Arbeitsrecht in der Umstrukturierung

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2. Kapitel Umstrukturierung durch Betriebsänderungen › II. Betriebsänderungen i.S.d. § 111 BetrVG

II. Betriebsänderungen i.S.d. § 111 BetrVG

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In Unternehmen mit „in der Regel“ mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern hat der Unternehmer den Betriebsrat über geplante Betriebsänderungen, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können, rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und die geplanten Betriebsänderungen mit dem Betriebsrat zu beraten (§ 111 Satz 1 BetrVG). Als Betriebsänderungen i.S.d. § 111 Satz 3 BetrVG gelten die Einschränkung und Stilllegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen (Nr. 1), die Verlegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen (Nr. 2), der Zusammenschluss mit anderen Betrieben oder die Spaltung von Betrieben (Nr. 3), grundlegende Änderungen der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen (Nr. 4) sowie die Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren (Nr. 5).

2. Kapitel Umstrukturierung durch Betriebsänderungen › II. Betriebsänderungen i.S.d. § 111 BetrVG › 1. Allgemeine Voraussetzungen einer Betriebsänderung

1. Allgemeine Voraussetzungen einer Betriebsänderung

a) Größe des Unternehmens

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Bei der Ermittlung der im Unternehmen regelmäßig Beschäftigten ist auf die normale Beschäftigtenzahl, d.h. diejenige Personalstärke abzustellen, die für das Unternehmen im Allgemeinen kennzeichnend ist.[1] Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes am 28.7.2001[2] ist für die Ermittlung dieses Schwellenwerts nicht die Betriebsgröße entscheidend, sondern die Gesamtzahl der im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer. Damit ist auch in kleineren Betrieben stets zu prüfen, ob die geplanten Maßnahmen Beteiligungsrechte nach §§ 111 ff. BetrVG auslösen, sofern im Unternehmen insgesamt mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt werden.[3] Relativiert wird diese Regelung in der Praxis aber regelmäßig dadurch, dass es hinsichtlich der Folgen der beabsichtigten Maßnahmen und der Anzahl der hiervon betroffenen Arbeitnehmer auf den Betrieb ankommt, so etwa bei der Stilllegung oder Einschränkung von wesentlichen Betriebsteilen i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 2 bzw. Nr. 3 BetrVG (vgl. dazu Rn. 59). Nach der Rechtsprechung des BAG ist zur Ermittlung der regelmäßig Beschäftigten auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem die Beteiligungsrechte des Betriebsrates entstehen, so dass es auf die jeweilige, auf eine Betriebsänderung abzielende Entscheidung des Unternehmers ankommt.[4] Das ist im Fall der Betriebsstilllegung der Stilllegungsbeschluss.[5] Zur Feststellung der regelmäßigen Beschäftigtenzahl bedarf es dabei eines Rückblicks auf die bisherige personelle Stärke und auch einer Einschätzung der künftigen Entwicklung,[6] wobei letzteres dahingehend zu verstehen ist, dass es darauf ankommen soll, ob mit einer Beschäftigung einer entsprechenden Anzahl von Arbeitnehmern auch in Zukunft gerechnet werden kann.[7] Etwas anderes gilt im Falle einer Betriebsstilllegung bzw. immer dann, wenn die Maßnahme mit einem Personalabbau verbunden ist. Hier kann nur ein Rückblick auf die bisherige Belegschaftsstärke in Frage kommen.[8] Ebenso sind Zeiten außergewöhnlich hohen oder niedrigen Geschäftsanfalls bzw. entsprechende Arbeitnehmerzahlen nicht zu berücksichtigen.[9]

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Geht der Stilllegung eines Betriebes ein Personalabbau voraus, der sich über einen längeren Zeitraum erstreckt, richtet sich die Zahl der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer danach, wie sich der Personalabbau in der Gesamtschau darstellt. Bildet er rückblickend eine Vorstufe der Betriebsstilllegung, die damit in der Form eines gleitenden Überganges eingeleitet wurde, so bleibt er außer Betracht; maßgebend ist dann die ursprüngliche Beschäftigtenzahl.[10] Die Rechtsprechung des BAG stellt insofern darauf ab, ob der Betriebsstillegung ein „kontinuierlicher Abbau der Belegschaft“ in kurz aufeinander folgenden Schritten „unmittelbar vorangegangen“ ist.[11] In diesem Fall muss dieser Personalabbau aus Sicht des BAG für den Rückblick auf die bisherige Belegschaftsstärke unbeachtlich sein, weil er lediglich als „gleitender Übergang“ von der normalen Arbeitnehmerzahl zur Stilllegung zu betrachten ist.[12] Richtigerweise ist daher auch bei Bestimmung der Unternehmensgröße konkretisierend darauf abzustellen, ob die Maßnahmen sich letztlich als einheitliche Maßnahme darstellen.[13]

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Sollte die Personalverminderung hingegen nach der ursprünglichen Planung eine Fortführung des Betriebs ermöglichen und hat sie für eine nicht unerhebliche Zeit zu einer Absenkung der Anzahl der Arbeitnehmer auf niedrigerem Niveau geführt, so ergibt sich daraus eine neue, den Betrieb kennzeichnende regelmäßige Personalstärke und diese ist in der Folge für die Ermittlung der Zahl der in der Regel Beschäftigten maßgeblich, wenn später dann doch weitere Einschränkungen des Betriebs oder sogar die völlige Schließung erforderlich werden, weil sich die an die Rationalisierung geknüpften Erwartungen nicht erfüllt haben.[14] Als die zur Zeit eines Stilllegungsbeschlusses maßgebliche Zahl der regelmäßig Beschäftigten kann in der Folge beispielsweise auch eine erst zwei Monate vorher erreichte Anzahl von Arbeitnehmern anzusehen sein, wenn diese Reduzierung das Ergebnis einer längerfristigen personalwirtschaftlichen Entscheidung des Arbeitgebers war.[15]

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Werden Arbeitnehmer nicht ständig, sondern lediglich zeitweilig beschäftigt, kommt es für die Frage der regelmäßigen Beschäftigung darauf an, ob sie normalerweise während des größten Teils des Jahres beschäftigt werden, d.h. länger als sechs Monate.[16] Dies gilt auch bei Saisonbetrieben, die jeweils für einige Wochen oder Monate im Jahr einen erhöhten Arbeitskräftebedarf haben. Die für diese Zeit vorübergehend eingestellten Arbeitnehmer zählen nicht zu den in der Regel Beschäftigten. Etwas anderes gilt lediglich für reine Kampagnebetriebe, die überhaupt nur während eines Teils des Jahres arbeiten. In diesem Fall ist die Beschäftigtenzahl während der Kampagne maßgebend.[17] Auf den Umfang der Beschäftigung kommt es hingegen nicht an, sondern auf die Kopfzahl, so dass unerheblich ist, ob die betreffenden Mitarbeiter in Teilzeit oder Vollzeit tätig sind.[18]

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Auch Leiharbeitnehmer können bei der Ermittlung der maßgeblichen Unternehmensgröße in § 111 Satz 1 BetrVG mitzuzählen sein, wenn sie im Zeitpunkt der Betriebsänderung länger als drei Monate im Unternehmen eingesetzt sind.[19] Allerdings müssen sie zugleich zu den „in der Regel“ Beschäftigten gehören,[20] d.h. insgesamt länger als 6 Monate für das Unternehmen tätig sein, um zufällige Ergebnisse zu vermeiden.[21] Nicht zu den regelmäßig Beschäftigten gehören hingegen echte sog. freie Mitarbeiter und Mitarbeiter von Fremdfirmen, ferner die in § 5 Abs. 2 BetrVG genannten Personen wie insbesondere die leitenden Angestellten (§ 5 Abs. 3 BetrVG); diese gelten nicht als Arbeitnehmer i.S.d. BetrVG.[22]

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Betrifft die beabsichtigte Umstrukturierung einen gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen, die jeweils nicht mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigen, ist die Bestimmung der Schwellenwerte umstritten. Problematisch ist dabei insbesondere die Situation, dass nur eines der beteiligten Unternehmen die erforderliche Größe hat, die Mitarbeiterzahlen der anderen jedoch unterhalb des Schwellenwertes liegen.

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Für die frühere Regelung des § 111 BetrVG a.F., die insoweit noch auf die Größe des „Betriebs“ abstellte, hat das BAG die Auffassung vertreten, dass für die Bestimmung der regelmäßig Beschäftigten auf die Gesamtzahl der im Gemeinschaftsbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer abzustellen sei.[23] Auch sollte dann, wenn eine Betriebsänderung Kleinbetriebe i.S.d. § 111 Satz 1 BetrVG betraf, die einem größeren Unternehmen angehörten, dann ein Mitbestimmungsrecht gemäß §§ 111 ff. BetrVG a.F. bestehen, wenn sich die wirtschaftliche Maßnahme betriebsübergreifend auf mehrere Betriebe des Unternehmens erstreckte und sie in die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats fiel.[24]

18

Nach der Änderung des Wortlauts des § 111 BetrVG von „Betrieb“ zu „Unternehmen“ durch das Gesetz zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes am 28.7.2001[25] ist für diese Ansicht an sich kein Raum mehr.

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In der Literatur wird daher zum Teil davon ausgegangen, dass es stets ausschließlich auf die jeweilige Unternehmensgröße ankommt.[26] Erreicht kein Unternehmen für sich genommen den Schwellenwert, scheidet danach eine Mitbestimmung nach § 111 BetrVG aus.[27] Darauf, ob der Schwellenwert insgesamt überschritten wird, kommt es dann nicht an. Überschreitet nur ein Unternehmen den Schwellenwert, besteht nur diesem gegenüber das Beteiligungsrecht des Betriebsrats.[28]

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Das LAG Berlin und das LAG Düsseldorf[29] sowie ein Teil der Literatur wollen es für eine Anwendung der §§ 111 ff. BetrVG hingegen genügen lassen, dass der Schwellenwert nur bei einer Zusammenrechnung der Beschäftigtenzahlen der an dem gemeinsamen Betrieb beteiligten Unternehmen erreicht wird. Zur Begründung verweisen die Befürworter dieser Ansicht u.a. darauf, dass der Gesetzgeber keine Schlechterstellung der Arbeitnehmer gewollt habe.[30]

 

21

Das BAG hat diese Frage bislang offen gelassen. In der Entscheidung vom 12.11.2002[31], in der es um die Reichweite der Haftung aus einem im gemeinsamen Betrieb abgeschlossenen Sozialplans ging, hat das BAG allerdings festgehalten, dass mehrere einen Gemeinschaftsbetrieb führende Unternehmen in Sozialplänen freiwillig die gesamtschuldnerische Haftung für Abfindungsansprüche der in dem Gemeinschaftsbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer vereinbaren „können“. Sie sind hierzu nach Ansicht des Gerichts nicht verpflichtet. Zugleich hat das Gericht ausgeführt, es „liege die Annahme nahe“, dass im Falle einer die gesamte Belegschaft eines Gemeinschaftsbetriebs betreffenden Betriebsänderung jedenfalls über einen Interessenausgleich regelmäßig sinnvoll nur mit der Gemeinschaft der den Betrieb führenden Unternehmen verhandelt werden könne. Es gehe insoweit um das Schicksal des gesamten Betriebs. Es möge – so das BAG – auch manches dafür sprechen, dass sich in einem solchen Fall beim Unterbleiben des Versuchs eines Interessenausgleichs der durch § 113 Abs. 3, Abs. 1 BetrVG zwingend vorgeschriebene Anspruch der betroffenen Arbeitnehmer auf den Nachteilsausgleich nicht nur gegen ihren Vertragsarbeitgeber, sondern gegen alle den Betrieb gemeinschaftlich führenden und daher für den Interessenausgleich verantwortlichen Unternehmen richte. Da dies jedoch nicht entscheidungserheblich war, hatte das Gericht hierüber nicht abschließend zu befinden.

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Die seitens des Gerichts vorgenommene Unterscheidung zwischen der Verpflichtung der am gemeinsamen Betrieb beteiligten Unternehmen, gemeinsam einen Interessenausgleich zu versuchen und der Verpflichtung des Vertragsarbeitgebers, der den Schwellenwert überschreitet, einen Sozialplan abzuschließen, wird von einer starken Ansicht im Schrifttum befürwortet. Dabei wird die Pflicht, einen Interessenausgleich zu versuchen, bereits dann bejaht, wenn der Schwellenwert von „in der Regel“ 20 beschäftigen Arbeitnehmern im gemeinsamen Betrieb überschritten wird.[32] Hierfür spricht, dass im gemeinsamen Betrieb alle Arbeitgeber gemeinsam verpflichtet sind, im Rahmen der einheitlichen Leitung auch die Beteiligungsrechte des Betriebsrats zu wahren.[33]

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In der Praxis dürfte es sich – auch zur Vermeidung etwaiger Nachteilsausgleichsansprüche – bis zu einer abschließenden Entscheidung des BAG empfehlen, diese Ansicht zugrunde zu legen. Dann genügt es für die Pflicht, einen Interessenausgleich zu „versuchen“, wenn die Gesamtzahl der regelmäßig Beschäftigten im gemeinsamen Betrieb insgesamt über 20 liegt.

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In Bezug auf den Abschluss des Sozialplans sprechen allerdings gute Gründe dafür, nach der Anzahl der Arbeitnehmer des jeweils betroffenen Unternehmens zu differenzieren,[34] und zwar insbesondere der gesetzgeberisch verfolgte Zweck, kleinere Unternehmen vor den finanziellen Belastungen des Sozialplans zu schützen.[35] Eine Schlechterstellung der Arbeitnehmer kleinerer Trägerunternehmen kann hierin nicht gesehen werden. Sie werden insoweit nicht anders behandelt als andere Arbeitnehmer, die in Unternehmen mit regelmäßig weniger als 21 Arbeitnehmern beschäftigt sind. Kommt es hier zu Maßnahmen i.S.d. § 111 Satz 3 Nrn. 1 bis 5 BetrVG scheitert ein Mitbestimmungsrecht auch in diesen Fällen an dem Schwellenwert gem. § 111 Satz 1 BetrVG. Auch das BAG hat in der Entscheidung vom 12.11.2002 deutlich gemacht, dass etwaige Sozialplanansprüche sich grundsätzlich nur gegen den vertraglichen Arbeitgeber richten, soweit nicht ausnahmsweise eine gesamtschuldnerische Inanspruchnahme vereinbart ist.[36] Vor diesem Hintergrund sprechen gute Gründe dafür, dass insoweit allein die Beschäftigtenzahl des Vertragsarbeitgebers maßgeblich ist.

b) Wesentliche Nachteile für die Arbeitnehmer

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Das Vorliegen einer beteiligungspflichten Betriebsänderung setzt nach dem Wortlaut des § 111 Satz 1 BetrVG voraus, dass wesentliche Nachteile für die oder zumindest erhebliche Teile der Belegschaft entstehen können.

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Soweit eine Betriebsänderung i.S.d. § 111 Satz 3 BetrVG vorliegt, wird der Eintritt solcher Nachteile indes fingiert, ist also nicht gesondert zu prüfen. Das ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift, wonach Satz 3 nicht den Begriff der „Betriebsänderung“ schlechthin definiert, sondern den der „Betriebsänderung i.S.d. Satzes 1“.[37] Es gilt damit die unwiderlegliche Vermutung, dass die im Katalog des Satzes 3 genannten Fälle wesentliche Nachteile für die Belegschaft mit sich bringen. Die Beteiligungsrechte des Betriebsrates bei einer Betriebsänderung entfallen daher nicht deshalb, weil im Einzelfalle solche wesentlichen Nachteile nicht zu befürchten sind.[38] Ob ausgleichs- oder milderungswürdige Nachteile entstehen oder entstanden sind, ist bei der Aufstellung des Sozialplans zu prüfen und notfalls von der Einigungsstelle nach billigem Ermessen zu entscheiden (vgl. dazu Rn. 165 ff.).

27

Der Relativsatz in § 111 Satz 1 BetrVG hat nach der Rechtsprechung des BAG jedoch insoweit eine Bedeutung, als er bei der Auslegung der im Katalog des § 111 Satzes 3 BetrVG enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe wie „wesentliche“ Betriebsteile in den Nrn. 1 und 2 oder „grundlegend“ in den Nrn. 4 und 5 heranzuziehen ist und bei der Prüfung, ob eine Betriebsänderung i.S. dieses Kataloges vorliegt, in Zweifelfällen als „ein Stück Gesetzesbegründung“ das Anliegen des Gesetzgebers deutlich macht.[39]

c) Belegschaft oder erheblicher Teil der Belegschaft

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Gemäß § 111 Satz 1 BetrVG ist weitere Voraussetzung der Mitbestimmung, dass von einer geplanten Betriebsänderung „die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft“ betroffen sind.

29

Ob ein erheblicher Teil der Belegschaft betroffen ist, richtet sich nach der Anzahl der von der Maßnahme betroffenen Arbeitnehmer.[40] Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG sind hierbei die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG als Richtschnur heranzuziehen, allerdings mit der Maßgabe, dass in größeren Betrieben mindestens 5 % der Gesamtbelegschaft betroffen sein müssen.[41]

30

Eine starre Frist für die Berechnung der maßgeblichen Arbeitnehmerzahl nach den Vorgaben des § 17 KSchG existiert nicht. Nach der Rechtsprechung des BAG sollen geringfügige Unterschreitungen der „Richtzahlen“ des § 17 KSchG unbeachtlich sein, wobei eine Unterschreitung von 50 % als jedenfalls nicht mehr geringfügig bewertet wurde.[42]

31

Der im Rahmen des § 17 Abs. 1 KSchG maßgebliche Zeitraum (30 Kalendertage) ist nicht übertragbar.[43] Soweit ein Personalabbau in mehreren „Wellen“ erfolgt, ist vielmehr entscheidend, ob der Personalabbau auf einer einheitlichen unternehmerischen Planung beruht.[44] Maßgebender Anknüpfungspunkt für das Mitbestimmungsrecht ist die unternehmerische Entscheidung, aus der sich ergibt, wie viele Arbeitnehmer voraussichtlich insgesamt entlassen werden. Eine einheitliche Planungsentscheidung kann auch eine stufenweise Durchführung vorsehen. Der Unternehmer, der das Vorliegen einer einheitlichen Betriebsänderung bestreitet, welche die Richtzahlen des § 17 KSchG überschreitet, muss daher darlegen und beweisen, dass verschiedene Maßnahmen nicht Teil einer einheitlichen Unternehmerentscheidung sind. Ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen mehreren Entlassungswellen stellt hierbei nach der Rechtsprechung des BAG ein wesentliches Indiz für eine von Anfang an einheitliche Planung dar.[45] Zwingend ist dies jedoch nicht,[46] denn eine spätere Entlassungswelle kann auch das Ergebnis einer neuen Planung sein. Dies gilt insbesondere, wenn nach der ersten Entlassungswelle neue, vom Arbeitgeber ursprünglich nicht vorgesehene und eingeplante Umstände eingetreten sind.[47] Plant der Arbeitgeber also zunächst nur Entlassungen, die nach ihrer Zahl noch keine Betriebseinschränkung i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG darstellen, entstehen keine Beteiligungsrechte des Betriebsrats nach §§ 111 ff. BetrVG. Führt der Arbeitgeber zunächst die beabsichtigten Entlassungen durch, die allein noch keine Betriebsänderung darstellen, und fasst er erst danach auf Grund neuer Umstände den Entschluss zu weiteren Entlassungen, sind die Entlassungswellen mitbestimmungsrechtlich nicht zusammenzurechnen.[48]

32

Dies gilt jedoch nicht, wenn der Arbeitgeber vor der tatsächlichen Durchführung der Maßnahme seine Planung ändert und nun weitere Entlassungen beabsichtigt, die unter Zusammenrechnung mit den bereits geplanten, aber noch nicht durchgeführten Entlassungen die Grenzwerte des § 17 Abs. 1 KSchG überschreiten. Es handelt sich dann nach der Rechtsprechung des BAG um einen einheitlichen Vorgang, der zum Zeitpunkt der Planungsänderung die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach §§ 111 ff. BetrVG auslöst.[49]

33

Gegenstand der Mitbestimmung des Betriebsrats ist sowohl hinsichtlich eines Interessenausgleichs als auch eines Sozialplans die vom Arbeitgeber beabsichtigte, noch in der Zukunft liegende Betriebsänderung. Dementsprechend ist in §§ 111 Satz 1, 112 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 Satz 1, 112a Abs. 1 Satz 1 BetrVG stets von der „geplanten” Betriebsänderung die Rede. Anknüpfungspunkt für die Beteiligungsrechte des Betriebsrats ist die Planung des Arbeitgebers.[50] Maßnahmen, die später erst entschieden werden, können daher nicht nachträglich zu Lasten des Arbeitgebers zur Bejahung einer Betriebsänderung führen. Ebenso wenig genügt die bloße Tatsache, dass die mehreren Entscheidungen letztlich auf ein und dieselbe wirtschaftliche Entwicklung zurückgehen. Dies macht die jeweiligen Entscheidungen noch nicht zu einer einheitlichen Maßnahme.[51]

34

In Betrieben mit 20 oder weniger Arbeitnehmern kann auf die Zahlengrenzen des § 17 KSchG nicht ohne Weiteres zurück gegriffen werden, da hiernach wenigstens 20 Arbeitnehmer beschäftigt werden müssen. Im Schrifttum ist diese Frage umstritten. Teilweise wird die Auffassung vertreten, die Zahlenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG seien fortzuschreiben, so dass eine Betriebsänderung vorliege, wenn 30 % bzw. ein Drittel der Belegschaft entlassen werde. Nach anderer Auffassung ist der Schwellenwert des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KSchG zu halbieren mit der Folge, dass in Kleinbetrieben mit bis zu 20 Beschäftigten ein erheblicher Teil der Belegschaft von einer Betriebsänderung betroffen ist, wenn mindestens drei Arbeitnehmer betriebsbedingt ausscheiden. Die Gesetzesbegründung zum Betriebsverfassungsreformgesetz macht jedoch deutlich, dass mit der Anknüpfung des Schwellenwerts in § 111 Satz 1 BetrVG an die Unternehmensgröße an den Tatbestandsvoraussetzungen für das Vorliegen einer konkreten Betriebsänderung nichts geändert werden sollte. Es war gerade nicht Zweck der Gesetzesänderung, für Arbeitnehmer in Kleinbetrieben die Anforderungen an eine Betriebsänderung herabzusetzen. Es sollte lediglich verhindert werden, dass sich Unternehmen durch eine organisatorische Aufgliederung in einzelne Betriebseinheiten der Beteiligungsrechte des Betriebsrats nach § 111 BetrVG entziehen. Hiervon ausgehend sprechen daher die besseren Gründe dafür, auch in Kleinbetrieben mit bis zu 20 Arbeitnehmern eine Betriebsänderung durch alleinigen Personalabbau nur dann anzunehmen, wenn hierdurch die Mindestzahl des § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG – sechs Arbeitnehmer – erreicht wird.[52] Das BAG geht dementsprechend folgerichtig davon aus, dass in Kleinbetrieben mit bis zu 20 Arbeitnehmern für eine Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG durch alleinigen Personalabbau mindestens sechs Arbeitnehmer betroffen sein müssen.[53]

35

Nur dann, wenn dieser Schwellenwert überschritten ist, kann mithin davon ausgegangen werden, dass ein erheblicher Teil der Belegschaft betroffen ist. Eine Fortsetzung der Richtzahlen des § 17 Abs. 1 KSchG nach unten fortzusetzen, erscheint nicht sachgerecht, da § 111 BetrVG bei personellen Einzelmaßnahmen keine Anwendung finden kann und diese Grenze ansonsten verschwimmt.[54]