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Die Bräutigame der Babette Bomberling

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Anna sah nur, daß Helene lachte, und so lächelte sie höflich zurück.

Auf diese Weise plauderten sie, bis sie am Ziel waren.

Im Warenhaus war ein ungeheures Gedränge. Wie in einem Wurstkessel mit Dampfbetrieb. Frau Bomberling fiel es auf, wie erstaunlich viel junge und auch hübsche Mädchen es gab. Lachend trieben sie mit. Alle sollten wohl über kurz oder lang einen Mann bekommen.

Sie wandte sich zu Helene, die ihnen mit ihren spitzen und scharfen Ellenbogen eine Gasse bahnte. Sie räusperte sich und sagte:

»Wenn du es wünschst, kannst du euren neuen Bekannten natürlich zu uns bringen. Die Freunde unserer Verwandten sind auch unsere Freunde.«

Paul hatte sich gerade wieder einmal davon überzeugt, daß an Tauwetter noch nicht zu denken war.

Da stand Babette vor ihm.

Bomberling, der hinter ihr kam, sagte, während er eilig den Pelz ablegte:

»Sie will Schreibmaschine lernen. Nimm du dich ihrer an. Ich habe zu tun.«

Eine Massenbestellung war da. Ein Grubenunglück. Man war über den Preis noch nicht einig.

Bomberling saß schon vor dem Telephon.

»Wer einmal unser Kunde war, bleibt es für alle Zeit,« rief er durch das Schallrohr.

Babette zog Paul in das zweite Zimmer, wo die Schreibmaschine stand.

Paul hatte die Hand am Hals.

»Du mußt verzeihen – Babette – meine Krawatte hat – morgen wollte ich sie kassieren.«

Babette lachte.

»Wer achtet denn hier auf so etwas?« tröstete sie ihn.

Und dann sagte sie, daß sie seinetwegen gekommen sei. Mit einer großen, ernsten Bitte. Er sollte mit Papa und Mama sprechen. Ihr fehle der Mut dazu.

»Babette,« rief Paul. Es sah aus, wie wenn er nach ihr greifen wollte, aber er packte nur die nächste Stuhllehne.

»Ja,« sagte Babette. »Ich kann es zu Haus nicht mehr aushalten. Frühstück, Mittag, Abendbrot. Das ist die Abwechslung. Dienstag Fisch, Mittwoch Rostbeaf und Sonntags eine Gans. Auf Jahre hinaus weiß man's im voraus. Ich ersticke daran.«

»Und mich – wirklich mich,« sagte Paul.

»Ja, du mußt es ihnen sagen. Denn heiraten werde ich niemals. Das weiß ich nun.«

»Ach so,« sagte Paul. Er gab die Stuhllehne frei – »aber was willst du denn?«

»Arbeiten. Da es Hermann nicht tut, will ich einmal Papas Fabrik übernehmen.«

Paul lächelte. Wie sie da vor ihm stand, schlank, blond und liebreizend, sie, der weibliche Chef einer Sargfabrik, er mußte lachen.

Babette wurde dunkelrot.

Sie sagte, daß es hier nichts zu lachen gäbe.

Seit Jahrhunderten sei sie unterdrückt worden. Das sei nun vorbei.

Paul sagte, daß man ihr die Jahrhunderte nicht ansähe.

»Hat man die Frau unterdrückt,« verbesserte sich Babette, »aber das sei jetzt zu Ende.«

Und nun bekam Paul viele der Gedanken und Empfindungen des geprügelten Ökonomen zu hören.

»Ich werde einmal das Ganze hier vergrößern und verbessern. Und mein Vermögen werde ich für die Gründung eines Waisenhauses stiften.«

Kleine Kinder hatte Babette nämlich unendlich gern.

Paul lächelte weiter und sagte, daß sie ganz gewaltig vorgehe. Eins, zwei, drei, springe sie übers ganze Leben.

Babette sagte, wenn er sie heute verspotte, werde sie ihn entlassen, sobald sie ein Wort mitzureden habe. Aber wenn er ihr beistände, wollte sie ihn fürs ganze Leben engagieren.

Paul sagte, daß dies Bestechung sei. Aber er sei nur ein Mensch. Er wolle ihr helfen.

Er fragte, was sie zuerst lernen wolle.

»Alles,« sagte Babette kurz.

Paul schlug vor, mit der Buchführung und der Maschinenschrift zu beginnen.

Babette nahm das Pelzhütchen ab, strich sich eine blonde Locke aus der Stirn, die das heftige Gespräch dort hinausgetrieben hatte, und setzte sich.

Paul holte ein großes neues Kontobuch und nahm neben ihr Platz. Er begann zu erklären, daß die doppelte, italienisch genannte Buchführung die übliche sei. Debet und Kredit.

Eifrig rückte Babette an Paul heran.

Je weiter die Frauen von den Männern fortstreben, je näher kommen sie ihnen.

Eine Mutter geht von Pflicht zu Pflicht.

Frau Bomberling sagte sich, daß sie etwas tun müsse, um dünner zu werden. Noch einmal wollte sie Babettes Glück nicht aufs Spiel setzen.

Helene hatte gestern einen Arzt genannt, der die Wohlhabenden mager kurierte. Sie mußte ihn aufsuchen.

Aber am Vormittag hatte sie den Baum zu putzen. Morgen war Weihnachtsabend.

Babette half der Mutter bei dem Ausschmücken. Ihr Arbeitsfeld war der Gipfel der Tanne. Frau Bomberling wagte nicht zu klettern, Babette aber stand auf einem Stuhl, der auf den Tisch gehoben war. Sie befestigte an die Baumspitze einen großen Stern, und darunter kam ein Wachsengel, der aus einer gläsernen Trompete ›Friede auf Erden‹ blies.

Behutsam begann Babette bei dieser Beschäftigung von ihren Plänen zu reden. Von Arbeit und Selbständigkeit.

Frau Bomberling hatte den Kopf auf eine Seite geneigt und sah, ob das Flittergold gut verteilt war. Immer noch schüttete sie ein Goldpäckchen mehr auf die Zweige.

Babettes Worte nahm sie nicht schwer.

Sie wußte aus dem Wohltätigkeitskränzchen, daß jetzt alle Mädchen in Babettes Alter diese Sprache führten. Alle Damen hatten darüber geklagt.

Man muß sie nicht zum Widerspruch reizen und dafür sorgen, daß bald der Rechte kommt, hatte Frau Geheimrat gesagt.

»Paß auf, wie tüchtig ich mich erweisen werde,« sagte Babette hoch vom Baum herab und gab dem dicken Engel noch einen kleinen Schaukelschwung.

»Das wirst du alles nicht nötig haben,« sagte Frau Anna sanft und reichte Babette noch einen großen Packen Rauschgold hinauf.

»Wenn es dir Spaß macht, kannst du ja ein bißchen Buchführung bei Paul lernen. Wer weiß, wozu es gut ist,« und sie dachte, daß Babettes Hausstand einmal so groß sein würde, daß eine doppelte Buchführung dazu nötig sein könne.

Am Nachmittag rief sie durch den Fernsprecher den berühmten Arzt an.

Seine Wirtschafterin meldete sich und sagte, daß der Herr Medizinalrat nur am Vormittag zu sprechen sei.

Seine Praxis wäre so groß, daß er am Nachmittag immer einer Beerdigung beizuwohnen habe.

Frau Bomberling sagte sich für den anderen Vormittag an. Trotz des Weihnachtsabends. Sie wollte bis Neujahr schon ein wenig kuriert werden.

Arztbesuche war Frau Bomberling nicht gewohnt. Sie war immer gesund gewesen, selbst ihre Zähne saßen noch in lückenloser Reihe.

Das alles sah der Arzt sofort, als Frau Bomberling ihm gegenüber Platz genommen hatte.

Frau Bomberling war sehr verlegen. Sie hatte einen Herrn mit grauem Bart erwartet, die Augen hinter der Brille. Statt dessen saß ihr jemand gegenüber, der sie aus einem glattrasierten Gesicht mit scharfen Augen musterte.

Er sagte auf ihre Klagen, daß sie in der Jugend gewiß körperliche Arbeit verrichtet hätte, wahrscheinlich auch nicht aus der Stadt sei.

Frau Bomberling zögerte mit der Antwort und drehte an der goldenen Kette des Lorgnons.

Der Herr sagte, daß man einem Arzt alles mitteilen könnte und Vertrauen hier die erste Pflicht sei.

So gestand Frau Bomberling die väterliche Schmiede ein, das Waschen der Wäsche am Bach und schließlich auch die übrige Hausarbeit. Aber das läge nun alles weit zurück.

»Das sehe ich,« sagte der Arzt.

Frau Anna wußte nicht, ob sein Blick der Zobelgarnitur galt oder ihr selbst.

Der Arzt sprach nun längere Zeit. Ruhig und sachgemäß sagte er, daß es eine unglückliche, nicht zu leugnende Tatsache sei, daß das Wohlleben ungesund und schädlich sei. Jede Seele brauche ihren Leib. Aber es sei unangenehm, wenn dieser unaufhörlich zunähme.

Er lächelte, während gräßliche Worte wie Herzverfettung und Arteriosklerose über seine Lippen kamen und noch viele andere Fremdwörter voll unheimlicher Geheimnisse folgten.

»Muß ich sterben?« stammelte Frau Bomberling, die hellen blauen Augen dick voll Tränen.

»Das hängt ganz von Ihnen ab,« sagte der Arzt mit höflicher Verbeugung.

Über solche Worte würde sich jeder gefreut haben.

Frau Bomberling trocknete die Tränen und hörte voll Vertrauen zu, was man ihr sagte.

Sie wurde gefragt, ob sie nicht einfach wieder viele Hausarbeit verrichten könne.

Aber sie mußte antworten, daß dies unmöglich sei. Die Dienstmädchen würden keinen Respekt mehr vor ihr haben. Und sie entlassen konnte sie auch nicht. Was würde die Welt dazu sagen? Der Portier und ihre Freundin, die Frau Geheimrat, ihre Bekannte, die Frau Baronin?

»Dann müssen wir also Gymnastik anwenden,« unterbrach sie der Arzt – »Rumpfbeuge, Kniebeuge.«

Der Arzt notierte eine Reihe von Übungen auf und erklärte sie.

»Als hervorragend wirksam hat sich auch das Kriechen auf allen Vieren erwiesen,« fuhr er fort.

»Kriechen Sie jeden Morgen, Mittag und Abend einmal um Ihr Schlafzimmer herum.«

»Kriechen?« fragte Frau Bomberling erschreckt.

»Sie brauchen sich nicht geniert zu fühlen,« sagte der Arzt ruhig, »die Damen der besten Gesellschaft tun es. Es ist vollkommen fashionabel

Er blätterte dabei in seinem Notizbuch. Er suchte etwas.

»Ich komme nun zum Speisezettel,« sagte er dann, wieder lebhafter werdend.

»Essen Sie gern Schokolade, Süßigkeiten?«

»Sehr gern,« sagte Frau Bomberling erfreut.

»Ausgezeichnet,« sagte der Doktor.

»Aber ich hörte doch, daß gerade Süßigkeiten –«

Frau Bomberling sah schüchtern fragend zu dem Arzt hinüber.

»So gut wie ganz zu vermeiden sind, sehr richtig,« fiel der Arzt ein. »Aber ich wollte Ihnen raten, vor jeder Mahlzeit ein Stück Schokolade zu essen. Das verlegt Ihnen vollkommen den Appetit. Das ist die Hauptsache. Wenig und nichts Fetthaltiges essen. Und wenn Sie Durst haben, trinken Sie nichts, sondern spülen Sie den Mund aus.«

Frau Bomberling bekam auch einen Speisezettel. Er war nicht so lang wie die Aufzeichnung der Turnübungen.

 

Dann zahlte sie und war entlassen.

Ehe sie zur Tür hinausging, drehte sie sich noch einmal um und fragte, ob dies alles auch sicher helfen werde.

»Zweifellos, meine Gnädigste. Ein Elefant würde davon abmagern,« sagte der Arzt und quittierte ihren flehenden Blick mit noch einer höflichen Verbeugung, die allerdings etwas flüchtiger ausfiel.

Denn er hatte die Uhr in der Hand und war schon an der Tür des Wartezimmers.

Der Weihnachtsabend war da. Das große Familienfest. Aber Feierlichkeit im engen Familienkreis ist kein Vergnügen. Es sieht nur so aus.

Dieselben Menschen, die sich immer zu sehen gewohnt sind, müssen, festtäglich geschmückt, einander anlächeln, als wüßten sie sich kaum bei Namen zu nennen. Das ist unbequem.

Bomberling stand im schwarzen Rock vor dem Gabentisch im Salon und bewunderte das Petschaft der ägyptischen Mumie.

»Du hältst es verkehrt,« sagte Anna. »Der Verkäufer hat mir gezeigt, von welcher Seite man es ansehen muß.«

Gehorsam betrachtete Bomberling die Hieroglyphen von der anderen Seite.

Babette und Hermann spielten ein Weihnachtslied für Klavier und Geige.

Auf dem Flügel lag ein Herz aus Marzipan. Das hatte Hilde Wegner geschickt. Es brachte Babettens Gedanken auf andre Herzenssachen.

Hermann dachte, daß er morgen mit dieser selben Geige Lianes Gesang begleiten würde. Er spielte mit großer Innigkeit.

Die Eltern saßen in den großen Lehnstühlen.

Frau Anna tupfte sich gerührt die Augen. Wie schön die Kinder spielten. Wie vornehm. Den adligsten Mann würde dies Spiel erbaut haben.

Ein wenig ärgerlich sah sie zu Bomberling herüber, der auf den Tannenbaum starrte und es nicht verbarg, daß ihm Musik ein gleichgültiges Geräusch war.

Bomberling dachte an früher, an die Zeit, wo das Konzertieren der Kinder darin bestand, daß sie in Blechtrompeten bliesen. Jung war man damals gewesen und hatte reden können, wie einem der Schnabel gewachsen.

Die Musik brach ab. Man ging zu Tisch.

Langsam wie die Kerzen am Baum schwelte der Abend herunter. Bis man sich Gute Nacht sagen konnte . . .

Frau Bomberling hatte sich selbst etwas zu Weihnachten geschenkt. Eine kleine Wage, die ihr täglich zeigte, daß sie schlanker wurde.

Mit der ganzen Rechtschaffenheit, die ihr angeboren war, befolgte sie die Befehle des Arztes. Sie kroch wie eine Schildkröte und turnte wie ein Rekrut. Dreimal am Tage. Das machte müde. Aber sie ertrug es mit einem geheimnisvollen Lächeln. Sie wußte, daß sie etwas für Babettes Glück tat.

Voll Vertrauen wartete sie auf das neue Jahr, das mit dem Hausbesitzer beginnen sollte.

Aber vorher kam der Silvesterabend.

Der Weihnachtsbaum brannte ein zweites Mal. Doch heute hüpften und flackerten die Flammen der Lichter. Lachen und Geschwätz bewegte die Luft. Nicht nur Hilde Wegner und Paul waren da. Zwischen Onkel Albert und Tante Helene saß ein neuer Bekannter, saß der Wurstfabrikant Christian Sebold.

Als Christian Sebold Frau Bomberling vorgestellt wurde, mußte sie sich beherrschen, ihm nicht beide Hände entgegenzustrecken. Erschreckt sah sie zu Babette hinüber, die mit Paul plauderte. Das war ein Mann, der jedem gefallen mußte. Groß und breitschultrig mit einem dicken blonden Schnurrbart und einer bunten Samtweste mit entzückenden Knöpfen. Distingiert und doch gemütlich.

Man war gleich miteinander bekannt geworden. Er saß zwischen ihnen, wie wenn er da immer gesessen hätte. Und wovon auch die Rede war, er wußte Bescheid.

Hilde Wegner erwähnte Italien. Ihre Tante wollte dort hinreisen.

»Tüchtiges, forsches Land,« sagte Christian Sebold und strich den Schnurrbart.

Man fragte begierig, ob er schon dortgewesen sei.

»Nein,« sagte er, »noch nicht. Aber ich stehe in steter Verbindung damit. Alle Mortadella aus Bologna, alle Salami aus Napoli. Am Golf von Neapel, Italia.«

»Wie wohlklingend,« bemerkte Frau Bomberling.

Und so unterhielt man sich weiter; gut, angeregt und belehrsam.

Nur Onkel Albert saß müde dabei.

»Kein Wunder,« sagte Tante Helene. – »Er kommt doch nie unter Menschen. Jeden Abend sind wir allein zu Haus.«

Man ist oft offenherziger, als man weiß.

Christian Sebold holte eine dicke Brieftasche hervor.

»Dem kann abgeholfen werden,« sagte er und überreichte Tante Helene eine Dauerkarte für den Verein »Sorgenbrecher«, dessen Präsident er war.

»Jeden Abend gemütliche Unterhaltung für jeden, der kommt.«

»Unterhaltung,« wiederholte Onkel Albert mürrisch. »Der eine wartet, bis der andere ausgeredet hat, damit er wieder selbst anfangen kann. Das ist alles.«

Er war ein wenig gallenleidend und hatte sich den ganzen Tag mit Tante Helene herumgestritten. Sie hatte die Hausschuhe Nachtschuhe genannt. Er hatte ihr erklärt, daß man Morgenschuhe sage, worauf sie behauptet hatte, das eine wäre so richtig wie das andere. Das beruhte nicht auf Wahrheit. Er wartete nur darauf, daß sie wieder allein waren.

»Laßt uns das alte Jahr fidel beschließen,« sang Christian Sebold und klopfte Onkel Albert gemütlich auf die Schulter.

»Seine Frau wird es einmal gut haben,« dachte Frau Bomberling.

Zu ihrer Freude scherzte und lachte Babette sehr viel mit Christian Sebold. Sie war ganz anders als in den letzten Tagen.

Babette dachte, daß Fritz Wegner seine Schwester fragen könnte, wie Babette am Silvesterabend gewesen sei. Lustig, sehr lustig, sollte Hilde antworten können.

Darum spielte sie Klavier und sang und löste lachend die Rätsel, die Christian Sebold aufgab.

Als es zwölf schlug, ließ man die Gläser aneinanderklingen.

»Auf Glück und Wohlstand, prost!« sagte Christian Sebold und ging mit festem Schritt von einem zum andern.

Bomberling stieß mit niemandem an. Er ging nur zu Babette und strich leise über ihr Haar.

Frau Bomberling sagte, das Tränentuch in der Hand:

»Daß unser Hermann heute nicht bei uns ist.«

Eine dringende Unterredung mit einem Freund hielt Hermann vom Elternhause fern.

»Wir müssen zusammen über die Schwelle des neuen Jahres stolpern, mein Kleiner,« hatte Liane gesagt . . .

»Hast du denn auch mit Herrn Sebold angestoßen, mein Kind?« fragte Frau Bomberling, als sie ihrer Babette den Neujahrskuß gab.

»Ich glaube,« sagte Babette.

»Gefällt dir dieser dicke Wurstfabrikant?« fragte Paul.

»Ich glaube,« sagte Babette und gähnte ein wenig.

Es war spät als man sich trennte.

Heute kroch Frau Bomberling nicht um ihr Schlafzimmer. Obwohl Bomberling sofort eingeschlafen war und nichts gemerkt hätte.

Sie sagte sich, daß Christian Sebold ein Mensch sei, dem es nicht darauf ankommen würde, ob die Mutter seiner Braut ein Gramm mehr oder weniger wog.

Mit dem Gefühl, daß es doch noch gute Menschen gab, schlief sie rasch und lächelnd ein.

Der Neujahrstag dämmerte auf. Grau und griesgrämig, als ob er noch ein Fetzen des alten Jahres wäre.

Bomberling fuhr zu seiner Arbeitsstätte. Die Fabrik war geschlossen, der Laden aber mußte geöffnet sein. Dem großen Agenten, der ruhelos für den Umsatz von Bomberlings Waren sorgte, war kein Feiertag heilig.

Babette war mit Hilde in die Kirche gegangen. Sie wollte sehen, ob es Wahrheit wäre, daß der neue Pfarrer, der ein Dichter sein sollte, so wunderbar predigen konnte.

Am Nachmittag wollte man eine Schlittenfahrt mit Christian Sebold machen.

Frau Bomberling zählte das Silber, das gestern gebraucht worden war. Aus der Küche kam der Duft eines großen Bratens und der Hauch schmorender Äpfel. Sie fühlte sich in Feiertagsstimmung.

Da schrie das Dienstmädchen im Nebenzimmer gellend auf.

Man hörte Gepolter und Geklirr.

Als Frau Bomberling hereinstürzte, sah sie gerade noch, wie sich Napoleon, wie ein gelbes Stückchen Butter, mit der Schneeluft verschmolz. Einen Augenblick später war er verschwunden.

Ganz wie der große Napoleon schien er die Freiheit der Gefangenschaft vorzuziehen.

Im ganzen Haus hielt man Nachfrage, man hoffte, daß er in ein fremdes Fenster geflogen sei. Aber jeder hatte nur seinen eigenen Vogel im Bauer.

Die Portiersfrau sagte, daß man den Vorfall der Polizei melden müsse. Sie allein könnte helfen. Denn sie konnte alle Häuser nach dem Vogel durchsuchen lassen. Vielleicht sogar ihn finden.

Frau Bomberling lief an das Telephon und rief die nächste Polizeiwache an.

Aber ein Vogel ist rascher entschlüpft als gefangen. Frau Bomberling mußte erst Namen, Wohnung und Beruf des Besitzers angeben.

Dann fragte man weiter:

»Wann ist der Kanarienvogel entflogen?«

»Wohin?«

Das letztere wußte Frau Bomberling leider nicht.

»Besondere Merkmale?«

»Gelb,« rief Frau Bomberling.

»Rufname?«

»Napoleon.«

»Wie?«

»Napoleon.«

Jetzt entstand eine Pause. Frau Bomberling hörte deutlich, daß man in einem Buch blätterte. Dann vernahm sie nichts mehr.

»Sind Sie noch da?« rief Frau Bomberling.

»Da nicht, aber hier. Sagen Sie mal, mit wieviel p schreibt man Napoleon?«

Frau Bomberling zögerte. Sie wußte es nicht. Und in jedem Augenblick konnte Napoleon von einer Katze gefressen werden.

»Mit zweien,« rief sie kurz entschlossen. Lieber zuviel als zuwenig, dachte sie.

»Gut, wenn wir ihn haben, kriegen Sie ihn. Schluß.«

Als Frau Bomberling den Hörer eingehängt hatte und sich erschöpft umdrehte, verbeugte sich vor ihr ein kleiner Herr im eng anschließenden Überzieher, der in hellgelben Lederhandschuhen einen Zylinderhut und einen Rosenstrauß hielt.

Er entschuldigte sich, daß er von der Offenheit der Wohnungstür Gebrauch gemacht hatte, und hoffte, daß er nicht störend käme. Er bringe Grüße von der Frau Rätin. Außerdem erlaube er sich zu bemerken, daß, soweit sein bescheidenes Wissen reiche, Napoleon nur mit einem p geschrieben werde.

Der kleine Mann war der fünfstöckige Hausbesitzer. Frau Bomberling aber glaubte, einen Finder Napoleons vor sich zu haben. Voll Freude rief sie:

»Haben Sie ihn?«

Der lächelnde Herr betonte noch einmal, daß er nichts zu überbringen habe als Grüße von der Frau Rätin.

Nun begriff Frau Bomberling, wer vor ihr stand.

Sie maß ihn mit einem kurzen, aber scharfen Blick. Sie verglich ihn mit Christian Sebold. Er war gerichtet.

»Prill,« sagte der Herr und verbeugte sich ängstlich unter diesen Blicken. – »Rentier Prill.«

»Ein unglücklicher Augenblick,« sagte Frau Bomberling.

»Ich hörte . . . Ich bedaure sehr. Aber wenn wir warten, wird das Vögelchen wiederkommen,« sagte Herr Prill, während er sich setzte und die Rosen sorgsam auf den Tisch legte. Frau Bomberling setzte sich auch, denn ihre Knie zitterten. Aber sie antwortete nichts. Sie fächelte sich nur mit einem duftenden Taschentuch.

»Das Fräulein Tochter auch ausgeflogen?« sagte der Besucher und meckerte ein kleines Lachen.

Ein Schrei im Nebenzimmer verhinderte eine Antwort.

Das Zimmermädchen stürzte herein, und ohne den Fremden zu beachten, schrie sie:

»Es fehlt noch einer.«

Frau Bomberling wies sie streng zurecht. Sie sagte ihr, daß sie immer nur einen Vogel gehabt habe, also kein zweiter fehlen konnte.

Erst nach vielen Worten klärte es sich auf, daß das Mädchen von Hermann sprach. Sie hatte den jungen Herrn wecken wollen, aber niemand habe geantwortet. Da sei sie hineingegangen und habe das Bett unberührt vorgefunden. Der junge Herr war nicht nach Haus gekommen. Und es war zwölf Uhr mittags.

Herr Prill stand auf.

»Da will ich wirklich nicht länger stören,« sagte er, zog den Hut und ging.

Die Rosen nahm er wieder mit. Man soll nicht edler sein, als man muß. Die Frau Baronin hatte ihm noch verschiedene andre Adressen gegeben.

Frau Bomberling bemerkte sein Verschwinden gar nicht. Sie telephonierte an August, an ihren guten August. Er würde Rat wissen.

Bomberling rief zurück, daß er sofort nach Haus kommen werde. Sein Mäuschen sollte nicht den Mut verlieren. Der Junge war hoffentlich heil und gesund.

Ehe er fortfuhr, klingelte er die Polizei an. Zu seinem Erstaunen sagte man ihm, sobald er seinen Namen nannte, daß man bis jetzt vergeblich nach dem Vermißten gesucht habe. Wer weiß, wohin er sich verflogen hätte. In seiner Aufregung wunderte sich Bomberling nicht lange über die sonderbare Auskunft, sondern eilte nach Haus.

Am Fenster des Musikzimmers stand Anna. Sie schüttelte den Kopf. Hermann war also noch nicht da.

Als Bomberling seinen Wagen bezahlte, fuhr ein zweites Auto vor.

Es dauerte eine Weile, ehe sich seine Tür öffnete. – Aber dann ging sie endlich auf, und langsam begann jemand herauszuklettern. Es war Hermann.

Er blinzelte nach dem anderen Wagen und begann dann in seinen Taschen nach Geld zu suchen. Er fand aber keins.

 

Bomberling sah zu Anna hinauf. Mit einem überglücklichen Blick trafen sich die Elternaugen. Bomberling trat auf Hermann zu, der immer noch nach Geld suchte, und sagte:

»Na laß nur, Junge, ich werde zahlen.«

Hermann blinzelte Bomberling eine Weile an, dann sagte er:

»Ach, du bist's, Papa. Servus, servus. Ich hab mich ein wenig verspätet heut abend. Entschuldige.«

Er zog tief den Hut vor Bomberling und torkelte ins Haus. Oben stand Frau Anna in der Tür.

»Mein Sohn,« sagte sie unter Tränen und wollte Hermann umarmen.

Aber Hermann wich aus.

»Abregen, Mamachen, abregen,« sagte er, und wie ein Segelschiff im Sturm schwankte er an ihr vorüber, seinem Zimmer zu.

Auch am Nachmittag, als Christian Sebold mit Schlittengeläut vorfuhr, hörte man kein Gezwitscher Napoleons in der stillen Wohnung, wohl aber das Schnarchen Hermanns.

Babette wollte nicht Schlitten fahren. Sie hatte auf alle Fensterbretter Vogelfutter gestreut und spähte hinaus.

Es wurde schon dunkel. Tränen tropften aus ihren Augen.

»Ich werde ihn noch einmal suchen gehen, Babette,« sagte Paul und ging leise hinaus.

Auch Bomberling mochte nicht zugucken, wie Babette weinte.

»Ich gehe ein wenig spazieren,« sagte er nach einer Weile.

Christian Sebold blieb sitzen und schlürfte heißen Kaffee.

»Ein Kanarienvogel ist doch keine Kostbarkeit,« sagte er. »Ich wette, solch Tierchen wiegt mit allen Federn zusammen noch nicht ein viertel Pfund.«

Da klingelte es draußen. Das Mädchen meldete einen Herrn Kippenbach.

Ein junger Herr, nach der neuesten Mode gekleidet, kam herein, verbeugte sich, sagte, daß er gegenüber wohne und schon von Ansehen das blonde Fräulein kenne, dem er jetzt etwas überreichen möchte. Er holte eine Schachtel hervor, und als Babette sie öffnete, saß Napoleon darin.

Die Freude war groß.

Herr Kippenbach wurde an den Kaffeetisch gebeten und setzte sich.

Er sah sich um und sagte:

»Sie haben es hübsch hier.«

Dann erzählte er, daß er der Sohn von Kippenbach & Sohn sei, selbsttätige Klaviere.

»Hochinteressant,« sagte Frau Bomberling und fügte hinzu, daß sie einen Konzertflügel besäßen.

»Auch hübsch, aber nicht mehr modern,« antwortete Kippenbach lächelnd. – »Sehen Sie – wer will in unserer rastlosen Zeit noch jahrelang üben, um sich am Sonntag einen Augenblick lang Musik machen zu können? Das ist gar nicht mehr zu verlangen. So aber – wer Sehnsucht bekommt nach Musik – dieser edlen Kunst, die uns dem Alltag entrückt – setzt sich vor sein selbsttätiges Klavier – und hat, was er braucht.«

»Dann gehe ich in die Oper,« sagte Christian Sebold und spielte an seiner breiten Uhrkette. Dieser Herr Kippenbach war ihm unangenehm.

Frau Bomberling lächelte ein vermittelndes Lächeln zwischen die beiden blonden Herren. Erst als Herr Kippenbach erwähnt hatte, daß er Leutnant der Reserve sei, lächelte sie einseitiger. Nichts ist unbeständiger als Frauengunst.

Babette lief ein und aus. Sie holte Badewasser für Napoleon und Zucker und Salatblättchen.

Da kam Paul zurück. Er merkte es gar nicht, daß ein Fremder am Tisch saß. Überglücklich lächelnd eilte er auf Babette zu.

»Wer sucht, der findet,« sagte er, knotete ein kleines Tuch auf und ließ Babette hineinsehen. Da drinnen saß Napoleon.

»Wie ist das aber möglich? Welcher ist denn nun der richtige?« fragte Babette und sah von Paul zu Herrn Kippenbach.

Da wurde die Wohnungstür aufgeschlossen. Bomberling kam zurück.

Lächelnd betrat er das Speisezimmer.

»Kippenbach,« sagte Herr Kippenbach mit einer tadellosen Verbeugung.

Bomberling merkte es nicht, denn er war zu Babette gegangen und sagte zärtlich:

»Man muß nur seinen Vater ausschicken, dann braucht man nicht zu weinen.«

Und er holte einen Pappdeckel mit einem Sieb hervor. Und da drunter saß Napoleon.

Ein Staunen ohne Ende. Ein Beteuern – ein Durcheinanderreden der glücklichen Finder.

Christian Sebold stand auf. Schließlich war er auch einer und zwar einer, der seinen Steuerzettel im Knopfloch tragen konnte. Man konnte sich ein wenig mehr um ihn kümmern.

Darum sagte er jetzt mit lauter Stimme, daß es ihm leid täte, daß er der einzige hier sei, der keinen Vogel habe. Er wünschte dem Fräulein Babette weiter Glück im neuen Jahr und ging.

Kippenbach, Bomberling und Paul traten beratend zusammen. Jeder war bereit, seinen Vogel zurückzunehmen. Alle drei Vögel waren von dem nächsten Vogelhändler. Trotz der Sonntagsruhe hatte er sie verkauft. Allerdings zu erhöhtem Preis.

Babette fütterte sie alle drei und fand, daß jeder ihrem Napoleon sprechend ähnlich sähe.

Man versuchte, die Vögel selbst entscheiden zu lassen. Man hielt das Vogelbauer hoch und rief »piep« und »Napoleon«. Aber sie flatterten alle drei hinter das Büfett, wo sie nur mit Mühe wieder hervorzuholen waren.

So beschloß man den Morgen abzuwarten und über Nacht alle drei hier zu behalten.

Herr Kippenbach drückte einen langen Kuß auf Frau Bomberlings Rechte und einen noch längeren auf Babettes schmale Hand und empfahl sich dann für heute.

Auch Paul ging. Denn Frau Bomberling konnte sich nicht mehr aufrechthalten. Die Schrecken dieses unruhigen Tages begannen plötzlich zu wirken. Auch war sie trotz der Schokoladenstückchen immer hungrig. Sie brach in Tränen aus und schien vollständig erschöpft zu sein.

Behutsam brachte Babette die Mutter zu Bett.

Bomberling versprach nach Hermann zu sehen, der erwacht zu sein schien, denn sein Schnarchen war verstummt.

Erst als Frau Anna ihren müden Körper auf dem kühlen Leinen fühlte, lächelte sie wieder ihre Babette an.

»Wenn ich dich nur glücklich wüßte, mein Kind,« sagte sie.

Und nach einer Weile, schon mit geschlossenen Augen, murmelte sie schläfrig:

»Der junge Herr Kippenbach scheint ein reizender Mensch zu sein. Seine Weste gefällt mir beinah noch besser als die des Herrn Sebold.«

»Ich weiß nur, daß sie alle beide bunt waren,« sagte Babette und sah sich dabei lächelnd in dem großen Spiegel.

Wenn man weiß, daß man niemals heiraten wird, beunruhigt man sich nicht mehr über Männer und Westen.

Inzwischen hatte Bomberling das Zimmer seines Sohnes betreten.

Hermann saß am Tisch und las. Er sah nicht auf.

»Komm nur zum Abendbrot, Junge,« sagte Bomberling. »Mama ist schon schlafen gegangen, und Babette wird dir eine lustige Geschichte erzählen.«

Hermann dachte bei sich, daß sich sein Vater tadellos wie ein Couleurfuchs benahm. Er hätte ihm gern die Hand gedrückt. Aber er blieb stumm sitzen.

»Also komm, mein Junge. Wenn ich deine Mutter richtig kenne, wird auch ein Hering auf dem Tisch sein.«

Bomberling stand hinter Hermanns Stuhl. Er hätte dem Jungen ganz gern einmal über den dicken blonden Haarschopf gestrichen. Aber so ein Student, das ging wohl nicht mehr.

Hermann stand auf. Er sah zu Boden.

»Du hast mir wohl nicht meine Uhr heute abgenommen, Papa?« sagte er. »Es ist merkwürdig. Sie ist nicht da. Auch die Schlipsnadel und die Brieftasche. Es ist merkwürdig. Nicht zu finden.«

Bomberling setzte sich und nahm Feder und Papier.

»Da werden wir wohl eine Anzeige in die Zeitung rücken müssen. Sage mir rasch, wo du gewesen bist.«

Aber so rasch war das nicht gesagt. Es dauerte eine ganze Weile, bis die Anzeige zusammengestellt war.

Dem ehrlichen Finder war reichlich Gelegenheit gegeben, sich zu beweisen. Nicht nur in allen Bräus der Stadt, auch in den Varietés und in den roten Ballsälen, im schwarzen Kabarett, im Café Lustig und auch im Café Morgenrot konnte er Hermann Bomberlings Wertsachen begegnet sein.

Man muß der Zeit nur Zeit lassen. Es kommt alles zurecht.

Als Bomberling am anderen Morgen nach dem Wetter sah, saß auf dem Thermometer ein Kanarienvogel.

Zweifellos war dies Napoleon der Erste. Er kam in sein Bauer. Die Untergeschobenen verschwanden wieder. Babette hatte einen neuen Beweis für die Falschheit der Männer.

Aber sie fand, daß etwas Besondres aus Napoleons Gesang töne, seit er dieses Erlebnis hinter sich hatte. Die anderen jedoch konnten nichts andres bemerken, als daß er heiser war.

Hermanns Wertsachen waren nicht zurückgekommen. Sie hatten eben keine Flügel. Auch Christian Sebold blieb fern. Vielleicht aus ähnlichen Gründen.

Dafür war Herr Kippenbach da. Beinahe jeden Abend. Man wußte längst, daß er Wilhelm hieß und daß er einen Sarg für kein schlimmeres Holzmöbel hielt als ein selbsttätiges Klavier. Geschäft ist Geschäft.

Jedesmal, wenn er kam, sagte er:

»Eine Empfehlung von Papa und Mamachen.« Das flocht ein sanftes Band zwischen Familie und Familie . . .

An jedem Nachmittag kam Babette in ihres Vaters Fabrik, um bei Paul zu lernen.