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16

Angelita vergrämte, verhärmte und verpaßte ihr Leben. Sie hörte von dem beispiellosen Aufstieg der Firma Killick & Ewarts, sie las von Rutlands weltbedeutenden Erfolgen in Genf und seiner Absicht, sich ganz der Politik zu widmen, und vernahm in ihrem diplomatischen Kreise Prophezeiungen seiner kometenhaften Bahn am politischen Himmel Englands.

Gierig atmete sie alle diese Nachrichten in sich hinein, weil sie Kunde waren von dem einzigen, das Sinn und Anteil für sie hatte auf dieser Erde. Sie jubelte über seinen wachsenden Ruhm und rang verzweifelt die Arme über den Stachel, den sie – nicht ohne Grund – in allem seinem Tun gegen sich witterte. Sie erkannte hellsichtig in seinem Schaffen und Wirken die Spitze gegen sich und ihren selbstherrlichen Eingriff in sein Leben. Ihr wollte er beweisen, nur ihr, daß er ihre Hilfe nicht brauchte, daß er aus eigener Kraft seinen Weg zur Größe schreiten könne.

Das fühlte sie und verzehrte sich in folternder Reue über die jähzornige Enthüllung ihrer heimlichen Fürsprache in Spanien. Sie sah in seinem Aufstieg nur die Feindschaft gegen sich und glaubte schmerzzerrissen an seinen Haß, in der Überzeugung, daß ein Mann von solchem Vorwärtsdrange und Stolze der geliebten Frau alles verzeihen kann außer der Hilfe und dem berechtigten oder eingebildeten Bewußtsein der Lächerlichkeit.

Alle die unbedachten, zornsprühenden Beschimpfungen, mit denen sie ihn an jenem unseligen Abend überschüttet hatte, würde er ihr vergeben, doch niemals die demütigende Farce, mit der sie ihm hinter seinem Rücken die Stelle bei Killick & Ewarts verschafft hatte, niemals, daß er nur eine Gliederpuppe in ihrer leitenden Hand gewesen war. Solches Marionettenspiel verzeiht kein selbstbewußter, ehrgeiziger Mann.

So dachte sie und übersah, daß es eine Größe der Seele gibt, die auch über die verletzte Eitelkeit und gekränkten Männerstolz hinauswächst. Und daß es eine Liebe gibt, so erdgelöst und sternenhoch, vor der alles Irdische zur belächelten Nichtigkeit wird. Sie selbst war dieser Liebe fähig und trug sie im Herzen. Sie hatte längst ihre kleinliche Eifersucht, ihren gebeugten Stolz und ihr geschlagenes Frauentum vergessen. Doch gerade weil ihre Liebe so allumfassend war, und weil Liebe selbstlos und bescheiden macht, hielt sie sich seiner Liebe nicht mehr für wert, und glaubte sie nicht mehr an seine Liebe, die sie vernichtet und verscherzt hatte.

Kummergebeugt saß sie lange Stunden auf den Klippen von Ventnor und sah den großen Dampfern nach, die von Deutschland und England in geringer Entfernung von der Küste dahinstampften auf ihrer Fahrt nach Amerika und Afrika und Asien. Irgendwie wurden diese stolzen Schiffe, die unbeirrt und majestätisch kalt ihre Bahn zogen, zu einem Gleichnis des Geliebten. Greifbar nahe und dennoch unerreichbar ihrer Sehnsucht glitten sie dahin, immer weiter fort, bis sie in den dunstigen Horizont der Needles entschwanden. Dann sah sie ihnen mit feuchten, brennenden Augen nach und fühlte verzweifelt den Verlust und wußte, daß sie daran zugrunde gehen würde.

Müde und bleich und abgezehrt ging sie dann heim zu diesem blutleeren Leben neben ihrem Manne, das immer unerträglicher wurde. Sie sprachen miteinander kaum noch das zwingendste. Nur bei Tische, vor der Dienerschaft, wahrte er die äußerste Notwendigkeit des Anstandes. Im übrigen lebten sie, trotz der räumlichen Nähe, meilenfern voneinander getrennt.

Sie sehnte sich nach London. Nur mit Widerstreben und dem Zwange gehorchend war sie dem Herzoge nach der Isle of Wight gefolgt. In London war sie doch in Rutlands Nähe, atmete mit ihm die gleiche Luft, hatte die Möglichkeit, wenigstens die Möglichkeit, ihn zu sehen, zu sprechen. Und darum hatte sie sich geweigert, den Herzog auf dieser Urlaubsreise zu begleiten.

Er hatte, in dem steten Bangen vor einem skandalösen Ausbruche ihres zügellosen, brachliegenden Temperamentes, ihre Gesellschaft befohlen. Er wollte sie unter seiner Bewachung und Obhut halten. Er war nicht gesonnen, seine Karriere durch ihre Zuchtlosigkeit aufs Spiel zu setzen.

Angelita war zu zermürbt von ihrer hoffnungslosen Liebe und allzu aufgerieben von ihrer reuezerquälten Sehnsucht, um zu kämpfen. Sie gehorchte willenlos. Den Ausschlag gab, daß Rutland gerade in diesen Tagen nach Genf ging. Da verlor London für sie den Zauber. Sie gab nach. Doch als die Zeitungen die Heimkehr der britischen Abrüstungsdelegation meldeten, wurde sie unstet und voller nervöser Unruhe. Er war in London. Es trieb sie in seine Nähe. Die Unrast hetzte sie. In London lebte die Möglichkeit – die armselige, höhnische, unmögliche Möglichkeit —, ihn zu sehen und bei ihm zu sein.

Abenteuerliche Pläne von Entlaufen, Durchgehen und Flucht stiegen in ihr auf. Dieses Leben neben dem Herzog war nicht mehr zu erdulden. Es mußte ein Ende gemacht werden. Irgendwie. Er war in London. Und wenn doch – doch – eine Wandlung ihn versöhnt hatte! Wenn dennoch die Liebe in ihm gesiegt hatte über den Haß! Sie liebte, und darum hoffte sie, trotz aller Vernunft und Menschenkenntnis in ihr. Wenn doch die Liebe und Sehnsucht in ihm triumphiert hatte, und er sie suchte, rief?

Sie mußte nach London eilen, für ihn bereit und seinem Rufe erreichbar sein.

Wenn sie jetzt auf den weißen Kreideklippen von Ventnor saß, und ihre Augen den enteilenden Dampfern folgten, waren sie Symbole der Flucht und des Hinausziehens in die weite Ferne, in der es keinen Herzog Breton de Los Herreros gab und keine Fesseln und keine auszehrende Sehnsucht. Nur Freiheit und Nähe des Geliebten und Glück ohne Ende.

Es schien ihr, als brauche sie nur zu fliehen und in London zu sein, damit alles gut und herrlich würde und alle Wunder blühten. Sein Haß war vergessen und sein verletzter Stolz. Und abenteuerliche Pläne von Trotz und Befreiung wogten in ihr auf und nieder, wie die grauen Wellen des Meeres vor ihren verzückten, trunkenen, glückshungrigen Augen.

17

Robert Hay und Roland Jerram hatten sich in Paris getroffen und waren auf dem Wege nach London. Der Marineoffizier hatte einen Monat Urlaub erbeten und erhalten.

»Dieser Bursche soll nicht leben und die Sonne und die faustdicken Ehren genießen, und mein armer Bruder fault in seinem frühen Grabe. Das kann Gott nicht zulassen. Er hat mich zu seinem Handlanger erkoren«, sagte er in andächtiger Verzückung.

Hierzu nickte Hay würdevoll, obgleich er religiösen Dingen mehr als skeptisch gegenüberstand. Doch er nahm stets jeden Vorteil wahr, der sich ihm bot, und kümmerte sich nicht allzu zartfühlend um seine Herkunft und seine Keime.

Mochte Jerram ruhig in sich eine höhere Sendung verspüren, die er zu erfüllen hatte. Ein hoher amerikanischer Seeoffizier, eben noch Delegierter der USA. auf der Internationalen Abrüstungskonferenz, der Bruder des Ermordeten, war ein zugkräftiger und unverdächtiger Bundesgenosse. Seine eigene Anklage allein war doch etwas anrüchig als Konkurrenzneid.

So warf sich die schonungsloseste Art der Verfolgung auf Rutlands Fährte: bigotter engstirniger Fanatismus und kalter materieller Geschäftsegoismus. Nicht einen Augenblick kamen dem kleinen dicken Manne Bedenken, den überlegenen Gegner, den er in offenem Wettbewerb durch Leistungen nicht niederringen konnte, durch geheim unlautere Mittel zu fällen.

»Ich stelle mein ganzes Vermögen zur Verfügung!« rief der fromme Korvettenkapitän, die Säule einer mächtigen Sekte in Boston. »Ich weiß, solche Dinge kosten viel in England.«

»Sehr wacker von dir, lieber Jerram«, wehrte Bobby Hay, »aber unnötig. Alle Auslagen gehen auf Spesenkonto meiner Firma.«

In ihrer Begleitung reiste Mr. Watson, ein interessanter Herr. Er sah aus wie eine Kreuzung zwischen Gelehrtem und Offizier. Das war er auch im Grunde. Ein Wissenschaftler auf dem Gebiete der Schädelmessung und Fingerabdrücke, ein Schrecken der Neuyorker Herren von der dunklen Zunft. Einer der erfahrensten Kriminalisten der Manhattan-Polizei. Ein feines nachdenkliches Gesicht mit grübelnden schwachen Augen und scharfen Brillengläsern, ein furchtloser Mund, ein verwegenes eisernes Kinn. Ein liebenswürdiger, teilnehmender, aber sehr wortkarger Reisegefährte.

Hay hatte in Neuyork den langjährigen Rechtsbeistand der Firma Browning & Son, unter der Verpflichtung tiefster Geheimhaltung seiner Offenbarung, befragt. Er wünschte nicht, daß der Aufsichtsrat, vor dem Gelingen, von dem Unternehmen Wind bekam. Er fürchtete, trotz allem, noch ein neues Fiasko.

Wohl hatten sie jetzt bündige Beweise in der Hand. Er konnte beschwören, daß Rutland seiner früheren Frau gegenüber seine Identität mit dem Mörder Paterson eingestanden hatte. Trotzdem war er sich der Schwierigkeit bewußt, einen englischen Haftbefehl zu erlangen gegen den populären Mann, den Wirtschaftsprimas, den der König vor kurzem geadelt hatte.

Nachdem der Anwalt sich einigermaßen von seinem begreiflichen Erstaunen erholt hatte, kratzte er schabend sein glattrasiertes Kinn und murmelte zaudernd: »Hören Sie mal, das ist keine Kleinigkeit, die Sie da vorhaben.«

»Ich weiß«, entgegnete Bobby Hay, »deswegen komme ich ja zu Ihnen.«

»Ich hoffe – —, wenn ich Sie nicht als einen sehr überlegten Mann kennen würde, wahrhaftig Mr. Hay, ich könnte glauben, daß der Wunsch der Vater des Gedankens ist.« »Sie irren sich absolut in der Vaterschaft, Mr. Gibbens.«

»Verzeihen Sie meine Offenheit, Mr. Hay, aber es könnte Ihnen doch nicht viel Angenehmeres in dieser Welt passieren, als daß dem Gehirn und der Seele von Killick & Ewart das Lebenslicht ausgeblasen würde.«

»Sehr richtig, Mr. Gibbens. Sie beweisen mit dieser Klarsicht wieder, daß Sie unseres Vertrauens würdig sind.«

»Ich meine nur, Mr. Hay, sind Sie Ihrer Sache auch ganz sicher? Es klingt verdammt unwahrscheinlich.«

»Aber, Gibbens, Mann des Gesetzes, ich sagte Ihnen doch, daß Jerram und ich ihn sofort wiedererkannt haben, und daß er es seiner früheren Frau zugegeben hat«, ereiferte sich Hay. »Und hier – sehen Sie sich das an.«

 

Er warf ihm einige Gruppenbilder aus alten Tagen hin und die Zeitung, die Rutlands letztes Bild enthielt.

»Da – das ist er. Sehen Sie, als Leutnant zur See. Na – vergleichen Sie mal. Stimmt‘s?!«

Gibbens betrachtete die Bilder. »Na ja, eine Ähnlichkeit, fraglos. Und das Geständnis. Gewiß. Juristisch liegt die Sache ganz klar. Nur – menschlich erscheint sie mir etwas unglaubhaft. Und wegen der hohen Stellung des Beschuldigten nicht ganz einfach. Übrigens las ich vor einiger Zeit, daß Sir John Rutland für das Parlament kandidiert. Da ist größte Eile geboten. Denn Sie wissen, Hay, wenn er gewählt ist, schützt ihn die Immunität des Abgeordneten. Dann wachsen unsere Schwierigkeiten ins Unermeßliche.«

»Also los – los!« ermunterte Hay. »Packen Sie Ihr Nachthemd, und fahren Sie heute abend mit mir über Paris nach England.«

»Einen Augenblick«, dämpfte der Anwalt den Eifer. »Mit Forschheit allein schaffen wir diese heikle Sache nicht.«

»Aber Sie haben doch meine eidliche Aussage!« bestürmte ihn Hay.

»Gemach, Mr. Hay. Ob die drüben zieht, wenn es sich um die Verhaftung eines der ersten Männer des Landes handelt, bezweifle ich. Lassen Sie mich einen Augenblick überlegen.«

»Überlegen Sie!« brummte Hay unmutig über soviel zwecklose Gedankenarbeit.

»Hm«, sagte Gibbens nach einer Weile. »Wir müssen die Sache amtlich aufziehen. Sonst geht es nicht.«

»Wie meinen Sie das?« fragte Hay peinlich ahnungsvoll. »Wozu so viele Schwierigkeiten in einer klaren Sache. O diese Juristen! Immer nur alles komplizieren!«

»Ich werde zum Chef der Neuyorker Polizei gehen.«

»Ei weh!« entsetzte sich Hay. »Nur noch keine Öffentlichkeit!«

»Seien Sie unbesorgt, Mr. Hay. Wenn die Polizei anbeißt, hat sie selbst das größte Interesse der Geheimhaltung. Wenn es mir gelingt, auf Grund Ihrer eidlichen Bekundung, daß Sir John Rutland sich Frau Bouterweg gegenüber als George Paterson zu erkennen gegeben hat, einen amerikanischen Haftbefehl zu erwirken, haben wir eine Chance. Dann können wir uns hinter die amerikanische Botschaft in London stecken und vielleicht auf diplomatischem Wege einen englischen Haftbefehl erlangen. Die Schwierigkeit ist nur die: der Mord ist in Manila auf den Philippinen geschehen. Ich weiß nicht recht, ob sich die hiesige Polizei nicht für unzuständig erklären wird.«

»Das zu verhindern wird eben Sache Ihrer Geschicklichkeit sein, bester Gibbens«, schmeichelte Hay mit einer kleinen versteckten Drohung, die dem Anwalt durchaus nicht entging.

Er hatte Glück. Der Chef der Neuyorker Kriminalpolizei war ein jüngerer Mann, der erst kürzlich auf seinen verantwortungsvollen Posten befördert worden war. Er hungerte nach einer Gelegenheit, seine Tauglichkeit zu beweisen und Ruhm und Volkstümlichkeit zu erwerben.

Er begriff sofort, daß es sich hier um eine Weltsensation handelte, wie sie Zufall und Glück nicht alle Tage zusammenbrauten. Ein englischer Edelmann, Chef einer Weltfirma, hervorragendes Mitglied der Genfer Abrüstungskonferenz, Kandidat des britischen Parlaments, Aspirant auf einen englischen Ministersessel – ein verkappter amerikanischer Mörder! Das war ein ›Fall‹! Und er der Mann, der diesen durchtriebenen gefürchteten Burschen entlarvte. Donnerwetter ja, das war die Gelegenheit, die das Glück ihm darbot.

Er griff mit beiden Händen zu. Die Zuständigkeitsfrage blies er geringschätzig beiseite. Lächerliches Bedenken. Weit wichtiger und einschneidender dünkte ihm eine andere Sorge.

War Paterson – oder Rutland, wie er sich jetzt nannte – noch Amerikaner? Vielleicht hatte er längst das britische Bürgerrecht erworben. War Engländer geworden. Denn die Frechheit, als amerikanischer Bürger den englischen Adel anzunehmen, als britischer Delegierter und Parlamentsanwärter aufzutreten, erschien ihm denn doch zu gigantisch. Andererseits sprach alles dagegen, daß Paterson gewagt haben sollte, das Verfahren auf Naturalisation einzuleiten und seine amerikanische Abstammung vor den englischen Behörden zu enthüllen.

Seiner kriminalistisch geschulten Praxis schien die Sache keineswegs so abenteuerlich wie dem Anwalte. Es war durchaus denkbar, daß dieser Mann – wie, würde man ja bald erfahren – aus dem Untergang seines Torpedobootes gerettet worden, unter dem fremden Namen nach England entkommen und dort zu seiner prominenten Stellung emporgestiegen war.

Das schien diesem Kriminalisten nicht allzu unmöglich und märchenhaft. Freilich – freilich, ob er Engländer geworden war! Dem Burschen war jede Kühnheit zuzutrauen. Dann war es aus mit der Weltsensation. Dann stand die Verfolgung in Englands Belieben. Und die drüben würden sich schwer hüten, ihren ersten Wirtschaftsgeneral und Delegierten und damit sich bloßzustellen. Eine Auslieferung an Amerika war gesetzlich dann ausgeschlossen. Kein Land der Erde lieferte seine Staatsangehörigen aus.

Der Chef der Neuyorker Kriminalpolizei ließ sofort seinen fähigsten Beamten, Mr. Watson, kommen und instruierte ihn. Sofort mit einem Haftbefehl Mr. Hay und Jerram nach London begleiten. Dort sich an Scotland Yard wenden. Alles darlegen. Es den Engländern überlassen, einzuwenden, daß Paterson Brite geworden war. Um strikteste Diskretion bitten. Wenn alles gelang, sofort und eiligst durch die amerikanische Botschaft Londons das Auslieferungsverfahren betreiben, den Mann schleunigst nach Neuyork bringen, nicht nach Manila. »Sie verstehen?« Mr. Watson verstand, verstand durchaus die geheimen Beweggründe seines hohen Chefs und sagte: »Allright, Sir.«

Doch allzu durchdrungen von dem Gelingen dieser Europafahrt schien er nicht.

18

Scotland Yard in London lehnte strikte die Zumutung ab, gegen Sir John Rutland einen Haftbefehl wegen Mordes zu erlassen.

Der hohe Polizeibeamte, mit dem Watson und seine beiden Begleiter verhandelten, hörte mit einigem Erstaunen, doch dienstlich geschulter Ruhe die Anklage und die Beweise an. Dann schüttelte er den Kopf.

»Nein, meine Herren«, erklärte er, »das genügt mir nicht und wird keinem englischen Beamten genügen. Eine gewisse Ähnlichkeit und die Bekundung dieses Herrn dort über das angebliche Zeugnis einer Dame über ein angebliches Geständnis und Anerkenntnis Sir Johns! Nein, meine Herren, auf solche vage Beschuldigung hin lehne ich jede Amtshandlung gegen einen der hervorragendsten Bürger von London ab.«

»Aber wollen Sie nicht wenigstens diskret prüfen, ob dieser Sir John überhaupt Engländer ist!« bat Watson.

»Nein, lieber Kollege Watson, auch hierzu halte ich mich auf Grund Ihrer wenig stabilen Grundlagen nicht für befugt. Falls Sie der Meinung huldigen, daß ich irre, steht Ihnen die Beschwerde an meine vorgesetzte Stelle offen.«

Man verabschiedete sich sehr höflich, Jerram berstend vor Empörung über diesen »Schutz des Mordbuben«, Hay mit enttäuschungsfahler Glatze über das Entgleiten seiner schönsten Hoffnungen und das Zerplatzen seines aussichtsreichsten Geschäftscoups, Watson, unberührt von dem ersten Mißerfolge, in tiefem wissenschaftlichem Sinnen.

Ohne auf Jerrams zornfauchende Verdächtigungen der englischen Beamtenschaft und Hays Entwürfe einer flammenden Beschwerde zu achten, schritt er zwischen dem langen und dem kurzen Manne als ausgleichender Mittelpfeiler das Victoria Embankment entlang an der Themse hin, der Charing-Cross-Brücke zu.

Plötzlich machte er kehrt. Er war sich im klaren. An Beschwerde war nicht zu denken. Der Mann in Scotland Yard war vollkommen im Recht. In Neuyork hätten sie auch nicht anders gehandelt. Nirgends in der Welt. Auf diese »Beweise« hatte er nie sehr fest gebaut. Er hatte sich tragen lassen wie immer. Er vertraute seinem stets gütigen Stern und seiner Eingebung des Augenblicks, der er seine starken Erfolge verdankte.

»Bravo«, frohlockte der lange Kapitän, als Watson ohne Aufklärung dem Polizeigebäude wieder zustrebte. »Das wäre ja auch noch schöner, solche schlagenden Beweise abzulehnen.«

»Wollen Sie sich beschweren?« fragte der klügere Hay gedehnt. Seine vernichtenden Indizien gegen Rutland waren ihm in der Hand des Londoner Polizeimannes plötzlich sehr kläglich und dürftig erschienen. Sie waren geradezu in Sekunden verdorrt. Er konnte sich dieses Naturphänomen selbst nicht recht erklären. Aber mit einem Male dünkte es ihm sehr kühn, allein auf die Aussage Muriels hin diese weite Reise zu unternehmen. Wie gut, daß er seinem Aufsichtsrate gegenüber geschwiegen hatte. Das wäre eine herrliche neue Blamage gewesen! Immer wieder dieser verflixte Rutland, der ihn hineinlegte! Immer wieder. Aber, zum Donnerwetter – er war es doch! Er war doch Paterson! Dieser Polizeimann in Scotland Yard hatte ihn ganz dumm gemacht! Nicht sich beirren lassen! Rutland war der Mörder Paterson. Das mußte man doch beweisen können! Donnerwetter noch einmal!

»Wollen Sie sich beschweren?« fragte er, von der Wirkung dieses Schrittes, ohne weitere Vorbereitung, wenig überzeugt.

Watson schüttelte den Kopf mit den funkelnden Brillengläsern.

»Victoria Street 123. Amerikanische Botschaft«, gab er lakonisch von sich. Er war ein geschworener Feind vieler Worte.

»Sehr gut!« lobte Jerram. »Die werden den Kerls in Scotland Yard schon zeigen, was eine Harke ist.«

Er schritt heftig aus mit seinen langen Stangenbeinen. Hay konnte kaum nachkommen.

»Lauft doch nicht so«, ächzte er, riß den Strohhut vom Kopfe und trocknete mit dem Taschentuche den Schädel. Es war ein heißer brütender Augusttag.

Watson verlangsamte mitleidig den Schritt, während Jerram ungezähmt vor ihnen dahintobte.

»Was wollen Sie auf der Botschaft?« forschte Hay. »Verdammt, daß man nicht einfach nach Neuyork telegraphieren und Frau Bouterweg als Zeugin vernehmen lassen kann. Das wäre ein zwingender Beweis. Aber ich gebe mich da keinen falschen Hoffnungen hin. Sie würde alles bestreiten. Aus Angst vor dem Aufruhr und der Ungültigkeit ihrer Ehe. Und dann sind wir geliefert.« Watson winkte nur mit der Hand ab. Worte erforderten Hays Auslassungen nicht.

»Was wollen Sie auf der Botschaft?« wiederholte Hay neugierig, vor Hitze prustend. »Sehen«, sagte Watson und bog an der Westminster Abtei ein.

Damit mußte Bob Hays Wißbegierde sich vorläufig zufrieden geben.

Botschafter und Erster Rat waren auf Urlaub. Sie wurden von einem sehr liebenswürdigen, vor Diensteifer überschäumenden jungen Sekretär empfangen. Als er den Namen des Beschuldigten vernahm, wurde er auffallend zurückhaltend.

»Hören Sie mal, meine Herren!« rief er perplex. »Die Sache scheint mir doch sehr – wie soll ich sagen – sehr – monströs. Sir John Rutland ein Mörder! Und Amerikaner. Unmöglich!«

Hay brachte seine Beweise, Jerram gläubig seine Überzeugung vor.

»Ehe ich eingehend mit dem Herrn Botschafter gesprochen habe, kann ich nicht das Geringste unternehmen!« scheute der junge Herr vor einer Verantwortung zurück, die ihm etwas reichlich mit Dynamit geladen zu sein schien. »Ich werde mich hüten, mir die Finger zu verbrennen. Das ist eine so delikate – ja, meine Herren, ehrlich gesprochen, erscheint mir die ganze Angelegenheit reichlich hirnverbrannt.«

Jerram und Hay fielen mit heftigen Worten über den Botschaftssekretär her. Doch Watson stand auf.

»Danke sehr«, sagte er und griff den Hut vom Tische.

Seinen beiden Begleitern blieben die überzeugendsten Argumente im Munde stecken vor Staunen über diesen jähen Aufbruch. Watson war nicht der Mann, zwecklos seine Zeit zu vertrödeln.

Als sie wieder in der Sonnenglut der Victoria Street buken, schlugen beide mit ungebändigten Vorwürfen auf ihren stillen Reisegefährten ein. Er duldete stumm. Auch zur Abwehr und Rechtfertigung waren ihm Worte zu kostbar.

Gelassen schritt er wieder am Parlamentsgebäude vorüber, der Themse und New Scotland Yard entgegen.

»Also doch Beschwerde!« jubelte Jerram und malmte mit seinen großen, gelben Zähnen, als genieße er nun schon vorkostend seine Rache.

»Reden Sie doch!« flehte Hay, »und spannen Sie einen nicht so barbarisch auf die Folter, wenn diese Lustbarkeit auch zu Ihrem Berufe gehören mag.«

Doch Watsons Lippen blieben verschlossen. Kopfschüttelnd, erbittert schritten und trippelten Jerram und Hay neben ihm her, in das Polizeipräsidium hinein, Treppen hinauf, Gänge hinab bis zur Office des Beamten, den sie vor einer halben Stunde verlassen hatten.

Das Gebot der Stunde hatte Watson, wie immer, einen Gedanken beschert. Er hatte sich nicht vergeblich, seinem Glücke vertrauend, treiben lassen.

Der Beamte furchte in kaum verhehlter Ungeduld die Stirn, als das Trio wieder eintrat.

»Ich bitte«, begann Watson dienstlich und formell, »um einen Haftbefehl gegen den amerikanischen Staatsbürger George Paterson, früheren Oberleutnant der Marine der USA., den ich des Mordes anklage unter der Behauptung, daß Besagter sich auf britischem Gebiet aufhält.«

 

Der Engländer blickte kurz auf. Er durchschaute den gewandten Polizeikniff.

Jerram und Hay sahen sich verständnislos an. Nach einer kleinen Pause der Überlegung erwiderte der Beamte:

»Mr. Watson, dieses Ersuchen kann ich natürlich nicht ablehnen. Ich erlaube mir aber, Sie als Kollege darauf hinzuweisen, daß weder Sie noch die Kriminalpolizisten, die ich Ihnen zur Verfügung stellen werde, das Haus Sir John Rutlands auf Grund dieses Haftbefehls betreten dürfen.«

»Ich weiß«, entgegnete Watson kühl, »ich kenne die Habeas-Corpus-Acte.«

»Auch dürfen Sie den betreffenden Herrn nur verhaften, wenn er sofort – hören Sie – sofort – zugesteht, George Paterson zu sein.«

»Ich weiß«, bemerkte Watson trocken.

»Andernfalls haben Sie und meine Leute, denen ich ihre besonderen Verhaftungsvorschriften geben werde, sich höflichst zu entschuldigen und sich sofort zurückzuziehen.«

»Ich bin Ihnen sehr dankbar für die Belehrung«, gestand Watson fast gerührt.

»Und daß ich Sie dringend bitte, mit größter Schonung und Diskretion zu Werke zu gehen, ist sicher unnötig zu erwähnen.«

»Sicher«, bestätigte Watson.

»Dann steht Ihnen morgen der Haftbefehl zur Verfügung.«

Watson dankte und ging, zwei verstörte Zweifler im Kielwasser.

Noch im Hofe durchbrach Jerram jede gute Sitte und jede Zivilisation.

»Watson«, schnaubte er, »sind Sie von Sinnen? Was nützt Ihnen der Haftbefehl. Er wird doch nie zugeben, daß er der Mörder Paterson ist. So verrückt ist doch kein Mensch.«

Da Watson stetig seines Weges schritt, stimmte Hay in den keifenden Klagegesang ein. »Das einzige, was Sie mit diesem Blödsinn erreichen werden, ist, daß er gewarnt sein wird – — «

»Und auf immer verduften!« übernahm Jerram wieder die führende Stimme und schwenkte verloren die langen Arme.

Da hob Bobby Hay den rot erhitzten Kopf. Sein kluger Geschäftssinn witterte Land.

»Wenn schon!« trompetete er frohgemut. »Soll er verduften! Mehr brauche ich nicht! Genügt mir vollständig, wenn er vom Präsidentenstuhle bei Killick & Ewarts kippt. Absolut! Von mir aus soll er sich dann in Kamtschatka seinen Kohl bauen.«

»So?!« schmetterte Jerram, daß der Posten an dem Tore, das sie gerade durchschritten, hastig an den Gummiknüppel faßte. »So?! Hältst du so unser Abkommen? Entwischen soll dieser Schuft? Nein, mein Lieber.«

Und sich mit donquichotischer Würde an Watson wendend, sprach er:

»Mr. Watson, im Namen des amerikanischen Volkes und Gesetzes fordere ich von Ihnen, daß Sie diesen Mann dem elektrischen Stuhle überliefern.«

Doch Watson blieb die Antwort schuldig.