Hinweisgebersysteme

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1. Kapitel Einführung

Inhaltsverzeichnis

I. Der Begriff „Whistleblowing“ als Ausgangspunkt

II. Implikationen für den Hinweisgeber und die betroffene Organisation

III. EU-Hinweisgeberrichtlinie und Hinweisgeberschutzgesetz

IV. Missbrauch von Hinweisgebersystemen – Eine empirische Untersuchung

1

Der Umgang mit Hinweisgebern wird seit jeher kontrovers diskutiert. Gerade in Deutschland ist dieses Thema historisch vorbelastet. In den letzten Jahren hat allerdings eine deutlich wahrnehmbare Veränderung stattgefunden. Wurden Hinweisgeber früher häufig noch als Spitzel oder Denunzianten angesehen, verändert sich die öffentliche Wahrnehmung dahingehend, dass Hinweisgeber einen wertvollen Beitrag dazu leisten, dass Missstände in der Zivilgesellschaft, Wirtschaft oder Politik öffentlich gemacht und so adressiert werden.

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Dazu beigetragen haben spektakuläre Fälle wie die von Edward Snowden, Chelsea Manning, den Paradise und Panama Papers, Luxleaks oder Football Leaks. Mal ging es um umfassende Überwachung durch Geheimdienste oder Verbrechen von Militärs, mal um Steuerhinterziehung durch betuchte Bürger aus aller Herren Länder. Wenn sich Hinweisgeber gutgläubig verhalten, kann nicht überschätzt werden, welchen Beitrag sie leisten können, damit Fehlverhalten in der Gesellschaft oder – insoweit das Thema dieses Buches – in einem Unternehmen erkannt und abgestellt wird.

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Zwar kann auch das beste Compliance-Programm nicht jede kriminell-kreative Idee Einzelner unterbinden. Wenn aber Personen, die im Begriff sind, die Regeln zu brechen, zu umgehen oder dies bereits getan haben, befürchten müssen, dass ihr Verhalten ans Licht kommen, hält es den ein oder anderen möglicherweise von einem Fehltritt ab, wenn die greifbare Möglichkeit der Aufdeckung durch einen Hinweisgeber besteht. Dementsprechend wird ein Hinweisgebersystem inzwischen auch im deutschsprachigen Raum als wesentlicher Bestandteil eines effektiven Compliance Management Systems angesehen.[1] Die Bedeutung von Hinweisgebersystemen wird nicht zuletzt aufgrund der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden[2] (kurz „EU-Hinweisgeberrichtlinie“), künftig deutlich zunehmen. Die EU-Hinweisgeberrichtlinie ist am 16.12.2019 in Kraft getreten und muss vom Gesetzgeber der jeweiligen EU-Mitgliedstaaten bis spätestens 17.12.2021 in nationales Recht umgesetzt werden.[3] In Deutschland wird dies durch das Gesetz zum Schutz hinweisgebender Personen (Hinweisgeberschutzgesetz – HinSchG) erfolgen.

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Der Vorteil von Hinweisgebersystemen gegenüber anderen Kontrollmechanismen wie Richtlinien, Handlungsanweisungen oder Schulungen ist, dass ein Hinweisgebersystem „bottom up“ funktioniert. Das bedeutet, nicht die Compliance-Abteilung selbst entscheidet zentral, welche Themen für die Mitarbeiter und die Organisation relevant sind, sondern die Mitarbeiter entscheiden zu einem gewissen Teil selbst, welche Themen mit dem jeweiligen Rechtsempfinden nicht im Einklang stehen. Dabei können auch regionale und kulturelle Unterschiede eine Rolle spielen.

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Natürlich haben einige Hinweisgeber ihre eigene Agenda und verfolgen möglicherweise primär egoistische Ziele. An dieser Stelle setzt aber die Verantwortung der zuständigen Personen im Unternehmen ein, Prozesse zu entwickeln, um falsche Hinweise oder fehlgeleitete Motive zu erkennen und von den wichtigen Details zu trennen. Derartige globale Konzepte in einer lebenden Organisation wie einem Unternehmen sind nicht einfach zu implementieren und zu steuern. Mit der nötigen Aufmerksamkeit für die Prozesse und deren kontinuierliche Anpassung, kann jedes Unternehmen über das Hinweisgebersystem einen wertvollen Beitrag dazu leisten, dass sich das Unternehmen und seine Mitarbeiter an die geltenden Gesetze halten und zugleich eine Arbeitsumgebung schaffen, in der sich alle Unternehmensangehörige sicher und wohl fühlen.

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Die Schwierigkeit liegt in der Praxis aktuell noch darin begründet, dass sich nicht alle Unternehmensleiter und Compliance-Verantwortlichen darüber bewusst sind, wie wichtig der Beitrag eines Hinweisgebersystems für die Unternehmenskultur und die Effektivität des Compliance-Programms ist. Möglicherweise hat auch der ein oder andere Entscheider noch eine Leiche im Keller, die er lieber begraben lassen möchte. Positive Änderungen des Verhaltens oder der Kultur können in einem Unternehmen aber nur durch Offenheit und Transparenz herbeigeführt werden.[4] Das gilt für technische Fehler genauso wie für Korruption oder Kartellabsprachen oder die Sicherheit am Arbeitsplatz inklusive dem Schutz vor sexuellen Übergriffen oder unangebrachtem Verhalten. Wer ein Unternehmen betreibt oder leitet, hat sowohl die gesellschaftliche als auch die rechtliche Verantwortung dafür Sorge zu tragen, dass sich die Mitarbeiter in dem Unternehmen sicher und wohl fühlen und die Gesellschaft und Kunden nicht durch Fehlverhalten aus dem Unternehmen heraus geschädigt werden.

Anmerkungen

[1]

Vgl. hierzu statt vieler Hauschka/Moosmayer/Lösler/Buchert Corporate Compliance, § 42 Rn. 62 ff.

[2]

Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates v. 23.10.2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, ABlEU Nr. L 305/17 v. 26.11.2019.

[3]

Zu den Einzelheiten vgl. etwa Dilling CCZ 2019, 214; Erlebach CB 2020, 284; Ruhmannseder/Lehner/Beukelmann/Götz Compliance aktuell, Fach 2102.

[4]

Vgl. dazu auch Ruhmannseder/Lehner/Beukelmann/Götz Compliance aktuell, Fach 2102 Rn. 5.

1. Kapitel Einführung › I. Der Begriff „Whistleblowing“ als Ausgangspunkt

I. Der Begriff „Whistleblowing“ als Ausgangspunkt

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Hinweisgebersysteme beinhalten Verfahren und Prozesse zum „Whistleblowing“. Für diesen Begriff gibt es bisher keine einheitliche, allgemein anerkannte Definition. Die im anglo-amerikanischen Raum gebräuchlichste Definition liefern Miceli/Near Journal of Business Ethics 1995, Vol. 4, No. 1, S. 1: „The disclosure by organization members (former or current) of illegal, immoral or illegitimate practices under the control of their employers, to persons or organizations that may be able to effect action“. Übertragen ins Deutsche kann der Begriff „Whistleblowing“ daher – verkürzt – als „Aufdeckung von Missständen“ umschrieben werden.

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Für den „Whistleblower“ selbst wird (ins Deutsche übersetzt) häufig auch der wertneutrale und daher sachgerechte Begriff „Hinweisgeber“ verwendet.[1] Bei der Organisation, welcher der Hinweisgeber angehört und welcher das (angeblich) unlautere Verhalten entspringt, handelt es sich in den meisten Fällen um ein Wirtschaftsunternehmen. Hinweisempfänger können aber auch andere Institutionen – insbesondere Behörden – sein. Ist der Hinweisempfänger Teil der Organisation, der das angeprangerte Fehlverhalten entspringt (oder wurde er von dieser beauftragt, entsprechende Hinweise entgegenzunehmen), spricht man vom „internen“ Whistleblowing.[2] Die Unterrichtung von Strafverfolgungs- und Aufsichtsbehörden, Medien oder anderen öffentlichen Stellen wird als „externes“ Whistleblowing bezeichnet.[3]

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Ein sog. „Hinweisgebersystem“ in Unternehmen ermöglicht es Beschäftigten bzw. je nach Ausgestaltung Dritten (z.B. Kunden), über ein bestimmtes Verfahren (anonym) Informationen über Verhaltensweisen von Beschäftigten des Unternehmens abzugeben, die nicht im Einklang mit dem Gesetz oder unternehmensinternen Verhaltensregeln stehen.[4] Ziel eines unternehmensinternen Hinweisgebersystems ist es, durch Meldungen frühzeitig Probleme, Kontrollmängel und Missstände aufzudecken und ihnen entsprechend entgegenzuwirken.[5]

Anmerkungen

[1]

So ist etwa auch in der EU-Hinweisgeberrichtline durchgängig vom „Hinweisgeber“ die Rede.

[2]

Gem. Art. 5 Ziff. 4 EU-Hinweisgeberrichtlinie ist eine „interne Meldung“ die mündliche oder schriftliche Mitteilung von Informationen über Verstöße innerhalb einer juristischen Person des privaten oder öffentlichen Sektors.

[3]

Gem. Art. 5 Ziff. 5 EU-Hinweisgeberrichtlinie ist eine „externe Meldung“ die mündliche oder schriftliche Mitteilung von Informationen über Verstöße an die zuständigen Behörden.

[4]

 

Mahnhold NZA 2008, 737; vgl. auch Eufinger NZA 2017, 619, Johnson CCZ 2019, 66.

[5]

Vgl. hierzu auch IDW PS 980 A 17 „Compliance Programm“.

1. Kapitel Einführung › II. Implikationen für den Hinweisgeber und die betroffene Organisation

II. Implikationen für den Hinweisgeber und die betroffene Organisation

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Die eingangs erwähnten positiven Auswirkungen eines Hinweises dienen – jedenfalls mittel- und langfristig – auch den Interessen und Zielen der betroffenen Organisation. Insoweit werden vor allem die positiven wirtschaftlichen Effekte von Hinweisen betont: Hinweisgeber sollen dazu beitragen, durch Rechtsverstöße entstehende Schäden zu vermeiden und Bedrohungen oder Schäden des öffentlichen Interesses, die andernfalls unentdeckt blieben, aufzudecken.[1] Gleichwohl sind Hinweisgeber in der Praxis häufig negativen Reaktionen aus den Reihen der betroffenen Organisation und deren Angehörigen (Kollegen) ausgesetzt. Nicht selten ergreift die Organisation gegenüber dem Hinweisgeber zivil- oder arbeitsrechtliche Schritte (z.B. Herabstufung oder Versagung einer Beförderung, Versetzung oder Kündigung). Aus dem Kreis der Kollegen drohen Stigmatisierung, sozialer Ausschluss bis hin zum Mobbing.[2] Zwar bildet ein Hinweisgebersystem aufgrund der Erhöhung des subjektiven Entdeckungsrisikos sowie der Verstärkung der Sozialisationseffekte der Mitarbeiter eine wesentliche Grundlage für eine effektive Kriminalprävention in Organisationen.[3] Erweist sich der Hinweis als stichhaltig und bezieht er sich auf illegale Verhaltensweisen, wird die Hinweiserteilung intern gerade von den Führungskräften und den übrigen Arbeitskollegen oftmals als illoyal empfunden.[4] Dies gilt vor allem in Organisationen, in denen ein ausgeprägtes Gruppengefühl vorhanden ist und sich daher viele in erheblichem Maße mit der Organisation und ihren Zielen identifizieren.[5] Ein vertrauensvolles Zusammenwirken, ausgerichtet auf eine offene Kommunikation sowie Kooperation mit Vorgesetzten und Kollegen, ist aber zentrale Voraussetzung für die Funktionstüchtigkeit und den Erfolg jeder Organisation. Die Implementierung eines funktionstüchtigen Hinweisgebersystems (als Bestandteil eines effektiven Compliance-Management-Systems) hängt daher maßgeblich davon ab, inwieweit es gelingt, die möglichen negativen Folgen, die zum einen der betroffenen Organisation, zum anderen dem Hinweisgeber drohen, zu vermeiden oder jedenfalls abzumildern. Das Spannungsverhältnis zwischen dem Interesse an der Aufdeckung von Rechtsverstößen sowie Missständen in Unternehmen und Behörden einerseits und den zivil-, arbeits- und dienstrechtlichen Pflichten von Hinweisgebern andererseits verstärkt sich bei Meldungen an externe Stellen. Wann in diesem Spannungsverhältnis die Wahrnehmung staatsbürgerlicher Pflichten die Verschwiegenheits- und Loyalitätspflicht gegenüber dem Arbeitgeber oder dem Dienstherrn überwiegt und damit eine Offenbarung von Missständen rechtfertigt, war gesetzlich bislang nicht ausdrücklich geregelt.

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In seiner Grundsatzentscheidung im Fall Heinisch hat sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit dem Schutz von Hinweisgebern befasst und Kriterien für die Abwägung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen festgestellt.[6] 2003 hatte eine Pflegerin in einem Berliner Pflegeheim mehrfach Personalnotstand und unhaltbare Pflegezustände zunächst bei ihrem Arbeitgeber, dann bei der übergeordneten Heimaufsicht angezeigt. Diese stellte gravierende Pflegemängel fest. Da der Arbeitgeber keine Maßnahmen ergriff, um die Mängel abzustellen, erstattete die Pflegerin Strafanzeige gegen die verantwortlichen Personen wegen Betrugs. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren ein und der Pflegerin wurde von ihrem Arbeitgeber gekündigt. Die Kündigung hielt einer arbeitsgerichtlichen Prüfung stand. Im Juli 2011 urteilte der EGMR, dass die von den deutschen Gerichten bestätigte Kündigung eine Verletzung von Artikel 10 (Freiheit der Meinungsäußerung) der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) darstelle. Der EGMR bestätigte dabei die Pflicht des Arbeitnehmers zu Loyalität, Zurückhaltung und Vertraulichkeit gegenüber seinem Arbeitgeber und bezeichnete den Gang an die Öffentlichkeit als „letztes Mittel“. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung seien unter anderem das öffentliche Interesse an der Information, deren Wahrheitsgehalt, Handlungsalternativen des Arbeitnehmers, aber auch die Gründe.[7] Die Umstände dieses Falles, die vorausgegangenen erfolglosen internen Meldungen, die Reaktion des Arbeitgebers und die Dauer des Verfahrens zeigen beispielhaft, wie notwendig klare gesetzliche Regelungen für hinweisgebende Personen sind.

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Die Vorgaben des EGMR im Fall Heinisch zum Schutz von Hinweisgebern wurden zwar seitdem in der deutschen Zivil- und Arbeitsgerichtsbarkeit im Wesentlichen übernommen.[8] Es verblieben für Hinweisgeber aufgrund der Einzelfallbezogenheit der Entscheidungen aber nicht unerhebliche rechtliche Risiken, wenn sie einen Missstand aufdecken wollten. Durch die Umsetzung europarechtlicher Vorgaben für einzelne Sektoren – speziell im Bereich der Finanzdienstleistungen – wurden diese Risiken in den vergangenen Jahren bereits etwas abgemildert.[9] Zudem verbreitete sich in jüngster Zeit auch auf internationaler Ebene der Konsens, dass Hinweisgeber einen effektiven gesetzlichen Schutz benötigen, um vor allem der Korruption Einhalt zu gebieten.

Anmerkungen

[1]

Dilling CCZ 2019, 214 unter Hinweis auf die Begründung des Vorschlags der Europäischen Kommission für eine Richtlinie des europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden v. 23.4.2018, 2018/0106 (COD), S. 3.

[2]

Vgl. nur Veljović CB 2019, 475, 477.

[3]

Veljović CB 2019, 475, 477 f.

[4]

Vgl. hierzu bereits Berndt/Hoppler BB 2005, 2623, 2628.

[5]

Näher zur Soziologie von Hinweisgebersystemen etwa Veljović CB 2019, 475.

[6]

EGMR Urteil vom 21.7.2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland), NZA 2011, 1269.

[7]

EGMR NZA 2011, 1269, 1271 ff.

[8]

Vgl. etwa BAG NZA 2012, 317, 320; NZA 2015, 245, 251; LAG Berlin-Brandenburg BeckRS 2014, 74315; LAG Düsseldorf BeckRS 2016, 68431; LAG Hamm BeckRS 2013, 69437; LAG Köln BeckRS 2012, 75713; LAG Rheinland-Pfalz BeckRS 2016, 112640; LAG Schleswig-Holstein BeckRS 2012, 68879; OLG Frankfurt NJW 2014, 3376.

[9]

Vgl. dazu die Einzelheiten im 3. Kap. Rn. 158 ff.

1. Kapitel Einführung › III. EU-Hinweisgeberrichtlinie und Hinweisgeberschutzgesetz

III. EU-Hinweisgeberrichtlinie und Hinweisgeberschutzgesetz

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Vor diesem Hintergrund hat die Kommission am 23.04.2018 ihren „Vorschlag für eine Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden“ veröffentlicht. Ziel des Vorschlages war eine Mindestharmonisierung des Schutzes von hinweisgebenden Personen durch eine horizontale Richtlinie mit einem weiten Anwendungsbereich.[1] Erreicht werden sollte eine bessere Rechtsdurchsetzung in der EU sowie ein europaweit geltendes einheitliches hohes Schutzniveau für Hinweisgeber durch eine gesetzgeberische Ausgestaltung des durch den EGMR herausgearbeiteten Grundrechtsschutzes. Der Richtlinienvorschlag wurde von einer Mitteilung flankiert, die weitere Empfehlungen zum Schutz von Hinweisgebern auf EU-Ebene und durch die Mitgliedstaaten enthält.[2] Darin beschreibt die Kommission verschiedene Maßnahmen auf EU-Ebene zum Schutz von Hinweisgebern wie den Schutz von Journalisten, die Förderung des Schutzes von Hinweisgebern im Bereich der Korruptionsbekämpfung sowie die aktive Rolle des europäischen Bürgerbeauftragten beim Schutz von Hinweisgebern.

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Die im Amtsblatt der EU vom 26.11.2019 veröffentlichte und am 16.12.2019 in Kraft getrete EU-Hinweisgeberrichtlinie sieht die Einführung von Hinweisgebersystemen (nur) für die Meldung von Verstößen gegen das Unionsrecht vor und enthält neben Vorgaben zur grundsätzlichen Regelung des einzuführenden Systems vor allem umzusetzende Bestimmungen zum Schutz von Hinweisgebern. Ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des nationalen Gesetzes werden Unternehmen mit mindestens 250 Mitarbeitern sofort oder bei 50 bis 249 Mitarbeitern bis spätestens 17.12.2023 verpflichtet sein, ein Hinweisgebersystem einzurichten. Mit der EU-Hinweisgeberrichtlinie werden rechtliche Rahmenbedingungen und EU-weit gemeinsame Mindeststandards geschaffen, die es den Wissensträgern erlauben sollen, Hinweise zu geben, ohne dafür persönliche und wirtschaftliche Nachteile erleiden zu müssen. Ein wesentliches Anliegen der Richtlinie besteht dabei im Schutz des Hinweisgebers vor Repressalien. Diese werden in Art. 6 Ziff. 11 EU-Hinweisgeberrichtlinie definiert als direkte oder indirekte Handlungen oder Unterlassungen in einem beruflichen Kontext, die durch eine interne oder externe Meldung oder eine Offenlegung ausgelöst werden und durch die dem Hinweisgeber ein ungerechtfertigter Nachteil entsteht oder entstehen kann. Dementsprechend muss der Hinweis kausal für die Repressalie sein.[3] Entsprechende Repressalien werden in Art. 19 EU-Hinweisgeberrichtlinie untersagt und nicht abschließend aufgezählt.

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Flankierend dazu sind in der EU-Hinweisgeberrichtlinie Vorgaben für unterstützende Maßnahmen (Art. 20) sowie Maßnahmen zum Schutz vor Repressalien (Art. 21) enthalten. Zu den Unterstützungsmaßnahmen insbesondere ein einfacher und kostenloser Zugang zu umfassender sowie unabhängiger Information und Beratung über die verfügbaren Abhilfemöglichkeiten und Verfahren gegen Repressalien.[4] Dem praxisrelevanten Umstand, dass etwaige Repressalien gegenüber Hinweisgebern jedenfalls nicht offenkundig aufgrund eines Hinweises erfolgen, sondern für eine insoweit nachteilhafte Behandlung andere – oftmals nur vermeintlich bestehende – Gründe bemüht werden, soll durch eine in Art. 21 Abs. 5 EU-Hinweisgeberrichtlinie vorgesehene weitreichende prozessuale Beweislastumkehr Rechnung getragen werden. Danach wird in Verfahren vor einem Gericht oder einer anderen Behörde, die sich auf eine vom Hinweisgeber erlittene Benachteiligung beziehen und in denen der Hinweisgeber geltend macht, diese Benachteiligung infolge seiner Meldung oder der Offenlegung erlitten zu haben, vermutet, dass die Benachteiligung eine Repressalie für die Meldung oder Offenlegung war. In diesen Fällen obliegt es der Person, welche die benachteiligende Maßnahme ergriffen hat, zu beweisen, dass diese Maßnahme auf hinreichend gerechtfertigten Gründen basierte.[5]

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In Deutschland hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) im November 2020 den Entwurf eines Gesetzes für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden („Hinweisgeberschutzgesetz“ – HinSchG-E) fertig gestellt und zur Abstimmung an die anderen Ressorts versandt.[6] Mit dem HinSchG-E soll der bislang lückenhafte und unzureichende Schutz von Hinweisgebern ausgebaut und zugleich die Vorgaben der EU-Hinweisgeberrichtlinie in nationales Recht umgesetzt werden. Neben der Einführung des HinSchG-E als Kernstück erfordert die Umsetzung der EU-Hinweisgeberrichtlinie Anpassungen im Bundesbeamtengesetz sowie Beamtenrechtsrahmengesetz, um die obligatorische Einbeziehung der Beamten in den persönlichen Anwendungsbereich des Gesetzes sicherzustellen. Das HinSchG-E gliedert sich in Regelungen zum Anwendungsbereich (§§ 1 und 2 HinSchG-E), zum Verhältnis zu sonstigem geltenden Recht (§§ 4–6 HinSchG-E), zu internen und externen Meldesystemen (§§ 7–30 HinSchG-E), zur Offenlegung (§ 31 HinSchG-E), zu Schutzmaßnahmen (§§ 32–38 HinSchG-E) sowie zu Sanktionen (§ 39 HinSchG-E).

 

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Hervorgehoben werden soll an dieser Stelle die in § 4 Abs. 1 HinSchG-E enthaltene Aufzählung bereits bestehender Meldesysteme für Verstöße, die unionsrechtlich vorgegeben wurden und entweder unmittelbar gelten oder bereits für bestimmte Sektoren in nationales Recht umgesetzt wurden. Diese bereits eingerichteten Meldesysteme sollen durch das neue horizontale Instrument nicht abgeschafft werden, sondern mit ihrer jeweiligen Sonderzuständigkeit weiterhin bestehen bleiben. Neben diesen Systemen soll auch keine zusätzliche neue Zuständigkeit für bereits erfasste Sachverhalte eingerichtet werden. Soweit bereits ein Meldesystem greift, auf das § 4 Abs. 1 HinSchG-E verweist, geht dieses vor und das HinSchG soll nicht angewendet werden.[7] Ungeachtet dessen wurde der sachliche Anwendungsbereich des HinSchG-E zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen und zur Schaffung von praktikablen Regelungen die in der EU-Hinweisgeberrichtlinie angelegten Rechtsbereiche in begrenztem Umfang auf nationales, korrespondierendes Recht ausgeweitet. Dabei wurden insbesondere das Strafrecht und das Recht der Ordnungswidrigkeiten einbezogen.[8]

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Die EU-Hinweisgeberrichtlinie verfolgt nicht nur das Ziel, die Hinweisgeber sondern auch die von den Hinweisen betroffenen Personen zu schützen. Dabei hat ein Hinweisgeber Anspruch auf Schutz im Rahmen der EU-Hinweisgeberrichtlinie, wenn er „hinreichenden Grund zu der Annahme hat, dass die von ihm gemeldeten Informationen zum Zeitpunkt ihrer Übermittlung der Wahrheit entsprachen und in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen“.[9] Schutzbedürftig sollen also nur gutgläubige Hinweisgeber sein.[10] Dementsprechend sind Personen, die wissentlich falsche oder irreführende Informationen melden, nicht vom Schutzbereich der Richtlinie erfasst. Der Missbrauch von Hinweisgebersystemen kann vielmehr straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.[11] Dies ist natürlich keine Besonderheit der EU-Hinweisgeberrichtlinie, sondern ist auch schon bislang geltendes nationales Recht. Die Meldung oder Offenlegung wissentlich falscher Informationen durch hinweisgebende Personen wird durch das HinSchG-E nicht durch eine Neuregelung von Sanktionen (vgl. § 39 HinSchG-E) zusätzlich mit einer Geldbuße belegt. Zwar ist eine Sanktionierung wichtig, um Denunziantentum und das leichtfertige Weitertragen ungeprüfter Informationen zu verhindern. Allerdings genügen die Rechtsinstrumente des geltenden Rechts. Hierzu zählen neben den allgemeinen Schadensersatzvorschriften auch eine mögliche Strafbarkeit (Vortäuschen einer Straftat nach § 145d StGB, falsche Verdächtigung nach § 164 StGB sowie Verleumdung nach § 187 StGB).[12] Nach § 37 HinSchG-E ist die hinweisgebende Person zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der aus einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Meldung oder Offenlegung unrichtiger Informationen entstanden ist. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Frage angesprochen, ob und inwieweit es in der Praxis überhaupt zu einem Missbrauch von Hinweisgebersystemen kommt.