Ius Publicum Europaeum

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b) Die öffentliche Verwaltung

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Die öffentliche Verwaltung kann nur durch eine Kombination verschiedener Ansätze erfasst werden. Sie wird in ihrem Verhältnis zu den verfassten Gewalten in Frankreich von zwei Prinzipien beherrscht: dem Prinzip der Unterordnung und dem Prinzip der Unabhängigkeit.

aa) Identifizierung

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Die öffentliche Verwaltung kann als Gesamtheit der natürlichen und juristischen Personen begriffen werden, die Verwaltungsaufgaben erfüllen. Gleichzeitig kann sie auch als Gesamtheit von Tätigkeiten verstanden werden.

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Ein organischer Ansatz nimmt die natürlichen Personen in den Blick, um so zwischen den Verwaltungsbediensteten und den Verwaltungsämtern (wie préfet oder maire), die diese Bediensteten bekleiden, wenn sie mit der Befugnis zum Erlass von Rechtsakten ausgestattet sind, zu unterscheiden. Das Handeln der natürlichen Personen wird den juristischen Personen zugerechnet. Letztere können collectivités (Körperschaften) sein, also Vereinigungen, deren Mitglieder territorial (der Staat und innerstaatliche Gebietskörperschaften) oder beruflich (Kammern) bestimmt sind, oder einer bestimmten Tätigkeit dienen. Ein Beispiel sind die Universitäten. Diese sind öffentliche Einrichtungen, die mit der Lehre, der Forschung und der Berufsausbildung betraut sind. Denkbar sind auch Sportverbände, also Privatpersonen, die eine Aufgabe des allgemeinen Interesses wahrnehmen. Dementsprechend sind innerhalb der öffentlichen Verwaltung die Gebietskörperschaften auf der einen Seite und spezialisierte Einrichtungen auf der anderen Seite zu unterscheiden.

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Um die öffentliche Verwaltung insgesamt zu erfassen, sind diese organisatorischen Aspekte mit einem Verständnis der Verwaltung als Ensemble von Tätigkeiten zu kombinieren. Negativ und unter Berücksichtigung aller staatlichen Handlungen formuliert, ist die Verwaltung nicht Gesetzgebung, Regierung oder Rechtsprechung. Positiv formuliert erbringt sie eine Vielzahl von Tätigkeiten, die durch ihren Zweck (Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Befriedigung von Interessen der Allgemeinheit) und die Modalitäten ihrer Erbringung (unter der Herrschaft und der Aufsicht der Regierung) charakterisiert sind.

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Mit Blick auf die Zwecke ist zunächst festzustellen, dass die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, obwohl auch sie im Interesse der Allgemeinheit liegt, klassischerweise von der Befriedigung anderer Gemeinwohlinteressen unterschieden wird. Inbegriff ist die als „police administrative“ bezeichnete Abwehr von Gefahren für die öffentliche Ordnung. Die öffentliche Ordnung (ordre public) umfasst traditionell die öffentliche Sicherheit und die öffentliche Gesundheit (la sûreté, la sécurité et la salubrité publiques).[16] Aus diesen Schutzgütern werden auch aktuellere Aspekte wie Gesichtspunkte der Moral oder sogar der Ästhetik abgeleitet. Andere Gemeinwohlinteressen werden in unterschiedlichen Formen erfüllt. Leitend ist das (oft relative) Gegenüber von Regelungen (insoweit spielen Verbot und Gebot eine wichtige Rolle bei der Organisation des sozialen Lebens) und Leistungen. Leistungen stehen im Mittelpunkt des service public, eines Begriffs, der in Frankreich den „Stellenwert eines echten Mythos“[17] hat und der paradoxerweise die europäische Konstruktion eines als französisch bezeichneten Konzepts des service public unterstützt hat.

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Der service public steht im Zentrum der Diskussion über die Rolle des Staates. So ist der Staat für den Protagonisten der Lehre vom service public, Léon Duguit, nicht etwa eine souveräne Gewalt, sondern „eine Gruppe von Individuen, die über eine Kraft verfügen, die sie zur Schaffung und Leitung der services publics einsetzen müssen“. Der service public, unter dem Duguit „alle Handlungen [versteht], deren Erfüllung von den Regierenden geregelt, gesichert und kontrolliert werden muss, weil dies für die Verwirklichung und Entwicklung der sozialen Verhältnisse unerlässlich ist und er ohne Eingriffe der Regierung nicht vollständig abgesichert werden kann“,[18] ist Grundlage der Rechtfertigung hoheitlichen Handelns und seiner Beschränkung. Dieser Ansatz, der den service public als Grundlage für die Rechtfertigung staatlichen Handelns begreift, steht in engem Zusammenhang mit der Bedeutung, die ihm bei der Rechtfertigung der Autonomie des Verwaltungsrechts und der Befugnisse der Verwaltungsgerichtsbarkeit zukommt.

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Der service public kann als Tätigkeit definiert werden, die von der Verwaltung direkt oder indirekt mit dem Ziel wahrgenommen wird, ein Bedürfnis des allgemeinen Interesses zu erfüllen und die zumindest teilweise dem öffentlichen Recht unterworfen ist.[19] Der Begriff ist schwer zu fassen. Teilweise wird er für „unauffindbar“ gehalten. Nichtsdestotrotz spielt er eine Schlüsselrolle bei der Bestimmung der zentralen Begriffe des Verwaltungsrechts, so dass einige in ihm „den Eckpfeiler des Verwaltungsrechts“ (Gaston Jèze) gesehen haben. Eine solche Bewertung war nur haltbar bis zur Ausdehnung der Tätigkeiten des service public von der Verwaltung auf Industrie und Handel und vor ihrer Übernahme durch Private, mit anderen Worten: bis zur Anerkennung eines privaten service public.[20]

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Mit Blick auf die Modalitäten der Erbringung von gemeinwohlbezogenen Tätigkeiten ist wichtig, dass diese entweder unter der Herrschaft der Regierung (staatliche Verwaltung) oder lediglich unter ihrer Aufsicht (autonome Verwaltungen etwa der Gebietskörperschaften) stattfindet.

bb) Unterordnung und Unabhängigkeit

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Zwei Grundsätze, die auf den ersten Blick in einem paradoxen Verhältnis zueinander zu stehen scheinen, bestimmen die Stellung der öffentlichen Verwaltung in Frankreich: auf der einen Seite die Unterordnung der Verwaltung unter die Regierung, auf der anderen Seite die Unabhängigkeit der Verwaltung von der politischen Gewalt.

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Tatsächlich befindet sich die Verwaltung in einer untergeordneten Position, wie die Verfassung vom 4.10.1958 in Art. 20 deutlich zum Ausdruck bringt: „Die Regierung verfügt über die Verwaltung“. Sie dient den öffentlichen Interessen, die ihr zugleich von außen und von oben durch die politische Gewalt vorgegeben werden. Die Vorstellung, dass die Tätigkeit der Verwaltung alleine auf das allgemeine Interesse ausgerichtet ist, muss insoweit relativiert werden, als es sich um das allgemeine Interesse handelt, wie es hier und jetzt, in einem bestimmten historischen Kontext, in einem bestimmten Staat und in einem bestimmten politischen System, durch die im Amt befindliche Regierung definiert wird. Mit anderen Worten und abgesehen davon, dass die Bedeutung des Begriffs „Gemeinwohl“ variabel und flexibel ist, wird das Gemeinwohl, das die Grundlage des Verwaltungshandelns bildet, alleine von der politischen Gewalt bestimmt: Die einzelnen Gemeinwohlbelange hängen vom Willen der Regierenden ab; maßgeblich sind die Belange, für deren Übernahme sich die politischen Entscheidungsträger aussprechen. Dass die Verwaltung an der Vorbereitung und Durchführung dieser Entscheidung teilhat, ändert nichts daran, dass die Verwaltung unabhängig ist. Letzteres garantiert die Wirksamkeit der Verwaltung und erlaubt es ihr, ihre Fachkenntnisse bestmöglich einzusetzen. Das wird dadurch verstärkt, dass die öffentlichen Bediensteten wie alle Bürger an einem System des Freiheitsschutzes teilhaben, zu dessen wesentlichen Inhalten die Meinungsfreiheit gehört. Auch das Konzept eines dem Leistungsprinzip verpflichteten öffentlichen Dienstes begünstigt die Verwirklichung dieser Unabhängigkeit.

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Auch wenn ein Ausgleich zwischen den Prinzipien der Unterordnung und der Unabhängigkeit nicht ausgeschlossen ist, gibt es doch verschiedene Ansätze, diese Prinzipien in Frage zu stellen. So wird das Prinzip der Unterordnung praktisch beschränkt durch die Einmischung von Verwaltungsangehörigen in die Politik (starke Repräsentation in Parlament und Regierung, Präsenz in den Ministerialkabinetten), durch die zunehmende Ausweitung administrativer Rechtsetzungsbefugnisse und durch die Entwicklung unabhängiger Verwaltungsbehörden, die gerade darauf zielen, sich dem Zugriff der gewählten Organe zu entziehen.[21] Die Politisierung des höheren öffentlichen Dienstes und die Entwicklung eines französischen Systems der Ämterpatronage tragen zusätzlich zur Relativierung des Prinzips der Unabhängigkeit bei. Vor diesem Hintergrund und infolge ihrer Aufgaben, die sie innerhalb des rechtlich definierten Rahmens erfüllen muss, ist die öffentliche Verwaltung keineswegs souverän.

2. Die Ausprägungen

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Von seinem Gegenstand her betrachtet ist das Verwaltungsrecht das auf die öffentliche Verwaltung anwendbare Recht. Der Begriff des „service public“ ist das grundlegende Kriterium zur Bestimmung seines Anwendungsbereichs. Bereits sehr früh ist in diesem Begriff zugleich die Grundlage und die Grenze des Verwaltungsrechts gesehen worden. Er steht im Zentrum der theoretischen Werke zweier großer Juristen: Maurice Hauriou[22] und Léon Duguit[23]. Für Hauriou, der die Vorrechte der Verwaltung in den Mittelpunkt seiner Konstruktion rückt, steht der Begriff des „service public“ für die „objektive Selbstbeschränkung“ der öffentlichen Gewalt. Duguit sieht in ihm das Herzstück des Verwaltungsrechts: Aufgabe der Verwaltung sei es, das allgemeine Interesse zu befriedigen. Das Verwaltungsrecht wird auch über seinen Inhalt definiert, als eine Summe von rechtlichen Vorschriften. Folglich ist das Verwaltungsrecht entweder das Recht der Verwaltung, mithin die Summe der rechtlichen Vorschriften, die den organisatorischen Rahmen und das Handeln der öffentlichen Verwaltung bestimmen und die Erfüllung der Verwaltungsfunktionen ermöglichen, oder man sieht in ihm im Unterschied zum Privatrecht, das von den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit angewandt wird, die besonderen Vorschriften, die von den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit angewandt werden. Diese Vorschriften stellen ein autonomes Gebilde dar und begründen das Verwaltungsrecht im engeren Sinne. Als Herzstück der Beziehung zwischen Recht und Verwaltung hat das Verwaltungsrecht die Aufgabe, zwischen den Erfordernissen des durch das allgemeine Interesse gerechtfertigten Verwaltungshandelns und der Notwendigkeit seiner Beschränkung im Interesse des Schutzes der administrés zu vermitteln. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, die im Zentrum dieses Konflikts steht, trägt zur Entstehung des Verwaltungsrechts bei. Folge ist ein in besonderer Weise dem Verwaltungsrechtsstreit verbundener Ansatz (approche contentieuse). Sowohl bei der Gewährleistung des Verwaltungshandelns als auch bei seiner Beschränkung tragen die veränderten Bedingungen der Ausübung öffentlicher Gewalt einerseits und die stetige Anpassung der Verwaltungsgerichtsbarkeit andererseits zur Bewahrung der traditionellen Prinzipien bei. Insofern muss sich „alles ändern, damit es so bleiben kann, wie es ist“.[24]

 

a) Die Verbindung von allgemeinem Interesse und Schutz der administrés

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Als Instrument des Verwaltungshandelns geschaffen, durchläuft das Verwaltungsrecht eine Entwicklung, in der es auch zu einem Instrument der Bindung der Verwaltung an das Recht wird.

aa) Öffentliche Gewalt, Gesetzmäßigkeits- und Verantwortlichkeitsprinzip

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Das Verwaltungsrecht verleiht den Verwaltungsbehörden wichtige Befugnisse (la puissance publique), die es ihnen ermöglichen, das allgemeine Interesse zu befriedigen (le service public). Aus diesem Grund scheint es einer richterlichen Wendung nach „vernünftiger- und gerechterweise unmöglich, den Staat mit einem einfachen Individuum gleichzusetzen“.[25]

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Das Verwaltungsrecht ist für den Betrachter ein Recht der Ungleichheit und der Vorrechte. Die Verwaltung verfügt über Immunitäten, die sie vor bestimmten Angriffen schützen. So unterliegt die Verwaltung nicht der Kontrolle der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Auch ist die Zwangsvollstreckung gegen juristische Personen des öffentlichen Rechts ausgeschlossen. Überdies und vor allem genießt die öffentliche Verwaltung Vorrechte. Bei diesen handelt es sich um Mittel, die ihr an die Hand gegeben sind, um das allgemeine Interesse zu befriedigen, darunter die Befugnis zu einseitigem Handeln (pouvoir d’action unilatérale), Befugnisse im Zusammenhang mit dem Vollzug von Verwaltungsverträgen und die Befugnis zur Verwaltungsvollstreckung (pouvoir d’exécution forcée). Immunitäten und Privilegien sind es, die für die Verwaltungsgewalt charakteristisch sind und sie von Einzelnen unterscheiden. Diese Gewalt, die als solche gerichtlich nicht angreifbar ist, muss relativiert werden aufgrund der Entwicklung von Verfahren und Techniken, die dem Konsensprinzip, das eigentlich für privatrechtliche Beziehungen charakteristisch ist, nahestehen. Jedenfalls führt die Stellung der Verwaltung nicht dazu, dass sie dem Recht entzogen ist: Die Befugnisse werden vielmehr im Rahmen der Rechtsnormen ausgeübt, die die Freiheitsrechte vor der Willkür der Verwaltung schützen.

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Das Verwaltungshandeln ist tatsächlich ständig von gerichtlicher Kontrolle „bedroht“. Diese ist jederzeit möglich, weil jeder Betroffene Maßnahmen, die die Befugnisse einer Behörde überschreiten, gerichtlicher Kontrolle unterwerfen kann. Die Verwaltung ist zudem verpflichtet, unter bestimmten Voraussetzungen tätig zu werden, wenn dies für die Erfüllung ihrer Aufgabe erforderlich ist; auf der Grundlage des Gesetzmäßigkeitsprinzips (principe de légalité ou juridicité) muss sie dabei entsprechend den unterschiedlichen Bestimmungen der Rechtsordnung handeln und den Schutz der rechtlich eingeräumten Grundrechte gewährleisten. Wenn ein Regelverstoß zu einer Sanktion führt, ist der durch die Verwaltung verursachte Schaden zu ersetzen. Die Entwicklung des Gesetzmäßigkeitsprinzips geht einher mit der zunehmenden Anerkennung des Grundsatzes der Staatshaftung. Heute ist davon auszugehen, dass die Verantwortlichkeit der öffentlichen Gewalt umfassend ist: Jede juristische Person des öffentlichen Rechts ist für jede ihrer Tätigkeiten verantwortlich. Dennoch gilt das Prinzip der Verantwortlichkeit der öffentlichen Gewalt nicht absolut. Es bedarf vielmehr eines Ausgleichs zwischen den unterschiedlichen Anforderungen an das Verwaltungshandeln – darunter die Verpflichtung auf das allgemeine Interesse, das Grundlage des Verwaltungshandelns ist. Aus diesem Grund enthalten die einzelnen Rechtsregime meist komplexe Regelungen über das Verhältnis zwischen der Verwaltung, den Beamten und den Betroffenen.[26]

bb) Erneuerung der Bedingungen der Ausübung öffentlicher Gewalt

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Drei Entwicklungslinien prägen die Erneuerung, die die Traditionen mit den aktuellen demokratischen, steuerungstechnischen und politischen Anforderungen verbindet: Territorialisierung (territorialisation), Regulierung (régulation) und vertragliche Kooperation (contractualisation).

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In einem stark zentralisierten Staat sind die Reformen zur territorialen Dezentralisierung (décentralisation territoriale), die in den der 1980er-Jahre begünstigt durch das europäische Umfeld und parallel zu einer Vertiefung der Dekonzentration (déconcentration) stattfanden, einer der wichtigsten Marksteine des Wandels der Verwaltung. Nun bereichert die „Dezentrierung der Macht (décentration du pouvoir)“ – ein Begriff, mit dem die drei Entwicklungen bezeichnet werden, die die französische Verwaltungslandschaft tiefgreifend verändert haben (Dezentralisierung – décentralisation, Dekonzentration – déconcentration und Delokalisation – délocalisation) – das Verwaltungsrecht in ganz anderer Weise. Der Inhalt des Verwaltungsrechts hat dadurch an Vielfalt gewonnen, dass seine Anpassung an lokale Anforderungen eine Erneuerung der rechtlichen Regelungen erforderlich machte. So wurde etwa das Recht des öffentlichen Dienstes in den einzelnen Territorien unabhängig vom Recht des öffentlichen Dienstes auf gesamtstaatlicher Ebene konzipiert. Ferner waren die von innerstaatlichen Gebietskörperschaften unterhaltenen Beziehungen berührt. Zwei Haupttendenzen, die miteinander im Zusammenhang stehen, sind typisch: zum einen die Verrechtlichung (judiciarisation) der Beziehungen der Körperschaften zu Dritten und hier vor allem zu den administrés, die bis dahin auf einem Dialog ohne rechtliche oder gerichtliche Dimension beruhten; zum anderen die vertragliche Ausgestaltung der Beziehungen (contractualisation), die die innerstaatlichen Gebietskörperschaften insbesondere in der Form der gemeindlichen Zusammenarbeit (mécanismes de l’intercommunalité), mit dem Staat (Planungsvertrag – contrat de plan) und mit dem privaten Sektor unterhalten.

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Öffentliche Interventionen bestanden in Frankreich lange Zeit in der Reglementierung privater Wirtschaftstätigkeit und einer strengen Kontrolle öffentlicher Unternehmen, von denen einige eine Monopolstellung innehatten. Jeweils fanden klassische Instrumente des Verwaltungsrechts Anwendung. Die Abschaffung der Monopole und die Entstehung eines privaten Sektors sind Teil einer Entwicklung der Deregulierung (dérégulation), aus der Regulierung (régulation) entspringt.[27] Obwohl dies ein sehr unscharfer Begriff ist, der sich kaum definieren lässt, und so unterschiedlich die Ansätze zu einer Definition auch sein mögen,[28] ist man sich doch grundsätzlich einig, dass Regulierung eine neue Form der öffentlichen Intervention darstellt, ein Mittel, das die Transformation einer monopolistischen in eine wettbewerbliche oder pluralistische Situation begleitet und „auf die Steuerung des Sozialverhaltens in einem Bereich zielt, in dem gegenläufige Interessen zum Ausgleich gebracht werden müssen, damit eine gewisse Stabilität erreicht wird“.[29] Mit der Öffnung des Marktes und der Schaffung von Wettbewerb sowie der daraus resultierenden institutionellen Entkopplung von Betrieb und Regulierung (und der Privatisierung der öffentlichen Betreiber als ihrer Folge) wäre es durchaus vereinbar gewesen, den sich selbst regulierenden Kräften des Marktes freien Lauf zu lassen und dem Staat die Rolle eines passiven Beobachters zuzuweisen. Es wurde indes ein anderer Weg beschritten: Der Staat wurde gezwungen, solche Handlungsmodi anzupassen, die nicht die für Regelungen typischen Eigenschaften Befehl und Zwang aufweisen.[30] Unsere Verwaltungstraditionen haben zur Entstehung einer neuen Form öffentlicher Intervention geführt. Diese zielt darauf, den Wirtschaftsakteuren Spielregeln aufzuerlegen und darüber zu wachen, dass ihre Tätigkeiten sich zu einem harmonischen Ganzen fügen. Daraus ist das Regulierungsrecht entstanden. Noch bevor der Gesetzgeber diesen Ausdruck verwendet und sich die entsprechende Regelungstechnik auf alle Bereiche des sozialen Lebens ausbreitet, nimmt die Regulierung einen wichtigen Platz ein, nicht nur in Politik und Verwaltung, sondern auch in der Rechtswissenschaft, wo sie häufig im Mittelpunkt der Diskussion steht. Dieser Bedeutungszuwachs der Regulierung geht einher mit dem Aufstieg des Vertrags als Handlungsform der öffentlichen Verwaltung.

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Unter „contractualisation du droit administratif“ versteht man eine Entwicklung, in der die Begründung von vertraglichen Beziehungen zum üblichen, normalen Modus des Verwaltungshandelns wird.[31] Dieser Ansatz, den der Begriff Governance (gouvernance) bezeichnet, betrifft einen Wandel, der eine Vielzahl von Beziehungen berührt: Beziehungen zum privaten Sektor (u.a. die Einrichtung von Öffentlich-Privaten Partnerschaften, Ausgliederungsphänomene); Beziehungen zwischen den Körperschaften des öffentlichen Rechts (im Rahmen der Dezentrierung); Beziehungen zwischen den Verwaltungsbehörden und den administrés im Rahmen der Verbesserung dieser Beziehungen, die dazu führt, dass „administrés“ zu „citoyens“ werden; schließlich Beziehungen innerhalb der Verwaltung selbst, da die Reform des öffentlichen Steuerungsmodells vor allem auf dem Instrument des Vertrags und einer vertraglichen Ausgestaltung der Beziehungen zwischen den zentralen und dezentralen Stellen beruht. Die Entstehung dieses Vertragsrechts, das prekär und vertraulich ist und dem der Gesetzgeber durch Schaffung einer Vielzahl neuer „Vertragskategorien“ einen Rahmen gegeben hat, hat zur Folge, dass das Recht undurchsichtig bleibt. Der Vertrag tritt in Konkurrenz zum einseitigen Verwaltungshandeln und verdrängt dieses zunehmend, selbst in Bereichen wie der Polizei und der Justiz, die dem vertraglichen Handeln gegenüber die deutlichsten Vorbehalte haben. Formalrechtlich bleibt freilich festzustellen, dass trotz aller Kooperation und allen Verhandelns die Zeit des Zwangs noch nicht abgelaufen ist: Kooperation und Verhandlung haben die Vorrechte der öffentlichen Gewalt keineswegs beseitigt. Im Gegenteil: Es ist bemerkenswert, dass die skizzierten Phänomene den rechtlichen Rahmen sprengen, wie auch die Praxis verwaltungsinterner chartes zeigt. Ihre Schaffung, meist innerhalb der Verwaltungshierarchie aufgegeben, vollzieht sich komplett unterhalb des Rechts. Um die chartes herum entwickeln sich dann die Beziehungen des service public zu seinen Nutzern. Indem Partnerschaften häufig Zwang ersetzen, erneuern sie von Grund auf das Verständnis der Verwaltungsverhältnisse.

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Garant und Partner – beides Eigenschaften, die sich vom klassischen Modell der autoritären Verwaltung weit entfernen und nicht nur für einen Rückzug des Verwaltungsrechts stehen, sondern auch das binäre System, auf dem die verwaltungsrechtlichen Konstruktionen beruhen (u.a. Verwaltungsakte und Verträge, Zuständigkeitsbereiche) grundlegend verändern.[32] In der Folge wird die Trennung von Öffentlichem Recht und Privatrecht durchlässiger, das Verwaltungsrecht verliert als Instrument des Verwaltungshandelns an Substanz.