Ich hab mal einen Killer gekannt: 4 Action Krimis

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8


Eine halbe Stunde später tauchten Sam Folder und Mell Horster auf.

Sie durchsuchten das Haus von oben bis unten. Dave Ontario von der Scientific Research Division nahm sich den Computer im Arbeitszimmer vor. Es gelang ihm, den Eingangscode zu knacken, aber es stellte sich sehr schnell heraus, dass das darauf gespeicherte Datenmaterial so umfangreich war, dass es eine ganze Weile dauern würde, bis diese Flut an Einzelinformationen gefiltert werden konnten.

„Wir suchen einen Zusammenhang mit dem organisierten Verbrechen“, erklärte Milo. „Schließlich hat sich Brandon Carter nicht ohne Grund an Fabiano gewandt.“

„Ich frage mich, wer sich da eigentlich an wen gewandt hat“, meinte ich, während ich den Terminkalender durchging. Für den Abend des Mordes war da nur ein vager Hinweis.

J.F. DOLCE VITA BAR 2300 – so war es mit krakeligen, flüchtig wirkenden Blockbuchstaben hingekritzelt worden.

Also doch!, dachte ich.

Carter und Fabiano hatten sich zuerst in der DOLCE VITA BAR getroffen. 2300 musste die Uhrzeit sein. Vielleicht hatten wir Glück, und irgendjemand aus dem Personal der Bar erinnerte sich noch an die Beiden.

„Worauf willst du hinaus, Jesse?“, riss mich Milo aus meinen Gedanken heraus und spielte damit auf meine letzte Bemerkung an.

Ich zuckte die Schultern.

„Es könnte ja sein, dass Carter Fabiano auf die Spur kam und ihn als Lohnkiller entlarven wollte. Aber das glaube ich nicht, denn dann wäre Carter niemals so blauäugig gewesen, sich allein und ohne jemandem darüber zu informieren mit Fabiano zu treffen.“

„Weißt du was Besseres, Jesse?“

„Wie wär’s damit, dass es Jack Fabiano war, der Carter aufgesucht hat. Ich meine, wenn wir vom FBI Fabiano all die Jahre nicht finden konnten, dann ist es extrem unwahrscheinlich, dass Carter das schaffte. Aber umgekehrt konnte sich Fabiano jederzeit an Carter wenden.“

Milo verzog das Gesicht. „Nach deiner Theorie hat Fabiano Carter einfach angerufen und gesagt: Hallo, wie geht’s? Ich will ein Autogramm von dem Mann mit den Latexhandschuhen? Sehr überzeugend, Jesse!“

Ich hob die Augenbrauen. „Wenn Fabiano Carter angerufen hat , könnte diese Erkenntnis allein schon was wert sein. Wir brauchen so schnell wie möglich die Telefonlisten aller Anschlüsse in diesem Haus. Dasselbe gilt natürlich für Carters Handy.“

Dave Ontario war es gerade gelungen, in Carters E-Mail Account hereinzukommen. Aber es fand sich bei der ersten Überprüfung nichts unter den verzeichneten Nachrichten, was eine Verbindung zu Jack Fabiano herstellte. „Ich werde das Ding hier wohl mit ins Labor nehmen müssen“, meine Ontario und deutete auf den Computer. „Wir können dort unter Umständen auch gelöschte E-Mails wieder lesbar machen.“




9


Es war früher Abend, als wir nach New York zurückkehrten. Der Regen hatte inzwischen aufgehört. Wir fuhren noch einmal in die Elizabeth Street, um uns in der Dolce Vita Bar umzuhören.

Dort herrschte mäßiger Betrieb.

Wir zeigten Fotos von Brandon Carter und Jack Fabiano herum.

Eine Bedienung erinnerte sich an die Beiden. Sie hieß Eva Daniels, war 23 Jahre alt, dunkelhaarig und von zierlicher Gestalt. Ihr tiefer Ausschnitt trug sicher genauso viel zum Umsatz der Bar bei wie die Drinks. „Die sind mir in Erinnerung geblieben“, berichtete die junge Frau. „Der Ältere der Beiden war zuerst hier und hat auf den anderen gewartet. Können Sie sich vorstellen, wie man abends kurz vor Mitternacht noch einen Cappuccino trinken kann?“

„Ist alles Geschmackssache“, meinte ich.

„Kann ja sein. Aber das ist eindeutig schlechter Geschmack.“

„Aber Sie haben ihm einen Cappuccino gemacht“, stellte ich fest.

Eva Daniels nickte. „Ja. Für unsere Gäste tun wir alles. Das ist das Motto unseres Chefs. Ich hatte wegen dem Typen extra die Maschine angeworfen und was war das Ende vom Lied? Er meckerte auch noch an dem Cappuccino herum, den ich ihm dann auf den Tisch gestellt hatte. Eigentlich hätte er froh sein sollen, überhaupt noch so etwas zu bekommen! Da schreibt man die individuelle Gästebetreuung schon riesengroß und bekommt dann trotzdem noch eins übergebraten. Aber so ist unser Job nun einmal.“

„Wenn wir auftauchen, sind auch nicht unbedingt immer alle begeistert“, meinte Milo.

„Sie Ärmster! Vielleicht spendiert Ihnen der Chef ja einen Drink auf Kosten des Hauses, damit Sie möglichst schnell verschwinden. Sonst denkt hinterher noch jemand, dass hier mit Ihnen gehandelt würde oder etwas in der Art.“

„Versuchen Sie sich zu erinnern!“, forderte ich jetzt von der Zeugin. „War da vielleicht noch irgendetwas, was Ihnen bei den beiden Gästen aufgefallen ist? Haben Sie etwas von dem Gespräch mitbekommen?“

„Nur, dass der Ältere ziemlich sauer darüber war, dass der Jüngere offenbar nicht so ganz pünktlich zu der Verabredung gekommen ist. Ach ja, da ist doch noch etwas!“

„Heraus damit.“

„Keine Ahnung, ob das wirklich wichtig ist, aber...“

„Ob etwas wichtig oder unwichtig ist, sehen wir selbst oft erst später, wenn der Fall abgeschlossen ist“, erwiderte ich.

Sie seufzte. „Da war ein Typ, der sich nach den Beiden erkundigt hat.“

„Wirklich nach beiden?“, vergewisserte ich mich, denn das war ein Punkt, der entscheidend sein konnte.

„Nein, genau genommen nur nach dem Älteren!“

„Also Fabiano“, schloss Milo.

„Was hat er genau gefragt?“

„Er kam ein paar Minuten, nachdem die Beiden schon aus dem Lokal waren und schien hier jemanden zu suchen. Ich habe ihn gefragt, ob ich ihm helfen könnte und da hat er mir gesagt, dass er mit einem Kerl sprechen wolle, auf den genau die Beschreibung dieses Mannes passte, der trotz der vorgerückten Stunde noch einen Cappuccino bestellt hatte.“

„Was haben Sie dem Kerl gesagt?“

„Dass der Typ, den er sucht, gerade zur Tür hinaus gegangen ist. Er ist dann einfach gegangen und hat zugesehen, dass er die Gesuchten einholte.“ Sie stockte. „Wenn ich gewusst hätte, was für eine Tragödie sich da abgespielt hat!“ Stumm und tief betroffen schüttelte sie den Kopf.

Ich hakte nach. „Können Sie den Mann beschreiben?“

„Groß, gelocktes dunkles Haar, schätzungsweise Anfang dreißig.“

„Das ist doch schon mal was.“

„Außerdem trug er eine Jacke mit der Aufschrift MAUI SPORTS – in großen Buchstaben.“

„Ich schicke Ihnen so schnell wie möglich einen Zeichner vorbei!“, versprach ich. Vielleicht hatten wir zumindest einen der Täter schon gefunden.




10


Am nächsten Morgen saßen wir zusammen mit einigen Kollegen im Büro unseres Chefs. Mister Jonathan D. McKee leitete das FBI Field Officer New York im Rang eines Assistant Director in Charge.

Seine Sekretärin Mandy hatte ihren berühmten Kaffee serviert und ein angenehmes Aroma verbreitete sich im Büro unseres Chefs.

Ich nippte an meinem dampfenden Becher.

Mister McKee machte ein sehr ernstes Gesicht.

„Wir tappen bis jetzt ziemlich im Dunkeln, was diesen Fabiano/Carter-Fall angeht“, stellte er fest. „Wir wissen noch nicht einmal, unter welchem Namen Jack Fabiano in den letzten Jahren gelebt hat. Oder hat sich das inzwischen etwas Neues ergeben?“ Mister McKee ließ den Blick in der Runde schweifen, zu der außer Milo und mir auch die Agenten Clive Caravaggio und Orry Medina sowie unsere Kollegen Jay Kronburg und Leslie Morell gehörten. Darüber hinaus war auch Nat Norton, unser Experte für Betriebswirtschaft anwesend. Er hatte zwischen Agent Max Carter, einem Innendienstler aus der Fahndungsabteilung und Sam Folder Platz genommen. Dave Ontario von der Scientific Research Division, auf dessen Erkenntnisse über Brandons Computer wir sehnsüchtig warteten, hatte sich bereits telefonisch bei Mister McKee gemeldet und erklärt, dass es im Moment noch nichts Neues gäbe.

 

„Unter dem Namen J. Edgar Fabian gibt es ein Konto bei der Grand National Bank“, erklärte uns Nat Norton. „Es wurde kurz bevor Fabiano unter diesem Namen die Wohnung erwarb, eingerichtet und seitdem gehen von dort aus sämtliche laufenden Zahlungen ab, die damit in Zusammenhang stehen. Unter anderem die Heizkosten. Es gibt keinen Telefonanschluss, was nicht verwundert, denn nach Auskunft der Agenten, die dort waren, machte die Wohnung ja auch nicht den Eindruck, als hätte Fabiano jemals für längere Zeit gelebt.“

„Konnten Sie herausfinden, woher die Einzahlungen auf dieses Konto stammten?“, hakte Mister McKee nach. „Schließlich ist er ja die ganzen Jahre über wohl zumindest soweit gedeckt gewesen, dass die Kosten für die Wohnung bezahlt werden konnten.“

Nat nickte. „Richtig. Es gingen ziemlich unregelmäßig Beträge ein, die in etwa den Ausgaben entsprachen und im Laufe der Zeit einen leichten Überschuss ergaben. Das gegenwärtige Guthaben beträgt 1256 Doller und 43 Cent. Die Einzahlungen kamen bis vor zwei Jahren von einem Konto in Zürich, danach von einer Firma auf den Cayman Islands.“

„Das bedeutet: Da verliert sich die Spur erst einmal“, stellte Mister McKee fest.

„Leider ja. Aber ich versuche natürlich diesen spärlichen Geldstrom weiter zurückzuverfolgen, was nicht so ganz einfach ist. Je kleiner die Summe, desto schwieriger ist das, wie Sie sich denken können.“ Nat zuckte die Achseln. „Im Moment sehe ich ehrlich gesagt die Chancen nicht so rosig. Übrigens gibt es da noch interessantes Details am Rande...“

„Ich höre“, sagte Mister McKee.

Nat blickte auf seine Unterlagen, die aus einem Wust von Computerausdrucken bestanden.

„Bei der gleichen Bank, bei der das Konto eingerichtet war, hat Fabiano auch Aktiendepot eingerichtet. Mit 20 000 Dollar hat er sich an einem Aktienfond namens TronicFond beteiligt, der wohl speziell auf Werte in der Elektronik-Branche ausgerichtet ist. Das stand des Fondkontos schwankte stark. Zuletzt betrug die Einlage 20 000 Dollar, die vor drei Monaten ausgezahlt wurden. In bar.“

„Dann brauchte er dringend Geld!“, schloss Clive Caravaggio. Der flachsblonde Italoamerikaner war Mister McKee Stellvertreter und damit der zweite Mann im Field Office New York.

Nat wandte den Kopf in Clives Richtung. „Er brauchte Bargeld“, korrigierte er. „Und dafür muss es tatsächlich einen Grund geben.“

Anschließend fasste Sam Folder die Erkenntnisse zusammen, den vorläufigen Bericht der SRD sowie die bisher vorliegenden ballistischen Erkenntnisse vor. Danach war tatsächlich aus zwei Waffen des gleichen Kalibers geschossen worden. „Beide Waffen müssen nagelneu sein, jedenfalls wurden sie zuvor nicht bei einem Verbrechen benutzt. Dass die Täter Schalldämpfer verwendeten war von Anfang an nahe liegend. Aber die Tatsache, dass sie auch die Patronenhülsen aufgesammelt haben, spricht dafür, dass es sich um Profis handelte.“

„Wir müssen also jemanden finden, dem Fabiano und Carter gleichermaßen im Weg waren“, meinte Mister McKee. „Die Variante, dass einer der beiden nur ein Zufallsopfer war, halte ich zwar nicht für ausgeschlossen, aber doch für wesentlich unwahrscheinlicher. Schon deshalb, weil sich beide unter sehr konspirativen Bedingungen getroffen haben.“ Mister McKee wandte sich an Milo und mich. „Was haben die Befragungen rund um den Tatort ergeben?“

„Fabiano hat sich mit Carter in der Bar DOLCE VITA getroffen. Kurze Zeit später hat sich jemand nach einem Mann erkundigt, auf den Fabianos Beschreibung passt. Prewitt hat ein Phantombild angefertigt.“

„Das liegt vor“, meldete unser Innendienstler Max Carter. „Einen Augenblick...“ Max betätigte den Beamer, den er an seinem Laptop angeschlossen hatte. Im nächsten Moment erschien das Phantombild an der Wand. „So sieht der Mann aus!“, erklärte er. „Wir haben das Bild durch den Computer gejagt. In den über NYSIS zugänglichen Datenbanken konnten wir niemanden mit wirklich zwingender Übereinstimmung finden. Vor allem niemand, der gleichzeitig Verbindungen zu Fabiano, zur Mafia oder zum organisierten Verbrechen im Allgemeinen gehabt hätte.“

„Also ein unbeschriebenes Blatt“, schloss Mister McKee. „Wir geben den Mann in die Fahndung, aber das Bild wird nicht über die Medien verbreitet, sonst verschrecken wir den Kerl nur und er taucht unter.“ Mister McKee wandte sich an Clive Caravaggio. „Nutzen Sie Ihre Kontakte und Informanten in Little Italy, zeigen Sie dieses Bild herum. Vielleicht kennt ihn dort jemand.“

„Ja, Sir“, nickte Clive.

„Dann gibt es da noch den Mann, mit dem sich Fabiano nach Auskunft seines Nachbarn vor ein paar Wochen auf dem Flur gestritten hat“, merkte ich an.

„Dessen Bild habe wir auch durch den Rechner gejagt. Abgesehen davon, dass es sich auf Grund der Altersangabe und der Beschreibung von Mister Donovan McGregor unmöglich um dieselbe Person handeln kann, die sich im DOLCE VITA nach Fabiano erkundigt hat, wissen wir ebenfalls nichts über ihn.“

Sam Folder mischte sich jetzt ein. „Wir haben in der Wohnung Fingerabdrücke von zwei Personen gefunden, bei denen wir annehmen, dass sie schon älter sind und nicht von den Opfern hinterlassen wurden.“

„Wurde bereits ein Abgleich über AIDS durchgeführt?“, fragte Mister McKee.

AIDS – das Automated Identification System – war eine allen Polizeieinheiten zugängliche Datenbank, in der die Fingerabdrücke von Millionen Amerikanern gespeichert waren. Dabei handelte es sich beileibe nicht nur um Kriminelle! Jeder, der irgendwann einmal erkennungsdienstlich behandelt worden war, blieb darin gespeichert. Darüber hinaus auch alle Fingerabdrücke, die von Bewerbern bei der Army, der Polizei und im öffentlichen Dienst genommen wurden. Daher war die Anzahl der Einträge inzwischen auch schon weit höher als die Zahl zurzeit lebender Amerikaner.

„Der Abgleich wurde durchgeführt. In einem Fall ohne Ergebnis. Das könnte der Mann sein, mit dem Fabiano sich vor ein paar Wochen gestritten hat.“

„Und der Zweite?“, hakte Mister McKee nach.

„Heißt Donovan McGregor und wohnt im Apartment nebenan. Er war in der Army und hat in Korea gekämpft. Später war er jahrelang bei der New Yorker Hafenverwaltung angestellt“

„Unser Glück, dass die elektronische Erfassung dieser Altbestände an Fingerabdrücke im letzten Jahr abgeschlossen wurde“, lautete Mister McKees Kommentar. Er wandte sich an Milo und mich. „Fühlen Sie dem Kerl noch mal auf den Zahn! Da stimmt doch was nicht! Was hatte dieser Mann in Fabianos Wohnung zu suchen? Ansonsten sehen Sie zu, ob sie in Brandon Carters Verlag oder seiner Produktionsfirma noch irgendwen finden, der sich auf seinen Kontakt zu Fabiano einen Reim machen kann.“ Unser Chef wandte den Kopf um ein paar Grad, sodass er nun auf Leslie und Jay blickte. „Sie beide hören sich bitte mal in dem Kabelsender um, der Carters Sendung immer zur Erstausstrahlung bringt. So weit ich das inzwischen verstanden habe, übernehmen die großen Networks immer erst die Wiederholungen.“

„Ja, Sir“, murmelte Jay.

„Und sprechen Sie auch mit den Anwälten – nicht nur mit Carters Anwälten, sondern auch mit denen des Senders!“ Mister McKee atmete tief durch. Er trank seinen Kaffeebecher leer und verzog das das Gesicht. Kalt schmeckte selbst Mandys Kaffee nicht besonders. „Max, wieweit sind Sie mit der Liste sämtlicher Personen, die sowohl ein Motiv haben könnten Carter zu ermorden, als auch Fabiano ins Jenseits zu wünschen, sodass wir nach Überschneidungen suchen können.“

„Ist in Arbeit, Mister McKee. Die Schwierigkeit ist dabei zurzeit, dass wir aus den letzten zwanzig Jahren zwar so gut wie alles über Carters Leben, dafür so gut wie nichts über Fabiano wissen.“

„Ich hoffe, dass unsere Ermittlungen daran bald etwas ändern“, erklärte Mister McKee.

„Dieser kugelsichere Anzug, den Fabiano trug – es müsste doch herauszufinden sein, woher der stammt“, warf ich ein.

„Alle Hersteller von Schutzwesten arbeiten an dem Problem, Schutzkleidung mit normalem Tragekomfort herzustellen“, sagte Max. „Das sind aber bislang alles nur Versuche. Nichts davon ist in Serie gegangen oder kann einfach auf Bestellung bezogen werden. Die Hersteller experimentieren da mit verschiedenen Geweben. Woher das spezielle Gewebe dieses Anzugs stammt, weiß ich bis heute Nachmittag, vorausgesetzt es wurde patentiert.“

„Gut“, sagte Mister McKee. „Sobald wir in der Sache mehr wissen, sehen wir weiter.“

In diesem Augenblick klingelte eines der Telefone auf Mister McKees Schreibtisch. Unser Chef ging hin, nahm ab und sagte dreimal im Abstand von jeweils zehn bis fünfzehn Sekunden „Ja.“

Dann legte er wieder auf und drehte sich in unsere Richtung.

„Das war Dr. Brent Claus. Die Obduktion ist nun abgeschlossen. Was Brandon Carter angeht, hat sie lediglich das ergeben, was wir schon wussten. Sein Körper wurde von mehreren Kugeln durchschlagen, von denen mindestens drei für sich genommen schon tödlich gewesen wären. Interessant ist, was Dr. Claus über Jack Fabiano herausgefunden hat.“ Mister McKee machte eine Pause und ließ die Hände in den Taschen seiner grauen Flanellhose verschwinden. „Fabiano hatte Krebs. Lungenkrebs im Endstadium, nicht mehr therapierbar.“

„Wie lange hatte er noch?“, fragte ich.

„Dr. Claus meint nicht mehr als ein paar Monate. Fabiano musste allerdings jederzeit mit einem abrupten Ende rechnen.“

„Könnte es sein, dass Fabiano in Brandon Carter eine Art Beichtvater gesucht hat?“, vermutete Milo. „Jemandem, vor dem er reinen Tisch machen konnte?“

Milos Annahme machte Sinn.

Wenn Fabiano bewusst gewesen war, dass es mit ihm zu Ende ging, brauchte er auch nicht mehr zu fürchten, dass die Justiz ihm auf Grund der Veröffentlichung von Details aus seiner Lebensgeschichte am Ende auf die Spur kam. Eine Bilanz ziehen, wenn das Ende nahe ist – das war wohl ein menschliches Bedürfnis, das Fabiano mit vielen anderen vor ihm geteilt hatte.

„Ich halte Ihre Annahme für plausibel, Milo“, äußerte Mister McKee.

„Vielleicht gab es jemanden, dem Fabianos Idee einer Lebensbeichte nicht passte“, warf ich ein. „Jemand, der dadurch vielleicht sogar direkt bedroht war.“

Mister McKee zuckte die Schultern. „Dr. Claus meint, dass Fabiano unglaubliche Schmerzen gehabt haben muss. Es sei ein Wunder, dass der Mann überhaupt noch auf den Beinen gewesen sei. Im Blut sind starke Rückstände von Morphium nachgewiesen worden. Wir können annehmen, dass er die zwanzigtausend Dollar Bargeld vor drei Monaten dazu brauchte, um sich mit einem ausreichenden Morphium-Vorrat für seine letzten Tage auszustatten.“




11


Donovan McGregor war ziemlich überrascht als wir ihn noch einmal aufsuchten. Er bat uns in seine Wohnung. Auf dem Boden lagen Stapel von Prospekten und Anzeigenblätter, die er wohl noch auszuteilen hatte.

„Sagen Sie bloß, Sie haben den Fall von nebenan schon aufgeklärt“, meinte er.

 

„Leider nein“, erwiderte ich. „Wir müssen Ihre Aussage noch einmal durchgehen, Mister McGregor!“

„Wieso das denn?“

Milo ergriff jetzt das Wort. „Wir haben Ihre Fingerabdrücke in der Wohnung Ihres Nachbarn gefunden. Sie haben uns nicht gesagt, dass Sie schon mal dort waren.“

„Vielleicht habe ich etwas angefasst, als ich die Leichen fand. Sie wissen doch, die Tür stand halb offen, ich habe hineingesehen...“

„Ja, das wissen wir alles...“

„Dann haben Sie doch auch die Erklärung. Mein Gott, seit Korea habe ich keine Toten mehr gesehen und dann liegen da plötzlich zwei Männer blutüberströmt am Boden.“

„Die Abdrücke waren an der Tür zum Bad“, sagte ich. „Laut des Berichts der SRD-Kollegen hätten Sie dort unmöglich hingelangen können, ohne selbst Spuren zu hinterlassen, beispielsweise, indem Sie durch die Blutspuren getreten wären.“

„Ich habe aufgepasst!“

„Nein, so aufmerksam, dass Sie auch auf so winzige Spuren achten konnten, die für das Auge unsichtbar sind und die erst mit Hilfe eines auf Blut reagierenden fluoreszierenden Mittels wie Luminol erkennbar werden, können Sie unmöglich gewesen sein, Mister McGregor.“

McGregors Gesicht lief rot an.

„Wollen Sie mir etwa was anhängen? Bitte! Durchsuchen Sie meine Wohnung! Seit Korea habe ich keine Waffe mehr in der Hand gehabt! Außerdem bluffen Sie doch nur! Sie haben mir niemals Fingerabdrücke genommen.“

„Erstens könnten wir das nachholen und zweitens wurden Ihre Fingerabdrücke beim Eintritt in die Army genommen. Das mag schon lange her sein, aber das spielt keine Rolle!“, gab Milo zu bedenken.

„Geben Sie es schon zu“, sagte ich. „Ich glaube nicht, dass Sie mit dem Tod Ihres Nachbarn zu tun haben. Sie waren vorher mal in der Wohnung. Das lässt sich einwandfrei beweisen. Und ich verstehe ehrlich gesagt nicht, weshalb Sie uns das erstens nicht vorher gesagt und zweitens es jetzt so hartnäckig leugnen.“

„Es sei denn, es gibt einen Grund dafür und Sie haben noch etwas mehr mit der Sache zu tun, als wir bislang geglaubt haben“, fügte Milo noch hinzu.

McGregor sprang von seinem Sofa auf.

Er lief unruhig hin und her, warf dann einen Blick aus dem Fenster und stand eine ganze Weile wie erstarrt da. Milo wollte noch etwas sagen, aber ich bedeutete meinem Kollegen mit einer Handbewegung, dass es vielleicht geschickter war, dem Mann jetzt ein paar Augenblicke zum Nachdenken zu geben.

Er wischte sich mit der Hand übers Gesicht.

Dann platzte endlich der Knoten.

„Okay“, sagte er. „Was ich Ihnen gesagt habe, stimmt. Jedes Wort davon. Bis auf...“

„...die Tatsache, dass Sie zuvor schon mal in der Wohnung waren“, beendete ich seinen Satz.

„Ja.“

„Warum und wann?“

Er drehte sich herum und schluckte. „Sehen Sie, ich lebe seit dem Tod meiner Frau ziemlich zurückgezogen. Die Nebenjobs und meine Pension, das hält mich gerade so über Wasser. Ich habe noch jede Menge Zeit, in der ich meistens einfach nur hier in meiner Wohnung sitze, vor mich hinbrüte, fernsehe...“

„Kommen Sie auf den Punkt, Mister McGregor!“, forderte ich.

„Wissen Sie, wenn man sonst nichts zu tun hat, fängt man an, seine Umgebung zu beobachten. Außerdem hört man ja so viel von Gewalt und Verbrechen in den Medien, da sollte man schon vorsichtig sein.“

„Und da ist Ihnen Mister Fabian gleich aufgefallen“, sagte ich.

„Nein, nicht gleich. Aber über die Jahre hinweg fand ich es schon sehr seltsam, dass jemand eine Wohnung mietet, in der er fast nie lebt. Ich habe mich nach Fabian erkundigt. Es schien ihn niemand zu kennen. Er mit keinem im Haus gesprochen und bekam als einziger im Haus weder eine Zeitung noch Post. Das war schon eigenartig. Wissen Sie, da beginnt die Fantasie natürlich zu arbeiten. Eine konspirative Wohnung? Ein Treffpunkt von Agenten irgendeiner ausländischen Macht? Weiß der Geier, was einem da alles durch den Kopf geht.“

„Also konnten Sie es irgendwann nicht mehr aushalten und haben mal nachgesehen“, schloss ich.

McGregor nickte. „Ja, so war es. Es hat ja wohl keinen Sinn, das weiter zu leugnen.“

„Wie sind Sie hineingekommen?“

„Ich habe einen Schlüsseldienst bestellt und behauptet, die Wohnung nebenan wäre meine Wohnung. Das hat niemand genauer überprüft. Anschließend habe ich mir einen Nachschlüssel machen lassen, mit dem ich dann über die Jahre immer wieder mal kontrolliert habe, was da drüben so vor sich geht.“

„Wann waren Sie zuletzt da?“

„Vor genau drei Wochen. Nachdem der grauhaarige Typ hier auftauchte, mit dem Mister Fabian sich gestritten hat. Ihr Kollege Prewitt hat ja ein Bild nach meinen Angaben gemacht. Ist auch ganz gut geworden, finde ich.“ Er sah uns an. Einen nach dem anderen. „Sie tappen auch noch ziemlich im Dunkeln, was?“ Er mache eine Pause und fuhr dann fort: „Werde ich jetzt eigentlich angezeigt? Ich meine, weil ich in der Wohnung war.“

„Sie haben nichts entwendet und wir sind nicht vom Einbruchsdezernat des zuständigen NYPD-Reviers“, sagte ich.

„Heißt das, Sie lassen es unter den Tisch fallen?“

„Das heißt, Sie kommen wahrscheinlich mit einer Einstellung des Verfahrens wegen geringer Schuld gegen eine Geldbuße davon.“

„Wovon sollte ich die denn zahlen?“

Ich wechselte einen Blick mit Milo und antwortete dann: „Vielleicht beeindruckt es die Justiz ja, wenn Sie maßgeblich zur Aufklärung eines Verbrechens beitrügen.“

„Wenn Sie meine Meinung hören wollen, dann sollten Sie mal herausfinden, wovon dieser Fabian eigentlich gelebt hat.“

Ich sah ihn etwas erstaunt an.

Er erwiderte den Blick, hob die Augenbrauen und fuhr fort: „Ja, von den Erträgen seines kleinen Aktienvermögens hätte ja nicht mal ich leben können!“

„Davon wussten Sie auch?“, fragte ich.

„Ich habe die Kontoauszüge abgefangen, die einmal im Monat mit der Post kamen. Ich weiß, ich habe Ihnen erst gesagt, dass er gar keine Post bekommen hätte. Aber das war auch wirkliche das einzige. Und für die letzten anderthalb Jahre stimmt meine Aussage auch, weil da nämlich keine Auszüge mehr kamen. Ich nehme an, die Bank hat diesen Service eingestellt und die Auszüge nur noch Online oder per Automatenausdruck zukommen lassen.“

Ich war perplex.

Dieser Mann hatte seinen Nachbarn tatsächlich nach Strich und Faden ausspioniert. Und doch war er dem Geheimnis von Jay Edgar Fabian alias Jack Fabiano nicht auf die Spur gekommen.

Oder vielleicht doch?

Ich traute McGregor mittlerweile alles zu.

Milo war ziemlich gereizt. „Wenn Sie sonst noch etwas wissen, dann...“

„...sollte ich es Ihnen natürlich jetzt besser sagen, das haben Sie mir ja eindringlich klar gemacht, Gentlemen. Übrigens möchte ich betonen, dass ich die Auszüge immer in die Umschläge zurückgetan und diese wieder verschlossen habe. Wenn man Dampf benutzt kann man es so hinkriegen, dass niemand was merkt.“

Ich war der Überzeugung, dass McGregor jetzt dringend einen Schuss vor den Bug brauchte.

„Sie können von Glück sagen, dass Sie offenbar sorgfältig genug waren“, sagte ich. „Denn im Gegensatz zu Ihnen, wissen wir inzwischen nämlich sehr genau, wovon Mister Jay Edgar Fabian alias Jack Fabiano lebte. Er war ein Lohnkiller.“

McGregor erbleichte.

„Sie haben – wohl ohne es zu wissen – mit dem Feuer gespielt, Mister McGregor“, stellte Milo fest. „Sie können sicher sein, dass Mister Fabian Sie umgebracht hätte, wenn ihm klar gewesen wäre, was Sie da tun!“

Das schien McGregor in diesem Augenblick wohl auch zu dämmern. Der Schock, der sich in seinem Gesicht widerspiegelte, konnte kaum gespielt sein.

Ich langte in die Innentasche meines Jacketts und holte das Phantombild des Lockenkopfs mit der Maui-Jacke hervor, der sich in der Mordnacht im Dolce Vita nach Fabiano erkundigt hatte.

„Wenn Sie das Leben Ihres Nachbarn schon so gut ausgekundschaftet haben, dann ist Ihnen vielleicht auch schon mal dieser Mann hier begegnet, von dem wir annehmen, dass er mit Fabiano bekannt war!“

McGregor nahm das Phantombild. Er sah es sich genau an, runzelte die Stirn und nickte schließlich.

„Diesen Kerl habe ich schon mal gesehen.“

„Wann?“

„In der Nacht, in der die Morde geschahen.“

„Wo?“

„Draußen auf der Straße. Ich habe doch erwähnt, dass ich einen ziemlich leichten Schlaf habe und bei jeder Kleinigkeit aufwache. Draußen quietschten Reifen. Ich dachte, da wäre mal wieder ein Unfall passiert, war sofort hellwach und ging zum Fenster.“

„Und?“

„Muss wohl nur ein Kavaliersstart gewesen sein. Ein schwarzer Van fuhr in einem Affenzahn auf die nächste Ecke zu und war weg. Ich blickte nach unten und im Schein der Straßenbeleuchtung sah ich einen Typ stehen, direkt vor unserem Haus. Und zwar genau den.“ Er zeigte auf das Phantombild.

„Wenn ich jetzt so darüber nachdenke... Er sah nach oben!“

„Sind Sie sicher?“

„Was den Typ angeht? Klar! Vor allem aber, was diese Maui-Jacke betrifft. Ich meine, wenn auf einer warmen Jacke Maui steht, ist das doch ziemlich bescheuert. Da denkt man doch an Strände, Sonne, Surf-Bretter... Aber nicht an Winter-Jacken! Da hätte man ja ebenso gut Hawaii draufschreiben können!“