlage des Gesetzes über die territoriale Verwaltung der Republik verabschiedete Charta der Dekonzentration bestimmt die Dekonzentration zur „allgemeinen Regel“ der Aufgaben- und Mittelverteilung unter den verschiedenen Ebenen der staatlichen Zivilverwaltung.[59] Die zentrale Verwaltung soll demgegenüber auf nationaler Ebene „eine Planungs-, Leitungs-, Steuerungs- und Kontrollfunktion“ wahrnehmen. Diese Verwaltungsarchitektur sowie die Restrukturierung der Behörden auf Ebene der Departements – das Departement als Verwaltungsbezirk ist die Grundebene des Dekonzentrationsprinzips – sind seit der Umbildung des örtlichen Verwaltungsapparats im Jahre 1992 Gegenstand verschiedener Anpassungsreformen gewesen, vor allem seit 2004. Auch wenn die Aufwertung des Präfekten unbestritten und gefestigt ist, zeigt die betriebene Politik doch, wie schwer Dekonzentration in einem Land mit einer starken zentralistischen Tradition ist. Nichtsdestotrotz bleibt festzuhalten: Obwohl es infolge der Spielregeln einer hierarchischen Verwaltungsorganisation „immer derselbe Hammer bleibt, der zuschlägt, auch wenn man seinen Stiel verkürzt“ (Odilon Barrot), führt die Dekonzentration doch zumindest zu einer größeren Effizienz des Verwaltungshandelns durch die Verringerung von Verfahren, Fristen und Kosten, die Berücksichtigung der örtlichen Umstände, die Förderung von Initiativen und die Stärkung von Verantwortlichkeit.

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Diese Fortschritte, die Frankreich „aus der Fassung gebracht“ haben (Pierre Legendre), stoßen immer noch auf Hindernisse, so dass der Eindruck entsteht, Frankreich habe keineswegs von seiner zentralistischen Tradition Abstand genommen. Ganz abgesehen davon, dass es aus soziologischen und psychologischen Gründen lange dauert, bis der Umbruch vollzogen ist, und ferner der Umstand, dass die Franzosen sehr am Gleichheitsgrundsatz hängen, der dem Dezentralisierungsprozess in vielerlei Hinsicht nicht zuträglich ist, sind zahlreiche Probleme noch nicht behoben. Zwei Beispiele illustrieren dies. Zum einen erscheint die Zahl der Verwaltungsebenen – gerade im europäischen Vergleich – übertrieben. In Frankreich existieren mindestens vier Verwaltungsebenen (Staat, Regionen, Departements und Gemeinden), unter Berücksichtigung der gemeindlichen Zusammenarbeit sogar fünf; dabei sind Kooperationen auf Ebene der Departements und Regionen noch nicht berücksichtigt. Die Abschaffung einer dieser Verwaltungsebenen, in der Regel der Departements, wird zwar in regelmäßigen Abständen vorgeschlagen, bis heute jedoch ohne Erfolg.[60] Zum anderen bestehen zwischen den Gemeinden angesichts ihrer großen Zahl (38.000), die letztlich hinter der Politik der gemeindlichen Zusammenarbeit steht, erhebliche Unterschiede, die einer leistungsfähigen Verwaltung entgegenstehen und den Grundsatz der freien Verwaltung von Gemeinden mit weniger als 2.000 Einwohnern – das heißt von fast 90% der Gemeinden – ein wenig illusorisch erscheinen lassen.

b) Welche Verfassung des öffentlichen Dienstes?

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Der Aufbau des öffentlichen Dienstes steht in engem Zusammenhang mit seinen historischen und politischen Entstehungsvoraussetzungen. Er wird durch die Besonderheiten der Beziehung zwischen dem Beamten (fonctionnaire) und seinem „Arbeitgeber“ beherrscht, die einerseits darauf beruhen, dass Letzterer mit der Befriedigung des allgemeinen Interesses eine besondere Aufgabe verfolgt, andererseits darauf, dass der Beamte weder ein einfacher Angestellter noch ein Bürger wie jeder andere sein kann. Die Berücksichtigung dieser spezifischen sozialen Voraussetzungen verschafft dem Beamten einen besonderen rechtlichen Status, in dessen Zentrum der service public steht.

 

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Die besondere soziale Stellung des Beamten wird rechtlich sehr früh berücksichtigt. So sah schon die Verfassung von 1848 vor, dass die Voraussetzungen für die Ernennung und Entlassung der Beamten durch Gesetz geregelt werden müssten – was nicht geschah. Ferner wurde in bruchstückhaften Verordnungstexten für das Personal bestimmter Verwaltungsbehörden der III. Republik festgelegt, dass ihre Bindung an die Verwaltung nicht durch Vertrag erfolgen dürfe: Die Ernennung ist ein einseitiger Akt, durch den der Beamte in einen gesetzes- und verordnungsrechtlichen Status eingesetzt wird. Nach einem ersten Text, der unter dem Vichy-Regime erlassen und nach der Befreiung Frankreichs für nichtig erklärt worden war, wurde durch das Gesetz vom 19.10.1946 ein allgemeines Beamtenstatut (statut général des fonctionnaires) eingeführt. Seither haben sich weitere Statute (zunächst das Statut von 1959 und schließlich das heute gültige Statut in der Fassung der Gesetze von 1983, 1984 und 1986)[61] der Aufgabe angenommen, die Rechtsstellung des Beamten und die Rahmenbedingungen des öffentlichen Dienstes festzulegen. Die rechtliche Entwicklung hat zum Übergang von einer Konzeption „Beamter als Untertan“ zu einer Konzeption „Beamter als Bürger“ geführt. Neben das allgemeine Statut treten verordnungsrechtliche besondere Statute (statuts particuliers) für einzelne Beamtengruppen. Die Regelungen gelten für alle Mitglieder des öffentlichen Dienstes in einem besonderen Statusverhältnis (agents statutaires), die zum größten Teil Beamte (fonctionnaires), aber auch Hilfskräfte (auxiliaires) und Auszubildende (stagiaires) sind. Darüber hinaus beeinflussen sie die Regelungen für die Angestellten im öffentlichen Dienst. Bemerkenswert ist, dass die (vor allem soziale) Weiterentwicklung des Beamtenstatuts die arbeitsrechtliche Gesetzgebung beeinflusst hat. Heute beeinflussen sich das Recht des öffentlichen Dienstes und das private Arbeitsrecht wechselseitig.

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Es bleibt festzuhalten, dass sich das Beamtenrecht vom privaten Arbeitsrecht unterscheidet, um den Anforderungen des service public Rechnung zu tragen, ohne dass dies die demokratischen Rechte des Beamten als Staatsbürger beeinträchtigt. Ein besonderes Beamtenstatut ist dadurch gerechtfertigt, dass widersprüchlichen Erfordernissen Rechnung getragen werden muss. Es führt aber im Namen der Grundsätze der Gleichheit und Einheit, auf denen es beruht, zu Unbeweglichkeit und Ineffizienz. Wenn eine Modernisierung des öffentlichen Dienstes geboten ist, was ohne Zweifel der Fall ist, so sind es die Grundlagen des öffentlichen Dienstes, die, getragen von der liberalen Ideologie, grundsätzlich in Frage gestellt werden müssen.

aa) Staatsbürgerschaft und öffentlicher Dienst

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Die Unterordnung der Verwaltung unter die Politik, die aus Art. 20 CF folgt, äußert sich vor allem in der Ablehnung einer vertraglichen Anstellung des Beamten an Stelle des gesetzes- und verordnungsrechtlich vorgesehenen besonderen Statusverhältnisses. Das Laufbahnsystem gründet auf dem Leistungsprinzip und trennt zwischen Dienstgrad und Dienstposten. Es soll durch eine Professionalisierung des öffentlichen Dienstes dessen Trennung von der politischen Macht gewährleisten. Der Beamte, der als eine Art unkündbarer Bevollmächtigter in die Verwaltungshierarchie eingeordnet ist, durchläuft ein Auswahlverfahren und steigt entsprechend einer Laufbahngarantie in Abhängigkeit von Dienstalter und Leistung auf, alles unter Berücksichtigung des Gleichheitsgrundsatzes. Er genießt wie jeder Bürger Rechte und Freiheiten, darunter Meinungs- und Redefreiheit, Koalitionsfreiheit und Streikrecht, ferner alle staatsbürgerlichen Rechte. Dennoch setzt das Beamtenstatut als „Gesetz“ des service public diesen Rechten und Freiheiten Grenzen, die für alle Beamten gelten: Neutralitäts-, Verschwiegenheits- und Diskretionspflichten, Einschränkungen des Streikrechts u.a. Im Gegenzug und angesichts der Eigenart seiner Aufgabe steht der Beamte bei Ausübung seiner Tätigkeit unter dem Schutz der Verwaltung.[62] Die vertraglich angestellten Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes (auf öffentlich-rechtlicher Grundlage im service public administratif und auf privatrechtlicher Grundlage im service public industriel et commercial) können wegen der Besonderheiten des service public ebenfalls besonderen Verpflichtungen unterworfen werden. Insbesondere müssen sie die „Gesetze“ des service public beachten, also égalité (Gleichheit), continuité (Kontinuität) und mutabilité (Wandelbarkeit).

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Die durch Statut vorgegebene Uniformität des öffentlichen Dienstes ändert freilich nichts daran, dass tatsächlich Unterschiede innerhalb des öffentlichen Dienstes bestehen, was zur Ineffektivität des Verwaltungshandelns führt.

bb) Uniformität und Effizienz

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Hinter der scheinbaren Uniformität des öffentlichen Dienstes existiert ein Mosaik aus Statuten (Sonderstatute, Ausnahmestatute, Spezialstatute, autonome Statute), das darauf zielt, den jeweiligen Aufgaben besser gerecht zu werden. Diese Situation führt aber auch zu Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Verwaltungsführung (sowohl mit Blick auf die interministerielle Abstimmung als auch mit Blick auf Unterschiede bei Besoldung und Beförderung) und der Mobilität zwischen den (staatlichen und territorialen) öffentlichen Diensten, die durch die statutarische Uniformität erreicht werden soll. Ferner folgt aus der Zunahme abweichender Statute eine Schichtung des öffentlichen Dienstes, die der Anpassung und Modernisierung der Verwaltung schadet, zumal die Beamtenverbände für diese Schichtung eintreten und sich in gewerkschaftlichen Kämpfen aufreiben – sowohl um Privilegien zu verteidigen als auch um neue Forderungen vorzubringen. Auch besteht im höheren öffentlichen Dienst eine größere Abhängigkeit von der politischen Macht.[63] Und im niedrigeren öffentlichen Dienst wird zunehmend auf Bedienstete ohne besonderes Statusverhältnis zurückgegriffen (u.a. Aushilfskräfte, sonstige Hilfskräfte, Angestellte), was es erlaubt, weniger Sicherheit zu gewähren. Beide Aspekte vermitteln dem service public einen gewissen Beigeschmack. Unter diesen Abweichungen ist die Uniformität Gegenstand eines echten Wandlungsprozesses; sie steht in der Kritik, der Effizienz der Verwaltung abträglich zu sein.[64]

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So werden die Praxis der allen Franzosen und allen Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union[65] offen stehenden Auswahlverfahren,[66] die auf Generalisten zielten und damit weder technischen Sachverstand noch Motivation oder Initiative gewährleisteten, sowie die Rigidität der Statute hinsichtlich Besoldung und Beförderung, die die Beamten kaum zu einer kontinuierlichen Weiterbildung ermunterten, in Frage gestellt. Ferner besteht ein Ungleichgewicht zwischen der wenig mobilen und nicht gut ausgebildeten unteren Verwaltung und dem höheren öffentlichen Dienst an der Spitze der Verwaltung, der überqualifiziert ist, hohes Ansehen genießt und dessen Angehörige während der Laufbahn über viele Möglichkeiten auch jenseits des öffentlichen Dienstes verfügen. Auch die Voraussetzungen für eine Beförderung werden bemängelt, weil sie zum einen an das Dienstalter anknüpfen und damit Verantwortungslosigkeit und Amtsmüdigkeit fördern, und zum anderen das Leistungsprinzip dadurch verfälscht wird, dass sich das Dienstalter gegenüber dem Verdienst durchsetzen kann. Im Übrigen ist eine Berücksichtigung des Leistungsprinzips dadurch weitgehend ausgeschlossen, dass die Besoldung nach der einheitlichen Staffelung von den erbrachten Leistungen unabhängig ist.

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Das Erfordernis einer Staatsreform, die das Verwaltungsmanagement fördern soll, und die Anforderungen des Unionsrechts[67] führen dazu, dass eine stärkere Einbindung des Rechts des öffentlichen Dienstes in das Privatrecht ins Auge gefasst wird. Diese Entwicklung könnte zu einer tiefgreifenden Veränderung der Organisation, der Mechanismen und der Strukturen des französischen öffentlichen Dienstes führen. Sie birgt die Gefahr einer Abkehr von seinen Grundprinzipien.[68]

2. Der Fortbestand der administrativen Gewalt

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Als Recht des Verwaltungshandelns, das auf die Verwirklichung des Gemeinwohls gerichtet ist, ist das Verwaltungsrecht insofern ein Recht der Ungleichheit, als es der öffentlichen Gewalt Vorrechte einräumt. Voraussetzung wirksamen Verwaltungshandelns ist ein verfahrensrechtlicher Rahmen, der zugleich Garantien zugunsten der administrés enthält.

a) Verwaltungsakte und Verträge als Ausdruck administrativer Gewalt

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Um ihre Ziele verwirklichen zu können, genießt die Verwaltung bestimmte Vorrechte. Diese sind Ausdruck einer gewissen Autonomie im Vergleich zu den Handlungen Privater. Die Vorrechte sollten freilich nicht überbewertet werden, da die moderne Verwaltung sich vielfach der Handlungsmodi Privater bedient; dies ändert aber nichts daran, dass sie Macht ausübt.[69] Die Verwaltung verfügt über rechtliche Instrumente, die es ihr ermöglichen, Widerstand zu überwinden und einen Verwaltungsakt trotz dessen gerichtlicher Anfechtung zu vollziehen.[70] Darüber hinaus genießt sie das Vorrecht einseitigen Handelns (l’action unilatérale). Spuren dieses Vorrechts finden sich auch im vertraglichen Handeln. Insgesamt vermitteln die Konzeption und die Durchsetzung der Verwaltungsakte und Verwaltungsverträge einen Eindruck davon, wie öffentliche Gewalt ausgeübt wird.

aa) Identifizierung

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Die Befugnis zu einseitigem Handeln wird häufig als Eigenheit des Verwaltungsrechts dargestellt, als ein Vorrecht der Verwaltung, über das Private, deren Rechtsbeziehungen auf Willensübereinstimmungen beruhen, nicht verfügen. Damit wird nicht nur verkannt, dass auch das Privatrecht Befugnisse zu einseitigem Handeln kennt (u.a. die freiwillige Anerkennung eines unehelichen Kindes, die Änderung des rechtlichen Status eines Kindes durch Erklärung der Mündigkeit, Erlass einer Geschäftsordnung durch den Chef eines Unternehmens), sondern auch, dass die Verwaltung – mit Blick auf Maßnahmen zur Verbesserung der Beziehungen zwischen der Verwaltung und den administrés – in ihrem Wunsch nach Effektivität darauf abzielt, dass ihre Akte von den Betroffenen akzeptiert werden, und daher auf Anhörungen und Absprachen zurückgreift. Einseitige Akte[71] unterliegen also keinem öffentlich-rechtlichen Monopol, auch wenn sie das klassische Instrument administrativen Handelns sind. Sind sie nicht durch Gesetze oder Verordnungen besonders qualifiziert, drücken Akte und Verträge administrative Gewalt aus. Diese Gewalt beruht konzeptionell auf zwei Grundbegriffen des Verwaltungsrechts: der puissance publique und dem service public.

71

Auch wenn eine Vermutung dafür streitet, sind nicht alle Entscheidungen, die administrative Organe der juristischen Personen des öffentlichen Rechts treffen, Verwaltungsakte. Hingewiesen sei nur auf Legislativ- und Judikativakte. Ferner sind bestimmte Rechtsakte auch dann, wenn sie von einer Verwaltungsbehörde ausgehen, der Natur der jeweiligen Tätigkeit nach keine Verwaltungsakte: Regierungsakte, Akte, die sich auf die Tätigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit beziehen,[72] Entscheidungen ohne Regelungsgehalt, die sich auf das privatrechtliche Handeln der juristischen Personen des öffentlichen Rechts beziehen, Entscheidungen ohne Regelungsgehalt, die sich auf industrielle und gewerbliche services publics beziehen. Umgekehrt können unter bestimmten Voraussetzungen auch Entscheidungen von Privaten Verwaltungsakte sein, wenn diese mit der Erbringung eines service public betraut sind.[73] Soweit eine Verwaltungsbehörde tätig wird, haben solche Entscheidungen verwaltungsrechtlichen Charakter, die im Zusammenhang mit der ihr übertragenen Erbringung von services publics getroffen werden.[74] Es genügt aber nicht, dass ein service public erbracht wird: Auch wenn das Kriterium des „service public“ eine wichtige Rolle spielt, darf das Kriterium der „puissance publique“ nicht unberücksichtigt bleiben, obwohl die Gerichte es nicht ausdrücklich erwähnen. Es kann hinzutreten und sogar das Kriterium des „service public“ ersetzen, was kaum überrascht, wenn man bedenkt, dass die mit der puissance publique verbundenen Vorrechte genügen, um eine auf Private übertragene Tätigkeit von allgemeinem Interesse als Teil des service public anzuerkennen. Weil hier Private als Akteure und das Prinzip, nach dem industrielle und gewerbliche services publics auf privatrechtlicher Grundlage erbracht werden, zusammentreffen, sind Verwaltungsakte aber selten: Alle einzelfallbezogenen Entscheidungen im Zusammenhang mit der Leistungserbringung haben privatrechtlichen Charakter (insbesondere Entscheidungen, die Nutzer und Bedienstete betreffen). Nur Regelungen, die die Organisation der Dienstleistungen betreffen, haben administrativen Charakter.[75]

 

72

Wenn das Gesetz sie nicht ausdrücklich als Verwaltungsverträge bezeichnet (wie das u.a. bei Verträgen über öffentliche Bauarbeiten, bei Verträgen über die öffentliche Inanspruchnahme, öffentlichen Aufträgen, der Übertragung von services publics und Partnerschaftsverträgen der Fall ist), folgt die Unterscheidung von privatrechtlichen Verträgen und Verwaltungsverträgen subtilen Regeln, die zum Teil schlicht eine öffentlich-rechtliche „ambiance“ für maßgeblich erklären.

73

„Ein Vertrag, der zwischen zwei juristischen Personen des öffentlichen Rechts abgeschlossen wird, hat grundsätzlich Verwaltungscharakter, so dass über Streitigkeiten über die Verletzung daraus resultierender Verpflichtungen die Verwaltungsgerichtsbarkeit entscheidet, sofern nicht in Anbetracht des Vertragsgegenstands zwischen den Vertragsparteien ausschließlich privatrechtliche Beziehungen entstanden sind.“[76] Auf dieser Grundlage wird bei einem „Zusammentreffen zweier öffentlich-rechtlicher Handlungen normalerweise“ der verwaltungsrechtliche Charakter des Vertrags vermutet. Dennoch ist auch der Vertragsinhalt nicht ohne Bedeutung. Wird ein Vertrag zwischen zwei Privaten abgeschlossen, ist die Vermutung seines privatrechtlichen Charakters widerlegt, wenn eine Vertragspartei „durch die Verwaltung“ zum Vertragsschluss bestimmt worden ist, mithin „auf Rechnung“ einer juristischen Person des öffentlichen Rechts gehandelt hat.[77] Folglich ist ein Vertrag zwischen einer juristischen Person des öffentlichen Rechts und einem Privaten ein Verwaltungsvertrag, wenn er einer Regelung unterliegt, die vom Privatrecht abweicht. Er unterliegt einer solchen Regelung, wenn sein Vertragsinhalt es rechtfertigt. Das ist in zwei Konstellationen der Fall: Zunächst ist ein Vertrag Verwaltungsvertrag, wenn er „die Erfüllung eines service public“ überträgt.[78] Ferner liegt ein Verwaltungsvertrag vor, wenn das Vertragsverhältnis aufgrund der Vertragsbestimmungen oder der Vertragsbedingungen vom Privatrecht abweicht.[79] Das ist der Fall, wenn der Vertrag übermäßig viele Klauseln aus dem Privatrecht enthält, aber auch bei bestimmten Modalitäten, nach denen das Verhältnis zwischen den Vertragsparteien organisiert ist. Der Richter sucht also in den Verträgen nach Elementen, die erkennen lassen, dass sie dem öffentlichen Recht unterliegen, und begründet so ihre Autonomie.