Za darmo

Das verbrannte Bett

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Aber wir kümmern uns gern um Dinge, die uns nichts angehen sollten. Auch Konstanze konnte dann einige Bemerkungen nicht unterdrücken über Dummheit, Leichtgläubigkeit, Kurzsichtigkeit.

Udo lächelte dazu in seiner frechen Lässigkeit und sagte, daß alle seine Vorfahren den Frauen gedient hätten. Bei Tag und bei Nacht. Er erinnerte daran, daß er in einem Schloß geboren, Stammsitz der Familie am Ufer der Elster, daß sich ein Freund und Staatsmann August des Starken erbaut hatte, eigens nur dazu, um Udo von Silkens Ahn zu werden. Außerdem glaubte Udo, daß man sich im Grunde nur in einen Schloßpark verlieben könne oder in ein Auto. Allenfalls noch in einen Edelstein …

Konstanze überlegte, ob Udo wohl Kredit und Plauderkunst auch bei Fräulein Steffi Pichler suchen würde? Ohne viel Unterschied dabei zu finden in der Trägheit seiner Empfindung?

Oder würde er Konstanze nach Wien folgen? Wenn es ihn überhaupt nicht gab, wie er behauptete, konnte es ihn doch ebensogut nicht in Wien geben …

Herr Blümel hatte sich geräuspert, vernehmlich und mehrmals.

Er bedauerte, das Fräulein aus ihrer Versunkenheit aufgeschreckt zu haben. Aber ihr Gesicht hatte so ernsten Ausdruck getragen, daß er diese Unterbrechung für kein Unrecht hielt.

Er berichtete über das Gespräch, eben geführt mit dem Herrn Kunstfahrer.

Man war eigentlich gleicher Meinung über das Leben. Bremsen müssen hieß es auf Schritt und Tritt. Nur, daß der Herr Kraftfahrer dies haßte und der Herr Kanzleioffizial den Sinn des Daseins darin sah.

* * *

Einige Tage später saßen sich Fräulein Konstanze und Herr Blümel wirklich gegenüber im Park von Schönbrunn. Unter Laubgrün, zwischen Sonnenkringeln, Kaffeeduft und gut gestrichenen Walzerweisen.

Jedes Blättchen wiegte sich mit im warmen Julihauch. Jedes Insekt summte und brummte im Dreivierteltakt.

An allen Tischen saßen fröhliche Herzen.

Hier schien sie sich versteckt gehalten zu haben, die verlorengegangene, gute, alte Zeit.

Nichts Schweres gab es mehr, nicht Billig mehr und Teuer, nicht Gut und Böse, kein Sparen und kein Versagen, kein Kranksein mehr oder gar Schlimmeres, nur wiegen, sich wiegen, weil man noch lebte, Heiteres denkend, leicht sich fühlend im Walzertakt.

Konstanzes blonde straffe Schlankheit wirkte eigentlich nicht ganz rhythmisch zwischen den Wienerinnen, rundlich und brünett.

Herr Blümel hatte vor dieser Art Frauen früher etwas wie Angst empfunden. Wahrscheinlich in Erinnerung an eine allzu gestrenge Lehrerin der Kindheit.

Was uns fürchten macht, zieht uns an. Darum also wohl musterte Herr Blümel Konstanze gründlich.

Starr und unverwandt blickte er auf sein Gegenüber. Mit der Aufmerksamkeit, wie er sie bisher nur für Dinge aufgebracht, die ihn in Schaufensterauslagen angelockt hatten und deren Kauf er in Erwägung gezogen. Beispielsweise jene Krawatte, rotbraun mit grünen Punkten, deren Erwerb er wochenlang täglich überlegt hatte. Bei jedem Spaziergang war das Stückchen Seidenband scharf fixiert worden. Als er sich zum Kauf entschlossen hatte, war die Krawatte verkauft worden, gerad in den wenigen Sekunden, die Herr Blümel gebraucht hatte, um von draußen nach drinnen zu gelangen.

Er hatte darin Schicksalsfügung gesehen. Man soll nichts überstürzen, er freute sich der aufgedrungenen Ersparnis …

Konstanze ertrug Herrn Blümels Blicke ohne Schwierigkeit. Sie genoß Walzermelodie und Sommerstunde. Alles schien tanzen zu wollen. Selbst Herrn Blümels Nase. Die nicht ganz Konstanzes Beifall hatte. Sie glich einem kleinen Knopf und vermochte auf kurzem Rücken nicht einmal einen Kneifer reiten zu lassen.

Konstanze meinte, Udo von Silkens lässiges Lächeln darüber wegtanzen zu sehen.

Zu Udo paßte weder Kneifer noch Brille.

Udo trug ein Monokel vor seinem kurzsichtigen Auge. Dazu war es nötig, das andere Auge, das nüchtern- normal sehende, zuzukneifen. Auf diese Weise war Udos Lebensperspektive entstanden. Keine Weltanschauung ohne Gründe …

Herr Blümel plauderte vom alten Wien. Er erzählte von Frühlingsfesten, die einst gefeiert wurden. War das erste Veilchen des Jahres entdeckt, meldete man das damals sofort auf der »Burg«. Kurz darauf verkündeten Fanfarenbläser auf allen Straßen, auf allen Plätzen, daß der Frühling gekommen. Bereitwilligst stockte gleichen Augenblicks alle Arbeit. Alles zog in die Schenken vor die Stadt zum Weingenuß. Überall wurde Harfe gespielt. Oder die Pikkoloflöte. Sie wurde von den Wienern picksüßes Hölzel genannt.

Konstanze lachte auf.

Herr Blümel fand es nicht uninteressant zu beobachten, wie sich Lustigkeit zwischen die energischen Züge eines klugen klaren Gesichts zwängte.

Er berichtete weiter vom Zauber der Vergangenheit. In dem Wunsch, sich selbst angenehm zu machen, holte er die unsterbliche Anmut der Vaterstadt Wien hervor, Abglanz ihrer Reize fiel auf jeden Wiener.

Herr Blümel erbot sich, Fräulein Konstanze am nächsten Tag nach Belvedere zu führen, ihr das Schloß des Prinzen Eugen zu zeigen.

Konstanze wurde lebhaft. Prinz Eugen, der edle Ritter, ihn hatte man schon in der Schule besungen, dreistimmig. Alle Mädchen hatten für Prinz Eugen geschwärmt.

Alle Mädchen? Herr Blümel war gewiß keiner, dem an der Bewunderung aller Mädchen gelegen war.

Aber ihn durchschoß doch die Feststellung, welche Bevorzugung solch Prinz genoß, noch nach Jahrhunderten, dank einer poesievoll scheinenden Position.

Gleich darauf berichtete Herr Blümel jedoch, ohne Spur von Konkurrenzneid, Näheres aus des Savoyardenritters interessantem Leben. Intim, zusammengehörig, so wie ein echter Wiener vom anderen echten Wiener spricht.

Genau beschrieb er den Steinadler, grau, breitflügelig, melancholisch, zahm geworden, den der feurige Prinz seinen Bruder genannt. Den er täglich in der Morgenfrühe gefüttert hatte, der ihn um fünfundsiebzig Jahre überlebte. Der merkwürdigerweise gerad in der Stunde verendet war, als Napoleon in Wien eingezogen.

Konstanze hatte Tränen in den Augen. Sie entschuldigte dies lächelnd. Sie wisse selbst nicht, warum sie plötzlich traurig sein müßte. Wien wäre so weich und rührend.

Herr Blümel hatte Weibertränen bisher für eine der übelsten, verlogensten und raffiniertesten Naturerscheinungen gehalten.

Sogar zu jenen Natürlichkeiten, die sich so täuschend nachahmen ließen, daß man meistens nur Imitation zu sehen bekam.

Gerad heut jedoch hatte er in der Zeitung gelesen, daß frische Tränen tötend auf Krankheitserreger und Bazillen wirkten.

Möglich, daß dies die Ursache war, daß er sich eingestehen zu müssen glaubte, daß diese Tropfen des Gefühls wie Edelsteine glänzten. Er hielt Aufrichtigkeit durchaus für Pflicht.

Man hörte schweigend den »Schönbrunner« des Meisters Lanner.

Man war nicht unzufrieden, daß nach seinem Verklingen ein kleiner Zwischenfall die Aufmerksamkeit beschäftigte. Einem Bübchen war der Luftballon entflogen. Das Kind weinte, die Mutter schalt.

Ein alter Herr, kleingestaltig, zusammengeschrumpft wie ein Heinzelmann, trat zu dem Weinenden und sagte, der Bub müsse darüber lachen, daß der Bunte so hoch hatte fliegen können, wie er Kraft in sich hatte. Oben werde er zerplatzen vor Freude darüber, daß er der Sonne so nah kommen gedurft. Im Zimmer wäre er verschrumpft wie ein Bratapfel.

Bei diesem fröhlich vertrauten Wort lachte der Junge auf, getröstet.

Zur scheltenden Mutter meinte der zierliche Alte, daß sich ihre Ausgabe für den Davongeflogenen reichlich belohnt hätte. Der hätte den Jungen in wenigen Augenblicken alles durchleben lassen, was man an Empfindungen gewinnen könne. Sehnenden Wunsch, Erfüllung, Freude am Besitz und den Schmerz des sich ins Unbekannte verlierenden, nie zu haltenden Glücks.

Herr Blümel sah in Kindern eigentlich Störenfriede.

Heute rührte ihn der kindliche Kummer. So war also auch solch Kleiner schon einverleibt in den Kreislauf des

Schmerzes, mit der ganzen Wucht des Menschseinmüssens. Ein echt Wiener Gesichtchen hatte der Junge.

Herr Blümel äußerte zu Konstanze, daß es wohl nur in Wien solche Art Bübchen, tief empfindend und reizend, geben könnte.

Konstanze lachte. Sie war der Meinung, daß Kinder überall etwas sehr Liebliches, Ernstes, Heiteres, Rätselhaftes, Kostbares wären. Auch in Berlin wäre das nicht anders.

Herr Blümel wurde plötzlich feuerrot, tupfte sich die Stirn und sagte, daß die Sommerhitze heute bis in den Abend zu dauern scheine.

Konstanze hatte dem zierlichen alten Herrn nachgesehen.

Sie sagte, er hätte die Lebhaftigkeit eines Kapellmeisters in den Bewegungen. Sicher wäre er einer von den bedeutenden Musikern Wiens. Oder sein Gespenst.

Als Antwort versuchte Herr Blümel aufs neue sich Glanz und Schimmer zu entlehnen zu eigenem Schmuck.

Er brauchte diesmal einen kleinen Umweg. Er schilderte große Landsleute, aber in ihren menschlichen Schwächen.

Schubert verstand zu komponieren, aber nicht hauszuhalten. Mozart sprudelte über von Melodien, aber auch von Launen. Beethoven der Gewaltige war unmöglich im Umgang, und seine Hände sollen behaart gewesen sein bis an die Fingerspitzen.

Diese Behauptung lenkte unwillkürlich die Blicke auf die eigenen Hände.

Herr Blümel war ein wenig eitel auf die seinen. Ein Mann, dessen Handwerkszeug Kantel, Bleistift, Federhalter und appetitlich weißes Papier waren, konnte es sich erlauben, seine Nägel zu pflegen. Herr Blümel sah darin sogar eine angenehme Zerstreuung, billig und beruhigend, wenn die Schere knipste, die Feile hobelte, das Leder polierte, sommers am offenen Fenster, winters im warmen Zimmer.

Trotzdem waren es nicht die Hände eines Dandys.

Konstanze mußte sich eines Gesprächs mit Udo erinnern.

In der phlegmatischen Frechheit, mit der Udo alle seine Behauptungen aufstellte, hatte er über Hände gesprochen, diese unfreiwilligen Wappenschilder, mit denen Konstanze den ganzen Tag über in Beziehung stehen mußte.

 

Udo wollte wissen, daß es nur zwei wirkliche Unterschiede unter allen Abarten dieses menschlichen Werkzeugs, dieser Waffe, dieses Gerätes, Instrumentes, Spielzeugs gäbe: Finger, bei denen man spürte, daß sie jederzeit bereit waren, in Nasen und Ohren zu bohren, und solche, denen man solches niemals zuzutrauen wagte.

Konstanzes Blick spielte auf Herrn Blümels Hand, die auf dem Tisch Dreivierteltakt klopfte.

Konstanze errötete dabei. Wie wenn sie sich plötzlich eines hinterhältigen Gedankens gegen einen Arglosen schelten müsse.

Dabei glaubte sie nichts anderes gedacht zu haben, als daß solche korrekte Hände gewiß prachtvoll dafür zu sorgen vermochten, daß Geschäftsbücher ohne Eselsohren und Tintenflecke geführt würden …

Die Musik summte aus mit schmetterndem Schlußakkord.

Abendsonnenlicht durchströmte die Adern des grünen Laubes mit weinrotem Blut.

Aus dem nahen Tierpark rollte Brüllen nachtwach werdender Löwen und Tiger, schweres Rauschen machtvoller Adlerschwingen, die sich wie segnend vergeblich zum Flug auszubreiten suchten.

Nun eilte jeder der Stadt zu. Dreivierteltakt im Sinn und Schritt. Am Weg standen die Bettler.

Lachen, Geplauder vermischten sich mit der milden Luft.

An steiler Himmelswand, wo das Rot rasch erloschen, kletterte der kreisrunde Mond, langsam wie ein korpulenter Bergsteiger, hoch und höher.

Herr Blümel beeilte sich, noch einmal die Gemütlichkeit seines Wiens zu preisen.

In Konstanze bockte plötzlich etwas Böses, Traurigmachendes.

Sie antwortete, Gemütlichkeit wäre auch nichts anderes als grausame Gedankenlosigkeit.

Das Durcheinander der Autos hatte sie daran erinnert, daß Udo Erregung, Anspannung, Gefahr als höchste Güter pries. Daß, wenn er ein Auto lenkte in gewagtester Geschwindigkeit, er das damit entschuldigte, daß er Raubritterblut in den Adern, schon seine ältesten Vorfahren wären der Schrecken der Landstraße gewesen.

Herr Blümel war beunruhigt. Frauen blieben unverständliche Wesen. Eben noch lächelten sie, dann blickten sie fremd wie von einem anderen Stern herunter. Sie schienen aus anderem Stoff wie man selbst, waren niemals das, was man vermutete.

Herrn Blümels Unbehagen verstärkte sich, als Konstanze vor dem Parktor glattweg in ein Auto stieg. Nur weil sie müde war von allzuviel Sommerluft.

Die Fahrt verlief schweigsam. Konstanze hielt die Augen geschlossen. Herrn Blümels Blick war auf den Preiszeiger gerichtet. Dieser drehte sich schneller als irgendein Gestirn am Himmel.

Trotzdem beschloß Herr Blümel die Endsumme ohne Zögern zu bezahlen. Er fühlte sich verpflichtet, der Berlinerin zu beweisen, daß Wien noch immer die Stadt der Kavaliere.

Jedoch er konnte nicht verhindern, daß er im Sausen der Fahrt geschwind berechnen mußte, wieviel Wäscherechnungen oder wieviel Stiefelsohlen oder gar Mittagsmahlzeiten man für diese Summe hätte zahlen können. Als er die Menge Tassen Kaffee, die Unzahl knuspriger Kipfel fast zum Greifen deutlich vor sich sah, die man dafür hätte erstehen können, wurde ihm beinahe übel …

* * *

Trotzdem war Herr Blümel ein Verschwender.

Er hätte die rasche Wagenfahrt durch linden mondhellen Sommerabend, zur Seite einer jungen blonden Mitmenschin, vollauf genießen können.

Denn Konstanze bezahlte jene Summe, bevor Herr Blümel sich noch nach seiner Brieftasche zu durchstöbern begonnen hatte, die er, in Anbetracht der vielen und großen Verbrechen dieser Zeit, tief verwahrt trug.

Erst als Konstanze verschwunden war und sich Herr Blümel allein fand, zwischen Spaziergängern, die ihn alle so wenig angingen, wie sie sich um ihn kümmerten, spürte er das Vibrieren der Räder im Blut und das Bewußtsein, niemanden mehr neben sich zu haben.

Nicht ohne Mißmut begriff er gleichzeitig, daß er jegliche Verabredung eines Wiedersehens verabsäumt hatte. Daß Frauen vergeßlich sind, war begreiflich. Für sich als Mann hatte er weniger Verzeihung für diese Nachlässigkeit übrig.

Unruhig schritt er kreuz und quer durch die schlummerweiche Sommernachtluft. Überlegte dies und das, jenes und mancherlei, ohne auf die praktischen Tagesgedanken zu kommen, die ihn sonst in Anspruch nahmen und vor Langerweile bewahrten.

Er sagte sich, daß er sich telephonisch mit der jungen Dame in Verbindung setzen könne. Bei näherer Überlegung hielt er dies sogar für dringend nötig. Als Kavalier wünschte er das ausgelegte Fahrgeld möglichst schnell zurückzuerstatten.

Allerdings, dieses Reden ins Leere hatte leicht etwas Verwirrendes, wenn man mit Damen zu sprechen suchte. Man wiederholte leicht unnötige Worte, vergaß dagegen wichtige. Es brauchte nicht so zu sein, aber es konnte vorkommen.

Außerdem wußte Herr Blümel nicht, welchen Klang seine Stimme hatte.

Er wurde sich erstaunt bewußt, daß dies etwas war, worauf er noch nie geachtet hatte.

Sollte der Klang von auffallend unangenehmer Wirkung sein, würde er die junge Dame nicht damit zu erschrecken wünschen.

Er versuchte einige halblaut gemurmelte Worte zu belauschen, indem er vor sich hin zu flüstern begann.

Im Eifer solcher Selbstprüfung war Herr Blümel aus stillen Straßen der Vorstadt plötzlich in den belebten Betrieb der Praterstätte geraten.

Der Herr Kanzleioffizial sah sich genötigt, seine Probeversuche einzustellen. Sie wären wertlos gewesen. Sein Geflüster wurde von dem Lärm der Stimmen, Drehorgeln, Rollbahnen verschluckt, ohne daß sich ihr Klang kontrollieren ließ. Dagegen ergab sich die unangenehme Möglichkeit, daß Vorübergehende den halblaut Flüsternden für bezecht halten könnten.

Jedoch Herr Blümel, Gegner sonst jeder Heftigkeit und Unbeherrschtheit, vermochte plötzlich nicht die Neugier auf den Klang seiner Stimme zu bezähmen.

Gerad seit dem Augenblick, wo Herr Blümel die Flüsterworte begonnen, lief ein junges Mädchen neben ihm her. Zufällig, wie Herr Blümel meinte.

Herr Blümel beschloß behufs Stimmprüfung eine belanglose Frage an dieses junge Mädchen zu richten, einfach, laut und deutlich.

Mit kräftig betonter Stimme, sie klang dem scharf Aufhorchenden zu seiner Freude durchaus angenehm, fragte er, ob das Fräulein wisse, wie viel Uhr es sei?

»Jawohl,« war die geschwinde Antwort. Das junge Mädchen hängte sich vergnügt in den rechten Arm des Herrn Kanzleioffizials.

Herr Blümel rief geärgert, daß dies ein Irrtum sei.

Die neue Bekannte antwortete, daß nichts menschlicher als Irrtum wäre, und wanderte weiter mit Herrn Blümel.

Aus Ungeschick wachst Ungeschick. Um dem Mädchen endlich zu entfliehen, blieb dem Herrn Kanzleioffizial nichts anderes übrig, als das Gedränge vor einer Schaubude zu nutzen und in diese hinein zu flüchten.

Aus freiem Wollen wäre Herr Blümel niemals an solche Stätte gelangt.

Zwischen den Bretterwänden schwärte Dämmerung, gefüllt von Geheimnissen, von denen man nichts wissen wollte. Aber einmal hier, bezahlt mit teurem Eintrittsgeld, fühlte sich Herr Blümel verpflichtet, sich auch umzusehen.

Was er sehen mußte, sobald der Scheinwerfer aufblitzte, mußte jeden entsetzen, geschweige einen Mann wie ihn, der schon jede Schaustellung der Gefühle verabscheute, wie sie beispielsweise Verlobungen oder Trauungen mit sich bringen. Seine Augen erblickten eine Frau in voller Unverhülltheit, an jeder Leibesstelle tätowiert mit Emblemen.

Als der Herr Kanzleioffizial die Blicke sofort entrüstet abwendete, gewahrte er obendrein, daß er der einzige Zuschauer war.

Er suchte sich eiligst zu entfernen. Da erlosch der Scheinwerfer.

Herr Blümel suchte vergebens den Riegel der Tür. Er brachte nur hinderliche Perlennetze ins Zappeln.

Mondlicht flimmerte durch das schlechte Bretterdach auf die Tätowierte, die schon mitten im Bericht einer fesselnden Lebensgeschichte war. Eine Kette wunderbarer Unglücksfälle. Wie Ausschnitt nach Ausschnitt erregendster Extrablätter. Ein Heer von Männern hatte nach der Unschuld dieses unberührten Geschöpfes getrachtet. Nie etwas anderes erreicht als die Erlaubnis äußerer Tätowierung. So merkwürdig ist manchmal das Leben.

Voll Spannung türmte sich Herrn Kanzleioffizial

Blümels Mitgefühl. Ihm wurde Klarheit, daß man diese unglücklichen Geschöpfe unterschätzte. Daß man viel an ihnen gutzumachen hatte.

Seine Anteilnahme wuchs mit seiner Nachsicht. Verstehen heißt Vorurteile überwinden.

Bald fühlte sich der Herr Kanzleioffizial nur noch Mitmensch …

* * *

Kein Registerbuch, in dem nicht einmal eine kleine Zahl hätte ausradiert werden müssen.

Der Herr Kanzleioffizial versicherte sich dies am nächsten Morgen zur Selbstberuhigung.

Es war heller Sonnenschein, niemand war jetzt verpflichtet, an Vorfälle zu denken, die mit Mondschein zusammenhängen.

Ordnung aber muß sein. Herr Blümel war genötigt, den gestrigen Tag und seine Ausgaben zu buchen. Dies ließ sich nicht umgehen. Unordnung im Taschenbuch würde ihm Wiederbeginn wie Weiterführung des Tages ebenso unmöglich machen, wie wenn er ohne Wasser und Seife hätte beginnen müssen.

Innere Reinheit ist schwieriger aufrecht zu halten als äußere.

Herr Blümel spürte es, als er sich nun mit seinem Rechenbuch auseinanderzusetzen suchte. Wollte er aufrichtig sein, mußte er den ganzen Betrag, den er gestern in seinem Geldbeutel bei sich getragen, auf die Defizitseite buchen. Das Geld hatte sich anscheinend mit dem Silberlicht verschmolzen, das um die unglückliche, größte Sehenswürdigkeit gewogt hatte. Aus Gegenden, wo die Wirklichkeit aufhört, holt niemand etwas zurück. Verloren ist verloren.

Herr Blümel durfte sich trotzdem nicht die Qual ersparen, die Höhe des verschwundenen Betrages genau nachzurechnen. Er deckte sich mit der Summe, die es gekostet hätte, wenn Herr Josef Blümel es gewesen wäre, der die Autofahrt mit Fräulein Konstanze geschwind bezahlt hätte. Es kostet also das gleiche, ein Kavalier zu sein oder ein Wüstling.

Unwillkürlich fuhr durch Herrn Blümels Überlegung die Nachdenklichkeit, ob nicht ein Ehemann bewahrt würde vor manchem unangenehmen Zwischenfall. Obendrein ohne jede seelische Anstrengung?

Dann kehrte er zu Tatsachen zurück.

Er buchte den fehlenden Betrag unter der Rubrik: Apotheke.

Nicht um zu lügen. Aber ein korrekter Mann hat immer die Zukunft im Auge. Herr Blümel hielt es immer noch für möglich, daß er eines Tages Enkel haben könne, die einst aus den bescheidenen Ausgaben des Großvaters ihre Moral stützen sollten …

Nichtsdestoweniger war es Herrn Blümel peinlich, solche Umschreibung unbekannter Nachkommen halber vollziehen zu müssen.

Er wurde sich bewußt, dicht neben dem geraden Weg kann die schiefe Ebene liegen, auf der man leicht abwärts glitt, mit beschleunigter Geschwindigkeit.

Kurzes Insichgehen ermüdet mehr als der weiteste Spaziergang.

Vermutlich darum fühlte sich Herr Blümel jetzt so müde, daß er sich wünschte, die heutigen Bürostunden versäumen zu können.

Er hätte es für bedeutend bekömmlicher gehalten, ein wenig ruhen zu können und sich dann auf dem Graben vor dem Café durch eine Schale Braun und frische Luft zu stärken.

Allerdings war gerade an diesem Platz eine unerwartete Begegnung mit Fräulein Konstanze nicht ausgeschlossen. Niemand konnte die junge Dame verhindern, den Laden ihrer Kollegin Pichler aufzusuchen. Aller Wahrscheinlichkeit nach gehörte dies sogar zu den Notwendigkeiten ihrer beruflichen Betätigung.

Aber selbst angenommen, diese Vermutung bestätigte sich, so war es nicht nötig, die Dame anders zu stören als durch einen kurzen Gruß.

Es sei denn, daß sie selbst auf den Herrn Kanzleioffizial zuschreiten würde, um ihn beispielsweise zu fragen, ob er nicht gesund sei, weil er Arbeitsstunden faulenzend verbrachte. Oder etwa daran erinnern wollte, daß man versprochen hatte, ihr den Park von Belvedere zu zeigen. –

Spannung und Hemmung bilden die Achsen, um die sich unsere Tage drehen. Beinahe hätte Herr Blümel seine Vermutung schon für Wirklichkeit gehalten, würde ihm nicht eine Spinne an der Wand aufgefallen sein, die in tüchtiger Tätigkeit den Tag begrüßte.

Kein günstiges Morgenzeichen. Auch wenn man zu jenen gehörte, die Aberglauben als menschliche Schwäche einzuregistrieren gewohnt sind.

Herr Blümel nahm es als Zeichen der Unsauberkeit und fragte sich, woher dieses Insekt eigentlich stets einen Faden bereit hatte, den jedes Mädchen vergeblich suchte, sobald ein eiliger Knopf Befestigung verlangte.

Seine Verdrießlichkeit ging dabei in Lächeln über. Er hatte denken müssen, daß man bei manchen Dingen vergeblich den Ursprung sucht.

Zum Beispiel bei dieser sogenannten Liebe. Welcher Gelehrte, trotz alles Fortschritts, hatte feststellen können, wann, wo und wie sie beginnt? Hätte man diesen Bazillus entdeckt, würde man wohl längst auch den Gegenbazillus gefunden haben. In dieser Zeit der Erfindungen und Entdeckungen.

 

Kein Serum wäre wohl segensreicher zu nennen gewesen.

Herrn Blümels Antipathie gegen die Liebe war nun einmal etwas nicht zu Vernichtendes. Von allen unbegreifbaren Dingen schien sie ihm das unbegreiflichste. Dabei durchaus überflüssig. Selbst bei Vorgängen, bei denen man sie als einzige Urheberin anzunehmen pflegte, war sie durchaus nicht nötig.

Dagegen war sie imstande, den Pünktlichsten in seiner Tagespflicht zu beirren, Arbeitsgedanken zu zerstreuen, Sparsamkeit zu verhindern, zumindest zu beeinträchtigen, die Gesundheit zu schädigen, das Weltbild, die Lebensanschauung, schließlich den ganzen Charakter herabzumindern.

Wenn Herrn Blümel auch hier eigene Erfahrungen fehlten, er wußte es, kraft klaren Umblickens.

Die Spinne hatte inzwischen ein zauberzartes Netz gefädelt.

Herr Blümel, gestärkt durch persönliches Nachdenken, war nun doch entschlossen, gewohnter Pflicht nachzukommen …

Auf üblichem Platz im Büro fand sich auch wieder Wohlbehagen ein. Der Herr Kanzleioffizial wurde angenehm daran erinnert, daß Arbeit die beste, die sicherste und billigste Zerstreuung ist und bleibt.

In der Frühstückspause stellten die Herrn Kollegen fest, daß Herr Blümel heute angegriffen aussehe.

Solche Anmerkungen hielt Herr Blümel für höchst überflüssig. Sie halfen niemandem und beunruhigten selbst solche, die nichts auf die Meinung anderer gaben.

Ein Blick in den Taschenspiegel, schnell und geheim, bewies ihm, daß die Zunge nicht weiß, die Haut nicht fahl war. Die Augen blitzten sogar. Selbst ist der Mann. Josef Blümel bedurfte keiner Kollegendiagnosen …

Lebenskunst jedoch verlangt, vorzubeugen jeder Art von Krankheit. Ein Aufenthalt im Freien am Nachmittag würde sich in jedem Fall hygienisch auswirken müssen.

Herr Blümel fuhr hinaus zum Park von Belvedere.

Die Springbrunnen sprangen. Zwischen schattenspendenden Taxushecken, von grünbestrichener Bank erblickte man Wien vor sich.

Über den Dächern und um den Stefansturm schwefelte gelblicher Dunst als Weihrauchswolke der Arbeit.

Herr Blümel schaute, rauchte eine gute Zigarre und dachte allerhand.

Erst rechnete er eine Weile. Nichts hielt er für wohltuender als Zahlenzusammenstellungen im Hinblick Sparkunst.

Er überrechnete, um wieviel teurer das Leben zu stehen kommen würde, wenn er unbeherrschten Temperaments, wie es so viele waren, zwei gute Zigarren am Tage verrauchen würde, drei, vier, fünf, sechs.

Das Resultat wurde erfreulicher mit jeder Zahl.

Sich daran zu erinnern, daß diese Sparsumme noch erheblich vergrößert würde, wenn gar keine Zigarre geraucht würde, hütete sich Herr Blümel wohlweislich. Verdrießlichkeiten zieht man nicht selbst herbei.

Dann gedachte Herr Blümel des einstigen Herrns dieses herrlichen Parks, dieses Prinzen Eugen, für den noch heute die Schulmädchen schwärmten.

Mit dem Genußrecht des Lebenden überließ Herr Blümel dem Prinzen Besitzerrecht und Bewunderung.

Unvergänglich war nur Wien.

Langsam nickte der rauchende Herr Kanzleioffizial den besonnten Dächern und Türmen einen Gruß hinunter.

Eine Weile später fragte sich Herr Blümel, ob ein junges selbständiges Weib, das selbst Geschäftsbücher zu führen hatte, mit der gleichen Vergeßlichkeit, Flüchtigkeit, Verantwortungslosigkeit im Wartenlassen behaftet sein könnte wie der Durchschnitt allgemeiner Weiblichkeit?

Die Verwechslung zwischen Schatten und Sonnenseite war noch nicht vergessen von Herrn Blümel. Obwohl manches dazwischen lag.

Es war immerhin möglich, daß solcher, auf eigene Tüchtigkeit angewiesene Mensch, ungeachtet seines Geschlechts, beispielsweise behalten hatte, daß man seinen Wunsch nach landschaftlicher Schönheit auf diesen Park hier hingelenkt hatte.

Herr Blümel blickte nicht nur auf Wien. Jeder Schritt, der hörbar wurde, ließ ihn den Kopf wenden.

Wer deshalb vermutet hätte, daß der Herr Kanzleioffizial auf jemanden wartete, irrte sich.

Herr Josef Blümel hielt Warten für die ungesundeste Betätigung. Die er niemals übte.

Es wäre auch lächerlich, wollte man von jedem, der sich im Weltall umblickte, annehmen, daß er warte. Beinahe jeder wäre hier der Verdächtigung ausgesetzt.

Verdrießlichkeit überrumpelte unversehens Herrn Blümel. Er hatte plötzlich denken müssen, ob vielleicht wirklich jeder wartete? Auch er selbst? Vielleicht führt das gesündest geführte Leben nur darum so sicher in den Tod, weil es ein beständiges Warten war auf Dinge, die niemals kamen.

Sitzen verdickt das Blut und erzeugt Melancholie. Herr Blümel verließ eilig das Schattengrün der Taxushecken und begann auf und ab zu gehen.

Überall, wohin er blickte, brannte die Sonne auf helle Mädchenkleider.

Heute mißfiel ihm diese Mode. Ihre Gleichmäßigkeit machte alle junge Weiblichkeit einander ähnlich. In völlig Fremden glaubte man Bekannte zu erkennen. Ebensogut konnten Wohlbekannte glatt übersehen werden von jemandem, der weder gewohnt noch gewillt war, jeder Dame unter den Hut zu sehen.

Berechtigung dieses Ärgers zeigte sich bald. Zwei Damen riefen Herrn Blümel zu, warum er zu stolz zur Begrüßung?

Es waren seine Hauswirtin und ihre Tochter Jolanthe. Damen, begütert, gebildet. Nur die Unordnung dieser Zeit, die den Hohlraum bilden mußte zwischen einem großen Kriege und neuer Festigung zu frischem Aufbau, hatte es mit sich gebracht, daß dem Herrn Kanzleioffizial ein Zimmer in der Wohnung dieser Damen zugeteilt wurde.

Herr Blümel wußte, was einem Aufgezwungenen zukommt. Er beschränkte sich auf kurze Verbeugungen, vermied nach Möglichkeit die Benutzung gewisser Nebenräume, kurzum, benahm sich so sachlich zurückhaltend als möglich.

Die Damen hatten Herrn Blümel bisher in nichts ermuntert, aus dieser Zurückhaltung herauszutreten.

Hier auf dem neutralen Gebiet der Schloßterrasse, wo jeder Wiener heimatberechtigt war, scherzten sie mit dem Herrn Kanzleioffizial wie einem guten Freund.

Herr Blümel wurde mit ihrem Begleiter bekannt, einem jungen Herrn, der bald berichtete, daß er Weinberge am Donauufer verpachtet hätte.

Außerdem schien er Fräulein Jolanthe zu studieren. Er blickte ihr mit viel Geschicklichkeit in die Augen, so oft sich dies ermöglichen ließ.

Fräulein Jolanthe lächelte in solchem Augenblick Herrn Blümel an.

Zuerst glaubte sich Herr Blümel zu irren.

Schließlich konnte er diese Tatsache, bewiesen durch häufige Wiederholung, einwandfrei feststellen.

Bevorzugung von weiblicher Seite konnte für Herrn Blümel kein Wertmesser sein.

Wenn sie in diesem Fall doch eine kleine Zufriedenheit auslöste, geschah es aus rein praktischen Gründen.

Nicht, daß sich Herr Blümel etwa sagte, wer der einen gefällt, kann auch den Beifall einer anderen finden. Wie sich das allgemein und häufig beobachten läßt.

Herr Blümel nahm diese Auszeichnung der Damen nur als Bestätigung, daß sein neuer Frühlingsanzug ein günstiger Kauf gewesen sein müsse. Er nahm es als Beweis dafür, was ihm schon der Verkäufer versichert hatte, daß sich der modische Schnitt, das helle Grau vorteilhaft ausnahmen, seiner Figur die Eckigkeit raubten, verjüngend wirkten, geradezu elegant. Obwohl es sich natürlich um einen Gelegenheitskauf handelte, ausgeführt in einer Seitengasse der äußeren Vorstadt.

Herr Blümel blickte darum weder auf das jugendfrische Fräulein Jolanthe, noch auf ihre in Reife blühende Frau Mutter, sondern auf den Anzug, ebenfalls hellgrau, des mit Weinbergen Begüterten. Wieviel mochte dafür bezahlt worden sein? Sicherlich um die Hälfte zuviel. Auch die flottesten Beinkleider können schließlich nur eine Bügelfalte haben.

Überall ließen sich die Menschen betrügen. Ausnahmen waren selten. Deutlich erblickte sich der Herr Kanzleioffizial selbst gespiegelt im Wasserbecken des Brunnens, der hoch in den Weltenraum sprühte.

Herr Blümel, freudebelebt, konnte sich nicht versagen, seine Begleitung darauf aufmerksam zu machen.

Aber jeder sah nur sich selbst im spiegelnden Wasser.

So ist es bei den meisten, dachte Herr Blümel. Ob sie ins Wasser sehen oder in die Luft, sie bemerken immer nur sich selbst.