Heinrich der Seefahrer

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Die innenpolitische Krise Portugals von 1448/49

Der Ausbruch einer politischen Krise, die 1448/49 das innere Gefüge Portugals in höchstem Maß erschütterte, sollte Heinrichs Kraft für einige Zeit voll in Anspruch nehmen, sodass er seine nautischen Ambitionen einstweilen beiseiteschieben musste.63 Ihren Ausgang nahm die Krise in den Machtkämpfen zwischen Prinz Pedro und Königin Leonore, die nach dem Tod von König Duarte im Jahr 1438 als Duumvirat die Regentschaft für den noch unmündigen Thronfolger Afonso übernommen hatten. Selbst nach dem Tod Leonores 1445 und der Thronbesteigung Afonsos im Jahr 1446 – der neue König war zu diesem Zeitpunkt gerade 14 Jahre alt – intrigierte die Partei der verstorbenen Königin, angeführt von dem Herzog von Braganza, weiter gegen Prinz Pedro und stachelte den jungen König Alfons V. regelrecht gegen diesen auf. Ein von den Gegnern Pedros angezetteltes Komplott, das in der völlig haltlosen Beschuldigung gipfelte, Pedro habe sowohl seinen Bruder Duarte als auch seine Schwägerin Leonore vergiften lassen, führte schließlich zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen König Alfons und seinem Onkel Pedro. Am 20. Mai 1449 trafen die Truppen der beiden Kontrahenten bei Alfarrobeira aufeinander, und Prinz Pedro, von einem Armbrustpfeil tödlich getroffen, war einer der Ersten, die bei dieser Schlacht fielen.

Der 20. Mai 1449 war – so John Ure – »ein trauriger Tag für Portugal, für das Haus von Aviz und für die Idee von Einigkeit und Ritterlichkeit, in der Prinz Pedro und Prinz Heinrich erzogen worden waren und die sie, jeder auf seine Weise, so lange hochgehalten hatten«.64 Dieses dunkle Kapitel der portugiesischen Geschichte wirft auch auf Prinz Heinrich, dessen Ruf durch den fehlgeschlagenen Tanger-Feldzug und die unglücklich geendete Geiselaffäre um Prinz Fernando bereits angeschlagen war, einige Schatten. Er, der bei Alfarrobeira auf der Seite von König Alfons gekämpft hatte, muss sich hier die Frage gefallen lassen, warum er seinen Einfluss am Königshof nicht stärker zugunsten seines Bruders Pedro geltend gemacht hat. Der portugiesische Historiker Oliveira Martins wirft Heinrich in diesem Zusammenhang »sein völliges Aufgehen in seinen afrikanischen Projekten und die schnöde Missachtung der Gefahren für seinen Bruder« vor.65 Andere Kritiker gehen noch weiter, wenn sie Infant Heinrich anklagen, die Vernichtung Pedros bewusst gewollt zu haben, da er hoffte, so seinen Neffen Afonso, der später den Beinamen »der Afrikaner« erhalten sollte, besser für seine Entdeckungsvorhaben einspannen zu können.66 Zur Verteidigung Heinrichs meint John Ure, dass sich die Intrigen gegen Prinz Pedro in für Heinrich fremden Kategorien bewegt hätten. Denn die Lösung dieses Problems sei für ihn »keine Ehrensache, sondern eine machtpolitische Angelegenheit« gewesen, wobei ihn »seine Erziehung im Sinne ritterlicher Ideale (…) im Stich« gelassen habe.67

Die Erkundung Guineas und der
Kapverdischen Inseln

Nach der Schlacht von Alfarrobeira zog sich Heinrich wieder nach Sagres zurück, um von dort aus neue Entdeckungsfahrten nach Afrika zu dirigieren. Zwei Ziele standen nunmehr im Mittelpunkt seines Denkens: die Eroberung der zwischen Portugal und Kastilien nach wie vor umstrittenen Kanarischen Inseln68 und weitere Erkundungen entlang der westafrikanischen Küste, dabei möglichst weit nach Süden vorstoßend. Über diesen Abschnitt der von Heinrich inspirierten Entdeckungsreisen besitzen wir in dem Reisebericht von Alvise Cà da Mosto ein ausgezeichnetes Dokument, das in diesem Buch nachzulesen ist.

Alvise Cà da Mosto, ein aus Venedig stammender Kaufmann und Seefahrer, unternahm in den Jahren 1455 und 1456 im Auftrag Heinrichs zwei Erkundungsfahrten nach Afrika. In Heinrichs Dienste war er durch einen reinen Zufall gekommen: Als das Schiff, mit dem er nach Flandern segeln wollte, im Winter 1454/55 durch Stürme daran gehindert wurde, die Fahrt von der Südspitze Portugals aus nach Norden fortzusetzen, entschloss sich der gerade 22 Jahre alte Cà da Mosto, getrieben von Abenteuerlust und der Hoffnung, durch eine Afrikafahrt zu Reichtum zu kommen, den in Sagres weilenden Heinrich aufzusuchen und sich ihm als Kapitän anzudienen.69 Heinrich willigte ein und so konnte Cà da Mosto mit einem ihm vom Prinzen zur Verfügung gestellten Schiff bereits am 22. März 1455 zu einer Reise aufbrechen. Zunächst wurde Madeira angesteuert und von dort aus Kurs auf die Kanarischen Inseln genommen. Nach einem kurzen Besuch der Inseln Gomera und Teneriffa segelte Cà da Mosto weiter die afrikanische Küste hinab, über Arguim hinaus zum Kap Blanco, dann weiter nach dem Senegal und Kap Verde, wo er einen Monat im Land von Häuptling Budomel zubrachte. Anschließend erkundete er das Gebiet um die Mündung des Gambia-Flusses. Cà da Mosto wäre gerne noch weiter in Richtung Süden vorgestoßen, aber da seine Mannschaft zu meutern drohte – man war schließlich inzwischen schon fast ein Jahr unterwegs –, entschloss er sich widerwillig, die Heimfahrt anzutreten.

Nach Portugal zurückgekehrt, brach Cà da Mosto – zusammen mit Antoniotto Usodimare – alsbald zu seiner zweiten Entdeckungsfahrt auf, die ihn zu den Kapverdischen Inseln führte und zum Geba-Fluss, an dem heute die Stadt Bissao liegt. Ebenfalls zu den Kapverdischen Inseln und zum Fluss Geba, dem südlichsten Punkt der bisherigen Entdeckungen, gelangte eine Expedition unter dem Kommando von Diogo Gomes im Jahr 1456 oder 1457.

Die Berichte von diesen Expeditionen ließen Heinrich zu dem Schluss kommen, dass nach Kap Verde die afrikanische Küste nicht mehr in südlicher, sondern in östlicher Richtung verlaufe, für ihn ein Zeichen, nun bereits ganz nahe an der Südspitze Afrikas zu sein. Der Seeweg in den Indischen Ozean und nach Indien schien offen zu liegen. Davon, dass die Küste unterhalb des Golfes von Guinea sich weiter nach Süden erstreckte, wusste Prinz Heinrich nichts. Viele Entdeckungsreisen mussten noch unternommen werden, bis es Bartolomeu Dias im Jahr 1488, 28 Jahre nach Heinrichs Tod, endlich gelang, das Kap der Guten Hoffnung zu umsegeln.

Was veranlasste Portugal und andere europäische Länder im 15. Jahrhundert, den Seeweg nach Indien um Afrika herum zu suchen? Die großen Anstrengungen, die speziell die Portugiesen im Zeitalter Heinrichs des Seefahrers70 mit diesem Ziel unternommen hatten, erscheinen erst dann im rechten Licht, wenn man Folgendes berücksichtigt: Der Glaube, um Afrika herum auf dem Seeweg nach Indien gelangen zu können, setzte voraus, dass man das ptolemäische Weltbild über Bord geworfen hatte, wonach der Indische Ozean gänzlich von Land umgeben, also ein Binnenmeer war, das folglich mit dem Schiff nicht erreicht werden konnte. Gestützt wurde der Glaube an einen möglichen Seeweg nach Indien vor allem dadurch, dass der Landweg nach dem Orient seit der Mitte des 14. Jahrhunderts zunehmend erschwert war. Dazu beigetragen haben verschiedene historische Entwicklungen: die aufstrebende Macht der Mamelucken in Ägypten, der Aufstieg des Osmanischen Reichs und das Vordringen der Türken auf dem Balkan, der Zerfall des Mongolenreichs, insbesondere die Beendigung der Mongolenherrschaft in China durch die neue nationalchinesische Dynastie der Ming im Jahr 1368. Unter den Ming-Kaisern wurde China systematisch von der Außenwelt abgeschottet, was im Ost-West-Handel zu schweren Einbrüchen führte. Ein weiteres Moment kam hinzu: Angeregt von dem Mythos des Priesters Johannes und der Vorstellung eines großen Christenreichs im Osten, machte sich die abendländische Christenheit, voran der Papst, auf die Suche nach einem christlichen Verbündeten jenseits des islamischen Herrschaftsbereichs, der sich bereits von Nordafrika bis nach Mittelasien erstreckte. Aus all diesen Gründen war das Abendland sehr darauf aus, einen möglichen Seeweg nach Indien ausfindig zu machen.71

Der Fall Konstantinopels 1453 und
der portugiesische Kreuzzug gegen
Marokko im Jahr 1458

20 Jahre hatte Prinz Heinrich warten müssen, ehe er die Schmach von Tanger wettmachen konnte.72 Diese Gelegenheit verdankte er einem historischen Ereignis, das für die abendländische Christenheit zum Trauma wurde. Die Rede ist von der Eroberung Konstantinopels durch die Türken im Jahr 1453. Angesichts dieser ernsten Bedrohung für die abendländische Zivilisation beschwor Papst Calixtus III. die christlichen Monarchen Europas, gemeinsam einen Kreuzzug gegen die Osmanen zu unternehmen mit dem Ziel, die Hauptstadt der Ostkirche wieder dem wahren Glauben zurückzugewinnen. Der Aufruf des Papstes stieß bei den Herrschern indes mehr oder weniger auf taube Ohren. Kaum einer von ihnen machte ernsthafte Anstrengungen, dem bedrohten Byzantinischen Reich zu Hilfe zu eilen, zumal die meisten europäischen Länder mit eigenen Problemen genug beschäftigt waren. England hatte, nachdem gerade der Hundertjährige Krieg gegen Frankreich beendet worden war, durch den Ausbruch eines Bürgerkriegs, des Kriegs der Rosen73, alle Hände voll zu tun; der französische König musste sich zu der Zeit ebenfalls der Machtansprüche einiger seiner Vasallen erwehren; und die italienischen Stadtstaaten waren an einem Kreuzzug gegen die Türken insofern nicht interessiert, als sie darauf hofften, mit dem aufstrebenden Osmanenreich besser ins Geschäft zu kommen als mit Byzanz jemals zuvor.

Als einer der wenigen folgte Portugals jugendlicher König Alfons V. dem Ruf des Papstes. Er erklärte sich bereit, dem Kreuzzug eine Armee von 12000 Mann zur Verfügung zu stellen. Daraufhin wurde er im Februar 1456 von Calixtus ermächtigt, zur Finanzierung des Türkenkriegs eine Kreuzzugssteuer zu erheben, worauf Alfons aus afrikanischem Gold eine neue Goldmünze prägen ließ, den cruzado mit dem Kreuzfahrerkreuz. Nach dem Tod von Papst Calixtus im August 1458 zerschlugen sich die Kreuzzugspläne jedoch endgültig.

 

Unterdessen hatte es Prinz Heinrich – ganz im Sinne seiner oben beschriebenen Doppelstrategie – mit großem diplomatischem Geschick verstanden, den Blick seines Neffen Alfons auf Marokko zu lenken und den König zu überzeugen, anstelle eines Feldzugs nach Konstantinopel einen Entlastungsangriff gegen die Ungläubigen in Marokko zu führen. Als Angriffsziel wurde schließlich die zwischen Ceuta und Tanger gelegene Küstenstadt Alcácer Ceguer auserkoren, damals ein Stützpunkt des maurischen Piratenunwesens und das Textilzentrum Marokkos. Ende September 1458 brach die portugiesische Armada – 220 Schiffe mit insgesamt 25000 Soldaten – auf und landete am 21. Oktober vor besagter Stadt. Obgleich schon 64 Jahre alt, übernahm Prinz Heinrich das Kommando über dieses militärische Unternehmen. Weitaus besser gerüstet als bei der misslungenen Eroberung Tangers, gelang es den Portugiesen innerhalb von zwei Tagen, die Stadt trotz heftiger Gegenwehr des Sultans von Fes einzunehmen.


Afrikakarte von Sebastian Münster, 1550

Nach der Rückkehr aus Marokko schien Heinrich zu spüren, dass sich sein ereignisreiches Leben dem Ende zuneigte. Aber noch war sein Entdeckergeist nicht erloschen. Kurz vor seinem Tode schickte er eine weitere Expedition aus, die unter dem Kommando von Pedro de Sintra bis nach Sierra Leone gelangte. Von diesem Erfolg, dem weitesten Vorstoß portugiesischer Seefahrer nach Süden bis dahin, erfuhr Prinz Heinrich allerdings nichts mehr. Er hatte bereits am 13. November 1460 für immer die Augen geschlossen. Über seinen Tod schreibt Diogo Gomes, einer von Heinrichs Kapitänen: »Im Jahre 1460 erkrankte der Infant in seiner Stadt am Kap São Vicente und starb am 13. November desselben Jahres, einem Donnerstag. Noch in der Nacht brachten wir die Leiche nach Lagos, in dessen kleiner Kirche sie beigesetzt wurde. Der König und das ganze Land trauerten wegen des Todes dieses edlen Herrn, der seine gesamten Einkünfte und allen Gewinn, den er aus Guinea bezog, für Entdeckungsfahrten und – um des christlichen Glaubens willen – für die Bekämpfung der Sarazenen verwandt hatte. Ende des Jahres schickte mir König Alfons Befehl, ich solle nachsehen, ob die Leiche verwest sei, weil er sie nach dem schönen Kloster Batalha zu überführen wünsche. Doch als ich den Sarg öffnete, war sie trocken und mit Ausnahme der Nasenspitze völlig unversehrt. (…) Ja, unser Infant führte ein jungfräuliches Leben und stiftete so viel Gutes, dass man es nicht aufzählen kann. Bischöfe und Grafen geleiteten seine Leiche zu dem erwähnten Kloster, wo sie neben den Eltern und den fünf Brüdern begraben worden ist. Sein Andenken wird ewig gepriesen werden. Möge er im heiligen Frieden ruhen. Amen.«74

Heinrichs Lebenswerk

Wie wurde Heinrich von der Nachwelt eingeschätzt? Zunächst einmal war das Bild, das die nachfolgenden Generationen sich von dieser herausragenden Persönlichkeit der portugiesischen Geschichte machten, im Laufe der Zeit vielen Wandlungen unterworfen. Das 16. Jahrhundert, das Zeitalter der Renaissance und des Humanismus, sah in Heinrich in erster Linie den Humanisten, der aus den Fesseln scholastischer Dogmatik ausgebrochen war; im 19. Jahrhundert, in einer Zeit also, in der die Menschen an die Allmacht positivistischer Wissenschaft glaubten, wurde Heinrich zum Vorläufer moderner, auf Empirie beruhender Wissenschaft. Und im Zeitalter des Kolonialismus erschien er vielen als Symbol kolonialer Errungenschaften. Von manchen Historikern, wie z.B. dem Portugiesen Joaquim Bensaúde75, wird das Schwergewicht auf Heinrichs christliches Sendungsbewusstsein gelegt. Da erscheint er als der große christliche Stratege, der versuchte, den Islam zurückzudrängen.

Die vier hier erwähnten Aspekte von Heinrichs Persönlichkeit sind sicherlich allesamt zutreffend; keinesfalls aber darf Prinz Heinrich auf einen davon reduziert werden, vielmehr sollte immer eine gewisse Widersprüchlichkeit seines Charakters herausgehoben werden. Auf der einen Seite sind da seine höfische Erziehung und sein Festhalten an altmodischen ritterlichen Idealen, die ihn in wichtigen Lebenssituationen, z.B. bei dem Komplott gegen seinen Bruder Pedro, »zu Fehleinschätzungen und falschen Beurteilungen verführten«.76 Seine rastlose Neugier und sein Wille, seinem und der Menschheit Wissen neue Horizonte zu erschließen, weisen ihn auf der anderen Seite als modernen, wissenschaftlich denkenden Menschen aus – wäre er anders doch gar nicht in der Lage gewesen, geografische Entdeckungen und Neuerungen auf dem Gebiet der Kartografie und Nautik systematisch zu fördern.77 Vermittelt wurde das Zusammenspiel der beiden Komponenten – höfische Lebenswelt und sein Enthusiasmus für Entdeckungen – von einer tiefen Religiosität. Aus dieser bezog er die Rechtfertigung für seine Feldzüge gegen Marokko, die Sklavenjagd und die von ihm gelenkten Vorstöße entlang der westafrikanischen Küste. So gesehen war Heinrich ein Kind seiner Zeit, des Umbruchs vom Mittelalter zur Neuzeit. Ebendiese historische Nahtstelle spiegelte sich in seiner Persönlichkeit wider: Ein Teil seiner Existenz war noch von der mittelalterlichen Welt, von höfischer Kultur und Rittertum geprägt, der andere wies schon voraus in Bereiche, die für die Neuzeit typisch werden sollten. Oder anders formuliert: Heinrich der Seefahrer war bereits – zumindest in seinen Konturen – ein moderner Mensch, ohne gewisse mittelalterliche Wesenszüge ganz abgestreift zu haben.

Warum erhielt Prinz Heinrich von der Nachwelt den Beinamen »der Seefahrer«, obwohl er persönlich doch an keiner der Entdeckungsfahrten teilgenommen hatte, sondern lediglich an den drei Feldzügen gegen Ceuta, Tanger und Alcácer Ceguer? Und aus welchen Gründen übernahm er niemals selbst das Kommando über eins der von ihm nach Afrika ausgesandten Schiffe? Manche Historiker weisen darauf hin, dass es für Prinz Heinrich zu seiner Zeit genauso undenkbar gewesen wäre, an einer seiner Expeditionen teilzunehmen, wie heutzutage für den Präsidenten der USA, in einer Raumkapsel in den Weltraum zu fliegen.78 Außerdem verweist John Ure darauf, dass zu Lebzeiten des Prinzen mit Seefahrten immer noch ein gewisser »gesellschaftlicher Makel« verbunden war.79 Rücksichten auf die höfische Etikette und auf seinen fürstlichen Status hätten Heinrich daran gehindert, an den Expeditionsfahrten teilzunehmen: »Die natürliche Ordnung der mittelalterlichen Gesellschaft machte es undenkbar, dass Prinz Heinrich sich der Würdelosigkeit einer langen Seereise unterzog.«80

Wenn so der Beiname »der Seefahrer« auch nicht ganz passend zu sein scheint, trägt ihn Heinrich doch insofern zu Recht, als sein unbändiges Interesse an Entdeckungen gleichsam der springende Funke war, der – einem sich ausbreitenden Feuer gleich – genügte, »um vierhundert Jahre europäischer Entdecker- und Forschertätigkeit in Gang zu setzen«.81

Unabhängig von der Frage, ob die Triebfeder der portugiesischen Expansion allein in der Person Heinrichs oder eher in kollektiven Kräften (Zeitgeist, Kreuzzugsmentalität, Handelsinteressen etc.), denen Heinrich durch sein Handeln lediglich Ausdruck verlieh, zu suchen ist, bleibt festzuhalten, dass kein anderer in der Geschichte der größten Entdeckernation der Welt an die Bedeutung Heinrichs des Seefahrers heranreicht. Seinem Forscherdrang und seiner Wissbegierde war es zu danken, dass das kleine Portugal innerhalb eines knappen Jahrhunderts »zwei Drittel der Welt dem europäischen Handel (…) eröffnen und diesen Handel auch noch (…) beherrschen« konnte.82 Die Entdeckungsfahrten, die Heinrich von Sagres aus organisierte, hatten den Grundstein gelegt für das portugiesische Weltreich, dessen wichtigste Stationen in chronologischer Reihenfolge waren:

Die Umrundung des Kaps der Guten Hoffnung durch Bartolomeu Dias im Jahr 1488, Vasco da Gamas Reise an die Ostküste Afrikas, nach Mosambik und nach Indien in den Jahren 1497–1499, die Entdeckung Brasiliens durch Pedro Álvares Cabral 1501, die Eroberung Goas und Malakkas durch Albuquerque 1510 bzw. 1511, die Einnahme der Insel Ormuz im Jahr 1515 und die Besetzung von Bombay im Jahr 1534 und von Macao im Jahr 1557.

Über Heinrich den Seefahrer ist eine Vielzahl von Biografien erschienen, die diese außergewöhnliche Persönlichkeit unter den verschiedensten Aspekten beleuchteten.

Bei dem hier vorliegenden Band nun handelt es sich jedoch um keine Biografie im herkömmlichen Sinne, vielmehr soll dem Leser in Form einer historischen Dokumentation anhand zeitgenössischer und früher Berichte ermöglicht werden, sich selbst ein Urteil über Heinrich den Seefahrer und sein Zeitalter zu bilden.

Um den Charakter der Dokumentation zu wahren, wurden im Übrigen an einigen Stellen die unterschiedlichen und voneinander abweichenden Schreibweisen für Namen und geografische Bezeichnungen beibehalten, so wie sie zu Zeiten der Chronisten gebräuchlich waren.

Rudolf Kroboth

1 (Edgar Prestage, Die portugiesischen Entdecker, Wien, Bern, Leipzig 1936, S. 7)

2 Diffie, Foundations of the Portuguese Empire. S. XV.

3 Diffie, a.a.O.

4 Zur Formationsgeschichte Portugals vgl. Salentiny. Aufstieg und Fall des portugiesischen Imperiums. S. 9 ff.; G.G. Kinzel, Die rechtliche Begründung der frühen portugiesischen Landnahmen, S. 1 ff.

5 Zu den wirtschaftlichen Motiven wie Währungsproblemen aufgrund des Goldmangels etc. vgl. Salentiny, a.a.O., S. 21 ff.

6 Diffie, a.a.O., S. XIV.

7 E. Prestage, Die portugiesischen Entdecker, S. 9.

8 Diffie, a.a.O., S. 21 f.

9 Prestage, a.a.O., S. 10.

10 Hierzu und zum Streit zwischen Portugal und Kastilien um

diese Inselgruppe vgl. Diffie, a.a.O., S. 27 ff.

11 Prestage, a.a.O., S. 12/13.

12 Diffie, a.a.O., S. 37 ff.

13 Prestage, a.a.O., S. 15.

14 Diffie, a.a.O., S. 39 ff.

15 R. Romano, Die Grundlegung der modernen Welt, S. 69 ff.

16 Zitiert nach Prestage, a.a.O., S. 19.

17 Diffie, a.a.O., S. 45.

18 Zitiert nach Diffie, a.a.O., S. 52.

19 Diffie, a.a.O., S. 45 u. 53.

20 Diffie, a.a.O., S. 53.

21 Prestage, a.a.O., S. 15.

22 Zitiert nach Prestage, a.a.O., S. 23.

23 Prestage, a.a.O., S. 54 ff.

24 Prestage, a.a.O., S. 55.

25 Prestage, a.a.O., S. 56.

26 Vgl. Diffie, a.a.O., S. 58; Kinzel, a.a.O., S. 241 ff.

27 Diffie, a.a.O., S. 57 f.; Salentiny, S. 40 ff.

28 So der Titel der Heinrich-Biografie von A. Born: Alexander Born, Hinaus über das Ende der Welt. Heinrich der Seefahrer, München 1980.

29 J. Ure, Heinrich der Seefahrer, S. 64 f.

30 Diffie, a.a.O., S. 64 ff; zur völkerrechtlichen Komplexität dieser Frage und zu den entsprechenden Papst-Bullen vgl. Kinzel, a.a.O., S. 220 ff., S. 241 ff.

31 Eine league entspricht 4,8 km.

32 Diffie, a.a.O., S. 67.; Salentiny, a.a.O., S. 42 ff.; zur Bedeutung der Umschiffung von Kap Bojador in Bezug auf die damaligen Weltvorstellungen vgl. Salentiny, a.a.O., S. 30 ff., und G. Hamann, Der Eintritt der südlichen Hemisphäre, S. 49 ff.

33 Diffie, a.a.O., S. 70 ff.; Ure, a.a.O., S. 77 ff.

34 Zur Diskussion um das Tanger-Unternehmen vgl. Kinzel, a.a.O., S. 189 ff.

35 Diffie, a.a.O., S. 70.

36 Kinzel, a.a.O., S. 211 f.

37 Kinzel, a.a.O., S. 224.

38 Einzelheiten siehe Ure, a.a.O., S. 84 ff.; Kinzel, a.a.O., S. 232 f.

39 Vgl. hierzu Ure, a.a.O., S. 91 ff.

40 Zitiert nach Kinzel, a.a.O., S. 248.

41 Ure, a.a.O., S. 95.

42 Diffie, a.a.O., S. 113 ff.

43 Ure, a.a.O., S. 97.

44 Ure, a.a.O., S. 97; zu den wissenschaftlichen Erfolgen der »Schule von Sagres« vgl. Hamann, a.a.O., S. 33 ff.

45 Ure, a.a.O., S. 107 f.

46 Ure, a.a.O., S. 109.

47 Ure, a.a.O., S. 109.

48 Diffie, a.a.O., S. 78.

49 Diffie, a.a.O., S. 78.

50 Diffie, a.a.O., S. 76 ff.

51 Ure, a.a.O., S. 117.

52 Kinzel, a.a.O., S. 282.

53 Kinzel, a.a.O., S. 301 ff.

 

54 Zitiert nach Ure, a.a.O., S. 120.

55 Zitiert nach Ure, a.a.O., S. 121.

56 Zitiert nach Ure, a.a.O., S. 122 f.

57 Zitiert nach Ure, a.a.O., S. 123.

58 Zitiert nach Ure, a.a.O., S. 128.

59 Vgl. hierzu Diffie, a.a.O., S. 82 ff.; Salentiny, a.a.O., S. 46 ff.

60 Ure, a.a.O., S. 129.

61 Ure, a.a.O., S. 131.

62 Diffie, a.a.O., S. 88.

63 Vgl. hierzu Ure, a.a.O., S. 144 ff.

64 Ure, a.a.O., S. 154.

65 Zitiert nach Ure, a.a.O., S. 156.

66 Zitiert nach Ure, a.a.O., S. 156.

67 Zitiert nach Ure, a.a.O., S. 156.

68 Vgl. dazu Diffie, a.a.O., S. 92 ff.

69 Vgl. hierzu Salentiny, a.a.O., S. 50 ff.; Diffie, a.a.O., S. 96 ff.

70 Zur Indien-Problematik vgl. Hamann, a.a.O., S. 39 ff.; Kinzel, a.a.O., S. 316 ff.

71 Diffie, a.a.O., S. 35 ff.

72 Diffie, a.a.O., S. 107 ff.; Ure, a.a.O., S. 174 ff.; Prestage, a.a.O., S. 110 ff.

73 Zum sogenannten »Krieg der Rosen«, der Bürgerkrieg zwischen den Häusern York und Lancaster, vgl. Romano, a.a.O., S. 71 ff.

74 Zitiert nach Prestage, a.a.O., S. 183.

75 J. Bensaúde, A Cruzada do Infante D. Henrique, Lissabon 1943.

76 Ure, a.a.O., S. 183.

77 Vgl. hierzu Diffie, a.a.O., S. 113 ff., 123 ff.

78 Ure, a.a.O., S. 73.

79 Ure, a.a.O., S. 75.

80 Ure, a.a.O., S. 76.

81 Ure, a.a.O., S. 185.

82 Ure, a.a.O., S. 96.