Ius Publicum Europaeum

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2. Eigenständigkeit der Verwaltung

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Innerhalb der gewaltenteilenden Funktionenordnung des Grundgesetzes ist neben der Legislative und der Justiz auch die Verwaltung eine eigenständige, bereits institutionell und funktionell demokratisch legitimierte[39] Staatsgewalt (vgl. Art. 20 Abs. 2 GG).[40] Verwaltung ist zwar gesetzesdirigiert, aber niemals in dem Sinne einer Beschränkung auf bloßen Normvollzug. Die Legitimation der Verwaltung bezieht sich vielmehr auf die Vermittlung demokratisch gesetzten Rechts durch stufenweise Konkretisierung in einem vielschichtigen, auch rechtsschöpferischen Rechtsanwendungsprozess.[41] Die Erscheinungsformen administrativer Eigenständigkeit sind dabei unterschiedlich, je nach Aufgabenstruktur und aufgabenspezifischen Erfüllungsmodalitäten.[42] Spezialausprägungen der Eigenständigkeit der Verwaltung sind die Annahme eines unentziehbaren Kerns exekutivischer Eigenverantwortung (Verwaltungsvorbehalt)[43] sowie die Anerkennung von Einschätzungsspielräumen der Gubernative,[44] in bestimmten Fällen auch der Administrative (Verwaltungsermessen). Der Fokus der Beschäftigung mit der Verwaltung sub specie der Gewaltenteilung liegt damit in Deutschland traditionell vor allem auf dem Verhältnis der Verwaltung zur Gesetzgebung, während etwa in Frankreich die aus der Exekutive hervorgegangene Verwaltungsgerichtsbarkeit im Zentrum des Interesses steht.[45]

3. Gesetzmäßigkeit der Verwaltung

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Im liberalen Rechtsstaat des Grundgesetzes (formeller Rechtsstaat) gilt der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG).[46] Dieser Grundsatz bringt zum einen die Bindung der Verwaltung an die bestehenden Gesetze zum Ausdruck (Vorrang des Gesetzes).[47] Daneben wird verschiedentlich aus Art. 20 Abs. 3 GG auch der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes abgeleitet,[48] nach dem die Verwaltung nur tätig werden darf, wenn sie dazu durch Gesetz ermächtigt worden ist. Hiergegen spricht jedoch der Wortlaut des Art. 20 Abs. 3 GG, der nur auf das Vorrangprinzip ausgerichtet ist. Richtigerweise ist daher zwischen dem grundrechtlichen Gesetzesvorbehalt und dem allgemeinen Gesetzesvorbehalt zu unterscheiden und Letzterer im Demokratie- sowie Rechtsstaatsprinzip zu verankern.[49]

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Demokratischer und parlamentarischer Gesetzesvorbehalt konvergieren zwar in ihrer Wirkung, beruhen jedoch auf unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Grundlagen.[50] Der aus Art. 20 Abs. 3 GG abgeleitete rechtsstaatliche Gesetzesvorbehalt (Rechtssatzvorbehalt) verlangt, dass das Verwaltungshandeln überhaupt durch hinreichend bestimmte Normen angeleitet wird, also nicht der Beliebigkeit administrativen Gestaltungswillens überlassen wird. Dem kann auch durch untergesetzliche Regelungen (Verordnungen, Satzungen) entsprochen werden.[51] Der demokratische Gesetzesvorbehalt (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG) verlangt, dass wesentliche Entscheidungen über Inhalt und Maßstab exekutivischen Handelns auf einen hinreichend bestimmbaren Parlamentswillen rückführbar sind. Der Gesetzgeber hat hierbei den Grad inhaltlicher Bestimmtheit an dem notwendigen Maß der Determination des Verwaltungshandelns auszurichten und die Grundsätze der Normenklarheit und Justitiabilität zu beachten.[52]

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Auch der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verlangt indes keinen parlamentarischen Totalvorbehalt.[53] Vielmehr ist zu differenzieren: Im Bereich der Eingriffsverwaltung muss jede belastende staatliche Maßnahme auf einer hinreichenden parlamentsgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage beruhen. Entscheidungen über die Grenzen der Freiheit des Bürgers dürfen nicht einseitig dem Ermessen der Verwaltung überantwortet werden.[54] Im Bereich der Leistungsverwaltung ist einerseits der Grad der Freiheitsbeeinträchtigung geringer. Andererseits sind staatliche Leistungen in vielen Bereichen von elementarer Bedeutung für den Einzelnen und belasten zudem den – parlamentarisch zu verantwortenden (vgl. Art. 110 GG) – Haushalt. Daher wird allgemein eine Ausgabenermächtigung im Haushaltsplan sowie eine die Leistungen strukturierende und damit Gleichmäßigkeit gewährleistende Binnensteuerung durch Verwaltungsvorschriften für erforderlich, aber auch für ausreichend erachtet. Soweit Leistungen indes durch die Förderung einzelner Adressaten andere wettbewerblich benachteiligen und hierdurch qualifizierte Grundrechte betroffen sind, ist ebenfalls eine hinreichende gesetzliche Grundlage vonnöten.[55] Daneben ist ein institutioneller Gesetzesvorbehalt für wesentliche Organisationsentscheidungen anerkannt,[56] namentlich für die Gründung selbständiger juristischer Personen des öffentlichen Rechts[57] sowie für die Beleihung Privater[58].

4. Kontrollprinzip, insbesondere effektiver Rechtsschutz

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Zum Kernbestand rechtsstaatlicher Verwaltung gehört die Pflicht des Staates zur Justizgewährung.[59] Die Rechte des Einzelnen sind daher durch das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) prozessual bewehrt. Art. 19 Abs. 4 GG bildet als prozessuales Hauptgrundrecht die tragende Säule des deutschen Kontrollprinzips, dessen Hauptakteure die unabhängigen Gerichte (Art. 92ff. GG) sind. Hinzu kommen andere Kontrollinstrumente, so dass die Verwaltung insgesamt einem dichten Geflecht von internen und externen Kontrollen unterliegt. Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang auch der Organisation[60] und dem Verwaltungsverfahren in ihrer (Grund-) Rechtsschutz antizipativ sichernden Funktion zu.[61] Das Verwaltungsverfahren sichert dem Einzelnen insoweit einen „status activus processualis“ (Peter Häberle)[62]. Hierfür spielen vor allem spezifische Verfahrensrechte des Einzelnen,[63] etwa das Recht auf Anhörung (§ 28 VwVfG), das Recht auf Akteneinsicht (§ 29 VwVfG) und das Recht auf Informationszugang, eine erhebliche Rolle.

5. Rechtssicherheit, insbesondere Vertrauensschutz

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Aus einzelnen Verfassungsvorschriften und Verfassungsprinzipien, insbesondere dem Rechtsstaatsprinzip, lassen sich überdies allgemeine Grundsätze des Verwaltungsrechts ableiten.[64] Hierzu zählt vor allem der Grundsatz der Rechtssicherheit.[65] „Die Verlässlichkeit der Rechtsordnung ist eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen“[66], die freilich nicht selten in Kollision gerät mit gegenläufigen Prinzipien (z.B. Einzelfallgerechtigkeit, Vorrang des Gesetzes). In der Rechtssicherheit wurzeln wiederum verschiedene Subprinzipien. Für die hier interessierende Exekutive ist vor allem der Grundsatz des Vertrauensschutzes hervorzuheben, bei dem sich aber spezielle Bestimmungsfaktoren aus den Grundrechten (vor allem Art. 14 GG) ergeben.[67] Wegbereitend für die Entfaltung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes wirkte die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zur Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte, die später im Wesentlichen durch § 48 VwVfG rezipiert wurde.[68] Im exekutiven Bereich manifestiert sich die Rechtssicherheit darüber hinaus in der Bestandskraft von Verwaltungsakten und der Selbstbindung der Verwaltung (Art. 3 Abs. 1 GG).[69]

6. Verhältnismäßigkeit

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Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergibt sich nach der Rechtsprechung des BVerfG als übergreifende Leitregel „allen staatlichen Handelns zwingend aus dem Rechtsstaatsprinzip“ und besitzt damit seinerseits „Verfassungsrang“[70]; teilweise wird er auch – eher unklar – „aus dem Rechtsstaatsprinzip, im Grunde bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst“[71] hergeleitet.[72] Das Übermaßverbot[73], das auf Einzelfallgerechtigkeit zielt, ist für alle Staatsorgane verbindlich und erfasst über seine ursprünglich beschränkte Rolle als Eingriffsmaßstab (sogenannte Schranken-Schranke) hinaus auch Vorgänge der gestaltenden, leistenden und planenden Staatstätigkeit.[74] Es gliedert sich in die Teilprinzipien der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, Zumutbarkeit).

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Im Schrifttum wird zum Teil eine Hypertrophie der Verhältnismäßigkeit („Abwägungsstaat“[75]) beklagt, welche „harte“ Direktiven, Maßstäbe und Strukturen des Rechts aufweiche.[76] Die Rechtspraxis, zumal die Rechtsprechung, hat diese Kritik völlig unbeeindruckt gelassen. Für sie bildet der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unvermindert und mit eher noch steigender Tendenz den zentralen, nicht selten für die Entscheidung über Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit einer Maßnahme letztlich ausschlaggebenden Kontrollmaßstab. Im Europäisierungsprozess steht der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sogar für einen der erfolgreichsten „deutschen Exportschlager“ erster Güte, der vom deutschen Recht ausgehend – wenn auch zumeist in weniger fein ziselierter Form – Eingang in die Rechtsdogmatik verschiedener anderer Mitgliedstaaten und vor allem des EuGH/EuG gefunden hat.[77]

7. Gerechtigkeit und Gleichheit

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Der liberale Rechtsstaat des Grundgesetzes wurde von Anfang an durch den sozialen (materiellen) Rechtsstaat ergänzt (vgl. Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 GG).[78] „Sozial“ ist der Rechtsstaat, der auf (umverteilende) Gerechtigkeit und Gleichheit zielt. Neben den der Gefahrenabwehr dienenden, unverändert wichtigen Aufgaben der Eingriffsverwaltung sind damit auch Aufgaben der Leistungs- und Lenkungsverwaltung im sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Bereich verfassungsrechtlich anerkannt. Dies gilt erst recht mit Blick auf die EU, die seit einiger Zeit verstärkt gerade im Sozialen (z.B. Dienste von allgemeinem Interesse,[79] soziale Grundrechte)[80] ein identitätsstiftendes Integrationsmerkmal sucht.[81]

 

8. Vorsorge

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Spätestens seit der Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz (Art. 20a GG) im Jahr 1994 ist die Bundesrepublik Deutschland auch „Umweltstaat“.[82] Das Prinzip des ökologischen Verfassungsstaates drängt auf einen Umbau der sozialen Marktwirtschaft zur ökologisch-sozialen Marktwirtschaft.[83] Unter den im Zeitalter hochkomplexer Techniken (z.B. Atomtechnik, Gentechnik) wachsenden Gewissheitsverlusten[84] hat sich der Staat weiter zum Präventionsstaat gewandelt,[85] der zur Bewältigung von Risiken[86] auf das Vorsorgeprinzip setzt.[87] Auch der Vorsorgegrundsatz[88] ist vom deutschen Verwaltungsrecht ausgehend schrittweise in das Recht anderer Mitgliedstaaten sowie das Unionsrecht vorgedrungen und hat sich dort mittlerweile auf breiter Front behauptet.[89]

9. Nachhaltigkeit

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Das völker- und europarechtlich (Art. 11 AEUV, Art. 37 GRCh) vorgegebene Nachhaltigkeitskonzept weist über das traditionsreiche, bis auf die deutsche Forstwirtschaft des 18. Jahrhunderts zurückgehende Kernanliegen der langfristigen Ressourcenschonung hinaus und zielt auf einen Ausgleich ökologischer mit kollidierenden ökonomischen und sozialen Belangen (Drei-Säulen-Modell).[90] Das deutsche Verfassungsrecht hat dieses Nachhaltigkeitskonzept im Unterscheid etwa zur Schweiz[91] zwar bislang nicht rezipiert (es regelt in Art. 20a GG nur die Nachhaltigkeit im ökologischen Sinne[92]), auf einfach-gesetzlicher Ebene finden sich aber vielfältige Ausprägungen.[93] Der anzustrebende Ausgleich hat sich auch an den Interessen der nachrückenden und künftigen Generationen zu orientieren. Hierdurch soll auf Generationengerechtigkeit[94] hingewirkt werden. Die Implementation des Nachhaltigkeitsprinzips hat weit reichende Folgen für das tradierte verwaltungsrechtliche System und seine Dogmatik. Sie führt zu einer Intensivierung integrativer, finaler und prozeduraler Ansätze, zu einem Bedeutungszuwachs für planerische Instrumente[95] sowie, allgemein gesprochen, zu einem „gesteigerten Ausgriff des Verwaltungsrechts auf Zukunft und Entwicklung“[96] (Prospektivität von Recht).[97]

10. „Prinzip“ der Expansion der Verwaltungsaufgaben

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Der ökologisch-soziale Interventions-, Präventions- und Rechtsstaat hat maßgeblich dazu beigetragen, dass Deutschland als „Verwaltungsstaat“[98] mit „entfesselter Verwaltung“[99] gilt. Umschrieben wird damit die stetige Expansion der Verwaltungstätigkeit und des Verwaltungsapparats gleichsam im Sinne eines „Lebensprinzips“ der deutschen Verwaltung.[100] Auf Privatisierung, Deregulierung und Entbürokratisierung gerichtete Gegenbewegungen[101] führten insoweit nur zu geringfügigen Korrekturen. Unter den neuen Schlagworten des Gewährleistungsstaates und der Regulierung wachsen dem sich seiner Erfüllungsverantwortung entledigenden Staat zugleich wieder zahlreiche neue, anspruchsvolle Aufgaben zu.[102] In Reaktion auf die Finanzmarktkrise der Jahre 2008/09[103] schwingt das Pendel noch weiter aus in Richtung eines Neoetatismus[104], der durch Ausbau staatlicher Ingerenz (insbesondere Überwachung), durch Wirtschaftslenkung[105] und durch verstärkte eigenwirtschaftliche Betätigung (Stichwort: Rekommunalisierung von Aufgaben der Daseinsvorsorge, etwa auf den Gebieten Energie, Wasser und Abfall[106]) gekennzeichnet ist.

Erster Teil Landesspezifische Ausprägungen › § 74 Grundzüge des Verwaltungsrechts in gemeineuropäischer Perspektive: Deutschland › III. Verwaltungsrechtliche Institute in der Steuerungsperspektive

III. Verwaltungsrechtliche Institute in der Steuerungsperspektive
1. Organisation
a) Grundlagen

aa) Einheit und Pluralität der Verwaltung

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Die „Einheit der Verwaltung“ lässt sich zwar – entgegen anders lautender Stimmen im Schrifttum[107] – nicht als Teilgrundsatz aus dem Rechtsstaatsprinzip oder dem Demokratieprinzip deduzieren,[108] sie steht aber für eine regulative Idee, deren Bedeutung in erster Linie darin liegt, den Zurechnungs- und Verantwortungszusammenhang allen Verwaltungshandelns zum Staat als im Kern unaufgebbares Postulat des parlamentarischen Regierungssystems (vgl. Art. 20 Abs. 2, Art. 65 Satz 2 GG[109]) zu kennzeichnen. Soweit sich freilich der grundsätzlich nur verwaltungstheoretische Topos der Einheit der Verwaltung in seinem Sinngehalt mit dem normativen Gehalt bestimmter Verfassungsprinzipien und -bestimmungen trifft, hat er Anteil an deren normativer Funktion.[110]

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Die Leitidee der Einheit der Verwaltung gilt dabei nicht absolut oder als Selbstzweck.[111] Im Gegenteil: Sowohl rechtlich als auch empirisch ist die Organisation der deutschen Verwaltung seit langem[112] horizontal und vertikal stark ausdifferenziert (Pluralität der Verwaltung).[113] Dem Betrachter bietet sich ein gleichsam „naturwüchsiges“[114] Bild der Fragmentierung, Spezialisierung und Polyzentralität.[115] Bund und Länder verfügen jeweils über eigene Verwaltungsstrukturen ohne eine gemeinsame Spitze. Wegen des Grundsatzes des Vollzugs auch der Bundesgesetze durch die Länder (Art. 83 GG)[116] liegt praktisch der Schwerpunkt der Verwaltungstätigkeit auf der Länderebene. Die Fragmentierung und Binnendifferenzierung ergibt sich daneben auch aus der hohen Zahl verselbständigter Verwaltungseinheiten.[117] Aus unterschiedlichen, mit den Spezifika der jeweiligen Sachmaterie verbundenen Motiven[118] wurden zahlreiche öffentliche Aufgaben aus dem Bereich der unmittelbaren Staatsverwaltung entlassen und organisatorisch ausgegliederten Trägern („Trabanten“) zugewiesen. Durch die Privatisierung von Staatsaufgaben und die Eingehung von Kooperationsverhältnissen zwischen dem Staat und Privaten („kooperatives Recht“[119]; Public-Private-Partnership – PPP[120]) kommt es noch zu einer weiteren Pluralisierung der Verwaltung.[121]

bb) Unmittelbare und mittelbare Staatsverwaltung

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Das deutsche Verwaltungsrecht unterscheidet herkömmlich[122] zwischen unmittelbarer Staatsverwaltung und mittelbarer Staatsverwaltung.[123] Unmittelbare Staatsverwaltung betrifft Behörden als Organe von Bund und Ländern,[124] und zwar im Regelfall innerhalb weisungsgebundener Hierarchie. Von mittelbarer Staatsverwaltung spricht man, wenn der Staat öffentliche Aufgaben[125] nicht durch eigene Behörden erfüllt, sondern rechtlich verselbständigten Trägern öffentlicher Gewalt überträgt,[126] die dem Staat „mittelbar zuzurechnen“[127] sind. In Betracht kommen hierbei zum einen öffentlich-rechtliche Verbände (Körperschaften, Anstalten, Stiftungen),[128] zum anderen beliehene Private. Auch die Verfassung enthält vereinzelt Entscheidungen für Formen der mittelbaren Staatsverwaltung (Art. 86, Art. 87 Abs. 2 und 3 GG).

cc) Selbstverwaltung

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Das Prinzip der Selbstverwaltung bildet ein zentrales und traditionsreiches Element der deutschen Verwaltungsorganisation.[129] Seine wichtigste Ausprägung ist die kommunale Selbstverwaltung. Bereits im aufgeklärten Absolutismus gab es Formen der kommunalen Selbstverwaltung. Damals wurde „Selbstverwaltung“ jedoch noch als eine besondere Form der Staatsverwaltung konstruiert, diente allein der Verwaltungseffizienz und unterlag daher uneingeschränkter Aufsicht des Staates.[130] Deutungsversuche der Selbstverwaltung als autonomes, vom Staat verselbständigtes Recht traten im 19. Jahrhundert hinzu. Wirkmächtig waren hier genossenschaftliche (Karl Freiherr vom und zum Stein, Otto von Gierke, Hugo Preuß)[131] und freiheitlich-grundrechtsanaloge[132] Konstruktionen, die aber letztlich unter dem Einfluss von anders akzentuierten Selbstverwaltungskonzepten wie dem „selfgovernment“ (Rudolf von Gneist) und vor allem des staatsrechtlichen Positivismus (Carl Friedrich von Gerber, Paul Laband, Georg Jellinek, Hermann Schulze) von den bis heute erhalten gebliebenen, formal-etatistisch ausgerichteten körperschaftlichen Selbstverwaltungsmodellen abgelöst wurden.[133] Eine institutionelle Gewährleistung auf Verfassungsebene, die von der zeitgenössischen Lehre ganz überwiegend weiter formal-etatistisch verstanden und an die später auch bei den Beratungen des Bonner Grundgesetzes (unter anderem) angeknüpft wurde,[134] erlangte die Selbstverwaltungsgarantie erstmals im Rahmen des Art. 127 WRV.[135]

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Heute bilden die Gemeinden und Kreise selbständige Rechts- und Hoheitsträger, die einerseits im Wege der Dezentralisierung aus der allgemeinen Staatsverwaltung ausgegliedert und mit Selbstverwaltungsrecht in eigenen Angelegenheiten sowie eigenständiger demokratischer Legitimation ausgestattet wurden (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG), andererseits aber Teil der Landesverwaltung und damit organisierter Staatlichkeit im weiteren Sinne bleiben („im Rahmen der Gesetze“).[136] Bei Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG handelt es sich nach herrschender Meinung um eine institutionelle Garantie,[137] die aber jedenfalls zugleich im Interesse verfassungsrechtlichen Freiraumschutzes auch ein subjektives Recht gewährt.[138] Dieses Recht kann von den Gemeinden im Verwaltungsprozess sowie im Wege der Kommunalverfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG) vor dem BVerfG gegen den Staat verteidigt werden.

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Daneben gibt es verschiedene Formen der funktionalen Selbstverwaltung,[139] bei denen sich der Kreis der Betroffenen als „personales Substrat“ und damit Legitimationssubjekt nach bestimmten funktionsbezogenen Kriterien und jeweiligen Systemrationalitäten[140], meistens einer besonderen Aufgaben- bzw. Sachnähe, zusammensetzt. In zahlreichen Bereichen der Verwaltung wurden Selbstverwaltungsträger durch einfachgesetzliche Ausgliederung aus dem Staatsverband[141] gegründet, die gruppenspezifische Angelegenheiten der jeweiligen Betroffenen verwalten, so insbesondere die Träger der Sozialversicherung[142] und die berufsständischen bzw. wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörperschaften (Kammern)[143]. Zur funktionalen Selbstverwaltung zählt überdies die „grundrechtsgetragene Selbstverwaltung“.[144] Wichtigster Fall ist die akademische Selbstverwaltung, die von der herrschenden Lehre aus der Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) abgeleitet wird,[145] aber auch in den meisten Landesverfassungen als institutionelle Garantie gewährleistet ist.[146] Im Rundfunkrecht existieren zum Schutz der in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG radizierten Staatsfreiheit spezifische Selbst-verwaltungskonstruktionen.[147]

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„Die“ Selbstverwaltung hat sehr unterschiedliche rechtliche Grundlagen und ist daher zwar ein inhaltlich inhomogenes Organisationsprinzip,[148] sie zeichnet sich aber auch durch verbindende Elemente aus. Grundgedanke ist die Betroffenenverwaltung.[149] Einem abgrenzbaren Personenkreis werden Aufgaben übertragen, zu denen dieser ein besonderes Näheverhältnis besitzt. Entscheidendes Merkmal ist die eigenverantwortliche Aufgabenerfüllung durch den Selbstverwaltungsträger (Staatsdistanzprinzip).[150] Dies schließt in der Regel ein begrenztes Recht zur Normsetzung (Satzungsgewalt) ein.[151] Selbstverwaltung bedeutet auch Hoheitsverwaltung und ist daher von vornherein rechtlich auf einen konkreten, gesetzlich festgelegten Aufgabenkreis begrenzt. Korrelat zur Autonomie (Eigenverantwortlichkeit) ist die Staatsaufsicht, die ein verfassungsrechtlich unaufgebbares Essentiale von Selbstverwaltung darstellt.[152]