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V. Verwaltungsrechtliche Institute in der Rechtsschutzperspektive

1. Historische Dimension

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Ein wichtiges Bekenntnis zur justizstaatlichen Konzeption fand sich – nach der langen Epoche lediglich verwaltungsinterner Rechtmäßigkeitskontrolle (Administrativjustiz) im 17. und 18. Jahrhundert[499] – in § 182 der Paulskirchenverfassung: „Die Verwaltungsrechtspflege hört auf; über alle Rechtsverletzungen entscheiden die Gerichte.“[500] Diese Forderung nach gerichtlicher Kontrolle der Verwaltung überlebte auch das Scheitern der Paulskirchenverfassung.[501] Diskutiert wurde jetzt vor allem darüber, ob die Verwaltung der ordentlichen Gerichtsbarkeit unterworfen werden sollte (Otto Bähr) oder ob nicht die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit als „Kompromiss“ vorzugswürdig sei, der eine Gleichstellung von Bürger und Verwaltung vor den ordentlichen Gerichten vermied (Rudolf von Gneist).[502] Damit verbunden war die Frage nach dem Prüfungsumfang der Gerichte. Während die Befürworter einer spezifischen Verwaltungsgerichtsbarkeit oft zugleich eine Kontrolle der objektiven Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns anstrebten (sogenanntes Norddeutsches Modell), stand die Zuweisung zu den ordentlichen Gerichten zumeist für einen nur subjektiven Rechtsschutz (sogenanntes Süddeutsches Modell).

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Nicht nur in Ansehung dieser Kontroverse blieb die Kontrolle der Verwaltung auch nach der Reichsgründung von 1871 uneinheitlich.[503] Die meisten Länder, ausgehend von Baden (1863), etablierten nun eine Verwaltungsgerichtsbarkeit,[504] deren Rechtsprechung einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Entwicklung heute allgemein anerkannter Verwaltungsrechtsgrundsätze hatte.[505] Der Zugang zu diesen Gerichten wurde jedoch durch eine abschließende Aufzählung von Entscheidungsformen, gegen die der Verwaltungsrechtsweg eröffnet war (Enumerationsprinzip), und das Erfordernis einer subjektiven Rechtsverletzung beschränkt.[506] Damit hatte sich insoweit das Süddeutsche Modell durchgesetzt.

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Mit der Einführung des Grundgesetzes[507] wurde im Westen Deutschlands durch Art. 19 Abs. 4 GG eine Begrenzung des Verwaltungsrechtsschutzes auf eine verwaltungsinterne Kontrolle ebenso unmöglich wie eine Zugangsbeschränkung über das Enumerationsprinzip.[508] Durch Art. 97 GG ist die Unabhängigkeit auch der Verwaltungsgerichte vorgeschrieben.[509] Mit der Errichtung des BVerwG als dem obersten Bundesgericht zur Wahrung der Rechtseinheit im Jahr 1952 (Art. 95 Abs. 1 GG) und dem Erlass der Verwaltungsgerichtsordnung im Jahr 1960 war der bis heute geltende organisatorische und rechtliche Rahmen der Verwaltungsgerichtsbarkeit[510] vorläufig abgeschlossen.

2. Kontrollformen

a) Materiell-rechtliche Ausrichtung der Kontrolle

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Die Ausgestaltung der Kontrolle ist in Deutschland traditionell stark auf die materielle Rechtmäßigkeit ausgerichtet. Der „dienenden“ Natur des Verfahrens entspricht es, die Verfahrenskontrolle zurückzudrängen und auf Fälle zu begrenzen, in denen es zugleich um eine mittelbare Ergebniskontrolle geht. Heilung und Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern beschränken die Kontrollmaßstäbe (§§ 45, 46 VwVfG).[511] Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen können grundsätzlich nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden (§ 44a VwGO), was einen verfahrensspezifischen Rechtsschutz verhindert. Selbständig durchsetzbare („absolute“) Verfahrensrechte sind punktuelle Ausnahmen geblieben (vgl. § 4 UmwRG, § 6 LuftVG, § 36 BauGB).

b) Das subjektive öffentliche Recht als Schlüsselkategorie

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Mit Art. 19 Abs. 4 GG („seinen Rechten“) rückt der Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts in den Mittelpunkt des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes.[512] Verfahren, in denen allein die objektive Rechtmäßigkeit von Verwaltungshandeln geprüft wird, sind in Deutschland – im Unterschied zu Frankreich[513] – die Ausnahme. Das einfache Recht statuiert in § 42 Abs. 2 VwGO schon für die Zulässigkeit einer verwaltungsgerichtlichen Klage das Erfordernis der Möglichkeit der Verletzung eines eigenen subjektiven Rechts. Die Begründetheit einer Klage hängt nach dem Grundmodell des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO von der Verletzung eines subjektiven Rechts des Rechtsschutzsuchenden ab.

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Die Bindung des Rechtsschutzes an den Zentralbegriff des subjektiven Rechts ist auch über den unmittelbaren Anwendungsbereich der §§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO hinaus anerkannt. Sie gilt für die – nicht ausdrücklich normierte – allgemeine Leistungsklage und – schon wegen der Akzessorietät zur Hauptsache – auch für den vorläufigen Rechtsschutz. Sogar für die allgemeine Feststellungsklage wird von der herrschenden Meinung eine analoge Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO befürwortet,[514] was aber abzulehnen ist, da der Gesetzgeber in § 43 Abs. 1 VwGO gerade ein „berechtigtes Interesse“ hat genügen lassen, weshalb keine (planwidrige) Regelungslücke besteht.

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Über den Garantiebereich des Art. 19 Abs. 4 GG ist der deutsche Gesetzgeber lediglich in Einzelfällen hinausgegangen. Ein Beispiel für überindividuellen Rechtsschutz ist die abstrakte Normenkontrolle des § 47 VwGO, die zumindest insoweit den Charakter eines objektiv-rechtlichen Beanstandungsverfahrens trägt, als sie auch durch eine Behörde eingeleitet werden kann.[515] Hierbei handelt es sich um einen Fall von überindividueller Klagebefugnis kraft hoheitlicher Sachwalterschaft; in diese Kategorie gehört daneben auch noch die Klagebefugnis der Vertreter öffentlicher Interessen, der Gleichstellungsbeauftragten sowie von Wirtschaftskammern.[516] Eine für das Naturschutzrecht bedeutsame Ausnahme statuiert § 64 BNatSchG, der Naturschutzverbänden (behördlich anerkannten Vereinen) ein von der Möglichkeit der Verletzung subjektiver Rechte unabhängiges Klagerecht zuspricht (sogenannte altruistische Verbandsklage).[517] Ebenfalls hierher gehört die umweltrechtliche Verbandsklage nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG, bei der der deutsche Gesetzgeber zunächst versucht hat, einen – unionsrechtswidrigen – Sonderweg („abstrakte Schutznormakzessorietät“) zu gehen, der ihm nun aber durch den EuGH abgeschnitten wurde.[518]

c) Begründung subjektiver öffentlicher Rechte, insbesondere Grundrechtswirkungen

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Auf der Grundlage eines weiten Verständnisses von Art. 2 Abs. 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit) hat das BVerfG dem Einzelnen einen grundrechtlichen Anspruch darauf zugesprochen, „durch die Staatsgewalt nicht mit einem Nachteil belastet zu werden, der nicht in der verfassungsmäßigen Ordnung begründet ist“ (sogenannte Freiheit von ungesetzlichem Zwang).[519] Eine praktische Folge dieser Rechtsprechung liegt darin, dass zumindest eine staatliche Regelung, die den Einzelnen zu einem Tun oder Unterlassen verpflichtet, im Rahmen einer individuellen Anfechtungsklage auf ihre formelle und materielle Vereinbarkeit mit dem gesamten öffentlichen Recht zu überprüfen ist. Ansätze zu einer Verringerung des Schutzumfangs auf die Normen, die speziell dem Schutz der Freiheitssphäre des Adressaten zu dienen bestimmt sind,[520] haben sich bisher nicht durchzusetzen vermocht. Auf der Ebene der Klagebefugnis wirkt sich das dahingehend aus, dass die Verletzung eines subjektiven öffentlichen Rechts des Adressaten eines belastenden staatlichen Handelns immer möglich, die Klage also insoweit zulässig ist (sogenannte Adressatentheorie).[521]

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Auch der Rechtsschutz des Dritten, der ein eingreifendes staatliches Handeln begehrt oder sich gegen die Begünstigung eines anderen zur Wehr setzt, wird vielfach grundrechtlich determiniert. So ist etwa die partielle subjektiv-rechtliche „Aufladung“ von Normen des Bauplanungsrechts mit Hilfe des Topos des sogenannten Rücksichtnahmegebots[522] in der Sache nichts anderes als eine verfassungskonforme Auslegung des einfachen Rechts (norminterne Wirkung der Grundrechte). Bevor das BVerwG zu dem (vordergründig) einfachrechtlichen Drittschutzmodell des Rücksichtnahmegebots überging, leitete es den Rechtsschutz des Nachbarn des Bauherrn unmittelbar aus dem Grundrecht der Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 GG) her (normexterne Wirkung der Grundrechte). Hiervon hat es mittlerweile – mangels praktischen Bedürfnisses – weitgehend Abstand genommen; auch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG spielt in der baurechtlichen Drittschutzjudikatur keine große Rolle mehr.[523]

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Jenseits solcher bereichsspezifischen Dogmatiken zeigt sich die „Versubjektivierung“ des deutschen Öffentlichen Rechts daran, dass unter dem Grundgesetz jedermann, dessen Rechte, Rechtsgüter oder rechtlich geschützte Interessen konkret gefährdet oder gestört sind, ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Polizei- oder Ordnungsbehörden über ein Einschreiten (formelles subjektives öffentliches Recht), gegebenenfalls (Ermessensreduzierung auf Null, insbesondere im Lichte der Grundrechte) sogar auf behördliches Handeln (materielles subjektives öffentliches Recht) zusteht. Dieses subjektive Recht schließt auch ein Einschreiten der Behörde gegen einen anderen Grundrechtsträger ein.[524]

3. Kontrolldichte

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Auch auf den Prüfungsmaßstab der deutschen Verwaltungsgerichte hat Art. 19 Abs. 4 GG unmittelbare Wirkungen. Die Verfassung garantiert nicht nur, dass sich ein Gericht überhaupt mit dem Rechtsschutzbegehren befasst. Geboten ist vielmehr eine effektive Kontrolle, die sowohl die Ermittlung des normrelevanten Sachverhalts als auch die richtige Auslegung und Anwendung des sachverhaltsrelevanten Rechts umfasst.[525] Für das deutsche Recht ist daher eine hohe Kontrolldichte der Verwaltungsgerichte charakteristisch,[526] während in anderen Staaten, etwa Frankreich, die gerichtliche Kontrolle des Verwaltungshandelns auf bestimmte Rechtswidrigkeitsgründe beschränkt ist.[527]

a) Der Grundsatz der Identität von Handlungs- und Kontrollnorm und seine Ausnahmen

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Dass die gerichtliche Kontrolle die richtige Auslegung und Anwendung des sachverhaltsrelevanten Rechts umfasst, lässt sich auf die Formel der Identität von Handlungs- und Kontrollnorm bringen.[528] Wo das Gesetz ausnahmsweise von der Grundregel der uneingeschränkten gerichtlichen Kontrollzuständigkeit abweicht und der Verwaltung selbst die Zuständigkeit für die „letztverbindliche“ Auslegung und Anwendung überträgt, spricht man von einer Beurteilungsermächtigung (Lehre der normativen Ermächtigung).[529]

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Vor dem Hintergrund von Art. 19 Abs. 4 GG muss es einen sachlichen Grund für die Ausnahme von der gerichtlichen Kontrollzuständigkeit geben, der etwa darin liegen kann, dass den Gerichten eine Kontrolle aus tatsächlichen Gründen nicht möglich ist (Funktionsgrenzen der Gerichtsbarkeit). Ausdrücklich enthält kaum ein Gesetz eine Beurteilungsermächtigung (vgl. aber exemplarisch § 10 Abs. 2 Satz 2 TKG). Behördliche Entscheidungsspielräume ergeben sich daher zumeist erst konkludent im Wege der Auslegung der einschlägigen Vorschrift (Einzelnormanalyse), in engen Grenzen auch aus funktionell-rechtlichen Erwägungen[530].

b) Unbestimmte Rechtsbegriffe

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Das geltende Verwaltungsrecht enthält zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe (z.B. Zuverlässigkeit, Gemeinwohl, wichtiger Grund, öffentliches Interesse usw.), deren Auslegung, Anwendung und damit auch Kontrolle mit grundsätzlichen Schwierigkeiten behaftet ist. Teils wird hieraus gefolgert, dass aus der Unbestimmtheit eine Einschätzungsprärogative der Verwaltung folge und die Ausfüllung des Rechtsbegriffs daher nur eingeschränkter gerichtlicher Kontrolle unterliege.[531] Ausgangspunkt dieser Auffassung ist, dass der Gesetzgeber die Verwaltung zu eigenverantwortlicher Entscheidung ermächtige, ihr also einen Beurteilungsspielraum übertrage, der unterschiedlich ausgefüllt werden könne, schon weil es aufgrund der Wertungsabhängigkeit und Unwiederholbarkeit der Entscheidungssituation aus normlogischen Gründen nicht nur eine richtige Lösung geben könne.

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Richtigerweise folgt jedoch allein aus der tatbestandlichen Unbestimmtheit einer Norm noch kein Beurteilungsspielraum und damit im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG auch keine Freistellung von gerichtlicher Kontrolle.[532] Die Rechtsprechung geht daher zutreffend davon aus, dass im Grundsatz eine Vollkontrolle erfolgt, hat aber ausnahmsweise im Wege der Kasuistik Beurteilungsspielräume anerkannt,[533] und zwar bei Prüfungsentscheidungen, beamtenrechtlichen Beurteilungen, Entscheidungen weisungsfreier sowie sachverständig besetzter Kollegialorgane, komplexen Prognoseentscheidungen und lediglich final programmierten verwaltungspolitischen Entscheidungen.[534]

c) Ermessen

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Bei Ermessensentscheidungen wird der Verwaltung auf der Rechtsfolgenseite die Möglichkeit eröffnet, zwischen verschiedenen Rechtsfolgen auszuwählen. Semantisch wird die Einräumung von Ermessen in der Regel durch die Andeutung verschiedener Handlungsoptionen verbalisiert („kann“, „darf“) und gegenüber gebundenen Entscheidungen („ist zu“, „muss“) abgesetzt. Sonderfälle bilden die Sollvorschriften sowie das intendierte Ermessen, bei dem das Gesetz zwar die grundsätzliche Handlungsrichtung vorgibt, hiervon aber Ermessensabweichungen für atypische Ausnahmefälle zulässt.[535] Im Einzelfall kann das Ermessen „auf Null“ reduziert sein und sich zu einer Handlungsverpflichtung verdichten, wenn entweder nur eine Entscheidung sachlich vertretbar ist oder grundrechtliche Einflüsse die verhältnismäßigen Entscheidungsoptionen einengen.

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Ermessen bedeutet nicht Entscheiden nach freiem Belieben. Vielmehr hat die Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (§ 40 VwVfG). Hieraus haben Rechtsprechung und Lehre eine allgemeine Ermessensfehlerlehre entwickelt, die gleichermaßen die Grenzen des Ermessens und die Möglichkeiten gerichtlicher Kontrolle markiert (vgl. § 114 Satz 1 VwGO).[536] Eine Ermessensüberschreitung liegt vor, wenn die Verwaltung eine gesetzlich nicht vorgesehene Rechtsfolge wählt. Eine Ermessensunterschreitung ist gegeben, wenn die Behörde vom eingeräumten Ermessen keinen Gebrauch macht, etwa weil sie sich rechtsirrig zum (Nicht-)Handeln verpflichtet fühlt.[537] Ein Ermessensmissbrauch liegt – insoweit in Abweichung vom wesentlich verwaltungsfreundlicheren Unionsrecht[538] – bereits dann vor, wenn sich die Behörde nicht ausschließlich vom Zweck der Ermessensvorschrift leiten lässt.[539] Schließlich kann ein Ermessenfehler darin liegen, dass die Verwaltung Vorgaben des höherrangigen Rechts wie etwa der Grundrechte (insbesondere Art. 3 Abs. 1 GG) oder der Staatszielbestimmungen (etwa Art. 20a GG) nicht hinreichend beachtet hat. Besonderen Regeln unterfällt das Planungsermessen.[540]

4. Andere Kontrollinstrumente

a) Widerspruchsverfahren

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Vor Erhebung der Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts grundsätzlich in einem administrativen Vorverfahren nachzuprüfen (§ 68 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO). Das damit im Prinzip obligatorische Widerspruchsverfahren ist Sachentscheidungsvoraussetzung der bezeichneten verwaltungsgerichtlichen Klagen und dient dem individuellen Rechtsschutz, der Selbstkontrolle der Verwaltung sowie der Entlastung der Verwaltungsgerichte.[541]

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Der Widerspruch, der grundsätzlich binnen eines Monats schriftlich oder zur Niederschrift einzulegen ist (§ 70 Abs. 1 VwGO), entfaltet – vorbehaltlich gesetzlicher Ausnahmen (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 VwGO) – aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 1 VwGO). Hilft die Ausgangsbehörde dem Widerspruch nicht ab (§ 72 VwGO), ergeht ein (gerichtlich anfechtbarer) Widerspruchsbescheid, den nach § 73 Abs. 1 Satz 1 VwGO im Regelfall die nächsthöhere Behörde, in Selbstverwaltungsangelegenheiten die Selbstverwaltungsbehörde erlässt (Devolutiveffekt).

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Das Widerspruchsverfahren kann durch Gesetz ausgeschlossen werden (§ 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO), wovon Bundes- und Landesgesetzgeber schon bisher häufig Gebrauch gemacht haben. Eine rechtspolitisch umstrittene jüngere Politik einzelner Länder (z.B. Bayern, Hessen), gegen die allerdings keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen,[542] geht dahin, das obligatorische Widerspruchsverfahren auf Landesebene aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung und Kostensenkung, aber auch auf der Grundlage empirischer Studien über die mangelne Erfüllung der Selbstkontrollfunktion des Vorverfahrens in der Praxis (weitgehend) abzuschaffen.[543] Funktional entspricht dies dem in der Regel fakultativen „recours administratif“ in Frankreich.[544]

b) Vergabenachprüfungsverfahren

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Das europäische Vergaberecht[545] stellt besondere Anforderungen an nationale Vergabeverfahren, hat durchsetzbare Bieterrechte begründet[546] und verlangt einen effektiven Bieterrechtsschutz.[547] In verspäteter[548] Umsetzung dieser Vorgaben wurde das Vergaberecht im Hinblick auf seine Funktion, den Wettbewerb in seiner freiheitlichen wie institutionellen Komponente zu schützen,[549] in das GWB nebst untergesetzlichem Regelwerk integriert (§§ 97ff. GWB).

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Das GWB sieht als Rechtsschutz bei Verstößen gegen bieterschützende Vergabevorschriften[550] das Vergabenachprüfungsverfahren durch unabhängige Vergabekammern des Bundes[551] und der Länder (§§ 104f. GWB) vor (§§ 107ff. GWB). Das Nachprüfungsverfahren, das durch das am 24.4.2009 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts wesentliche Änderungen erfahren hat,[552] ist ein besonderes Eilverfahren (vgl. §§ 113, 115 Abs. 2 GWB),[553] in dem der Untersuchungsgrundsatz gilt (§ 110 GWB) und in dem in einem förmlichen Verfahren mit mündlicher Verhandlung (§ 112 Abs. 1 GWB) durch Verwaltungsakt diejenigen Maßnahmen getroffen werden, die zur Beseitigung der Verletzung subjektiver Bieterrechte erforderlich sind (§ 114 GWB). Entscheidungen der Vergabekammer können durch sofortige Beschwerde zum Vergabesenat des zuständigen Oberlandesgerichts, das hier funktional als Verwaltungsgericht entscheidet,[554] angefochten werden (§§ 116ff. GWB).

c) Beauftragte (Ombudsmann)

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Einen allgemeinen Bürgerbeauftragten (Ombudsmann), der den Bürger beim Verkehr mit Behörden berät und unterstützt sowie die Verwaltung im Auftrag des Parlaments überwacht, gibt es auf Bundesebene nicht. Eine solche, aus Skandinavien stammende[555] und daneben insbesondere noch im angelsächsischen Rechtskreis, aber auch in Frankreich mit dem „médiateur de la République“[556] und auf EU-Ebene[557] erfolgreich eingeführte Institution wird in Deutschland wegen des Vorhandenseins einer funktionsfähigen Verwaltungsgerichtsbarkeit und von Petitionsausschüssen für entbehrlich gehalten.[558] Nur auf Landesebene (Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein) gibt es solche „klassischen“ Ombudsmännern ausländischen Vorbilds vergleichbare Beauftragte, die generell die „sozialen“ Belange der Bürger wahrnehmen.

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Sonderbeauftragte für bestimmte Grund- oder Querschnittsaufgaben gibt es dagegen in Deutschland zahlreich und mit zunehmender Tendenz. Hierzu gehören einerseits Beauftragte, die unmittelbar dem Verwaltungschef unterstehen und über begrenzte Einzelbefugnisse in der Linien-Verwaltung verfügen wie der Organisationsreferent oder der Beauftragte für den Haushalt in den Ministerien (z.B. § 9 Abs. 1 BHO). Andererseits fallen unter die Gruppe der Sonderbeauftragten auch Beauftragte mit Außenkompetenzen, die organisationsrechtlich „neben der Linie“ stehen wie Datenschutzbeauftragte, Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragte. Sie alle vertreten dauerhaft bestimmte konkrete Sachanliegen in der Verwaltung, die ansonsten als nicht hinreichend repräsentiert gelten, und dienen Funktionen der (im ersten Fall internen, im zweiten Fall externen) Verwaltungskontrolle. In Einzelfällen werden derartige Beauftragte auch nur befristet und für sehr begrenzte Aufgaben (insbesondere der Organisation und Kontrolle) bestellt.[559] Unter deutschen Umweltjuristen findet seit einiger Zeit eine Debatte darüber statt, ob – erneut an ausländische Regelungsvorbilder anknüpfend[560] – zur Stärkung gegenwärtiger, aber vor allem auch zukünftiger ökologischer Belange bzw. des Nachhaltigkeitsprinzips ein spezieller Beauftragter („Ombudsmann der Nachkommen“, „Ombudskommission“, „Nachweltkommission“ o.ä.) eingerichtet werden sollte.[561]