Himmel und Hölle

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V. Bernhard und Peter vervollständigen die Familien, der erstere die des Vaters Kleine, der andere die der Frau Marie und wie diese Witwe wird

Im Jahre 1805 war Ehrlich zehn ich aber kaum drei Jahre alt, da verließ mein Vater das Schloss des Fossés, das etwa ein Viertelstündchen von dem Hause des Vaters Kleine stand, um ein drei Stunden entferntes anderes Schloss, Antilley, zu beziehen.

Mein Vater hatte aus dem Feldzuge in den Alpen von dem St. Bernhardskloster ein Paar jener prächtigen Kunde mitgebracht, deren wertvolle Race die Mönche so sorgsam erhalten. Sie sehen aus wie zweijährige Löwen. Eben als wir nach Antillen ziehen wollten, warf die Hündin fünf Junge; zwei davon wurden verschenkt, zwei behielt die Alte und das fünfte hatte ein roher Mensch grausam vor die Tür geworfen.

Der immer im Freien umher wandernde Ehrlich ging zufällig vorüber, Hörte Das Winseln des armen kleiner Hundes, hob ihn auf und trug ihn nicht in das Häuschen seines Großvaters — an dessen Edelmut er zweifelte, da er bereite den Esel und den Ochsen zu füttern hatte — sondern in den Stall der Frau Marie.

So lange Bernhard — Ehrlich hatte den Hund kurze weg so genannt — Milch bedurfte, brauchte er sich nicht eben sehr zu sorgen. Die schwarze Kuh war ja da und den vereinten Bitten der beiden Kinder wurde es nicht schwer, von der mitleidigen und gefühlvollen Frau Marie die ihm nötige Portion Milch zu erhalten. Da der Hund aber heranwuchs, musste er mit seinem gewaltigen Appetit eine schwere Last für das Haus werden.

Trotzdem entschloss sich Ehrlich, den Bernhard in das väterliche Haus einzuführen. Er benutzte einen Augenblick, in welchem dasselbe leer war, ließ Bernhard eintreten und stellte sich vor denselben, um ihn gegen den ersten Zorn des Großvaters zu schützen. Aber nicht dieser kam zuerst, sondern Mutter Madelaine, die laut aufschrie, als sie ihren Ehrlich so neben dem Kunden stehen sah.

Es war ja treffend das Bild des Einfältigen auf dem Gemälde in der Kirche, es fehlte nun zur Ähnlichkeit gar nichts mehr, nicht einmal der Hund. Madelaine war eine gläubige Seele, die in allem die Band der Vorsehung erblickte. So glaubte sie denn auch jetzt, dass der Hund sich nicht nutzlos auf dem Wege des Knaben gefunden habe und dass es fast eine Sünde sei, Beide zu trennen, da sie ja und auf dem Bilde in der Kirche beisammen wären.

So blieb denn nur Vater Kleine zu fürchten, und diesem den Bernhard annehmlich zu machen war keine leichte Aufgabe. Vater Kleine hasste alles Nutzlose, und so fürchtete man denn sehr, er werde den Bernhard abweisen.

Glücklicher Weise indes wurde seit einiger Zeit sehr viel von Diebstählen in der Gegend gesprochen, glücklicher Weise war es sogar dem Vater Kleine vor etwa zwei Nächten gewesen, als höre er in dem Hofe gehen. So stellte man ihm denn Bernhard als Wächter und Schutz vor, und nach dem er sich eine Zeitlang hatte bitten lassen, willigte er wirklich ein, den Hund zu behalten zur großen Freude Ehrlichs und der kleinen Marie.

Es wäre auch wirklich schade gewesen, den Hund von dem Knaben zu trennen, denn sie hingen mit wunderbarer Freundschaft an einander. Bernhard namentlich hatte eine Anhänglichkeit an Ehrlich, dass man fast hätte glauben sollen, er besitze, wie die Tiere überhaupt, eine Seele. Die Seele Bernhards war seine Dankbarkeit gegen den, welcher ihm das Leben gerettet hatte, und diese Dankbarkeit sprach sich in einem fast fabelhaften Gehorsam aus. Auf den leisesten Wink Ehrlichs sprang Bernhard in das Wasser oder durch das Feuer; wo er sich auch befand, seine Augen wendeten sich von denen des Knaben nicht ab; schlossen sie sich eine kurze Zeit zum Schlafe, so öffneten sie sich immer nach der Richtung hin, in welcher sich Ehrlich eben befand. Immer sah man sie beisammen, neben einander, und Ehrlich ließ die Hand an der Seite herabhängen, an welcher sich der Hund befand, der sie im Laufen leckte.

Und ein Glück war es, dass Bernhard so sanft war und dem Knaben so sehr gehorchte, denn er besaß Riesenkraft, und er wäre recht gefährlich gewesen, wenn ihn nicht ein Wink, ein Wort harmloser und unschädlicher gemacht hätte, als es der festeste Beißkorb nur immer vermocht haben würde.

Nach Ehrlich liebte Bernhard am meisten die kleine Marie, dann Madelaine, dann Frau Marie; gegen die beiden Familienhäupter, Vater Kleine und den Schulmeister, empfand der Hund die allervollständigste Gleichgültigkeit.

Der Schulmeister hatte, wie bereits erwähnt, einen Augenblick gehofft, er werde durch den Convent etwas zu den dreihundert Francs hinzu bekommen, die er als Kinderlehrer und Vorsänger in der Kirche von der Gemeinde erhielt, diese Hoffnung aber aufgeben müssen, was für ihn eine umso schmerzlichere Enttäuschung war, da sich seine Familie durch einen Sohn vermehrt hatte. Diesen Sohn empfahl er ganz besonders dem Apostel Petrus und nannte ihn nach demselben Peter, wie auch er selbst, der Schulmeister, hieß. Um den Einen von dem Andern zu unterscheiden, nannte man das Kind den kleinen Peter.

Um das Unglück voll zu machen, erkrankte bald nach der Geburt des kleinen Peters der Vater und starb, so dass die Witwe mit ihren beiden Kindern auf die Pension von hundert Francs, welche ihr die Gemeinde gab, und auf ihre Händearbeit angewiesen war.

Dies geschah etwa um das Jahr 1810. Die kleine Marie stand im fünfzehnten Jahre und konnte also den unersetzlichen Verlust ermessen, den sie erlitten hatte. Wie bei allen wichtigen Begebenheiten verschmolzen sich auch bei diesem Trauerfalle die beiden Familie in eine einzige, und Madelaine wie Ehrlich übernahmen ihren Teil von dem Schmerze der Nachbarin, damit er dieser minder schwer werde.

Obgleich nun Ehrlich mit der kleinen Marie weinte, fand er doch so wunderbar tröstende Worte für das Mädchen und für die Frau, dass sie beide, die neben einander weinten, die in Tränen schwimmenden Augen aufschlugen und hinsahen, ob denn wirklich Ehrlich, der Geistesarme, also gesprochen habe.

In Folge dieser Stimme, die von oben herab zu kommen schien, verlor ihr Schmerz, wenn er auch nicht ganz schwand, viel von seiner Bitterkeit und nach einem halben Jahre hatten bereits die Herzen wie die Anzüge, ohne gerade die Trauerfarbe ganz verloren zu haben, doch nicht mehr das schauerlich Düstere.

Es gibt eine himmlische Barmherzigkeit für die Armen. In dem Augenblicke, da das Unglück uns trifft, glaubt man nicht nur dasselbe nicht ertragen zu können, man hält es auch überhaupt für unerträglich. Man überschaut die Hilfsmittel, die geblieben sind, zählt sie zusammen, schaudert und fragt sich, wie weit sie reichen werden. Das Leben scheint zu uns möglichen Bedingungen gebracht zu sein; man tritt schaudernd in das neue Dasein ein, das sich immer enger und enger zusammenziehen und uns endlich ersticken zu müssen scheint. Aber ein Tag nach dem andern vergeht, ein Monat folgt dem andern; aus der Armut selbst scheinen wohltätige Gedanken aufzusteigen und man blickt so oft nach dem Himmel hinauf, dass man endlich Gott selbst zu sehen glaubt. Dann gleicht der Arme, so verzweiflungsvoll er auch sein mag, dem Verurteilten, den man zum Blutgerüste führt und der einem König auf seinem Wege begegnet. Er erkennt, dass er nun nicht mehr sterben wird.

Nachdem Ehrlich so gut er es vermocht und ohne zu ahnen, wie sehr es ihm gelungen, Mutter und Tochter getröstet hatte, sah er ein, dass er ihnen beistehen müsse. Da ihn selbst Vater Kleine für ein Wesen ganz besonderer Art hielt, durfte Ehrlich frei und ungehindert über seine Zeit verfügen. Er konnte sie also auch im Dienste der Witwe verwenden. Zuerst brachte er die kleine Marie auf den Gedanken, nicht bloß die Milch der schwarzen Kuh, sondern auch die der Kühe des Gutes Longpré in die Stadt zu schaffen und da zu verkaufen. Die Besitzerin, eine junge Witwe mit einem Kinde von fünf oder sechs Monaten, die sich um alle solche Einzelheiten ihrer Wirtschaft nicht bekümmern konnte, wollte der kleinen Marie von jeder Maß Milch, die sie verkaufe, ein Viertel als Lohn überlassen. Da aber Marie, selbst mit Ehrliche Hilfe, die Milch nicht in die Stadt auf einmal tragen konnte, Vater Kleine den Esel auf dem Felde brauchte und auch der Ameise glich, die nicht borgte, so fing Ehrlich an einen kleinen Wagen zu bauen, zu dem er die alten Räder zweier Karren nahm und spannte den großen Bernhard daran, der sich gern fügte und in Begleitung der beiden Kinder seine flüssige Ladung nach der Stadt zog. Dort ging Marie in die Häuser der angesehensten Leute, bot ihre Dienste an und sagte, sie werde alle Tage so viel Milch bringen als sie bedürften, wenn sie dies selbe gut fänden. Marie war nun zum Entzücken schön und sprach ganz besonders lieblich; die Trauerkleidung machte sie interessant und so regte sie gleich bei dem ersten Versuche die Milch vollständig ab.

Da sie von der Gutsbesitzerin acht Maß erhalten hatte, die Maß acht Sous kostete und ihr ein Viertel für ihre Mühe zufiel, so erhielt sie sechzehn Sous. Außerdem lieferte die schwarze Kuh zwei Maß, deren Ertrag Marien und deren Mutter ganz angehörte; sie brachte also zweimal sechzehn Sous mit nach Hause, monatlich etwa acht und vierzig Francs.

Das gab mit den hundert Francs, welche die Gemeinde der Frau Marie zahlte, sicher eine Summe von mehr als sechs hundert Francs des Jahres, das Doppelte also wenigstens von dem, was der Schulmeister bei Lebzeiten verdient hatte.

Alle Morgen um sechs Uhr brachen Marie, Ehrlich, Bernhard mit dem kleinen Wagen von Haramont auf und gelangten nach etwa dreiviertel Stunde in die Stadt. Marie ging da zu allen ihren Abnehmern, während Ehrlich und Bernhard vor jedem Hause warteten, der Hund den Knaben ansah, gleich als wollte er fragen, ob er mit ihm zufrieden sei und Ehrlich dem Hunde freundlich zulächelte.

 

Mariechen maß die Milch so zierlich ab, empfing das Geld dafür mit so freundlich dankbarem Lächeln; der große Hund und der arme blödsinnige Knabe, die an der Tür auf sie warteten — denn für blödsinnig galt er auch in der Stadt — hatten etwas so Originelles, dass der kleine Wagen viermal so groß hätte sein und viermal soviel Milch enthalten können, Marie würde keinen Tropfen wieder mit nach Hause gebracht haben.

Auf dem Rückwege stellte Marie die Krüge so zusammen, dass ein Plätzchen für sie selbst frei wurde; dahin setzte sie sich auf dem Wägelchen und Bernhard zog sie ohne Anstrengung, während der blöde Ehrlich nebenher ging.

Um neun Uhr waren die Kinder gewöhnlich wieder zu Hause und Marie hatte also fast den ganzen Tag noch frei, um mit ihrer Mutter nähen oder ihren kleinen Bruder warten zu können.

Wenn die Ernte der Buchnüsse kam, jener Hilfe, welche Gott selbst den Armen im Walde gibt, wie er sonst den Israelisten in der Wüste Manna gab, war Ehrlich wiederum Marien behilflich bei der Einsammlung; aber er ließ sie keineswegs die Buchnüsse kniend einzeln auslesen, wie es die Andern thaten, er las sie auch selbst nicht so auf, sondern spannte Bernhard an den Wagen, nahm auf diesem einen Besen und einen Wedel mit und fuhr in den tiefsten Wald hinein.

Hier suchte er sich einen schönen fruchtbeladenen Baum aus, stieg gewandt, fast so rasch wie ein Eichhörnchen hinauf, schüttelte die Äste, damit die Nüsse herunterfielen, stieg dann wieder hinunter, kehrte sie mit seinem Besen zusammen und binnen einer halben Stunde hatte er die Hülsen, Blätter und Holzstückchen mit dem Wedel entfernt und die gereinigten Nüsse auf den Wagen geladen.

In dem ersten Jahre, in welchem Ehrlich in solcher Weise die Buchnüsse einsammelte, verkaufte Frau Marie für hundert und fünfzig Francs Nussöl, so dass in diesem Jahre die Einnahmen der Familie auf siebenhundert und fünfzig Francs stiegen, höher als selbst die des Vaters Kleine, obwohl dieser damals zehn Morgen Feld besaß, die er durch den Dünger von dem Grauen, dem Faulen und der Schwarzen, welcher letztere ihm für die Arbeit Ehrliche für die Frau Marie überlassen wurde, sehr ergiebig gemacht hatte.

Ehrlich hatte aber auch an noch etwas anderes gedacht. Er wollte dem Häuschen, in welchem mit ihm der Segen des Herrn eingezogen zu sein schien, einen Bienenstock verschaffen und zwar seit er in einem hohlen Baume eine arbeitsame Familie dieser Tierchen entdeckt hatte. Er flocht einen Bienenkorb und wartete bis die Bienen im Walde schwärmten.

Er folgte ihnen dann zu dem Baume, an welchem sie sich anhingen und da er sie schon längst kannte und mit ihnen sprach wie mit den andern Tieren, so scheute er sich nicht, als die rechte Zeit gekommen war, seine Brust zu entblößen, weil er gar nicht daran dachte, dass ihm eine Biene etwas zu Leide tun könnte, nahm einige mit der Königin in sein offenes Hemd, ging so, während die andern ihm folgten und um ihn herflogen, durch das ganze Dorf, das sich gar sehr verwunderte, und gelangte zu dem neuen Bienenkorbe, in den sich die Königin sogleich mit allen ihren Untertanen begab wie in einen ihrer würdigen Palast.

Schon im nächsten Jahre hatte Frau Marie den schönsten Honig im ganzen Dorfe.

Am meisten wunderte man sich darüber — denn der Mensch wundert sich eben über Alles, was er nicht begreift, — dass sobald Ehrlich im Garten erschien, der ganze Schwarm Bienen zu ihm flog, sich auf seinen Hals und sein Gesicht setzte und an den Blumen sog, die er in der Hand hielt und der Königin brachte wie ein Verehrer einer Majestät.

Die Königin spazierte sogar gravitätisch auf seinem Finger hin und her, schüttelte ihre durchsichtigen Flügel und rieb die Beinchen an einander.

VI. Was von 1810 bis 1814 in dem Dorfe Haramont geschah

In den ersten Tagen des Jahres 1810 ereignete sich ein gar wichtiger Vorfall: es kam ein Sohn des Dorfes mit dem Ehrenkreuze auf seiner Brust und mit dem Verluste von zwei Fingern an einer rechten Hand zurück.

Er war jung, d. h. er zählte kaum fünf und zwanzig Jahre. Er hatte seinen Abschied, zweihundert und fünfzig Francs für das Ehrenkreuz und drei hundert Francs Pension. Auch ein schöner Mann war er, mit frischem Gesicht, rotem Haar und rotem Schnurrbart, der immer sorgfältig gewichst und an der Seite emporgedreht war.

Er hatte unter den Husaren gedient und als er mit seiner roten Jacke mit den gelben Schnüren, mit dem blauen Dolman auf der Achsel, dem Pelz-Kalbak mit dem blauen herabhängenden Tuch daran und den Reithosen mit den goldenen Knöpfen in dem Dorfe erschien, machte er doppeltes Aufsehen, einmal als Kind des Dorfes, das die Väter und Mütter mit Freuden wieder sahen und dann als schöner Bursch, den die Mädchen gern ansahen.

Er war mit seinem siebzehnten Jahre in die Armee getreten, um 1803, hatte die Schlacht von Austerlitz, die Schlacht von Jena und den letzten glänzenden Feldzug mitgemacht, der mit den Schlachten von Esslingen und Wagram endigte.

In dieser letzten Schlacht, als er mit seiner Eskadron gegen ein Infanterie-Regiment angesprengt, hatte ihm eine Kugel den Daumen und Mittelfinger der rechten Hand zerschmettert, so dass man sie ihn hatte abnehmen müssen. Da er nun den Säbel nicht mehr halten konnte, so hatte sein Oberst, der ihn schon mehrmals im Kampfe beobachtet, dreierlei für ihn erbeten und erhalten, was der tapfere Reiter auch gar wohl verdiente: das Kreuz, eine Pension und den Abschied. Als tapferen Soldaten in der Schlacht sahen ihn die Subaltern-Offiziere sehr ungern scheiden, weit weniger aber als Kameraden. Sebastian ober Bastian, wie er hieß, hatte eine unüberwindliche Zuneigung für das Wirtshaus und kaum hatte er zwei Gläser getrunken, so wurde er streit- und händelsüchtig. Es war gar nichts Seltenes, das er Arm in Arm mit einem Kameraden in das Wirtshaus ging und sehr bald herauskam, um hinter einer Hecke oder einer Mauer sich mit ihm zu schlagen.

Bastian kannte seinen unglückseligen Charakter selbst recht gut, da es aber seiner Meinung nach zu schwierig gewesen wäre sich zu ändern, so zog er es lieber vor, sich so viel als möglich im Gebrauche der Waffen zu üben und war in dieser Weise ein ausgezeichneter Fechter geworden. Die Folge davon war, dass sich Hiebe über die Hand und Narben im Gesicht, die zahlreich in allen Regimentern zu sein pflegen, deren Waffe der krumme Säbel ist, noch viel zahlreicher in dem Regimente fanden, in welchem Bastian diente, als in einem andern.

Es versteht sich von selbst, dass die meisten dieser Narben dem Säbel Bastians Herrührten. Darum sah man ihn als Soldaten ungern ziehen, sehr gern dagegen als Kameraden. Das hinderte indes nicht, dass ihm die Kameraden ein großes Abschiedsfest gaben, welches vielleicht nur so glänzend und herzlich war, weil er eben Abschied nahm.

Bei dem Scheiden auf immer vergisst man gewöhnlich Mancherlei und so konnte man denn auch bei dem Abschiedsfeste die Bemerkung machen, dass gerade die Benarbtesten die zärtlichsten gegen Bastian waren.

Bastian hatte also Wien verlassen, wo man ihm dies Abschiedsfest gegeben, war durch einen Teil Tyrols und der Schweiz gereist, nach Frankreich zurückgekommen und endlich wie der Kriegsgott selbst im Dorfe Haramont erschienen. Leider suchte Bastian in der allgemeinen Freude vergeblich jene süßen Liebkosungen, ohne welche es kein wahres Glück in dieser Welt gibt, die Umarmung und die Küsse eines Vaters und einer Mutter.

Bastian war Waise seit seiner Geburt, hatte nie jenes höchste Glück gekannt und wahrscheinlich seines Alleinstehens wegen Dienst in der Armee genommen.

Übrigens war dies, wie man schon gesehen hat, sehr wohl von ihm getan, denn er kehrte verhältnismäßig reich zurück, weil er ja lebenslänglich ein jährliches Einkommen von fünfhundert und fünfzig Francs hatte. Damit konnte er, je nach seiner Wahl, leben ohne irgendetwas zu tun oder seine Lage durch Arbeit noch weiter verbessern.

Arbeiten hatte Bastian freilich nicht gelernt und so trat er auch bei dem Nachbar Mathieu, der allmählich ein großer Gutsbesitzer geworden war, nur ein, um die Pferde zu pflegen. Diese Beschäftigung sagte dem Husaren, wie man Bastian nannte, zu; sie erinnerte ihn an seine Schwadron und wenn er, den Unterkiefer vorschiebend, sagte: »Ach, bei dem Regimente war's eine Luft!« hatte er alles gesagt.

Die Worte hatten in den Augen der Anderen nicht eben viel Sinn, sehr große Bedeutung aber für Bastian, den sie an eine ganze Reihe von Liebschaften, Zweikämpfen, guten Mahlzeiten, großen Schlachten und selbst von jenen schlimmen Stunden erinnerten, an die man gar gern zurück denkt, wenn sie vorüber sind.

Wenn die, welche ihr jene Worte aussprechen hörten, fragend und verwundert ihn ansahen, fuhr er fort:

»Das versteht Ihr Philister nicht.«

Und die »Philister« würden es allerdings nicht verstanden haben, auch wenn Bastian geruht hätte es ihnen zu erklären, was er indes nie tat, so dass man in Haramont heute noch nicht weiß, von welcher Luft Bastian eigentlich so warm und sehnsüchtig sprach.

Er hatte, wie bereits erwähnt, großen Eindruck auf die Haramonterinnen gemacht, denn er war jung, er war reich, er war hübsch und besaß überdies das Ehrenkreuz, das in jener Zeit nicht verschwendet wurde. Mehr war nicht nötig, um vielen Mädchen den Kopf zu verdrehen.

Und doch hatte Bastian seine Vorzüge und Reize noch nicht alle entwickelt, er hatte sich noch nicht als Tänzer gezeigt. Erst an dem Sonntage nach seiner Ankunft sollte er seine Tanzgeschicklichkeit bewundern lassen. Die Künste grenzen aneinander, reichen einander die Hand. So war denn auch Bastian ein vollendeter Tänzer, wie er ein vollendeter Fechter war.

Man tanzte fünfhundert Schritte vom Dorfe unter den ersten Bäumen des Waldes, in einem natürlichen Kreise, den einige riesige Buchen bildeten, auf einem sorgsam von dem Dorfgeiger fest und glatt geschlagenen Boden. Für diese Arbeit erhob der Geiger von jedem Tänzer und jedem Contretanze einen Sou.

Als man Bastian am Sonntage nach seiner Rückkehr von weitem nach dem Tanzplatze in seinem glänzenden Anzuge, mit den Sporen an den mit Firnis gewichsten Stiefeln, kerzengerade, die Arme eingestemmt, kommen sah, wendeten sich alle Blicke erwartungsvoll nach ihm.

Die Mädchen hatten ihr Endurteil über Bastian noch nicht ausgesprochen. Sie mussten erst sehen, wie er, der alles, was er tat, gut machte, beim Tanz sich anstellte. Darum war auch eine jede neugierig, welche er zuerst aufziehen werde.

Bastian trat zu einem schönen Mädchen, die Katharina hieß, einer Brünetten mit schwarzen Augen, schön geschwungenem braunen und schlanken Wuchs, die in der großen Stadt, wie man sich ausdrückt, gewesen war.

Katharina, welche bei einer adeligen Dame in der Umgegend in Dienst getreten, war derselben wirklich nach Paris gefolgt, nach einem Jahre aber etwas blass, etwas abgefallen, freilich auch mit hundert Louisdor zurückgekommen, die sie bei dem Herrn Niguet auf erste Hypothek angelegt hatte und die ihr hundert und fünfzig Francs jährlich Zinsen trugen.

Woher diese hundert Louisdor?

Katharina hatte eine Erklärung gegeben: ihre Herrin sei sehr gefährlich krank gewesen und sie habe dieselbe so aufopfernd gepflegt, dass die Dame nach ihrer Genesung ihr aus Dankbarkeit diese hundert Louisdor geschenkt.

Leider glaubten nicht alle an diese Geschichte, wie sinnreich sie auch erfunden war und allerdings konnte dieselbe auch einem einzigen Einwurfe nicht widerstehen.

Man fragte Katharina, woher es komme, dass sie eine so dankbare und freigebige Herrin verlassen habe?

Darauf hatte Katharina nie etwas anders antworten können, als dass sie sich nach ihrer Heimat gesehnt und deshalb zurückgekommen sei und gar Viele zweifelten, dass Katharina ihr kleines Vermögen in solcher Weise erhalten habe. Ja noch mehr, Einige zweifelten nicht nur daran, sondern gaben sogar eine ganz andere Quelle an. Sie sagten, nicht die Herrin sei sehr krank gewesen, sondern Katharina selbst, das habe man an ihrer Blässe und Hagerkeit gesehen als sie zurückgekommen. Sie setzten ferner hinzu, Katharina verdanke die bei Herrn Niguet angelegten hundert Louisdor nicht der Dankbarkeit der Baronin, sondern der Freigebigkeit des Barons.

Da diese Angabe, so böswillig sie auch war, die Rückkunft und das Vermögen Katharinens besser erklärte als die andere, so fand sie auch allgemeinen Glauben und trotz der lockenden Schönheit Katharinens, trotz den auf erste Hypothek ausgeliehenen hundert Louisdor hatte sich kein junger Bursch entschließen können Katharinen zu heiraten. Dagegen wollten viele ihr den Hof machen. Sie erklärte aber mit aller Bestimmtheit, sie sei ein ordentliches Mädchen und werde auf keinen hören, wenn er nicht mit der Feder zur Unterzeichnung des Ehekontrakts erscheine, so dass der Müller von Wuala, eine böse Zunge, äußerte, das Ei zu der Gans, welche jene Feder liefern solle, sei noch nicht gelegt.

 

Bastian trat also, den einen Arm eingestemmt, den einen Fuß vorgestreckt, zu Katharinen und bot ihr die behandschuhte Hand.

Katharina nahm die Hand mit triumphierendem Lächeln an und trat mit Bastian in den Kreis.

Der Husar schnallte seinen Gurt ab und übergab Säbel und Säbeltasche dem Sohne des Geigers, welcher in der Pause zwischen zwei Tänzen die Sous einzusammeln hatte, und er that dies mit solcher Anmut und Würde, wie etwa Mars, wenn er mit Venus hätte tanzen wollen, sein Schild und sein Schwert den Händen Amors übergeben haben würde.

Man erwartete viel von Bastian; aber, das muss man gestehen, er übertraf alle Erwartungen. Bastian hatte ein besonderes Pass für jede der vier Figuren, aus denen ein vollständiger Contretanz besteht und er führte sie aus, wie sie die Leute im Dorfe nicht nur nicht gesehen, sondern auch wie sie dieselbe gar nicht für möglich gehalten hatten. Deshalb drängte man sich auch so nahe herbei, um Bastian tanzen zu sehen, dass er trotz seinem Stolze auf diesen Sieg seine Landsleute selbst bitten, musste, ihm ein wenig Platz zu machen, wenn sie ihn weiter tanzen sehen wollten.

Man kam dieser Bitte nach, die man für vollkommen gerechtfertigt hielt und Bastian schloss die legte Figur mit einigen Entrechats von solcher Vollendung, dass die Umstehenden allgemein applaudierten.

Bastian führte seine Tänzerin stolz an ihren Platz zurück und sah sich eben in dem Kreise um, welche er wohl für einen zweiten Contretanz mit seiner Hand beehre.

Etwas in der Ferne, nicht unter den Tänzerinnen, waren Frau Marie und Mariechen stehen geblieben. Bastian erblickte das liebliche Gesicht und ging auf sie zu, ohne auf ihre Trauerkleidung zu achten und sprach in seinem süß-schmachtendsten Tone:

»Könnte ich die Ehre haben zum nächsten Contre?«

Mariechen errötete, denn alle Blicke, die dem Husaren gefolgt waren, wendeten sich auf sie.

»Ich danke, Herr Bastian,« sagte Sie, »aber wie Sie sehen, trauere ich um meinen guten Vater.«

»Nun ich dachte mir, sehen Sie, weil Sie zum Tanzplatze gekommen wären,« antwortete Bastian, indem er sich hin und her wiegte und verliebte Augen machte.

»Sie haben Recht, Herr Husar,« entgegnete darauf Mariechen; »es war nicht recht von mir, dass ich mit Trauer außen und innen an den Ort der Freude kam. Wir wollen gehen, Mutter.«

Und sie zog Frau Marien mit sich fort auf den Weg hin, der nach dem Walde führte.

»Oh! oh!« sagte der Husar. »Hat denn das Mariechen in meiner Abwesenheit sogar den Namen geändert? Sie scheint jetzt Jungfer Zimperlich zu heißen.«

Mariechen hörte nicht, was Bastian sagte, aber einige Andere hörten es, auch Ehrlich.

So wenig Ehrlich sich aus dem Tanze machte, hatte er sich doch an den Hang gelegt nicht weit von Mariechen. Sein großer Hund lag neben ihm wie gewöhnlich. Er sah weniger auf die Tänzer und Tänzerinnen als auf Mariechen und wenn sein Auge auf ihr ruhte, vergaß er die Bursche und Mädchen, die im Takte — oder doch beinahe Hüpften, den Geiger, der mit dem Fuße stampfte und die Geige, die so gut als möglich sang.

Einen Augenblick hatte er gleich den Andern Bastian zugesehen, und ihn aus Herzensgrunde beklagt, dass er so anstrengend tanzen müsste, denn er sah nicht ein, wie Jemand sich so abmühe und die Beine so lächerlich um sich werfe, ohne durch irgend ein Gesetz, eine Notwendigkeit dazu gezwungen zu sein.

Als er Bastian den Tanzplatz verlassen und nach Mariechen hingehen sah, richtete er sich auf, um ihm mit einer gewissen Besorgnis nachzublicken. Er ahnte die Absicht des Husaren und es würde ihn tief betrübt haben, wenn Mariechen mit einem Manne getanzt hatte, der so ganz anders tanzte, wie die Burschen im Dorfe.

Obgleich er nicht ganz nahe bei der Gruppe war, so verstand er doch in Folge seiner Fähigkeit die entferntesten Töne zu vernehmen, sowohl die Frage als die Antwort. Seiner Meinung nach hatte Mariechen ganz gut geantwortet, Bastian aber hielt er für einen Grobian, was ihm freilich bei einem Manne nicht auffiel, der nach einem so ganz außergewöhnlichen und übertriebenen Lange nicht recht bei Besinnung sein konnte.

Er beklagte ihn also statt ihn zu tadeln, stand dann auf und ging mit Bernhard Mariechen nach.