Ferne Frau

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Kurhaus Schnepfenthal, im Thüringer Wald, Ostern 1935









Ferne Frau!







Heute, ein trostloser Regentag, lenkt meine Gedanken zu Ihnen in ein wärmeres bunteres Land. Wie es oft geht im Leben, daß leere Tage kommen, die sich nicht erfüllen lassen mit allem guten Willen, die leer an sich bleiben, vielleicht Reservoire neuer Kraft. Und dann ist das Beste, was man aus solchen Tagen gestalten kann, die Gedankenbrutecke zu einem fernen anderen! Irgendwie sind Sie mir an solchen Tagen gegenwärtig (es gibt in einem Buch von Ihnen Ihr Bild im japanischen Kimono), irgendwie geduckt unter der Brutalität des Lebens und wie eine Pflanze ohne Sonne. An das Bild denke ich auch heute. Der Tag ist nicht verändert, Regen, Regen, grau in grau. Von meinem Platz aus sehe ich das schwarze regennaße Band einer Straße sich in der Ferne verlieren.







Tage sind verflossen. Heute kam Ihr lieber Frühlingssonnenbrief. Übermorgen fahre ich noch zu einem väterlichen Freund hier in Thüringen, der sich vor drei Jahren, der Staatsgeschäfte müde, als Minister zurückzog und heute (unbeschadet seiner diplomatischen Laufbahn) eine wunderbare gütige Weisheit in sich trägt. Er hat auf seinem Gut den Abschluß eines ganz erfüllten Lebens eingeleitet und wird eines Tages als letzter seines Stammes still überlegen lächelnd von dannen gehen. – Also immerhin ein paar Tage, die reich und wertvoll werden und erfüllt sein werden von einer großen Ruhe und einem tiefen Einverständnis mit allem Geschehen im Kosmos. Dann werde ich wohl wieder nach Düren gehen, obwohl mir ein traumhaftes verstecktes Jagdhaus als Wohnsitz dienen sollte, wo ich ganz mich einspinnen könnte.





Die Versuchung dazu ist zu groß, aber gibt es nicht Zeiten in unserem Leben, wo wir im Stofflichen verbleiben müssen, wo ein Sich-Nachgeben Schwäche ist? Und so werde ich um der seelischen Zucht willen mich wieder in Düren mit der spröden Materie abgeben, reich und gespannt von diesen drei Wochen in gewohnter und ersehnter Sphäre. Auch von Ihnen, fernste und unerreichbare Hüterin meiner weichsten (!) und darum nicht schlechtesten Gedanken, wird oft und viel die Rede sein. Und mein Freund, ein Sechziger und Inbegriff eines kulturgesättigten Individualisten, wird Ihre Wege gehen und Ihnen nachspüren, Ihrem Erleben, das Sie beschreiben, Ihrer Seele, von der Sie nichts schreiben. – Mein Leben ist nicht frei von Komplikationen, aber erschüttert stehe ich vor der Tatsache, daß sich Menschen um mich quälen, daß Menschen an mir zerbrechen, und es rührt mich nicht, es interessiert mich nicht. – Dieser Zustand des Desinteressiertseins an anderer Leute Tragödien, deren Urheber ich sein soll, ist neu und weckt das Gefühl des „außerhalb der Arena“ Stehens und kühle Überlegenheit in sich fühlen, ist ein so gesundheitsfördernder Zustand. Es ist ein zauberhafter Zustand, eine Stelle Erde zu wissen: Sie, wo man Ruhe finden könnte, durch das Verstehen, und dieser Erdenfleck bleibt unerreichbar. (…) Heute Nachmittag gehe ich nach Friedrichroda, am Weg gepflückt grüßt Sie ein Stück nordischen Frühlings. Und das wird zugleich mein Abschied von den stillen Wiesen und den vertrauten Linien am Horizont sein. Es wird sein wie ein Faschingskostüm vom Vorjahr, wenn ich wieder in meine Maske des modernen Menschen schlüpfe, sehr kaltschnäuzig und seelisch sehr verschlossen und betont ruhig, denn meine Gedanken, die zu Ihnen hinüberspinnen, sind eine so labile Welt, eine so private Sache zwischen uns, daß sie eigentlich mein Wesen sind und doch nicht zu dem Maskenwesen 1935 zu gehören scheinen. Vereinbaren lassen sich beide nicht. Und der Mensch, der hinter diesen Zeilen steht, gehört Ihnen ganz, der Mann, der hinter seinen Autos und vor seinem Erlebten, vor seiner Vergangenheit steht, gehört sich selbst. Ich möchte es nennen: Der Geistige in Schmierstiefeln oder die Abneigung des Aristokraten gegen das Massengrab! Im Sommer gehe ich nun bestimmt an den Starenberger See und dann zum Winter miete ich mir ein Häuschen in den Bergen, irgendwo, Schwarzwald oder Voralpen. Und arbeite, basierend auf den Ergebnissen der Garagenfrohn des Sommers, an mir, für mich und für den Geist an sich, denn man arbeitet, weil man muss, innerlich stets für sich, nie will man für andere. – Ich werde dann bei Ihnen um Kochrezepte einkommen, dann in einer Hand den Kochlöffel, in der anderen den Füllfederhalter, auf dem Haupt die Hörner, die mir das Leben aufsetzte, unter dem rechten Arm eins Ihrer Bücher und im Sinn ein Zitat aus dem

 Götz von Berlichingen

, werde ich mein Leben fristen. Träumerei, verbunden mit Kartoffelschalen, Arbeit an Manuskripten, umatmet von klappernden Fenstern und nicht brennenden feuchtem Holzfeuerqualm. Und dem höchsten Gebot gehorchend: Kein Individualist sein! Allerdings kann ich jederzeit beweisen, daß ein wahres Einarbeiten in die Materie: Masse mangels Umgang mit Menschen illusorisch bleiben wird. – Seit ich die Menschen kenne, liebe ich Tiere!





Sie werden eines kommenden Tages entgeistert sein, wenn Ihnen meine glatte und den Forderungen von 1935 angepasste menschliche Fassade gegenübersteht. Aber wenn ich auch „Schneideranzüge“ trage statt „Fahrtenblusen“, an der Stelle, wo ich für andere die Brieftasche trage, habe ich für Sie mein Herz, das will sagen, dort ist der Sitz meiner Stellungnahme gegen Sie. Ich kann einmal Menschen, die ihr „Ichsein“ durch unaufgebügelte Hosen und wehende Schlipse dokumentieren, nicht leiden. –







So, Gegenpol einer unwahrscheinlichen Wechselbeziehung im Gedanklichen, ich gehe von Ihnen, für heute. –







Nehmen Sie die Ironie und den scharfen Zug um die Lippen, den ich heute habe, fort und sehen Sie nach, was bleibt! Manchmal gehen Gräser und Lieder durch die Luft und man hört sie ohne zu zeigen, daß man sie hört. Ein Briefumschlag liegt bei, nicht als „Aufforderung zum Tanz“, sondern aus Gründen interner Art.







Aber auch ein Skeptiker kann beten. Und mein Gebet lautete heute: Froh soll meine ferne Freundin sein, und in allen Stunden behütet von wohlwollenden und gütigen Geistern. Ihr Fuß soll leicht sein und Ihre Gedanken gut, reich und befreiend. Wie sagt man:







Talofa.







Frank van Halen











Düren, 12.5.1935









Ferne –





Indem ich dies Wort schreibe, fällt mir der Gleichklang in seiner Bedeutung als Substantiv und als Adjektiv auf. Ferne (unbekannte, verschwimmende, rätselhafte, weiche und lockende) und Sie – Alma M. Karlin? Thüringer Tage liegen hinter mir. Bis zum ersten Juni bin ich wieder oder noch hier. Ein Verleger wurde Mensch, honorierte mich … und starb nicht daran. Dies ist der Grund, warum ich nun von 1.6.–1.10. ein kleines Sommerhaus suche, irgendwo in Thüringen oder Bayern, um zu arbeiten und meinen Roman zu vollenden. Titel:

 Die Wendung

.

 Untertitel:

 Ein Roman diesseits und jenseits des Rheins.

Mentalitätserfassung. Was machen die Gestade der fließenden Wasser? Hier in Düren lebt man hinter dem Mond und hört nichts von der Welt, die uns interessiert. Von Schnepfenthal schrieb ich Ostern zwei Briefe, dies nur zur Feststellung des Erhaltens. Momentan, Alma, sind Sie in der Krankenhausstube eines Freundes zu Gast, der nach schwerem Unfall mit Brüchen monatelang festliegt. Er liegt und träumt mit Ihnen Ihre Bücher durch. Das Dankbarkeitsgefühl, das er Ihnen weiß, muß Ihnen alle guten Geister nahebringen. (…) Die Thüringer Tage haben das gehalten, was sie versprachen, waren wunderschön. Abseits vom Leben, aber nicht kraftfüllend für das Leben, sondern suchend und sich vergrabend ins Künstlerisch-Schöne, ins Vollendete. Aber die tiefe Harmonie, die zwischen Baum, Haus, Tier, Mensch und mir herrschte, war Erlebnis. Auch in das Haus nahm ich den Gedanken an Sie mit, Fernste, und unter vielen fremden Dächern finden Sie mit mir Gastfreundschaft bei Gleichgesinnten, die Sie lieben um Ihrer Bücher willen. Wie alt, glauben Sie, daß der Mann hinter diesen Briefen ist (oder schrieb ich es Ihnen?)? Ich hörte einmal ein herrliches Wort: „Wenn er alles weiß, hört er auf, neugierig zu sein.“ Für heute verlasse ich Sie und gebe Ihnen ein Wort mit, das ich fand: „Bin eine Flamme, die windgewiegt, lodert und leuchtet und bald versiegt!“





Unselige Flamme, die lieber verbrannte als leuchtete und die erstickt wurde!





Die meisten Menschen sind unverbesserliche Frager. Sie erinnern mich an die Termiten der Tropen, die auch entschlossen sind, sich rücksichtslos durch alles durchzubeißen. Es gehört nicht zu meinen Gepflogenheiten, persönliche Fragen an Menschen zu stellen, die mir nicht sehr nahe sind, und selbst da vermeide ich es, Dinge zu streifen, die zum Herzenseigentum eines anderen gehören. Aus diesem Grunde fragte ich Frank van Halen nicht, warum seine Briefe an „Hans Joachim Bonsack“ gehen sollten und ich fragte ihn nicht nach seinem Alter. Männer sind in diesem Punkt nicht weniger empfindlich als Frauen und da wir nicht in China leben, nahm ich an, daß er es kaum als Schmeichelei empfinden würde, wenn ich ihm schrieb: „Sie sind wie achtzig!“



Auch eine Tugend kann zum Fehler werden. Ich hätte dennoch nach seinem Alter fragen sollen … Ich vermute einen alten, vom Leben zermürbten Mann und gab mich damit zufrieden.









Sonntag, den 19.5.1935









Statt des erhofften, ersehnten Frühlings Regen, Kühle, Regen. Mein Plan von vor acht Tagen, ein Haus zu suchen, scheiterte im letzten Augenblick (ich hatte etwas bei Friedrichroda) am Widerstand eines der Besitzer. Mein Pech. Wenn ich meinen Paß hätte, daran ist aber gar nicht zu denken, würde ich vor Ihnen stehen. Brioni oder Capri, Dalmatien oder Gardasee würde dann die Frage lauten. – Ich erinnere mich, in Dornach (Schweiz) beim Besuch vom Goetheanum

 (anthroposophisches Zentrum) eine Amerikanerin gesprochen zu haben (viel gereist, sie hatte einen Sohn als Professor in Beirut, eine Tochter in Shanghai, eine andere in New York verheiratet). Diese heimatlose Kosmopolitin, 60-jährig, sagte zu mir auf die Frage, wo ihr Zuhause sei: „Nicht in Beirut, nicht in New York, sondern in mir.“ Ich versuche dieses Wort einer Weisen ins Reale zu deuten und erkenne den Nonsens der fernen Ansicht, wenn man glaubt, dort das Erträumte zu finden. Zweite Frage: Was ist das Erträumte, sind wir in der Lage, den Begriff zu fixieren? Woher kommt diese merkwürdige Angst, die uns hinter dem Leben herlaufen läßt wie hinter einer davonfahrenden Elektrischen? Dieses „im Morgen leben“, was ich auch in Ihren Büchern finde. Warum können wir den gegenwärtigen Augenblick und Zustand nicht als wertvoller und wichtiger ansehen als das Morgen? Merkwürdiger Zustand zu wissen, daß das Leben der Güter „wichtigstes“ nicht ist und uns doch nach ihm die Seele aus dem Hals zu rennen. Soll ich Ihnen noch etwas sagen? Ja? Na, dann los! Ich habe das Gefühl, daß um den 26. April etwas um Sie vorgeht. Entweder sind Sie überarbeitet, haben Sorgen von außen her oder stehen in einer schweren Krise. Stimmt das? Ich will nichts wissen von Ihnen, nur ob Ihr Weg tatsächlich, wie ich es im Gefühl habe, recht steinig ist zur Zeit? Liegen Sie im Kampf mit einem neuen Stoff? Sie schrieben mir im Oktober, ich solle die Daumen halten für zwei Ihrer Seelenkinder, die zum Verleger unterwegs seien. Was ist aus ihnen geworden? Wie schnell der Mensch vergisst, merke ich an mir. Die Zeit vor dem 10. Februar ist versunken, scheint mir ein Alb, nie gewesen. Unsere Korrespondenz basiert auf dem Labilsten, was es gibt, dem Gedanken. Kennen wir mehr voneinander als Gedanken? Nein. Keine Erinnerungen gemeinsamen Erlebnisses, gemeinsamen Schauens, nichts. Und doch ist diese Brücke die reichste Möglichkeit. Von mir kann ich Ihnen etwas Persönliches berichten. Groteske des Alltags. Ullstein bot mir eine kleine Stelle im Lektorat. Groteske der Seele. Ich würde dort mit einem „Kollegen“ zusammen am selben Schreibtisch sitzen, der meine Frau durch mich kennen lernte und jetzt der Mann meiner geschiedenen Frau ist!

 Ich denke mir die Situation psychologisch eine Fundgrube, nur bin ich zu sehr Intuitionsmensch, um nicht gelegentlich seine Frau, meine Frau anzurufen, um ihr dann mitzuteilen, sie solle die Bratkartoffeln heißstellen, Männi habe zu arbeiten und käme später, wonach ich dann zu ihm sagen würde: Verehrtester, Sie machen jetzt Schluß, Ihre, meine Gewesene, unsere Frau, erwartet Sie.“ Vielleicht hat Ullstein etwas anderes für mich. Soviel vom Alltag, der bei mir zum ersten Mal ein humoristisches Gesicht zeigt, nicht ohne diabolische Züge.



 





Wieder nach etlichen Stunden: Die Wolken, der Regen sind fort, Sonne ist es, die mich mahnt, Ihnen mitzuteilen, daß meine Stimmung nicht mehr so zersetzend ist, wie die letzten zwei Wochen.







Irgendwann sang der Wind







in Ried und weichen Gräsern,







durch die er wehend zog







ein leises sachtes Lied.







Wie ein Segel spannte sich die Wolke







von dem Kirchturm schlug es zehn,







und von Ferne hallten Stimmen: Schnitter,







die nach Hause gehen.







Tiefgebettet in die sonnenwarme Matte







lag ich, hörte Stimmen in mir sprechen,







duldsam, weich und ganz erfüllt von Güte.







Sonnenfäden spinnen – leise raunt der Wind.







Langsam sinkt die Nacht und das Vergessen.







Ruhevoll und ganz entlastet schläft die Erde,







nur der Wind singt noch in vielen Gräsern,







wehend, raunend noch sein zages, sachtes Lied.







So viel vom Wind und seinen Eigenschaften. Mein Vater

 selig, alter Militär, nicht ohne drastischen Humor, würde sagen: Was soll das arme Luder, der Wind, denn anderes tun als wehen und raunen?





Ich arbeite neben dem großen Roman an einer kleinen Novelle. Es „passiert“ nichts drin, aber es ist besinnlich zum Verzweifeln, Mann, Ende der Dreißig, Wanderer seit zehn Jahren um diesen Erdball, trifft nach dieser Spanne Zeit die Frau seines Lebens wieder. Der Titel heißt:

 Wiedersehen mit einer Illusion.


Zwischen Rio und Bremerhaven setzt er sich ohne sie zu sprechen, ohne zu wissen, ob sie ihn erkannt hat, mit seiner Illusion auseinander. Die Frau ist dabei ganz nebensächlich. Wichtig ist die Frage, ob die letzten zehn Jahre, in denen bei ihm hinter allen Dingen der Gedanke an die Frau stand, nicht eine Utopie darstellen. Weiter nichts. So viel von Liebe.





Nun verlasse ich Sie, in wenigen Tagen fahre ich für zwei Tage nach Frankfurt, bleibe dann noch bis zum 1. voraussichtlich hier. Was dann kommt? Vielleicht Ullstein? Früher nannte ich die Ullstein Zeitungen „Intelligenzblätter für den geistigen Mittelstand“, heute, wenn er mein Brötchenreicher – Brotgeber ist zu viel gesagt – wird, muß ich diese Ansicht revidieren. Da, mit dem Augenblick meines Eintritts dort, hebt sich das Niveau auch entsprechend! (…) Irgendwelche Kobolde mit ironischer Abstammung und Großmütter (nicht arischer)

 spielen in den Winkeln meines Gehirns Fußball mit Komplexresten. Das äußert sich dann so. Mein Scheidungsrichter sagte, „daß ihr die Ehe mit dem zersetzenden Typus des Kosmopoliten nicht mehr zugemutet werden kann, ihr als ostelbischer Grandentochter“.

 Dabei war der Richter Jude. Ich erwähne das nur, um meine Ungenießbarkeit darzutun, die im Grunde Weichheit ist, Sehnsucht nach guten Worten. Addio, ferne Frau, lassen Sie den Wind, die Wolken und das Wasser Ihnen das sagen, was ich Ihnen nicht sagen kann. Der Mensch ist das Produkt seiner Komplexe. Ein anderes Mal. Meine besten Gedanken sind um Sie und in das tägliche ungesprochene Gebet, das jeder Mensch seinem Gott schuldig sein muß, schließe ich Sie ein.







Ihr Frank van Halen





Zwischen diesem Brief und dem nächsten lag ein kurzes Schreiben, in dem er mich bat, ihm eine Einladung zu schicken, die er der Behörde vorlegen könne. Vielleicht würde man ihm dann doch einen Paß geben, die Ausreise gestatten. Ob er kurze Zeit bei mir wohnen könne?



Ich teilte ihm mit, daß ich ihm für einige Wochen mein Weingartenhäuschen zur Verfügung stellen würde, daß er sich indessen alle Sachen allein machen müsse, da ich im Römerhaus in der Stadt wohne und wir keine Hilfe hatten. Auch den gewünschten Brief mit der Einladung schickte ich, obschon mit eigentümlichem Widerstreben, ab. Ich fand seine Briefe wunderschön – beinahe zu schön – aber es war mir klar geworden, daß Frank van Halen ein Mensch sein mußte, mit dem es sich nur schwer leben ließ. Da ich indessen sofort erraten hatte, daß er (was auch angedeutet worden war) einige Monate hindurch seine Freiheit eingebüßt hatte, schrieb ich den gewünschten Brief für die Behörden und legte ihn bei. Viele Wochen vergingen, dann traf neuerdings eine Nachricht ein.









Rittergut Hajnrode, 24.7.1935









Liebe ferne Freundin!







Lang liegt mein letzter Brief – gegenstandslose Anfrage meines Hinkommens und nunmehr längst aufgegebener Traum – zurück! Nichts mehr weiß ich von Ihnen.







Von mir ist zu berichten, daß ich Düren verließ und hier im Thüringischen meine kurzen Tage arbeitsam verbringe, am Roman feilend und kleine Stimmungen erlebend.







Ist es nicht unsagbar schwer während des Prozeßes der inneren Produktion Brücken zu anderen bauen zu wollen, – und doch ist meine innere Vereinsamung manchmal selbst auf der Warte kühler Ironie so groß, daß ich ihrer müde bin.







Dennoch kämpft der Ritter weiter mit geschloßenem Visier und man erkennt ihn nur am Banner und an seiner Farbe.







Liebe Ferne, lieber Geist, denn ich bejahe, mir ist wie einem Kind, das Märchen hören möchte und doch nicht mehr daran glaubt. Märchen um der Märchen willen, nicht um des Glaubens willen. Alma M. Karlin, ist die Feststellung, daß man selbst keine Märchen mehr erzählen kann, eine traurige?







Ich höre nichts von Ihnen, kenne keine Ihrer neuen Sachen. Bereits erschienen? Wo?







Es genügt ein kurzer Kartengruß, zu wissen, daß Sie da sind, daß Sie nicht in einer Krisis stehen, daß ich keine Sorge um Sie haben muß.







Neulich war ich in Helgoland, nach einer Fahrt durch Norddeutschland; daß Hamburg auch mir schwere Stunden brachte, mit seiner Atmosphäre von Übersee, war vorauszusehen. –







Abend wird es langsam, ruhelose Gedanken jagen mich noch immer umher, müde bin ich und sehr rastlos.







Alma M. Karlin, ein Lebenszeichen von Ihnen wäre mir eventuell Anstoß und sicher tiefe, ganz große Freude.







Haben Sie, ferne Freundin, ein paar Zeilen für mich?







Vielleicht ist es gar nicht die Müdigkeit an sich, die so zermürbt, sondern daß wir instinktmäßig ganz genau fühlen, wie groß die Disharmonie zwischen dem Unendlichen und unserem Innern ist. Ihnen gegenüber verschwand heute der fremde Zug um den Mund und nur Ihnen gegenüber bin ich offen genug einzugestehen, daß Einsamkeiten, früher leicht getragen, heute Belastungen darstellen von kraftraubender Schwere.







Chère, freue dich und sei stark!!







Ihr Frank van Halen











Forsthaus Marienthal, Eichsfeld, Post Großbodungen, 31. 7. 1935









Liebe, sehr ironische und sehr ferne Freundin!







Heute kam, unendliche Freude und guter Beginn eines sonst trostlosen Tages, in meine Waldeinsamkeit Ihr Brief. Ich habe die „gelbe Brücke“

 nicht erreicht, obwohl der Weg dahin manchmal mir von Sekundenlänge ist. Der letzte Brief von Ihnen kam im Mai nach Düren, das nur zur Konstatierung der Tatsache, seither nichts. – Schweigen, ahnungsvolles Schweigen. Für die Einladung tausend innigen Dank, ich wäre gekommen, keine herrlicheren Gedanken gab es, aber der Versuch dazu wurde trotz zweimaliger Bitte abgelehnt – auf lange Sicht. Bleiben wir räumlich getrennt, um gedanklich desto näher. Ihr Schaffen ist mir Versprechen für viele stille abendliche Stunden, wenn nichts mehr zu hören ist, hier oben, als der nächtliche Wind, der in den Wipfeln und Gipfeln pflügt. –







Sie, liebe Ketzerin, schreiben für die vielen Stillen im Lande. Menschen, denen es keine Mühe macht, über ihrem Sternschnuppendasein Horizonte um die Zeit 9500 vor Christi zu spannen und ewige Wahr- und Weisheiten als das „Aktuellste“ zu sehen, was man sich denken kann.







Stehen doch immer noch die Sterne am Firmament und trägt uns noch derselbe Boden, der jene trug, und scheitert der menschliche geistige Enderfolg der Vollendung immer noch an denselben Kleinheiten und Begrenzungen. Seit Jahrtausenden scheuern sich gewiße Menschengruppen immer wieder die Nerven wund und krank an stets denselben Reibflächen.







Zu meinem Fenster hinauf lächelt das Land, ewige Wolken ziehen vorüber und ich könnte ruhig und zufrieden sein. Meine Arbeit schreitet rüstig fort, gute Sterne leuchten über mir, aber in mir ist eine große Sehnsucht, ein Wunschtraum, der mir alle Stunden erfüllt: Eine Stunde mit Ihrer Seele reden, Ferne, und mal etwas, nur einen Zipfel dessen verspüren, was man geistiges Heimfinden nennen könnte. Vielleicht aber gehört gerade diese unerfüllbare und unerfüllte Sehnsucht zum Schaffensakt, wenn er sich ins Positive wenden soll.



 





Unendlich viele Stunden habe ich seit Mai in stiller Frage und Antwort mit Ihnen verbracht, unendlich viel kleine gute Geister haben sich auf den Weg zu Ihnen gemacht, Fern