Za darmo

Spreemann Co

Tekst
0
Recenzje
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

»Wie grün wieder die Natur ist,« sagte sie jedesmal aufs neue befriedigt, wenn sie angelangt waren und sie sich endlich setzen konnte.

»Paßt auf, auch hier wird einmal alles bebaut sein,« sagte der Schöneberger Müller. »Wenn's Friede bleibt, sind wir bald so weit.«

Aber sein Bruder, der sich schon jetzt ärgerte, daß die Schöneberger Mühle einmal im Preise steigen könne, antwortete, daß er sich Schropfköpfe setzen solle. Das eigentliche Berlin gehöre in seine Mauern.

Der andre sagte, daß er warten könne. Er sei überzeugt, daß Berlin zu ihm heraus kommen würde. Er war dick und wohl und reizte den mageren, älteren Bruder beständig.

Spreemann sagte, daß er schon so viele Veränderungen erlebt hätte, daß er alles für möglich hielte. Aber was den Krieg betraf, wär's ihm lieber, daß er jetzt käme, wo seine Jungen noch auf dem Dönhoffsplatz Krieg spielten.

»Schon recht,« sagten die andern, die auch ihren Nachwuchs um sich herumhüpfen hatten. Nur geschäftlich wärs eine flaue Geschichte.

Man wünscht, was einem nützlich scheint. Aber es waren unsichre Zeiten. Man wußte nicht, was man hoffen sollte. Man saß mit seinen Wünschen in einer Zwickmühle.

Lieschen sagte, was geht dich das alles an, wenn die Jungen gedeihen.

Sie meinte, selbst wenn es Krieg werden würde, könnten die Berliner darum nicht nackt gehen.

Das leuchtete Spreemann ein. Er war längst dahinter gekommen, daß Lieschen nicht dumm war. Er gab ihr natürlich niemals recht. Aber er befolgte ihre Ratschläge.

Diese Achtung vor den Tatsachen bezeugte nur seinen Verstand. Denn Lieschen war eine echte, rechte Madame geworden. Sie war würdebewußt, ehrgeizig und ein wenig rund geworden und bereicherte beständig ihr Wissen, indem sie sich nichts entgehen ließ, was in der Welt, also auf dem Dönhoffplatz, vorging.

Wissen aber ist eine Macht.

Als der Kolonialwarenhändler seinen Eckladen um ein Schaufenster zu vergrößern dachte, wußte es Madame Spreemann früher als der Glaser, der dieses Werk ausführen sollte. Den vollen Marktkorb noch am Arm, eilte sie zu Spreemann, rief ihn aus dem Laden in den Lagerraum und machte ihm klar, daß er zwei neue Ladenscheiben einzusetzen habe, wenn man nicht vor dem ganzen Dönhoffplatz blamiert sein wollte.

Spreemann wehrte zuerst ab und sagte, daß Sparsamkeit halber Profit sei.

Darauf erwiderte Lieschen, daß alles nur am richtigen Platze seine Richtigkeit habe und hier von Sparsamkeit keine Rede sein könne. Sollte sich Hans, der den Kaufmannsjungen bei jeder Rauferei besiegte, von diesem Kolonialwarenknirps nachrufen lassen, daß sein Vater ein Schaufenster mehr habe?

Als Mutter von wilden Jungen hatte sich Madame Lieschen angewöhnt, streng und straff zu sprechen. Auch Spreemann gegenüber.

Klaus nahm es ihr nicht übel. Er fühlte, daß es nötig war. Er war nun fünfzig Jahr alt und überall ein wenig mit Fett gepolstert. Da hatte man schon manchmal den stillen Wunsch, alles gehen zu lassen, wie es gehen wollte. Lieschen aber und die Konkurrenz spornten ihn immer wieder an.

Daher wußte Lieschen auch recht gut, was sie tat, als sie ihm eine Woche darauf mitteilte, daß der Herr Hoflieferant an der andern Ecke des Platzes Gas in seinen Laden zu legen gedenke. Davon würde die ganze Stadt sprechen.

Spreemann knurrte, daß ihn dies garnichts angehe. Beim Abendbrot sagte er dann, daß er längst daran gedacht habe, die neue Gasleitung auszuprobieren, und daß er schon für morgen den Rohrleger bestellt habe.

Die neuen Schaufenster waren längst schon da.

Auch die Gasanlage sollte Spreemann nicht zu bereuen haben. In der Zeitung wurde darüber geschrieben, und im Witzblatt machte man einen Vers auf das finstre Berlin, das nun helle zu werden begann. Spreemann wurde am Stammtisch geradezu gefeiert.

Krieg wurde es auch nicht.

Aber auch eine gute Sache hat verschiedene Seiten. Für den Kaufmann wurde die Zeit schwieriger, als sie es vielleicht gewesen, wenn irgendwo draußen ein Krieg getobt hätte.

Es gibt auch verschwiegne Kämpfe. Die neuen Häuser brachten neue Läden. Die Konkurrenzläden schossen wie Pilze aus der Erde.

»Wie Giftpilze,« sagte Spreemann.

Die Kundinnen wählten noch bedächtiger aus als früher, und wenn sie nach langer Überlegung doch noch ohne zu kaufen hinausgingen, wußte man nicht mehr gewiß, daß sie morgen wiederkommen würden, um das Muster zu kaufen, das man ihnen zu allererst vorgelegt hatte, sondern man mußte befürchten, daß sie zur Konkurrenz gingen. Da hieß es denn hier und dort ein wenig vom Preise ablassen, wenn man sich die alten Kunden erhalten wollte.

Dabei war auch der Einkauf schwieriger geworden. Die Angebote häuften sich, je mehr das Eisenbahnnetz wuchs. Spreemann begriff jetzt, warum er immer ein Feind dieser neuen Erfindung gewesen. Jetzt gab es Seide aus der Schweiz und Italien, und die englischen Stoffe kamen wirklich aus England, wie wenn dieses England an der nächsten Ecke läge. Die Auswahl war schwer. Man mußte sich doppelt so viel auf Lager legen als früher. Denn wenn man zögerte und zurückschob, dann sagten die geschniegelten, gewichsten Herrn Reisenden:

»Macht nichts, Herr Spreemann, die Herren in der Königstraße nehmen es uns mit Kußhand ab.«

Da nahm man es denn lieber selber. Nicht mit Handkuß, aber für Bargeld.

Spreemann arbeitete wieder unermüdlich. Wie damals als er anfing. Sein Fett war er wieder los.

Erwerben ist nicht leicht. Erhalten noch schwerer. Aber Spreemann fühlte sich wieder jung und kräftig.

Er sprach sich zu niemandem aus. Auch nicht zu Lieschen.

Wenn ihn jemand am Stammtisch nach dem Geschäftsgang fragte, dann sagte er: »Es fluscht nur so.«

Aber die Liebe unsrer Verwandten ist nicht blind. Darin unterscheidet sie sich von der Liebe im allgemeinen.

Der junge Gerbermeister sagte zu seiner Frau:

»Ich glaube, Onkel Spreemanns Geschäft geht zurück. Wenn einer nicht über schlechte Zeiten klagt, hat er seine Gründe dazu.«

Aber das war übertriebene verwandtschaftliche Besorgnis. Zurück ging Spreemanns Geschäft nicht. Es stand nicht einmal still.

Spreemann konnte sich ruhig freuen, daß seine Jungen wie Spargel in die Höhe schossen. Er hielt schon noch aus, bis sie selbst die Zügel in die Hand nehmen konnten.

Da, über Nacht war der Krieg da. Zusammen mit dem neuen Jahr.

Die Jungen stürmten in den verschneiten Tiergarten, um zuzusehen, wie die ersten langen Wagenreihen der Trains durch das Brandenburger Tor zogen und über die hartgefrorene Charlottenburger Chaussee nach Spandau rollten, wo die Feldarmee auf sie wartete. Hans hatte sich in die vorderste Reihe gedrängt. Er versuchte Wagen und Pferde zu zählen. Ein Vermögen steckte darin. Christian hatte seinen Platz einem blonden Mädchen überlassen, das bitterlich weinte, weil sein Cousin mit in den Krieg ziehen mußte.

Zu Haus beim Kaffee konnten sie nicht genug erzählen. Lieschen und Karoline wollten alles aufs genaueste wissen. Wäre es nicht zu kalt gewesen, hätten sie sich das Schauspiel nicht entgehen lassen.

Spreemann kümmerte sich nicht um Einzelheiten. Er rauchte und rechnete. Der Termin war nicht unglücklich gewählt. Das Hauptgeschäft für die Wintersäson war herein. Wenn man die Preise ein wenig herabsetzte, würde sich auch der Rest halbwegs günstig gestalten können.

Und dann hatte Spreemann eine kleine Spekulation vor. Er kaufte Fahnentuch ein.

Sein Vertrauen zum Vaterland belohnte sich. Man siegte. Man flaggte.

In diesem Sommer konnte Spreemann endlich wieder mit gutem Gewissen über die schlechten Zeiten klagen.

Aber kaum, daß man wieder mit dem guten Tabak ein wenig Behagen einzog, standen aufs neue schwarze Punkte an Preußens Horizont.

Statt in die Sommerferien gings in den Krieg. Ehe man noch recht begriffen hatte, was los war, war schon da unten in Böhmen eine Schlacht geschlagen. Kein Mensch hatte sich darauf vorbereiten können.

»Dieser Krieg wird mein Tod,« sagte der Herr Kommerzienrat, als er schweißtriefend zwei seidene Sommeranzüge bei Spreemann kaufte.

Erschreckt fragte Spreemann, ob der Herr Rat mit ins Feld müsse.

Und sagte sich bebend, daß er selbst von dem gleichen Jahrgang sei.

Der Herr Rat knurrte, daß man aus diesem Alter zum Glück heraus sei. Aber er konnte des Kriegs wegen nicht nach Karlsbad reisen. Die ganzen böhmischen Bäder waren gesperrt. Das konnte die Regierung nicht verantworten.

Spreemann machte eine tiefe, bedauernde Verbeugung. Wie wenn er die Regierung entschuldigen wollte.

Ja, jeder hatte seine Sorgen. Das war ein großer Trost. Aber doch kein ausreichender.

Spreemann hatte Trauerstoffe und Fahnentuch auf Lager. Aber man verdiente mehr an den leichten Sommerkleidern, wie an den gediegenen dunklen Stoffen, aus denen man in den guten Familien den Enkeln noch Schürzen aus den Kleidern der Großmütter machte.

Er versuchte, sich mit Hans, der nun die Handelsschule besuchte, ein wenig über diese Gedanken und Besorgnisse auszusprechen. Hans sagte, daß in den dauerhaften Stoffen überhaupt die Gefahr für den Kaufmann läge. Wenn er Spreemann wäre, würde er hübsche, in die Augen fallende Stoffe bestellen lassen, die weniger kosteten und garnichts hielten.

Spreemann war ganz erschreckt. Der Junge war doch noch furchtbar unreif.

Mit Christian, der genau dasselbe lernte wie Hans, redete er nie von dergleichen. Der Junge begriff leider nicht, worauf es ankam beim Geschäft. Er freute sich an den blumigen und bunten Mustern wie ein junges Mädchen und graute sich vor den Trauerstoffen wie ein kleines Kind.

Wenn er des Sonntags einmal den beurlaubten jungen Mann vertrat, war er so ängstlich darauf bedacht, das richtige Maß abzuschneiden, daß er aus lauter Besorgnis einen Fingerbreit zu viel gab. Ihm fehlte alles, was einem Kaufmann angeboren sein mußte.

Aber jetzt war der Krieg die Hauptsache. Er mußte abgewartet, wenn möglich ausgenutzt werden.

 

Nach ein paar Fehlschlägen jagte wieder ein Sieg den andern.

Spreemann bestellte noch einen Posten Fahnentuch, prima Qualität. Dagegen schob er an einen Pessimisten seiner Branche einen großen Posten Trauerstoffe ab. Mit Rabatt, aber ohne Verlust. Er hatte keine Ursache, seinem Vaterlande zu mißtrauen.

Man sah jetzt, daß Berlin eine Großstadt geworden. Es konnte einen Puff vertragen, wie es schien. Man merkte nicht im geringsten, daß ein großes Heer davongezogen war.

Die Tiergartenpromenade war belebt wie immer, in der Flora kündete man den Aufstieg eines Luftballons an, auf den Dönhoffplatz kamen sogar Kunstreiter. Es war ein heißer Sommer und das Leben wollte sein Recht.

Die Kunstreiter waren Spreemann eine rechte Erheiterung. Sie waren nicht nur ein billiges, sondern auch ein bequemes Sonntagsvergnügen. Vom Lehnstuhl am Fenster aus sah man alles umsonst. Da war eine hübsche Balletteuse, die auf dem breiten Sattel eines Pferdes tanzte und durch Feuerreifen sprang. Dann kam eine starke Dame in rosa Trikot und grasgrüner Seidenschärpe. Madame Lieschen war ihr Anblick peinlich, weil ihre großen Jungen neben ihr standen. Spreemann aber hatte seine helle Freude an ihr.

Die Dame machte einen schweren Knix und wurde auf ein straff gespanntes Seil gehoben. Mit starrem Lächeln trippelte sie nun hoch über dem Markte vorwärts.

»Sie kippt, sie kippt,« schrie Hans jedesmal, wenn sie auf der Mitte des Seils war. Christians Blicke umklammerten sie stumm. Aber die dicke Dame fiel nicht, sondern machte einen schwerfällig graziösen Sprung, wobei sie hüi schrie und Kußhändchen zu den Fenstern hinaufwarf. Worüber Spreemann und Christian dunkel erröteten. Hans kaute ungerührt ein paar saftige Kirschen. Waren Trikot und Schärpe am Seilende angelangt, klatschte alles auf dem Markte Beifall.

»Wo sie das nur her hat,« sagte Madame Lieschen. »Eine Frau in meinen Jahren.«

Tante Karoline, die alle Vorgänge so genau verfolgte, wie es ihre alten Augen nur irgend noch gestatteten, meinte, daß sie auch diese Faxen gewiß aus den vielen neumodischen Zeitungen her hätte.

»Aber es sieht ja ganz nett aus,« schloß sie und rückte sich zurecht, um weiter zu gucken.

Spreemann behagte am meisten das dauernde Gedudel des Leierkastens, das alle diese Faxen begleitete. Ohne Unterbrechung spielte man immer wieder aufs neu das lange Lied vom Herrn Schmidt mit den vielen Töchtern.

Wenn Spreemanns Lieblingsvers herankam, summte er mit tiefer Freude den Text dazu:

»Herr Schmidt, Herr Schmidt,

Was kriegt das Malchen mit?

Das Malchen, das ist gut und brav.

Wer sie bekommt, der kriegt ein Schaf.«

Und dann wartete er behaglich ab, bis das Lied wieder von vorn begann und sich von neuem diesem hübschen Verse näherte.

Dann und wann fing er eine dicke Fliege, die seine feuchte Stirn als durstlöschenden Quell ausnutzen wollte, freute sich darüber, rauchte und gähnte.

Das war so ein rechter Sommersonntag.

»Nicht zu glauben, daß man in Kriegszeiten lebt,« sagte er und zog die Pfeife an, daß sie Funken stob.

Zweites Kapitel

Friedlich war dieser sonnige Tag in die Nacht gesickert. Man hatte die Fenster offen halten können, bis man schlafen ging. Und während man um den Abendtisch saß, hörte man von der Straße her das Lachen und Geplauder der heimkehrenden Ausflügler.

Um acht wurde Tante Karoline müde. Jeder der langen Zwillinge reichte ihr feierlich einen Arm, um sie im Polonäsenschritt nach Haus zu geleiten.

»Ist es möglich, daß man diese Riesen auf den Knien geschaukelt hat,« sagte sie, und mit einem glücklichen Lächeln in den verhutzelten Zügen ließ sie sich davonführen.

In der Tür gab es noch eine kurze Begrüßung. Kreisrat Giesecke kam mit seiner Rätin noch einen Augenblick herunter. Er berichtete die neusten Kriegsmeldungen und versicherte, daß man bald Sieg und Frieden haben würde. Und die Rätin notierte sich rasch das Rezept der roten Himbeergrütze, die Madame Lieschen so vortrefflich zu bereiten verstand.

Denn eigentlich war es ein Abschiedsbesuch. In wenigen Tagen verließ die Familie Giesecke ihre alte Wohnung. Man war pensioniert und zog zur Stadt hinaus. Wo man für wenig Miete sehr viel Luft und grüne Bäume hatte.

Sie kannten schon Spreemanns künftigen Nachbarn. Es war ein Schuhfabrikant. Einer von den neuen Männern, die mit den neuen Maschinen das alte Handwerk ruinierten.

»Es wird sich manches verändern,« sagte der Kreisrat.

Und ehe sie sich empfahlen, erzählte er noch, daß auch das ehemalige Haus des Herrn Jung – der nun längst viel höher geflogen war als alle seine Tauben ein drittes Stockwerk aufgeklebt kriegen sollte.

»Sie können jetzt nicht hoch genug hinaus,« sagte er.

Aber Spreemann hatte das alles wenig berührt. In tiefem Sonntagsfrieden waren Herz und Gedanken bei seinem Lieschen, seinen großen Jungen und seinem Geschäft geblieben. Alles andre lag weit draußen.

Aus unserm Innern aber wächst unser Schicksal.

Wie oft dachte Spreemann an diesen Sonntag zurück. Je mehr Zeit sich dazwischenschob, um so friedlicher und sonniger leuchtete er auf.

Er wurde ein Markstein.

War er nicht der letzte Tag gewesen, wo man sich so recht am richtigen Platze gefühlt? Als Mann, der es zusammen mit seiner Zeit zu etwas gebracht hatte.

Nur daß man vergessen, daß uns die Zeit, die uns großzieht, auch auffrißt. Langsam mästet sie uns. Bedächtig kaut sie uns . . .

Schon am andern Morgen regte sich fremde Unruhe in den stillen Stuben.

Lieschen ließ Spreemann aus dem Laden rufen. Sie hatte mit ihm zu sprechen.

Was war es?

Lieschen hatte unter Christians Kopfkissen Zeichnungen gefunden. Rundliche, sehr rundliche Frauengestalten. Ohne jede Art von Kostümierung. Trotzdem Christian gerade in der Bekleidungsbranche hätte bewandert sein müssen.

Spreemann sah sich die Zeichnungen genau an. Er setzte seine neue schärfere Brille dazu auf und meinte, daß sie wohl übertrieben, aber eigentlich recht nett seien.

Lieschen zog ihm die Blätter ärgerlich fort und sagte, daß dies Nebensache sei. Es war nicht zu fassen, woher der Junge diese Ideen habe. Denn auf der Handelsschule sehe er doch auch nicht dergleichen Unrat.

»Unrat sei zu viel gesagt,« lenkte Spreemann ein.

Aber Madame Lieschen sagte, daß seine väterliche Nachsicht hier zu weit ginge.

Schließlich schien beiden das Ratsamste, den Geheimtat zu fragen.

Der Geheimrat war niemand andres als Sanitätsrat Knapp, der inzwischen einen Rang höher und damit auch dem Himmel um viele Stufen näher gestiegen war. Er hörte schlecht, und sein alter Kopf verwechselte Namen und Ziffern. Aber da er sich immer noch darauf beschränkte, der Natur ihren Lauf zu lassen oder Brustpulver und Baldrian zu verordnen, brachte seine gütige Praxis niemandem Schaden. Eine Verwechselung dieser Medikamente war ungefährlich.

Mamsell Lieschen schrie ihm ihre Sorgen durch das Hörrohr zu. Es war sehr peinlich, und obendrein verstand sie der Geheimrat nicht. Da legte sie ihm einfach die Zeichnungen vor.

Er schmunzelte und verstand.

Nachdem er sie eingehend untersucht hatte, versuchte er auszurechnen, wie alt die Zwillinge waren. Er erinnerte sich noch so genau, wie wenn es heute gewesen wäre, daß er seinen Frühschoppen aufgeben und seine Pfeife ausklopfen mußte, als man ihn zu Madame Lieschen gerufen hatte. Aber mit den Zahlen haperte es.

Madame Lieschen half ihm nach. Der Junge war siebzehn Jahre alt.

Der Geheimrat nickte zufrieden. Das stimmte. Dabei wäre durchaus nichts Beunruhigendes. Vielleicht ein bißchen Baldriantee am Abend und turnen und schwimmen. Aber in der Hauptsache müsse man die Natur ihren Lauf gehen lassen. In jenem glücklichen Alter haben die jungen Leute nun einmal sehr viel Phantasie.

»Ja, wenn man noch einmal so jung sein könnte,« sagte er zum Schluß seiner Verordnungen. Er seufzte, stand steifbeinig auf, nahm lächelnd eine Prise und humpelte davon.

Madame Lieschen fand, daß der Herr Geheimrat wirklich alt geworden war. Die fünfzehn Groschen für seinen Besuch hätte man sparen können.

Aber sie goß doch Baldriantee auf. Das Geld für den Arzt sollte doch nicht so ganz und gar herausgeworfen sein.

Der scharfe Geruch des Tees erinnerte sie an die zarte Zeit, ehe sie die Jungen erwartete. Es wurde ihr weich und wehe im Herzen.

Böse konnte man den Jungen nicht sein.

Darüber waren sich Klaus und Lieschen einig, als sie sich bei Tisch gegenübersaßen und beide die Sache noch einmal besprachen. Sie waren heut allein. Die Jungen hatten gleich nach dem Unterricht einen Ausflug nach Tempelhof unternommen. Wo sie schwammen und turnten. Nur des Vaters wegen waren sie am gestrigen Sonntag zu Haus geblieben. Heut aber holten sie den Feiertag nach.

Nach langem Grübeln waren Vater und Mutter überein gekommen, die bewußten Zeichnungen wieder dahin zurückzulegen, wo man sie gefunden hatte. Mochte Christian denken, daß sie niemand gefunden. Das ersparte allen miteinander Peinlichkeit und Beschämung.

Vorsichtig ging Lieschen mit den Blättern in das Schlafzimmer.

Als sie zurückkehrte, war sie rot im Gesicht, als ob sie am Herd gestanden hätte. Sie sagte, daß ihr zu Mute sei, wie wenn sie sich mit der Sünde auf einen Fuß gestellt habe. Man hätte den Unrat doch vielleicht verbrennen müssen.

»Nur keine Gewalttätigkeiten,« sagte Spreemann – »es kommt alles zurecht.«

Zum Abendbrot waren die Jungen wieder da. Voll von Wiesenluft und Appetit. Sie hatten Eichenlaub am Hut und Kornblumen im Knopfloch. Wie Raubtiere stürzten sie sich auf die Bratwurst mit Sauerkohl, die ihnen die Mutter vorsetzte.

»Die ganze Stadt könntet ihr ablaufen, ehe ihr wieder jemanden findet, der so zu kochen versteht wie eure Mutter,« sagte Spreemann, der sich über ihren Wolfshunger freute.

Kaum, daß sie satt waren, gähnten die Jungen und wollten schlafen gehen.

Als sie in ihrem Zimmer verschwanden, bekam Lieschen so starkes Herzklopfen, daß sie sich an der Tischdecke halten mußte.

Sie hatte nämlich auch neben Hansens Bett eine Tasse Baldriantee gestellt. Er war ja ebenso alt als Christian. Er hatte wahrscheinlich auch ebenso viel Phantasie.

Neben die Tassen hatte sie, nach einiger Überlegung einen Zettel gelegt, auf den sie geschrieben: Bitte trinken, es wird euch gut tun.

Nun horchten Spreemann und Lieschen gespannt. Die Jungen hatten das Licht angezündet.

Da – ein schallendes Gelächter. Ein brüllendes Gelächter, das immer wieder anschwoll, wenn neuer Atem geschöpft war.

Jetzt miauten sie wie Katzen. Sie foppten wohl den Baldrian aus, dessen Geschmack ja den Katzen bedeutend angenehmer sein soll als den Menschen.

Nun hörte man Spritzen und Geplätscher. Es konnte kein Zweifel walten, sie gossen den Inhalt der Tassen in den Wassereimer. Unter Pfeifen und Gejohle.

Lieschen fuhr zusammen. Der schreckliche Tag war ihr eingefallen, jene große Stunde, wo der arme Herr Hirschhorn Herrn Spreemanns kleinen Zeh verwundete.

Drinnen pfiff und johlte es weiter.

»Sie lachen mich aus,« sagte Lieschen. Tränen kugelten über ihre Backen, auf denen sie manchen Fahrstreifen fanden.

Spreemann sah hoch und folgte mit Staunen ihrem raschen Lauf. In den letzten Jahren hatte er ganz vergessen, wie leicht Lieschens Augen tropfen konnten. Auch seine Erinnerung ging zurück.

»Meine Jungen lachen mich aus,« wiederholte Lieschen.

»Na, na,« sagte Spreemann. »Aber gewiß, sie haben nun schon ihre eigenen Anschauungen und Meinungen. Sie bewundern nicht mehr alles an uns. Das hab ich längst heraus. Aber das muß wohl so sein. Und – immerhin – in diesem Fall fällt doch alles auf Knapp zurück. Ob Baldrian hier das ganz Richtige gewesen ist, ist noch sehr die Frage. Man hat doch heute viele neumodische Mittel für alles, was im Leben vorkommt. Der gute Knapp ist recht alt geworden.«

Lieschen sagte nichts. Spreemann konnte nicht wissen, ob sie seiner langen Rede, die er mühsam zusammengesucht hatte, um sie zu trösten, überhaupt gefolgt war.

Sie starrte in die freundlich erleuchtete Stube, als ob sie in tiefe Finsternis spähe. Sie fand sich nicht zurecht in ihren Gedanken. War denn Altwerden eben ein solches Unglück als jung zu sterben? Was soll der Mensch denn wünschen für sich und seine Kinder?

Im Zimmer nebenan war es nun still geworden. Wenn man ganz scharf aufhorchte, konnte man deutlich die kräftigen Atemzüge der Schlafenden hören.

Lieschen löschte die Lampe aus und Spreemann nahm das Licht in die Hand.

Auf Zehenspitzen schlichen sie zu den Schlafenden, um ihnen den gewohnten Gutenachtkuß zu geben.

 

Abend für Abend war es so gewesen. Kein Wunder, daß man dabei übersehen, daß aus den Jungen Männer geworden.

Auch heute vergaß man es wieder, sobald man die Schläfer mit glücklichem Lächeln betrachtete.

Da lagen die Zwillinge, der Braune und der Blonde. Mit dem gleichen weichen Lächeln, das einen froh gemacht, wenn sie als Säuglinge nach langem Geschrei plötzlich friedvoll und lieblich eingeschlafen waren.

Wieder einmal kamen Klaus und Lieschen überein, daß sich die beiden kaum verändert hatten. Nur ein wenig länger geworden waren sie.

Aber Lieschens Schlaf wurde doch nicht friedlich in dieser warmen dämmrigen Sommernacht. Immer wieder sah sie aus jeder Zimmerecke große häßliche Köpfe grinsen. Sie glichen Knapp und dann wieder Spreemann und einigemal sogar Hans und Christian. Aber alle kreischten sie: Alt – alt – alt.