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Die Bräutigame der Babette Bomberling

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»Wie gern fuhr Lätitia hier um diese Stunde.«

Und meinte damit die vor dreiviertel Jahrhunderten gestorbene Mutter Napoleons.

Christian Sebolds Blicke folgten einem fliehenden Büffel. Er schätzte laut die Kilo Wurst ab, die ein solches Stück Vieh hergeben würde.

Frau Bomberling sah beunruhigt zu der Frau Rittergutsbesitzer hinüber. Sie fürchtete, daß dieses derbe Thema die feine Dame beleidigen könne.

Aber die gnädige Frau behielt den Hörer am Ohr und lächelte, wie wenn sie etwas ganz besonders Reizendes erfahren habe. Denn dieser Herr Sebold kam ihr sehr gelegen.

Heute früh hatte man ihr geschrieben, daß Hildes Bruder Fritz seinen Abschied erhalten habe und fort nach Amerika sei. Ohne Geld und Ehre, aber mit einer Konfektionöse.

Damit war der armen Hilde eine standesgemäße Heirat einstweilen verschlossen. Man mußte froh sein, wenn man sie überhaupt noch unter die Haube brachte.

Dieser Wurstfabrikant hatte Vermögen, das heutzutage beinahe praktischer war als Ahnen. Man selbst aber hatte Beziehungen. Man würde ihn einfach Kommerzienrat werden lassen.

Und wieder zu Herrn Sebold hinüberlächelnd, sagte sie:

»Auch Georg interessiert sich außerordentlich für Viehzucht.«

Und meinte damit den König von Sachsen.

Christian Sebold schmeichelte es ungeheuer, mit den höchsten Herrschaften in so enge Beziehungen gebracht zu werden.

Hilde Wegner gefiel ihm stündlich besser.

Er wünschte, auch ihr zu gefallen. Auf eine Mitgift konnte er verzichten. Wenn er dafür zur Familie jener feinen Leute gehören sollte, denen seine Mutter noch niedrige Dienste hatte leisten müssen.

Aus deren Küchen er als Kind heißhungrig die Überbleibsel verschlungen hatte.

Er verlängerte seinen Aufenthalt. Man machte Ausflüge. Es wurde von Tag zu Tag heißer.

Frau Bomberling litt sehr unter der Hitze. Sie wäre gern heimgekehrt. Aber sie wollte nicht selbst einen Strich durch ihre Hoffnungen machen. Daß sich Christian Sebold viel mit Hilde beschäftigte, beunruhigte sie nicht. Begehrenswerter als Babette war niemand. Aber sie war sehr im Zweifel, ob der Herr Wurstfabrikant nicht seine weite Reise vergeblich gemacht haben würde; denn jetzt war auch der Conte mit dem schwer zu behaltenden Doppelnamen stets mit dabei. Und wo er war, tauchte auch stets ein anderer junger Mann auf, der sich Doktor Hilpert nannte.

Contessa Babette . . . Frau Doktor Babette . . .

Viele Stunden vergrübelte Frau Bomberling mit Plänen und Wortspielen, überlegte sich, was besser sei, was besser klänge.

Bomberling hatte schon mehrmals geschrieben, ob sie nicht zurückkehren wolle. Er fühle sich müde und fürchtete krank zu werden, ohne seine Anna bei sich zu haben. Frau Anna wurde das Herz schwer. Aber abreisen konnte sie nicht. Eine Woche wenigstens mußte noch hier geblieben werden.

Mutterliebe ist stärker als alles.

Babette hatte nun Paul den großen Freundschaftsdienst geleistet und ihn in einem langen Schreiben vor der Ehe gewarnt. Sie hatte ihn darauf aufmerksam gemacht, daß die meisten Mädchen in der Ehe dick und zänkisch würden, daß ein Ehemann überhaupt kein Mann mehr wäre.

Nachdem dieser Brief fortgeschickt war, wurde ihr wieder fröhlich zumut. Erfüllte Pflichten machen Freude.

Hilde Wegner dagegen ging mit verweinten Augen umher.

Sie hatte den schlimmen Streich ihres Bruders erfahren. Als sie weinend Babette von diesem Unglück erzählte, begann auch Babette zu weinen.

Sie saßen vor dem chinesischen Schirm unter einigen Palmentöpfen in dem Salon der Pension, und Babette beichtete schluchzend der Freundin, welche böse Erfahrungen auch sie mit Leutnant Fritz erlebt hatte. Wie sie seinetwegen geschworen habe, nie mehr einem Manne zu trauen.

»Arme Babette,« sagte Hilde gerührt. »Aber du wirst mit jemand anderem um so glücklicher werden. Ich aber« – und sie weinte wieder – »ich werde mein ganzes Leben lang das fünfte Rad am Wagen sein müssen. Mit diesem Schandfleck auf der Familienehre bekomme ich nie mehr einen Mann.«

»Wetten, daß Sie doch einen bekommen?« sagte da eine kräftige Stimme hinter dem chinesischen Schirm, und gerührt über soviel Mädchenkummer stampfte Christian Sebold aus seinem Versteck hervor. Ohne viel Umstände zu machen, zog er die schmale Hilde an seine breite bunte Weste.

Niemals vorher hatte die Frau Rittergutsbesitzer mit so viel Liebenswürdigkeit und Gleichgestelltheit in Frau Bomberlings Gesicht gelächelt als in dem Augenblick, wo sie Frau Annas Glückwunsch entgegennahm.

Aber das war nur ein schlechter Trost für Frau Bomberling. Man hatte ihre Babette zurückgesetzt, das tat bitter weh.

In Ciceros Tuskulum erklärte sie dem Conte wie dem jungen Herrn Doktor noch einmal ausführlich, wie ungeheuer groß die Fabrik ihres Gatten sei. Daß Babette daheim von Freiern umschwärmt sei wie hier die Blumen von Mücken und Fliegen.

Und nach der Rückkehr von diesem Ausflug sandte sie auf einer Ansichtskarte, wo ganz Rom zu sehen war, einen freundlichen Gruß an den jungen Herrn Kippenbach.

Am Abend aber nahm sie wieder einmal alle Kraft zusammen, um wenigstens einmal um das Zimmer zu kriechen. Sie hatte ihre Kur in letzter Zeit ein wenig vernachlässigt. Mit Schrecken war ihr dies heute eingefallen, als der Conte sagte, daß es in seiner Familie keine Korpulenz gäbe. Denn feine Rassen setzten kein Fett an.

Atemlos lag die treue Mutter endlich im Bett.

Aber nach einer Weile zündete sie das Licht wieder an. Sie nahm das Reisehandbuch und versuchte die Namen der sieben römischen Hügel zu lernen: Avertin, Esquilin, Kapitol . . .

Es war schwer. Aber auch der Doktor Hilpert war ein feingebildeter Mann. Er legte gewiß auf dergleichen Wissen Wert.

Babette wollte der Mutter noch einen Gutenachtkuß geben. Aber als sie an der Tür das Gemurmel der Lernenden vernahm, kehrte sie auf Zehenspitzen wieder um. Sie glaubte, die Mutter bete, und da wollte sie nicht stören.

»Avertin, Esquilin, Quirinal –« murmelte Frau Bomberling weiter.

Endlich löschte sie das Licht. Sie dachte, daß es doch viel einfacher gewesen wäre, wenn man dieses Rom auf flachem Felde erbaut hätte, wie so viele andere nette Städte. Der Name des siebenten Hügels war ihr schon wieder entfallen. Im Bemühen, ihn wiederzufinden, schlief sie ein.

Träume führen uns in fremdartige Gegenden. Doch hatte Frau Bomberling die Wirklichkeit noch nicht ganz vergessen, als sie erschreckt aus dem Schlummer fuhr. Es hatte sich etwas im Zimmer bewegt.

Im Schein des Nachtlichts sah sie den Grafen Spina-Spontelli aus der Tür hinter dem Schrank hervortreten.

»Sie sind es, Herr Graf?« fragte Frau Bomberling schlaftrunken, aber liebenswürdig. Und wunderte sich dabei, daß der Graf zu dieser wunderbaren Stunde um Babettens Hand zu bitten kam. Denn nicht im Traum hätte sie etwas anderes für möglich gehalten.

Da sah sie mit Entsetzen, daß der Conte einen Revolver aus der Tasche zog.

Im gleichen Augenblick aber trat aus der Schranknische ein anderer Mann hervor. Babettes zweiter Freier, der liebenswürdige Herr Doktor Hilpert. Ehe Frau Bomberling sich klar war, wen von beiden sie als Schwiegersohn vorziehen würde, hatte Doktor Hilpert dem Conte Spina-Spontelli den Revolver entwunden und seine beiden Hände gefesselt.

»Entschuldigen Sie die kleine Störung, morgen früh werden Sie alles erfahren,« sagte er mit einer Verbeugung gegen Frau Bomberlings Bett.

Dann waren beide Männer verschwunden.

Aber Frau Bomberling hatte nicht Zeit zu warten. Sie schrie und klingelte, bis die ganze Pension wach geworden war. Noch in der Nacht erfuhren alle die volle Wahrheit. Der Conte war ein gesuchter Hochstapler mit dem leicht auszusprechenden Namen Weber. In Doktor Hilpert aber hatte man einen geschickten Geheimpolizisten zum Nachbar gehabt. Ja, auf Reisen kann man was erleben.

Alle umringten Frau Bomberling und gratulierten ihr zu der glücklichen Errettung. Mit Tränen in den Augen empfing sie die vielen Freundlichkeiten.

Andre Ursachen, andre Glückwünsche.

Niemand ging in dieser Nacht wieder schlafen. Es wurde Tee gemacht, und allmählich entfaltete sich das Zusammensein zu einem kleinen Vergnügungsfest. Die Unterhaltung war von Anfang an angeregt. Jeder wußte eine besondre Anekdote über Hochstapler und Hoteldiebe zu erzählen.

Hilde Wegner schmiegte ihre schmalen Hände in Sebolds große Fäuste. Sie wußte nun, daß sie einen Beschützer auf dieser unsichern Erde habe.

Nur Frau Bomberling und Babette hatten nichts von dieser allgemeinen Freude. Sie packten. Mit dem ersten Morgenzug wollte Frau Bomberling fort. Hier hatte sie nichts mehr zu suchen.

Das Telegramm an den guten Bomberling war schon geschrieben.

Der Morgen kam herauf. Es wurde hell. Aber erst als man in der Bahn saß, wurde Frau Bomberling ruhiger. Als die Räder endlich anrückten, wurde sie von Rührung überwältigt. Das Gesicht im Taschentuch, schluchzte sie:

»Selbst Napoleon wird sich verändert haben. In dieser langen, langen Zeit.«

Babettes Blicke suchten den hohen Schwung einer Kuppel, die in dem Glanz der Sonne weiter und weiter zurückblieb.

Bomberling saß in seinem Büro und sichtete die Morgenpost.

Einige Telegramme, die er hastig geöffnet hatte, bestätigten ihm, was er längst fürchtete. Sein Lebenswerk war nicht mehr zu halten.

Der europäische Friede blieb brüchig. Es gab keine Schuldbriefe und kein bares Geld, um über diese schwere Zeit hinwegzukommen.

Langsam öffnete er Frau Bomberlings letzten römischen Brief.

In allen diesen sorgenschweren Wochen hatte Anna nur von Dingen geschrieben, um die er sich nie im Leben gekümmert, die ihn noch keinen Gedanken gekostet hatten. Diese Briefe handelten alle von Badegelegenheiten alter römischer Kaiser, von Wasserleitungen, die zerbröckelt waren und seit Christi Geburt nicht mehr funktioniert hatten. Oder von lädierten Marmorfiguren.

 

Und leider auch stets von liebenswürdigen jungen Männern. Das heutige Schreiben war nicht anders als die frühern. Zuerst erzählte Anna von den herrlichen Badeanlagen eines Kaisers Hadrian, dann wurde neben dem italienischen Conte, der immer erwähnt wurde, ein scharmanter junger Doktor gerühmt.

Geheilt schien Anna noch nicht zu sein. –

Draußen klatschte der Regen nieder. Der Himmel war grau wie im Herbst. Es hätte längst Frühling sein müssen, aber in diesem Jahr war nichts, wie es sein sollte.

Mutlose Ermattung beschlich Bomberling. Nirgends sah er einen tröstlichen Schimmer. Nur die unerbittlichen Forderungen des unersättlichen Alltags standen vor ihm.

Anna und Babette würden als noch feinere Damen zurückkommen, als sie es schon bei der Abreise waren. Irgendein geschniegelter Fremder würde Babette aus dem Haus holen und Geld fordern. Das Geld, das nicht mehr da war. Und Hermann? Am Ende des Monats wird er ihm wieder fröhlich eine neue kleine Schuldenlast gestehen, die der Vater bezahlen sollte. Dem Jungen sagen müssen: es ist alle? Annas furchtbaren Schrei hören, wenn sie erfahren würde, daß sie wieder daständen wie damals, als sie die Ehe begonnen? Er war nicht mehr jung genug dazu.

Langsam öffnete Bomberling den Schreibtisch. Er holte die Urkunde hervor, die sein Leben für eine hohe Summe versicherte. Es gab in diesen Zeiten manchen, der es verstand, den Seinen rechtzeitig diese einzige Rettung zu verschaffen.

Er begann die Bedingungen zu durchlesen. Aber die Buchstaben setzten sich in Bewegung, drehten sich durcheinander.

Wie durch einen Schlag empfand er plötzlich, was er niemals bisher bemerkt hatte. Das ganze große Gebäude, in dessen Mitte er saß, war mit wartenden Särgen angefüllt.

Ein wahnwitziges Verlangen nach Luft und Licht, nach der verlorenen Behaglichkeit, nach Annas blondem Haar, nach dem Lachen seiner Kinder preßte ihm die Kehle zusammen. Siedend schnellte das Blut in den schmerzenden Kopf, wo sich Zahlen auf Zahlen türmten, um sich zu Exempeln zu ballen, die nicht aufgehen wollten . . .

Als der Buchhalter die Depesche brachte, worin Anna und Babette ihre baldige Ankunft meldeten, fand er Bomberling, schwer atmend, auf dem Boden liegen.

Als man den mageren Feldern ansah, daß die Großstadt nicht mehr fern sein konnte, kramte Frau Bomberling in ihrer Reisetasche. Sie wollte untersuchen, ob auch nichts zerbrochen sei an den hübschen Sachen, die sie ihrem guten Bomberling mitbrachte.

Zuerst wickelte sie eine kleine Marmorfigur aus. Es war die esquilinische Venus im Salonformat. Bomberling sollte sie sich auf den Schreibtisch stellen. Wenn er sich auch nicht um Kunst kümmerte. Er würde zugeben müssen, wie anerkennenswert es sei, daß jemand den menschlichen Körper so richtig habe nachahmen können.

Ein zweites Paketchen enthielt einen kleinen Abguß der römischen Wölfin mit den säugenden Knaben Romulus und Remus. Eigentlich hatte sie beim Einkauf geglaubt, daß die Kinder ein Knabe und ein Mädchen wären. Denn sie dachte, die Wölfin stelle die Amme von Romeo und Julia vor. Diese alten Geschichten verwechselte man immer wieder untereinander. Aber Bomberling würde sich auch so darüber freuen.

Sie konnte es gar nicht erwarten, all ihr neues Wissen vor ihm auszukramen und endlich wieder einmal alles von der Seele schwatzen zu können.

Der Zug stürmte in die Bahnhofshalle. Die Augen mit Tränen gefüllt, schwenkte Frau Bomberling ihr Taschentuch der schwarzen Menge entgegen, die dort wartend stand.

Endlich entdeckte man Paul im Gewühl.

Er hatte scharfe Falten um den Mund und versuchte vergeblich ein Lächeln aufzubringen. Er sagte, daß Bomberling an einer kleinen Erkältung leidend im Bett liege. Hermann sei bei ihm geblieben.

Babette dachte, daß Paul so ernst sei, weil sie ihm diesen strengen Brief über die Ehe geschrieben hatte. Beleidigt sah sie in das Durcheinander der lauten Straßen, durch das der Wagen ihrem Heim zueilte.

Frau Anna sprach freudig erregt von Kamillentee und Lakritzensyrup. Sie wollte ihren Bomberling bald kuriert haben. Nun war sie ja wieder da.

Aber als ihr an der Wohnungstür Hermann um den Hals fiel und laut wie ein Kind weinte, genau so wie damals, als ihm als Vierzehnjährigen sein Eichkätzchen gestorben war, da wußte sie, daß etwas Schlimmes geschehen sein mußte.

Sie rannte in das Schlafzimmer.

Unter dem Schutz des dicken vergoldeten Engels, den er selbst geschnitzt hatte, ruhte Bomberling mit geschlossenen Augen. Zahlen und Ziffern schoben sich über seine feuchten, bläulichen Lippen. Er rechnete und rechnete . . .

Von einem Atemzug zum anderen hatte sich Frau Bomberlings Welt verändert.

Sie hatte vergessen, daß die Erde voll war von vornehmen oder begüterten Männern, aus denen man die Schwiegersöhne machte.

Sie fühlte es gar nicht, daß Tante Helene ihren knochigen Arm um sie legte und ihr tröstend erklärte, daß sich alle Menschen zu Tode arbeiten müßten, um leben zu können.

Sie war gar nicht geschmeichelt darüber, daß die Frau Rätin kam, ihr weinend das Du anbot und sie daran erinnerte, daß ihr Seliger fünfzehn Jahre auf seinem Lehrstuhl saß und doch aufstehen mußte, als der Allmächtige rief.

Es war ihr alles so gleichgültig wie die sieben schweren Namen der sieben römischen Hügel, die ihr auch wieder entfallen waren.

Sie wollte nichts anderes, als daß Bomberling die Augen aufmachen sollte und Mäuschen sagen würde.

Darauf wartete sie. Und sie wich weder Tag noch Nacht von seinem Bett.

Sie bemerkte es nicht, daß sich in Babettes weichem Gesicht haarscharfe Linien einzuzeichnen begannen.

Sie sah es nicht, daß Hermann wie ein hilfloser großer Junge zwischen seinen Büchern saß, die Augen verschwollen. Sie wollte auch niemanden im Zimmer dulden. Die erwachsenen Kinder schienen ihr Fremde. Denn in der Öde der langen Stunden, wo sie Bomberlings wirres Haar, das dünn und grau geworden war, streichelnd beiseite schob, um die Eisumschläge zu erneuern, sah sie ihren August vor sich, wie er sie jung, mit blondem Haarschopf und mit lachenden Augen, zur Ehe holen kam. Was wußten die Kinder davon?

Während sie still neben dem mühsam Atmenden saß, sprangen ihre Gedanken weit zurück. Ein Peitschenknall draußen auf der Straße erinnerte sie so deutlich an den jungen Sommermorgen, wo sie auf dem Wagen saßen, hinter sich die bunten Kisten voll neuer Wäsche, vor sich die unbekannte Riesenstadt.

Das Weinen eines Kindes mahnte sie an die Nächte, wo Bomberling, leise pfeifend, den schreienden Hermann herumtrug, damit seine Anna schlummern konnte. Auch der große Tag fiel ihr ein, wo ihr August sie lachend in die Backen gekniffen hatte und sagte:

»Nun gehören wir ins Vorderhaus. Vor unseren Kindern sollen sich einmal die feinsten Leute verbeugen!«

Sie hatte erst gedacht, daß er Spaß mache. Aber dann hatte sie vor Freude geweint.

Dumme, eitle Gans, hatte er sie gescholten. Aber breit gelacht dabei und sie, so schwer sie war, auf den Arm gehoben und durchs Zimmer geschwenkt.

Und ein Lächeln um den Mund, erhob sie sich leise, um einen neuen Umschlag auf die glühende Stirn des alten Mannes zu legen.

Dann träumte sie weiter in dem schweigenden, verdunkelten Zimmer.

Sie erinnerte sich noch genau, wie sie viele ihrer alten Möbel unter die erfreuten Nachbarn verteilte, als man fortzog in eine vornehmere Straße. Aber von da an klaffte eine Kluft vor den Erinnerungen. Es war, als wäre von nun an August nicht mehr dabei gewesen. Nur die Kinder waren da. Die Kinder.

Darum kehrten hier die Erinnerungen jedesmal wieder um. Man pflasterte die Straße vor der Haustür. Die schweren Schläge brachten sie zurück bis in die Schmiede.

So gingen die Stunden.

Eines Morgens, draußen vor den Fenstern lag Sonnenschein, schlug Bomberling die Augen auf und sagte mit schwerer Zunge:

»Mäuschen?«

Dann war er wieder eingeschlafen. Aber sein Atem ging ruhiger.

Nicht lange darauf pochte Paul leise an die Tür des stillen Zimmers. Er bat Frau Bomberling um eine kurze Unterredung.

Es wäre da einiges zu unterschreiben.

Um den großen Eßtisch zwischen Babette und Hermann nahm sie Platz. Paul ging erregt auf und ab. Die ganze übrige Wohnung schien erstorben zu sein.

Frau Bomberling lächelte.

»Er hat die Augen aufgemacht und mich erkannt,« sagte sie. Ihr Lächeln vertiefte sich, die Kinder weinten.

»Die Sache ist nämlich die,« begann Paul. – »Die Fabrik ist geschlossen. Es kann möglich sein, daß – daß – sehr viel Geld verloren wird. – Daß eure Verhältnisse eine – einschneidende Veränderung erfahren, liebste Tante.«

»Wie lange ich seine Augen nicht gesehen hatte. Sie waren eigentlich gar nicht verändert,« sagte Frau Anna, immer das gleiche Lächeln um den Mund.

Dann sah sie auf. Sie fühlte, daß man hier eine Antwort von ihr erwarte. Sie sagte:

»Macht nur alles, wie ihr es für richtig haltet. Ihr seid ja klug und gebildet. Wenn Papa erst gesund ist, wird er schon wieder alles in Ordnung bringen . . .«

Sie erhob sich.

»Vielleicht wacht er bald wieder auf. Da muß ich da sein.«

Auf Zehenspitzen ging sie hinaus. Lächelnd.

»Sie sieht uns gar nicht mehr an,« schluchzte Babette und warf sich über den Tisch.

»Wir verstehen wohl nicht, was es bedeutet, Mann und Frau zu sein,« sagte Paul langsam und sah fest auf Babette.

Da schlich sich Hermann leise hinaus und ließ die beiden allein.

as Leben eilt vorwärts und wartet nicht. Wir müssen uns selbst bemühen, wenn wir noch eine Weile mitkommen wollen.

Bomberling hatte begriffen, daß Anna neben seinem Bett saß. Mit allen Kräften versuchte er, wieder ins Dasein zurückzukehren.

Täglich tappte er der Gesundheit ein wenig näher.

Er saß aufrecht im Bett, im Sessel neben ihm saß Anna. Auf einem Nachttisch stand die esquilinische Venus neben der römischen Wölfin.

Eines Morgens lag ein Brief dazwischen. Es waren einige Zeilen von Hermann. Er sagte dem Vater, daß er sich keine Sorge um ihn machen solle, er werde auf das Studium verzichten. Der Vater solle nichts weiter tun als gesund werden.

Diesen ganzen Tag zeigte er sich nicht am Krankenbett.

Bomberling hätte ihm gern gesagt, daß er es gar nicht gewußt habe, daß sich sein großer studierter Junge noch etwas aus ihm mache.

Aber nun versuchte er, mit den ersten unsicheren Schritten das Leben wieder einzuholen. Seine alte Energie half ihm dabei. Nicht lange und er konnte schon bis zum Balkon schlürfen. Zwischen den Pelargonien und dem Vogelbauer saß er, starrte in den blauen Himmel oder sah auf Anna, die nähte.

Es war Mai. Napoleon schmetterte seine Lieder, wie wenn er sich auf einem Fliederbaum schaukelte.

Auch Frau Bomberling war wieder zum Leben erwacht.

»Ich wundere mich, daß sich der junge Herr Kippenbach nicht nach deinem Befinden erkundigt,« sagte sie.

»Nur nicht denken,« antwortete Bomberling und schloß die Augen. Er schien zu schlummern. In Wirklichkeit aber rechnete er heimlich. Seit Tagen war er schon wieder bei dieser Arbeit. Er wußte, daß Paul bemüht war, die Firma zu retten. Er suchte eine Aktiengesellschaft zu gründen. Eine unbekannte Macht schien in dem Jungen Riesenkräfte wachgerufen zu haben . . .

Eines Tages, als Frau Bomberling ausgegangen war, um die ersten Erdbeeren für ihren August zu erstehen, war er bei ihrer Rückkehr verschwunden. Ehe sie noch begreifen konnte, was geschehen war, klingelte das Telephon und Bomberlings ruhige Stimme sagte:

»Sei unbesorgt, Mäuschen, ich bin in der Fabrik und arbeite mit Paul.«

»Was bist du für ein Mann,« rief Anna zurück. Aber Bomberling war schon wieder fort.

Erregt ging Frau Anna in der großen Wohnung umher. Jede halbe Stunde fragte sie in der Fabrik an, wie es Bomberling ginge.

Babette, die Paul in allen diesen Wochen im Büro geholfen hatte, antwortete der Mutter jedesmal geduldig und zärtlich, daß sich der Vater ausgezeichnet befände.

Ihre Stimme klang so froh und jung.

Frau Bomberling seufzte. Sie ging auf den Balkon und sah zu Kippenbachs Fenster hinüber. Vielleicht konnte man mit einem freundlichen Kopfnicken die alten Beziehungen ein wenig instandsetzen.

Aber alle Jalousien waren herunter, wie wenn selbst die Fenster beleidigt wären.

Frau Bomberling seufzte aufs neue, und als sie diesmal ans Telephon ging, rief sie kurz entschlossen die Nummer der Frau Baronin Pryczsbitzky-Ratzoska.

Die Baronin meldete sich sofort und sagte, daß sie mit großem Bedauern von dem vielseitigen Unglück erfahren habe.

Frau Bomberling erwiderte, daß sich in Rom ein italienischer Conte beinahe das Leben genommen, weil ihn Babette nicht habe erhören wollen.

 

Die Frau Baronin drückte von neuem ihr Beileid aus. Echte italienische Grafen wären eine gesuchte Marke. Sonst wäre jetzt stille Zeit. Die Reisesäson habe begonnen, und da versuche jeder sein Glück auf eigne Faust.

Sie hätte nur noch den kleinen Rentier Prill auf Lager, der immer noch keine Hypothek auf sein fünfstöckiges Haus gefunden habe.

Frau Bomberling antwortete, daß sie nichts dergleichen im Sinn gehabt hätte, sondern der lieben Bekannten nur einmal guten Tag hätte sagen wollen.

Die Frau Baronin von Pryczsbitzky-Ratzoska bedankte sich für diese Aufmerksamkeit und fügte hinzu, daß sie jetzt leider auch die kleinen Konferenzen durch den Fernsprecher berechnen müsse. Sie werde sich erlauben, eine kleine Nota zu schicken.

In größter Eile hing Frau Bomberling den Hörer zurück auf seinen Nickelhaken. Da hatte sie wieder etwas verschwendet, obgleich an allen Ecken und Enden gespart werden mußte.

Sie war recht niedergedrückt, als die anderen heimkehrten.

Traurig blickte sie über Bomberling und Hermann, über Paul und Babette hinweg. Nirgends sah sie einen Schwiegersohn.

Es konnte sie auch nicht erheitern, daß Tante Helene kam, um sich nach Bomberlings Befinden zu erkundigen und zu erzählen, daß Hilde Wegner und Sebold bald Hochzeit feiern werden.

Sie sagte:

»Wenn manche manchmal wüßte, wie's manchmal kommt, würde manche manchmal weniger wählerisch sein.«

Frau Bomberling erwiderte, daß Babette unvergleichlich schöner sei als Hilde und tüchtig dazu.

Tante Helene sagte freundlich, daß man Frau Bomberlings Reden nicht übelnehmen dürfe. Auch die Eule fände ihre Jungen schön.

Und dann begann sie Paul zu loben.

Man hatte ihm den Direktorposten angeboten, wenn sich die Aktiengesellschaft verwirklichen sollte.

»Ja,« sagte sie, »wenn das mein Sohn wäre, dann würde ich stolz sein.«

Die Jahre machen vergeßlich. Tante Helene wußte nicht mehr, daß sie an dem Tage, als Paul jedem Familienmitglied als Erbe angeboten wurde, beleidigt verzichtet hatte. Sie hatte erklärt, daß sie sich testamentarisch keine Kinder verschreiben lasse. Wem Gott Nachkommen geben wolle, dem schenke er sie auf natürlichem Wege.

Sie hatte nicht Unrecht. Natur bleibt immer die größte Beglückerin.

Aber heute erinnerte sie sich an nichts mehr von alledem, und niemand half ihrem Gedächtnis nach, denn Frau Bomberling war eingeschlafen. Die kummervollen Worte hatten sie widerstandslos gemacht. Ihr Kopf war zur Seite geneigt. Die sorgfältig gebaute Frisur hatte sich verschoben. Das Licht des Kronleuchters zeigte schonungslos die Silberstreifen zwischen dem Blondhaar . . .

Einige Tage später, als sich Frau Bomberling gerade freute, daß sie beim Schlächter zehn Pfennige gespart hatte, wurde ihr ein kleiner Brief überbracht. Sie vermutete, daß es ein Wort des jungen Kippenbach war. Oder das heimliche Zeichen von irgendeinem, den Babettes Schönheit schwindlig gemacht hatte.

Aber es war die Rechnung der Frau Baronin:

Eine Unterredung am Fernsprecher – zehn Mark.

Außerdem war ein verschlossener Briefumschlag beigefügt. Darauf stand: Wichtige Winke für die Sommersäson.

Es kostete ebenfalls zehn Mark, konnte aber uneröffnet dem Überbringer zurückgegeben werden.

Frau Bomberling zögerte. Dies verschlossene Papier erregte sie. Zehn Mark waren viel Geld, erhöhten die Rechnung auf zwanzig. Aber sollte man gerade an Babette sparen? An dem guten Kinde? Das treu und eifrig von morgens bis abends half?

Hastig zahlte sie dem Boten zwanzig Mark und behielt die wichtigen Winke.

Jedoch ehe sie den Brief hatte öffnen können, wurde die Wohnungstür aufgeschlossen und Bomberling kam zurück, begleitet von Paul und Babette. Zu ganz ungewohnter Zeit: denn es war noch lange nicht Abend.

Erschreckt steckte Frau Bomberling das Papier in die Tasche.

Aber auch die Ankommenden sahen aus, als hätten sie ein Geheimnis zwischen sich.

»Erlaube, daß ich dir Herrn Direktor Paul Bomberling vorstelle,« sagte August schmunzelnd und tappte sich in einen Lehnstuhl.

Auch Anna mußte sich setzen, als sie erfuhr, daß die Fabrik weitergeführt wurde, mit Paul an der Spitze. Eine große Kunsttischlerei sollte entstehen. Das Sarglager würde nach und nach aufgegeben werden.

»Ich lauf davon,« sagte Babette, als es unangenehm still wurde im Zimmer, und rasch war sie hinaus.

Zum erstenmal seit ihrer Rückkehr hatte sie wieder Blumen im Arm. Maiglöckchen und Anemonen.

»Siehst du,« sagte Bomberling zu Anna, »nun hast du doch wenigstens einen Neffen mit einem Titel.«

Frau Bomberling blickte auf und guckte zu Paul hinüber. Er trug einen schwarzen Rock und sah feierlich verändert aus.

»Wer hätte das gedacht,« murmelte sie.

Bomberling sprach weiter.

»Das muß dich trösten, daß ich nichts weiter mehr sein werde als ein altes Stück Hausrat. Hermann wird trotzdem weiter studieren können. Nur die Babette wird uns im Wege sein und den Haushalt unnütz verteuern.«

Er blinzelte von Anna zu Paul.

Das sah Anna nicht. Ihre Augen waren dick voll Tränen.

Sie fand es schändlich von August, vor dem fein gewordenen Paul von Babette in dieser Art zu sprechen.

Feuerrot im Gesicht erklärte sie, daß sie den englischen Salon, die russischen Tassen und sonst noch allerhand verkaufen werde. Das gab eine Mitgift. Babette könne jeden Tag an jedem Finger einen Mann haben.

Auch die wichtigen Winke für die Sommersäson fielen ihr tröstend ein.

Aber auf einmal war Babette wieder im Zimmer und küßte sie ab. Paul sah noch feierlicher aus, und Bomberling schien wieder ganz rund vor Freude, und schließlich hatte sie begriffen, daß Babette längst einen Bräutigam hatte und daß es Paul war, den jeder jetzt »Herr Direktor« titulieren mußte.

Sie saß ganz stumm da, vornübergebeugt, ihre Gedanken schossen durcheinander.

Diese zwanzig Mark hätte sie sparen können, dachte sie als erstes, sogar die Reise nach Rom. Was würde Tante Helene sagen? Und die Rätin? Und richtig, im Monat Mai war Babette Braut. Und ohne Särge. Kein Fremder holte sie weg. Paul hatte sie schon als Kind treu bewacht. Und sie selbst durfte wieder alles essen? Konnte ohne Gewissensbisse das Herumkriechen aufgeben?

Immer wilder purzelte alles in ihrem Kopf zusammen. Wie heißer Kaffee durchströmte sie die Freude.

Als Bomberling fragte, ob sie sich denn nicht freue, nickte sie schwer.

Sie richtete sich erst wieder auf, als Tante Helene ins Zimmer gestürzt kam und wissen wollte, ob es wahr sei, was sie von Onkel Albert erfahren hätte.

Sie tupfte sich die Stirn und schalt auf das widerlich heiße Maiwetter.

Frau Bomberling sagte langsam:

»Siehst du, nun ist auch Paul mein Sohn. Und Babette wird eine Frau Direktor.«

Tante Helene tupfte sich weiter die Stirn und gratulierte. Und dann sagte sie, daß sie gerade in der Zeitung gelesen habe, daß keine moderne Mutter mehr Wert darauf lege, ob ihre Tochter einen Mann bekäme oder nicht. Darüber wäre man nun endlich hinaus. –

Doch das muß ein Irrtum gewesen sein. Es gibt nämlich keine modernen Mütter. Es gibt nur Mütter.