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Das verbrannte Bett

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Inzwischen war er vom Straßenhändler, durch die Flughaftigkeit der Zeit und die eigene Festigkeit, zum selbständigen Kaufmann geworden. Belesen wie nur einer und doch mit eigener Meinung über alles, was diese Zeit aufwarf an Erfindung, Zerstörung, Umbau, nicht nur auf materiellem Gebiet, sondern auch in politischen, künstlerischen und anderen abstrakten Reichen. Udo von Silken, wieder Bequemlichkeit halber auch hier liebenswürdiger Schuldner, würdigte Herrn Kilian oft eingehender Gespräche. Bevor er sich verabschiedete, neueste, buntfarbige Magazine leihweise an den erstklassigen Stoff des Ärmels geklemmt, klopfte er Herrn Kilian mit hellgelb belederter Hand auf die spitzkantig nach oben gerichteten Schulterkegel und sagte, daß erworbener Verstand mehr wäre, als ererbte Dummheit.

Herr Kilian empfand diese Vertraulichkeit als Ritterschlag …

Das Schokoladenfräulein kaufte alle illustrierten Blätter der Welt bei Herrn Kilian. Sie fand den kleinen Buchhändler apart und romantisch. Seine Augen erinnerten sie an die Blicke der armen stummen Fische in den Verkaufsbottichen der Mutter, mit denen sie von Kindheit an ängstlich versucht hatte, vertraut zu werden.

Zuerst wurde diese Behauptung eigentlich nur aufgestellt, um einen straffen Sportjüngling, der Verabredungen allzu nachlässig nahm, eifersüchtig zumachen. Aber Worte sind Widerhaken, an denen der Sprecher schließlich selbst hängen bleibt. Und Lügen sind gefährlich, weil wir sie schließlich selbst glauben.

Allmählich kreiste die ganze geheime Phantasie der Forellenschlanken um den romantischen Herrn Kilian. Sie bedachte, wie schrankenlos die Leidenschaft eines Menschen sein müsse, der sich vergeblich nach Besitz von Frauen hatte sehnen müssen. Herr Kilian wunderte sich wohl manchmal über die hungrige Steilheit ihrer blanken Blicke und die Erregtheit ihrer gefahrvollen roten Lippen. Er sagte sich dann, daß die Linie ihres Lächelns irgendeinem von denen gelten werde, mit denen er sie nach Feierabend davonflirren sehen mußte.

Ihren bunten, leckeren Laden hatte er noch nie betreten. Wer reich werden will, kauft keine Süßigkeiten.

Dagegen war Herr Kilian bestzahlender Besucher des Handschuhgeschäftes von Fräulein Konstanze.

Die Handschuhe, die er aussuchte, hatten stets einen Stich ins Kanariengelbe. Auch die Krawatten, gern orangegelb oder grasgrün gewählt, überschritten mit ihrer Grellheit jene paar Zoll, die den guten Geschmack von Geschmacklosigkeit trennen. Und umgekehrt Herrn Kilian an der Höhe seiner Gestalt fehlten. Ebenso wie sein Anzug stets auffällig gemustert war, wie wenn die Unebenheit des Wollstoffs die körperliche glattmachen sollte.

Herr Kilian kaufte die Handschuhe stets ohne Anprobe. Fräulein Konstanze hielt ihn deshalb für einen Frauenfeind.

Herr Kilian aber tat dies aus Vorsicht. Er sagte sich in bittersüßem Ingrimm, ein kleiner Mann ist leicht umgeworfen. Er fürchtete umzufallen bei der Berührung von Konstanzes Fingern.

Aber zu plaudern, wenn auch erst auf der Schwelle, gelang ihm meistens. Er geizte dann nicht mit Kenntnissen, lustigen Lebenserfahrungen, brauchbaren Ratschlägen. Immer waren es vergnügliche Minuten.

Kürzlich konnte Herr Kilian mit etwas Besonderem aufwarten.

Er hatte eine Karte von Udo von Silken erhalten. Sie brachte die Ansicht eines großen Hotels, das ebensogut in Berlin hätte stehen können. Dazu die Mitteilung, daß auch in Melbourne mit Wasser gekocht werde.

Konstanze blickte nur flüchtig auf die Karte. Sie gehörte Herrn Kilian, sie wollte ihn nicht berauben.

Herr Kilian steckte die Karte zurück in seine aufgebauschte Brieftasche, die wie Leder aussah. Er schien um einige Zoll gewachsen.

Auf der Ladenschwelle kam Herr Kilian auf Melbourne zu sprechen und schließlich zu einer Beschreibung des ganzen Australiens.

Konstanze wurde neugierig, wo eigentlich auf dem Globus Australien herumgondelte?

Herrn Kilians Bücherregale waren durch solchen Globus gekrönt.

Konstanze brauchte also nur einen Schritt über die Straße zu tun, um die ganze Welt nach Belieben herumdrehen zu können. Wer ließe sich solche Gelegenheit entgehen?

Die Erde mußte unter Konstanzes großen kräftigen Händen tanzen. Konstanze wünschte Australien näher an Europa zu schütteln. »Warum?« fragte Herr Kilian. Unruhe in seinen Hundeaugen.

Konstanze vergaß zu antworten. Sie dachte gerade über einen Einfall nach, der ihr durch den Sinn geschossen. Die alte Madam Erde kannte nur altmodische Rundtänze. Jazz und Foxtrott waren der Kugeligen versagt. Die konnte sich nur drehen im ewigen Geleise.

So war man aufs Tanzen zu sprechen gekommen. Herr Kilian hätte niemals gewagt, Fräulein Konstanze zum Tanzen aufzufordern. Obwohl er ein vorzüglicher Tänzer war. Verunstalteten Körpern ist die Leichtigkeit der Wünsche gegeben.

Also mußte wohl von Fräulein Konstanze der Vorschlag ausgegangen sein, daß Herr Kilian sie einmal zum Tanz führen könnte?

Jedenfalls tanzten sie miteinander, Abend für Abend.

Gesprochen wurde nichts. Wer wirklich tanzt, hebt sich auf Zehenspitzen um des Tanzes willen, um jener Befreiung willen, jenes Leichtwerdenwollens im Rhythmus, nach dem unsere Erdschwere beständig sucht.

Herr Kilian verstand, daß er für Fräulein Konstanze wesenlos war.

Er begnügte sich dankbar. Auch Kleingeld bereichert, war eine seiner Lebensdevisen.

Einmal hatte Konstanze mitten im Tanz aufgelacht. Herrn Kilian zugenickt und ihm geraten, spaßeshalber nach Melbourne zu schreiben, daß er jeden Abend tanze.

Auch zu verraten, wer seine Partnerin wäre …

* * *

Einige Tage später meldete Herr Kilian eifrig Fräulein Konstanze, daß ihr Vorschlag erfüllt wäre. Er hatte nach Melbourne berichtet, daß jemand und jemand jeden Abend zusammen tanzten.

Aber gerade an diesem Tag war dies nicht mehr Wahrheit. Fräulein Konstanze klagte über ermüdete Füße. Das Tanzen wurde aufgegeben.

Herr Kilian war gewöhnt, sich dem Geschick zu fügen. Er begnügte sich nun damit, sich täglich nach der Gesundheit des gnädigen Fräulein Nachbarin zu erkundigen.

Konstanze gewann wieder Zeit für praktische Notwendigkeiten, die der Tanzteufel gewissenlos verdrängt hatte. Im Schreibtischschub schichteten sich geschäftliche Schreiben, sie verlangten Durchsicht, Beantwortung.

Wieder wünschte sich Konstanze irgendwen neben sich, dem sie jetzt diese Umschläge und Blätter voll Fragezeichen und Ziffern hätte zuwerfen können, zu korrektem, kundigem Ausdemwegräumen.

Hier wäre Herr Kilian nicht zu gebrauchen gewesen. Wer mit Spreewasser getauft ist, läßt keinen Nachbarn auf den Grund seiner Kasse sehen, auch nicht den treuherzigsten.

Auch das hatte Udo einmal gesagt. Konstanze hatte es sich zufällig gemerkt. In dieser Weise beschäftigt, kam Konstanze der Brief des Herrn Kanzleioffizials wieder vor Augen. Sein einfaches Äußere hatte ihn unter die Geschäftsbriefe geraten lassen.

Konstanze erinnerte sich jetzt. Der Briefträger hatte ihn gebracht, als Herr Kilian schon wartend vor der Tür gestanden, sein hellgelbes Mäntelchen ordentlich zusammengelegt über dem kurzen Arm, die übergrüne Krawatte scharf beleuchtet von der Abendsonne.

Solche Augenblicke blieben peinlich, obwohl sich Konstanze vorgenommen hatte, sich um niemanden zu kümmern.

Sie hatte den Brief damals nur flüchtig überlesen. Er berichtete viel von Wien, Herr Blümel erzählte von neuen praktischen Straßenverbindungen, von der Erneuerung von Donaubrücken, Verbreiterung von Gehwegen. Es las sich wie eine Seite aus langweiligem Verkehrshandbuch.

Dazwischen waren die Gedanken der Lesenden zu der Frage gesprungen, ob es wohl auch über Melbourne Reisebücher gäbe. Es hätte Spaß machen können zu wissen, wo dieses europäisch aussehende Hotel gelegen war. Ob am Rand des Ozeans oder an einer Straße?

Konstanze gähnte heute wie damals, als sie das dünne knittrige Kanzleipapier zum erstenmal zwischen den großen wohlgeformten Händen gehalten.

Aber heute bemerkte sie eine Randbemerkung, die sie neulich übersehen hatte. Das werte, geschätzte, gescheite Fräulein wurde ergebenst befragt, ob sie es für krankhaft erachte respektive als lebensuntüchtig, daß ein Beamter, sonst verläßlich und geachtet von Vorgesetzten wie Kollegen, stark beunruhigt würde, gestört in seiner Tätigkeit, durch nichts als das Blitzen des Verlobungsringes eines neuen Kanzleigenossen?

Konstanze mußte lachen. Sollte das eine Liebeserklärung sein? Oder war der Arme nicht ganz gesund?

Udo pflegte zu behaupten, daß in jedem ein Stück Verrückter stecke. Nur unter diesem Gesichtspunkt lasse sich der Verkehr mit seinen Mitmenschen ermöglichen.

Jedenfalls war diese Randbemerkung eine Frage. Also eine erleichternde Grundlage zur Beantwortung des Briefes.

Konstanze schrieb, daß sich ein Tüchtiger durch nichts beirren lassen dürfe. Ein Berliner würde sich im solchen Fall sagen: Jeder blinkt auf seine Weise.

Aber diese wenigen Sätze füllten nur wenig den großen festen Büttenbogen, auf den zu schreiben ähnlichen Genuß bereitete wie sanfte Musik in der Ferne oder das Zergehen einer reifen Himbeere auf der Zungenspitze.

Konstanze suchte also noch nach einigen Sätzen, die sich schicklich hinzufügen ließen. Nicht jedem jedoch, der zu schreiben sucht, fällt etwas ein.

Es war keine Lüge von Konstanze, wenn sie jetzt mit violetter Tinte auf gelbem Blatt vermerkte, daß

Sprechen einfacher wäre als Schreiben. Und weil auch dies noch nicht geholfen hatte, wenigstens eine Seite auszufüllen, so fügte sie hinzu, ob der Herr Kanzleioffizial nicht nach Berlin kommen wolle, um seine Vaterstadt mit der ihren zu vergleichen?

Zu weiterer Raumfüllung malte Konstanze drei große Fragezeichen.

Und dann noch einmal drei, zur Übung.

Sie beabsichtigte Udo von Silken spaßeshalber einen Gruß zu senden, der aus nichts bestehen sollte, als aus solchen wohlgeschwungenen Zeichen der Interpunktion …

 

Konstanzes Schreiben an den Herrn Kanzleioffizial beendeten also sechs Fragezeichen, die in Sorgfältigkeit der Form beinah Violinschlüsseln glichen, die fröhlichen Melodien voranmarschieren …

* * *

Ähnlich so mußten diese Interpunktionen auch auf Herrn Blümel gewirkt haben. Ihr ornamentaler Schwung erinnerte ihn an seine Geige. Nach mehrmaliger Überprüfung holte er sie hervor und spielte wieder einmal. Wiener Melodien, das Souvenir und die Serenade von Ordla. Nicht ganz so sicher und feurig vielleicht wie Kubelik, möglicherweise auch nicht so elegant wie Kreißler, aber die Melodien wurden doch deutlich erkennbar.

Herr Blümel überlegte sogar, ob er die Geige nicht mit auf die Reise nehmen sollte?

Auf die Reise? Auf welche Reise? Wollte er denn Wien verlassen?

Er blickte in den Spiegel und dachte, daß diesem mageren ernsthaften Herrn eine Ausspannung zu gönnen wäre.

Diesem älteren Herrn, hätte er beinahe gedacht. Rechtzeitig war ihm eingefallen, wen er vor sich hatte. Von vorgerückten Jahren konnte hier keine Rede sein. Nur der allzu ernste Ausdruck ließ vielleicht die Gesichtszüge und Mannesgestalt vorzeitig würdig wirken. Die Farbe des Schlipses hätte möglicherweise vergnügter gewählt sein müssen. Es fehlte die Frauenkritik. Sie könnte peinlich wirken, sogar peinigend, vielleicht jedoch auch fördernd und verjüngend. Es war durchaus nicht ausgeschlossen, daß sich ein Leben, zu zweien gelebt, doppelt ausnutzen ließ, bei einem nur um ein halb Prozent vermehrten Kostenaufwand. Einigkeit verbilligt.

Ähnliche Berechnungen hatte der jüngere Neue kürzlich aufgestellt.

Uneinigkeit allerdings verwüstet.

Aber zu dieser Einwendung hatte der Jugendliche gelacht und gesagt, daß es mehr Einigkeit in der Welt gäbe, als der Herr Kanzleioffizial zu wissen scheine.

Jedenfalls las Herr Blümel heute mit besonderer Aufmerksamkeit in einer von ihm stets bevorzugten Zeitung eine ärztliche Feststellung, die sicher und klar angab, aus wie wenig lohnenden Momenten sich auch das lange Leben eines Vernünftigen zusammensetzt.

An dem Lebenslauf eines Siebzigjährigen war bewiesen worden, wie das kostbare Gut Dasein aufgebraucht wird. Vierundzwanzig Jahre davon waren verschlafen worden, zwanzig Jahre hatte man gearbeitet, und sieben Jahre waren für Mahlzeiten verbraucht worden, sechs Jahre war man unterwegs gewesen im Hin und Her zur Arbeitsstätte, neun Jahre hatten allerdings für Vergnügungen gelten können. Dagegen hatte zwei Jahre allein das Rasieren gekostet.

Solche Querschnitte durchs Dasein machten aufhorchen.

Sie mußten von neuem zu der Überlegung zwingen, ob nicht der ganze Hang der sogenannten Liebe Selbsterhaltungstrieb war? Weil paarweises Leben den Vorzug hatte, daß man an einem zweiten Leben einen Anteil gewann. Anregung, Aufheiterung, Ermunterung, also Kräfte zu diesem zugeschossen erhielt. Selbst ein kleiner Verdruß, das Normale nicht überschreitend, war schließlich nur als Regulierung anzusehen, als gesunde Erhöhung des Blutkreislaufs.

Das Leben ist eine Verteidigung gegen das Leben. Herr Blümel spürte etwas von diesem schwierigen Problem, als er sich nun Schritt für Schritt aus seinem glatten Geleis gedrängt fühlte, ohne etwas dagegen tun zu können. Und ganz ohne es zu wollen.

Seine Überlegung über geteiltes und dadurch um ein halb Prozent verdoppeltes Leben wurde unterstützt durch die Wahrnehmung, daß weibliches Wohlwollen ihm gegenüber jetzt auffallend in die Erscheinung trat. Ungerufen wie alle Schicksalswünsche.

Beweise so auffällig, daß der Bescheidenste sie bemerken mußte.

Da war zuerst Fräulein Pichler.

Herr Blümel hatte sie wieder aufgesucht.

Nicht, weil er sich über das Ausbleiben von Fräulein Konstanzes Schreiben gewundert hatte. Er faßte solche persönliche Angelegenheit nicht überwichtig auf. Dagegen glaubte er, sich durch die ungewöhnliche Anhäufung von Unglücksfällen in den vielen Zeitungen, die er täglich las, etwas nervös gesteigert. Besonders aus Berlin waren Unfälle jeder Art verzeichnet. Es mußte dies jeden beunruhigen, der mit irgend jemandem in dieser Reichshauptstadt in Korrespondenz stand. Fräulein Pichler mußte das gleiche empfinden. Falls sie nicht durch direkte Nachricht beruhigt worden. Vielleicht sogar mit einem Gruß beauftragt.

Einen neuen Einkauf wünschte Herr Blümel deshalb nicht zu unternehmen. Die wohlfeil erworbenen Handschuhe lagen noch unberührt verwahrt in dem Seidenpapier, aus dem sie aus dem Laden heimgebracht worden.

Eine nähere gründliche Besichtigung ihrer ergab jedoch jetzt, daß ein Knopf nicht ganz festsaß. Noch dazu am rechten Handschuh, den am meisten zu gebrauchenden. Um ein weniges mehr gelockert, würde sich die Notwendigkeit ergeben, zu seiner Befestigung Fräulein Pichlers Laden wieder betreten zu müssen.

Weitere Nachprüfung lockerte den Knopf noch erheblicher vom Leder.

Plötzlich lag der Knopf lose in Herrn Blümels Hand. Nun hatte Herr Blümel keine Wahl mehr. Dieser Weg in den Handschuhladen war unvermeidlich geworden, auch wenn er unangenehmen Zeitverlust bedeutete.

Herr Blümel stellte Fräulein Pichler die Wahl zwischen Umtausch der Handschuhe oder Neubefestigung des abgerissenen Knopfs. Er bedauere dies tun zu müssen, aber Not kenne kein Gebot.

Steffi, nicht so zierlich zurechtgemacht wie sonst, war zerstreut. Sie sagte vorerst, daß sie Zugwind auf die Augen bekommen habe. Sie versicherte dies jedem Kunden aus Besorgnis, man könne merken, daß sie die Nacht durchheult hatte, weil der Rennfahrer auf Motor ohne sie nach Berlin gerast war. Wenn auch nach dreimaligem Ehrenwort des Treubleibens. Aber solche wienerische Gewohnheit konnte nicht beruhigen auf Entfernung von vielen hundert Kilometern.

Steffi blickte darum auffallend schnell in die Höhe von Nadel und Faden, mit dem sie den Knopf wieder zu befestigen bemüht war, als der Herr Kanzleioffizial unvermittelt fragte, ob Fräulein Steffi neuerdings in Besitz von Privatmitteilungen aus Berlin gelangt wäre?

Steffi bildete sich ein, der Hagere bringe eine Schreckensbotschaft. Der Renner wäre gestürzt. War diese steife Bureaugestalt nicht der Unglücksrabe in Person? Diese saure Miene im Hochsommer, wo die Welt voll süßen Beeren und Blumen übervoll?

Aber sie hätte ihn umarmen mögen, als sich nach einem, trotz Steffis eilewünschender Heftigkeit recht umständlichen Wortwechsel zeigte, daß der Frage nur wieder heimliche Auskunft nach Fräulein Konstanze zugrunde lag.

Sie bedauerte aufrichtig, gar nichts mitteilen zu können. Sie wußte nun, wie Alleinsein tut. Ihr zärtliches Gemüt, in Trauer gelockert, kannte nun Sehnsucht und quoll über vor Mitleid mit dieser steifen, immer winterlichen Knochenfigur. Steffi lächelte den Herrn Kanzleioffizial darum so herzlich an, daß ihm beinah übel wurde. Und daß er beinah überhört hätte, daß das Fräulein obendrein die Frage an ihn gerichtet hatte, ob er und sie nicht zum Sonnenuntergang hinauffahren wollten zum Schloß Cobenzl, dort von der Höhe hinauslugen wollten über die warme wienerische Sommerwelt. Zwei Einsame, die sich am Anblick der heimatlichen Erdoberfläche, der lieben schönen, zu trösten suchten?

Herr Blümel verzichtete auf diesen Trost. Ohne Bedenken.

Nicht nur, weil er sich klar bewußt war, daß solche Damen, jung und energisch, imstande waren. Eis, Limonaden und sonstige Leckereien dreifach zu bestellen und diese in größter Gleichgültigkeit vom Begleiter zahlen zu lassen, sondern aus dem Grund, daß er keines Menschen Beistand bedurfte.

Fräulein Steffi nahm die Absage nicht übel. Im Gegenteil, ihr Lächeln wurde herzlicher.

Es blieb haften an Herrn Blümel, der sich nicht ohne Vorwürfe sagte, daß seine häufigen Besuche hier falsche Hoffnungen in diesem feurigen Fräulein erweckt haben mußten.

Er glaubte einsehen zu müssen, daß er den Eindruck seiner Persönlichkeit bisher unterschätzt hatte.

Der Abend brachte ihm weiteren Beweis dafür. Als er nun in einer dörflichen Wirtschaft bei St. Veit den Plan des Fräulein Steffi allein ausführte und vom grünen Gartentisch aus über heimatliche Erdoberfläche schaute, Wiener Waldluft regelmäßig einatmend. Er dachte in freundlicher Gerechtigkeit an Fräulein Steffi. Ihr Vorschlag war gut gewesen. Der Fehler daran war nur, daß sie sich selbst dabei nicht ausgeschaltet hatte.

Wer sich wohl fühlt, ist im Einklang mit der ganzen Welt. Herrn Blümels Anschauung stand daher in keinem Gegensatz zu den Gedanken, die Fräulein Steffi im gleichen Augenblick hegte, im Donaubad plätschernd, frohgelaunt wieder durch Wasserkühle, überzufrieden, daß ihre rührselige Übereiltheit so gut abgelaufen war. Daß ihr kein gelblicher Kanzleioffizial diesen dunkelblauen Sommerabend verdarb …

Herr Blümel aber mußte weiter begreifen lernen, wie schwer es ist, allein bleiben zu wollen auf dieser Welt.

Eine Dame hatte sich auf die andere grüne Seite des Tisches gesetzt. Den Blick auf Wien, hatte sie schon beim Fortrücken des Stuhls ausgerufen: Da liegt es, mein Wien, im Glanze des Barocks.

Vergeblich. Der Ausruf zeitigte keine Rückwirkung bei Herrn Blümel.

Obwohl er über diese unvernünftige Störung aufgebracht war. Er war im Begriff gewesen, Hühner mit einer alten Semmel zu füttern, auf etwas verzwickte Weise. Er liebte es, unbeherrschten Tieren die Macht des Menschen zu zeigen. Mochte auch ein Huhn begreifen, was es heißt, im Schweiße seines Angesichts sein Brot zu verdienen. Zu diesem Zweck legte Herr Blümel die Krumen auf den Rand des Tisches. Die Hennen wagten mit Todesverachtung und gellendem Schreckschrei am Tisch emporzuflattern und den Leckerbissen an sich zu reißen.

Diesen Augenblick benützte Herr Blümel, um ihnen zuzurufen, daß dem Mutigen die Welt gehöre.

Dieses Unterhaltungsspiel hatte das fremde Fräulein gestört.

Einige kurze Blicke vergewisserten Herrn Blümel, daß unter einem leichten Sommerkleid alles da war, was zur Ausstattung einer schlanken aber vollen Wienerin gehörte.

Er liebte diese aufdringliche Art ungewünschter Mitteilungen nicht.

Aber das Fräulein saß mitten in der Landschaft. Es war nicht möglich, sie zu übersehen.

Bald mußte Herr Blümel merken, daß wortlose Mitteilungen noch nicht die ärgsten sind. Das Fräulein begann zu sprechen.

Die heraufziehende Mondsichel mahnte sie an eine Moschee am Bosporus, den letzten roten Abendschein verglich sie mit der Zeit der Renaissance, und der schlecht gebackene, bröckelnde Kuchen, der ihr vorgesetzt wurde, brachte ihre Gedanken auf Roms Hügel, vor das Forum romanum.

Sie war Architektin und hatte sich im Studium

überanstrengt. In solchen Sommernächten fühlte sie, daß sie auch ein butterweiches Herz besäße. Und daß eine einzelne Säule ein Unding wäre. Alles im Bau der Welt beruhe auf Ergänzung.

Die Enge des Tisches brachte es mit sich, daß ihr rundes Knie nicht ferngerückt dem spitzen des Herrn Kanzleioffizials sein konnte. Fast hätte man sagen können, daß es dieses berührte.

Herr Blümel war kein listiger Liebesstehler, wie es Don Juan gewesen. Aber gerade darum glaubte er, diese überanstrengte Landsmännin nicht beleidigen zu dürfen, indem er etwa heftig von ihr fortrückte, wie vor einem lästigen Insekt.

Als das Fräulein jetzt von der Seelennot auf die des Geldbeutels gekommen war, fühlte Herr Blümel wieder den üblen Geschmack, den ihm weibliche Aufdringlichkeit stets verursachte. Er zahlte und erhob sich und überließ die ganze sommernächtliche Pracht der überanstrengten Architektin …

Er war nicht abergläubisch. Es war die klare Vernunft, die hier Herrn Blümel mahnte, daß diese Begegnung eine Erläuterung des Schicksals hatte sein sollen. Die ihn erneut hatte mahnen wollen, wie sehr er den Frauen als Mann galt. Falsche Bescheidenheit hatte ihn manchmal daran zweifeln lassen.

Daß außerdem ihm diese Zusammenführung hatte beweisen sollen, wie vornehm sich eine andere bei einem sehr ähnlichen Vorkommnis benommen hatte. Jene andere, die ihn zu sich wünschte, in eine Stadt, wo es eine Auswahl gab von Millionen Männern. Die diesen Wunsch nur zart andeutete mit musikalischen, keuschen Fragezeichen …

* * *

Wenn man erst die Winke des Schicksals zu verstehen glaubt, winkt es auf Schritt und Tritt.

Das ist nun einmal so. Es bleibt schwer zu wissen, was uns wünschenswerter wäre: Blindlingslaufen oder Zielsicherheit.

Herr Blümel glaubte nun Winke zu spüren auf allen Wegen, er hätte derartiges nicht für möglich gehalten, aber Tatsachen überzeugten ihn.

Auf dem Weg zum Büro begegnete er einem Trauerzug. Ein Wiener Aristokrat wurde vierspännig zur Familiengruft gefahren. Sein Leben war jedem echten Wiener bekannt wie das eines Verwandten. Die Vorübergehenden auf der Straße erzählten barhäuptig, einer dem andern, daß er als echter Wiener gestorben. Achtzigjährig hatte er sich erkältet bei einem zärtlichen Stelldichein.

 

Herr Blümel blickte der langsamen Fortbewegung des Wagens nach, bis sie zusammenfloß mit dem Strich des breiten Weges, der sich auflöste in die molligen, zärtlichen Hügellinien der Wiener Landschaft.

Der Herr Kanzleioffizial begriff die empfangene ernste Morgenlehre. Ein Hagestolz war eine Unmöglichkeit in dieser zarten Stadt, umwellt von den weichen Rundlinien der Weiblichkeit. Ein pflichttreuer Mann wie Josef Blümel mußte in solchem Augenblick etwas empfinden, das Schuldbewußtsein nicht unähnlich sah.

Ebensowenig aber war eine Reise nach Berlin kein Ding, zu dem man sich so geschwind entschloß, wie zum Befestigenlassen eines Handschuhknopfs.

Kein Zeitungsblatt, das, untersucht auf diesen Punkt, nicht täglich Bahnunglücke brachte. Bremsen versagten, Signalzeichen wurden verwechselt, Weichen falsch umgestellt, Brücken brachen. Unmöglichscheinendes wurde ungewünschte Wirklichkeit.

Herr Blümel richtete seinen Spaziergang nicht mehr über den Ring zum Schottentor. Er ging zum Westbahnhof und beobachtete dort die Züge, die über Hüttelsdorf davoneilten.

Er prüfte die Mienen der Abfahrenden. Er ging längs der Bahnlinie auf und ab und versuchte Übersicht über das verzwickte System der vielen Signalzeichen zu gewinnen.

Zu einem abschließenden Urteil kam er nicht.

Mancher nahm die Abreise ruhiger, gleichgültiger, als sich ein anderer an den gewohnten Tisch im Kaffeehaus zu setzen versucht.

Andere dagegen waren wie geladen mit Elektrizität. Sie bewegten sich wie auf Spiralen. Sie rannten hin und her wie bei einer Feuersbrunst. Sie fragten jeden Begegnenden um eine andere Auskunft, noch während sie Antwort erhielten, sahen sie auf ihre

Uhr oder durchkramten alle ihre Taschen nach Fahrkarten, Gepäckscheinen oder Kleingeld. Sie liefen, anstatt Platz zu nehmen, immer wieder den Zug entlang, wie wenn sie Würstel zu verkaufen hätten.

Früher hätte sich Herr Blümel darüber vergnügt, wer nicht zu reisen verstand, sollte es unterlassen. Zumal man seiner Anschauung nach im Grunde nirgends etwas anderes finden konnte als Erde, Steine, Wolken, Wasser, Wiesen und Bäume.

Jetzt sagte er sich, daß das Leben vielleicht keine freiwillige Rekruten kenne und jeder marschieren müsse, wie sein Geschick befiehlt.

Er fühlte Mitleid. Er sagte sich, es sind nicht die Schlechtesten, denen die Selbstsicherheit fehlt.

Das Betrachten der Signalstangen brachte nicht weniger Beunruhigung. Versuchte man sich ihrer Mannigfaltigkeit bewußt zu werden, ahnte man, daß hier kleinster Irrtum größte Katastrophen verursachen mußte. Rädchen, Hebel, Farbe und Funken hatten ineinanderzugreifen und sich zu ergänzen, wie Dinge im Selbstbetrieb des Weltalls. Bewundernswert. Aber Herr Blümel fragte sich, ob wir vielleicht nur bewundern, was uns unheimlich ist.

Herrn Blümels Ratlosigkeit steigerte sich. Wollte er reisen, mußte er um Urlaub ersuchen.

Nun aber war das Sonderbare, er glaubte sich plötzlich nicht mehr auf das Äußere von Fräulein Konstanze besinnen zu können. Das Bild ihrer Züge war ihm entglitten. Er vermutete, daß die Schuld daran der Beobachtung, der Prüfung der vielen Gesichter am Bahnhof zuzuschreiben war.

Jedenfalls hielt er es für einen erneuten Wink des Schicksals, daß gerade das Abendblatt eine sonderbare Begebenheit brachte. Ein junger Mann war bei dem Zusammenstoß zweier Eisenbahnzüge gerettet worden nur durch eine Photographie, die er über der Herzgegend getragen hatte.

Es hatte sich in diesem Fall um kein Frauenbildnis gehandelt. Was den jungen Mann Herrn Blümel noch näher rücken ließ. Es war der Maschinenentwurf eines tüchtig Strebenden gewesen.

Herr Blümel aber hatte den Wink verstanden. Er wußte, daß das Geschick Umwege suchte.

Er entschloß sich, das Fräulein Konstanze, als Antwort auf ihre Fragezeichen, bescheiden um eine Photographie zu ersuchen.

Er schrieb, wieder auf Kanzleipapier, in lithographisch gestochener Handschrift, daß er dieses Ansuchen an das gnädige Fräulein nur ordnungshalber stelle, besser gesagt, aus Sammelwut.

Er sammele die Bildnisse aller seiner Bekannten. Eine Zerstreuung des Alleinstehenden.

Herr Blümel würde sich nie einer Unwahrheit schuldig gemacht haben. So war auch das keine Lüge. Obwohl Herrn Blümels Zimmer bildnislos war. Sein Schmuck war nur die Geige und manchmal das südliche Sonnengelb einer Zitrone, deren Bestimmung war, im Verein mit ein wenig Zucker, Limonade zu geben.

Alles jedoch muß seinen Anfang haben. Auch eine Sammlung.

Herr Blümel beabsichtigte gerade mit dem Bildnis des Fräulein Konstanze jene in seinem Brief erwähnte Galerie seiner Bekanntschaften zu beginnen.

Von Unwahrheit oder nur einem Versuch zu solcher konnte also keine Rede sein …

* * *

Auch der vorsichtigste Mensch ist nur ein Mensch. Läßt er sich nichts von anderen rauben, nimmt er sich selbst, was ihm niemand nehmen könnte.

Herr Blümel hatte sich selbst um seine innere Ruhe gebracht.

Zu spät begriff er, daß er diesen Brief mit der kühnen Bitte nicht hätte absenden dürfen.

Er hatte nun die Verpflichtung zu einer Bildnissammlung.

Im Büro peinigte ihn Zerstreutheit. Er fühlte fortgesetzt den Zwang, seine Kollegen um Überlassung ihres Bildes zu bitten. Diese ungefährliche Willensäußerung war schwerer ausführbar, als er vermutet hatte.

Am ersten Vormittag gelang sie ihm nicht. Ebensowenig am zweiten.

Am dritten sagte er sich, daß er beinahe voreilig gehandelt hätte.

Er mußte natürlich erst Fräulein Konstanzes Antwort abwarten, bevor er weitere Schritte tat in dieser Angelegenheit. Erhielt er eine abschlägige, würde er den Sammelplan aufgeben müssen. Da Fräulein Konstanzes Bild den Anfang machen sollte. Ohne Anfang keine Fortführung, das war klar.

Ebenso wie es begreiflich war, daß Herr Blümel auf diese Antwort nun in größter Unruhe wartete. Denn schließlich bedeutete der Plan dieser Sammlung etwas ganz Neues für ihn. Er würde im Ausführungsfall Vorkehrung für ihre Unterbringung in seinem Zimmer treffen müssen. Es war genau zu überlegen, ob der kommende Platz dafür außerhalb oder innerhalb der Kommode geschaffen werden mußte.

Da sich Herr Blümel ohnedies daran gewöhnt hatte, den Bahnhof aufzusuchen, unterrichtete er sich an den Fahrplänen über den Zeitanspruch, den eine Antwort benötigen würde. Wobei er Fräulein Konstanze vierundzwanzig bis achtundvierzig Stunden Bedenkzeit zubilligte, die er dem Exempel hinzurechnete.

Alles dies geschah in Sommerwärme. Aus den Hausgärten duftete es nach Rosen und Himbeeren. Neben den Gleisen rollten sich Melonen wie Rieseneier eines Glücksvogels.

Herr Blümel dachte zwischen mancherlei anderem, daß an solchen Tagen auch der Bescheidenste viel bunte Freude zu verschaffen vermochte, einem lustigen geweckten und doch gehorsamen Söhnchen …

Konstanze hatte auf Rat des Herrn Kilians einen Saisonausverkauf angesetzt. Alle drei Nachbarn, sie, das Schokoladenfräulein und Herr Kilian selbst, erfreuten die Mitwelt durch Herabsetzung der Preise.

Das brachte Bewegung in die sommerliche Stille.

Herr Kilian sagte, alle jene, die für niemanden jemals einen Pfennig übrig haben, kaufen blindlings, wenn sie glauben, nur die Hälfte des richtigen Preises zu zahlen. Und weil dies die meisten sind, könne man an solchen Tagen jeden Ladenhüter zu vollem Wert verkaufen.

Er sagte es zu dem Schokoladenfräulein, das damit beschäftigt war, einigen verspäteten Ostereiern ein neues blankes Kleid aus buntem Stanniol zu richten für die festlichen Ausverkaufstage.

Herr Kilian bewertete die saugenden Blicke des schmalen Fräuleins mit mehr Verständnis.

Er wußte nicht, woher dies auf einmal so war.

Das Fräulein wußte es besser.

Sie trug seit einigen Tagen das Herz eines Hechtes am roten Faden um den Hals.

Die eigene Mutter hatte ihr dazu geraten, als ihr die Tochter ihren Liebeskummer um einen soliden selbständigen Kaufmann mit drei gutbezahlten Angestellten mitgeteilt hatte.