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b) Die approche contentieuse des Verwaltungsrechts

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Als Recht des Verwaltungshandelns, das in der Republik auch zum Recht des Schutzes der administrés wird, entwickelt sich das Verwaltungsrecht aus der Kontrollfunktion: Weil es seine wichtigste Quelle in der Tätigkeit der Verwaltungs- gerichtsbarkeit fand, ist es ursprünglich eng mit dem Studium des Verwaltungsrechtsstreits verbunden. Methodisch resultiert daraus ein besonderes Verwaltungsrechtsverständnis. Dieses beruht auf der Tatsache, dass eine Kodifikation fehlt, und der Vorstellung, dass das Verwaltungsrecht besonders schwer zu fassen ist. Diese Vorstellung, die allgemein als Charakteristikum des Verwaltungsrechts gilt, führt dazu, dass sich das Studium des Verwaltungsrechts auf die Analyse seiner später als essentiell bezeichneten Quelle stützt: der Rechtsprechung.

aa) Ein nicht kodifiziertes Recht

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Das Verhältnis zwischen Kodifikationsidee und Verwaltungsrecht ist zumindest konfliktbeladen. Sehr früh hat sich daher die Überzeugung durchgesetzt, das Verwaltungsrecht widersetze sich jeder Kodifizierung, und noch heute wird allgemein gelehrt, eines der wichtigsten Merkmale des französischen Verwaltungsrechts sei, im Gegensatz zum Privatrecht, sein richterrechtlicher Charakter. Auch durch die Wiederbelebung der Kodifikationsidee für Teilbereiche des Verwaltungsrechts seit 1989 (u.a. Code général des collectivités locales und Code de justice administrative) hat sich die grundsätzliche Frage nach der Möglichkeit einer Kodifizierung des Verwaltungsrecht in Frankreich nicht erledigt.

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Das Hauptargument gegen die Kodifizierung des Verwaltungsrechts ist unverändert geblieben, wie die in einem Abstand von 100 Jahren entstandenen Arbeiten der beiden Juristen Edouard Laferrière und Raymond Odent zeigen. Odent, Präsident der section du contentieux des Conseil d’État (für Rechtsprechung zuständige Sektion des Conseil d’État) stellt der „Rigidität des geschriebenen Rechts“ als Ursache von Versteinerung die Flexibilität des Richterrechts als Urheberin von „Fortschritt“ gegenüber. Dieser Ansatz klingt wie ein Echo auf die Arbeiten von Laferrière, der im Verwaltungsrecht aufgrund der „Fülle der Texte, der Vielfalt ihrer Ursprünge und ihrer fehlenden Abstimmung untereinander“ die Rechtsprechung für unentbehrlich hält, da „nur sie allein dauerhaften Prinzipien und kontingenten Bestimmungen Rechnung tragen, eine Hierarchie der Texte etablieren und dort, wo diese Lücken aufweisen, unklar oder unzureichend sind, durch Rückgriff auf allgemeine Rechtsprinzipien oder Billigkeitserwägungen Abhilfe schaffen kann“.[33] Aus der Feder zweier herausragender Mitglieder des Conseil d’État stammend, sind beide Äußerungen Stützen eines Programms, das die Rolle der Verwaltungsgerichtsbarkeit bei der Schaffung des Verwaltungsrechts herausstellt.[34] Mit anderen Worten: Die Kodifikationsidee erscheint als Bedrohung der historisch gewachsenen und akzeptierten Rolle der Rechtsprechung bei der Ausgestaltung des französischen Verwaltungsrechts.

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Die Gegenüberstellung einer Erzeugung von Verwaltungsrecht durch Normtexte und durch Rechtsprechung, der mutmaßliche Niedergang seines richterrechtlichen Charakters sowie die Vorstellung, dass die Kodifizierung den Richter zu einer Autorität ohne Macht mache, sind jedenfalls angreifbar. Dennoch nähren diese Annahmen (noch) die Vorbehalte gegen eine Kodifizierung des Verwaltungsrechts. In diesem Zusammenhang wird auch die Frage nach der Reichweite der Befugnisse des Verwaltungsrichters und mit ihr die Frage nach der Stellung des Conseil d’État aufgeworfen.

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Als ein wesentlicher Erzeuger (sowohl in der beratenden als auch in der rechtsprechenden Funktion) und als wichtigster Interpret des Verwaltungsrechts sieht sich der Conseil d’État tatsächlich in doppelter Hinsicht gestört: einerseits durch das Inkrafttreten von Normen, auf deren Entstehung er kaum Einfluss genommen hat (weil sie supranationalen Ursprungs sind oder auf den Gesetzgeber oder das Verfassungsrecht zurückgehen), andererseits durch die Konkurrenz der europäischen Richter (die Gerichtshöfe in Luxemburg und Straßburg) und des Conseil constitutionnel auf nationaler Ebene. Dies führt zu einer Neuausrichtung der Quellen des Verwaltungsrechts. Auch wenn diese Neuausrichtung die traditionelle Rolle der Rechtsprechung keineswegs in Frage stellt, führt sie beim Betrachter doch zu Unsicherheiten im Zusammenhang mit dem Aufbau der Normen und der Methode, die angewendet werden muss, um ein Rechtsgebiet zu erfassen, das, um nur ein Beispiel zu nennen, weiterhin die Wiederbelebung der Kodifikationsidee forciert.[35] Die Entwicklungen in diesem Bereich wirken destabilisierend und deuten auf die Notwendigkeit der Erneuerung bestehender oder der Entwicklung neuer Analysewerkzeuge auf Seiten der Rechtswissenschaft hin. Am wichtigsten aber sind die Harmonisierung der Quellen des Verwaltungsrechts mit denen der anderen Rechtsgebiete und die Schließung der Kluft zwischen den Quellen und Methoden des öffentlichen Rechts und des Privatrechts.

bb) Anpassungen der Verwaltungsrechtsprechung

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Der Dualismus der Gerichtsbarkeiten, der der Verwaltung einen besonderen Richter gibt, der lange Zeit der hauptsächliche Erzeuger von Verwaltungsrecht war, hat sich in der französischen Rechtslandschaft etabliert, vor allem dank seiner Fähigkeit, sich den demokratischen Anforderungen anzupassen. Die gerichtliche Bindung der Verwaltung an das Recht resultiert aus der ständigen Erweiterung der Kontrollinstrumente und der Ausdehnung des Kontrollumfangs. Seit zwanzig Jahren ist die Verwaltungsrechtsprechung nun auf nationaler Ebene demokratischen Anforderungen und auf supranationaler Ebene den Anforderungen des Straßburger Gerichtshofs ausgesetzt, der Druck auf ihre Organisation, ihre Funktionsweise und ihre Rechtsprechung ausübt.

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Die Langsamkeit der Verwaltungsrechtsprechung wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bereits sanktioniert. Unter Bezugnahme auf Art. 6 Abs. 1 EMRK hat der Gerichtshof Frankreich mehrfach wegen unangemessener Verzögerung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen verurteilt.[36] Diese Entscheidungen haben verschiedene Reformen angestoßen, die zu einer Reduzierung der durchschnittlichen Verfahrensdauer auf ein Jahr geführt haben. Die damaligen organisatorischen Reformen der Verwaltungsgerichtsbarkeit haben den Conseil d’État an die Spitze der Verwaltungsgerichtsbarkeit gesetzt. Seine doppelte Funktion wurde gewahrt, so dass er als Berater der Exekutive und seit der Verfassungsänderung vom Juli 2008, wenn auch eher beiläufig, als Berater des Parlaments an der Entwicklung des Rechts mitwirkt.[37] Derzeit ist die allgemeine Verwaltungsgerichtsbarkeit[38] folgendermaßen aufgebaut: Eingangsinstanz sind die 1953 eingerichteten tribunaux administratifs (Verwaltungstribunale).[39] Ihre Urteile können vor den 1987 eingerichteten cours administratives d’appel (Verwaltungsberufungsgerichte) mit der Berufung angefochten worden.[40] Die Berufungsurteile wiederum können Gegenstand eines recours en cassation (Revision) vor dem Conseil d’État sein. Der Conseil d’État hat sich daneben im Zuge der Reformen bestimmte weitere Zuständigkeiten als Eingangs-, Berufungs- und Schlussinstanz bewahrt.[41] Die letzte Umgestaltung der Gerichtsordnung (1987) ist zudem Ausgangspunkt einer Verbesserung der Verwaltungsrechtsprechung gewesen, die sich an der in diesem Rechtsgebiet außergewöhnlichen Beschleunigung der Reformen ablesen lässt: Ermächtigung zu Anweisungen gegenüber der Verwaltung (injonctions) und zur Verhängung von Zwangsgeldern (astreinte), Einführung von Eilverfahren (procédures d’urgence) u.a. Dazu gehören auch rechtliche Fortschritte, die auf Initiativen der Richter zurückgehen. Drei Beispiele sind in dieser Hinsicht bedeutend. Zunächst kann das allgemeine Interesse die vorübergehende Aufrechterhaltung der rechtlichen Wirkungen eines Verwaltungsakts nach seiner Aufhebung erzwingen, ohne dass dadurch das Prinzip außer Kraft gesetzt würde, nach dem ein aufgehobener Verwaltungsakt so zu behandeln ist, als hätte es ihn nie gegeben. Der Verwaltungsrichter kann folglich die zeitlichen Wirkungen einer Aufhebungsentscheidung unter bestimmten Voraussetzungen ändern.[42] Diese Entwicklung ist Teil einer allgemeinen Veränderung der Rolle des Verwaltungsrichters, der jetzt der tatsächlichen Durchsetzung seiner Entscheidung und den insoweit zur Verfügung stehenden Mitteln größere Aufmerksamkeit schenkt. Auch schenkt der Verwaltungsrichter der Kontrolle der Vereinbarkeit nationaler Gesetze mit internationalen Vereinbarungen („conventionnalité“) größere Aufmerksamkeit:[43] Zum einen prüft er die Vereinbarkeit französischen Rechts mit Unionsrecht (Verträge und all- gemeine Grundsätze des Unionsrechts entsprechend der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union) und die Frage, ob es einen dem als verletzt gerügten Verfassungsgrundsatz entsprechenden Grundsatz des Unionsrechts gibt. Ist dem so, hat er zu prüfen, ob die Richtlinie gegen Primärrecht verstößt. Existiert hingegen im Unionsrecht kein dem geltend gemachten Verfassungsgrundsatz entsprechender Grundsatz, hat der Richter zu prüfen, ob die streitige Regelung mit der Verfassung vereinbar ist oder nicht. Zum anderen hat der Conseil d’État anerkannt, dass der nationale Gesetzgeber für Gesetze verantwortlich ist, die gegen internationale Verpflichtungen Frankreichs verstoßen, insbesondere solche aus der Europäischen Menschenrechtskonvention.[44] Schließlich dehnt der Verwaltungsrichter die Kontrolle der Verwaltung auf zwingende Vorgaben des Europarechts aus. So hat sich die Verwaltungsgerichtsbarkeit für eine Beschränkung verwaltungsinterner Maßnahmen (mesures d’ordre intérieur) eingesetzt, vor allem im Bereich des Strafvollzugs. In Fortentwicklung der Entscheidungen Hardouin und Marie aus dem Jahre 1995[45] wurde in mehreren Entscheidungen – unter ihnen auch die des Conseil d’État vom 14.12.2007[46] – anerkannt, dass bestimmte Entscheidungen im Strafvollzug, die die Situation der Häftlinge betreffen, belastend sind und daher im Wege des recours pour excès de pouvoir angegriffen werden können. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass für die Frage, ob eine bestimmte Entscheidungskategorie im Bereich des Strafvollzugs dem verwaltungsinternen Bereich zuzuordnen ist oder nicht, ihre Natur und die Bedeutung ihrer Auswirkungen maßgeblich sind.

 

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Angriffe gegen die Verwaltungsgerichtsbarkeit vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte haben zu einer Diskussion über die Funktionsweise der Verwaltungsgerichte geführt, die auf einem subtilen, über Jahre hergestellten Gleichgewicht beruht und daher nur schwer zu begreifen ist. In der Folge kam es zu einer Konfrontation zwischen nationalen und konventionsrechtlichen Ansätzen. Vor dem Hintergrund des Art. 6 Abs. 1 EMRK, aus dem er das Recht auf einen unabhängigen und unparteiischen Richter in Verwaltungsangelegenheiten ableitet, ist der Straßburger Gerichtshof zu der Überzeugung gelangt, dass die institutionelle Unabhängigkeit der Mitglieder des Conseil d’État und seine Doppelfunktion für sich nicht gerügt werden könnten, wohl aber Mängel bei Anwendung der théorie des apparences (Theorie des Anscheins, nach der ein Richter befangen ist, wenn nach dem äußeren Eindruck eines vernünftigen Dritten Zweifel an seiner Objektivität bestehen) bestünden. Es bleibt festzuhalten, dass zwar ein großer Teil der Beratungsfunktion einen gewissen Schutz genießt, die zurückhaltende Lösung aber die Doppelfunktion des Conseil d’État nicht vollständig absichern konnte. Allem Anschein nach entsteht eine solche Absicherung aber gerade.[47] Ebenso war die Einrichtung des commissaire du gouvernement (unabhängiger Berichterstatter, der einen Entscheidungsvorschlag in der mündlichen Verhandlung unterbreitet) bei den Verwaltungsgerichten heftiger Kritik ausgesetzt. Der Gerichtshof hat Veränderungen verlangt, die so umfassend sind, dass sie eine Tradition zu beseitigen drohen, die den Conseil d’État und die französische Verwaltungsrechtsprechung prägt. Der französische Staat reagiert darauf durch verschiedene Reformen. Die letzte war ein Dekret vom 7.3.2008, das zu einer verstärkten organisatorischen Trennung der Funktionen des Conseil d’État geführt hat.[48]

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Neben diese Beseitigung spezifischer Charakteristika der französischen Verwaltungsgerichtsbarkeit tritt Konkurrenz im Bereich der Verwaltungskontrolle, insbesondere durch das Eingreifen und die Vermehrung unabhängiger Verwaltungsbehörden, die im Raum zwischen Verwaltung und Gerichtsbarkeit agieren, aber auch durch den zunehmenden Rückgriff auf den Vertrag als Handlungsmodus der öffentlichen Hand. Der Vertrag verdrängt Formen hierarchischer Kontrolle und ersetzt die klassischen Kontrollverfahren. Darunter leidet die privilegierte Stellung des Conseil d’État im Hinblick auf die Anwendung verwaltungsrechtlicher Normen erheblich: Innerhalb der Verwaltung angesiedelt und von der aktiven Verwaltung getrennt, gewährleistete er eine administrative Rechtserzeugung. Diese ist heute durch die mitunter freiwillige, mitunter aber auch erzwungene Annäherung an das europäische Recht bedroht.

Erster Teil Landesspezifische Ausprägungen › § 75 Grundzüge des Verwaltungsrechts in gemeineuropäischer Perspektive: Frankreich › II. Verwaltung und Steuerung

II. Verwaltung und Steuerung

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Die Verwaltung ist nicht souverän. Einer solchen Präzisierung bedarf es schon aufgrund des in Frankreich gebräuchlichen Ausdrucks „administré“. Dieser Begriff, der in anderen Sprachen kaum eine Entsprechung kennt, suggeriert eine Unterwerfung des Einzelnen unter die Verwaltung, eine Untertanenstellung des Bürgers gegenüber der Verwaltung und damit eine gewisse Autonomie des Verwaltungsapparats. Der Ausdruck hat zwar seit Ende der 1970er-Jahre zugunsten der Begriffe des „usager“ und später des „citoyen“ an Bedeutung verloren, ist aber nicht ganz verschwunden. In ihm finden die monarchischen Ursprünge der Verwaltung Ausdruck, die ihren Aufbau und ihre Funktionsweisen und damit auch die Eigenart ihrer Beziehungen zu den Bürgern immer noch stark prägen. Der Ausdruck erklärt ferner den Widerstand der Verwaltung gegenüber Änderungen, der sich etwa in der maîtrise de l’espace (Gebietsherrschaft) sowie der Konzeption des öffentlichen Dienstes und dem Fortbestand bestimmter Ausdrucksweisen der Verwaltung zeigt.

1. Die Veränderungen: Territorien und Beamte

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Der Gesetzgeber und später der Verfassungsgeber haben sich der Verwaltungsorganisation angenommen und betreiben ihre Territorialisierung, also die räumliche Gliederung des Staatsgebietes nach den Grundsätzen der Dekonzentration und der Dezentralisierung. Sie haben den Handlungsrahmen der Verwaltung damit in eine Entwicklung eingebunden, die von den Grundsätzen, die ihn über Jahrhunderte prägten, abweicht. Nun ist eine Reform des französischen öffentlichen Dienstes im Gange, die auch ihn in seinen Grundfesten zu erschüttern droht.

a) Das Ende der Zentralisation?

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„Frankreich ist eine unteilbare … Republik … Sie ist dezentral organisiert“ lautet der erste Artikel der Verfassung vom 4.10.1958 in der Fassung der Verfassungsrevision vom 28.3.2003. Die Formulierung, auf den ersten Blick paradox, beschreibt in mehrfacher Hinsicht die gegenwärtige Verwaltungsorganisation. Obwohl Frankreich das Land ist, das am häufigsten als Archetyp des zentralisierten Staates bezeichnet wird, definiert es seit den 1980er-Jahren das Verhältnis von „le centre et la péripherie“ (Zentrum und Peripherie)[49] neu, in dem der Zentralstaat gleichzeitig als dezentralisiert und dekonzentriert beschrieben wird. Diese Kehrtwende, die einige Juristen mit dem Begriff „décentration“ (Dezentrierung)[50] bezeichnen, verbietet es freilich nicht, Fragen nach der Erschütterung der traditionellen Grundlagen der französischen Verwaltungsorganisation zu stellen.

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Die Zentralisierung wurde als Vermächtnis der Monarchie durch die Französische Revolution verstärkt und durch das Kaiserreich bestätigt. Auch wenn die Zeit der Revolution oft als Zeit der Dezentralisierung dargestellt wird, vor allem wegen der Generalisierung des Wahlgrundsatzes, hat sie doch ein Prinzip der Einheitlichkeit eingeführt und die territoriale Verwaltung in Departements und Gemeinden einer einheitlichen rechtlichen Ordnung unterstellt. Die daraus resultierende Verwaltungslandschaft wurde bis zur Schaffung der Regionen im Jahre 1972 praktisch nicht mehr verändert. In ihrem Rahmen führte Napoléon Bonaparte durch das Gesetz vom 28. Pluviôse des Jahres VIII (17.2.1800) den Präfekten (préfet) ein. Nach dem Gesetzestext ist im Departement „alleine der Präfekt mit der Verwaltung beauftragt“. Er wird durch eine Versammlung (conseil général) und einen Präfekturrat (conseil de préfecture) unterstützt, der im Wesentlichen als Richter fungiert, ist einer zentralen Aufsicht unterworfen und sieht sich mit Aufgabenbereichen konfrontiert, die so verschieden wie weit sind. Die Einführung des Präfekten beendete die kapetingische Zentralisierung und prägt bis heute die Organisation der öffentlichen Verwaltung. Seit 1982 ist diese allerdings durch eine verstärkte Dekonzentration und Dezentralisierungsreformen gekennzeichnet.

aa) Überblick über die territorialen Strukturen

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Jede Verwaltungsbehörde wird auf einer bestimmten Verwaltungsebene und innerhalb eines bestimmten Aufgabenbereichs tätig. Dadurch können die nationalen Behörden den anderen Behörden gegenübergestellt werden. Ferner kann jeder Verwaltungsebene ein mehr oder weniger spezialisierter Aufgabenbereich zugeordnet werden.

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Auf nationaler Ebene sind zu unterscheiden die zentrale Staatsverwaltung (also alle zentralen Behörden), deren Macht- und Verantwortungsbereich sich über das gesamte Staatsgebiet erstreckt, und die dekonzentrierte Staatsverwaltung (also alle dekonzentrierten Behörden), die die zentrale Staatsverwaltung in unterschiedlichen Bereichen des Staatsgebiets vertritt und deren Zuständigkeit jeweils auf einen bestimmten Verwaltungsbezirk beschränkt ist. Die zentrale Staatsverwaltung, die oft mit der vollziehenden Gewalt gleichgesetzt wird, umfasst die Ministerien und die ressortübergreifenden Koordinationsstrukturen, mithin auch die politische Führung und die Behörden des Ministerpräsidenten und des Präsidenten der Republik. Nicht unberücksichtigt bleiben dürfen ferner beratende Behörden, die für das gegenwärtig besonders ausgeprägte Bedürfnis der Verwaltung nach Beratung stehen, sowie eigenständige Behörden, die in Frankreich als „autorités administratives indépendantes“ (unabhängige Verwaltungsbehörden) bezeichnet werden. Letztere sind ausländischen Vorbildern nachempfunden und eng mit der Entstehung der Regulierungsverwaltung verbunden. Die dekonzentrierte Staatsverwaltung besteht aus dezentralen Behörden, die den zentralen Behörden hierarchisch untergeordnet sind und deren Zuständigkeit auf einen bestimmten Verwaltungsbezirk beschränkt ist. Diese Verwaltungsbezirke dienen zwei Zwecken: Zum einen bilden sie die geographische Grundlage für die dezentralisierte Verwaltung, also die Verwaltung durch Gebietskörperschaften mit eigener Rechtspersönlichkeit, andererseits sind sie deckungsgleich mit den Zuständigkeitsbereichen der Behörden der dekonzentrierten Staatsverwaltung. Im Einzelnen handelt es sich um die Regionen (régions), die Departements (departements) und die Gemeinden (communes). Wichtigste Verwaltungsebene ist das Departement mit dem Präfekten an der Spitze. Weitere Verwaltungsbezirke mit Bedeutung ausschließlich für die Staatsverwaltung sind das Arrondissement (arrondissement), eine Unterteilung des Departements, die von einem Unterpräfekten geleitet wird, und der Kanton (canton), eine Unterteilung des Arrondissements, die hauptsächlich als Wahlbezirk dient.

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Unterhalb des Staates gibt es die dezentralisierten Gebietskörperschaften, die dem Prinzip der Einheitlichkeit[51] unterworfen sind: die Region (insgesamt 22 im Mutterland und vier in Übersee), das Departement (insgesamt 96) und die Gemeinde (insgesamt 36.873 im Jahre 2007). Zu ihnen zählen auch die Körperschaften mit einem besonderen Status (u.a. Korsika und Paris) und die Körperschaften in Übersee. Die dezentralisierten Gebietskörperschaften werden von einer gewählten Versammlung (dem conseil régional in der Region, dem conseil général im Departement und dem conseil municipal in der Gemeinde) verwaltet und haben jeweils eine Verwaltungsspitze, die von der Versammlung gewählt wird (ein président du conseil regional und président du conseil général in Region und Departement sowie ein maire in den Gemeinden). Die Region hat ferner einen regionalen Wirtschafts- und Sozialrat (conseil économoique et social régional). Die verschiedenen Körperschaften gehorchen einheitlichen Regeln, die durch die Verfassung, Gesetze und Dekrete definiert werden. Zu ihren Gunsten gilt das Verfassungsprinzip der freien Selbstverwaltung (principe constitutionnel de libre administration des collectivités territoriales). Der Begriff „affaires locales“ (örtliche Angelegenheiten)[52] umschreibt ihre Befugnisse, die durch Gesetz oder Beschlüsse der jeweiligen Versammlung im Rahmen der gesetzlichen Kompetenzordnung festgelegt werden. Ihr Umfang lässt sich nur ermitteln, wenn man auch Texte berücksichtigt, die jeder Verwaltungsebene einen kohärenten Aufgabenbereich zuzuweisen versuchen, ohne dass sich insoweit gewisse Überschneidungen gänzlich verhindern ließen. Dabei ist festzustellen, dass die Gemeinde nach dem Gesetz für ortsbezogene Dienstleistungen und Einrichtungen zuständig ist (u.a. örtliche Polizei, Bestattungswesen, Sozialhilfe, Entsorgung des Hausmülls, Sozialwohnungen, öffentlicher Personennahverkehr, Bau und Unterhalt von Schulen) und in ihrem Handeln durch diese Aufgabenbereiche bestimmt wird (insbesondere bei Eingriffen in den Wirtschafts- und Sozialbereich). Hauptaufgabe des Departements ist neben der traditionellen Zuständigkeit für öffentliche Straßen und Brandbekämpfung die Sozialhilfe. Daneben sind die Departements für Archive, den Bau und den Unterhalt weiterführender Schulen (collèges) und den öffentlichen Personenfernverkehr zuständig. Die Region schließlich hat die Aufgabe, „die wirtschaftliche, soziale, gesundheitliche, kulturelle und wissenschaftliche Entwicklung der Region zu fördern, die Gestaltung ihres Gebiets und die Wahrung ihrer Identität sicherzustellen“.