Waypoint FiftyNine

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Ohne Bier kein Klavier

(Ein Intermezzo von Jörg Fuchs Alameda)

Zahlungsunfähig eine Weltraumkneipe zu betreten, fühlte sich noch mieser an als der letzte Männerausflug auf der Erde, bei dem Günther und ich den Barfußpfad über die Hundewiese voller Tretminen abgekürzt hatten. Aber da waren wir wenigstens zu zweit gewesen. Nun musste ich alleine nach einem Tisch suchen, während Günther unsere in Bier umgewandelten Tantiemen in der Bordtoilette abführte.

Ich überlegte noch, ob ich mich ohne Credits überhaupt setzen durfte, da rauschte ein Bierbrunnen über meinen Kopf hinweg. Einer der Landefüße streifte meine in Beton gemeißelte Igelfrisur. Der Brunnen kippte leicht, sodass ein guter Schluck des Gebräus über den Rand schwappte und auf meine Schuhe platschte. Das Pils-Aroma stieg mir in die Nase. Sehnsüchtig folgte mein Blick der Flugbahn des Brunnens, der zuerst über einem menschengroßen Seepferdchen und einem gehörnten Grünling kreiste, dann aber bei einem insektoiden Alien landete.

Eine der Zwillingsschwestern blieb mit einer Schüssel, deren Inhalt wie frittierte Sardellen aussah, vor mir stehen. »Greif zu! Als Entschädigung für die nassen Füße.«

Sie lächelte mich herzerwärmend an. Es musste Sora sein.

»Noch vor meinen drei Abendessen? Da sagt ein Alameda doch nicht nein. Danke!« Ich steckte mir gleich zwei Stück in den Mund und kaute. Sofort wurde mir heiß. Auf der Zunge und in der Nase brannte es. Tränen schossen mir in die Augen. »Schmeckt nach Flammenwerfer«, nuschelte ich und überlegte, wo ich das Zeug hinspucken könnte.

»Eine Schärfe von einer Million Scoville wird einen Alameda doch nicht etwa umhauen?« Die Bedienung schmunzelte hinterhältig. »Durstig? Das Wasser auf dem Klo kostet nix. Meinetwegen kannst du auch McGintleroys Erdnüsse haben, wenn du hilfst, den Schleim dahinten wegzuwischen.« Sie zeigte auf eine Tischplatte, die fast komplett mit kleinen Schälchen zugestellt war. Darunter kniete ihre Schwester und schrubbte fleißig den Boden. Gelbe Dampfwölkchen stiegen von ihrem Lappen empor. Wieder hielt sie mir die Schüssel unter die Nase. »Nachschlag?«

Ich schüttelte den Kopf und schluckte, ohne weiter zu zerkauen. Zweifellos war es Mora, die Giftige der beiden Zwillinge, die nun lachend mit dem höllischen Snack davon schritt.

Nach ihrer Ansage direkt auf die Toilette zu rennen, war mir eigentlich zu peinlich, denn ich wusste, dass es nur eine zusätzliche Stichelei war und Wassertrinken das Brennen noch verschlimmern würde. Trotzdem trieb mich mein glühendes Gesicht in Richtung Ausgang.

»Du bist ja hart drauf!« Ein Typ im roten Strampelanzug packte meinen Arm und zog mich zur Theke. Da mein Kreislauf rebellierte, nahm ich die Einladung an und setzte mich neben ihn auf einen Barhocker. »Mit naturgefüllten Echsendärmen rührt man den Flaming Lizard um, nur ganz kurz, damit der Cocktail nicht zu scharf wird. Die Dinger isst man doch nicht.« Er schob mir seinen Krug hin. »Hier, zum Feuerlöschen.«

»Naturgefüllt?« Ich musste würgen. Gierig trank ich den letzten Schluck seines Bieres. Dann knallte ich den Krug auf den Tresen und wischte mit dem Ärmel den Schaum von meinem Mund. »Wenn mein bester Freund mir das Kölsch wegsäuft und mein Verlag mir die Schreibmaschine auf die trockene Kehle setzt, kann ich auch Echsenscheiße fressen. Das kommt gleich in mein Tagebuch der intergalaktischen Weisheiten. Nummer 236.«

Er klopfte mir auf die Schulter. »Das ist mein Mann! Ich bin Ziggy Stardust. Hat dir schon mal jemand das Leben gerettet?«

»Nein. War noch nicht nötig.«

»Dann hast du auch keinen besten Freund. Vielleicht kann ich das ja für dich werden. Wo genau drückt denn das Suspensorium?«

Das war die Chance, ein Mitleidsgetränk herauszuschlagen. »Ich bin Autor …«

»Mein Beileid«, unterbrach er mich.

»Ich war noch nicht fertig. Also ich bin Fantasyautor …«

Er stand auf. »Sorry, da kann dir niemand mehr helfen.«

Nun hielt ich ihn am Arm fest. »Ohne Bier kein Klavier! Wie soll ich nüchtern in die Tasten hauen? Da fällt mir bis morgen früh nie und nimmer ’ne schräge Story ein.«

»Stimmt. Durst ist schlimmer als die Weltraumpest.« Er setzte sich wieder. »Du hast Glück. Ich bin ein Veteran im Schleusenreisen. Dir schuldet doch bestimmt jemand ein Bier.«

Ich überlegte kurz. »Ja schon. Von Laurence bekomme ich noch zwei, drei Flaschen Schlabberstöffsche. Aber ich würde mir auch was von dir ausgeben lassen.«

»Siehst du den Einarmigen dahinten? Das ist Sam. Ich hab gerade alles an ihn verloren. Beim 3D-Billard. Und das nicht zum ersten Mal.« Er legte seine Hand auf meine Schulter und sah mich mit glasigen Augen an. »Ich brauche auch ein Bier. Wo finden wir diesen Laurence?«

»Keine Ahnung. Aber ich weiß, dass er beim letzten Buchmesse Convent war. Dreieich. Erde. 2019. Da sind alle meine Schreibkumpels.«

»Kein Problem!« Ziggy klopfte sich stolz auf die Brust. »Mit mir kommst du, wohin du willst, und zwar in jede Zeit. Ich kann Dimensionsschleusen kurzschließen.«

»Ich auch«, sagte ich und seufzte. »Aber Security-Jack lässt mich nicht gehen.«

»Du hast ihn beleidigt?«

Ich nickte.

»Das renke ich schon wieder ein, Frischling.«

»Wir müssen auf Günther warten.« Ich blickte an ihm vorbei zum Eingang. »Der kahlköpfige Headbanger lernt bestimmt das Klopapier auf der Bordtoilette auswendig. Hab gehört, da sollen Weltraumwitze aufgedruckt sein.«

»Die sind wirklich gut«, bestätigte Ziggy. »Habe selbst mal drei Stunden dort verbracht.«

»Da fällt mir ein, letztes Silvester hab ich einen Fleischkäse gegessen, der abgelaufen war. Günther hat mir einen Eimer gebracht und meine damals noch langen Haare beim Kotzen gehalten.«

»Das grenzt an Lebensrettung«, mischte sich Virginio ein, der scheinbar unser Gespräch belauscht hatte und nun mit einem Lappen den Tresen abwischte.

Ziggy beugte sich zu mir und flüsterte: »Kannst Günther doch ein Bier von diesem Laurence mitbringen.«

»Tolle Idee!« Aufgeregt hüpfte ich vom Hocker und legte den Arm um Ziggy. »Auf geht’s zum BuCon! Aber erst noch ein Wir-sind-unterwegs-Selfie für meine Spacebook-Seite!«

Vor dem Waffencheck zu den Dimensionsschleusen wimmelte es von Leuten. Menschen, Aliens und andere fantastische Wesen liefen uns im Korridor grüppchenweise über den Weg. Obwohl es mehrere Räume gab, mussten wir warten. Neuankömmlinge hatten Vorrang gegenüber Abreisenden.

»Sieh mal«, flüsterte Ziggy und deutete auf ein Schott, aus dem ein Außerirdischer entstieg, dem der Schnurrbart schief über der Oberlippe hing. Als der Typ mein Grinsen bemerkte, zog er eine Sonnenbrille aus der Brusttasche seines Hawaiihemdes und setzte sie auf. Erschrocken rückte er den falschen Bart gerade und versuchte, ihn unter der Nase anzudrücken, doch der Klebstoff wollte nicht mehr halten. Nun riss er die Rotzbremse ganz ab, steckte sie hastig in die Hosentasche und lief mit schnellen Schritten an uns vorbei in Richtung Bar.

Ziggy lachte. »Hast du ihn erkannt?«

»Den ehemaligen Finanzminister des Alterta Mondes? Bei der Verkleidung könnte er auch gleich ein T-Shirt mit seinem Fahndungsfoto tragen.«

Mein Begleiter trat aus der Schlange heraus und sah dem Minister nach. »Wollen wir uns ein paar Credits verdienen?«

»Seh ich so aus, als würde ich eine pandamorianische Rüstung unter meinem Pullover tragen?« Ich zerrte ihn zurück in die Reihe. »Kopfgeldjäger gibt es hier genug. Denen will ich nicht in die Quere kommen.«

Opferbereitschaft (von Lea Baumgart)

Der um Anonymität bemühte ehemalige Finanzminister des Alterta Mondes starrte niedergeschlagen auf den Bierbrunnen. Das Bier schmeckte nicht schlecht, aber er hätte etwas Stärkeres vertragen können. Was er dringender benötigte als einen Alkoholrausch, war jedoch ein klarer Kopf.

Misstrauisch hob er den Blick und sah sich prüfend in der Kneipe um.

Es war ein fragwürdiger Laden, den er auf dem Höhepunkt seiner Karriere niemals frequentiert hätte – es sei denn, die Übergabe von Bestechungsgeldern hätte ihn dazu genötigt.

In der Nähe der Theke lungerten drei Gestalten herum, die überaus zwielichtig wirkten. Doch in einer Kneipe wie dieser war die Klientel von Natur aus dubios. Kein Grund in Panik zu geraten. Allerdings schauten diese drei auffällig oft in seine Richtung und die Bevölkerung des Alterta Mondes hatte einen beträchtlichen Finderlohn auf den Kopf ihres ehemaligen Finanzministers ausgesetzt. Ob der Kopf dabei am Ende seines Halses gefunden wurde, oder einige Meter davon entfernt, blieb dem Finder überlassen.

Der ehemalige Finanzminister empfand die Hetze der Medien, die seit dem Einsatz der neuen Regierung auf dem Alterta Mond gegen ihn betrieben wurde, als überaus ungerecht. Zunächst hatte sich seine eigene Bevölkerung gegen ihn gewandt, und dann der ganze Rest des Universums. Dabei hatte er die Finanzen seiner Bürger aufopferungsvoll verwaltet. Nicht nur während seiner Arbeitszeit hatte er die Steuereinnahmen betreut, sondern auch in seiner Freizeit. Er war sogar so weit gegangen, sich nicht nur im Namen der Regierung um die ihm unterstellten Finanzmittel zu kümmern, sondern sich ihrer auch auf seinem Privatkonto anzunehmen. Derart in seiner Arbeit aufgegangen, hatte er sie eines Tages nicht einmal mehr von seinem Privatleben unterscheiden können. Mehr Engagement konnte man von einem Minister doch nun wirklich nicht erwarten.

Eine der Gestalten an der Theke nickte jetzt in seine Richtung. Sie trug Hörner. Der ehemalige Finanzminister hatte natürlich keine Vorurteile. Seiner offiziellen Philosophie zufolge war er ein aufgeschlossener Alterta, der an Chancengleichheit glaubte und keinen Unterschied zwischen den verschiedenen Rassen sah. Davon abgesehen hatte er allerdings noch nie eine Spezies mit Hörnern getroffen, die sich nicht als Bande von ausgemachten Mistkerlen herausgestellt hätte.

 

Er warf einen Blick auf den Roboter – Modell KRAWUMM! – neben sich und wurde augenblicklich ruhiger. Selbstverständlich war Roboter nicht der politisch korrekte Terminus. Heutzutage bevorzugte man außerhalb der Stammtische den Begriff künstliche Intelligenz. Seiner offiziellen Philosophie zum Trotz, lag dem ehemaligen Finanzminister jedoch wenig an politischer Korrektheit. Seiner inoffiziellen Meinung nach verhielt es sich mit politischer Korrektheit ebenso wie mit Mord, Steuerhinterziehung und Erpressung – er duldete sie nur, solange sie von ihm selbst ausging und ihm einen Vorteil vor der Konkurrenz verschaffte. Hinzu kam in diesem Fall, dass das Wort Intelligenz nun wirklich nicht auf KRAWUMM! zutraf.

Der Stahlriese mit der Schlagkraft eines kleinen Meteoriten und einer entsprechend potenten Leibwächterfunktion hatte den ehemaligen Finanzminister ein kleines Vermögen gekostet. Glücklicherweise nicht sein eigenes Vermögen.

Beim Waffencheck hatte es natürlich Probleme gegeben, allerdings war die Androidenrechtebewegung derzeit so stark im Kommen, dass es sich jeder Ladeninhaber lieber zweimal überlegte, bevor er einem Roboter den Zutritt zu seinen Räumlichkeiten verwehrte. Vor allem auch deshalb, weil Androiden leichter Ersatzteile für sich beschaffen konnten, als Prothesen für organische Lebewesen verfügbar waren, da die Vernetzung der Algorithmen untereinander ganz hervorragend funktionierte. Wer seinem Staubsauger nicht mit genügend Respekt begegnete, der erhielt vielleicht bald schon Besuch von einem autonomen Panzerbataillon. Davon abgesehen hatte man am Waffencheck darauf bestanden, KRAWUMM! einen Gewaltblocker zu installieren. Seine Leibwächterfunktion wurde dadurch stark eingeschränkt, aber trotzdem fühlte der ehemalige Finanzminister sich mit dem Roboter an seiner Seite wohler. Er baute auf den psychologischen Abschreckungseffekt.

Die Gestalt mit den Hörnern starrte mittlerweile ganz offenkundig zu ihm hinüber.

Der ehemalige Finanzminister rutschte unruhig hin und her. Vielleicht wurde es Zeit, sich möglichst dezent abzusetzen. Eigentlich war er davon ausgegangen, dass er tief genug im Orkus des Universums versunken war, um unauffindbar zu werden, aber diese Blicke ließen auf etwas anderes schließen. Wenn ihm sein Leben teuer war – und es war ihm teuer, wie die Bürger des Alterta Mondes bezeugen konnten, die es jahrelang finanziert hatten – wäre ein rascher Abgang ratsam.

»Herr Finanzminister«, sprach ihn plötzlich eine Stimme an.

Der ehemalige Finanzminister zuckte zusammen. Er hatte nicht bemerkt, dass sich jemand genähert hatte, doch als er jetzt ganz leicht den Kopf drehte, entdeckte er eine Person, die ihm genau gegenübersaß. Das beunruhigende an ihrem unvermittelten Auftauchen war vor allem, dass er absolut nicht sagen konnte, wie lange der Fremde schon dort saß und ihn beobachtete.

»Ehemaliger Finanzminister«, korrigierte der ehemalige Finanzminister.

Der Fremde hatte ihn unvorbereitet getroffen, doch dasselbe war ihm bereits mit öffentlichen Anschuldigungen, Steuerbescheiden und wütenden Mobs passiert – und es war ihm stets gelungen, den Anschein der Ruhe zu bewahren und jemand anderen ans Messer zu liefern.

»Zu Unrecht«, sagte der Fremde. »Gänzlich zu Unrecht. Eine rechtschaffene Amtsperson wie Sie.«

Obwohl die Worte schmeichelnd klangen, war die Stimme des Fremden durch und durch unangenehm. Weshalb konnte der ehemalige Finanzbeamte nicht genau sagen. Dasselbe galt leider auch für sein Äußeres. Er kniff die Augen zusammen, um sich besser auf sein Gegenüber fokussieren zu können, aber sein Blick schien regelrecht von ihm abzugleiten. Der Fremde war durchschnittlich groß, durchschnittlich alt und verfügte über die durchschnittliche Anzahl an Extremitäten. Das war eine ganz beachtliche Leistung, in einem Universum, in dem die Größe seiner Bewohner um mehrere Kilometer voneinander abweichen konnte und die Lebenserwartung irgendwo zwischen einem Atemzug und einigen Jahrmillionen lag. Ganz zu schweigen von der Anzahl der Extremitäten.

Genauere Details ließen sich nicht ausmachen, denn sein Äußeres schien zu flimmern, was es erschwerte, den Blick lange auf ihn fokussiert zu halten.

»Darf ich fragen, welcher Spezies Sie angehören?«, erkundigte sich der ehemalige Finanzminister.

In den meisten Gesellschaftskreisen galt diese Frage als unhöflich, aber im Waypoint FiftyNine konnte man eigentlich nicht von einem Gesellschaftskreis sprechen, sondern vielmehr von einer Abwärtsspirale.

»Oh, entschuldigen Sie, meine natürliche Erscheinungsform verunsichert die meisten Lebewesen«, entschuldigte der Fremde sich und plötzlich sah der ehemalige Finanzminister ihn klar und deutlich vor sich.

Er war klein, schmal und rosig; eindeutig ein Mensch. Inzwischen traf man diese Spezies überall im Universum an, obwohl sie weder besonders widerstandsfähig, noch besonders intelligent war. Daheim auf dem Alterta Mond hatte der ehemalige Finanzbeamte sich manchmal von einem Menschen die Schuhe putzen lassen und einmal – bei einem wirklich exklusiven Dinner auf Roe-3 – hatte er einen von ihnen verspeist. Der Geschmack war nicht übel gewesen, ein bisschen wie uglarisches Hühnchen.

»Sie sind doch nicht etwa ein G-O-2T?«, erkundigte sich der ehemalige Finanzbeamte überrascht über die plötzliche Veränderung seines Gegenübers.

Natürlich war es grundlegend möglich, technisch eine Simulation zu erzeugen, die das Äußere ebenso wie die Stimme vorübergehend veränderte, aber solche Tricks ließen sich nicht lange aufrechterhalten. Außerdem war diese Art von Technik nahezu unerschwinglich. Einige Spezies im Universum verfügten über die natürliche Gabe der Gestaltwandlung, aber nur ein G-O-2T konnte eine solche Illusion wirklich überzeugend vermitteln. Und die Gestalt vor ihm sah überzeugend aus. Nur bei den Haaren war dem Wesen ein kleiner Fehler unterlaufen. Sie glänzten viel zu gepflegt für eine Spezies, die gerade erst aus dem Ozean gekrochen war.

Bescheiden nickte sein Gegenüber. Die rosige Haut sah sehr verletzlich aus und die Gliedmaßen dünn und zerbrechlich. Er hatte die Gestalt offenbar frei gewählt, aber dem ehemaligen Finanzminister blieb es ein Rätsel, warum er sich ausgerechnet für das Auftreten als Mensch entschieden hatte. Vermutlich sollte die harmlose Erscheinung eine beruhigende Wirkung auf ihn ausüben. Mit einem G-O-2T war wirklich nicht zu spaßen. Sie konnten nicht nur ihre Gestalt nach Belieben verändern, sie waren auch so gut wie unsterblich.

»Ich fürchte, Sie liegen mit Ihrer Vermutung ganz richtig. Mein Name ist Kalzan«, sagte der G-O-2T. »Vielleicht haben Sie bereits von mir gehört.«

Seine Stimme hatte sich ebenfalls verändert. Sie war jetzt hoch und nicht besonders sauber akzentuiert. Der ehemalige Finanzminister fand sie immer noch unangenehm, aber nun auf eine Art, die er ganz klar benennen konnte. Es war dasselbe Gefühl, das ihn sonst nur überkam, wenn er sich mit einer unterentwickelten Spezies unterhielt. Obwohl das Wort unterentwickelt in seiner offiziellen Philosophie natürlich keinen Platz fand.

»Der Name kommt mir bekannt vor«, stellte der ehemalige Finanzminister unverbindlich fest.

Das war natürlich gelogen, aber einen G-O-2T verärgerte man lieber nicht. Viel lieber schmeichelte man ihrer Eitelkeit und entfernte sich dann zügig – ohne ihnen den Rücken zuzukehren.

»Ich«, setzte Kalzan an und drückte die stolzgeschwellte Brust durch – bei einem armseligen Geschöpf wie dem Menschen sah das ziemlich lächerlich aus. »Ich bin das wahrscheinlich unbekannteste Auftragsopfer des gesamten Universums.«

Der ehemalige Finanzminister versuchte, einen verständnisvollen Laut auszustoßen, ohne sich in irgendeiner Weise auf eine Stimmung, Meinung oder Grundhaltung festzulegen. Als Politiker hatte er darin zum Glück Übung.

»Wenn Sie derart unbekannt sind, ist es nicht verwunderlich, dass ich nicht von Ihnen gehört habe«, sagte er.

Kalzan nickte. Das blonde Haar auf seinem Kopf wippte dabei. Der Kopf war nun wirklich eine sehr eigenartige Stelle für Körperbehaarung. Die Evolution steckte auf dieser Erde tatsächlich noch immer in den Kinderschuhen.

»Natürlich, natürlich«, stimmte Kalzan zu. »In meinem Geschäft ist es geradezu essenziell, unbekannt zu sein. Als Auftragsmörder, ja, da muss man sich natürlich einen Ruf erwerben. Man muss gefürchtet werden, sonst heuert einen niemand an. Keiner beauftragt heute noch einen einfachen Killer. Es muss schon ein Profi sein. Dafür braucht man ein vorzeigbares Portfolio. Im Keller nützen die Leichen einem überhaupt nichts, man muss sie schon im Schaufenster präsentieren. Die meisten Assassinen sind ja inzwischen selbstständig, wenn sie nicht gerade bei irgendeinem Großkonzern angestellt sind. Da muss man sich schon richtig ins Marketing reinhängen, um Aufträge zu erhalten.«

Kalzan machte eine Pause und der ehemalige Finanzminister nickte, weil er das Gefühl hatte, dass das an dieser Stelle von ihm erwartet wurde.

Ihm war nicht klar, wohin dieses Gespräch eigentlich führen sollte, aber die ständige Erwähnung von Auftragsmorden verursachte ihm Unbehagen – aus persönlichen Gründen.

»Bei mir hingegen ist es genau umgekehrt. Die Tatsache, dass Sie noch nicht von mir gehört haben, sollte Ihnen als Aushängeschild für meine Arbeit dienen. Ich bin nicht nur ein ordinäres Opfer. Ich bin ein Profiopfer.«

»Ah was«, sagte der ehemalige Finanzminister.

»Sie könnten meiner Dienste bedürfen«, erklärte Kalzan.

Der ehemalige Finanzminister war sich nicht ganz im Klaren darüber, was ein Profiopfer eigentlich leistete, geschweige denn welchen Nutzen er davon haben könnte.

»Ist das so?«, erkundigte er sich und bemühte sich, süffisant zu klingen. Er wollte den Eindruck von Überlegenheit vermitteln, während er gleichzeitig hoffte, dass Kalzan eine Erklärung folgen lassen würde.

»Selbstverständlich. Ein Leibwächter nützt Ihnen hier überhaupt nichts.«

Kalzan warf einen vielsagenden Blick zu KRAWUMM!.

Dabei spielte er geistesabwesend an einem Armreif herum, den er um das lächerlich dürre Handgelenk trug. Der ehemalige Finanzminister hätte schwören können, dass noch vor wenigen Augenblicken ein kleines Licht an der Seite geleuchtet hatte, aber jetzt war es erloschen.

»Beispielsweise könnten Sie die drei Individuen dort an der Theke sicher problemlos aus dem Weg räumen. Jedenfalls außerhalb der Kneipe. Hier drin macht Ihnen Ihr schickes Spielzeug mit dem Gewaltblocker im Nacken nicht einmal eine Dose Ravioli auf«, ergänzte Kalzan. »Aber selbst wenn Ihnen die Beseitigung gelingt, kommen schon bald die nächsten. Ihre Feinde aus dem Weg zu räumen ist nicht zielführend, wenn es derart viele gibt. Um Ihre Ruhe zu haben, müssen Sie schon selbst sterben.«

Der ehemalige Finanzminister hüstelte dezent. »Genau um das zu vermeiden, habe ich meine Heimat verlassen.«

Kalzan schenkte ihm ein gewinnendes Lächeln.

Was hatten diese Menschen doch für stumpfe Zähne. Der ehemalige Finanzminister verstand nicht, warum eine solche Spezies überhaupt lächelte. Es wirkte nicht im Mindesten bedrohlich.

»Sie müssen das Sterben nicht selbst übernehmen«, sagte er. »Sie können es outsourcen. Vertrauen Sie mir. Ich bin Profi.«

Der ehemalige Finanzminister verstand genug von dubiosen Geschäften, um allmählich Kalzans Geschäftsmodell nachvollziehen zu können.

»Klingt als hätten Sie da eine echte Marktlücke entdeckt«, stellte der ehemalige Finanzminister fest.

Kalzan lächelte noch immer. »Sie würden sich wundern, Herr Minister«, sagte er. »Falls Sie Interesse an meinen Diensten hätten, sollten wir die Details vielleicht in privaterem Rahmen besprechen. Ich habe ein Torpedorohr reserviert. Damit unsere Freunde nicht mithören.« Er nickte vielsagend zu ihren drei Beobachtern hinüber. Dann erhob er sich und streckte dem ehemaligen Finanzminister auffordernd die Hand entgegen.

KRAWUMM! begann unheilvoll zu surren.

»Fremde Lebensform sondiert. Menschlich«, verkündete er mit unpersönlicher Stimme. »Bitte ziehen Sie sich umgehend aus dem Schutzbereich zurück, oder Sie werden liquidiert.«

 

Hastig zog Kalzan die Hand wieder zurück und blickte den Roboter finster an. Obwohl er selbst kurz zuvor noch auf die Einschränkung durch den Gewaltblocker hingewiesen hatte, schien er von der Sondierung nicht besonders begeistert.

Der ehemalige Finanzminister erhob sich ebenfalls. Er war tatsächlich beeindruckt. Kalzan war es gelungen, sogar die Sensoren des Roboters zu täuschen. Seine menschliche Tarnung war wahrhaft perfekt. Nur einem G-O-2T konnte das gelingen. Der Fremde musste also tatsächlich das sein, wofür er sich ausgab. Wenn er noch einen weiteren Beweis benötigt hatte, so hatte KRAWUMM! ihm diesen soeben geliefert.

»Sie sollten ihn hierlassen.« Kalzan und deutete auf den Roboter. »In den Torpedorohren ist nicht genug Platz.«

Der ehemalige Finanzminister zögerte für einen Augenblick. In der Gegenwart von KRAWUMM! fühlte er sich sicher. Möglicherweise handelte es sich um eine Falle. Vielleicht arbeitete Kalzan mit den Kopfgeldjägern zusammen.

Doch andererseits hatte ein G-O-2T es wohl kaum nötig, auf diese schäbige Art sein Geld zu verdienen. Und er hatte es ganz bestimmt nicht nötig, sich dafür Komplizen zu suchen.

»Warte hier«, wandte der ehemalige Finanzminister sich an KRAWUMM!. Dessen grüne Leuchte in Kopfhöhe sprang dank der Stimmerkennung sofort auf Rot und versetzte sich vorübergehend in den Ruhemodus.

Kalzan nickte beifällig und ging voraus in Richtung der Torpedorohrbar. Hier sah es schon eher nach einer Gegend aus, in welcher der ehemalige Finanzminister früher einmal verkehrt hatte. Während seiner Amtszeit hatte er beträchtlich viel Zeit in Hinterzimmern verbracht.

Er quetschte sich zuerst auf die Sitzbank in einem Rohr, während Kalzan mühelos hinter den Tisch glitt. Vielleicht hatte er bloß deshalb die Gestalt eines Menschen gewählt, dachte der ehemalige Finanzminister bitter. Hier drin war es ganz schön eng für jemanden von seiner eindrucksvollen, wohlgenährten Gestalt.

»Möchten Sie etwas trinken?«, erkundigte Kalzan sich höflich.

»Danke, nein«, lehnte der ehemalige Finanzminister ab und schaute durch die Glaskuppel, die eine atemberaubende Aussicht hinaus in die Dunkelheit bot. Derzeit hatte der ehemalige Finanzminister jedoch keinen Blick dafür.

»Ich werde die Bedienung bitten, uns den Bierbrunnen nachzuschicken«, sagte Kalzan. »Es wäre unhöflich, nichts zu bestellen, meinen Sie nicht?« Er gab seinen Wunsch umständlich lange durch den Interkom durch.

Der ehemalige Finanzminister wurde langsam unruhig.

Womöglich war es ein Fehler gewesen, diesen Fremden zu begleiten. Kalzan schien Zeit schinden zu wollen. Entweder handelte es sich dabei um seine Verkaufsstrategie, oder der ehemalige Finanzminister war bereitwillig in eine Falle getappt.

»Ich bin sicher, Sie interessieren sich dafür, was ich im Detail für Sie tun kann«, sagte Kalzan völlig unvermittelt, nachdem er ebenfalls eine Weile stumm aus dem Fenster gesehen hatte.

»Sie können meinen Tod vortäuschen«, sagte der ehemalige Finanzminister.

Energisch schüttelte Kalzan den Kopf, wobei das Haar auf einem Kopf erneut zu wippen begann.

»Nein, nein«, korrigierte er ungeduldig. »Ich kann für Sie sterben. Nichts an dem Tod wird vorgetäuscht sein. Haben Sie vom Diktator von UwU gehört?«

»Natürlich«, bestätigte der ehemalige Finanzminister. »Es war ja überall in den Nachrichten. Eine schreckliche Geschichte. Den ehemaligen Herrscher eines ganzen Systems einfach so in einem Hinterhof zu erschießen. Man sollte doch meinen, die Leute hätten noch ein wenig Respekt vor der Größe, die er einst besessen hat.« Traurig schüttelte er den Kopf. Natürlich konnte er die politische Verfolgung, die Arbeitslager und Massenhinrichtungen, die auf UwU betrieben worden waren, laut seiner offiziellen Philosophie nicht öffentlich gutheißen. Aber privat war er mit dem Diktator immer sehr gut zurechtgekommen. Auf dem Höhepunkt ihrer Karrieren waren sie beide leidenschaftliche Golfer gewesen.

»Dem Diktator geht es derzeit prächtig«, sagte Kalzan. »Macht gerade Urlaub auf Dalyss, zusammen mit seiner ehemaligen Sekretärin, wenn mich nicht alles täuscht. Hier, schauen Sie.«

Aus der Tasche seines Raumanzugs zog er ein altmodisches Tablet und hielt dem ehemaligen Finanzminister das Display entgegen. Er beugte sich vor und inspizierte die Fotografie, die darauf zu sehen war, misstrauisch. Sie zeigte ganz ohne Zweifel den ehemaligen Diktator von UwU, der irgendwo an einem sonnigen Strand lag und grinsend eine Zeitung von vergangener Woche in die Kamera hielt, deren Schlagzeile verkündete: Skrupelloser Diktator seinem gerechten Schicksal zugeführt. Offensichtlich ging es ihm blendend.

»Also ist der Diktator nicht tot«, sagte der ehemalige Finanzminister.

Die Eröffnung löste keinen sonderlichen Gefühlssturm in ihm aus. Sie waren Golfpartner gewesen, keine Freunde. Der ehemalige Finanzminister hatte schon eigenhändig den Tod von Personen verursacht, die ihm nähergestanden hatten. Er verspürte jedoch vage Erleichterung, die sich auf seine eigenen Aussichten bezog.

Kalzan hob die Hand und rieb sich demonstrativ den Hinterkopf. »Exekutiert haben sie mich. Von hinten. Ich hatte noch tagelang Kopfschmerzen.«

Bedächtig nickte der ehemalige Finanzminister. »Und ich gehe davon aus, kaum jemand weiß, dass der Diktator noch lebt?«

Kalzan lächelte, diesmal jedoch ohne die Zähne zu zeigen. »Wie gesagt«, wiederholte er. »Ich bin Profi. Kein Opfer ist so unbekannt wie ich. Die Kunden, für die ich sterbe, bleiben tot.«

»Ich nehme an, dass sich die Qualität auch im Preis niederschlagen wird«, bemerkte der ehemalige Finanzminister.

»Und ich nehme an, dass Sie über Konten verfügen, die nicht offiziell gelistet sind«, hielt Kalzan dagegen.

Knapp nickte der ehemalige Finanzminister. Einige Konten, die auf andere Namen liefen und auf die nur er allein Zugriff hatte, waren für ihn selbstverständlich. Wer wie er in einem Sektor arbeitete, dessen Sicherheit so stark von der Stimmung der Bevölkerung abhängig war, der überließ seine Rentenpläne nicht unbedingt einer Behörde.

»In diesem Fall beläuft sich mein Honorar auf die Einsetzung als Alleinerbe«, sagte Kalzan.

Der ehemalige Finanzminister zögerte.

»Sie werden tot sein«, erinnerte Kalzan ihn gleichmütig. »An Ihre offiziellen Konten werden Sie also ohnehin nicht mehr herankönnen.«

»Das leuchtet ein«, gab der ehemalige Finanzminister zu.

Dennoch widerstrebte ihm die Vorstellung, seinen eigenen Tod für einen anderen derart lukrativ zu gestalten.

»Ich habe ein Standardtestament dabei«, sagte Kalzan und wählte ein Dokument auf dem Screen seines Tablets aus.

Schnell scrollte er ans Ende der Seite, bevor der ehemalige Finanzminister Gelegenheit erhielt, sich näher mit dem Inhalt zu befassen. Am Schluss des Dokumentes angelangt, wies Kalzan auf eine gestrichelte Linie.

»Wenn Sie hier unterschreiben würden«, sagte er.

Diesmal konnte der ehemalige Finanzminister sein Zögern nicht völlig überspielen.

»Ich hätte gerne etwas Bedenkzeit. Es handelt sich schließlich um eine gewaltige Investition.«

Kalzan lächelte noch immer ganz ruhig. Der ehemalige Finanzminister hatte sich getäuscht, was das Lächeln der Menschen anging. Es wirkte auch ohne spitze Zähne verschlagen.

»Natürlich, lassen Sie sich alle Zeit, die Sie brauchen. Schlafen Sie eine Nacht drüber. Vorausgesetzt, Ihre Freunde vorne an der Theke gönnen Ihnen diese Nachtruhe noch.«

Die Drohung hinter den Worten war nicht zu überhören.

»Wenn ich unterschreibe«, sagte der ehemalige Finanzminister. »Wie bald wird mein Tod dann eintreten?«

Kalzans Lächeln verwandelte sich in ein breites Strahlen.

»Oh, Sie werden aus dem Torpedorohr hinausgehen, zu Ihrem Roboter zurückkehren und mit ihm gemeinsam die Bar verlassen. Eine Gruppe gemeiner Kopfgeldjäger wird Ihnen folgen. Leider wird das Sicherheitssystem Ihres Raumschiffs einen Defekt haben und Sie werden noch vor dem Abflug das Zeitliche segnen. Wenn Sie sich nur etwa eine Stunde gedulden würden, können Sie anschließend als toter Mann hier herausspazieren. Natürlich steht Ihnen Ihr Schiff dann nicht mehr zur Verfügung.«