Wandlerin

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Z serii: The Hidden Folks #8
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Als sie ihre Männer erreichten, war die Stimmung bereits deutlich entspannter. Sofern sich die Anführer einig waren, herrschte Frieden.

Tiger war gespannt, wie lange das anhalten würde.

„Ich hoffe sehr, du weißt, was du da tust“, murmelte Dierolf, als Tiger an ihm vorbeiging.

„Was ist dein Problem, Hangaround? Solltest du nicht eher froh sein, dass wir noch mehr Babysitter am Hals haben?“

Dierolf ignorierte seinen Spott und erwiderte den Blick ungerührt. „Halte mich nicht für dämlich, Tiger! Dass du deine kriminellen Geschäfte hier abwickelst, finde ich zum Kotzen. Aber die Kerle hier ... Dir sollte klar sein, dass die Jungs der Abschaum unserer Gesellschaft sind. Die leben nur noch, weil sie geschworen haben, niemanden mehr zu töten, und weil sie sich von den Rangers kontrollieren lassen.“

„Na, da haben wir ja ziemlich viel gemeinsam“, lächelte Tiger böse. „Da steht doch einer Freundschaft wenig im Weg. Außer vielleicht gewisse Babysitter, die ihre Ohren zu weit aufsperren.“

Dierolf schnaufte verächtlich. „Spar dir deine unsubtilen Drohungen. Solange kein Mensch zu Schaden kommt, höre ich weg. Aber ich lass mich nicht verarschen.“

„Das ist mir klar, ob du’s glaubst oder nicht.“ Tiger nickte ihm zu. Er wollte den Ranger nicht verärgern. Schließlich brauchte er ihn als Alibi. „Und falls es dich beruhigt: Ich habe nicht vor, jemanden umzubringen. Zumindest nicht, wenn es sich vermeiden lässt. Abgesehen davon werden die Riders durchaus nützlich sein. Die kennen hier viele MCs und können uns den Kontakt erleichtern. Und das bedeutet: mehr Muschis und mehr Bier.“

Dierolf schnaufte unwillig. „Euer größter Lebenszweck, nicht wahr? Ficken und saufen.“

„Alles zu seiner Zeit“, grinste Tiger. Er klopfte ihm auf die Schulter. „Sobald die Riders getankt haben, brechen wir auf. Du könntest solange unsere Vorräte kontrollieren und aufstocken.“

Dierolf schüttelte genervt den Kopf. „Ehrlich, Biker. Irgendwann trete ich dir persönlich in den Arsch. Das wird mir ein echtes Vergnügen sein.“

Tiger sah ihm amüsiert hinterher. Vielleicht war es Dierolf nicht bewusst, aber zumindest was seine Ausdrucksweise anging, passte er sich den Outlaws immer mehr an. Und nach außen hin war kein Unterschied zwischen ihm und den Bastards auszumachen. Er redete wie sie, bewegte sich wie sie und verhielt sich nach den gleichen Mustern. Tiger war gespannt, wann Dierolf bemerkte, dass er der geborene Biker war. Die Reaktion würde interessant sein.

Eine halbe Stunde später röhrten sechszehn schwere Maschinen die Straße nach Westen. Vorneweg fuhren Tiger und Storm. Das Schlusslicht bildete wie immer Bernart Dierolf.

Niemand stellte sich diesem Pulk in den Weg. Jeder war bestrebt, möglichst schnell viel Abstand zwischen sich und die Biker zu bringen.

Flucht


Interstate 70, Nähe Wilson, Kansas

Der Rastplatz war ungewöhnlich leer, fand Karina, aber das lag vermutlich an der Uhrzeit. Aufmerksam musterte sie die Fahrzeuge, während sie auf den Shop zuging.

Es dunkelte bereits und einige Trucks parkten auf dem großen Parkplatz neben der Tankstelle. Auch ein paar kleinere Wagen standen in der Nähe. Nichts wirkte auffällig.

Die letzten zwei Stunden hatte sie als Beifahrerin eines Truckers verbracht, der ihr gutmütig seine ganze Lebensgeschichte aufgetischt hatte. Von Schule über Beruf und Familie war alles dabei gewesen. Karina hatte ihn reden lassen. Das war ihr sehr viel lieber als unangenehmes Betatschen und schlüpfrige Bemerkungen. Er war zwar erregt gewesen, das stach ihr deutlich in die Nase, doch er besaß immerhin so viel Anstand es nicht zu zeigen. Dafür war sie ihm sehr dankbar und hatte beschlossen, früher als geplant auszusteigen, um ihn nicht allzu lange auf die Probe zu stellen.

In den letzten Stunden hatte sie ihre Flucht aktiv vorangetrieben. Stehlen war mittlerweile keine Herausforderung mehr für sie. Vor vier Jahren noch war das anders gewesen. Jeder Einbruch war ein Risiko gewesen, da sie ihre Fähigkeiten noch nicht unter Kontrolle hatte.

Das hatte sich geändert. Sie erinnerte sich noch sehr genau, wie geschockt sie war, als sie das erste Mal bemerkte, dass ihre „Monsterhaut“ nicht nur seltsam aussah. Die rotgelben Muster, die sich unentwegt zu bewegen schienen, versetzten sie in die unglaubliche Lage, sich zu tarnen. Nach einigen Versuchen schaffte sie es, sich wie ein Chamäleon völlig ihrem Hintergrund anzupassen, so dass sie sich selbst im Spiegel kaum erkennen konnte. Sie war nahezu unsichtbar. Ganz gelang es ihr noch nicht, doch sie war zuversichtlich, dass sie das mit mehr Übung irgendwann hinbekommen würde. Für Diebstähle reichte es schon aus. Und so hatte sie sich innerhalb kürzester Zeit neu eingekleidet und etwas Geld besorgt. Sie hoffte, dass sie in Jeans, kariertem Hemd und Lederjacke wie eine normale Tramperin aussah. Zumal sie auch noch einen Rucksack bei sich trug. Er enthielt zwei Flaschen Wasser, Trockenfleisch, eine Karte der Vereinigten Staaten und ein kleines Buch, in dem sie die ersten Adressen vermerkt hatte, wo sie auf Raubzug gegangen war. Akribisch notierte sie hier ihre Beute. Wie gesagt, sie wollte es gründlich angehen – und ohne Schuldgefühle.

Bei der Auswahl der Schuhe hatte sie lange hin und her überlegt, was sinnvoll war. Schließlich hatte sie sich für ein paar Laufschuhe entschieden. Sie konnte nie ausschließen, dass sie wieder wegrennen musste, und da mochte das passende Schuhwerk entscheidend sein.

Im Laufe des Tages wechselte sie mehrfach das Transportmittel. Zum Schluss war sie bei diesem Trucker gelandet.

Er war nicht die schlechteste Wahl gewesen. Vielleicht fand sie hier auf diesem Rastplatz ja einen weiteren freundlichen Menschen, der sie nach Westen mitnahm.

Der Shop war erstaunlich groß, wirkte aber etwas schmuddelig. In den Regalen gab es reichlich Auswahl an Verpflegung, Zeitschriften und sogar diverse Haushaltsgegenstände. Karina beschloss, einige Energieriegel zu kaufen. Proviant war wichtig. Vor allem haltbarer.

An der Kasse schob sie an die zwanzig Riegel über den Ladentisch. Die junge Frau hinter dem Tisch wirkte müde und etwas unwirsch. Sie gönnte ihrer Kundin nur einen kurzen Blick, bevor sie sich der Kasse widmete. Karina war das nur recht.

Nachdem sie bezahlt hatte und sich umdrehte, erstarrte sie.

Gerade hatten zwei Männer den Ladenraum betreten und ihr Geruch ließ alle Warnglocken in Karinas Innerem aufschrillen.

Die beiden lachten anscheinend über einen Witz und kamen näher. Dann erstarb das Lachen und sie starrten Karina an.

Grüne Augen, registrierte diese und versuchte vergeblich, die Angst niederzuhalten, die sich in ihr breitmachte. Und in den flackernden Augen las sie, dass das nicht unbemerkt blieb.

Sie wirkten harmlos. Beide mittelgroß, der eine etwas breiter und kleiner als der andere. Beide blond, der Kleinere mit Schnurrbart. Gekleidet waren sie in Jeans und T-Shirt. Der breitere Mann wirkte etwas älter und grobschlächtiger, während die Gesichtszüge des Jüngeren weich und freundlich waren. Jetzt blickten die Männer eher verblüfft und verwirrt auf sie.

Karina wusste nicht, wem sie gegenüberstand. Aber dass es keine Menschen waren, konnte sie riechen. Ganz unbekannt war ihr der Geruch jedoch nicht. Erinnerungen stiegen in ihr hoch. Erinnerungen an ihre Käfigzeit. Einige ihrer Mitgefangenen hatten diese Duftkomponenten verströmt, als sie sich wandelten. Die Wesen, die dabei entstanden, hatten erschreckend viel Ähnlichkeit mit Wölfen gehabt. Nur dass sie weitaus größer und ihre Pfoten mit gefährlichen, sehr beweglichen Krallen ausgestattet waren. Killer auf vier Beinen hatte ihr Gefangenenwärter ihr einmal zugeflüstert, während er sie folterte. Und genauso hatten diese Untiere auch ausgesehen.

Sie bezwang ihre Angst und ging auf die Männer zu. Die Energieriegel hielt sie fest umklammert.

Wenn das tatsächlich Killermonster waren, hatten sie sicherlich auch kein Interesse, hier in aller Öffentlichkeit ihre Masken fallen zu lassen. So hoffte sie jedenfalls inständig.

Mit unbewegter Miene drängte sie sich an den Männern vorbei und verließ den Shop. Tatsächlich wichen die zwei hastig aus und starrten ihr lediglich hinterher.

Karina verlor keine Zeit und joggte los. Währenddessen stopfte sie die Riegel in ihren Rucksack und schwang ihn sich auf den Rücken. Also gut, dann hieß es jetzt wohl erst einmal einige Meilen zu Fuß zurückzulegen. Vielleicht fand sie ja unterwegs eine andere Mitfahrgelegenheit.

Auf diesem Rastplatz konnte sie keinesfalls bleiben.

Jenson Porter starrte der Frau mit leicht geöffnetem Mund hinterher, bis sein Freund ihm kurz den Ellbogen in die Rippen stieß.

„Geht‘s noch auffälliger?“, zischte es in seinem Ohr. Marshall Bishop schubste ihn zur Theke. „Lass uns schnell bezahlen.“

Keine Minute später standen sie wieder draußen und sahen sich um. Von der Frau war nichts mehr zu sehen.

„Mist“, murmelte Bishop. „Wo ist sie hin?“

 

Jenson zuckte ratlos mit den Schultern. „Keine Ahnung. Dem Geruch nach in diese Richtung.“ Er zeigte nach Westen. „Verrat mir mal lieber wer, oder besser was sie war? Sowas habe ich noch nie gerochen.“

„Ein bisschen nach Wolf“, knurrte sein Freund. „Aber nicht nach Rudel.“

„Sie ist kein Wolf.“ Jenson schüttelte den Kopf. „Hast du ihre Augen gesehen? Für einen kurzen Moment waren sie gelb.“

„Quatsch!“

„Ehrlich. Außerdem hatte sie einen sehr merkwürdigen Geruch an sich. Irgendwie nach ...“

„Nach was Verbranntem?“, schlug Marshall vor.

„Möglich. Aber ein Mensch war die nicht.“

„Sie hatte Angst“, knurrte Marshall und rieb sich nachdenklich das Kinn. „Also hat sie erkannt, dass wir auch nicht normale Menschen sind. Wer außer Wölfen kann sowas riechen? Hexen doch nicht, oder? Und wie ein Blutsauger wirkte sie auch nicht. Diese Biester kennen angeblich keine Angst.“

„Bleibt nur Wandler“, überlegte Jenson. „Dazu passen auch gelbe Augen. Aber soweit ich weiß, gibt es keine weiblichen Wandler. Echt seltsam.“

Er wechselte einen ratlosen Blick mit seinem Freund. „Was sollen wir machen?“

Marshall steuerte auf ihren Wagen zu, der noch vor der Zapfsäule stand. „Wir fahren weiter. Schließlich wollen wir heute noch im Rudel ankommen.“

„Und was ist mit der Frau? Meinst du nicht, dass wir irgendjemandem Meldung machen sollten?“

„Du kannst es ja Dylan erzählen“, fauchte Marshall und schwang sich hinters Steuer. „Ich für meinen Teil halte mich da lieber raus. Dieses Weib stank geradezu nach Ärger. Und den kann ich gerade nicht gebrauchen.“

Jenson presste die Lippen zusammen. Dylan Mason war zwar ihr Rudelführer, aber Jenson hatte das unbestimmte Gefühl, dass er die falsche Adresse war. Marshall hatte zwar recht, auf Ärger hatte er auch keine Lust. Andererseits konnte es genauso gut sein, dass diese Frau Hilfe brauchte. Entschlossen griff er nach seinem Smartphone.

„Was soll das?“, knurrte Marshall und sah ihn misstrauisch von der Seite an. „Wen rufst du an?“

„Die Ranger“, kam die knappe Antwort.

„Fuck!“

Jenson konnte seinen Freund gut verstehen. Von den Kriegerwölfen der Minnesota-Rangers hielt man sich am besten weit entfernt. Diese Kerle waren riesig, furchteinflößend und aggressiv. Genau die Sorte Wolf, die nötig war, um Ärger aus dem Weg zu räumen und alles Unangenehme von den Rudeln fernzuhalten.

Interessanterweise hatte er vor ein paar Jahren eine junge Frau kennengelernt, die ebenfalls für die Minnesota-Ranger arbeitete. Erst hatte er es nicht glauben wollen, doch ihre Tätowierungen und auch ihre Erzählungen waren eindeutig gewesen. Wie hieß sie noch einmal? Raven! Na egal. Er tippte die Notfallnummer ein, die jedem Wolf in den Vereinigten Staaten von klein auf ins Hirn gebrannt worden war.

Die Frauenstimme, die seinen Anruf entgegennahm, hatte ein angenehmes Timbre. Wolf, erkannte er sofort.

„Minnesota-Rangers, am Apparat Betty Simpson.“

„Ähm, hallo.“ Er räusperte sich. „Ich ... also mein Name ist Jenson Porter. Ich gehöre zum Kansas-Rudel, und mein Freund und ich haben gerade jemanden getroffen.“

„Aha“, kam es trocken zurück. „Und hat dieser jemand auch einen Namen?“

„Keine Ahnung ... äh ... ich meine natürlich, ich weiß nicht, wie sie heißt.“

Hastig erzählte er von der seltsamen Begegnung. Anschließend beschrieb er die Frau so gut es ging.

„Sie hatte Angst“, schob er dann hinterher. „Aber ich glaube, sie wusste nicht, wer beziehungsweise was wir sind.“

„Sehr gut, Jenson Porter.“ Betty Simpson klang inzwischen äußerst sachlich. „Ich habe mir deine Nummer notiert. Es kann sein, dass Rückfragen kommen. Schalte dein Telefon also auf keinen Fall aus. Wo kann man euch finden?“

„Ähm, wir sind auf dem Weg zum Rudel.“

„Ihr wohnt dort?“

„Nur kurze Zeit. Wir renovieren gerade ein paar Gebäude. Marshall ist ein ziemlich guter Handwerker, und ...“

„So viel Information war jetzt nicht nötig“, knurrte es durch den Hörer und Jenson zuckte zusammen. Aus dem sachlichen Tonfall war mit einem Mal ein sehr ungenießbarer geworden.

„Sorry“, stieß er hastig hervor. Vor seinem inneren Auge entstand das Bild einer riesigen zähnefletschenden Wölfin. „Äh ... bist du eine Kriegerin?“, entglitt es ihm. Marshall warf ihm einen fassungslosen Blick von der Seite zu und Jenson hätte sich am liebsten selbst auf die Zunge gebissen.

„Allerdings“, knurrte es zurück. „Und jetzt wirst du deinen kleinen Schwanz zurechtrücken, auflegen und dich für einen Rückruf bereithalten!“

„Geht klar!“

Jenson legte auf und stieß langsam die Luft aus.

„Du bist echt ein Knaller“, kicherte Marshall mit einem Mal los. „Hast du da eine Kriegerin angemacht? Mann, ich dachte, du hängst an deinen Eiern.“

„Dachte ich auch“, murmelte Jenson. „Erzähl das bloß nicht Susan.“

„Ach, ich weiß nicht“, grinste Marshall. „Vielleicht ist das ja inspirierend für sie und sie schnappt sich ein paar Gewichte für mehr Muskelmasse.“

„Du bist echt ein Arsch“, schnappte Jenson zurück. Nach kurzem Nachdenken fand er die Idee allerdings gar nicht mehr so abwegig. Susan hatte nach den beiden Schwangerschaften deutlich zugelegt. Er mochte zwar ihre Rundungen, doch ein paar mehr Muskeln konnten seiner Frau durchaus nicht schaden. Es war nur bedauerlich, dass er vermutlich nie erfahren würde, wie Betty Simpson aussah. Ob sie so attraktiv war, wie ihre Stimme anfangs geklungen hatte. Andererseits, er hing tatsächlich an seinen Eiern. Und von Kriegerwölfen hielt man ja bekanntlich besser Abstand. Egal ob männlich oder weiblich.

Keine Freunde

Missouri

Ungeduldig starrte Erdil auf das Flugfeld und versuchte, seine schlechte Laune in den Griff zu bekommen.

Die Anweisungen von Asher Hunter waren eindeutig gewesen: Holt die Wölfe vom Flugfeld ab und setzt sie auf die Spur!

So weit so gut. Doch offenbar kam die versprochene Unterstützung von weit her, denn sie hockten jetzt schon über zwei Stunden in der ungemütlichen Baracke und versuchten, sich gegenseitig nicht auf den Geist zu gehen.

Leo wirkte ebenso schlecht gelaunt, was das Ganze nicht erträglicher machte. Sie hatten Karina Wells Geruch bis außerhalb von Morton verfolgen können. Dort war sie offenbar in einen Bus gestiegen und die Wandler blieben chancenlos zurück. Manchmal verfluchte Erdil die Tatsache, dass sein Geruchssinn zwar besser war als der von Menschen, dem der Wölfe aber deutlich unterlegen.

Die Aussicht, die kommenden Tage mit zwei Fellträgern verbringen zu müssen, war alles andere als motivierend.

Wölfe und Wandler konnten sich sprichwörtlich nicht riechen. So war es schon immer gewesen und von Erdils Seite aus konnte das auch so bleiben. Sie hatten nur eine Sache gemeinsam: Beide Arten waren potenziell aggressiv. Wandler sogar aggressiver noch als Wölfe. Ansonsten gab es nur Unterschiede. Wandler waren Einzelgänger, Wölfe Rudelwesen. Wandler waren, wenn sie sich überhaupt eine Partnerin nahmen, monogam. Wölfe neigten eher zu Polygamie. Entsprechend mehr Nachwuchs zeugten sie, weshalb es auch deutlich mehr Wölfe als Wandler gab. Ein Punkt, der Erdil besonders ärgerte.

Wölfe machten sich keine Sorgen über Fortpflanzung. Zwar wurden nicht all ihre Kinder zu Wölfen, doch auch nicht gewandelte Familienmitglieder blieben im Rudel und genossen dessen Schutz.

Wandler fanden nur selten eine Partnerin, da ihre aggressive und cholerische Art nur schwer zu ertragen war. Und dieser Unbeherrschtheit fielen auch so manche Kinder zum Opfer. Dass die meisten Knaben die Wandlung nicht überstanden, war umso schwerer zu akzeptieren.

Erdil hatte sich bisher bewusst gegen eine Familie entschieden. In den letzten dreihundert Jahren hatte er zu oft mit angesehen, wie Artgenossen unter dem Verlust geliebter Menschen gelitten hatten.

Als Sophia Hunters Gene aktiviert wurden, hatte vermutlich nicht nur er kurz überlegt, ob sie eine passende Partnerin sein könnte. Doch Erdil sah in der jungen Frau eher eine Ersatztochter, denn eine Lebenspartnerin. Er hatte sie aufwachsen sehen und mochte sie. Mehr aber auch nicht. Dass Medon bei der Kleinen zum Zug gekommen war, hatte ihn trotzdem zunächst geärgert. Doch Sophia schien glücklich zu sein und das war vermutlich alles, was zählte.

Er sah wieder aufs Flugfeld und richtete sich unwillkürlich auf. Ein Hubschrauber näherte sich und setzte kurz darauf zur Landung an.

Erdil beobachtete aus zusammengekniffenen Augen, wie zwei breitgebaute Männer heraussprangen. Das Outfit kam ihm irgendwie bekannt vor. Schwarzes Leder von oben bis unten.

Der blonde Hüne beugte sich noch einmal in das Innere der Maschine und Erdil erhaschte einen kurzen Blick auf rotschimmernde Locken und schlanke Arme, die sich um den breiten Kriegernacken legten. Dann zog der Mann sich wieder zurück und stapfte zusammen mit dem anderen auf das Fluggebäude zu.

Nach wenigen Metern wusste Erdil, wer sich da näherte, und murmelte eine leise Verwünschung.

Henry Graves und Mort Byers.

Das hätte er sich eigentlich denken können. Vor ungefähr zwei Jahren hatten sie sich in Italien kennengelernt. Zu der Zeit war Erdil noch Leibwächter für Sophia und Nathalie Bates gewesen. Die Wölfe nutzten damals Sophias Wandlerfähigkeiten, um an Informationen über einige kriminelle Wilderer zu kommen. Es war Sophias erster Job gewesen und sie hatte ihn mit Bravour gemeistert. Was sicher auch Erdils Verdienst war. Immerhin hatte er sie mit ausgebildet.

Die beiden Ankömmlinge betraten das Gebäude und kurz darauf standen sich Wandler und Wölfe gegenüber.

Sie beäugten sich mit dem üblichen Misstrauen, dann grinste Henry Graves Erdil an.

„Lange nicht gesehen. Wie geht es der kleinen Sophia?“

„Bestens“, knurrte Erdil. Das Interesse des Wolfes an Hunters Tochter gefiel ihm nicht.

Henry Graves lachte leise. „Nur nicht zu viel geplaudert.“

Dann nickte er auch Leo zu. Dieser kannte die beiden Wölfe besser, so viel wusste Erdil. Immerhin hatten sie zusammen mehrere Tage auf Hunters Landsitz verbracht, wo dieser zum ersten Mal auf Nathalie Bates getroffen war. Freunde waren sie natürlich nicht geworden. Man akzeptierte sich, mehr nicht. Doch das war schon eine ganze Menge.

Erdil riss sich zusammen. Diese Gedanken waren verschwendete Zeit. Sie mussten Karina Wells aufspüren.

In kurzen Sätzen erläuterte er die Situation.

Die Wölfe hörten konzentriert zu. Dann brummte Henry zustimmend. „Okay, wir fangen da an, wo ihr aufgehört habt.“

Sie fuhren bis zu besagter Bushaltestelle und Erdil war mehr als froh, dass er einen großen SUV gemietet hatte. Die beiden Kriegerwölfe füllten die komplette Rückbank aus.

Erdil fühlte sich äußerst unwohl auf dem Beifahrersitz. Zwei Kriegerwölfe hinter sich zu wissen, zerrte erheblich an seinem Nervenkostüm. Und Leo schien es nicht anders zu gehen. Er steuerte den SUV mit verkniffenem Gesicht und sah alle paar Sekunden in den Rückspiegel.

Irgendwann stieß Graves ein genervtes Schnauben aus.

„Wandler, wir haben nicht vor, euch von hinten zu meucheln. Könntet ihr einen Gang runterschalten? Mein Partner wird schon ganz unruhig.“

„Na, das beruhigt ja außerordentlich“, knurrte Erdil zurück, versuchte aber, seinen Herzschlag zu verlangsamen. Der Wolf hatte natürlich recht, doch Instinkte waren nun mal schwer abzulegen.

Endlich erreichten sie ihr Ziel und die Wölfe verließen den Wagen kurz, um die Witterung aufzunehmen. Dann stiegen sie wieder ein.

„Wir halten an jedem Bus Stopp“, wies Henry Leo an. „Das dauert jeweils nur ein paar Sekunden.“

Leo nickte und gab Gas. Sie benötigten etwa eine Stunde, dann war klar, dass Karina Wells ausgestiegen war und den Bus gewechselt hatte.

Erdil wurde immer unruhiger. Zwar war es bemerkenswert, dass die Wolfsnasen so etwas überhaupt erkennen konnten, doch es kostete sie viel zu viel Zeit. Karina Wells konnte inzwischen wer weiß wo gelandet sein.

Henrys Telefon zerriss mit seinem Klingeln die Stille.

Der Wolf lauschte ein paar Sekunden und stieß dann ein zufriedenes Brummen aus.

„Interstate 70, Kansas“, meinte er dann. „Da ist sie gerade gesehen worden. Gib Gas, Wandler. Im Moment scheint sie zu Fuß unterwegs zu sein. Das schenkt uns ein wenig Zeit.“

 

Erdil atmete erleichtert aus. Kansas war zwar noch weit entfernt, doch zumindest kannten sie jetzt die Richtung.

„Sie ist besser geworden“, kam es nach einiger Zeit von Mort Byers. „Zielgerichteter.“

Henry brummte nur, aber Erdil sah sich kurz nach dem Riesen um. Mort Byers war wohl der größte Wolf, der je geboren worden war, und Erdil wusste, dass dieser Krieger eine besondere Gabe in sich trug. Er konnte Magie riechen.

„Hast du Hexenmagie bemerkt?“, fragte er.

Mort schüttelte den Kopf. „Nein. Nur Wandler und Wolf.“

So weit war Erdil auch schon gewesen, aber er war trotzdem erleichtert. Gegen Magie anzutreten, war noch eine ganz andere Nummer als gegen Körperkraft.

„Sie ist wirklich außergewöhnlich stark und schnell“, meinte er schließlich. „Und in ihrer Wohnung waren einige Trainingsgeräte. Sie hat sich fit gehalten. Aber sie ist keine Kämpferin.“

„Du sagtest, sie hatte Angst.“ Das kam von Henry.

Erdil nickte. „Ja. Das war eindeutig zu riechen. Doch ich vermute, es war nicht ihre erste Auseinandersetzung. Sie wusste genau, wohin sie zielen musste.“

„Und sie hat nicht durchgezogen“, behauptete Leo.

„Bist du dir sicher?“ Erdil war skeptisch.

„Verdammt sicher! Es ging zwar alles sehr schnell, aber sowohl bei mir als auch bei dir hat sie den Tritt abgebremst. Sonst wären wir nicht so schnell wieder aufgestanden.“

„Na super“, murmelte Erdil. Aber wenn er sich den ganzen Vorgang noch einmal vor Augen führte, musste er Leo recht geben.

„Also zumindest scheint sie keine Killerin zu sein“, grinste Henry. „Das hört sich doch schon mal gut an. Vielleicht streichelt sie euch beim nächsten Mal.“

Erdil versuchte, den Spott zu überhören. Eine Schlägerei im Inneren eines SUVs war vermutlich keine gute Idee. Dass es irgendwann zu einer kommen würde, davon konnte man wohl ausgehen. Dieser Henry schien es geradezu herauszufordern.

Vier Stunden später fuhren sie auf den Rastplatz, an dem Karina Wells zum letzten Mal gesichtet worden war. Die Wölfe stiegen sofort aus und hoben die Köpfe. Dann joggten sie unisono los.

Erdil seufzte ergeben. Es war wohl zu viel verlangt, Erklärungen zu erwarten.

„Bleib an ihnen dran“, wies er Leo an und beobachtete wie die Ranger immer schneller wurden und dann ins Gelände abbogen.

„Mist“, fluchte Leo. „Soll ich ...“

„Nein, bleib auf der Straße und behalte die grobe Richtung bei. Die werden sich schon melden, wenn sich was ändert.“

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