Die Fünfundvierzig

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»Nun mache ich aus Stiefvater, Stiefmutter, Stiefsohn und allen Stieffamilien der Welt Fleisch zu Pasteten, wenn man mich noch einmal stört,« fügte Ernauton ruhig bei.

»Wahrhaftig, ich finde, er hat recht,« sagte Miradoux, »warum diesen Edelmann reizen?«

»Ah! Feiger, der seinen Sohn schlagen läßt,« rief Lardille, auf Eustache zurückend und ihre zerstreuten Haare schüttelnd. »Nun, nun, nun,« sagte Eustache, »das bildet seinen Charakter.«

»Ah! ah! sagt doch, man wirft also hier die Leute aus dem Fenster?« rief ein Offizier, der eben eintrat; »was Teufels, wenn man solche Späße treibt, sollte man wenigstens ›Aufgepaßt da unten!‹ rufen.«

»Herr von Loignac!« riefen zwanzig Stimmen.

»Herr von Loignac!« wiederholten die Fünfundvierzig.

Und bei diesem in der ganzen Gaskogne bekannten Namen standen alle auf und schwiegen.

Herr von Loignac.

Hinter Herrn von Loignac trat Militor, wie gemahlen durch seinen Sturz und purpurrot vor Zorn, ein.

»Ich grüße Euch, meine Herren,« sagte Loignac; »mir scheint, es geht etwas stürmisch zu. Ah! ah! Meister Militor hat wieder den Zänker gemacht, und darunter muß seine Nase leiden.«

»Man wird mir meine Schläge bezahlen,« brummte Militor, Carmainges die Faust weisend.

»Tragt auf, Meister Fournichon,« rief Loignac, »und jeder sei freundlich gegen seinen Nachbarn. Von diesem Augenblick an sollt Ihr Euch lieben wie Brüder.«

»Hm!« machte Sainte-Maline.

»Die Nächstenliebe ist selten,« sagte Chalabre, während er über seinem eisengrauen Wams seine Serviette so ausbreitete, daß ihm kein Unfall begegnen konnte, wie groß auch der Überfluß an Brühen sein mochte.

»Und sich so von nahem lieben ist schwierig,« fügte Ernauton hinzu, »allerdings sind wir nicht auf lange Zeit beisammen.«

»Seht,« rief Pincorney, der Malines Spöttereien noch auf dem Herzen hatte, »man verhöhnt mich, weil mir mein Hut abhanden gekommen ist, und man sagt nichts über Herrn von Montcrabeau, der mit einem Panzer aus der Zeit des Kaisers Pertinax, von dem er aller Wahrscheinlichkeit nach abstammt, zu Mittag speisen will.... Das ist Defensive.«

Montcrabeau erhob sich gereizt und sagte mit einer Falsettstimme: »Meine Herren, ich nehme ihn ab, dies zur Kunde für die, die mich lieber mit Angriffswaffen als mit Verteidigungswaffen sehen.«

Und er band majestätisch seinen Panzer los und befahl seinem Lakaien, einem Graukopf von fünfzig Jahren, zu ihm zu kommen.

»Friede, Friede!« rief Herr von Loignac, »setzen wir uns zu Tische!«

»Befreit mich von diesem Panzer, ich bitte Euch,« sagte Pertinax zu seinem Lakaien.

Der Graukopf nahm ihn aus seinen Händen und fragte leise: »Und ich, werde ich nicht auch zu Mittag essen? Laß mir doch etwas geben, Pertinax, ich sterbe vor Hunger.«

Diese Aufforderung, so seltsam vertraulich sie auch sein mochte, erregte durchaus nicht das Erstaunen dessen, an den sie gerichtet war.

»Ich werde tun, was mir möglich ist,« antwortete er, »doch zu größerer Sicherheit seht Euch selbst danach um!«

»Hm!« machte der Lakai mit verdrießlichem Ton, »das ist durchaus nicht beruhigend.«

»Habt Ihr denn gar nichts mehr?« fragte Pertinax.

»Wir haben unsern letzten Taler in Sens verzehrt.«

»Nun, so sucht irgend etwas zu Geld zu machen.«

Kaum hatte er dies gesprochen, als man auf der Straße und dann auf der Schwelle des Wirtshauses rufen hörte: »Alteisenhändler! wer verkauft Eisen?«

Bei diesem Rufe lief Frau Fournichon nach der Tür, während Fournichon majestätisch die ersten Platten auftrug. Nach dem Empfang, der ihm zuteil wurde, war Fournichons Küche ausgezeichnet.

Fournichon wollte seine Frau an den Komplimenten teilnehmen lassen. Diese war aber dem Rufe des Alteisenhändlers gefolgt und hatte ihm, wie sie selbst, bald zurückkehrend, sehr zum Ärger ihres kriegerischen Gatten erzählte, einen alten Panzer und eine Sturmhaube für zehn Taler verkauft. Diese Nachricht regte die Anwesenden nicht wenig auf. Loignac rief:

»Angenommen, diese alten Waffen haben zusammen zwanzig Pfund gewogen, so ist das ein halber Taler für das Pfund. Parfandious! wie einer von meinen Bekannten sagt, darunter steckt ein Geheimnis.«

»Oh! daß ich diesen braven Handelsmann in meinem Schlosse hätte,« sagte Chalabre, dessen Augen sich entzündeten, »ich würde dreißig Zentner Armschienen, Beinschienen und Panzer an ihn verkaufen.«

»Wie? Ihr würdet die Rüstungen Eurer Ahnen verkaufen?« sagte Sainte-Maline mit spöttischem Tone.

»Ah! mein Herr, Ihr hättet unrecht,« rief Eustache von Miradoux; »das sind heilige Reliquien.«

»Bah!« versetzte Chalabre, »zu dieser Stunde sind meine Ahnen selbst Reliquien und bedürfen nur noch der Messen.«

Man erhitzte sich immer mehr beim Mittagessen durch den Burgunderwein; dessen Verbrauch Fournichons Gewürze beschleunigten.

Die Stimmen wurden lauter, die Teller klangen, die Gehirne füllten sich mit Dünsten, durch die jeder Gaskogner alles rosenfarbig sah, ... mit Ausnahme von Militor, der an seinen Sturz, und von Carmainges, der an seinen Pagen dachte.

»Das sind viele lustige Leute,« sagte Loignac zu seinem Nachbarn, der gerade Ernauton war, »und sie wissen nicht warum.«

»Ich weiß es auch nicht,« erwiderte Carmainges; »allerdings mache ich meinesteils eine Ausnahme, denn ich bin nicht im mindesten freudig gestimmt.«

»Ihr habt Eurerseits unrecht,« sagte Loignac, »denn Ihr seid einer von denen, für die Paris eine Goldmine, ein Ehrenparadies, eine Welt der Glückseligkeit ist.«

Ernauton schüttelte den Kopf.

»Nun, was sagt Ihr?« – »Spottet meiner nicht, Herr von Loignac, Ihr, der Ihr alle Fäden in der Hand zu haben scheint, welche die Mehrzahl von uns in Bewegung setzen, habt wenigstens die Gnade, den Vicomte Ernauton von Carmainges nicht wie einen hölzernen Komödianten zu behandeln.«

»Ich werde Euch noch ganz andere Gnaden erweisen, Herr Vicomte,« erwiderte Loignac, sich höflich verbeugend; »ich habe Euch mit dem ersten Blick unter allen bemerkt, Euch, dessen Auge sanft und stolz, und jenen andern jungen Mann dort, dessen Auge verdrießlich und düster ist.« – »Ihr nennt ihn?«

»Von Sainte-Maline.« – »Und was ist die Ursache dieser Unterscheidung, wenn Ihr meine Frage nicht für eine zu große Neugier von meiner Seite anseht?«

»Weil ich Euch kenne.« – »Mich? Mich kennt Ihr?«

»Euch und ihn, ... ihn und alle, die hier sind.« – »Das ist seltsam.«

»Ja; aber es ist notwendig.« – »Warum ist es notwendig?«

»Weil ein Anführer seine Soldaten kennen muß.« – »Und alle diese Leute?«

»Werden morgen meine Soldaten sein.« – »Aber ich glaubte, Herr von Epernon ....«

»St! sprecht diesen Namen nicht aus oder sprecht vielmehr gar keinen Namen aus; öffnet die Ohren und schließt den Mund, und da ich Euch jegliche Gnade verhießen habe, so nehmt vorläufig diesen Rat auf Abschlag.«

»Ich danke, mein Herr,« sagte Ernauton.

Loignac wischte sich den Schnurrbart ab, stand auf und sagte: »Meine Herren, der Zufall führt hier fünfundvierzig Landsleute zusammen, leeren wir ein Glas von diesem spanischen Wein, auf die Wohlfahrt aller Anwesenden.«

Dieser Vorschlag wurde mit wütendem Beifall aufgenommen.

»Sie sind meistens trunken,« sagte Loignac zu Ernauton, »es wäre ein guter Augenblick, jeden seine Geschichte erzählen zu lassen, aber es fehlt uns an Zeit.«

Dann rief er, die Stimme erhebend: »Holla, Meister Fournichon, laßt alle Frauen, Kinder und Lakaien weggehen.«

Lardille erhob sich fluchend; sie hatte ihren Nachtisch noch nicht völlig verzehrt. Militor rührte sich nicht.

Nach einem Augenblick waren nur noch die fünfundvierzig Gäste und Herr von Loignac im Saal.

»Meine Herren,« sagte der letztere, »jeder von euch weiß oder vermutet wenigstens, wer ihn nach Paris hat kommen lassen ... Gut, ruft nicht seinen Namen aus ... Ihr wißt, das genügt ... Ihr wißt auch, daß ihr gekommen seid, um ihm zu gehorchen.«

Ein Gemurmel der Beistimmung erhob sich aus allen Teilen des Saales; nur, da jeder einzig und allein das wußte, was ihn betraf, und nicht wußte, daß sein Nachbar durch dieselbe Macht wie er bewogen, gekommen war, schauten sich alle erstaunt an.

»Es ist gut,« sagte Loignac, »ihr werdet euch später anschauen, meine Herren. Seid unbesorgt, ihr habt Zeit, Bekanntschaft zu machen. Ihr seid also gekommen, um diesem Mann zu gehorchen; erkennt ihr das an?« – »Ja,« riefen die Fünfundvierzig, »wir erkennen das an.«

»Nun wohl! um anzufangen,« fuhr Loignac fort, »ihr werdet euch geräuschlos aus diesem Gasthofe fortbegeben, um die Wohnung zu beziehen, die man euch angewiesen hat.«

»Allen?« fragte Sainte-Maline. – »Allen.«

»Wir sind alle berufen, wir sind hier alle gleich,« sagte Perducas, dessen Beine so unsicher waren, daß er, um seinen Schwerpunkt zu behaupten, einen Arm um den Hals Chalabres schlingen mußte.

»Nehmt Euch doch in acht,« sagte dieser, »Ihr zerknittert mir mein Wams.«

»Ja, alle gleich vor dem Willen des Gebieters,« rief Loignac.

»Oh! oh! mein Herr,« entgegnete Carmainges errötend, »verzeiht, man sagte mir nicht, daß sich Herr von Epernon mein Gebieter nenne.« – »Wartet doch.« – »So hatte ich die Sache nicht verstanden.« – »Aber wartet doch, verdammter Kopf.«

Es herrschte bei der Mehrzahl ein neugieriges und bei einigen anderen ein ungeduldiges Schweigen.

»Ich habe euch noch nicht gesagt, wer euer Gebieter sein würde, meine Herren ....«

»Ja,« versetzte Sainte-Maline, »aber Ihr sagtet, daß wir einen haben würden.«

 

»Die ganze Welt hat einen Gebieter,« rief Loignac; »aber wenn euer Wesen zu stolz ist, um da stehen zu bleiben, wo ihr gesagt habt, so sucht höher; ich verbiete es euch nicht, sondern ich bevollmächtige euch dazu.«

»Der König,« murmelte Carmainges.

»Still!« rief Herr von Loignac, »ihr seid hierher gekommen, um zu gehorchen, gehorcht also; mittlerweile ist hier ein Brief, den Ihr mit lauter Stimme zu lesen mir das Vergnügen machen werdet, Herr Ernauton.«

»Befehl an Herrn von Loignac, das Kommando der fünfundvierzig Edelleute, die ich mit Bewilligung Seiner Majestät nach Paris berufen habe, zu übernehmen.«

Nogaret de la Valette, Herzog von Epernon

Alle verbeugten sich mehr oder minder wankend.

»Ihr habt mich also verstanden,« sagte Herr von Loignac. »Auf der Stelle müßt ihr mir folgen, eure Equipagen und eure Leute bleiben hier bei Meister Fournichon, der für sie sorgen wird, und wo ich sie später holen lasse; jetzt aber sputet euch, die Boote warten.«

»Die Boote?« wiederholten alle Gaskogner; »wir werden uns also einschiffen?« – »Allerdings werdet ihr euch einschiffen,« erwiderte Loignac. »Muß man nicht über das Wasser, um nach dem Louvre zu gehen?« – »In den Louvre, in den Louvre,« murmelten freudig die Gaskogner, »Cap de Bious! wir gehen in den Louvre.«

Loignac erhob sich von der Tafel, ließ die Fünfundvierzig an sich vorübergehen, zählte sie wie die Schafe und führte sie durch die Straßen bis zur Tour de Nesle, Hier fanden sich drei große Barken, von denen jede fünfzehn Passagiere an Bord nahm, und sogleich entfernten sie sich vom Ufer.

»Was zum Teufel werden wir im Louvre machen?« fragten sich die Unerschrockensten, die, durch die Kälte des Wassers vom Rausche befreit, der Mehrzahl nach sehr schlecht gekleidet waren.

»Wenn ich nur wenigstens meinen Panzer hätte,« murmelte Pertinax von Montcrabeau.

Der Panzermann.

Pertinax hatte sehr recht, die Abwesenheit seines Panzers zu beklagen, denn gerade zu dieser Stunde entäußerte er sich seiner auf immer durch die Vermittlung des Lakaien, den wir so vertraulich mit seinem Herrn haben sprechen sehen.

Auf die von Frau Fournichon ausgesprochenen magischen Worte: zehn Taler, lief Pertinax' Diener dem Händler in der Tat nach.

Da es schon Nacht war, und der Alteisenhändler ohne Zweifel Eile hatte, so war dieser schon etwa dreißig Schritte entfernt, als Samuel aus dem Gasthaus trat, und dieser mußte den Händler rufen, der furchtsam stehenblieb und einen durchdringenden Blick auf den Mann, der zu ihm kam, warf.

»Was wollt Ihr, mein Freund?« fragte er. – »Ei, bei Gott!« erwiderte der Lakai mit schlauer Miene, »ich will ein Geschäft mit Euch machen.«

»Nun, so machen wir geschwind.« – »Oh! Ihr werdet mir, beim Teufel! doch Zeit lassen, zu schnaufen.«

»Allerdings, doch schnauft geschwind, man erwartet mich.« – »Wenn Ihr gesehen habt, was ich Euch bringe, so werdet Ihr Euch Zeit nehmen, da Ihr mir ein Liebhaber zu sein scheint.«

»Und was bringt Ihr mir?« – »Ein herrliches Stück, ein Werk, womit... doch Ihr hört mich nicht.«

»Ihr wißt also nicht, mein Freund,« sagte der Panzermann, »daß der Waffenhandel durch ein Edikt des Königs verboten ist?« – »Ich weiß nichts, ich komme von Mont-de-Marsan.«

»Ah! das ist etwas anderes,« sagte der Panzermann, den diese Antwort etwas zu beruhigen schien; »aber obgleich Ihr von Mont-de-Marsan kommt, wißt Ihr doch schon, daß ich mit Waffen handle, und wer hat Euch das gesagt?«

»Sangdioux! das brauchte mir niemand zu sagen, Ihr habt es soeben laut genug ausgerufen.«

Nachdem der Lakai dem aufhorchenden Händler mitgeteilt hatte, daß er mit vielen Gaskognern im Schwert des kühnen Ritters gewesen sei, und ihm versichert hatte, daß diese Fremden weder dem König von Navarra ergeben noch Hugenotten seien, sagte der Händler: »Nähern wir uns ein wenig der Mauer, wir stehen hier gar zu auffallend auf der offenen Straße.«

Sie gingen miteinander einige Schritte aufwärts bis zu einem Hause von bürgerlichem Aussehen, an dessen Fensterscheiben man kein Licht erblickte. Die Tür befand sich unter einem Wetterdach, das einen Balkon bildete. Eine Steinbank war als einziger Zierat an seiner Fassade angebracht.

»Laßt einmal den Panzer anschauen,« sagte der Handelsmann, als sie unter dem Wetterdach standen. – »Hier ist er.«

»Wartet, man bewegt sich, glaube ich, in diesem Hause.« – »Nein, es ist gegenüber.«

Der Händler drehte sich um.

Gegenüber lag wirklich ein Haus von zwei Stockwerken, dessen zweites sich zuweilen flüchtig erleuchtete.

»Machen wir geschwind,« sagte der Handelsmann, den Panzer betastend. – »Nicht wahr, der ist schwer?« – »Alt, Plump, aus der Mode.« – »Ein Kunstgegenstand.« – »Sechs Taler, wollt Ihr?« – »Wie, sechs Taler, und Ihr habt dort zehn für ein altes schadhaftes Bruststück gegeben?«– »Sechs Taler, ja oder nein.« – »Aber betrachtet doch diese getriebene Arbeit.« – »Was ist an der getriebenen Arbeit gelegen, wenn man nach Gewicht wieder verkauft?« – »Oh! oh! Ihr handelt hier, und dort habt Ihr alles gegeben, was man wollte.« – »Ich gebe noch einen Taler mehr,« sagte der Händler voll Ungeduld.

»Gut,« erwiderte Samuel, »Ihr seid ein drolliger Bursche von einem Kaufmann. Ihr verbergt Euch, um Euren Handel zu treiben; Ihr verletzt die Edikte des Königs und feilscht mit ehrlichen Leuten.« – »Ruhig, ruhig, schreit nicht so.« – »Oh! ich fürchte mich nicht,« erwiderte Samuel, die Stimme erhebend, »Ich treibe keinen unerlaubten Handel und werde durch nichts veranlaßt, mich zu verbergen.« – »Still, still, und nehmt zehn Taler.« – »Zehn Taler? Ich sage Euch, daß das Gold allein so viel wert ist; ah! Ihr wollt Euch flüchtig machen?« – »Nein, nein! das ist ein wütender Mensch.« – »Ah! wenn Ihr Euch flüchtig macht, rufe ich nach der Wache!«

Während er diese» Worte sprach, erhob Samuel die Stimme so, als ob er seine Drohung verwirkliche.

Bei diesem Lärm wurde ein kleines Fenster auf dem Balkon des Hauses geöffnet, dem gegenüber der Handel stattfand, und das Knarren dieses Fensters erfüllte den Handelsmann mit Schrecken.

»Schon gut,« sagte er, »ich sehe, daß man alles tun muß, was, Ihr wollt, hier sind fünfzehn Taler, nun geht Eures Weges.« – »Das lasse ich mir gefallen,« sagte Samuel, die fünfzehn Taler einsackend. – »Das ist ein Glück.« – »Doch diese fünfzehn Taler sind für meinen Herrn, und ich muß doch auch etwas für mich haben.«

Der Handelsmann schaute umher und zog seinen Dolch halb aus der Scheide, aber Samuel hatte ein Auge, so wachsam wie das eines Sperlings, der sich an den Trauben erlabt, und er sagte zurückweichend: »Ja, ja, guter Kaufmann; ja, ich sehe deinen Dolch, aber ich sehe auch etwas anderes; jenes Gesicht auf dem Balkon, das dich auch sieht.«

Bleich vor Schrecken, schaute der Händler in der von Samuel bezeichneten Richtung und sah in der Tat auf dem Balkon ein langes phantastisches Geschöpf, in einen Schlafrock von Katzenpelz gehüllt; dieser Argus hatte keine Silbe, keine Gebärde von der letzten Szene verloren.

»Vorwärts, Ihr macht aus mir, was Ihr wollt,« sagte der Handelsmann mit einem Gelächter, dem des Schakals ähnlich, der seine Zähne zeigt, »hier ist noch ein Taler mehr ... Und der Teufel erdroßle Euch,« fügte er ganz leise hinzu.

»Ich danke Euch,« sagte Samuel, »ein gutes Geschäft.« Und er grüßte den Panzermann und verschwand mit einem Hohngelächter.

Der Handelsmann, der allein auf der Straße geblieben war, hob den Panzer auf und bemühte sich, ihn in Fournichons zu schieben. Der Bürger schaute immer noch; als er den Handelsmann sehr ängstlich beschäftigt sah, sagte er: »Mein Herr, es scheint, Ihr kauft Rüstungen.«

»Nein, mein Herr,« erwiderte der unglückliche Händler, »das geschieht nur so zufällig, und weil sich mir eine Gelegenheit geboten hat.« »Dann bedient mich der Zufall wunderbar. Denkt Euch, daß ich gerade hier im Bereiche meiner Hand einen Haufen von altem Eisen habe, der mir lästig ist.«

»Ich sage nicht nein; aber für den Augenblick habe ich, wie Ihr seht, alles, was ich tragen kann.«

»Ich will es Euch immerhin zeigen. Es ist seltsam, aber mir scheint, ich kenne Euch!« versetzte der Bürger.

»Mich?« erwiderte der Handelsmann, der vergebens einen Schauer zurückzudrängen suchte.

»Schaut doch diese Sturmhaube an,« sagte der Bürger, indem er mit seinem langen Fuß den bezeichneten Gegenstand vorschob, denn er wollte das Fenster nicht verlassen, aus Furcht, der andere könnte sich wegstehlen. Und er hob die Sturmhaube über den Balkon und in die Hand des Kaufmanns.

»Seid Ihr nicht,« fragte er dabei, »Nicolas?«

Das Gesicht des Handelsmanns zersetzte sich gleichsam, und man sah den Helm in seiner Hand zittern. – »Nicolas?« wiederholte er.

»Nicolas Truchou, Kunsthändler, in der Rue de la Cossonnerie.«

»Nein, nein,« erwiderte der Handelsmann, der nun wieder lächelte und wie ein viermal glücklicher Mensch atmete.

»Gleichviel, Ihr habt ein gutes Gesicht, und es handelt sich darum, mir eine vollständige Rüstung abzukaufen, Panzer, Armschienen und Schwert.«

Trotz seines Drängens kam der Händler von dem verdächtigen Bürger nicht los, der mit ihm spielte, wie die Katze mit der Maus, und nach längerem Verhandeln sagte:

»Doch in der Tat, je mehr ich Euch anschaue, desto sicherer bin ich, daß ich Euch kenne; nein, Ihr seid nicht Nicolas Truchou, aber ich kenne Euch dennoch.« – »Stille!« – »Und wenn Ihr Panzer kauft ....« – »Nun?« – »So geschieht es wahrhaftig, um ein gottgefälliges Werk zu verrichten.« – »Schweigt.« »Ihr entzückt mich,« sagte der Bürger und streckte über den Balkon einen ungeheuren Arm herab, dessen Hand in die Hand des Kaufmanns griff. – »Aber wer zum Teufel seid Ihr denn?« fragte dieser, der seine Hand wie in einem Schraubstock gepackt fühlte. – »Ich bin Robert Briquet, genannt der Schrecken des Schisma, Freund der Union und wütender Katholik; jetzt erkenne ich Euch ganz genau.«

Der Handelsmann wurde wieder bleich.

»Ihr seid Nicolas... Grimbelot, Gerber zur Kuh ohne Knochen.« – »Nein, nein, Ihr täuscht Euch, Gott befohlen, Meister Robert Briquet; es hat mich ungemein gefreut, Eure Bekanntschaft zu machen.«

Hierauf drehte der Handelsmann dem Balkon den Rücken zu und wollte sich lieber darein ergeben, seine Panzer im Stiche zu lassen und alles zu verlieren, als erkannt zu werden, indem er über Hals und Bein entfloh.

Aber Robert Briquet war nicht der Mann, der sich auf diese Art schlagen ließ; er schwang sich auf das Geländer des Balkons, stieg auf die Straße hinab, beinahe, ohne daß er zu springen brauchte, und erreichte den Kaufmann in vier bis fünf Sätzen.

»Seid Ihr ein Narr, mein Freund,« sagte er, seine breite Hand auf die Schulter des armen Teufels legend; »wenn ich Euer Feind wäre, wenn ich Euch festnehmen lassen wollte, so brauchte ich nur zu schreien; die Wache kommt zu dieser Stunde durch die Rue des Augustins; aber nein, der Teufel soll mich holen, Ihr seid mein Freund, und nun erinnere ich mich ganz bestimmt Eures Namens.«

Diesmal brach der Handelsmann in ein Gelächter aus. Robert Briquet stellte sich ihm gegenüber und sagte: »Ihr heißt Nicolaus Poulain und seid Leutnant der Prevoté (Stadtvogtei) von Paris; ich erinnere mich, daß ein Nicolas dabei war.«

»Ich bin verloren,« stammelte der Händler. »Im Gegenteil, Ihr seid gerettet! Alle Teufel! Ihr werdet nie für die gute Sache tun, was ich zu tun beabsichtige.«

Nicolaus Poulain entschlüpfte ein Seufzer.

»Auf, auf, Mut,« sagte Robert Briquet; »faßt Euch; Ihr habt einen Bruder gefunden, den Bruder Briquet, nehmt einen Panzer, ich nehme die zwei andern, ich mache Euch ein Geschenk mit meinen Armschienen, mit meinen Beinschienen und gebe Euch meine Handschuhe in den Kauf; vorwärts, und es lebe die Union!«

»Ihr begleitet mich?« – »Ich helfe Euch diese Sachen tragen, welche die Philister besiegen müssen; zeigt mir den Weg, ich folge Euch.«

Die Seele des unglücklichen Leutnants der Prevoté durchzuckte ein sehr natürlicher Blitz des Argwohns, aber er verschwand auf der Stelle wieder.

»Hätte er gestanden, daß er mich kenne, wenn er mich verderben wollte?« sagte er leise zu sich selbst. Laut aber sagte er: »Vorwärts also, da Ihr es durchaus so wollt, kommt mit mir.«

»Zum Leben und in den Tod,« rief Robert Briquet und drückte mit einer Hand die Hand seines Verbündeten, während er mit der andern triumphierend seine Eisenlast in die Luft hob.

 

Nachdem sie zwanzig Minuten gegangen waren, kamen sie in den Marais, wo Poulain nächst dem Hotel Guise stehen blieb.

»Ich vermutete, meine Rüstung würde in diese Gegend kommen,« dachte Briquet.

»Freund,« sagte Nicolas Poulain, sich mit einer tragischen Miene gegen Briquet wendend, »ehe wir in des Löwen Höhle eintreten, lasse ich Euch eine letzte Minute der Überlegung; es ist noch Zeit, zurückzukehren, wenn Ihr nicht stark in Eurem Gewissen seid.«

»Bah!« erwiderte Briquet, »ich habe andere Dinge gesehen.«

»Vorwärts,« sagte Poulain, »so laßt uns eintreten.« Und er führte ihn zu der riesigen Pforte des Hotels Guise, die sich bei dem dritten Schlage des bronzenen Klopfers öffnete.

Der Hof war voll von Wachen und Männern, die, in Mäntel gewickelt, wie Gespenster hin und her liefen. Es war kein einziges Licht im Hotel. Acht gesattelte und gezäumte Pferde warteten in einem Winkel.

Bei dem Lärm des Hammers wandte sich die Mehrzahl dieser Leute um, die eine Art von Spalier bildeten, um die Ankömmlinge zu empfangen.

Nicolas Poulain neigte sich an das Ohr eines Portiers, der die kleine Tür halb geöffnet hielt, und nannte ihm seinen Namen.

»Und ich bringe einen guten Kameraden,« fügte er hinzu.

»Geht vorbei, meine Herren,« sagte der Portier.

»Bringt dies in die Magazine,« sagte Poulain und übergab einer Wache die drei Panzer nebst dem Eisenwerk Briquets. »Doch kommt,« fügte er zu seinem Begleiter hinzu, »daß ich Euch vorstelle.«

»Nehmt Euch in acht,« sagte der Bürger, »ich bin außerordentlich schüchtern. Man dulde mich, mehr will ich nicht; wenn ich meine Proben abgelegt habe, werde ich mich allein durch meine Taten vorstellen.«

»Wie es Euch beliebt,« antwortete der Leutnant, »erwartet mich also hier.« Und er ging und drückte der Mehrzahl der Spaziergänger die Hand.

»Worauf warten wir noch?« fragte eine Stimme. »Auf den Herrn,« antwortete eine andere Stimme.

In diesem Augenblicke trat ein Mann von hoher Gestalt in das Hotel; er hatte die letzten von den geheimnisvollen Spaziergängern ausgetauschten Worte gehört.

»Meine Herren,« sagte er, »ich komme in seinem Namen.«

»Ah! das ist Herr von Mayneville,« rief Poulain. »Ich bin bei Bekannten,« sagte Briquet zu sich selbst, indem er eine Grimasse studierte, die ihn völlig entstellte.

»Meine Herren, wir sind nun vollzählig, beraten wir uns,« sagte die Stimme, die sich zuerst hatte hören lassen.

»Ah! gut!« sagte Briquet zu sich selbst, »nun sind es zwei: dies ist mein Anwalt, Meister Marteau.«

Und er veränderte seine Grimasse mit einer Leichtigkeit, durch die er bewies, wie sehr er mit physiognomischen Studien vertraut war.

»Gehen wir hinauf!« sagte Poulain.

Herr von Mayneville ging voran, Nicolas Poulain folgte; die Männer in den Mänteln kamen nach Nicolas Poulain und Robert Briquet nach den Männern in den Mänteln. Alle stiegen die Stufen einer äußeren, nach einem Gewölbe ausmündenden Treppe hinauf. Robert Briquet folgte den andern und murmelte dabei: »Doch der Page, wo zum Teufel ist der Page?«