Atemlose Spannung für den Urlaub: Vier Krimis: Krimi Quartett

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15

Nach einem kurzen Spurt hatte ich das Fahrzeug erreicht. Norbert Merendan wirkte etwas benommen. Er hatte sich in der Eile natürlich nicht angeschnallt. Außerdem konnte er nicht aussteigen, da das Fahrzeug seitlich einen Blumenhügel hineingerutscht war und dabei genug Erde aufgehäuft und vor sich hergeschoben hatte, dass jetzt die Fahrertür von innen nicht geöffnet werden konnte.

Seine Waffe war Norbert Merendan auf den Boden gerutscht.

Ich sah ihm an, dass er darüber nachdachte, sie an sich zu reißen.

“Davon rate ich Ihnen ab!”, sagte ich mit der Dienstwaffe in der Faust. “Vergessen Sie einfach ganz schnell, worüber Sie gerade noch nachgedacht haben, Herr Merendan. Und dann steigen Sie bitte ganz langsam über die Beifahrerseite aus!”

“Ich werde keine Aussage ohne Anwalt machen!”, sagte Merendan.

“Das ist vielleicht gar keine schlechte Idee”, sagte ich.

16

Norbert Merendan ließen wir durch Kollegen der Landespolizei nach Berlin bringen, wo man ihn zunächst mal in einer Gewahrsamszelle des dortigen Präsidiums unterbringen würde.

Rudi und ich planten für den nächsten Tag ja ebenfalls unsere Rückkehr nach Berlin und wir gingen davon aus, dann Gelegenheit zu haben, mit Merendan zu reden. Möglicherweise war er bis dahin auch schon von einem der Verhörspezialisten des BKA-Büro befragt worden - sofern er einen Anwalt gefunden hatte und überhaupt zu einer Aussage bereit war.

Nachdem Merendan von den Kollegen abtransportiert worden war, unterhielten wir uns noch mit Florian Arlheim und seiner Frau. Beiden war nichts Verdächtiges an Merendan aufgefallen.

“Wir hatten nicht allzuviel miteinander zu tun”, sagte Florian Arlheim. “Ich meine, bei Gintert arbeiten ein paar hundert Männer und Frauen und die verteilen sich auf die verschiedenen Hotels und Veranstaltungsorte, die es hier in Wismar gibt. Und so lange war er ja auch noch nicht dabei.”

“Hat er sich irgendwann mal über den MdB und seine politischen Ziele geäußert?”

“Nein. Nicht, dass ich mich erinnern könnte.”

“Wussten Sie, dass Herr Merendan Mitglied einer Organisation gewesen ist, die sich ‘German Sharia’ nennt?”

“Ich wusste, dass er Muslim ist und er hat mir auch erklärt, dass er im Gefängnis zum Glauben gefunden hat. Um von den Drogen loszukommen.”

“Und das hat funktioniert?”

“Er sagt ja. Seitdem sei er clean. Und ich habe ihm das geglaubt.”

“Wieso?”

“Hören Sie, ich bin schon ziemlich lange im Sicherheitsgewerbe. Da lernt man Leute einschätzen. Und es gibt bestimmte Anzeichen dafür, ob jemand süchtig ist oder auch nur ab und zu was nimmt. Sie kennen die doch auch.”

“Natürlich.”

“Und Norbert hatte keins davon. Keine Hämatome durch Spritzen, keine geweiteten Pupillen, keine Stimmungsschwankungen oder euphorischen Zustände. Er trank noch nicht einmal Alkohol. Keinen Tropfen. Das verbot ihm sein Glaube nämlich auch. Wenn man etwas über ihn sagen kann, dann, dass er dadurch vielleicht auf die Dauer Schwierigkeiten gehabt hätte, richtig einer von uns zu werden.”

“Was mein Mann damit sagen will, ist, dass die Weihnachtsfeiern bei Katrina Gintert berüchtigte Saufgelage sind”, warf Frau Arlheim ein.

17

Der Mann schlug den Kragen seines Mantels hoch. Es hatte in Berlin leicht zu nieseln begonnen.

Ein Handy klingelte. Der Mann griff in die Innentasche seines Mantels und holte sein Smartphone hervor. Er trat in den flackernden Schein einer Neonreklame.

“Ja?”

“Es ist ein Fehler passiert.”

“Der wird korrigiert werden.”

“Kann ich mich darauf verlassen?”

“Ja.”

“Es muss jetzt sehr schnell gehandelt werden.”

“Das ist mir bewusst.”

“Existiert schon ein Plan?”

“Ja.”

“Ich will ihn gar nicht wissen.”

“Schon klar.”

“Ich will einfach nur, dass er durchgeführt wird.”

“Ich denke, in Kürze ist das Problem gelöst.”

“Das will ich hoffen. In unser beider Interesse.”

Das Gespräch wurde beendet. Der Mann im Mantel schloss die Hand um das kleine Wegwerfhandy. Aber nur vier Fingerkuppen waren anschließend auf dem Display zu sehen, denn der kleine Finger seiner rechten Hand war verkürzt.

Ich habe noch eine einzige Chance!, ging es ihm durch den Kopf. Mehr nicht!

18

Diese Nacht war selbst für mich extrem kurz gewesen. Rudi und ich waren schon in unserer Hamburger Zeit daran gewöhnt gewesen, dass sich das organisierte Verbrechen nicht nach den Bürozeiten des BKA richtet und man sich eben so manche Nacht um die Ohren hauen muss.

Es war der Klang meines Handytons, der mich aus dem Schlaf riss. Ich war kaum wach genug, um auf dem Display erkennen zu können, wer mich da erreichen wollte.

“Guten Morgen, Harry”, vernahm ich dann im nächsten Moment die Stimme von Förnheim. “Ich habe mir erlaubt, Ihr Handy zu orten und dabei festgestellt, dass Sie noch nicht nach Berlin zurückgekehrt sind.”

“Was ist los?”

“Ich schlage vor, Sie kommen eben noch einmal in die Werner Bretzler Halle. Wir haben jetzt etwas gefunden, das dem Fall durchaus eine neue Wende geben könnte.”

“Können Sie nicht in knappen Worten umreißen, worum es geht?”

“Wenn ich die Spannung bei Ihnen etwas aufrecht erhalte, dann habe ich vermutlich die Gewähr, dass Sie sich beeilen. Ihren Kollegen Rudi habe ich vergeblich anzurufen versucht. Ich weiß nicht, in welchem der Hotels hier in Wismar Sie in der vergangenen Nacht gefeiert haben, aber…”

“Wir sind gleich bei Ihnen”, versprach ich.

Vielleicht war es wirklich besser, wenn ich mir die Sache selbst ansah. Das Frühstück nahmen Rudi und ich wenig später im Schnellgang zu uns. Die wichtigste Komponente war dabei ein sehr starker Kaffee. Rudi war mindestens genauso müde wie ich. Aber er ließ sich das erstaunlich wenig anmerken.

“Förnheim, der große Geheimniskrämer”, meinte Rudi. “Er hat mich übrigens deswegen nicht erreichen können, weil ich gerade unter der Dusche war, als er angerufen hat.”

“Ich fürchte, Förnheim ist jetzt für alle Zeiten tief enttäuscht von deinem Dienstverständnis, Rudi.”

“Damit werde ich dann wohl leben müssen. Ich habe übrigens bereits mit Kriminaldirektor Hoch gesprochen - und mit Kommissar Reinhold Crome, einem Vernehmungsspezialisten vom BKA-Büro Berlin.”

“Sag bloß, Norbert Merendan hat doch noch geredet?”

“Es war nichts aus ihm herauszubekommen. Sein Anwalt hat ihm geraten zu schweigen und das hat er dann auch getan. Und wenn nicht schleunigst ein paar stichhaltige Indizien gefunden werden, die nahelegen, dass er wirklich in die Sache verwickelt ist, dann wird man ihn wieder auf freie Fuß setzen müssen.”

“Er hat auf einen BKA-Kriminalinspektor gefeuert. Das dürfte schon ins Gewicht fallen.”

“Das ermöglicht es auf jeden Fall, ihn länger festzuhalten. Aber wenn die Anklage letztlich auf Widerstand gegen die Staatsgewalt hinausläuft, dann ist das ja wohl absolut nicht das, was wir wollen, oder?”

Rudi hatte natürlich Recht. Wir hatten bislang nichts gegen Merendan in der Hand. Und auch den Angriff auf mich würde eine Jury ganz anders bewerten, wenn sich herausstellen sollte, dass Merendan vielleicht vollkommen unschuldig war, und einfach nur Angst davor gehabt hatte, dass ihn irgendjemand mit seiner alten Zeit als drogensüchtiger Krimineller in Verbindung zu bringen.

“Sobald wir in Berlin sind, werden wir mal unser Glück versuchen”, kündigte ich an. “Vielleicht kommt dabei ja mehr heraus.”

“Ein paar Fragen, auf die wir Antworten haben wollen”, sagte Rudi. “Das war alles, was wir wollten. Ich frage mich, wieso der Kerl so ein Drama veranstaltet hat.”

“Das wäre unter anderem eine der Fragen, die ich von Merendan gerne beantwortet hätte”, gab ich zurück. Ich trank meinen Kaffee leer. Wirklich wach fühlte ich mich nicht. Aber immerhin erschien mir die Gefahr, am Steuer des Dienst-Porsche einzuschlafen auf ein vertretbares Maß reduziert worden zu sein.

Die kurze Strecke vom Hotel zur Werner Bretzler Halle gingen wir zu Fuß. Es wehte ein ziemlich frischer Wind. Aber im Moment war das genau das Richtige für uns, um etwas wacher zu werden.

Einer der uniformierten Kollegen begrüßte uns in der Werner Bretzler Halle und und brachte uns in einen Nebenraum. Dort waren mehrere Flachbildschirme und einiges an Computer-Equipment aufgestellt. Außer Förnheim waren auch noch zwei Kommissare des BKA anwesend. Beides Spurensicherer und Forensiker wie Förnheim.

“Ich will sehr hoffen, dass Ihre Aufmerksamkeit jetzt auf einem Niveau ist, das es auch erlaubt, komplexere Sachverhalte zu durchdringen”, begrüßte uns Förnheim.

“Wir werden uns bemühen”, versprach ich.

Auf einem der Bildschirme war eine schematische Darstellung zu sehen. “Kurz vor Beginn der Veranstaltung kam es zu einem Stromausfall, der die Organisatoren der Veranstaltung einigermaßen in Panik versetzt hat, wie Sie sich denken können. Wir haben inzwischen ermitteln können, was die Ursache war und uns die Sache etwas genauer angesehen.” Auf dem Schirm blinkte eine Markierung auf. “Hier in dieser Stelle wurde ein Kabel unterbrochen. Leicht zu reparieren, aber der Effekt war geeignet, bei den Veranstaltern Herzrasen zu verursachen. Vor allem hat es sie wohl dazu bewogen, anschließend die Sicherheitsmaßnahmen erheblich schleifen zu lassen.”

 

“Wie meinen Sie das genau?”, fragte Rudi.

“Das erkläre ich Ihnen jetzt. Es wurde ein Elektro-Notdienst gerufen. Sehen Sie hier auf einem Überwachungsvideo im Eingangsbereich.”

Es war in einer Videosequenz zu sehen, dass zwei Männer den Eingangsbereich passierten. Sie trugen blaue Jacken mit einem Firmen-Logo und Werkzeugtaschen. Der diensthabende Wachmann winkte sie durch.

“Augenblick mal!”, sagte ich. “Mal ein Standbild von dem Wachmann, sodass sein Gesicht zumindest seitlich zu sehen ist.”

“Kein Problem”, sagte Förnheim.

“Und zoomen Sie es etwas heran.”

“Sollte uns der Zufall gewogen sein, und Sie eine Entdeckung machen lassen?”, fragte Förnheim auf seine gedrechselte Art.

“Nein”, sagte ich. “Zufall ist das ganz sicher nicht.” Ich wandte mich an Rudi. “Den Kerl kennen wir doch!”

“Unser verhinderter Gesprächspartner der letzten Nacht: Norbert Merendan, zeitweilig auch bekannt als Idris Muhammad”, stellte Rudi fest.

“Das Beste kommt noch”, sagte Förnheim. “Wenig später passiert das hier!” Der Forensiker zeigte uns eine weitere Video-Sequenz aus den Aufzeichnungen der Kameras.

“Da kommt ein dritter Elektriker”, stellte ich fest. “Und unser Freund Merendan winkt ihn einfach durch.”

“Falsch”, sagte Förnheim. “Es sieht auf den ersten Blick so aus, als wäre das der dritte Elektriker. Aber wenn Sie genau hinsehen, dann stellen Sie fest, dass er zwar eine blaue Jacke trägt, die den Jacken der beiden anderen Männer ähnelt, aber dass das Firmenemblem fehlt. Außerdem trägt er eine Mütze, deren Schirm dafür sorgt, dass man vom Gesicht kaum etwas sehen kann. Und die Tasche ist eine Sporttasche, kein Werkzeugkoffer.”

“Vielleicht war da sein Werkzeug drin”, meinte Rudi.

“Ausgeschlossen. Das sieht eher so aus, als wäre da gar nichts drin oder etwas sehr Leichtes. Soll ich Ihnen nochmal vorführen, wie sich die anderen beiden Männer abgeschleppt haben? Der hier tänzelnd völlig unbeschwert über das Parkett.”

“Zu dumm, dass das Gesicht im Schatten liegt”, meinte ich.

“Beachten Sie bitte, dass Merendan und dieser Mann sich zu kennen scheinen. Sie reden kurz miteinander. Sehen Sie… hier!”

Förnheim führte uns die entsprechende Stelle vor.

“Das sieht tatsächlich sehr vertraut aus”, stellte Rudi fest.

“Wir haben bei der Elektro-Firma angerufen”, mischte sich nun einer der anwesenden Kommissare ein. “Die sind sich ganz sicher, nur zwei Leute geschickt zu haben - nicht drei.”

“Der falsche Elektriker könnte der Attentäter sein”, meinte ich.

“Sein Gesicht ist nicht zu sehen und ich fürchte, wir werden da auch nicht viel machen können”, erklärte Förnheim. “Dafür gibt es ein anderes Merkmal, das deutlich zu erkennen ist und nicht so häufig sein dürfte.”

Förnheim zoomte die Hand des falsche Elektrikers heran und vergrößerte sie so extrem, dass das Bild sehr grobkörnig wurde.

“Der kleine Finger wirkt irgendwie…”

“...zu kurz”, vollendete Förnheim meinen Satz. “Sie haben völlig recht, Harry, da fehlt ein Stück.”

“Abgehackte Fingerteile würde ich jetzt allerdings eher bei Mitgliedern der Yakuza oder der Triaden erwarten, als bei islamistischen Terror-Gruppen”, meinte Rudi.

“Es gibt viele Gründe für einen verkürzten oder verkrüppelten kleinen Finger”, dozierte Förnheim. “Das kann das Ergebnis eines Unfalls, die Folge einer Erkrankung oder eine Missbildung von Geburt an sein. Und selbst unser bayerischer Rinder-Doc könnte anhand dieses grobkörnigen Bildes wohl kaum eine Ferndiagnose wagen. Also werde ich es gar nicht erst versuchen.”

“Okay”, sagte ich.

“Tatsache ist, an dem Finger fehlt was. Da seine Körpergröße durch ein entsprechendes Telemetrie-Programm einwandfrei festgestellt werden kann, haben wir schon zwei unveränderbare Merkmale von ihm.”

“Das wäre also eine Aufgabe für Lin-Tai”, stellte ich fest.

“Ich habe schon mit ihr gesprochen”, sagte Förnheim. “Sollte der Kerl irgendwann mal straffällig geworden oder auch nur erkennungsdienstlich behandelt worden sein, würde uns das die Identifikation erheblich erleichtern.”

“Vorausgesetzt natürlich, er hatte den verkürzten Finger schon, als diese erkennungsdienstliche Behandlung stattgefunden hat”, gab ich zu bedenken. “Ich meine, Sie haben gerade gesagt, dass dieses Merkmal ja auch das Ergebnis eines Unfalls gewesen sein könnte und wenn der jetzt erst später stattgefunden hat…”

“Sie sollen länger schlafen, Harry”, sagte Förnheim.

“Wieso?”

“Dann würden Sie optimistischer denken.”

Rudi grinste. “Wo er Recht hat, hat er Recht, Harry”, meinte er. Dann wandte er sich an Förnheim. “Wo ist übrigens Wildenbacher?”

“Glücklicherweise geht er mir hier nicht mehr auf die Nerven und steht mir im Weg herum. Er ist zurück nach Quardenburg gefahren und dürfte…” Förnheim blickte auf die Uhr an seinem Handgelenk. “...in schätzungsweise einer Stunde dort auch eintreffen.” Dann sah er auf und blickte zunächst Rudi und anschließend mich an. “Tun Sie beide mir einen Gefallen.”

“Und der wäre?”, fragte ich.

“Lassen Sie ihn aus dem Fall raus. Der braucht jetzt erstmal etwas Ruhe und ich möchte eigentlich vermeiden, dass er einen Knacks davonträgt.”

“Glauben Sie wirklich, dass man sich in dieser Hinsicht um Gerold Sorgen machen muss?”, fragte ich zweifelnd.

“Eigentlich kennen wir ihn doch eher als eine gelinde gesagt robuste Natur”, ergänzte Rudi.

“Mein Schwerpunktgebiet sind zwar die klassischen Naturwissenschaften, aber als Forensiker verfüge ich natürlich auch über grundlegende Kenntnisse in anderen Gebieten, die für unsere Sache wichtig sind. Dazu gehört auch die Psychologie und insbesondere die Traumapsychologie.”

“Sie glauben doch nicht etwa, Gerold könnte traumatisiert sein?”, meinte ich.

“Wenn unmittelbar neben Ihnen jemand erschossen wird? Wieso nicht? Das wäre nichts Ungewöhnliches. Die psychischen Folgen können schlimmer sein, als wenn Sie selbst etwas abbekommen. Und gerade Leute wie Gerold sind in der Gefahr, nicht auf erste Anzeichen zu achten, weil sie denken, dass sie immun gegen so etwas seien. Das sind sie aber nicht, Harry. Das ist niemand. Also sollte er sich am besten ein paar freie Tage nehmen und zur Ruhe kommen.”

“Wenn Sie meinen…”

“Ich habe schon mit unserem Vorgesetzten gesprochen. Ein paar freie Tage sind überhaupt kein Problem. Gegen das Angebot eines psychologisch-fundierten Gesprächs, wird er sich natürlich wehren wie ein bayerischer Bulle beim Alm-Abtrieb.”

19

Rudi und ich fuhren zurück nach Berlin. Von unterwegs aus telefonierten wir mit Kriminaldirektor Hoch, um ihn über den gegenwärtigen Stand der Ermittlungen in Kenntnis zu setzen.

Um in die BKA-Zentrale im Hauptpräsidium zurückzukehren, hatten wir keine Zeit. Stattdessen fuhren wir gleich zum BKA-Büro Berlin weiter, um mit Norbert Merendan zu sprechen.

Angesichts der neuen Fakten musste er eigentlich einsehen, dass es besser war, mit uns zu kooperieren. Zumindest, wenn sein Anwalt etwas taugte und nicht ganz so verbohrt war, wie Merendan selbst.

Wir trafen Merendan in einem Besprechungszimmer. Sein Anwalt war ein korpulenter Mann in den mittleren Jahren, dem der Dreiteiler ziemlich stramm auf dem Leib saß. Ich nahm an, dass sein volles Haar nicht echt war war, dazu war es für sein Alter einfach zu üppig. “Mein Name ist Daniel J. Deggemann von Kemmerich, Deggemann & Partner”, stellte der Anwalt sich vor, woraufhin Rudi und ich ihm unsere ID-Cards zeigten.

“Wir untersuchen das Attentat auf MdB Johannes E. Moldenburg”, sagte ich. “In diesem Zusammenhang sind wir auf Ihren Mandanten gestoßen.”

“Mein Mandant hat sich nichts zu schulden kommen lassen”, sagte Deggemann.

“Den bewaffneten Angriff auf einen BKA-Kriminalinspektor würde ich nicht gerade als Kleinigkeit werten.”

“Sie haben sich Zutritt zu dem Haus verschafft, in dem mein Mandant wohnte und da Herr Merendan wiederholt unter dem durch Vorurteile und Ressentiments motivierten Handeln von Polizisten zu leiden hatte, entschloss er sich, nicht mit Ihnen zu sprechen.”

“Sie haben eine seltsame Weise, das auszudrücken, Herr Deggemann.”

“Zum Zeitpunkt, da es zu dieser unnötigen Eskalation kam, die schließlich zu den Schüssen und der Flucht im Wagen führte, lag da ein Haftbefehl gegen Herr Merendan vor?”

“Nein”, gab ich zu.

“Sie hatten also kein Recht ihn festzuhalten und trotzde-...”

Ich legte Merendan mein Smartphone hin. Auf dem Display war ein Standbild von den Videoaufnahmen zu sehen, die zeigten, wie er den falschen Elektriker durchwinkte.

Merendans Gesicht veränderte sich. Er wusste genau, was dieses Bild bedeutete. Diese erste Reaktion war für mich so gut wie ein Geständnis. Er konnte jetzt keinem von uns mehr etwas vormachen.

“Wir wissen, dass Sie dem Mann Zugang zur Veranstaltung verschafft haben, der mutmaßlich auf MdB Moldenburg geschossen hat. Wir wissen auch, dass Sie Mitglied von ‘German Sharia’ geworden sind und sich seitdem auch Idris Muhammad genannt haben. Und wenn Sie jetzt noch irgendetwas für sich herausholen wollen, dann sollten Sie jetzt mit uns reden, denn es geht hier noch um ganz andere Dinge, als um die Schüsse, die Sie auf mich abgegeben haben.”

Ich sprach einfach in den Redeschwall des Anwalts hinein. Und tatsächlich verstummte Deggemann schließlich, was ich ursprünglich kaum zu hoffen gewagt hatte. Entweder es geschahen doch noch Zeichen und Wunder, oder Deggemann hatte begriffen, dass ich recht hatte und es tatsächlich für seinen Mandanten das Beste war, mit uns zu kooperieren.

“Mann, ich bin in Panik geraten, als es plötzlich hieß, da ist das BKA!”, platzte es aus Merendan heraus. “Scheiße, ich hatte mal Probleme mit Drogen! Und im Knast habe ich einen Typen getroffen, der mich mit ‘German Sharia’ in Verbindung gebracht hat!”

“Reden Sie weiter!”, verlangte ich.

“Ich habe zum Glauben an Allah gefunden und bin von den Drogen weggekommen! Ohne den Glauben und meine Freunde bei ‘German Sharia’ hätte ich das nicht geschafft!”

“Und warum helfen Sie denen, einen MdB umzubringen?”, fragte Rudi.

“Die Maßnahmen, für die sich MdB Moldenburg so stark macht, trifft auch unschuldige Muslime! Zum Beispiel befürwortet er, dass die Amerikaner deutsche Basen für ihren Drohnenkrieg nutzen!”

“Jetzt kommen wir der Sache doch schon etwas näher”, meinte Rudi.

“Nein, vielleicht sollten wir die Unterhaltung hier abbrechen!”, meinte Deggemann.

Merendan ergriff nun wieder das Wort. “Hören Sie, ich bin schon lange nicht mehr Mitglied bei ‘German Sharia’! Ich habe den Glauben behalten, und ich bin den Jungs bis heute dankbar, weil sie mich von den Drogen befreit haben. Und was meinen neuen Namen betrifft, den trage ich auch schon lange nicht mehr. Das war eine Phase für mich, und die ist vorbei.”

“Dann stehen Sie den politischen Ideen von ‘German Sharia’ heute nicht mehr nahe?”

“Das habe ich nie. Ich fand es gut, ohne Drogen und Alkohol auszukommen, das ist alles. Die Kerle, die ich von damals kenne, sind immer noch meine Brüder, aber insgesamt hat sich ‘German Sharia’ in eine Richtung entwickelt, die ich nicht gutheißen kann.”

“Herr Merendan, bevor das Attentat auf den MdB verübt wurde, hat jemand die Stromversorgung in der Werner Bretzler Halle beschädigt. Das hatte nur einen Grund: Es sollte in der allgemeinen Verwirrung jemand eingeschleust werden, der anschließend auf den MdB schießen konnte.”

“Dafür haben Sie keine Beweise!”, unterbrach mich der Anwalt. “Und Sie sollten nichts darauf sagen, Herr Merendan!”

Ich deutete auf das Standbild, das den falschen Elektriker zeigte. “Um diesen Mann geht es! Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir ihn identifiziert haben, und dann ist Ihre Aussage nichts mehr wert. Anscheinend kennen Sie ihn. Die Aufzeichnung lässt kaum einen anderen Schluss zu. Und deswegen nehmen wir an, dass Sie für die Störung in der Stromversorgung gesorgt haben.”

“Das sind Unterstellungen”, sagte der Anwalt.

“Ausgerechnet zum in Frage kommenden Zeitraum sind Sie nicht auf Ihrem Posten am Eingang gewesen, tauchen aber rechtzeitig dort wieder auf, um den falschen Elektriker durchzuwinken. Die Stelle, an die die Leitung gekappt wurde, ist identifiziert und Sie können sich darauf verlassen, dass wir jede noch so kleine Spur dort in Speziallabors untersuchen werden. Eine Hautschuppe reicht, um Sie als denjenigen zu identifizieren, der den Strom unterbrochen hat. Es gibt Überwachungskameras in den Gängen, die es vermutlich erlauben, Ihren Weg dorthin zu identifizieren…”

 

“Jetzt will er Ihnen nur Angst machen, Herr Merendan”, behauptete der Anwalt. “Sagen Sie gar nichts!”

“Jeder, der das vorhandene Beweismaterial sieht, wird Sie für den Komplizen eines terroristischen Anschlags halten”, sagte Rudi. “Davon müssen Sie einfach ausgehen.”

“Also, wenn Sie reden wollen, dann jetzt, sonst braucht niemand mehr Ihre Aussage”, ergänzte ich.

“Die haben nichts in der Hand!”, versicherte hingegen Deggemann. “Hören Sie nicht auf die!”

Aber Merendan schien in diesem Punkt inzwischen anderer Ansicht zu sein. “Diesen Kerl auf dem Bild kenne ich nicht so gut, wie Sie denken”, sagte er. “Und ich bin auch kein Komplize bei einem Mordanschlag!”

“Reden Sie!”, verlangte ich.

“Wenn ich gewusst hätte, dass das damit zusammenhängt…”

“Das was womit zusammenhängt? Sie müssen Ross und Reiter nennen, sonst können wir nicht begreifen, was Sie meinen.”

Norbert Merendan atmete tief durch und beugte sich vor.

“Ich habe Sie gewarnt”, sagte Deggemann. “Schieben Sie es also nicht auf mich, wenn Sie sich in die Scheiße reiten.”

“Dass der Strom kurz vor einer Veranstaltung ausfällt, das passiert andauernd. Nicht jedesmal, das wäre zu auffällig, aber immer wieder. Ein Kollege sorgt dafür, dass ein Kabel bricht, kriegt dafür ein paar Euro von der Elektro-Firma. Und die stellt nachher eine saftige Rechnung für eine angeblich komplizierte Fehlersuche aus, obwohl von Anfang an bekannt war, wo der Fehler steckte.”

“Und diese Masche fliegt nicht auf?”, fragte ich.

“In der Situation sind die Veranstalter und die Betreiber des Hotels oder der Halle so dankbar dafür, dass sie die Veranstaltung nicht absagen müssen, dass das einfach so durchgeht. Außerdem sind das im Verhältnis zu den Gesamtkosten Mini-Beträge. Und dazu kommt noch, dass man das alles auf die maroden Elektro-Installationen schieben kann.”

“Wieso das?”

“Diese ganzen Hotelpaläste an der Ostsee sind in den Neunzigern billig hochgezogen oder aus alten DDR-Beständen renoviert worden. Kein Mensch hat auf Qualität geachtet. Diese Gebäude sollten eigentlich nur Geld verbrennen. Dass sie mal Profit abwerfen, damit hat niemand gerechnet. Die schlechte Qualität ist legendär. Es sind damals wohl massenhaft Leistungen abgerechnet worden, die nicht erbracht worden sind. Jeden Kabelbrand, jede Funktionsstörung und was da sonst noch so alles vorkommen kann, lässt sich mit großer Glaubwürdigkeit darauf schieben.”

“Das heißt jetzt im Klartext, Sie haben tatsächlich für den Stromausfall gesorgt”, stellte Rudi fest.

“Das gebe ich zu. Dieser Typ auf dem Bild hat mich am Tag vorher angesprochen. Ich habe gesagt, dass könnte ich nicht einfach so machen, sondern müsste erstmal den Kollegen fragen, der diese Dinge sonst organisiert.”

“Wer ist das?”

“Er heißt Thore Grantor. Er wird natürlich alles abstreiten.”

“Was hat Grantor gesagt?”

“Ich könnte das ruhig machen. Irgendwann sei sowieso das erste Mal, und ich sei jetzt eben dran.”

“Wie sind Sie danach mit diesem Mann wieder in Verbindung getreten?”

“Gar nicht. Er hat mich nach Dienstschluss nochmal angesprochen. Und dann habe ich es durchgezogen. Dass es etwas mit Terrorismus oder dem Mord an einem MdB zu tun hat, das konnte ich doch nicht ahnen!”

“Wir werden das überprüfen”, sagte ich.

“Heißt das, ich kann gehen?”, fragte Merendan.

“Das heißt es nicht.”

“Es gibt keinerlei Beweise gegen die Einlassungen meines Mandanten”, mischte sich nun wieder Deggemann ein. “Also können Sie auch nicht…”

“Ich persönlich glaube Ihrem Mandanten”, unterbrach ich Deggemann. “Aber selbst wenn sich seine Aussage in jedem Detail bestätigen sollte, was erst überprüft werden muss, dann bleibt immer noch der Umstand, dass er auf einen Polizisten geschossen hat. Ich will das keineswegs überdramatisieren, aber eine Zielscheibe zu sein, ist kein Spaß! Auch für mich nicht.”

“Tut mir echt leid”, meinte Merendan.

“Gut, dass Sie nicht getroffen haben”, gab ich zurück.

“Haben Sie von dem Kerl, der Ihnen den Auftrag für die Sabotage der Stromversorgung gegeben hat noch irgendein Detail in Erinnerung, das uns helfen könnte, ihn zu identifizieren?”, fragte Rudi.

“Seinen Namen hat er nicht gesagt.”

“Das dachten wir uns schon”, fuhr Rudi fort. “Aber vielleicht haben Sie eine Handynummer, oder Sie erinnern sich an den Wagen, den er gefahren hat, das Nummernschild, der Typ, irgendwelche besonderen Kennzeichnen an der Person selbst.”

“Mit seinem kleinen Finger rechts stimmte was nicht. Der war irgendwie… zu kurz. Verkrüppelt oder so.”

“Und sonst?”

Er überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf. “Ich sag’ Ihnen Bescheid, wenn ich mich noch an was erinnere.”