Mörder sind keine Engel: 7 Strand Krimis

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Im Vorzimmer wurde ein Geräusch laut. June eilte davon. Sie kehrte sofort zurück. „Captain Rogers mit seinen Leuten“, meldete sie.

Bount legte die Beine hoch und hielt die Augen halbgeschlossen. Das leise, monotone Summen der Klimaanlage war von einschläfernder Wirkung, aber Bount war weit davon entfernt, dieser Versuchung zu erliegen.

Toby war mit seinen Leuten vor einer halben Stunde abgezogen, die Tote befand sich längst im Leichenschauhaus, und irgendwann im Laufe des Tages würde die Polizei vermutlich herausgefunden haben, wer sich hinter dem mutmaßlichen Decknamen Mary Miller verbarg.

Eine schöne junge Frau war hergekommen, weil sie keine Lust verspürt hatte, eines gewaltsamen Todes zu sterben, aber ihre letzten Schritte waren überwacht gewesen, und sie hatte den Tod bei sich getragen, ohne es zu wissen.

Ihm gingen weder die Angst in ihren schönen, hellgrünen Augen aus dem Sinn, noch die Art, wie der Glanz in diesen Augen erloschen war, zerstört von einem Gift, vernichtet vom Willen ihrer Mörder.

Bounts Beruf brachte es mit sich, dass er dieses Sterben nur zu gut kannte, aber es war ihm bis auf den heutigen Tag nicht gelungen, sich damit abzufinden. Er führte dabei einen Kampf gegen Windmühlenflügel, diese Stadt war nicht zu bändigen, schon gar nicht von einem Einzelnen, aber er war entschlossen, nicht aufzugeben. Es war sein Job, dem Verbrechen Paroli zu bieten, er ließ sich dafür bezahlen, man warf ihm sogar vor, dass er mit gepfefferten Honoraren vom Leid der anderen lebe, aber die Wahrheit sah natürlich anders aus. Die meisten seiner Klienten waren begüterte Leute. Sie konnten erstens nicht erwarten, dass er seine Haut für ein paar Dollar zu Markte trug, und zweitens hielt er es durchaus für legitim, seine Officeunkosten, das allgemeine Berufsrisiko und seine Lebensansprüche zu einer Mischkalkulation zu machen, deren Ergebnisse ihn in der Branche als „teuer“, aber auch als Spitzenkraft gelten ließen.

June kam herein, einen Hauch von Röte auf den Wangen. „Eine Klientin“, meldete sie. „Sally Brown.“

„Nochmal, bitte.“

„Sally Brown, Sir.“

Er schwang die Füße vom Schreibtisch auf den Boden. Nachgerade hatte er genug von Namen, denen man anmerkte, dass sie erfunden waren.

Erst Mary Miller, jetzt Sally Brown. Aber vielleicht hieß die Besucherin wirklich so.

Aber seltsam, seine Berufserfahrungen gingen dahin, dass Menschen mit schlichten Namen selten in die Lage kamen, sich eines Privatdetektivs zu bedienen.

„Jung, alt?“, fragte er und zog sich den verrutschten Schlipsknoten gerade.

„Jung“, sagte June. „Nicht älter als Mary Miller.“

„Bitten Sie sie herein.“

Er erhob sich, als die Besucherin sein Office betrat. Bounts Herz machte einen Sprung. Sally Brown war auf ihre Weise von der gleichen, umwerfenden Attraktivität, die Mary Miller ausgezeichnet hatte.

Sally Brown war rothaarig. Rotblond, um genau zu sein. Zu dieser schimmernden, nostalgisch gelockten Haarpracht bildete das warme, leuchtende Blau der großen Augen einen aufregenden Kontrast. Auch an der kurvenreichen, aber schlanken Figur zeigten sich keine Ansatzpunkte zur Kritik.

Bount schritt der Besucherin entgegen. Sally Brown? Das konnte sie einem anderen erzählen. Er streckte ihr die Hand entgegen und hatte auf seltsame Weise das Gefühl, eine Szene zu wiederholen, deren Generalprobe am Vormittag mit Mary Miller erfolgt war.

„Miss Brown?“, fragte er.

„Mrs. Brown“, korrigierte sie.

Er schob ihr den Besucherstuhl zurecht und nahm den Duft des teuren, herbsüßen Parfüms wahr, der die junge Frau umschmeichelte. Bount setzte sich der Klientin gegenüber. „Eine Zigarette?“, fragte er. „Einen Drink?“

Nie zuvor war ihm sein Handeln so eingefahren, so klischeehaft erschienen.

„Wenn ich etwas Wasser haben dürfte ...“

Er blinzelte. Er glaubte, Mary Miller zu hören. Nein, Mary Miller war tot, und zwischen den beiden Besucherinnen bestand keinerlei äußere Ähnlichkeit, allenfalls die des Alters und einer gewissen Blässe.

Bount drückte auf die Sprechtaste. „Ein Glas Wasser, bitte“, sagte er.

June brachte es herein. Sie hatte gelernt, ihr Gesicht unter Kontrolle zu halten, aber Bount entging nicht die Beunruhigung in Junes Augen. Sie fragte sich genau wie er, ob diese Wiederholung mit dem gleichen tragischen Knalleffekt enden mochte wie Mary Millers Besuch.

Aber zum Glück unternahm Sally Brown keinen Versuch, sich etwas ins Glas zu schütten, sie trank das Wasser pur, mit kleinen Schlucken. June ging hinaus.

„Was kann ich für Sie tun, bitte?“, fragte er.

„Es ist eine etwas diffizile Situation“, begann Sally Brown zögernd.

„Darauf bin ich spezialisiert“, sagte er.

„Ich soll sterben“, erklärte Sally Brown. „Ich bin zum Tode verurteilt.“

In Bounts Gesicht zuckte kein Muskel, aber er merkte, wie seine Hände feucht wurden. „Warum?“, fragte er. „Das ist eine lange Geschichte.“

Bount presste die Lippen aufeinander. Wann würde das Geschehen endlich aufhören, ihn mit diesem qualvollen, rätselhaften Synchronlauf herauszufordern?

Was steckte hinter dem Ganzen?

Er musste es herausfinden, und zwar schnell, sonst passierte am Ende noch das, was Mary Miller zugestoßen war.

„Sie heißen nicht Sally“, sagte er, „und schon gar nicht Brown.“

„Wie kommen Sie darauf?“

„Ich weiß nicht. Sie sind einfach nicht der Sally-Brown-Typ.“

„Danke. Ich nehme an, dass soll ein Kompliment sein. Nun gut, ich habe den Namen erfunden. Schlecht erfunden, wie es scheint. Ich habe meine Gründe. Bestehen Sie darauf, dass ich mich vorstelle?“

„Das muss ich Ihnen überlassen, aber wenn Sie erwarten, dass ich Ihnen helfe oder für Sie arbeite, müssen Sie mir schon Ihr Vertrauen zeigen – es ist die einzige Basis, auf der ein Zusammenwirken möglich ist.“

„Geben Sie mir noch etwas Zeit, bitte“, sagte die Frau. „Ich nenne Ihnen vorerst nur meinen Vornamen. Ich heiße Leslie. Mein Mann weiß nicht, dass ich hier bin. Er darf es auch nicht erfahren.“

„Okay, Leslie. Wer will Sie töten, wer hat Sie zum Tode verurteilt?“

„Correggio.“

„Bill Correggio?“, fragte Bount. Correggio war längst zu einem New Yorker Warenzeichen geworden, zu einem Negativsymbol der Gewalt.

Correggios Syndikat gehörte zu den mächtigsten Organisationen der City. Es reichte mit seiner Einfluss und Operationszone bis nach Jersey hinein.

„Sie waren seine Geliebte?“, fragte Bount.

Leslie hob die makellos geschwungenen Augenbrauen. „Sie haben eine sehr direkte Art, das Gespräch in den Griff zu bekommen“, sagte sie.

„Das dient beiden Seiten.“

„Es war für Sie nicht schwer, diese Frage zu stellen“, sagte Leslie bitter. „Schließlich will ich meinen Mann aus dieser Geschichte heraushalten. Ja, ich war Correggios Geliebte. Aber er wird es bestreiten.“

„Das beantwortet nicht die Frage, warum Sie glauben, dass er Sie töten will.“

„Er hat es bereits zweimal versucht. Nicht er, versteht sich, aber seine Leute. Außerdem macht er keinen Hehl aus seinen Absichten. Er hasst mich.“

„Was ist geschehen?“

„Nichts. Ich habe zufällig mitgekriegt, welchen Coup sie gelandet haben. Eine große Sache. Correggio hat Angst, dass ich singen könnte.“

„Natürlich hat er von Ihnen verlangt, dass Sie den Mund halten. Sie haben es ihm versprochen. Aber das ist ihm nicht sicher genug, stimmt’s?“

„Genau. Er will kein Risiko eingehen, deshalb versucht er mich umzubringen.“

„Warum gehen Sie nicht zur Polizei?“

„Dumme Frage! Ich habe einen guten Mann. Einen reichen Mann, wie ich hinzufügen darf. Wenn ich mich um eine Schutzhaft bemühte oder bereit wäre, mich als Zeugin zur Verfügung zu stellen, müsste Wilbur erfahren, was geschehen ist. Dann würde er bei seiner engstirnig ausgelegten Moral sofort die Scheidung beantragen. Und das will ich vermeiden.“

„Warum haben Sie sich mit Bill Correggio eingelassen?“, fragte Bount.

„Ja, warum? Er sieht gut aus. Er ist auf seine Weise ein berühmter Mann. Wer hat schon den Mut, einer solchen Persönlichkeit einen Korb zu geben? Ich war neugierig. Wohl auch etwas ehemüde ...“

„Sie? So lange können Sie nicht verheiratet sein“, sagte Bount. „Bei Ihrer Jugend.“

„Ehemüdigkeit kann sich schnell einstellen, vor allem dann, wenn der Partner so bieder ist wie Wilbur, mein Mann. Missverstehen Sie mich nicht, bitte. Ich schätze Wilburs Seriosität, seine Zuverlässigkeit, seine Qualitäten als Mensch und Partner, aber irgendwie genügt mir das nicht. Ich erwartete mehr vom Leben und glaubte, es mir nehmen zu dürfen.

Dabei habe ich mir die Finger verbrannt.“

„Sie sagten, dass Correggio bestreiten würde, Sie zu kennen“, meinte Bount. „Welchen Grund hat er, diese Liaison in Abrede zu stellen?“

„Er ist verheiratet, er hat Familie. Seltsamerweise ist er, der skrupellose, brutale Gangster, peinlichst bemüht, sich als makelloser Ehemann aufzuspielen. Er hat vor keinem Menschen Angst, nur vor seiner Frau. Aber es gibt für ihn noch einen zweiten Grund, die Verbindung mit mir zu leugnen. Ich soll sterben. Er will es so. Correggio wünscht selbstverständlich mit diesem geplanten Mord nicht in Verbindung gebracht zu werden.“

„Das leuchtet ein. Aber ich kann nicht gegen Correggio Krieg führen. Ich kann nicht gegen ein ganzes Syndikat kämpfen, selbst wenn ich es wollte. Ich kann nur eines tun. Ich kann – mit Ihrer Hilfe – versuchen. Correggio selbst auszuschalten. Sie haben das Material, das ihn ans Messer liefern würde. Benutzen Sie es!“ „Ohne meine Zeugenaussage wären diese Angaben wertlos“, sagte Leslie. „Aber Sie wissen, dass ich nicht als Zeugin auftreten kann.“ „Was erwarten Sie von mir?“ „Kümmern Sie sich um Correggio. Verunsichern Sie ihn. Lassen Sie ihn merken, dass Bount Reiniger, New Yorks berühmtester Privatdetektiv, an seinen Fersen klebt. Das wird Correggio warnen, es wird ihn vermutlich sogar dazu bringen, die Mordpläne auf Eis zu legen. Mehr verlange ich nicht von Ihnen.“

 

„Heute Morgen ist in diesem Office eine junge Frau gestorben. Sie wurde vergiftet. Sie war Ihnen ähnlich. Sie stellte sich unter falschem Namen vor, und sie erklärte wörtlich, sterben zu müssen, weil man sie zum Tode verurteilt habe. Sie kam nicht mehr dazu, in Details zu gehen aber ich frage mich, was diese Koinzidenz für eine Bedeutung haben mag.“

„Ich weiß es nicht.“

„Diese junge Frau nannte sich Mary Miller“, sagte Bount. Er beschrieb das Aussehen der Ermordeten und schloss fragend: „Kannten Sie sie?“ „Wie kommen Sie darauf? Ihre Beschreibung passt auf viele Frauen. Nun ja, immerhin auf einige. Können Sie mir kein Foto der Ärmsten zeigen?“

„Sie werden es spätestens morgen in den Zeitungen finden“, meinte Bount. „Ich hoffe schon früher zu erfahren, wer sie war. Es kann nicht schwer sein, sie zu identifizieren.“

„Was hat das mit mir zu tun, mit meinem Problem?“, fragte Leslie.

„Ich sagte es bereits. Es gibt ein paar erschreckende Übereinstimmungen.“

„Zufall“, sagte Leslie. „Es muss so sein! Sonst wäre ich schon tot. Aber vielleicht bin ich das tatsächlich. Was würde geschehen, wenn ich die Flucht nach vorn anträte und Correggio tötete?“

„Schlagen Sie sich das aus dem Kopf“, sagte Bount scharf.

„Es ist Unsinn, ich weiß. Ich komme nicht mehr an ihn heran.“

„Wer ist sein Killer?“

„Ein Mann namens Burkharts. Ich habe ihn gestern vor meinem Haus gesehen. Er trug eine riesige Sonnenbrille und schaute sich scheinbar interessiert die Gärten an – aber ich wette, es ging ihm nur darum, die Gegend auszubaldowern.“

Bount machte sich eine Notiz. Die Besucherin holte einen Umschlag aus ihrer Handtasche. „Das habe ich Ihnen mitgebracht“, sagte sie, „als kleinen Anreiz. Zweitausend Dollar. Betrachten Sie das Geld als Anzahlung. Sie übernehmen doch den Fall?“

Bount schob den Umschlag mit spitzen Fingern über die Schreibtischplatte zurück. „Noch sind wir nicht soweit“, sagte er. „Erst muss ich ein paar Einzelheiten wissen. Was hat Correggio vor?“

„Er will mich töten.“

„Das meine ich nicht. Welchen Coup sieht er durch Sie gefährdet?“ „Darüber möchte ich nicht sprechen.“

„Sie behaupten, dass Corregio vorhat, Sie aus dem Wege zu räumen, weil er in Ihnen ein Sicherheitsrisiko sieht. Wenn das so ist, müssen Sie tatsächlich die Flucht nach vorn antreten, freilich auf andere Weise, als es Ihnen durch den Kopf geisterte. Legen Sie Correggio das Handwerk. Geben Sie der Polizei konkrete Hinweise auf den geplanten Coup. Ermöglichen Sie Correggios Verhaftung. Man wird Rücksicht auf Ihre besondere Situation nehmen und sich bemühen, Ihren Mann aus dieser Geschichte herauszuhalten.“

„Meinen Sie, daran hätte ich nicht schon selbst gedacht? Dummerweise habe ich keine Hinweise, jedenfalls keine konkreten.“

„Sie müssen doch wissen, was gespielt wird. Correggio hätte sonst keinen Grund, Sie töten lassen zu wollen“, sagte Bount.

„Er vermutet, dass ich mehr weiß, als tatsächlich der Fall ist. Es ist zwecklos, ihm klarmachen zu wollen, dass ihm von mir keine Gefahr droht. Er hält das für eine Schutzbehauptung.“

„Hören Sie auf, mir und sich selbst etwas vorzumachen“, bat Bount. „Legen Sie endlich die Karten auf den Tisch. Danach werde ich entscheiden, ob ich für Sie arbeiten kann. Wie heißen Sie wirklich?“

„Leslie Harper“, sagte die Besucherin. „Haben Sie Angst vor Correggio?“ „Jeder hat Angst vor ihm“, sagte Bount gelassen.

„Auch Sie?“

„Wenn ich gegen ihn Front mache, riskiere ich mein Leben. Dafür bezahlen Sie mich. Machen Sie sich keine Gedanken über meine Gefühle und Reaktionen. Ich bin es gewohnt, mit der Angst zu leben. Sie wird mich nicht dazu bringen, vor Correggio zu kneifen.“

„Das klingt gut. Correggio will Andreous ein Bein stellen“, sagte Leslie Harper.

„Wer ist Andreous?“

„Viertgrößter Reeder der Weltschifffahrt. Ein Mann, der erst vor zwei Jahren die amerikanische Staatsangehörigkeit erworben hat und bestrebt ist, im Schatten seiner größeren und populäreren Konkurrenten zu bleiben. Andreous scheut die Öffentlichkeit. Publizität ist ihm verhasst, einfach ein Gräuel. Er will nur eines: in Ruhe arbeiten und seinen Einfluss erweitern. Soviel mir bekannt ist, hat er gute Aussichten, eines Tages zur Nummer eins seiner Branche aufzusteigen.“

„Ich bin kein Wirtschaftsexperte, aber meines Wissens hat die weltweite Rezession die großen Reeder am härtesten betroffen“, sagte Bount. „Bei denen ist im Augenblick nicht viel zu holen.“

„Männer wie Andreous haben ihr Schäfchen ins Trockene gebracht“, meinte Leslie Harper. „Die sind immer noch millionenschwer.“

„Fassen wir zusammen. Correggio hat vor, sich mit Andreous anzulegen. Sie wissen darüber keine Einzelheiten, aber Correggio befürchtet, dass Sie informiert sind und den geplanten Coup zum Platzen bringen könnten. Korrekt?“

„Richtig“, nickte Leslie Harper. „Bill ist fest entschlossen, mich aus dem Verkehr zu ziehen, noch ehe ich plaudern kann.“

„Haben Sie versucht, mit Andreous Kontakt aufzunehmen?“, fragte Bount.

„Ich habe selbstverständlich erwogen, ihn zu warnen, dann habe ich den Gedanken wieder aufgegeben. Was sollte ich ihm denn sagen? Ich weiß nichts! Ich weiß nur, dass Correggio mit dem Reeder Schlitten fahren will.“ Sie stieß hörbar die Luft aus. „Ich verlange von Ihnen doch nichts Unmögliches! Sie sollen Correggio einheizen und ihm klarmachen, dass es selbstmörderisch von ihm wäre, mich zu attackieren. Er soll und muss wissen, dass New Yorks bester Mann auf meiner Seite steht.“

„Ich kann Sie nicht Tag und Nacht beschatten“, machte Bount der Besucherin klar.

„Es gibt für mich keinen totalen Schutz, das weiß ich selbst. Ich will nur, dass Sie Ihr Bestes für mich tun, das ist alles.“

„Correggio soll demnach erfahren, dass ich für Sie arbeite?“

„Er wird bereits wissen, dass ich bei Ihnen bin“, sagte Leslie Harper.

„Er lässt Sie beobachten?“

„Ich fühle mich jedenfalls beobachtet.“

Bount musterte den Briefumschlag, der das Geld enthielt. Zweitausend Bucks! Die Summe reizte ihn, aber mehr noch reizte ihn die junge Frau, die ihm das Geld offerierte. Bount hatte das Gefühl, dass Leslie Harper nicht einmal die halbe Wahrheit sagte, ja, er hielt es sogar für möglich, dass sie log.

Sie bot ihm einen Vorschuss von zweitausend Bucks an, um diese Lüge glaubhaft zu machen.

Bount wünschte herauszufinden, warum das so war.

Er sah immer noch Zusammenhänge zwischen dem Besuch von Mary Miller und dieser Leslie Harper, die sich zunächst als Sally Brown vorgestellt hatte, deshalb sagte er: „Okay, ich nehme den Auftrag an. Wie und wo kann ich Sie erreichen?“

„Nur vormittags, da ist Wilbur im Büro.“ Sie entnahm ihrer Handtasche eine Visitenkarte. „Hier ist meine Adresse.“

Bount warf einen Blick auf das Kärtchen. Die Adresse war exzellent. Battery Park 16.

„Darf ich erfahren, welchen Beruf Ihr Mann ausübt?“, fragte er.

„Er ist zweiter Direktor eines Multikonzerns“, sagte Leslie Harper und stand auf. „Sein Jahreseinkommen liegt bei zwei Millionen Dollar. Ich liebe nicht ihn, sondern sein Geld. Aber ich würde ihn niemals umbringen, um an dieses Geld heranzukommen ...“

„Warum sagen Sie das?“, wunderte sich Bount.

Leslie Harper lächelte dünn. „Weil ich genau weiß, was im Kopf eines Privatdetektives vorgeht. Sie fragen sich, ob mein Besuch nicht ein Bluff ist, irgendein Ablenkungsmanöver, hinter dem ganz andere Motive stehen. Ich kann Sie beruhigen. Ich führe nichts gegen Wilbur im Schilde. Ich will ihn behalten, um jeden Preis.“

Als Bount seine Besucherin zur Tür gebracht hatte, sagte er zu June: „Folgen Sie der Frau. Finden Sie heraus, ob sich noch andere für sie interessieren und stellen Sie fest, wer das ist. Die junge Frau heißt Leslie Harper und behauptet, auf Correggios Abschussliste zu stehen.“

June nickte, zog sich eine weiße Baskenmütze über den Kopf und eilte aus dem Office. Für Fragen war keine Zeit.

Bount tätigte ein paar Anrufe, die ihm lediglich die Bedeutung des Reeders Andreous und die Prominenz des Ölfirmendirektors Wilbur Harper bestätigten. Obwohl es Bounts Aufgabe war, Leslie Harper vorbehaltlos zu unterstützen, hielt er es für unerlässlich, erst einmal die Glaubwürdigkeit seiner Klienten zu testen.

Er fuhr mit seinem Mercedes 450 SEL zur Center Street, wo er sich im Police Center von Captain Rogers ein Foto der ermordeten Mary Miller aushändigen ließ und gleichzeitig erfuhr, dass die Tote noch nicht identifiziert werden konnte.

„Ihre Prints sind nicht registriert“, sagte der Captain. „Wir wissen nur eines: Sie muss sehr wohlhabend gewesen sein, denn was sie auf dem Leibe trug, kriegt man nicht im Kaufhaus. Na. und die Hände! Beste Manikürarbeit, die haben niemals hart zupacken müssen.“

„Damit kann ich nichts beginnen, eine Beschreibung wie diese passt unter Umständen auf jedes Call Girl“, erklärte Bount.

Er fuhr zum Battery Park am Südzipfel Manhattans und klingelte dort an der Tür des Patrizierhauses 12. dessen auf Hochglanz poliertes Namensschild einen Besitzer mit drei Vornamen offerierte: Ashley Cedric F. Barkley.

Ein Butler mit tiefgefrorener Miene führte ihn in einen kleinen, mit Möbeln der Regency-Epoche ausgestatteten Empfangsraum. Kurz darauf rauschte eine stattliche, weißhaarige Dame herein: Mrs. Barkley.

Sie war mit einem halben Kilogramm Brillanten behängt, ohne deshalb von ihrer schlaffen, runzeligen Haut und ihrem Alter ablenken zu können. Bount stellte sich vor, zeigte das Bild der Ermordeten und behauptete: „Es gibt Hinweise, denen zufolge angenommen werden darf, dass diese Frau in der Gegend des Battery Parks verkehrte. Ich wüsste gern von Ihnen, ob ...“

Mrs. Barkley unterbrach ihn.

„Aber das ist doch Jessica Thorpe!“, rief sie aus.

„Sie wohnt in der Nähe?“

„Ja, in der 9, glaube ich. Oder ist es die Sieben? Egal, in einem der beiden Häuser jedenfalls. Was ist mit ihr? Weshalb hält sie auf dem Foto die Augen geschlossen?“

„Sie ist tot, ermordet. Was können Sie mir über Jessica Thorpe sagen?“, erkundigte sich Bount. Er hatte Mühe, ruhig zu bleiben. Er erinnerte sich nicht, jemals so rasch fündig geworden zu sein.

Mrs. Barkley sank auf einen Stuhl. „Ermordet! Mein Gott, wie schrecklich! Wie konnte das bloß passieren? Und wie äußert sich Jessicas Mann dazu? Ich muss sofort Ashley anrufen. Er hat Jessica geschätzt, er fand sie hochgebildet, ganz reizend, unerhört charmant ...“

„Was sind die Thorpes für Leute?“, fragte Bount.

Mrs. Barkley atmete schnaufend. Sie war so erregt, dass sie sitzen bleiben musste. „Leute? Ich muss Sie bitten, etwas respektvoller zu sprechen. Die Thorpes gehören zur Society. Zu einer Society im guten Sinne, meine ich damit, zu den meinungsbildenden Köpfen einer moralisch durchaus intakten Oberschicht, zu ...“

„Schon gut“, unterbrach Bount die Lobeshymne der Glitzerdame. „Wovon leben die Thorpes?“

„James Thorpe ist Direktor und Mitinhaber des Bankhauses Thorpe, Thorpe & Friggley.“

„Ein bekanntes Geldinstitut“, sagte Bount kopfnickend und fragte sich, was die junge, hochattraktive Frau eines so bedeutsamen, vermögenden Mannes wohl in die Lage gebracht haben mochte, sich unter dem Decknamen Mary Miller den Nachstellungen skrupelloser Mörder entziehen zu müssen – ein Versuch, der am Ende gescheitert war, ausgerechnet in seinem Office, was, wie Bount befürchtete, seine Kollegen zu ein paar hämischen und wenig imagefördernden Bemerkungen über die Effizienz und Wirksamkeit seiner Tätigkeit inspirieren würde.

„Mit wem war Jessica Thorpe befreundet?“, fragte er.

„Jessica? Sie kannte hunderte von Leuten, natürlich nur bedeutsame ...“

„Versteht sich“, sagte Bount ungeduldig. „Wen kannte sie aus dieser Straße?“

„Nun, junger Mann, ich setze voraus, dass Sie Battery Park nicht als gewöhnliche Straße einstufen. Battery Park ist Geschichte. Das gilt auch für die meisten Familien, die hier leben. Einige wohnen schon seit Generationen hier, andere haben sich eingekauft – aber alle sind durch das Markenzeichen Battery Park miteinander verbunden. Nennen Sie das meinetwegen Snobismus, aber es ist wunderbar, in dieser oberflächlichen, schnelllebigen Zeit noch Symbole für Solidität und Moral zu finden. Battery Park ist wie eine große Familie. Hier kennt jeder jeden – aber daraus zu schließen, dass jeder mit jedem klatscht, wäre ebenso dumm wie falsch. Jessica lud ein und wurde eingeladen, aber das gilt für die meisten Familien dieser Straße.“

 

„Wie eng war Jessica Thorpe mit Leslie Harper befreundet?“, fragte Bount.

Mrs. Barkley hob die sorgfältig nachgezogenen Augenbrauen. „Ich bin mir nicht einmal sicher, ob sie überhaupt miteinander befreundet waren. Natürlich kannten sie sich, und selbstverständlich haben sie sich wiederholt getroffen, auf Gesellschaften und Partys ...“

„Wie gut kennen Sie Leslie Harper?“

„Nicht besser oder schlechter als die anderen Frauen der Straße ...“

„Wenn Sie ersucht würden, Leslie Harper zu beurteilen – wie würden Sie sie einstufen?“

„Wie Jessica Thorpe. Jung, attraktiv, modebewusst und gebildet, eine junge Frau aus bestem Haus“, meinte Mrs. Barkley.

Bount bedankte sich und ging.

Die Thorpes wohnten in einem Haus, das dem der Barkleys verblüffend ähnlichsah, aber das gehörte zur geschichtsträchtigen Fassade des Battery Parks, hier manifestierte sich alteingesessener Reichtum auf kleinstem Raum, hier verband sich Museales mit dem Anspruch, zur Creme der Gesellschaft gezählt zu werden. Die meisten Hausbesitzer benutzten ihre exklusive Bleibe nur als Stadtwohnung, als Aushängeschild und Visitenkarte. Fast alle besaßen weit größere Häuser in vornehmen Suburbs.

Noch während Bount damit beschäftigt war, die schmale, imponierende Fassade zu betrachten, öffnete sich die Tür und ein Mann trat über die Schwelle.

Bount wandte sich rasch ab. Er hatte den Mann auf Anhieb erkannt.

Es war der Gangster, der sich als Dr. Stillers Assistent ausgegeben hatte und mit Jessica Thorpes Handtascheninhalt verschwunden war.