Digitale Kompetenz (E-Book)

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Wie macht die Schule das?

Die bekannten Methoden zur Informationsbeschaffung, zur Evaluation von Informationen und zur Reduktion der Informationsfülle können auf die neuen Informationsangebote übertragen werden. Bei der Beschaffung von Informationen ist es empfehlenswert, gemeinsam mit den Lernenden verschiedene Informationsdienste zu analysieren und je nach Anwendungszweck auf ihre Eignung hin zu beurteilen. Für welche Informationsbedürfnisse eignet sich ein Suchdienst wie Google? Wann nutzt man die Wikipedia? Wo liegen die Vor- und Nachteile von Social-Media-Diensten wie etwa Twitter? Das gleichzeitige Nutzen verschiedener Informationsdienste und der Vergleich der gefundenen Informationen helfen, die unterschiedlichen Informationsdienste so klassifizieren zu können, dass eine Routine im Umgang mit ihnen entsteht.

Für die Reduktion auf das Wesentliche kann man sich der Methode der drei «Siebe der Reduktion» von Martin Lehner bedienen, die eigentlich für Lehrpersonen konzipiert wurde, aber ebenso gut von den Schülerinnen und Schülern selbst angewendet werden kann. Ein Beispiel: In einem ersten Schritt erhalten die Lernenden den Auftrag, einem kanadischen Kollegen in zwanzig Minuten die Institutionen der EU zu erklären. In einem zweiten Schritt haben sie für die gleiche Aufgabe nur zehn Minuten Zeit. Schließlich bleibt ihnen in einem dritten Schritt noch eine Minute.

Verwesentlichen hat auch eine gestalterische Komponente. Lehner schlägt hierfür die «Blumenstraußtechnik» vor. Man bringe einer geliebten Person nicht eine Blumenwiese, wenn man ihr eine Freude machen will. Man wähle vielmehr einzelne Blumen aus und bilde einen Strauß, der ein Abbild der Blumenwiese darstellt. Zur Reduktion gehört auch die Selektion. Wenn wir alle Treffer bei unseren Recherchen zu einem bestimmten Thema als Blumenwiese bezeichnen, kommt es darauf an, einzelne Treffer als Blumen auszuwählen. Der Strauß stellt schließlich das Resultat unserer Recherche dar.

Ein weiteres Bild geht auf den Physiker und Pädagogen Martin Wagenschein zurück. Er spricht von Grundlandschaften und exemplarischen Tiefenbohrungen. Wenn wir in der Art eines Brainstormings möglichst viele Begriffe zu einem Thema zusammentragen, erhalten wir eine sogenannte Grundlandschaft. Jetzt wählen wir einige wichtige Begriffe aus, an denen wir Tiefenbohrungen vornehmen. Die Einsichten aus den einzelnen Tiefenbohrungen ermöglichen uns Verbindungen und Strukturen, die zu einem besseren Verständnis der Grundlandschaft führen, ohne dass wir diese in allen Details erforschen müssen.

Welche Strategien und Methoden man nutzt, um das Wesentliche eines Themas einzugrenzen, spielt unserer Ansicht nach eine untergeordnete Rolle. Entscheidender ist es, dass man den Lernenden immer wieder von Neuem bewusst macht, dass Reduktion in unserem Leben eine wichtige Rolle spielt, dass Analogien die Beschreibung von Sachverhalten vereinfachen und dass eine reine Ansammlung von Fakten noch kein Wissen darstellt.

Wir schlagen vor, verschiedene Methoden zur Informationsbeschaffung und zur Evaluation von Informationen zu klassifizieren. Dieses Vorgehen ist auch deshalb ratsam, um jene Fallen aufzuspüren, die unsere Freiheiten und unsere Persönlichkeitsrechte zur Disposition stellen. Im Unterricht soll diskutiert werden, wer oder was unsere Freiheit bedroht, was unsere Persönlichkeit und unsere Privatsphäre ausmacht, was wir einzutauschen bereit sind und welche Folgen es haben kann, auf die Privatsphäre zu verzichten. Es darf unserer Meinung nach nicht sein, dass Generationen für unsere individuellen Freiheitsrechte gekämpft haben und wir diese Rechte in ihrem Gehalt nicht mehr schützen können oder gar wollen, nur weil wir als Gegenleistung online mit Informationen, Dienstleistungen oder Konsumgütern versorgt werden.


Was muss ich wissen und können?

Früher war es eine Selbstverständlichkeit, dass Lehrpersonen wussten, wie man den Zettelkatalog einer Bibliothek nutzt. Es wurde auch erwartet, dass die Schule die Lernenden in die Nutzung von Bibliotheken und Nachschlagewerken einführt. Heute ist es unabdingbar, dass Lehrpersonen umfassende Kenntnisse von Informationsdiensten im Internet besitzen. Der Fokus sollte dabei auf langlebigem Konzeptwissen liegen, weil die einzelnen Suchdienste ähnliche Funktionen anbieten, die sich im Laufe der Zeit kaum verändern. So bieten die meisten Suchdienste die Möglichkeit, eine Suche auf bestimmte Internet-Domains einzuschränken oder nur nach Dokumenten eines bestimmten Dateiformats (zum Beispiel PDF oder PowerPoint) zu suchen.

Das Beherrschen von Reduktionsstrategien gehört nicht nur zum Handwerk der Lehrperson, auch die Lernenden werden in ihren künftigen Tätigkeiten großen Informationsmengen ausgesetzt sein und daher diese Strategien benötigen. Das Vermitteln der Techniken zur Reduktion des «information overload» gehört zu den elementaren Aufgaben der Schule. Zusammenfassungen, Erinnerungs- und Arbeitsprotokolle bis hin zur Produktion von Spickzetteln oder die Visualisierung komplexer Sachverhalte via Infografiken sind geeignete Übungsmöglichkeiten.

Beispiele aus dem Unterricht

BEISPIEL 1 Informationen aus unterschiedlichen Blickwinkeln und Quellen

Im allgemeinbildenden Unterricht setzen sich die Lernenden an einer Berufsfachschule mit der Kernkraft als Energiequelle auseinander. Die Klasse soll sich ein Bild von den physikalischen Grundlagen, dem technischen Betrieb eines AKWs, der Wirtschaftlichkeit, dem Gefahrenpotenzial, der Akzeptanz in der Bevölkerung und weiteren Aspekten machen. Die Fülle der Informationen im Internet zu diesem Thema ist gewaltig. Die Meinungen divergieren stark und es fällt den Lernenden schwer, sich zurechtzufinden. Gemeinsam mit der Lehrerin legen die Lernenden eine Vorgehensweise fest: Eine Gruppe soll mithilfe von Lehrmitteln aus der Schulmediothek Informationen zu den physikalischen und technischen Grundlagen der Atomenergie zusammenstellen. Sie soll zudem auf Videoplattformen recherchieren, ob es von einer Fernsehanstalt einen geeigneten Beitrag zum Thema gibt. Eine zweite Gruppe befasst sich mit wirtschaftlichen Fragestellungen und dem Gefahrenpotenzial von AKWs. Sie informiert sich im Internet bei Regierungsstellen, AKW-Betreibern und Greenpeace. Bezüglich der Akzeptanz in der Bevölkerung analysiert eine dritte Gruppe Artikel zum Begriff «Atomkraft». Sie stützt sich dabei auf Zeitungsartikel und auf verschiedene Sprachversionen der Wikipedia, wobei sie etwaige Diskussionsbeiträge miteinbezieht.

Die gewonnenen Erkenntnisse und die Ergebnisse werden auf einer A4-Seite als Text unter Einhaltung gewisser Vorgaben zusammengefasst und allen Klassenmitgliedern auf der gemeinsamen Lernplattform zur Verfügung gestellt.

An konkreten Themen aus dem Unterricht lassen sich die Methoden zur Informationsbeschaffung und -auswertung aufzeigen und in der Praxis üben. So erfahren die Lernenden, dass schon die Wahl der Informationsdienste je nach Fragestellung anders ausfallen kann und wie verschiedene Sichten auf ein Thema verglichen und analysiert werden können. Gleichzeitig kann auf wenig bekannte Funktionen gängiger Informationsdienste hingewiesen werden. So erlauben es die verschiedenen Sprachversionen der Wikipedia, sich bei umstrittenen Themen einen Überblick über kulturell oder gesellschaftlich unterschiedliche Sichtweisen zu verschaffen. Die in aller Regel sehr sorgfältig ausgewählten weiterführenden Weblinks am Ende eines Wikipedia-Artikels führen zu vertieften Informationen. Darstellungen eines Themas in Fernsehbeiträgen oder in populärwissenschaftlichen Zeitschriften können Anhaltspunkte dafür liefern, wie ein komplexes Thema auf die wesentlichen Punkte reduziert und anschaulich präsentiert werden kann.

BEISPIEL 2 Einen Sachverhalt kurz und bündig wiedergeben

Am Gymnasium beschäftigten sich die Schülerinnen und Schüler in den letzten drei Monaten mit Wahrscheinlichkeitsrechnung. Zur Wissenssicherung sollen sie in Gruppen die Kernaussagen dieses Teilgebiets der Mathematik in drei Versionen so zusammenfassen, dass die Aussagen von einer unbeteiligten Person in einer halben Stunde, in zehn Minuten oder in nur drei Minuten nachvollzogen werden können.

Die Lernenden packen diese Aufgabe ganz unterschiedlich an. Eine der Gruppen notiert zuerst in einem Brainstorming wichtige Aussagen. Anschließend werden diese Aussagen nach ihrer Bedeutung sortiert. Für die 30-Minuten-Version entscheiden sich die Lernenden für eine Zusammenfassung in Form eines Artikels. Jede Aussage wird dabei zuerst an einem konkreten Anwendungsbeispiel illustriert. Die 10-Minuten-Version wird in Form einer Präsentation mit Sprechkommentar festgehalten. Bei der 3-Minuten-Version entscheiden sich die Lernenden für ein an einen Comic angelehntes Stop-Motion-Video, das sie mit einem Autorenwerkzeug aus dem Internet relativ einfach erstellen können.

Es ist kein Zufall, dass die Produkte der beiden obigen Beispiele jeweils ein komprimierendes Element aufweisen. Die digitalen Medien bieten eine ganze Palette von Darstellungsmöglichkeiten, die einen Reduktionsprozess unterstützen. Von der klassischen Zusammenfassung über vertonte Präsentationen, Infografiken und Poster bis hin zu kurzen Videos oder Podcasts gibt es viele Darstellungsoptionen. Dabei steht immer die Überlegung im Vordergrund, welchen Inhalten eine zentrale Bedeutung zukommt.

BEISPIEL 3 Schülerinnen und Schüler tragen Begriffe zusammen

An der Berufsfachschule beschäftigen sich angehende Detailhandelsfachleute mit dem Thema Mehrwertsteuer. Anstatt den Begriff und das Prinzip der Steuer auf verschiedenen Stufen der Wertschöpfung zu erläutern, lässt die Lehrerin die Lernenden die wichtigen Begriffe zuerst in fünfzehn Minuten selbst zusammentragen und beschreiben. Anschließend werden Unklarheiten gemeinsam diskutiert. Auch die Festsetzung der Steuersätze und die je nach Land und Produkten unterschiedliche Handhabung erschließen sich die Lernenden selbst. Diese Recherchearbeit lässt sich im Unterricht auch sehr einfach auf kleine Gruppen aufteilen.

 

BEISPIEL 4 Schülerinnen und Schüler recherchieren selbstständig

Ein Lehrer erteilt folgenden Auftrag: «Sie haben Kenntnisse von Kreisläufen in der Natur. Als Aufwärmübung verfassen Sie einen kleinen Text, in dem Sie einen natürlichen Kreislauf beschreiben. Falls Sie zuerst die Textform ‹Beschreibung› repetieren möchten, schauen Sie in Ihrem Sprachlehrmittel nach. Nach dem heutigen Unterricht können Sie einen einfachen Wirtschaftskreislauf zeichnen und die Teilnehmer benennen. Sie werden feststellen, dass in dieser modellartigen Darstellung zwei Ströme vorkommen, die Sie ebenfalls darstellen und zwar in verschiedenen Farben. Informationen dazu, was ein einfacher Wirtschaftskreislauf ist und welche Elemente er aufweist, finden Sie im Internet. Mit großer Wahrscheinlichkeit stoßen Sie auf eine Abbildung. Falls Letzteres zutrifft, haben Sie Zeit gewonnen und Sie können sich ausführlich über die Teilnehmer und die Ströme informieren. Wichtig ist, dass Sie nach dreißig Minuten in der Lage sind, einen einfachen Wirtschaftskreislauf zu skizzieren und ihn zu kommentieren.»

In der Schulzeit der meisten Lehrerinnen und Lehrer war der Unterricht noch oft von der Wissensvermittlung durch die Lehrperson geprägt. In den obigen beiden Beispielen hätten sie als Lernende nicht ohne weiteren Aufwand auf Informationen zur Mehrwertsteuer und zum einfachen Wirtschaftskreislauf zugreifen können. Diese Informationen wurden entweder von der Lehrperson übermittelt oder in einem Lehrmittel didaktisch aufbereitet und festgehalten. Vom Prozess des Recherchierens, der Selektion und der verständlichen Aufbereitung waren die Lernenden ausgeschlossen. Die Daten in den Lehrmitteln waren häufig nicht mehr aktuell oder nur als illustrierende Beispiele gedacht. Wir alle erinnern uns an Aufgaben zur Zinsrechnung mit völlig unrealistisch tiefen oder hohen Zinssätzen. Der Zugang zu Informationen gestaltet sich heute völlig anders und es ist wichtig, dass Lehrerinnen und Lehrer diese Möglichkeit im Alltag in Form von kleinen Unterrichtssequenzen nutzen. Nur so erwerben die Lernenden die wichtige Kompetenz, sich selbst zu einem Thema ein Bild zu machen.

BEISPIEL 5 Was stimmt nun wirklich?

Im Biologieunterricht entbrennt eine Diskussion zur Frage, ob ein Glas Rotwein pro Tag der Gesundheit zuträglich ist oder nicht. Immer wieder liest man von Studien, die eine präventive Wirkung im Zusammenhang mit HerzKreislauf-Erkrankungen belegen oder widerlegen. Die Lernenden argumentieren mit Studien, Blogbeiträgen und Medienberichten pro und kontra. Was stimmt nun wirklich? Der Lehrer schlägt vor, bei den einzelnen Stellungnahmen der Autorschaft und ihren Interessenbindungen nachzugehen. Schon nach wenigen Minuten melden die Schülerinnen und Schüler überraschende Ergebnisse: Hinter einem Blogbeitrag, welcher die präventive Wirkung eines Glases Rotwein in die Märchenwelt abschiebt, steht ein großer Pharmakonzern. Bei einer auf den ersten Blick sehr wissenschaftlich aussehenden Studie zeigt sich, dass die Studie nur über die Website einer nicht näher zu identifizierenden Institution zugänglich ist und in der Studie nur Publikationen dieser Institution referenziert werden. Und die auf einer Gesundheitsplattform zitierte «Amsterdam Heart Study» befasst sich gar nicht mit dieser Frage, sondern mit der präventiven Wirkung von sportlichen Aktivitäten auf Herz-Kreislauf-Krankheiten. Bei dieser Studie wurden die Probanden in verschiedene Gruppen aufgeteilt, unter anderem auch nach Kriterien wie dem täglichen Konsum von Alkohol.

Mit dem rasanten Anstieg an Informationen im Netz kommt der Überprüfung der Glaubwürdigkeit einer Quelle eine wichtige Rolle zu. Die digitale Form der Informationen und die mächtigen Informationsdienste ermöglichen es aber in vielen Fällen, die Autorschaft und die Stichhaltigkeit mit einfachen Mitteln zu prüfen. So lassen sich Interessenbindungen recherchieren oder die wissenschaftliche Relevanz einer Studie einordnen. Die Schülerinnen und Schüler lernen Quellenkritik als weiteren Filter bei der Bewältigung der riesigen Informationsmengen kennen.


Die Kommunikation wird sich in Zukunft auf zwei Arten verändern. Erstens werden sich die Formen der Kommunikation an die technischen mobilen Möglichkeiten anpassen und zweitens wird sich die Kommunikation auch inhaltlich verändern. So werden zum Beispiel vermehrt Bilder anstelle von Worten zur Beschreibung eines Sachverhaltes eingesetzt und die schriftliche Kommunikation wird dialogischer werden (zum Beispiel SMS, Chat).

Es stellt sich die Frage, welche Werte und Normen es im Hinblick auf die Kommunikation zu bewahren gilt und welche Veränderungen sich aus dem Umstand ergeben, dass bisherige technische Schranken wegfallen werden.

Egal, ob wir kommunizieren wollen oder nicht, wir sind ständig Teil einer kommunizierenden Welt. Sofern wir selbst nicht aktiv kommunizieren, wird uns etwas mitgeteilt und das in einer Abfolge, die uns das Gefühl geben kann, nicht mehr in Ruhe gelassen zu werden. Zwischendurch auch mal offline zu sein, gilt deshalb oft bereits als ein erstrebenswerter Zustand. Gleichzeitig beziehen wir aber auch viele für uns relevante Informationen über soziale Netzwerke, Chatforen, Blogs und weitere Kommunikationskanäle. Der Ausgangspunkt für unsere Betrachtungen zur sozialen Intelligenz und zur Kommunikation ist also ein Zustand, der sich als typisches Paradoxon zu zeigen scheint: Einerseits kommunizieren wir lustvoll und nehmen teil an Formen der Kommunikation, die diesen Wunsch nach Austausch zu befriedigen scheinen, und andererseits halten wir es für Luxus, wenn es uns gelingt, uns von den zeitgemäßen Kommunikationsformen fernzuhalten.

Um ein Gefühl dafür zu entwickeln, was in den nächsten Jahren auf uns zukommen wird, werfen wir einen Blick zurück auf die Kommunikationsformen, die unseren Alltag über mehrere Generationen hinweg geprägt haben. Dieser Blick zurück hilft uns dabei, den gegenwärtigen Zustand nicht als das Erreichen eines Zieles oder die Erfüllung eines Wunsches zu betrachten. Das Verfassen eines handgeschriebenen Briefes erscheint aus heutiger Perspektive als ein aufwendiger und vergleichsweise komplizierter Prozess. Natürlich kann man auch heute noch auf diese Weise kommunizieren, aber zuerst muss das geeignete Briefpapier vorhanden sein, danach gilt es den Text nach gewissen formalen Regeln zu verfassen. Schreibfehler lassen sich schlecht korrigieren. Schließlich benötigt man eine Briefmarke und man muss den Brief zum Briefkasten bringen.

Ein Brief richtete sich früher meistens an eine einzige Person. Heute kann man seine Mitteilungen auf einfache und kostengünstige Weise der Allgemeinheit zugänglich machen und beispielsweise einen ganzen Freundeskreis oder eine unbestimmte Anzahl von Leuten, die an einem Thema interessiert sind, bedienen. Auch bezüglich der Geschwindigkeit sind der Verbreitung von Informationen kaum noch Grenzen gesetzt. Die Kommunikationsformen beschränken sich zudem längst nicht mehr nur auf Text und Bild. Neben diesen Vorteilen bringen die digitalen Kommunikationsmöglichkeiten auch gewichtige Nachteile mit sich. Man läuft Gefahr, dass man gar nicht mehr wahrgenommen wird, wenn man kommunizieren möchte. In sozialen Netzwerken herrscht ein regelrechter Kampf um Aufmerksamkeit, der teilweise skurrile Formen annimmt.

Auch die mündliche Kommunikation verändert sich. Wollte man früher jemanden telefonisch erreichen, musste sowohl der Anrufende, wie der Angerufene über einen ortsgebundenen Telefonapparat verfügen. Heute benutzen wir zur Kommunikation mobile Endgeräte, die es uns erlauben, mit anderen Personen fast überall und jederzeit in Kontakt zu treten. Im beruflichen Alltag besteht die Möglichkeit, digitale Konferenzsysteme zu nutzen und Dokumente auszutauschen oder gemeinsam zu bearbeiten.

Die folgende Episode zeigt, dass Institutionen und Privatpersonen aufgrund der neuen Kommunikationsformen mit Phänomenen konfrontiert werden, die zu Irritationen führen können: Eine Schülerin beklagt sich in ihrem Blog über das ihrer Ansicht nach schlechte Essen in der Mensa. Die Schule verlangt ultimativ die Entfernung dieses Blogeintrages, was in sozialen Netzwerken eine Solidarisierungswelle zugunsten der Schülerin auslöst und die Medien auf den Plan ruft. Die ungeschickte Reaktion der Schule entwickelt sich zum Bumerang. Dieses an sich harmlose Beispiel zeigt zwei Problemkreise auf: Man wird unheimlich schnell zu einem öffentlichen Thema und man kann dabei rasch die Herrschaft über eine Entwicklung verlieren, obwohl man eigentlich die Fäden in der Hand gehabt hätte. Eines wird zudem sichtbar: Wir brauchen im Umgang mit Social Media neue Strategien. Die traditionellen Machtgefüge haben sich teilweise verschoben. Die räumliche Distanz und die damit verbundene scheinbare Anonymität einerseits und die zeitliche Unmittelbarkeit, die Schnelligkeit und die Einfachheit, mit der Botschaften übermittelt werden können, andererseits bilden einen Gegensatz. Dieser verführt zu spontanen, aber ungeschickten Handlungen. Im Mensa-Beispiel haben wahrscheinlich beide Seiten unbedarft gehandelt. Sie waren sich zu wenig über die Funktionsweise und Wirkung von Social Media im Klaren.

Wie groß auch die Unterschiede zwischen den Erziehungsmaximen und den Ansichten der Jugendlichen sein mögen: Die Fähigkeit, sich mithilfe seiner sozialen Intelligenz in andere Personen hineinzudenken und so die Folgen seiner Kommunikation und Handlungen einzuschätzen, wird zu einer zentralen Kompetenz. Wir stellen fest, dass gerade Jugendliche viel Energie aufwenden, um ihr Kontaktnetz zu pflegen. Sie rufen sich selbst bei ihrem Umfeld in Erinnerung und sie beachten die einzelnen Mitglieder ihres Beziehungsnetzes. Das Bedürfnis, beachtet zu werden, und die Bereitschaft, andere ebenfalls zu beachten, bilden die Voraussetzung für das Funktionieren zwischenmenschlicher Kontakte. Die positiven Aspekte dieser Kontaktpflege werden oft übersehen, wenn es darum geht, Nutzen und Risiken von Social Media zu kommentieren.

Viele Leute haben das Bedürfnis, permanent in Kontakt mit ihrem Umfeld zu sein. Ohne Netz fühlen sie sich isoliert und ausgeschlossen. Die permanente Kommunikation gehört zum Alltag. Allgemein wird beklagt, dass es heute immer schwieriger werde, sich auf eine Arbeit zu konzentrieren. Das Ablenkungspotenzial durch die neuen Kommunikationsmöglichkeiten und das Internet sei enorm. Die Schule ist mit diesem Phänomen in besonderem Maße konfrontiert. Viele Lehrpersonen reagieren hierauf zu rigoros, indem sie die Nutzung von Smartphones und des Internets im Unterricht verbieten. Damit schafft man eine Situation, die kaum ein Abbild der Realität darstellt, auf die sich die Schule ansonsten gern bezieht. Ferienlager werden zu veritablen Dschungelcamps, aus denen ein verzweifelter kollektiver Aufschrei ertönen würde, bliebe er aufgrund des rigiden Handyverbotes nicht ungehört. Die Pädagogen erklären mit leuchtenden Augen, welche nachhaltigen Erfahrungen die Jugendlichen im Lager gemacht hätten – in völliger Unkenntnis der Kommentare, welche die unterdessen «Geretteten» ihrem Freundeskreis über die vergangenen Tage zukommen ließen.

Das Ablenkungspotenzial der digitalen Medien ist zugegebenermaßen hoch. Die Erfahrung zeigt, dass wir dazu neigen, Veränderungen mit Ausgrenzung zu begegnen, weil sie uns verunsichern. In den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts wurden Phänomene wie Rock and Roll, Comics und Fernsehen auf dieses Weise als Gefahr für die gesunde Entwicklung eines jungen Menschen gesehen. Heute nehmen Computerspiele, Chatrooms und Videoclips diese Rolle ein. Wir glauben, dass man die mit den digitalen Medien verbundenen Gefahren weder dramatisieren noch ignorieren sollte. Entscheidend ist, dass und wie wir mit den Ablenkungen umgehen können, mit denen wir praktisch in allen Lebenssituationen konfrontiert sind.

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