Grüß Gott Großvater ich bin's

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Grüß Gott Großvater ich bin's
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Alfred Landmesser

Grüß Gott Großvater ich bin’s

Die Geschichte zwei

dicker Freunde

published by epubli GmbH, Berlin

ISDN 978-3-8423-3170-9

Inhaltsverzeichnis

Großvater Ferdinand

Der Schreihals

Der erste Geburtstag

Von echtem Schrot und Korn

In Eickfier

Ein großes Fest

Wieder in Eickfier

Ein neues Telefon

Meine Gänse

Ein Spaziergang

Vom Angeln

Messdiener

Aus Opas Vergangenheit

Wie ich Fußballspieler wurde

Gewissensbisse

Endlich geschafft

Der Mann aus Eschenhausen

Der Baum

Winter

Ein Wiedersehen

Großvater Ferdinand

Leider kann man aus seinen ersten Lebensjahren nur wenig aus eigener Erinnerung erzählen. Man muss sich da ganz auf die Erinnerungen anderer verlassen, und die Aussagen der Menschen, die mich von Anfang an kennen, sind sehr widersprüchlich. Sie reichen vom netten kleinen Fratz bis zum unerträglichen Schreihals. Am liebsten sind mir die Dinge, die mir Opa Ferdinand und Oma Römhild erzählen, und die nach ihren Angaben der Wahrheit entsprechen. Wobei ich mir bei meinem Großvater nicht so ganz sicher bin. Er war zwar nie Seemann, aber Seemannsgarn spinnt er doch dann und wann.

Opa Ferdinand war damals sehr stolz, als meine Mutter ihm anbot, mein Taufpate zu werden. Er sagte sofort zu, fuhr in die Stadt und kaufte sich einen neuen schwarzen Anzug, denn sein alter stammte wohl noch von der Hochzeit mit Oma Römhild. Alle waren zunächst guten Mutes, und die Taufe verlief ohne Zwischenfälle. Aber hinterher kam es auf dem Kirchplatz zu einem Vorfall, der dem Verhältnis zwischen meinem Paten und meiner Mutter einen Knacks gab. Nachdem ich getauft worden war nämlich, stand mein Großvater Ferdinand mit mir im Kreis der Verwandten auf dem gepflasterten Platz vor der Kirche. Stolz zeigte er mich, der ich in ein dickes Kissen gepackt war, allen, die er erreichen konnte. Plötzlich jedoch rutschte ich ihm aus diesem dicken Kissen und hätte mich meine Mutter nicht geistesgegenwärtig aufgefangen, wäre ich wohl auf dem Pflaster gelandet. Alle waren starr vor Entsetzen. Ich jedoch schlug die Augen auf und lächelte zum ersten Mal in meinem Leben. Mein Taufpate, eben Opa Ferdinand, hat mich aus diesem Grunde seitdem tief in sein Herz geschlossen.

Mein Lächeln hatte zwar das Schlimmste überstrahlt, jedoch schaute meine Mutter weiterhin ängstlich drein, wenn Großvater mich auf den Arm nahm. Das kränkte ihn sehr, sodass seine Besuche in meinen ersten Lebensjahren eher selten waren. Zu meiner Mutter hatte er sowieso nicht das beste Verhältnis, denn sie hatte darauf bestanden, dass sein Patenkind nicht wie er Ferdinand heißen sollte, sondern Alfred. Der Name Ferdinand war ihr zu altmodisch. „Ferdinand“, hatte sie zu ihm gesagt, „ist vielleicht bei euch auf dem Lande angebracht, nicht aber in der Stadt. Außerdem regt der Name die Mitmenschen dazu an, Ferdi zu rufen, und das klingt ja wohl albern.“ Nein, sie war für den Namen Alfred, der sei passender, und man bliebe auch beim Ansprechen dabei.

Aber mein Großvater und Taufpate war letztlich doch der Sieger, denn er sprach mich als Erster einmal aus Versehen nicht mit Alfred, sondern mit Fredi an. Ja, mit Fredi statt Alfred! Das wurde schließlich von vielen anderen übernommen, und als es selbst meiner Mutter einmal passierte, war es damit auch genehmigt. Und so gab es seitdem für alle keinen Ferdinand, keinen Ferdi, keinen Alfred, sondern eben den Fredi.

Der Schreihals

Als ich etwa drei Monate alt war, kamen Großvater Ferdinand und Großmutter Römhild zu einem Kaffee-Nachmittag vorbei. Sie kamen mit der Bahn, denn ein Auto besaßen sie damals noch nicht. Wir übrigens auch nicht. Nach der herzlichen Begrüßung und zwei Tassen Kaffee, je einem halben Stück Torte für meine Mutter und die Oma, beziehungsweise zwei ganzen für meinen Vater und zweieinhalb für Opa, gab es eine kleine Auseinandersetzung wegen des restlichen halben Stücks. Wohl darüber, wer es bekommen sollte, wobei auch einige laute Worte meines Vaters fielen. Daraufhin schrie meine Mutter: „Linus, du bist ein ebensolcher Schreihals wie dein Sohn!“ Damit war ich gemeint, und das eigentliche Problem war nun auf dem Tisch. Meine Mutter berichtete nämlich aufgeregt, dass sie nicht mehr den Mut aufbringe, mich mit dem Kinderwagen spazieren zu fahren, da ich derart laut durch die Straßen brülle, dass die Menschen zusammenliefen, um sich zu erkundigen, was mir denn fehle. Erst im Park gäbe ich Ruhe, aber das bringe dann ja auch nichts, weil das Geschrei auf dem Heimweg dann das gleiche sei. So könne sie mich also nur noch im Garten abstellen.

Großvater ging sofort hinaus in den Garten, wo ich ihn wie immer anstrahlte. Er konnte einfach nicht glauben, dass ich ein Schreihals der übelsten Sorte sei, holte sich bei meiner Mutter eine entsprechende Genehmigung ein und fuhr mit mir los. Aber er hatte sich getäuscht. Kaum waren wir auf der Straße, da brüllte ich los, als ginge es mir an den Kragen. Doch Opa ließ nicht locker, fuhr weiter, beantwortete alle Fragen nach meinem Wohlbefinden mit: „Es geht ihm gut. Das hat nichts zu sagen. Das hat er halt geerbt.“ Er schlug sich mit mir bis zum Park durch, setzte sich auf eine Bank und stellte mich unter einen Baum. Ich strahlte ihn an, bis er mit mir den Rückweg antrat. Kaum aus dem Park gekommen, schrie ich erneut los und bekam dabei einen fürchterlich roten Kopf. Schnell wendete er den Wagen und eilte in den Park zurück, wo ich wieder strahlte. Opa Ferdinand hatte wohl eine halbe Stunde auf der Bank gesessen und überlegt, als ihm plötzlich der entscheidende Einfall kam, dessen Richtigkeit er auch sofort überprüfte. Er schob mich auf die Straße - ich schrie. Er schob mich unter die Bäume - ich strahlte. Dann das alles noch einmal. Aha! Anschließend ging er zu einem Busch, knickte

einen Zweig ab, band ihn am Verdeck des Kinderwagens fest und zwar so, dass ich ihn über den Augen hatte, und fuhr dann erneut mit mir auf die Straße. Und? Ich strahlte, ich strahlte, bis wir daheim waren.

Und so band denn auch meine Mutter Tag für Tag einen Zweig an den Kinderwagen und fuhr fröhlich mit mir durch die Straßen, und die Nachbarn meinten: „Ist er nicht ein netter kleiner Fratz!?“

Der erste Geburtstag

Der nächste Besuch von Opa Ferdinand und Oma Römhild folgte an meinem ersten Geburtstag. Dieser Tag ist ein unvergesslicher für die beiden und die ganze Familie geworden. Es war der Tag, an dem mir erstmals das Gehen gelang. Oder das Laufen, so sagt man wohl allgemein. Es geschah fast unbemerkt, lediglich Opa Ferdinand hat das große Ereignis mit eigenen Augen gesehen.

Meine Eltern und der Besuch hatten sich zur Feier meines Geburtstages nach dem Kaffeetrinken Likör in die üblichen kleinen bunten Gläser eingeschüttet und auf mich angestoßen. Nur die Oma, wie sie nun mal ist, wollte nicht mittun, täuschte vor zu trinken, stellte aber ihr Gläschen heimlich auf den Tisch vor der Couch hinter eine Blumenvase. Großvater hatte mir statt des Likörs einen Bonbon zugesteckt, den ich sofort in den Magen beförderte. Für langes Kauen war ich wohl nicht zu haben. Dann legte er einen zweiten Bonbon auf den Couchtisch, nahm mich vom Arm, stellte mich auf den Fußboden, etwa zwei Meter vom Tisch entfernt, hielt mich an beiden Händen fest, ließ mich dann aber plötzlich los und flüsterte, ohne dass es die anderen hören konnten: „Fredi, geh! Hole dir den Bonbon!“ Ich machte mich auch tatsächlich tapsig auf den Weg. Am Tisch angekommen entdeckte ich Omas Gläschen Likör, das so schön rot funkelte, schnappte es mir, trank es in einem Zug aus und rang dann verzweifelt nach Luft. Die Geburtstagsgesellschaft lief zusammen, um mich zu retten, doch Opa Ferdinand rief laut: „Er kann laufen! Er kann laufen! Fredi kann laufen!“ Meine Mutter riss mir das Gläschen aus der Hand, was mich wohl rettete, denn aus Ärger darüber ging mein Ringen nach Luft in Schreien über.

Nach Klärung des Vorgangs bekam die Oma von meiner Mutter ‚eins auf den Deckel’, weil sie das Glas so unbedacht dort hatte stehen lassen, der Opa, weil er nicht gut genug darauf geachtet hatte, was ich so trieb und mein Vater, weil er unbedingt der Meinung gewesen war, man müsse schon am ersten Geburtstag eines Menschen mit Alkohol anstoßen. Die Folge davon war, dass unsere Besucher dann wieder für längere Zeit ausblieben. Zu meinem zweiten und dritten Geburtstag erhielt ich lediglich eine Geburtstagskarte, an die ich mich allerdings nicht erinnern kann. Das liegt sicherlich daran, dass man mir verständlicherweise bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht das Lesen beigebracht hatte.

Ähnlich Schlimmes, wie bei meinem ersten Geburtstag, wiederholte sich einige Jahre später, als ich mit meinen Großeltern eine Wanderung unternommen hatte, wir in einem Lokal einkehrten, die Oma mir ein Glas Limonade kaufte, ich mich durstig darauf stürzte und dabei einen Teil des Glases abbiss. Daran kann ich mich aber persönlich erinnern, auch daran, dass meine Großeltern danach wieder längere Zeit ausblieben. Sie haben daraus gelernt, dass Gläser und ich nicht zusammenpassen. Als ich später oft meine Ferien bei ihnen verbrachte, und wir abends gelegentlich in ihrem Gartenhäuschen saßen, tranken die beiden Stachelbeerwein aus Gläsern und ich Limo aus einem Pappbecher.

Von echtem Schrot und Korn

In meiner frühen Kindheit muss ich ein etwas schmächtiges Kerlchen gewesen sein. Das weiß ich nicht nur von meinen Eltern und Großeltern, sondern es ist auch durch einige wenige Fotos belegt, die ich in einer alten Schachtel fand. Besonders eins davon hat sich mir sehr eingeprägt. Es ist jenes Bild, auf dem ich mit kurzer Hose, einer warmen Jacke und einem Kindergartentäschchen, das an einem Ledergurt um den Hals hängt, ganz verängstigt in die Kamera blicke. So war ich wohl damals, und so war ich lange Zeit. Auch später in der Schule versuchte ich stets, mich aus Streitigkeiten herauszuhalten, die mit Prügeleien hätten

 

enden können. Und es hatte auch nie jemand das Bedürfnis, sich mit mir zu prügeln, denn wie gesagt, war ich recht schmächtig und überall einer der Kleinsten. Aus diesem Grunde hätte es wohl wenig Ruhm eingebracht, mich niedergemacht zu haben. Im Gegenteil, ich hatte den Eindruck, dass die Stärkeren in den Schulklassen eher glaubten, Pluspunkte sammeln zu können, wenn sie sich als meine Beschützer aufspielten und jedem Schläge androhten, der mir zu Leibe rücken wollte. Sie nahmen mit Sicherheit an, dass sich ihr Beistand irgendwann auszahlen würde. Und sie behielten auch recht, denn im Laufe der Jahre lohnten sich meine Tipps für ihre Hausaufgaben mehr und mehr.

Ich selbst habe für mein späteres Leben früh begriffen, dass es von Vorteil ist, wenn Kraft und Pfiffigkeit zusammenarbeiten.

Aber, um auf das besagte Foto zurückzukommen: Von Pfiffigkeit war zu der Zeit, da es entstand, bei mir nichts zu erkennen. Zur Kindergartenzeit war also aus meiner Schmächtigkeit, wohl noch kein Kapital zu schlagen gewesen.

Meine Eltern fanden schließlich, dass etwas geschehen müsse, um aus mir einen Kerl ‚von echtem Schrot und Korn’ zu formen, und es fiel ihnen dabei Opa Ferdinand und Oma Römhild ein, die auf dem Lande wohnten. Sie bedachten auch, dass ich zu jener Zeit noch nicht schulpflichtig war, und man also die Zeit bis dahin nutzen sollte.

So schickte man mich also in meinem vierten Lebensjahr mit einem Köfferchen und meiner Kindergartentasche erstmals in die weite Welt hinaus, die etwa hundert Kilometer entfernt war.

Mich, der nie weiter als fünfhundert Meter vom Haus weggekommen war, und der ängstlich aus einem Foto blickte. Immerhin begleitete mich mein Vater auf diesem Weg. Meiner Mutter war das letzte Zusammensein mit Großmutter und Großvater noch in unguter Erinnerung, und sie hatte sich daher nur schweren Herzens zur Bitte um Aufnahme ihres Sohnes durchringen können.

Sie blieb zu Hause und versprach, gelegentlich nach mir zu sehen. Nicht, dass sie eine Rabenmutter gewesen wäre, aber es gibt halt Dinge, die erst einmal ausreifen müssen. Recht hatte sie. Aber sie brachte uns zum Bahnhof, erklärte meinem Vater noch mehrmals, wann wir umzusteigen hätten, machte auch eine Skizze dazu, denn sie war einen Tag vorher schon mal bis Baldenburg, dem Umsteigebahnhof, vorgefahren, um die Lage zu erkunden. Sie winkte uns unter Tränen zum Abschied, und wir fuhren davon. In Baldenburg angekommen, holte mein Vater die Skizze hervor, und wir begaben uns zum Bahnsteig 3, von dem aus die Züge nach Eickfier, dem Wohnort von Opa und Oma, weiterfuhren. Aber da tat sich nichts, denn Mama hatte nicht bedacht, dass Züge samstags andere Abfahrtszeiten haben könnten, was dann aber so war, und wir warteten und warteten. Als schließlich ein Gewitter kam, rannten wir in die Bahnhofsgaststätte. Dort erfuhren wir auch die nächste Abfahrtszeit. Sie war für Samstagabend 23 Uhr angegeben. Es war aber 14 Uhr am Samstag. Mein Vater entschloss sich schließlich, den Metzger Griebel in Eickfier anzurufen, um ihn zu bitten, meinem Großvater mitzuteilen, dass wir im Bahnhof Baldenburg festsäßen und er uns retten solle. Meine Großeltern hatten zu diesem Zeitpunkt noch keinen Telefonanschluss. Der Metzger, ein Freund meines Großvaters, war aber im Laden nicht zu erreichen, und die Privatnummer kannte mein Vater nicht. „Junge“, sagte er zu mir, „Junge, falls du irgendwann einmal heiraten solltest, verlasse dich nie auf die Skizze, die dir deine Frau mitgibt.“

Ich kenne auch diese Geschichte nicht aus meiner eigenen Erinnerung, denn ich war eben noch nicht so weit entwickelt, dass ich alles hätte behalten können. Man hat mir später erzählt, was damals ablief, aber dieser eine Satz meines Vaters hat sich doch in meinem Gedächtnis festgesetzt.

Über die Telefonauskunft erfuhr dann mein Vater die Privatnummer des Metzgermeisters Griebel. Am Apparat war Frau Griebel.

„Mein Mann“, so sagte sie etwas verärgert, „hat sich mit unserem Wagen davongemacht. Er wird wohl irgendwo noch ein paar Schweine holen. Und das am Samstag! Ich verstehe das nicht. Sonst holt er Schweine erst montags. Montags, das ist besser. Dann können wir in Ruhe dran bleiben und die Woche über verkaufen. Ich verstehe nicht, dass er heute gefahren ist. Was soll das?! Ich sitze nun alleine hier herum am Samstagnachmittag. Der Laden ist zu. Tee habe ich mir gemacht, aber das ist auch nichts, so alleine. Alles wegen der Schweine und ...“ Dann war Papas Kleingeld alle.

Ich fragte ihn, warum er denn nichts gesagt habe am Telefon, und ob ich mal telefonieren solle. Er sah mich nur kurz stumm an und blieb mit mir im Telefonhäuschen. Es regnete in Strömen.

Nach einer Stunde bremste plötzlich ein Auto mit Kastenaufsatz vor uns. An der Außenwand stand etwas. Ich konnte noch immer nicht lesen, aber ich sah ein Schwein abgebildet. Aus dem Fahrerhaus sprangen zwei Männer. Ein dicker und ein weniger dicker. Da stürzte mein Vater trotz des Regens aus dem Telefonhäuschen und umarmte die beiden. Es war ein fürchterliches Hallo. Einer von ihnen war der Metzgermeister Griebel und der andere mein Pate und Opa Ferdinand Dörrnefeldt. Aber das erfuhr ich erst etwas später. Ich hatte den Metzger nie und meinen Opa an meinem ersten Geburtstag zuletzt gesehen.

Die drei stiegen dann ins Auto und fuhren ab. Ich stand allein im Telefonhäuschen. Was sollte ich auch draußen? Es regnete, und ich war in Baldenburg. Und mir war auch kalt. Nach einiger Zeit kam das Auto wieder zurück. Mein Vater stieg aus, schnappte mich, sagte: „Entschuldigung“, nahm mich mit ins Führerhaus des kleinen Lastwagens und quatschte unentwegt weiter mit den beiden anderen, als wäre nichts gewesen. Wieder etwas später sprach mich der nicht so dicke Mann an und meinte: „Na, Fredi, du strahlst heute ja gar nicht wie sonst immer. Ist das vielleicht, weil es heute keinen Likör gibt?“ Und die drei lachten sich fast zu Tode. Schließlich stiegen wir alle aus, und die drei Männer studierten den Fahrplan. Mein Vater sagte: „Heute ist es schlecht, morgen noch schlechter, also werde ich nicht mit nach Eickfier fahren, sondern um 22,30 Uhr zurück nach Hause. Da haben wir noch ein paar Stündchen Zeit zum Skat.“

Die drei spielten, und ich schlief auf der Eckbank. Kurz vor der Abfahrt wurde ich geweckt, mein Vater hatte 80 Piepen verloren, wie er sagte, bekam eine Fahrkarte spendiert und fuhr heim. Wir, der Metzgermeister Griebel, Großvater und ich, machten uns im Kastenwagen auf den Weg nach Eickfier.

Dort angekommen gab es ein heftiges Gewitter. Von Oma Römhild ausgelöst. Und im Handumdrehen lag ich in einem Bett. Ich schlief schlecht, denn es war alles sehr fremd um mich herum, und zudem tobte Omas Gewitter weiter bis tief in die Nacht hinein.

In Eickfier

Ein Junge ‚von echtem Schrot und Korn’ sollte ich werden. Das begann am nächsten Morgen damit, dass der Großvater mit mir einen Dauerlauf unternahm. Über den Hof, um einen unbenutzten Stall, um eine unbenutzte Scheune herum und dann hinaus in die Natur. Das dann allerdings schon im Schneckentempo. Etwa fünf Minuten lang schlenderten wir an einem Bach entlang, kamen an einer Bank vorbei, auf der Metzgermeister Griebel saß und sich von seinem Morgenlauf erholte - er hatte ebenfalls ein heftiges Gewitter in der Nacht erlebt - noch fünf Minuten weiter und dann zurück. Zuhause angekommen gab es eine Pfanne mit Eiern und Speck und eine Scheibe Schmalzbrot. Dazu Milch - aus einem Becher. Nach dem Frühstück durfte ich im Sand spielen. Es war ein frisch herbeigeschaffter Sandhaufen mit einem Eimerchen und einem Schippchen, damit ich weiter ordentlich frische Luft einatmen sollte. Am ersten Mittag gab es Schweinebraten und einen Knödel und nachmittags Streuselkuchen, abends dann Wurst und Schinken und Schinken und Wurst und wieder Milch. Nach dem ersten Wiegen hatte ich zweihundert Gramm mehr drauf. „Ein guter Anfang“, fand Oma Römhild. An diesem Tag war mir dann nicht mehr alles so fremd. Stall, Scheune, Bach und die Bank mit Herrn Griebel kannte ich schon. Auch sonst verlief der Tag ähnlich, nur gab es zum Frühstück rohe Eier mit Zucker statt Rühreier und mittags Rindfleisch.

Opa Ferdinand begab sich an den Werktagen nach dem Frühstück zur Arbeit in ein Sägewerk in der Nähe, wo er Buchhalter war, und so verbrachte ich die Tage allein mit der Oma. Ich schaute ihr zu, wie sie wusch und kochte und putzte und putzte und kochte und wusch, und die einzige Abwechslung war eigentlich nur, wenn der Metzger kam und frisches Fleisch brachte, damit auch immer ordentlich viel für mich da war. Einmal brachte er auch seinen kräftigen, dicken Sohn mit, der ebenso alt war wie ich, aber etwas mehr ‚Schrot und Korn’ besaß, und der verpasste mir heimlich eine derartige Ohrfeige, dass mir noch lange der Kopf brummte. Danach hatte ich etwas mehr Freude am Essen, denn ich hatte den Vorteil von ‚Schrot und Korn’ begriffen.

Viel unternehmen konnten die Großeltern mit mir kleinem Kerl nicht. An den Sonntagen besuchten wir den Gottesdienst in der Kirche Sankt Johann und unternahmen kleine Spaziergänge. Abends spann mir der Opa vor dem Einschlafen sein Seemannsgarn, und dann gab es noch gelegentliche Ausflüge in die Umgebung, die mir wohl viel Freude gemacht haben.

Die beiden versuchten, mir die Tage so schön wie nur möglich zu gestalten. Opa Ferdinand verbrachte einen großen Teil seiner Freizeit mit mir, ließ mich auf seinen Schultern reiten, streifte mit mir durch einen kleinen Wald, wo wir auch viel Spaß hatten, indem wir zum Beispiel nach Zwergen, Wölfen und Füchsen suchten. Aber lange konnten wir dort nicht bleiben, denn der Weg zurück war doch recht weit, sodass Großvater mich oftmals ein großes Stück tragen musste.

Oma Römhild hat wohl nur wenig gute Erinnerungen aus dieser Zeit an mich. So hatte sie mich ein einziges Mal allein gelassen, um eine Besorgung zu machen, und als sie zurückkam,

sah sie mich schon aus der Ferne auf der Fensterbank meines Zimmers im 1. Stock sitzen, und das bei geöffnetem Fenster. Als sie zitternd die Zimmertür erreichte, war die von innen verschlossen, und ich konnte den von mir herausgezogenen Schlüssel nicht wieder finden. Schließlich rannte die Oma wieder die Treppe hinab, um mich mithilfe einer Leiter zu erreichen, dabei fand sie glücklicherweise den Schlüssel, den ich aus dem Fenster geworfen hatte.

Ein ähnlich aufregendes Ereignis hat sie wohl auch nie vergessen: Sie hatte wieder einmal den Großputz hinter sich gebracht und war anschließend übermüdet im Wohnzimmersessel eingeschlafen. Da nutzte ich diese Zeit, um in der Küche ‚aufzuräumen’, wobei ich alles Essbare aus den Schränken holte und auf dem Fußboden verstreute. Sie fand mich dann zwischen Nudeln, Haferflocken, Erbsen, Mehl und all den anderen Sachen, die man so schön aus ihren Tüten und Kästchen herausholen kann.

Dieser erste Besuch bei Oma und Opa nahm ein jähes Ende. Eines Tages, ich schaufelte wie jeden Tag mit meinem Schippchen den Sand von links nach rechts und wieder zurück, als mir plötzlich ein Geldstück in die Hände fiel. Dass es nur ein Zweipfennigstück war, wusste ich nicht. Nachdem ich aber in all den Tagen nie Süßigkeiten zu sehen bekommen hatte, war der Drang danach in mir wahrscheinlich sehr groß geworden. Ich machte mich daher strahlend vor Freude, Geld zu besitzen, auf den Weg zu einer Eisdiele, die ich beim täglichen Morgenlauf irgendwo gesehen hatte, um mir eine riesengroße Portion Schokoladeneis zu kaufen. Dabei hatte ich mich wohl verlaufen, oder meinen Plan geändert, hatte es mir, statt zur Eisdiele zu gehen, vielleicht an einem anderen Sandhaufen gemütlich gemacht. Ich weiß es nicht, auf jeden Fall aber mussten mich mein Großvater und meine Großmutter samt Nachbarn mehrere Stunden lang suchen, waren dann zwar hocherfreut, als ich ihnen in der Dämmerung fröhlich entgegenlief, doch Opa Ferdinand versetzte mir trotzdem eine ordentliche erzieherische Ohrfeige, wie er meinte, mit dem Hinweis, dass ich nicht alleine hätte verschwinden dürfen. Das war die zweite Ohrfeige für mich in Eickfier, aber die erste von Opa Ferdinand, und ich war tief gekränkt. Andererseits ersah ich daraus, dass Geld nur Ärger bringt. Das mit dem Geld hat sich dann unauslöschlich in mir eingebrannt, ähnlich wie es beim Ausspruch meines Vaters über die Skizzen und die Frauen war. Das sind eben entscheidende Eindrücke, die im Kleinkindalter das Grundwissen eines Menschen zusammenfügen.

 

Am folgenden Morgen, es war kaum hell, sah mich mein Patenopa vom Schlafzimmerfenster im 1.Stock aus, mit meinem Köfferchen und meiner Kindergartentasche vor dem Haus am Straßenrand stehen. Zunächst glaubte er zu träumen, doch dann rannte er im Schlafanzug die Treppe hinab und hin zur Straße und zu mir. „Fredi?!“, rief er, „Fredi, was soll das?! Wo willst du hin?!“

Ich gab ihm keine Antwort und schaute die Straße hinauf und hinunter.

„Junge, was willst du mit all dem Zeug?! Und warum schaust du so ernst drein?!“

Ich schaute so ernst drein, weil ich die Nase voll hatte! Von allem hatte ich die Nase voll! Vom Sohn des Metzgers und von der Ohrfeige meines Opas, vom Stall und von der Scheune und vom Bach und dem Sand und von allem sonst noch! - Außerdem hatte ich Heimweh, und ich stand jetzt hier am Straßenrand und wartete auf ein Taxi, um nach Hause zu fahren.

„Aber Fredi“, sagte Opa Ferdinand ganz leise, „aber Fredi, bei uns gibt es kein Taxi wie bei euch in der Stadt. Hier kommt kein Taxi vorbei. - Und du hast tatsächlich Heimweh?“

Da kamen mir die Tränen, denn ich hatte nur Heimweh, nichts anderes sonst, als Heimweh, so wie es halt ein kleiner Junge von fast vier Jahren hat, wenn er das erste Mal fort ist von daheim.

Opa Ferdinand streichelte mir über den Kopf, und Oma Römhild, die inzwischen auch eingetroffen war, drückte mich fest an sich. Sie verstanden mich. Auch der Metzgermeister Griebel. Und so kam es, dass wir am gleichen Nachmittag mit dem Schweinelaster nach Baldenburg fuhren, wo mich mein Vater, der alarmiert worden war, in die Arme schloss.

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