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Das verbrannte Bett

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Früher Herbstwind wehte Blümels Hochzeitstag heran.

Übermorgen hieß es, den Zug nach Berlin zu besteigen.

Sein Zimmer, lange ihm Heimat und Welt, war Herrn Blümel schon fremd geworden.

Nicht nur der eigene, schon gepackte Koffer, der übrigens unangenehm sargähnlich wirkte, veränderte den ganzen Raum. Es waren schon Möbelstücke nachfolgender Mieter, bunt durcheinander verstaut, in diesem Raum, der sonst nur behagliche Korrektheit gekannt hatte. Kommoden, Stühle standen kreuz und quer, dazwischen eine Wiege.

Der junge Herr Kollege, auch beim Packen des Koffers kollegial behilflich, lebenskundig und umsichtig, konnte sich's nicht versagen, zu dem hochzeitlichen Bräutigam einen Scherz zu machen über die Anwesenheit dieser ersten menschlichen Ruhestätte des Lebens.

Er bereute diese Respektlosigkeit sofort.

Zu seiner Freude aber konnte er bemerken, daß

Herrn Blümels Gesicht keinen beleidigenden Ausdruck angenommen hatte. Im Gegenteil, es trug das Lächeln des sich geschmeichelt Fühlenden …

Der Koffer wurde schon am Vorabend der Reise zum Bahnhof gebracht.

Dadurch wurde das Zimmer wenigstens wieder zur Hälfte vertrauter.

Das war gut. Denn Herr Blümel hatte den Plan, hier noch eine geheime Feierlichkeit vor sich gehen zulassen vor seinem Fortgehen für immer.

Ganz ohne Poesie sollte dieser Abschiedsabend vom Junggesellentum nicht in die Ewigkeit fallen.

Über solche letzten Stunden eines Junggesellentums hatte ein Mann wie Herr Blümel, abgeneigt jeder Weiblichkeit, bis auf diese einzige Ausnahme, die er nur als Bestätigung dieser Tatsache aufnahm, oftmals nachgedacht, sich ihre Empfindung vorgestellt. Sie ähnlich vermutet den Gefühlen vor einer schweren Operation mit langer Narkose.

Wann die Kindheit fortgeht, wann das Alter kommt, kann niemand spüren, bevor es nicht schon geschehen.

Den Abschied vom Einzelleben zu nehmen aber ist der Mensch imstande.

Der Herr Kanzleioffizial wollte von dieser Fähigkeit vollen Gebrauch machen. Er wollte mit vollem Bewußtsein, mit feierlicher Nachdenklichkeit diese Lebensbiegung überschreiten.

Ganz ohne Anleitung, ohne Vorbild, brauchte er auch hier nicht zu handeln. Viele vor ihm hatten Ähnliches beabsichtigt und ausgeführt.

Auch über diese sonderbaren Augenblicke des Menschenlebens erschienen dann und wann Plaudereien, gedankliche und ernsthafte, auch spöttische und scherzhafte, die einem gewiegten Zeitungsleser nicht hatten entgehen können.

Am eindrucksvollsten war dem Herrn Kanzleioffizial aus solcher Lektüre der Ratschlag zurückgeblieben, diesen letzten Abend unbeschränkter Freiheit allein zu verbringen, vor einem Ofen, indem man sein Junggesellenbett mit allen seinen Erinnerungen verbrannte. Gleichzeitig sich auch innerhalb wärmend, indem man in schweren Schlucken langsam eine Flasche besten Burgunders leerte.

Diese Feier in ihrer leidenschaftlichen Größe dünkte dem Herrn Kanzleioffizial beinah heidnisch. Außerdem bedeutete sie für ihn keine große Kostspieligkeit.

Sein Bett, Erbteil aus urväterlichem Hausrat, war morsch, war durchbohrt, durchpocht vom Holzwurm, hatte sich selbst längst überlebt.

Herr Blümel hätte es mit eigenen Händen leicht zu Brennholz brechen können. Es würde keinem Umzug mehr standgehalten haben.

Zufällige Rücksprache jedoch mit einem Tischler, der in Angelegenheit der künftigen Mieter das Zimmer betrat, belehrte Herrn Blümel eines besseren. Er erinnerte ihn, wenn auch nicht auf unangenehme Weise, daran, daß man nie Urteile fällen sollte auf Gebieten, wo man nicht Fachmann ist.

Der Sachverständige bot für solches Bett immer noch soviel, wie für eine Flasche guten Burgunderweins zu verausgaben war.

Obendrein erklärte er sich bereit, einen der Bettpfosten, jenen, in dem sich der Holzwurm häuslich eingenistet hatte seit Generationen, dem Herrn Kanzleioffizial zurückzulassen.

Herr Blümel war einverstanden. Schneller wie er sich sonst zu Entschlüssen verstand.

Es war ihm klar, daß sein feierliches Vorhaben heute abend eine symbolische Handlung bedeuten sollte. Es würde also vollkommen ausreichend sein müssen, wenn nur ein Teil des Bettes verbrannt werden würde.

Bei näherer Überlegung sagte er sich, daß die Verbrennung des ganzen Bettes sogar ungesund erhitzend gewirkt haben würde.

Zumal noch kein Winterfrost zu überwinden war.

Wenn sich auch das Wetter diesem heidnischen Brandfackelfeld heftig anpassen zu wollen schien.

Es kühlte sich ab von Stunde zu Stunde.

Der Wind warf welke Blätter gegen die Scheiben.

Regen, steinkalter, siebtropfiger, setzte ein, als Herr Blümel seinem Heim zueilte, im Arm die gekaufte Flasche Burgunder.

Das heißt, seinem Zimmer zustrebte, das nur noch ein halbes Heim war. Ebenso wie der Burgunder nur zur Hälfte Burgunder war. Vielleicht nicht einmal das.

Genau gesagt, nur dem Namen nach Verwandtschaft mit jener köstlichen Flüssigkeit des Sonnenrots aufzuweisen hatte.

Es war eine Punschsorte dieses Namens, zu der man dem Herrn Kanzleioffizial freundlich zugeraten, als man ihn hatte erblassen sehen über den Preis der echten Weinsorte.

Dieser Punschextrakt war mit heißem Wasser zu verdünnen, mit Zucker zu versüßen. Beides eine Kleinigkeit für den Herrn Kanzleioffizial.

Das heiße Wasser lieferte der Ofen, sobald ihn das brennende Holzbein des fortgetragenen Junggesellenbettes anzufeuern begann.

Zucker hatte Herr Blümel als Stammgast eines guten Cafés stets in allen Rocktaschen …

Die Feier begann. Das Feuer flackerte. Der Punsch wärmte. Er glitt hinunter, schnell wie das Leben selbst, sobald es sich um angenehme Stunden handelte.

Der Wind, erst draußen heulend, war plötzlich in den Ofen gefahren, er jammerte dort, wie wenn eine Hexe verbrannt würde. Oder ein Stück lebendiger Lebenszeit.

Herr Blümel trank zwei Gläser geschwind hintereinander leer.

Das tat gut.

Wundervoll war doch das Leben.

Leicht. Federleicht.

Was man sich wünschte, hatte man schon. Man brauchte sich nur einmal rasch auf dem eigenen Absatz herumzudrehen, und man war jeden Ärger los.

Warum sich denn ärgern? Worüber denn?

Wem's kalt ist, der trinke etwas Warmes. Wem es zu heiß ist, der löffle Eis. Wem's zu süß ist, der nehme Zitrone. Wem's zu sauer ist, der lasse Zucker über den Rand des Glases springen.

Das Glas war übrigens merkwürdig rund.

Auch das Zimmer.

Niemals war dem Herrn Kanzleioffizial so augenfällig klar geworden, wie sich alles im menschlichen Dasein der Erdform anpaßte. Auch ihren Drehungen und Schwingungen.

Er fühlte sich verpflichtet, über diese neue Entdeckung nicht flüchtig hinwegzugehen, sondern sich in sie zu vertiefen, indem er fest und lange auf einen Punkt zu starren suchte.

Da hatte er's. Deutlich bemerkte er, wie sich die Erde um sich selbst drehte.

Er starrte weiter. Alle Erfindungen verdanken ihre Entstehung der Beharrlichkeit …

Funken, die aus dem Ofenloch stiebten, lenkten Herrn Blümels erweckten Forschersinn dorthin.

Sie erinnerten ihn an ein Feuerwerk.

Herr Blümel war ein Freund dieser luftigen Abendvergnügungen. Er hatte keine solcher Festlichkeiten versäumt. Immer wieder erregte es sein Verwundern, wie die abgeschossenen Leuchtkugeln, sternengleich, im Weltall zu tanzen verstanden.

Beinah noch mehr bestaunte er die vielen, die es für nötig hielten, Eintrittsgeld für diese Belustigung zu zahlen. Herr Blümel hatte noch immer einen Standort gefunden, von dem sich die Unterhaltung kostenlos genießen ließ. Wozu seiner Meinung nach für den Zuschauer nichts anderes nötig war, als eine Weile den Kopf recht hoch zu halten. Eine Übung, die jedermann nur gut tun konnte.

Schon wollte sich Herr Blümel auf den nächsten Sommer und auf diese seine Zerstreuungen freuen.

Da erinnerte er sich, daß er nicht mehr so einfach über sich selbst verfügen konnte.

Würde man eine Dame wie Konstanze in das Gedränge der außenstehenden Nichtzahler führen dürfen?

Würde er selbst wünschen, daß seine schöne Frau von jedem gestreift werden konnte, der hier im Gewühl Feuerwerk erleben wollte?

Man würde auf dieses Vergnügen verzichten müssen. Oder das Eintrittsgeld anlegen müssen für zwei Personen.

Ein Schluck, zwei, drei, vier Schluck des wärmenden Punsches ließen sich Herrn Blümel auch darüber hinwegdrehen, mit leichter Erddrehung auf nicht schief zu tretendem Gummiabsatz …

Das Ofenloch pustete weiter. Aber was war das?

Zwischen den hübschen sprühenden Funken erschien ein gräulich unappetitlicher Wurm.

Er wuchs und wuchs, bis er einem Drachen ähnelte, einer Art Getier, wie es sonst nur in Sagen und Bilderbüchern vorkam und für das der Herr Kanzleioffizial niemals Interesse oder Sympathie gespürt.

Das Untier hockte sich breit zwischen die Ofenwärme und den Herrn Kanzleioffizial nieder. Kein Wunder, daß dieser zu frösteln begann.

Lächerlich, dieses Ungetüm, das es doch gar nicht gab, begann zu sprechen.

Herr Blümel war genötigt zuzuhören.

Er wäre gern aufgestanden. Sobald er sich jedoch zu bewegen begann, rutschte das Ungeheuer näher.

Herr Blümel war nicht feige. Darüber war er sich klar.

Aber er war auch nicht unhöflich. Aus diesem Grund war er nicht fähig, diesem Ungeheuer einfach zu sagen, daß er überhaupt nicht an seine Existenz glaube. Und daß er es für eine Erfindung halte. Obendrein für eine äußerst ungesund wirkende.

Er hörte also zu. Aus Höflichkeit.

Er lächelte sogar, als dieses Schauderwesen ihn mit Du anzureden begann. Mit der Begründung, daß es jahraus, jahrein mit ihm zusammengeschlafen hätte.

Wozu solchem Scheusal widersprechen?

Herr Blümel hielt gar nichts vom Widerspruch. Er brachte nur Erregung ohne Zielmöglichkeit. Irrtum muß sich selbst aufklären, Worte sind machtlos. Bedauerlich jeder, der sich dies nicht selbst sagen kann.

 

Aber beinah hätte Herr Blümel gelacht, als sich ihm der neue Duzbruder als der alte Holzwurm vorstellte, der in seinem Bett gehaust, seit sich dies aus einem Eichbaum in diesen nützlichen Gegenstand verwandelt hatte. Und der nun durch Herrn Blümels Vorgehen eigenmächtig und unerwartet obdachlos geworden war.

Herr Blümel, festgewillt, nicht widersprechen zu wollen, mußte doch ungläubig den Kopf geschüttelt haben.

Vielleicht laut gesagt haben, daß er es nicht liebe, zum Narren gehalten zu werden. Er wisse genau, wieviel Platz in der Höhlung eines Bettpfostens vorhanden wäre.

Das Ungetüm rückte näher.

Es fragte, ob Herr Blümel dies wirklich genau wisse? Ob er überhaupt etwas genau wisse?

Bevor der Herr Kanzleioffizial dieser beleidigenden Äußerung hätte gegenübertreten können, wurden ihm neue Fragen entgegengeschäumt.

Ob er wirklich Bescheid wisse in den Größen und Maßen?

Ob er wirklich wisse, wie groß die Zuneigung seiner zukünftigen Frau ihm gegenüber wäre? Wieweit die eigene zu ihr ginge?

Wie hoch das Maß der Jahre zu messen sein würde, die sie beide zusammen verbringen sollten? Wie groß ihre Zufriedenheit, ihre gegenseitige, sein würde? Wieviel ihre Freude aneinander wiegen würde? Wie schwer oder leicht das beiderseitige Vertrauen abzuwägen sein würde? Wieweit es wäre zwischen seiner Frau und jenem blonden Herrn, den er neben ihr gesehen, als sie Herrn Blümel beinah noch eine Fremde gewesen sei? Wie weit überhaupt die Entfernung zwischen Mensch und Mensch?

Herr Blümel quälte sich, diesem Examinator standzuhalten. Nicht durch äußerliche Beantwortung. Erachtete seinen eigenen Willen, der ihm hier vornehmes Schweigen gebot. Aber um sich selbst Rechenschaft zu geben.

Es gelang ihm nicht, zur Klarheit der Beantwortung zu kommen. Im Wirbel dieser unangenehmen Herausforderungswucht.

Außerdem begann das Ungetüm schon wieder zu sprechen. Zudem noch ein wenig näherrückend.

Es schnarrte, daß es Beobachter aller Ahnen des Herrn Kanzleioffizial gewesen und also Herrn Blümel genau kenne. Alle Atome, aus denen er zusammengesetzt sei. Sparsamer Sohn des sparsamen Enkels. Zur Pfennigrechnung, beständiger, verurteilt zwischen Leben und Tod.

Das Scheusal grinste und behauptete jetzt, daß Herrn Josef Blümels Herrn Papa im Augenblick der Zeugung gerade eingefallen wäre mit scharfem Schreck, daß er am frühen Morgen dem Milchmann fünf Kreuzer zuviel gezahlt habe.

Das ganze Leben dieses Sohnes mußte nun dazu dienen, diese fünf Kreuzer wieder einzusparen, wieder und wieder, jeden Tag aufs neue …

Hatte Herr Blümel, trotz Abneigung gegen jegliche Art von Debatten, doch gerufen, daß er sich solche Unverschämtheiten verbitte?

Das Ungetüm lachte plötzlich so unangenehm grell auf und schnaufte, daß Bruder Blümel nicht immer alles besser wissen wollen sollte. Daß er endlich sich selbst erkennen sollte, sich und seine Art.

Alle waren sie einmal Hochzeiter und Hochzeiterin gewesen. Jede Jugend verblendete die gleiche Hoffnung. Allen dünkte geheimnisvoll, was so einfach ist wie die Urkraft unverbrauchter Affen, wenn Dunkelheit schützt. Wenn nur er und sie da ist und alle anderen Dinge ausgelöscht sind.

Aber alles, was später komme, ist überflüssig.

Die Freude, ein langes Leben vor sich zu haben, verpulvert sich ins tägliche Gleichmaß, das aus Hunger und Durst besteht, auf Reichtum und Wohlbehagen ausgeht. Sonntagskleider werden zur Schau getragen. Die Seele aber muß auch feiertags weiter rechnen …

Hatte sich Herr Blümel plötzlich so weit vergessen, dem Ungetüm einen Fußtritt zu versetzen?

Es hatte sich aufgerichtet, von einem Atemholen zum andern, es saß nun Aug' in Aug' mit Herrn Blümel und pustete ihm jetzt mitten ins Gesicht hinein, daß Modenschnitt und Tanzschritt allein sich ändern. Mann und Weib dieselben geblieben wären seit Adam und Eva. Sich das Lebensmark aussaugend im Opfergeben, Opfernehmen.

Wer allein lebt, wird alt.

Ganz nah, hart angepreßt an Herrn Blümel, zischte der wachsende Wurm:

»Folg' meinem Beispiel, Bruder. Wer allein sich durchnagt, hat überall Platz, wird nicht vom Nächsten betrogen, bestohlen, heimlich vergiftet und begraben unter Tränen. Diesen lieblichen Tröpfchen, die immer glänzen, gleichviel ob sie Trauer begießen oder Freude.

Nimmt man ihm heute sein Bett, kriecht er morgen in ein besseres.

Ich werde mich nun in jene Wiege nagen. Das wird mich verjüngen. Ich fange von neuem an. Vielleicht entdecke ich endlich, ob das Leben mehr Zweck hat oder der Tod. Jedenfalls sind es zwei unvereinbare Sachen …«

* * *

Wirklich wälzte sich das Ungetüm fort. Mit solcher Wucht, daß Herr Blümel vom Stuhl stürzte.

Alle seine Knochen schienen zerschmettert.

Er wollte sich retten, wollte leben, gesund bleiben, alt werden.

Mit peinigender Anstrengung gelang es ihm, sich zu bewegen.

Er saß auf dem Boden seines ausgeräumten Zimmers. Es war kalt wie auf einer Gartenbank im Winter.

Der Ofen war ausgebrannt.

Von einem Ungeheuer war nichts mehr zu sehen.

Doch neben dem Herrn Kanzleioffizial lagen Punschflasche und Glas und Scherben.

Scherben sollten Glück bedeuten. Endlich konnte der Herr Kanzleioffizial einmal seine Nichtachtung des Aberglaubens beweisen.

Er wußte es besser. Scherben waren eine Warnung. Hier standen sie deutlich im Zusammenhang mit dem schweren Traum.

Herr Blümel wollte denken, überlegen, herausfinden, welche Zeit es sein könnte, welcher Tag und was er Besonderes für diesen vorgehabt hatte. Finster ahnte er, daß es etwas Wichtiges gewesen sein müsse. Aber sobald er den Kopf heben wollte, wurde dieser zu einer Kugel.

Es war noch still auf der Straße. Es mußte also noch früh sein.

Im Zimmer war es totenstill. Nur etwas hämmerte und pochte.

War denn sein Bett noch vorhanden? Hatte er es nicht verkauft oder verbrannt? Oder beides?

Er wälzte sich auf die Seite, dem Pochen zu.

Er lag nun neben der Wiege.

Das Ticken kam von dort …

* * *

Alleinstehende Damen glauben leicht etwas Unheimliches zu vernehmen. Aber wenn spät nachmittags merkwürdiges Geräusch, ähnlich wie Männergeschnarch, dringt aus einem Zimmer, das unbewohnt sein mußte, weil sein Bewohner es schon in erster Morgenfrühe hatte verlassen müssen, um zu seiner eigenen Hochzeit zu fahren, so darf man das schon für etwas Schreckhaftes halten.

Herrn Blümels besorgte Wirtin ließ die Tür seines Zimmers gewaltsam öffnen.

Unter Beihilfe eines männlichen Beschützers, jenes Weinbergbesitzers, der immer noch im Studium von Fräulein Jolanthe begriffen, ohne zu einem Endresultat gekommen zu sein.

Man fand den Herrn Kanzleioffizial zwischen Schlaf und Wachsein, recht übel sich befindend.

Man nahm sich seiner fürsorglich an.

Besonders Fräulein Jolanthe. Sie bedauerte ihn so heftig, wie wenn feste Freundschaft hier waltete oder noch ernstere Bande. Sie erbot sich überaus eilig an, das Telegramm zu besorgen, das Herrn Blümels Fehlen bei seiner Hochzeit entschuldigen sollte.

Der Herr Weinbergbesitzer wagte auf dem Begleitweg zum Telegraphenamt endlich die Werbung …

Herr Blümel hatte gerade noch die Kraft gehabt, das Telegramm aufzusetzen.

Er hatte die Hochzeit ein für allemal abgesagt. Der Einfachheit halber.

Er wußte nicht, ob er sich je wieder instand fühlen könnte, zu dauernder Lebensbindung zu schreiten.

Der Traum stand als Warnung zwischen Pflichtgefühl und Selbsterhaltungstrieb. Den die Schöpfung nun einmal als höchste Gabe verliehen hatte.

Kaum, daß Herr Blümel seine Absage unterwegs wußte, fiel er in festen Schlaf.

Er schlief, bis auf die kurzen Unterbrechungen zur Nahrungsaufnahme, beinahe drei Wochen.

Nach dieser Zeit glaubte er mutig erwachen zu dürfen. Nachdem sich niemand aus Berlin gemeldet hatte, nicht einmal ein Schriftzeichen gekommen war. Außer der Rücksendung eines schmalen Goldreifs wortlos und umgebend.

Herr Blümel fühlte sich kräftiger werden von Tag zu Tag.

Alles geriet ihm nun ausnehmend glatt und erwünscht.

Er konnte in seinem gewohnten Zimmer bleiben. Wiege und anderer fremde Hausrat verschwanden wieder. Mit ihnen der Holzwurm, wie Herr Blümel annahm. Sogar sein Bett kam zurück. Mit einem neuen Pfosten. Die Unkosten waren gering. Besonders für jemanden, der sich berechnen konnte, welche Ersparnisse er in diesen Tagen erreicht hatte.

Der Herr Kanzleioffizial vermochte die Dinge endlich wieder zu nehmen, wie sie der Wirklichkeit entsprachen.

Das spürte er deutlich, als er einen Briefumschlag erhielt, beschrieben von unbekannter Hand, der die Mitteilung brachte, daß sich Fräulein Konstanze Krause mit einem Herrn Udo von Silken verlobt habe.

Herr Blümel fühlte heftiges Bedauern darüber.

Weil dieses junge Mädchen noch immer nicht gescheit genug geworden, sich seiner Selbständigkeit und seines Unabhängigkeitstums wahrhaft zu freuen und nicht allen Ernstes gewillt war, sich beide zu wahren. Daß sie sich nicht selbst zu sagen wußte, daß das Leben im überengen Zusammensein mit einem andern Menschen alles Geheimnisvolle verlieren müsse.

Herr Blümel überwand sich sogar, ein kurzes warnendes Schreiben in diesem Sinn aufzusetzen und abzusenden, wieder auf dem guten Büttenpapier, von dem gerade noch ein einzelner restlicher Bogen vorhanden.

Obwohl ihn diese Leistung tagelang in Anspruch nahm und wieder ein wenig aus der festgefügten Ordnung brachte, wenn auch nur vorübergehend.

Doch er hatte dieses Schreiben für eine Pflicht von

Mitmensch zu Mitmensch erachtet. Hatte es für innere Notwendigkeit gehalten, wenigstens den Versuch zu machen, ein schönes kluges Wesen vor schwerer Torheit zu bewahren …

Dieses Schreiben fand großen Beifall.

Bei Udo von Silken.

Udo hatte es einrahmen lassen wollen.

Aber dann war es plötzlich verschwunden gewesen. Wahrscheinlich hatte es der junge Hund aufgefuttert, den Udo als beinah einziges Ergebnis seiner Langfahrt mitgebracht hatte.

Udo war wenige Augenblicke nach dem Eintreffen von des kranken Herrn Kanzleioffizials höflicher Absage angelangt. Er traf Konstanze noch im Brautschmuck.

Konstanze glaubte, er würde lachen.

Aber sie sah in seinem Gesicht, das gebräunt und hart geworden wie das eines Seemanns, einen Ernst, den sie nicht kannte.

Udo sagte, daß er sich, um Konstanze aus der Verlegenheit zu helfen, sofort als Stellvertreter anbieten würde für den Herrn Kanzleioffizial.

Es wäre dies eigentlich schon seine Absicht vor seiner Abfahrt gewesen und der Zweck seiner ganzen Reise. Die nur Hoffnung auf Verdienst gewesen. Denn er könne doch nicht sich und sein Ahnentum seiner Frau als Habenichts aufladen?

Da hatte ihn Konstanze an die Weiber von

Weinsberg erinnert. Die ihre geliebten Männer meilenweit auf den Rücken zu tragen verstanden hatten. Warum sollte auch nicht ein Weib von heute ihren Mann ein Stück Lebensweg zu tragen versuchen?

Und Udo hatte sich überzeugen lassen …

* * *

So erhielt Herr Blümel trotz seiner ehrlich gemeinten Warnung noch eine Vermählungsanzeige.

Ihm konnte es schließlich gleich sein. Er wußte nun um so gefestigter, was er von den Frauen zu halten hatte.

Mochten sie alle miteinander heiraten, soviel es ihnen Spaß machte. Mochten sie alle durch Nachkommen ewig zu leben versuchen. Er gönnte ihnen die ganze Unsterblichkeit, wenn man ihn nur selbst erst mal dieses Leben in Ruhe und Behagen verbringen ließ.

Das zu ordnen und einzuteilen ihm täglich besser gelang. Das ihm täglich besser gefiel.

So wie es ihm von Jahr zu Jahr mehr bewußt geworden, daß es nur eine Stadt gab, nur ein Wien, in dem sich dies alles wirklich verlohnte.

Herr Blümel konservierte sich vorzüglich.

Er wurde allmählich selbst ein Stück Wien.

Jeder kannte den alten Herrn, der im Café viele Stunden lang alle Zeitungen beschlagnahmte bei einer Tasse Kaffee und fünf Glas Wasser.

Der im Winter in jedem Konzert anzutreffen war, das ermäßigte Preise angesetzt hatte.

Der im Sommer im Stadtpark, kopfwiegend, dem unsterblichen Walzer seines großen Landsmannes lauschte.

Oder der, ein nachdenkliches Lächeln um die schmalen Lippen, die Raupen beobachtete, die in einer andern Sommerwelt Schmetterlinge werden …