Ius Publicum Europaeum

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b) Reformtendenzen

aa) New Public Management und Neues Steuerungsmodell

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Die unter dem Schlagwort des New Public Management zusammengefassten Reformstrategien, die Anfang der 1990er-Jahre von Großbritannien ausgehend über Kanada, die USA, Australien und Neuseeland mit Verspätung auch auf dem europäischen Kontinent (zunächst Niederlande und Skandinavien, dann u.a. Deutschland) Einzug hielten,[153] zielten auf eine Übernahme von wettbewerbsorientierten Modernisierungserfahrungen aus dem Management der Privatwirtschaft für die öffentliche Verwaltung.

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Kernbestandteile des New Public Management sind die Trennung zwischen der strategischen Planung bzw. Aufgabendefinition durch die politische Führung (Prinzipal) und der operativen Umsetzung durch die Verwaltung (Agent), die Umwandlung zentralistischer Matrixstrukturen innerhalb des Verwaltungsaufbaus in weitgehend autonome, sich selbst steuernde Einheiten mit dezentraler Ressourcenverantwortung (Konzernstruktur), die Konzentration auf staatliche Kernaufgaben und die Auslagerung von öffentlichen Aufgaben (Privatisierung, Contracting Out, Public-Private-Partnership), die Ausrichtung der Leistungserbringung am Bürger als Kunden, die Marktorientierung durch Einführung von Wettbewerbselementen (z.B. Benchmarking), die stärkere Outputorientierung durch Kosten-, Leistungs- und Wirkungskontrolle (Controlling)[154] sowie die gezielte Organisations- und Personalentwicklung.[155]

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Von der kommunalen Ebene ausgehend wurde in Konkretisierung des New Public Management unter Federführung der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) ein Neues Steuerungsmodell (NSM)[156] entwickelt, zunächst über kommunalrechtliche Experimentierklauseln erprobt und, soweit es sich bewährte, dauerhaft in die Gemeindeverfassungen sowie in angepasster Form auch in die Gesetze in anderen Selbstverwaltungsbereichen (z.B. Hochschule)[157] übernommen. Ziel des NSM ist es, dem Leitbild der Verwaltung als „Dienstleistungsunternehmen“ folgend, die Effizienz und die Effektivität des Verwaltungshandelns zu steigern sowie die Bürgerinteressen als „Kundeninteressen“ stärker zu berücksichtigen, was zu mehr Wettbewerb, mehr Transparenz und einer neuen Verwaltungskultur beitragen soll. Das NSM verkoppelt hierfür organisations-, verfahrens-, haushalts- und dienstrechtliche Elemente. Es basiert auf einem Konzept, in dessen Mittelpunkt ein Verständnis von administrativen Leistungen als Produkte steht (Outputorientierung).[158]

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Kernbestandteile des NSM sind: Budgetierung[159], dezentrale Zusammenführung von Fach- und Ressourcenverantwortung, Leistungsabsprachen bzw. Zielvereinbarungen zwischen politischer Führung und Verwaltung (Kontraktmanagement)[160], ein Verwaltungscontrolling (mit kaufmännischem Rechnungswesen sowie Kosten- und Leistungsrechnung) sowie eine veränderte, stärker kooperative und vertrauensbasierte Staatsaufsicht einschließlich der Ausdifferenzierung neuer Aufsichtsformen[161].

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Ergänzt wurden die kommunalen Reformen durch Modernisierungsstrategien auf Ebene der Länder- und der Bundesverwaltung[162].[163] Die Reformen reichten dabei von der Einführung dezentraler Budgetverantwortung und der Kosten- und Leistungsrechnung (§ 6 Abs. 3, § 33 HGrG) über Elemente des Qualitätsmanagements (Leitbildentwicklung, Mitarbeiterbefragung, Workshops, Qualitätszirkel, Führungspositionen auf Zeit) und die Schaffung von Bürgerämtern bis hin zur Veranstaltung von Qualitätswettbewerben.[164] Selbst im Bereich der Justiz (-verwaltung) entfaltet das NSM seine Wirkungen.[165]

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Insgesamt blieb die praktische Umsetzung der Reformansätze – gerade auf Bundes- und Länderebene – hinter den ursprünglichen Ambitionen der Politik und deren Programmatik (Stichworte: „Deregulierung“, „Schlanker Staat“, „Aktivierender Staat“[166]) zurück. Die Ursachen hierfür liegen in vielfältigen Reformwiderständen und Problemen, wie etwa Unklarheiten bei der „Produkt“definition, mentalen Reserven der Mitarbeiter, der Verwaltungskultur oder rechtlichen Hindernissen.[167] In der Folge ist die Aufbruchstimmung, die noch die erste Hälfte der 1990er-Jahre prägte, seit der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre einer Phase der Stagnation und Ernüchterung und dann einer Phase der Konsolidierung und Konzentration gewichen.[168]

bb) Privatisierung, Gewährleistungsverwaltung, Regulierung

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Das klassische Bild der unmittelbaren Staatsverwaltung als einer hierarchischen und bürokratischen Verwaltung wurde in Deutschland in den vergangenen Jahren durch eine „Welle“ von Privatisierungen überformt,[169] die erhebliche – in der Tendenz eher komplexitätssteigernde – Auswirkungen auf die Verwaltungsorganisation in Deutschland gehabt hat.[170] Dies gilt besonders für die Organisationsprivatisierung (formelle Privatisierung)[171], das heißt die Kreation von Verwaltungsträgern in Privatrechtsform, sowie für die Beleihung Privater mit der Ausübung hoheitlicher Gewalt und Formen der Verwaltungshilfe (funktionale Privatisierung)[172]. Demgegenüber ist die Aufgabenprivatisierung (materielle Privatisierung) für die Verwaltungsorganisation ohne Auswirkung, da hier eine Aufgabe, deren Wahrnehmung Privaten überlassen wird, aus dem Kreis der Staatsaufgaben und damit auch der Verwaltungsaufgaben herausfällt.[173] Die Vermögensprivatisierung hat von vornherein keinen direkten Bezug zu den Verwaltungsaufgaben und spielt in öffentlich-rechtlichen Analysen deshalb kaum eine Rolle.[174]

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In der Folge der zurückliegenden „Privatisierungswelle“ stellt sich eine Vielzahl von juristisch anspruchsvollen, zum Teil bis heute noch nicht abschließend geklärten Rechtsproblemen (Privatisierungsfolgenrecht).[175] Dabei besteht weitgehende Einigkeit, dass die Verknüpfung der Liberalisierung der Märkte mit der staatlichen Ergebnisverantwortung nur herstellbar ist, wenn der Staat, dem die Mittel der Erfüllung durch eigenes Personal und eigene Sachmittel aus der Hand genommen sind, der also nicht mehr die Erfüllungsverantwortung trägt, auf die Handlungsrationalität privater Wirtschaftsunternehmen weiterhin einwirkt, um als „Gewährleistungsstaat“[176] seiner Gewährleistungsverantwortung gerecht zu werden, einschließlich einer „Auffangverantwortung“[177], also der Pflicht, im Falle des Versagens der Privaten gegebenenfalls wieder selbst „in die Bresche zu springen“ und die Aufgabe zurückzuholen. Um diese Zusammenhänge im Einzelnen näher zu erforschen, hat sich mit dem Gewährleistungsverwaltungsrecht zwischenzeitlich eine neue, eigenständige Teildisziplin des (im Schwerpunkt) Öffentlichen Rechts etabliert.[178]

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Die Gewährleistungsverwaltung[179] setzt vor allem auf das Instrument der Regulierung,[180] also die Schaffung eines rechtlichen Rahmens dynamischer, gemeinwohlsichernder Regelungsstrukturen sowie die eingreifende Reglementierung der tatsächlichen Bedingungen gemeinwohlverträglicher Marktteilnahme im Einzelfall.[181] Sie trägt damit der gesicherten Erkenntnis Rechnung, dass zwischen Privatisierung (Selbstregulierung) und Regulierung ein – je nach Gebiet unterschiedlich enger – sachlicher Zusammenhang („regulierte Selbstregulierung“) besteht.[182]

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Vor diesem Hintergrund hat sich mit der Regulierungsverwaltung ein neuer Verwaltungstypus entwickelt, dessen Neuartigkeit sich sowohl auf die Regelungsstrukturen wie auch auf ihre Organisation bezieht.[183] Dem Regulierungsverwaltungsrecht geht es vor allem „um die Überführung vormals staatlich betriebener Infrastrukturen in die Wettbewerbsordnung bei gleichzeitiger Erhaltung eines allgemein erreichbaren Standards, daneben aber auch um die technologieneutrale Erweiterung oder Neuschaffung von innovativen Infrastrukturen (Bahn, Post, Energie, Telekommunikation, zukünftig eventuell Wasser)“[184].

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Zwar dient die Regulierung als Hebel zur Ermöglichung privater Wirtschaftsteilnahme auf durch frühere Staatsmonopole geprägten Märkten und erweist sich somit in finaler Perspektive als freiheitsförderlich. Auch bei dem Prozess der Regulierung besteht jedoch die Gefahr, dass es modal zu freiheitsgefährdenden Effekten durch ein „zu viel“ an Eingriffen und Planung kommt. Daher sind die Vorgaben des Rechtsstaatsprinzips (insbesondere Verhältnismäßigkeit, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes) genau zu beachten.[185] Da die Regulierungsbehörden staatliche Gewalt vorrangig gegenüber privaten Leistungserbringern, mittelbar aber auch gegenüber Dritten (Wettbewerbern, Endkunden) ausüben, gilt für sie überdies das Erfordernis einer hinreichenden demokratischen Einbindung (Art. 20 Abs. 2 GG).[186]

cc) Unabhängige Agenturen

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Der Trend zur Pluralisierung der Verwaltung wird durch eine jüngere Entwicklung nicht nur auf der EU-Ebene[187], sondern auch im Bereich der unmittelbaren Bundesverwaltung noch verstärkt: Immer mehr Verwaltungsaufgaben werden seit einigen Jahren von selbständigen Bundesoberbehörden wahrgenommen, also von Stellen, die einer obersten Bundesbehörde (Ministerium) unmittelbar nachgeordnet sind, aber keinen Unterbau haben, sondern für das ganze Bundesgebiet zuständig sind (vgl. Art. 87 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. GG).[188] Es handelt sich um Behörden, die für besondere, aus technischen oder sonstigen Gründen komplexe Aufgaben eingerichtet und hierfür mit Sachverständigen für das jeweilige Gebiet besetzt wurden. Dabei gehört die Weisungsfreiheit grundsätzlich nicht bereits zu den verfassungsrechtlichen Begriffsmerkmalen einer „selbständigen“ Bundesoberbehörde.[189] Es ist aber stets die jeweilige einfach-gesetzliche Rechtsgrundlage zu beachten, die regelmäßig spezielle Vorschriften über die (Fach-)Aufsicht enthält.

 

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Ein wichtiges Beispiel[190] für die Neueinrichtung[191] einer selbständigen Bundesoberbehörde (mit gewisser Sonderstellung) ist die Bundesnetzagentur (BNetzA) für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahn im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Die Behörde mit Sitz in Bonn ist aus der am 1.1.1998 gegründeten Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP) und dem Eisenbahnbundesamt hervorgegangen und wurde am 13.7.2005 in Bundesnetzagentur umbenannt. Die verfassungsrechtliche Grundlage für die erweiterte Aufgabenzuweisung folgt aus Art. 87e Abs. 1 GG bzw. Art. 87 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG. Die Organisationsvorschriften sind in dem Gesetz über die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (BNetzAG) vom 7.7.2005[192] geregelt. Die BNetzA hat zehn Außenstellen und den jeweiligen Außenstellen zugeordnete Standorte. Im Energiewirtschaftsrecht sind bestimmte Aufgaben den Landesregulierungsbehörden vorbehalten. Ihnen obliegt die Regulierung der Energieversorgungsunternehmen, an deren Elektrizitäts- oder Gasnetz jeweils weniger als 100.000 Kunden angeschlossen sind und deren Verteilernetz nicht über das Gebiet eines Bundeslandes hinausreicht.[193]

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Die Regulierungsbehörde ist „das institutionelle Gegenstück der regulatorischen Marktbegleitung“[194]. Ihre Hauptaufgabe ist es, für einen diskriminierungsfreien Netzzugang und effiziente Netznutzungsentgelte, mithin für Liberalisierung und Deregulierung auf den Netzmärkten zu sorgen. Ihr ist die Durchsetzung der jeweiligen bereichsspezifischen Regulierungsziele, insbesondere die Marktbeobachtung und Evaluierung des Regulierungsrahmens unter Nutzung wissenschaftlicher Beratung, aufgegeben. Hierfür ist sie mit wirksamen Verfahren und Instrumenten ausgestattet worden, die auch Informations- und Untersuchungsrechte sowie abgestufte Sanktionsbefugnisse einschließen. Darüber hinaus wird sie durch einen (politisch besetzten) Beirat unterstützt.[195] In neuerer Zeit verschwimmt dieses zunächst relativ klare Aufgabenprofil jedoch zunehmend. Grund hierfür ist das dem „more economic approach“[196] der Europäischen Kommission zugrunde liegende, weit in den Bereich der Konsumentenwohlfahrt (sogenannter Verbraucherschutz) ausgreifende, diffuse Zielbündel und die damit verbundene Umstellung von einem – zutreffenden – ergebnisoffenen auf ein – abzulehnendes – ergebnisorientiertes Wettbewerbskonzept, das die Schwelle für wohlfahrtsökonomisch bzw. sozial motivierte Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Wettbewerbsfreiheit Privater deutlich herabsetzt.[197]

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Die verselbständigte Stellung der BNetzA[198] entspricht dem unions- und verfassungsrechtlichen Gebot der Unabhängigkeit: Die funktionelle Unabhängigkeit[199] der Regulierungsbehörde wird durch Art. 87f, 87 Abs. 3 GG umgesetzt. Die von der EU-Telekommunikationsrahmenrichtlinie geforderte politische Unabhängigkeit beschränkt sich auf die unparteiische und transparente Ausübung der Befugnisse. Der BNetzA soll hiermit die Verwirklichung einer eigenen Regulierungspolitik in gewisser Distanzierung von der politischen Ministerialverwaltung ermöglicht werden. Daher ist sie aus der unmittelbaren Ministerialverwaltung ausgegliedert und besitzt zwar keine Rechtsfähigkeit, aber eigene Organisations-, Personal- und Finanzhoheit.[200]

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Mit politischer Unabhängigkeit war bislang keine Weisungsfreiheit (Unzulässigkeit von Einzelweisungen) nach dem Vorbild der US-amerikanischen regulatory agencies[201] gemeint.[202] Dies änderte sich infolge des sogenannten Dritten Binnenmarktpakets der EU[203]: Die nationale Regulierungsbehörde hat danach nicht nur von Marktinteressen, sondern auch von Regierungsinteressen personell und funktionell unabhängig zu sein. „Direkte Weisungen“ sind unzulässig; die Behörde muss „selbständige Entscheidungen“ treffen können.[204] Hierin liegt ein Verstoß gegen das Prinzip der Sicherung des deutschen Demokratieprinzips (Art. 20 Abs. 2 GG) als Teil der „jeweiligen nationalen Identität“, zu deren Achtung die EU gemäß Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV verpflichtet ist; dieser Verstoß führt zur – teilweisen – Unionsrechtswidrigkeit der beiden genannten Richtlinien.[205] Das grundgesetzliche Demokratieprinzip (sachlich-inhaltliche Legitimation der Verwaltung) verlangt nämlich grundsätzlich zwingend eine Weisungsunterworfenheit auch von Agenturen, solange es – wie im Falle der Bundesnetzagentur – an einer verfassungsrechtlichen Grundlage für eine „Ministerialfreiheit“ (vergleichbar Art. 88 Satz 2 GG für die Deutsche Bundesbank und Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG für den Bundesrechnungshof) fehlt.[206] Dies hat auch die Union zu respektieren. Als ausreichendes Korrektiv der nach nationalem Recht fehlenden Weisungsfreiheit und als Garant für das unionsrechtlich geforderte Maß an Transparenz wirkt die Pflicht zur Veröffentlichung von Weisungen.[207] Die politische Unabhängigkeit wird ferner personell durch Inkompatibilitätsvorschriften[208] und prozedural durch das justizförmige Kammerverfahren[209] verbürgt.[210]

dd) Elektronische Verwaltung

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Seit dem Ende der 1990er-Jahre sind die Abläufe in der Verwaltung und Verwaltungsjustiz[211] in Deutschland in zunehmendem Maße durch das Leitbild der Elektronischen Verwaltung (Electronic Government, E-Government) gekennzeichnet.[212] Gemeint ist hiermit der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnik zum Zwecke der Verbesserung der Verwaltungsleistungen, der Erhöhung der Bürgernähe und Transparenz[213] sowie der Steigerung der administrativen Effizienz.[214] Hauptschubkräfte für die seit einigen Jahren zu konstatierende neue Qualität auf dem Gebiet der Informatisierung der Verwaltung[215] waren die rasante Weiterentwicklung der Informationstechnik, die Veränderungen in der Verwaltungskultur infolge des Neuen Steuerungsmodells sowie die Verbreitung des Internets[216] als Kommunikationsmedium innerhalb der Bevölkerung.

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Zunächst ging es bei der Umsetzung des Leitbildes des E-Government vor allem um die Erleichterung des Zugangs des Bürgers und der Wirtschaft zu öffentlichen Dienstleistungen über einheitliche Internet-Portale der Behörden und um die Einrichtung von Behörden als einzigem virtuellen Ansprechpartner („One-Stop-Government“).[217] In neuerer Zeit verlagert sich der Schwerpunkt stärker zur Reorganisation der behördeninternen Arbeitsabläufe, etwa durch Einführung des papierarmen Büros, Standardisierung und Mehrfachverwendung von Prozessteilschritten, Entwicklung einheitlicher Formate, Einsatz von Work-Flow-Managementsystemen oder Ausbau von Informationsverbünden. Art. 8 der EU-Dienstleistungsrichtlinie hat zu einer weiteren Aufwertung des Konzepts des E-Government geführt,[218] die sich in Deutschland u.a. in § 41 Abs. 2 und § 71e VwVfG n.F. niedergeschlagen hat.[219] Einzelmaßnahmen im Rahmen des E-Government sind indes rechtspolitisch und verfassungsrechtlich durchaus kontrovers (z.B. Einführung eines „E-Personalausweises“[220]).

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Die geschilderte tatsächliche Entwicklung der Verwaltung in der Informations- und Wissensgesellschaft[221] ist nicht ohne Rückwirkungen auf die Dogmatik des Verwaltungsrechts geblieben: In der Verwaltungsrechtswissenschaft setzt sich immer mehr die Erkenntnis von der Notwendigkeit der systematischen Ausbildung eines übergreifenden Informationsverwaltungsrechts durch, in dessen Zentrum die Steuerungsfaktoren Information, Wissen und Kommunikation stehen und für dessen wissenschaftliche Etablierung bereits wesentliche Vorarbeiten geleistet wurden.[222] Andreas Voßkuhle[223] hat hierfür vier Regelungssektoren ausgemacht, die im Kontext ihrer Vernetzung innerhalb der EU[224] analysiert werden müssen: (1) Ein die Informations- und Kommunikationsbeziehungen zwischen Staat und Bürger regelndes Verwaltungskommunikationsrecht (z.B. elektronisches Verwaltungsverfahren, elektronischer Verwaltungsakt,[225] Informationszugangsrechte), (2) ein den verwaltungsinternen Bereich betreffendes informationelles Verwaltungsorganisationsrecht, (3) ein das Verhältnis der privaten Akteure untereinander ordnendes informationsbezogenes, wettbewerbs- und marktorientiertes Regulierungsrecht und (4) ein Datenverkehrsrecht, das dem Schutz personenbezogener Informationen dient.

c) Anpassungsstrategien und -probleme mit Blick auf die Europäisierung

aa) Stärkung der Verwaltungsverantwortung

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Das Unionsrecht nimmt sowohl unmittelbar durch punktuelle Organisationsregelungen als auch mittelbar über die aus der Unionstreue (Prinzip der loyalen Zusammenarbeit, Art. 4 Abs. 3 EUV[226]) abgeleiteten Gebote der Äquivalenz und der Effektivität des indirekten Vollzugs auf das nationale Verwaltungsorganisationsrecht Einfluss.[227] Beispiele wären primärrechtliche Privatisierungsimpulse[228] oder die sekundärrechtliche Pflicht, bestimmte Verwaltungsstellen zu errichten bzw. zu vernetzen.[229] Die teilweise andersartigen Regelungsdesigns der EU haben dabei den Einfluss der steuernden Legislative, aber auch der kontrollierenden Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Tendenz eher zurückgedrängt.[230] Die materiell-rechtlichen Vorgaben greifen zwar weit aus, verlieren aber an inhaltlicher Dichte (Finalisierung der Steuerung)[231]. Die Steuerung durch Ressourcen[232], durch Organisation[233] und durch Verfahren (Prozeduralisierung des Rechts) tritt vielfach an die Stelle der parlamentarischen Entscheidung in der Sache.

bb) Europäischer Verwaltungsverbund

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Die Europäische Verwaltung nimmt zunehmend die Form eines Netzwerks[234] an, in dem verschiedene Entscheidungsebenen – bis hin zu Formen einer „Gemeinsamen Europäischen Verwaltung“[235] – miteinander interagieren.[236] Mit Blick auf diese vielfältigen,[237] nicht selten informalen Formen der Zusammenarbeit[238] zwischen nationalen Behörden sowie zwischen nationalen Behörden und der Kommission[239] wird von der Herausbildung eines horizontalen und vertikalen Europäischen Verwaltungsverbunds im Sinne eines Informations-, Handlungs- und Kontrollverbunds[240] oder – juristisch weniger präzise – von einer Mehrebenenverwaltung[241] gesprochen.

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Rechtsstaatliche Grundprinzipien Europäischer Verbundverwaltung sind Transparenz, Kohärenz und Subsidiarität.[242] Ausprägungen des Verbundgedankens sind das europäische Umweltinformationsnetz[243] oder die Verpflichtung, innerhalb des mitgliedstaatlichen Territoriums Behörden zur Verwaltung von Flussgebietseinheiten einzurichten und bei grenzüberschreitenden Flussverläufen mit anderen Anrainerstaaten Kooperationsbedingungen zu institutionalisieren[244]. Die Bundesnetzagentur ist Teil eines europäischen Regulierungsverbundes[245] und daher kompetenziell in vielfacher Weise mit Entscheidungsbefugnissen anderer nationaler Regulierungsbehörden und der Kommission verwoben (vgl. Art. 7 Abs. 3–5 Telekommunikationsrahmenrichtlinie, § 12 Abs. 2 TKG).