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Die Bräutigame der Babette Bomberling

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In den ersten Tagen hatte Bomberling erstaunt gefragt, ob Paul des Abends ausgebeten sei. Paul ging plötzlich nach der neuesten Mode gekleidet, Schlips und Strümpfe von demselben hellen Lila, und eine Weste, stutzerhaft wie die des Herrn Kippenbach. Aber eingeladen war er nirgends.

So liefen Tage und Hoffnungen weiter. Man riß den Kalender ab und kümmerte sich nicht mehr darum, ob das Jahr alt oder neu sei.

Aber auf Bomberlings Gesicht schob ein nachdenklicher Gram die breite Heiterkeit mehr und mehr beiseite.

In Europa war Krieg, und wenn dieses Handwerk auch niemals der Sargfabrikation geschadet hätte, Bomberling sollte es zum Schaden gereichen. Tante Helene hatte recht. Wenn man Pech hat, konnte man sich den Finger in der Nase abbrechen. Große Forderungen blieben unbezahlt. Die Wertpapiere fielen.

Aber beinah schlimmer quälte Bomberling ein häusliches Mißgeschick, dies drohte ihn um allen Frieden zu bringen. Über die Lage Europas konnten ihn die Zeitungen aufklären. Hier aber stand er vor einem Rätsel.

Eines Morgens war er früher erwacht als gewöhnlich. Mit geschlossenen Augen überdachte er die verwickelten Angelegenheiten seiner Fabrik. Da hob Anna leise den Kopf und fragte:

»Schläfst du, August?«

Um nicht gestört zu werden, schwieg er.

Da geschah etwas Fürchterliches.

Anna schlich leise aus dem Bett heraus und begann schwerfällig und doch mit einer gewissen Übung im Zimmer herumzukriechen. Als sie wieder am Bett angelangt war, stieß sie einen kleinen Seufzer aus und legte sich wieder schlafen.

Eiskalte Nadeln strichen über Bomberlings Haut. Vergessene Märchen wurden wach. Verzauberte Kröten oder kronentragende Frösche. Er wußte nicht mehr die Zusammenhänge. Aber er empfand dasselbe Gruseln wie einst als Kind.

Am nächsten Morgen und noch an vielen andern konnte er dasselbe gräßliche Schauspiel beobachten, das nun den ganzen Tag lang seine Gedanken beschäftigte.

Am hellen Tage aber glaubt man nicht an Märchen. Bomberling sagte sich mit Entsetzen, daß Anna gemütskrank sein müsse.

Er begann über die verflossenen Wochen nachzudenken. Er erinnerte sich eines Theaterabends, wo sich Anna eingebildet hatte, daß alle jungen Männer sie ansähen. Ein irres Lächeln hatte damals beständig auf ihrem Gesicht gelegen. War dies der Anfang gewesen? Er begann Anna zu beobachten. Sie war blasser und magerer als früher. Sie aß fast gar nicht. Wenn er mit ihr ausging, sah sie sich alle jungen Männer an. Es konnte vorkommen, daß sie lebhaft aufschrie:

»Sieh nur, wie distingiert. Wer mag das sein?«

Er brachte in Erfahrung, daß am Neujahrstage ein fremder Herr mit einem Rosenstrauß bei Anna gewesen war. Sie hatte ihm nichts davon erzählt. Sie war viel liebenswürdiger zu Herrn Kippenbach, als es Babette war, und bedauerte täglich, daß sich Christian Sebold nicht wieder zeigte.

Bomberling hatte niemand, dem er sich mitteilen konnte. Zu den Kindern durfte er nicht sprechen. Zu Paul vermochte er es auch nicht. An einen Arzt dachte er nicht.

Er begann die Geschäftsfreunde ein wenig nach dem Seelenleben ihrer Frauen auszuforschen.

Was er da zu hören bekam, war oft nicht schön.

Es sollte ein Alter geben, wo die Herzen der Frauen wieder mehr als jung wurden. Wo die Frauen aller Torheiten fähig waren. Diese zweite Jugend fiel gewöhnlich in das Alter, wo die ersten grauen Haare ausgerupft wurden. In die Zeit, wo man zu Wohlstand gekommen ist, die Kinder ihre eigenen Wege gehen und die Dienstboten den Haushalt besorgen. Die Langeweile war das Unglück.

So erklärte ein reichgewordener Holzhändler sich und Bomberling diese physischen Rätsel.

»Das Beste für den Mann ist, wenn sie dann sportwütig werden,« fügte er hinzu. »Die meine läuft den ganzen Tag auf unserer Terrasse Rollschuh. Das ist noch nicht das Schlimmste.«

»Nein, das ist noch nicht das Schlimmste,« sagte Bomberling und starrte weit über den breiten Mann hinweg.

Ein anderer sagte:

»Alles geht vorüber. Wenn sie Großmütter werden, wird alles wieder gut.«

Da ersehnte auch Bomberling Babettes Verheiratung. Wenigstens mit einer Seite seines beunruhigten Herzens. Die andere wünschte, die Tochter niemals fortgeben zu müssen.

So kam er in eine schwierige Lage, als sich eines Vormittags ein älterer Herr bei ihm melden ließ, sich als Kippenbach senior vorstellte und nach einigen einleitenden Worten für seinen Sohn Wilhelm um Babettes Hand bat.

Herr Kippenbach war überzeugt davon, daß die Kinder zusammen paßten. Obwohl er zugeben mußte, daß der Umsatz seiner Fabrik ein wenig hinter dem des Bomberlingschen Unternehmens zurückstand. Er erläuterte bedauernd, daß auf jeden in der Welt zwar ein Sarg käme, aber noch kein selbsttätiges Klavier.

Doch, was nicht ist, kann noch werden. Immerhin, die jungen Herrschaften Kippenbach würden zu leben haben. Und er nannte die Summe, die er sich als Mitgift des Fräulein Bomberling gedacht hatte.

Es war eine hübsche vielstellige Zahl mit sehr viel Nullen. So eine, die man als Hauptgewinn dick und schwarz auf den Losen tanzen sieht.

Zwei scharfe Augenpaare prüften sich. Zwei schlaue Geschäftsgesichter lächelten sich an.

»Wir müssen meine Tochter fragen. Und meine Frau,« antwortete Bomberling ruhig.

»Gewiß, gewiß,« beeilte sich der andre zu sagen. Er hatte seinem Gegenüber nicht das geringste Staunen ansehen können, als er die erhebliche Summe vorschlug. Die Fabrik mußte noch besser stehen, als er schon durch die geheime Auskunft erfahren hatte. Er war zufrieden und imponiert. –

Als Anna diese große Mitteilung erfuhr, war sie zuerst erfreut. Dann wurde sie nachdenklich. Und dann betrübt. Ihre Wünsche waren überholt worden. Die Wirklichkeit war zu plötzlich.

Nun sollte es entschieden sein, daß es kein Adliger war? Jetzt, wo sie schon zehn Pfund weniger wog.

Es sollte Tatsache werden, daß Babette nicht mehr bei ihr und August daheim war? Babette Kippenbach?

Frau Anna begann zu weinen. Und schob alle Entscheidung Bomberling zu.

Bomberling aber sagte, daß niemand zu bestimmen habe als Babette.

Die Siebzehnjährige saß in ihrem Zimmer, über Hefte und Bücher gebeugt. Auf der Mitte des Tisches stand eine gläserne Schale mit Schneeglöckchen.

Die Bücher, die vor Babette lagen, hatte Paul auf der Handelsschule benutzt. Auf manchem Blatt waren kleine Zeichnungen am Rand. Nachdenken oder Zerstreutheit mochten damals Pauls Hand geführt haben. Sie machten Babette großen Spaß. Auf einer Seite war eine kleine Puppe, die aus einer Flasche sog. Paul hatte gesagt, daß diese sie selbst vorstellen sollte. So klein war sie gewesen, als er aus diesen Büchern las.

Babette lernte und rechnete fleißig. Sie wollte von Paul gelobt werden. An jedem Nachmittag rühmte er aufs neue ihre rasche Auffassungsgabe, wogegen sie sein weites und klares Wissen sehr bewunderte. Sie waren durchaus miteinander zufrieden.

Erstaunt blickte Babette auf, als Vater und Mutter zusammen zu ihr hineinkamen. Als sie ihre ernsten Gesichter sah, erschrak sie.

Nun hatten sie gewiß ihr Erlebnis mit Fritz Wegner erfahren. Dieser Zwischenfall ihres Lebens peinigte ihr Gewissen unaufhörlich.

»Seid mir nicht böse,« sagte sie und stand auf.

»Wir sind dir doch nicht böse.« Frau Anna schluchzte auf und umschlang Babette.

Bomberling aber kehrte um, eilig, wie auf der Flucht vor einer Springflut, drehte er allen Tränen den Rücken und lief hinaus.

Mit großen Schritten wanderte er auf und ab. Von Napoleon bis zur Uhr, von der Uhr bis zu Napoleon, ohne im geringsten auf das appetitliche Bild zu achten, das zwischen ihnen hing.

Seine Gedanken erhitzten ihn. Gern wäre er in Hemdärmeln umhergelaufen.

Eine Wut gegen das Vornehmtun überfiel ihn. Ein Vermögen verlangte dieser Klimperkastenfabrikant als Zugabe, daß er ihm sein Kind aus dem Hause stehlen durfte. Aber die Särge, die es brachte, blieben eine Schande. Als er noch mit seinesgleichen verkehrte, hatte er sich vor keinem zu verstecken brauchen. Einfache Menschen wissen: wer lebt, muß sterben. Wer stirbt, braucht einen Sarg; denn wer kauft, muß zahlen. Aber die seinen Leute möchten das Leben ohne den Tod. Sie lieben den Kredit.

Und nun sprangen Bomberlings Gedanken zu seinen Geldverlusten.

Er siedete jetzt. Er riß den Stehkragen ab. Wenn sich auch Anna darüber entsetzen würde. Er war hier Herr im Hause.

Trotzdem griff er rasch wieder nach dem fortgeschleuderten Kragen, als jetzt Anna hereinkam, gefolgt von Babette.

Doch sie bemerkte gar nicht, wie unordentlich er aussah.

Sie hatte erfahren, daß Babette niemals heiraten würde, daß sie für die nächsten Jahre nichts weiter im Sinn hatte, als bei Paul zu lernen.

Als sie verlegen an Babettes Liebe für kleine Kinder erinnert hatte, hatte sie den Plan des Waisenhauses zu hören bekommen. Sie war entsetzt. Erschöpft und mutlos.

Nun erfuhr Bomberling alles. Er hörte vor allem heraus, daß dies ein Aufschub sei. Das Mädchen blieb ihm und die Sorge um die Mitgift war auch hinausgeschoben. Die Hoffnung war wieder da.

Er lächelte und gab Babette einen Kuß.

Babette wiederholte:

»Seid mir nicht böse.« Dann ging sie eilig zurück zu Pauls Büchern.

An diesem Abend kam der junge Herr Kippenbach nicht . . .

Aber am andern Morgen saß der alte Herr Kippenbach wieder vor Bomberling.

Jede Tat läßt sich verschieden auslegen. Er sah in Babettes klarer Abweisung den Beweis dafür, daß Babette maßlos verliebt in seinen Sohn war.

»Sie ist ein Trotzköpfchen. Sie will es nicht eingestehen,« sagte er.

Und dann legte er eine Abschrift seines Hauptbuches vor und zeigte aufs neue, wie gut die Kinder zueinander paßten.

Er machte den Vorschlag, daß Bomberling die Kleine ein wenig auf Reisen schicken solle. Man täte das gern in solchem Falle. Reisen lehrt am besten, wohin man gehört.

 

Bomberling versprach nichts. Aber die Worte wirkten weiter.

Nicht, daß er dem Klavierfabrikanten einen Gefallen zu erweisen dachte. Er fürchtete nicht, daß Babette auf einer schönen Reise plötzlich Frau Kippenbach zu werden wünschte.

Aber auf Annas Gemüt konnte eine Reise heilsam wirken. Verordneten die Ärzte doch immer dergleichen.

Die Luft daheim war voll lauernder Unruhe.

Täglich wollte er es Anna sagen, daß man sich ein wenig einschränken sollte, um für ein Auto zu sparen. Diesen Vorwand hatte er unter langem Grübeln herausgefunden. Aber er war besorgt, daß er bei dem Hin und Wider der Rede die Wahrheit verraten würde. Unaufrichtigkeit gegen Anna war nicht seine Gewohnheit.

Nun wollte er mit allen ernsten Unterredungen warten, bis Anna wieder gesund war. Eine Reise konnte gut sein und gab ein Stück Vorsprung.

So kam es, daß, als Babette eines Mittags, nicht ohne Erregung, erzählte, daß Hilde Wegner als Begleiterin ihrer Tante nach Rom reisen wollte, Bomberling sie fragte, ob sie auch eine solche Reise machen möchte, zusammen mit der Mama.

Frau Bomberling erinnerte sich sofort an die Worte der Baronin. An alle Glücksmöglichkeiten des internationalen Lebens. Ihre Augen begannen zu glänzen.

Babette sprach erregt von Nero, von der Peterskirche und den Katakomben. Dann fiel ihr ein, daß dort im Frühling alle Blumen auf einmal blühten. Veilchen und Maiglöckchen, Flieder und Rosen. Und jetzt wurde es dort Frühling.

Sie schwatzte erregt.

Ein Wunsch nach Ausruhen kam bei ihren Worten über Bomberling. Nach Rechnungslosigkeit. Seine Augen sahen weit ins Leere.

Dann kehrten die Blicke zurück zu den beiden blonden Frauenköpfen. Frau Anna sprach schon von einem entzückenden Reisekostüm.

So wurde die Reise eine beschlossene Sache.

Den Unterricht bei Paul gedachte Babette brieflich fortzusetzen.

Die Vorfreude an der Reise aber wurde Mutter und Tochter ein wenig geschmälert.

Frau Bomberling hatte noch nie die Grenzen des deutschen Reiches überschritten. Ihr bangte davor.

Tante Helene, die eine solche Reise für ihr Leben gern einmal gemacht hätte, schürte alle Befürchtungen. Sie war der Ansicht, daß man nur im Vaterlande sicher sei. Sie erzählte von Leichen in Koffern. Von abgeschnittenen Händen im Gepäcknetz. Von zugedrückten Gurgeln in langen Tunneln.

Frau Bomberling wußte plötzlich nicht mehr, warum sie ihr friedliches Heim, mit den Sicherheitsketten an beiden Türen, verlassen wollte. Bis ihr wieder die internationalen Bekanntschaften einfielen. Russische Fürsten und englische Lords. Tante Helene würde einen schönen Knicks machen müssen, wenn Babette als Braut eines Fürsten zurückkehrte.

Lächelnd unterbrach Frau Bomberling daher die grausigen Schilderungen ihrer Schwägerin und sagte:

»Aber ein herrlicher Frühling ist dort unten. Das wird niemand leugnen können.«

Tante Helene stieß mit ihren spitzen Schultern zwei Löcher in die Luft und antwortete, daß sie dies viele Getu mit dem Frühling lächerlich finde. In fünf Monaten sei doch wieder Winter.

Aber ganz und gar konnte sie Frau Bomberling die Reise doch nicht verleiden. Dazu waren die Reisekleider für Frau Anna und Babette zu wohl und kleidsam geraten.

Babettes Freude auf die Reise aber hemmte Paul.

Er hatte erklärt, daß ein brieflicher Unterricht nicht möglich sei. Außerdem wollte er nicht mehr glauben, daß Babette niemals heiraten würde. Auf der Reise würde sie sich verlieben. In den ersten besten.

Dieses Mißtrauen beleidigte Babette aufs höchste. Sie wandte Paul den Rücken und kam in den letzten Tagen vor der Abreise nicht mehr zum Unterricht.

Paul schien sie nicht zu vermissen.

Aber als man auf dem Bahnhof war und der Zug jeden Augenblick abfahren konnte, stand Paul plötzlich zwischen Bomberling und Hermann vor der noch geöffneten Wagentür.

Er brachte einen Strauß Rosen für Frau Anna und ein kleines Bündel Vergißmeinnicht für Babette.

»Ich wollte nicht unhöflich gegen deine Mutter sein,« sagte Paul, als er Babette die Blumen gab.

»Mama scheint dich gar nicht vermißt zu haben,« antwortete Babette und warf die Blumen zu dem andern Gepäck.

Die Lokomotive pfiff.

Bomberling sagte zu Babette:

»Paß gut auf Mama auf.«

Das war ein Scherz, über den alle rasch lachten.

»Amüsiert euch,« rief Hermann laut.

»Auf Wiedersehen,« sagte Paul leise, aber Babette beugte sich vor, um den Vater anzulächeln.

Die Räder begannen sich zu drehen. Ein starres Lächeln kam auf die Gesichter. Immer rascher rutschte der Bahnhof an dem Zuge vorbei und fort . . .

Als draußen kahle Wiesen vorüberflogen, suchte Babette nach dem Bündelchen Vergißmeinnicht, sie richtete die gebeugten Blüten behutsam auf und steckte sie in den Ausschnitt ihres Kleides.

Frau Anna lehnte sich zurück und musterte ihr Handgepäck. Es sah vornehm aus. Zwischen den neuen Ledertaschen schien der Korb zu schweben, den Babette dem jungen Herrn Kippenbach gegeben hatte. Ihr Stolz verstärkte sich.

Sie horchte, ob die beiden Damen, mit denen sie das Kupee teilten, etwas über Babettes Schönheit bemerkten. Erfreut stellte sie fest, daß sie nichts von ihren Worten verstand. Es waren Ausländerinnen. Man merkte, daß man ins internationale Leben fuhr. Befriedigt lehnte sie sich noch weiter zurück. Lächelnd blickte sie in die Welt hinaus, die draußen vorübertanzte.

Mit den Rädern rollten die Stunden. Es begann zu dunkeln. Man fuhr schon quer durch die schwarze Nacht. Nur selten blitzte ein Bündel Lichter auf. Dann sah man Häuser neben Häusern stehen. Und, wo die Fenster erleuchtet waren, Bett neben Bett. Die Welt war überall gleich.

Frau Anna wurde schläfrig, sie war zufrieden, daß man endlich die Stadt erreichte, wo man den Schlafwagen anhängte. Als sie sich auf dem schmalen, zitternden Bett ausstreckte, erinnerte sie sich, daß Bomberling jetzt allein in dem großen Eßzimmer saß. In dem friedlichen, unbeweglichen Raum. Zugleich sah sie durch einen Spalt der Gardine, daß die Lichter des jagenden Zuges über schroffe Berghänge zuckten. Sie schauerte zusammen. Eigentlich war es nicht zu begreifen, warum Babette den liebenswürdigen Herrn Kippenbach abgewiesen hatte. Wie gemütlich könnte man jetzt beieinander sitzen.

»Schläfst du, Babette?« fragte sie.

In dem oberen Bett rührte sich nichts.

»Kinderschlaf,« murmelte Frau Anna lächelnd.

Die Räder surrten ein Schlaflied. Sie schlummerte ein.

Kaum, daß ihr regelmäßiger Atem dies verriet, regte es sich über ihr. Babette setzte sich auf, zog leise die Gardine fort und starrte in die Nacht hinaus.

Eine matte Mondhelle zeigte den Weg. Gießbäche tobten schäumend nieder. Schwarze Tannen ächzten. Das Dach einer Hütte, im Fluge wieder verschwunden, verriet, daß sich auch hier Menschen vor der Nacht verkrochen. Auf hellen Bergzacken glitzerten Eiskronen. Weite Wiesen schliefen furchtlos mit ihren Blumen unter den Sternen.

Aus Babettes Augen tropften Tränen.

Weiter rannte der Zug durch die Nacht. Dem südlichen Morgen zu. Aber als die Sonne heraufzog, war auch Babette eingeschlafen.

Weder Mutter noch Tochter spürten, daß die fleißigen Räder stillstanden. Daß man vor den verhangenen Türe nicht mehr die Sprache sprach, mit der sich Bomberlings verständlich machten.

Sie hörten nicht einmal, daß es klopfte.

Langsam drehte sich ein Schlüssel im Schloß.

Die Tür wurde geöffnet.

Frau Anna erwachte und schrie gellend:

»Hilfe, Mörder, Hilfe!«

Tante Helene fiel ihr ein und alle Leichen im Koffer.

Der Mann, der mit dem Schaffner hereinkam, lächelte, sagte einige freundliche Worte und zeichnete auf jede Handtasche ein Kreuz aus Kreide. So wie es der Hirt in Frau Bomberlings Heimatsdorf mit den Schafen tat, die geschlachtet werden sollten. Dann war der Mann verschwunden. Der Zug begann weiterzurollen. Frau Bomberling war über der Grenze.

Babette hatte ruhig weitergeschlafen.

»Es war ganz einfach,« erzählte ihr Frau Bomberling, als sie im Speisewagen eine Tasse kräftigenden Kaffee getrunken hatte. »Aber es ist gut, daß es vorbei ist.«

Vor den breiten Fenstern lagen sanfte Wiesen. Frühlingsblumen saugten Sonnenschein.

»Der Himmel ist viel blauer als Pauls Vergißmeinnicht,« sagte Babette und warf die welken Blumen zum Fenster hinaus . . .

Auf einem der lebhaften Bahnhöfe stieg ein Herr ins Kupee, gerade als die Räder wieder an die Arbeit gingen. Er stolperte, trat auf Frau Annas neue Stiefel und fiel über ihre Knie hinweg auf den Nebensitz. Hier zog er den Hut und murmelte Conte Spina-Spontelli.

Aber Bekanntschaften, die uns zu leicht gemacht werden, schätzt man nicht. Frau Anna würdigte den Fremden keines Blickes, sah streng auf ihren Stiefel, der quer über der Nase eine Schramme erhalten hatte, um die ihn Hermann und jeder andere Student beneidet hätte.

Erst kurz vor Rom erinnerte sie sich, daß der Fremde das Wort Conte gemurmelt hatte. Im Flüsterton fragte sie Babette, ob nicht Conte auf deutsch Graf bedeute. Diese nickte.

Nun sah Frau Anna vorsichtig zu dem Fremden hinüber.

Er lächelte sofort. Liebenswürdig fragte er etwas in französischer Sprache.

Da Babette nichts zu hören schien, sagte Frau Bomberling, mit dem Finger auf ihre Brust deutend:

»Nur Deutsch.«

Der Herr fragte nun in deutscher Sprache, ob die blonden Damen Schwestern wären.

Frau Anna fühlte, daß dies ein Mann von echtem Adel war. Errötend erklärte sie ihm, daß Babette ihre Tochter sei.

Diese las Mommsens Römische Geschichte. Sie sah nicht auf. Sie wollte Paul von Anfang an beweisen, daß die Frauen von heute Wort hielten.

Als Frau Anna erzählt hatte, wo sie Wohnung nehmen werde, zeigte es sich, daß der Conte dieselbe Pension als Ziel hatte.

Frau Bomberling lächelte erfreut. Wie leicht man auf einer Fernfahrt in feine Kreise kam. Hier gab es keine Unterschiede des Standes. Hier galten Billette. Erster, zweiter oder dritter Klasse.

Bomberlings aber reisten erster.

So kam es, daß Frau Bomberling, einen echten Conte mit Doppelnamen an der Seite, in Rom einfuhr.

Babette fühlte nur das schwere, heiße Gold der Sonnenstrahlen. Blütenduft und Brunnenrauschen, Glockengeläut und die erregende Melodie der fremden Sprache drangen auf sie ein. Ihre blanken Augen hingen an dem tiefblauen Himmelsstreifen, der die Dächer zusammenband.

Frau Bomberling blickte sich neugierig um.

»Da haben sie gleich am Bahnhof eine Ruine aufgebaut,« sagte sie und zeigte mit dem Schirm auf die gewaltigen Thermenmauern, hinter denen sich der Kaiser Diokletian vor siebzehn Jahrhunderten dem Wohlgefühl des Bades hingegeben hatte.

Conte Spina-Spontelli lächelte und sagte, daß diese Ruinen nicht von gestern wären.

Frau Bomberling warf den Kopf zurück und erwiderte, daß sie das niemals angenommen hätte. Sie wisse sehr wohl, daß Rom die ewige Fremdenstadt sei . . .

Frau Bomberling befand sich auf fremdem Boden. Das spürte sie deutlicher von Stunde zu Stunde.

Nicht nur, wenn sie mit den ordnungsliebenden Augen der Hausfrau auf das Durcheinander des Forum Romanum starrte, oder im Kolosseum erfuhr, daß man hier Spaß daran gefunden hatte, lebendige Menschen vor hungrige Löwen zu werfen. Nicht wie heutzutage auf dem Film, sondern in wirklicher Wirklichkeit.

Mehr als bei all diesen Sonderlichkeiten merkte sie es bei den Mahlzeiten, daß sie weit fort von ihrem Bomberling war. Trotzdem man hier Deutsch sprach.

Seit über zwanzig Jahren war sie gewohnt gewesen, bei Tisch zu schwatzen, was ihr in den Sinn kam, und Bomberling hatte schön gefunden, was seine Anna erzählte.

Hier wagte sie nicht mehr den Mund zu öffnen. Was sie sagte, schien falsch zu sein.

Babettens Platz war am anderen Ende des Tisches. Neben Hilde Wegner, durch die sie in diese feine Pension gekommen waren.

Frau Bomberling aber gegenüber saß Hildes Tante. Die vornehme Frau Rittergutsbesitzer, mit der man sich durch ein schwarzes Hörrohr verständigte. Und rings um sie herum plauderten andere Leute von Rang und Titel. Mit spitzen Mündern, die alles wußten, die auch im Traum kein Fremdwort mehr verwechseln würden.

Die Frau Rittergutsbesitzer redete von den regierenden Fürsten wie von Blutsverwandten.

»Hoffentlich erholt sich Wilhelm auf seiner Nordlandsreise,« sagte sie.

Und meinte damit den deutschen Kaiser.

Wenn Lachs gereicht wurde, seufzte sie:

»Das war einmal Eduards Lieblingsspeise.«

Und meinte damit den verstorbenen König von England.

Als sich aber auch Frau Bomberling weltgewandt zeigen wollte und durch das Hörrohr mitteilte, daß Augusta in ein Stahlbad reisen werde, wies die Gnädige das Hörrohr entrüstet zurück vom tauben Ohr und rief:

 

»Sie wollen wohl sagen: Ihre Majestät, die deutsche Kaiserin.«

Eines schickt sich nicht für alle.

Aber was waren die vielen regierenden Fürsten von Hildes Tante gegen all die römischen Kaiser, von denen die anderen Tischgenossen sprachen. Vertraut und geläufig wie von Vereinsbrüdern

Frau Bomberling fühlte, daß sie diese vielen Namen niemals auseinanderhalten würde. Und wenn sie auch nie wieder in ihr feines, sauberes Heim zurückkehren durfte. Selbst auf den Gipsbüsten, die hier alle aus echtem Marmor waren, konnte sie diese Kaiser nicht unterscheiden. Alle hatten dieselben wulstigen Lippen und geringelten Haare.

Nur ein Name war ihr geläufig. Das war Nero. Denn so hatte des Nachtwächters Hund in ihrem und Bomberlings Heimatsdorf geheißen.

Mit Freude hatte sie heute eine Kinderbüste dieses Nero betrachtet. Er lächelte. Ganz, wie es Hermann als Fünfjähriger getan, wenn man ihm ein Äpfelchen zeigte.

Daher glaubte sie ein Wörtchen mitsprechen zu können, als man sich bei der Nachspeise fürchterliche Greueltaten dieses Nero erzählte.

»Wie dem auch sei,« schaltete sie ein, »er muß ein reizendes Kind gewesen sein.«

Aber auch nach dieser Einwendung zeigte sich auf den fremden Gesichtern das Lächeln, das jetzt jede ihrer Bemerkungen hervorbrachte. Seit sie gedacht hatte, daß das Kolosseum ein antiker Kinematograph gewesen sei.

Alles zu sehen war schwer, aber alles sich zu merken war noch schwieriger.

Eine furchtbare Anstrengung war diese Reise. Von morgens bis abends lief man in kleinen Trupps umher, um immer wieder andere zerbrochene Figuren anzustaunen. Selbst die wenigen jungen Herren, die dabei waren, hatten nur Augen für dieses Gerümpel statt für Babette, die mit jedem Tage schöner wurde. Ohne daß es Sinn hatte: denn auch der Conte zeigte sich nur bei den Mahlzeiten. Er sagte, daß er Rom kenne wie seine eigene Tasche. Er hätte auch sagen können, so gut wie die Taschen anderer. Aber das sollte Frau Bomberling erst später erfahren.

Es war begreiflich, daß Frau Bomberling bei diesem steten Umherlaufen unter der heißen Sonne mit immer größerer Milde an Babettes abgewiesenen Freier, den jungen Herrn Kippenbach, und seine Klavierfabrik dachte. War nicht Musik die Quelle aller Freuden?

Sie standen vor dem Apollo von Belvedere, den die Frau Rittergutsbesitzer als Urbild männlicher Schönheit pries.

Der Genuß an einem Bilde ist verschieden.

Frau Bomberling sagte: »Ich weiß nicht, der junge Herr Kippenbach gefällt mir besser. Wir könnten ihm wenigstens eine Ansichtspostkarte schicken.«

Sie steuerte das Lorgnon nach rechts und suchte Babette. Aber diese stand gar nicht neben ihr, sondern ein Stück davon, ganz im Anschauen versunken . . .

Aber es gab auch Marmorbilder, die auf Frau Bomberling tiefen Eindruck machten.

In einer Nische der Peterskirche sah sie sich plötzlich einer Maria gegenüber, die den toten Christus auf den Knien hielt. Sie starrte lange auf Mutter und Sohn. Sie mußte an den Neujahrsmorgen denken, an dem Hermann nicht heimgekommen war. Heiße Tränen rannen aus ihren Augen.

Obwohl sie nicht wußte, daß es ein Meisterwerk Michelangelos war. –

Vor der Gruppe des Laokoon packte sie banges Grausen. Der bärtige Mann, der sich vergebens bemühte, den gräßlichen Schlangen zu entrinnen, hatte Ähnlichkeit mit Bomberling. Voll Angst und Schrecken starrte sie auf die Gruppe, während die Frau Rittergutsbesitzer ihr leise zuflüsterte, daß dies etwas ganz besonders Schönes wäre.

Als sie wieder in ihrem Zimmer war, heiß und erschöpft, las sie in dem Reiseführer nach, was über diesen Schlangenmann erklärt war.

Einer von den vielen Göttern, die es früher gegeben haben sollte, hatte ihm und seinen jungen Söhnen diese Schlangen auf den Hals geschickt. Aus reiner Rache.

Sie bangte sich nach Bomberling, der so allein war.

Und als sie sich zur Mittagsruhe ausstreckte, war es ihr eine rechte Beruhigung, daß man heutigentags nur einen Gott hatte.

Und Schlangen nur in den fernsten wilden Ländern.

Wenn die Mutter schlummerte, schrieb Babette ihre Reiseeindrücke nieder. Und zwar für Paul. Mit einigen Ansichtskarten war man einander wieder näher gekommen. Man wechselte jetzt täglich einen Brief.

Paul wußte unter den Denkmälern der Kunst Bescheid, wie wenn er in Rom geboren wäre. Seine Briefe waren ausführliche Wegweiser. Babette fühlte aus ihnen die Sehnsucht heraus, die ihr Freund nach dieser Stadt der Wunder hatte. Daher kam es, daß sie bei allem Schönen, das sie sah, an Paul denken mußte.

Nach dem Besuch der Sixtinischen Kapelle hatte sie ihn gefragt, ob er etwas über Michelangelos Mutter wisse? Es müsse ein unermeßliches Glück sein, einen solchen Mann der Welt geschenkt zu haben. Aber dazu müsse man wohl selbst erst etwas Bedeutendes werden.

Heute hatte Paul geantwortet. Er glaubte, daß ganz einfache Menschen bedeutende Kinder haben können. Wenn nur ihre heimlichen Wünsche nicht niedrig, sondern groß und herrlich wären. Denn Kinder seien die lebendig gewordene Sehnsucht der Eltern.

Er für seinen Teil könnte es sich zum Beispiel denken, daß sein Sohn die große Gabe des künstlerischen Könnens, um die er selbst vergebens gefleht hätte, schon fix und fertig mitbringen könnte auf diese Welt.

Und dann entschuldigte er sich, daß er so ausführlich geworden sei über ein Thema, das Babette, die niemals heiraten würde, nur rein theoretisch interessieren könne.

Babette aber hatte diesen Brief mehrmals gelesen. Er hatte ihre heiter angeregten Gedanken ganz in Unordnung gebracht.

Daß Paul für seine Person an Liebe und Ehe und gar Kinder denken konnte, war ihr nie in den Sinn gekommen. Sie hatte ihn dazu für viel zu feinfühlig gehalten.

Jetzt argwöhnte sie, daß er heimlich verlobt sei.

Sie holte seine früheren Briefe hervor und setzte sich damit an das Fenster, das ihr einen breiten Blick auf die ernste Campagna gab.

Richtig. In jedem Brief fand sich eine Bemerkung über Liebe und Zusammengehörigkeit. Es war klar. Er liebte jemanden.

Babette sah ein, daß es ihre Freundespflicht erfordere, Paul auf die Gefahren einer Ehe aufmerksam zu machen und ihn zu verhindern, ein simpler Familienpapa zu werden. Dazu war er zu schade.

Ein ehrlicher Ärger über die Heiratslustigkeit der jungen Mädchen stieg in ihr auf.

Sie verschob einstweilen die Beantwortung dieses wichtigen Briefes. Statt dessen schrieb sie in ihr Tagebuch mit kräftigen Buchstaben:

»Das Los der Einsamkeit ist mir bestimmt.«

Als sie den schön klingenden Satz noch einmal überlesen wollte, klopfte es an die Tür.

Das Zimmermädchen meldete, daß ein Bekannter der Damen Bomberling angekommen sei.

Neugierig betrat Babette das Empfangszimmer der Pension. Da stand Christian Sebold in seiner schönsten bunten Weste und packte ihre kleine Hand zu freudiger Begrüßung.

Durch Tante Helene hatte Christian Sebold erfahren, daß Babette einen Korb ausgeteilt hatte. Also war ihr Herz nicht mehr frei. Tante Helene hatte dies sehr verwundert, denn Babette kannte außer jenem jungen Mann niemanden anders als Herrn Sebold.

Christian hatte seinen dicken Schnurrbart hochgebürstet und sich gesagt, zwischen Bologna und Neapel, zwischen der Mortadella und der Salamiwurst liegt Rom. Er hatte eine kleine Geschäftsreise unternommen. Nun war er da.

Frau Bomberling wurde geweckt. Sie war sehr gerührt, als sie hier in der Fremde jemanden sah, der Bomberling kannte und Tante Helene und ihr ganzes feines Zuhaus.

Voll Herzlichkeit drückte sie Sebolds gewaltige Hände. Am liebsten hätte sie gleich ja gesagt: denn was sonst konnte den braven jungen Menschen so weit in die Ferne geführt haben.

Sebold gedachte drei Tage in Rom zu bleiben. Er wußte genau, was er sich ansehen wollte.

Erstens die Büffelhorden in der Campagna. Zweitens die schauerlichen Christengräber unter der Erde. Drittens ein richtiges italienisches Varietee.

Gleich jetzt am Nachmittag wollte er einige der Katakomben sehen. Möglichst solche, wo es auch noch Skelette gab.

Als er beim Tee die Bekanntschaft mit Hilde Wegner erneuerte und ihrer Tante, der Frau Rittergutsbesitzer, vorgestellt wurde, forderte er auch diese beiden Damen auf, an der Spazierfahrt teilzunehmen.

Als man die Via appia zurückfuhr, sagte die Frau Rittergutsbesitzer traurig: