Tax Compliance

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c) Mögliche Konsequenzen aus der Verletzung von Anzeigepflichten

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Werden die obigen Anzeige- bzw. Anmeldepflichten vom Unternehmen nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt, so kann die Finanzverwaltung die Pflichten in steuerlicher Hinsicht mit den §§ 328 ff. AO zu erzwingen versuchen, also Zwangsgeld, Ersatzvornahme und ggf. auch unmittelbarem Zwang. Hiergegen sind die üblichen Rechtsmittel wie Einspruch (§§ 347 ff. AO) und Klage gegeben, ggf. auch Antrag nach § 361 AO auf Aussetzung der Vollziehung. Ferner kann das Finanzamt aber auch mit Anordnung einer Betriebsprüfung (§§ 193 ff. AO) reagieren, sowohl auf eine (verspätete) Meldung wie eine Nichtmeldung (insoweit nur dann, wenn das Finanzamt anderweitig vom Auslandssachverhalt erfährt, häufig z.B. anonyme Anzeige z.B. von Konkurrenten).

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Daneben kann die Nichtbeachtung der Anzeigepflicht gem. § 138 Abs. 2 AO über die prüfungstechnischen Konsequenzen hinaus zu einer strafrechtlichen Ahndung in Form eines Bußgeldes führen. Wer vorsätzlich oder leichtfertig seiner Anzeigepflicht nicht vollständig oder nicht rechtzeitig nachkommt, begeht eine Steuergefährdung i.S.d. § 379 Abs. 2 Nr. 1 AO, wenn die Handlung bzw. das Unterlassen nicht bereits als leichtfertige Steuerverkürzung nach § 378 AO geahndet werden kann (§ 379 Abs. 4 AO). Letzteres setzt die Feststellung des Tatbestandsmerkmals einer Steuerverkürzung voraus.

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Verstöße gegen die Mitwirkungspflichten gem. § 137 AO und § 138 Abs. 1 AO können nicht zu steuerstrafrechtlichen Konsequenzen führen. Demgegenüber können aber auch Verstöße gegen die Anmeldepflicht nach § 139 Abs. 1 AO in steuerstrafrechtliche Konsequenzen münden, dies in Form einer Verfolgung als Ordnungswidrigkeit, wenn das jeweilige Verbrauchsteuergesetz eine entsprechende Ermächtigung dazu aufweist, z.B. § 30 Tabaksteuergesetz oder § 24 Biersteuergesetz.

d) Vermeidung steuerlicher und steuerstrafrechtlicher Konsequenzen über eine Tax Compliance-Struktur

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Es versteht sich, dass die Mitwirkungspflichten i.S.d. §§ 137–139 AO bei Vorliegen entspr. Sachverhalte im Unternehmen zur Vermeidung steuerlicher und ordnungswidrigkeitenrechtlicher Konsequenzen einen festen Platz in der Risikoanalyse eines Tax Compliance-Managements im oben erörterten Sinne (vgl. Rn. 27 ff.) haben müssen. Dies gilt ganz besonders für die Vorschrift des § 138 Abs. 2 AO.

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Zunächst müssen i.S.d. Zuordnung von Verantwortungsbereichen entsprechende Personen, zumindest ein verantwortlicher Mitarbeiter und ein Vertreter, als Verantwortliche für die monatlichen bzw. die fünf monatige Frist des § 138 Abs. 3 AO benannt werden. Des Weiteren muss i.S.d. Unternehmenskommunikation zunächst die Schulung des oder der betreffenden Mitarbeiter geregelt sein, anschließend die entsprechenden Kommunikationswege und Meldepflichten. Wer hat wann an wen zu melden? Ebenso muss ein Notfallplan geregelt werden, der die Nachholung etwaig doch versäumter Anzeige- und Meldepflichten regelt. In diesem Zusammenhang muss ganz besonders auf eine Regelung geachtet werden, wer eine solche Nachholung der Meldung zunächst von den Steuerverantwortlichen des Unternehmens zu prüfen und anschließend freizugeben hat. Es muss sich um eine Person handeln, die etwaige weitere, nicht nur steuerrechtliche, sondern auch steuerstrafrechtliche und prüfungstechnische Konsequenzen überblicken kann. Es muss in taktischer Hinsicht geregelt sein, ob möglicherweise für die Vertretung im weiteren Verfahren ein externer Berater i.S.d. § 80 AO zugezogen werden muss.

2. Besondere Mitwirkungspflichten im Bereich der Führung von Büchern und Aufzeichnungen sowie Aufbewahrungspflichten (§§ 140–148 AO)

a) Ziel und Zweck der Mitwirkungspflichten zur Führung von Büchern/Aufzeichnungen

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Auch diese eigenständigen Mitwirkungspflichten haben letzten Endes die Durchführung einer gleichmäßigen Besteuerung durch die Finanzbehörden (§ 85 AO) zum Ziel: Sie sollen das steuerpflichtige Unternehmen präventiv in die Lage versetzen, der Pflicht zur Abgabe seiner Steuererklärungen (§§ 149, 150 AO, dazu nachfolgend Rn. 85) anhand ordnungsgemäßer Aufzeichnungen (§§ 145, 146 AO) und darum zuverlässig und rechtmäßig nachkommen zu können.[25] Diese gesetzlichen Vorgaben lesen sich (fast) wie ein Auszug aus einem Compliance-Handbuch, was bereits die praktische Relevanz der Vorschriften für das Besteuerungsverfahren des Unternehmens im vorliegenden Zusammenhang deutlich macht.

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Wie eingangs des Kap. schon dargelegt, konkretisieren die §§ 140 ff. AO für den Bereich der Buchführung die allgemeinen Pflichten des Unternehmens zur Mitwirkung (gem. § 90 Abs. 1 AO, s.oben Rn 15 ff..) bei der Sachverhaltsermittlung durch das Finanzamt. Denn die Pflichten gem. §§ 140 ff. AO dienen der Dokumentation und der Überprüfbarkeit des materiell zutreffenden Besteuerungsergebnisses des Unternehmens.[26] Sie sind gesetzessystematisch und temporär den weiteren Mitwirkungspflichten, insb. denjenigen zur Steuererklärung (§§ 149 ff. AO, dazu unten Rn 85), vorgelagert. Die Aufzeichnungen müssen gem. § 147 AO aufbewahrt werden, damit sie von den Finanzbehörden im Nachhinein, insb. durch die Außenprüfung (§§ 193 ff. AO, dazu nachfolgend Rn. 117 ff.) als wirksamstes Ex-Post-Instrument zur Verifikation der Richtigkeit der Buchführung und insb. der Steuererklärung des steuerpflichtigen Unternehmens, überprüft werden können.

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Es wird diesseits nicht verkannt, dass es sich bei den Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten des Unternehmens um eine der ureigensten Tätigkeiten und Pflichten fast aller Unternehmer, vom Gastwirt als Einzelunternehmer bis zum börsennotierten Konzern, handelt und daher bereits eine entsprechende Struktur sowie Erfahrungen aus der Vergangenheit in den allermeisten Unternehmen vorhanden sind. Sei es in der Form einer Auslagerung der Pflicht auf externe Buchführungsgesellschaften und -gehilfen, wie etwa Steuerberatungsgesellschaften, oder eine eigene Buchhaltungsabteilung im Unternehmen. Daher werden diese Pflichten hinsichtlich ihres materiellen Inhalts, erst recht im vorliegenden Zusammenhang der Compliance, verhältnismäßig kurz behandelt.

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Auf der anderen Seite darf aber gerade in diesem Zusammenhang nicht übersehen werden, dass die Buchhaltung aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung auch der Finanzverwaltung in den letzten Jahren geradezu zum Haupt-Einfallstor für steuerliche Hinzuschätzungen und/oder die Einleitung von Steuerstrafverfahren gegen die Verantwortlichen des Unternehmens geworden ist. Man wird das Gefühl nicht los, dass es sich manche Betriebsprüfer geradezu zum „Hobby“ gemacht haben, über den Datenträgerzugriff und die den Betriebsprüfungsstellen zur Verfügung gestellte Prüfungssoftware wie „IDEA“ oder nachfolgend „AIS TaxAudit“ zur Aufdeckung von (angeblichen) Kassenfehlbeträgen an einigen Tagen zu kommen, um damit die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung des steuerpflichtigen Unternehmens zumindest zu erschüttern oder aber ganz zu verwerfen. Von anderen Mängeln der Buchführung, wie dem Fehlen zusammenhängender Z-Bons sowie nunmehr aufgrund der Nichterfüllung weiterer Verschärfungen im Bereich der elektronischen Kassenführung,[27] ganz zu schweigen.

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Bereits diese erweiterten Prüfungsmöglichkeiten der Finanzbehörden sowie die weiters verschärften gesetzlichen Voraussetzungen, zumindest aber der GoBD v. 14.11.2014 als verwaltungsinterner Richtlinien,[28] zeigen die Notwendigkeit, im Rahmen einer Tax Compliance-Regelung ein ganz besonderes Augenmerk auf die Regelung betreffend die steuerliche Buchführung zu legen. Dies gilt erst Recht, wenn man sich die im vorliegenden Zusammenhang weitaus wichtigeren, möglichen Risiken und Konsequenzen aus der Verletzung dieser Pflichten sowohl in steuerlicher, als auch v.a. in steuerstrafrechtlicher Hinsicht ansieht. Das erfolgt a.E. dieses Abschnittes.

b) Adressaten der Buchführungs-, Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten

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Die Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten sowie Aufbewahrungspflichten gehören zu den elementaren steuerlichen Verpflichtungen i.S.d. §§ 33 Abs. 1 AO und 34 AO. Daher obliegen auch diese selbstständigen Mitwirkungspflichten im weitesten Sinne, wie oben unter Rn. 7 ff. bereits dargestellt, rechtlich zunächst der Unternehmensleitung. D.h. bei Einzelunternehmen dem Inhaber, bei der OHG an sich jedem Teilhaber, bei der KG den persönlich haftenden und den zur Geschäftsführung berufenen Gesellschaftern (§§ 245, 114, 118, 161 Abs. 2 HGB), bei der AG dem Vorstand (§ 91 AktG), bei der GmbH den Geschäftsführern (§ 41 GmbHG). Das sind die steuerrechtlich Verantwortlichen, ggf. auch steuerstrafrechtlich. In der Praxis delegieren sie allerdings ihre Pflichten diesbezüglich an Buchhaltungsabteilungen oder externe Gesellschaften, was allerdings an ihrer rechtlichen Verantwortlichkeit nichts ändert.

 

c) Zum Inhalt der Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten gem. §§ 140–146 AO

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Steuerliche Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten ergeben sich zum einen originär aus steuerlichen Vorschriften wie z.B. aus §§ 22 UStG für Zwecke der USt., § 4 Abs. 3 S. 5 EStG betreffend das Verzeichnis der Anschaffungs- und Herstellungskosten nicht abnutzbarer Wirtschaftsgüter oder § 4 Abs. 7 EStG, gesonderte Aufzeichnung der nicht abziehbaren Betriebsausgaben i.S.v. § 4 Abs. 5 EStG (wozu insbesondere auch § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG mit dem Verbot der Vorteilszuwendung, früher „nützliche Aufwendungen“ gehört). Zum anderen ergeben sich die Pflichten aus anderen Gesetzen als Steuergesetzen, wie v.a. dem HGB, AktG und GmbHG. Gemeint sind mit den nicht steuerlichen Vorschriften v.a. die handelsrechtlichen Buchführungsvorschriften für Kaufleute gem. §§ 238 ff. HGB, aber auch diejenigen für bestimmte Betriebe und Berufe im Rahmen einer Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen (vgl. AEAO zu § 140 AO S. 3).

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§ 141 AO begründet demgegenüber subsidiär eine Buchführungspflicht für Unternehmen, für die nicht bereits eine Buchführungspflicht nach § 140 AO besteht.

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§ 145 AO fasst die allgemeinen Grundsätze über die Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Buchführung zusammen: Danach muss die Buchführung so beschaffen sein, dass sie einem sachverständigen Dritten, i.d.R. also einem Finanzbeamten, aber auch einem Insolvenzverwalter, Steuerberater etc., innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle und die Lage des Unternehmens vermitteln kann. Dies gilt für sämtliche Buchführungspflichtige, sowohl i.S.v. § 140 AO als auch § 141 AO. Gleichwohl kommt § 145 AO nur eine sehr geringe Bedeutung zu, da die meisten Buchführungspflichtigen bereits nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung (GoB) diesem Ziel unmittelbar unterworfen sind. Zum anderen wird § 145 AO faktisch durch die Regelung des § 146 AO, der spezielle Anforderungen an die Erfassung von Geschäftsvorfällen (§ 146 Abs. 1 AO) und an einzelne Buchungen (§ 146 Abs. 3, 4 AO) stellt, verdrängt. Außerdem ist i.R.d. Buchführungspflichten die nachfolgend gesondert erörterte Aufbewahrungspflicht für das Unternehmen gem. § 147 AO in der Praxis von zentraler Bedeutung.

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§ 146 Abs. 1 AO verlangt, dass die Buchführungsaufzeichnungen vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorzunehmen sind. Die Vorschrift regelt damit die formellen Anforderungen an die steuerliche Buchführung, insbesondere die Aufzeichnungspflichten, die Lesbarkeit der Buchführung (Abs. 3) und ihre Unveränderbarkeit (Abs. 4).

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Zeitgerechte Verbuchung heißt in diesem Zusammenhang nicht, dass generell täglich gebucht werden muss. Der Zeitraum zwischen dem Geschäftsvorfall und seiner Verbuchung ergibt sich aus den gem. § 238 Abs. 1 S. 1 HGB zu beachtenden Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung.[35] Diese Grundsätze gebieten zwar für den Kassenverkehr (§ 146 Abs. 1 S. 2 AO) eine tägliche Verbuchung, aber für andere Geschäftsvorfälle eine Verbuchung innerhalb von längstens einem Monat, sofern die Buchführungsunterlagen organisatorisch gegen Verlust geschützt sind.[36] Die tägliche Buchung der Kasse, aber auch die zeitnahe Buchung der Geschäftsvorfälle insgesamt, ist häufig ein Problem bei kleineren Unternehmen. Haben diese überwiegend geschäftliche Auftraggeber, so dass der Zahlungsverkehr vorwiegend über die Bank erfolgt, wird oft überhaupt kein Kassenbuch/Kassenkonto geführt, sondern über „Bank“ gebucht. Auch dies erregt häufig den äußersten Argwohn der Finanzverwaltung. Es wird regelmäßig in einer Außenprüfung die Frage diskutiert, ob in dem betreffenden Unternehmen eine Kasse zu führen gewesen wäre oder tatsächlich zu Recht nicht geführt wurde.

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Nur eine Buchführung, die den Aufzeichnungspflichten des § 146 AO genügt und damit ordnungsmäßig ist, hat die Vermutung der Richtigkeit für sich (§ 158 AO), nur ihr kommt Beweiskraft in der Form zu, dass sie gem. § 158 AO der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Daher versuchen die Betriebsprüfer häufig, die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung zu erschüttern oder die Buchführung aufgrund angeblicher Verstöße ganz zu verwerfen, wie eingangs dieses Abschn. bereits angeführt. Dies mit den nachfolgend unter Rn. 62 ff.) erörterten Folgen und Konsequenzen.

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Bedeutsam, insbesondere für größere Unternehmen oder internationale Konzerne, ist die Verpflichtung gem. § 146 Abs. 2 AO Bücher und Aufzeichnungen im Geltungsbereich der AO, d.h. im Inland, aber nicht unbedingt am Sitz der Geschäftsleitung, zu führen. Letzteres Beispiel ist keine Voraussetzung. Eine Ausnahme vom Inlandsprinzip des § 146 Abs. 2 AO enthält § 146 Abs. 2a AO auf Antrag des Unternehmens für die elektronische Buchführung (Abs. 2a). Dies allerdings nur unter besonderen Voraussetzungen wie insb. der Möglichkeit des Datenzugriffes aus Deutschland nach § 147 Abs. 6 AO in vollem Umfange.

d) Mögliche Risiken und Konsequenzen bei Verstößen gegen die Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten der §§ 140–146 AO
aa) Festsetzung von Zwangsgeld

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Zunächst kann die Finanzbehörde das Unternehmen mittels der Zwangsmittel der §§ 328 ff. AO, also insb. Androhung und Festsetzung eines Zwangsgeldes (§§ 329, 332 ff. AO) bis insgesamt 25 000 EUR, zur Vorlage von Büchern und Aufzeichnungen bewegen. Dies gilt auch für die Vorlage etwaiger handelsrechtlicher Jahresabschlüsse, die regelmäßig die kreditgebenden Banken zeitnäher vor dem Finanzamt anfordern. Allerdings kann eine nachträgliche Aufstellung von Büchern und Aufzeichnungen oder gar eine Rekonstruktion der Buchhaltung ohne die Buchungsbelege nicht mit Zwangsgeld erzwungen werden.[37] Letzteres ist je nach Sachlage des Einzelfalles zwar oftmals angezeigt, kann dem steuerpflichtigen Unternehmen aber nur „freiwillig“ aufgebürdet werden.

bb) Die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen (§ 162 AO)

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Die steuerlich schwerwiegendste und am häufigsten in der Praxis angewendete Folge einer Verletzung von Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten des Unternehmens ist diejenige einer Hinzuschätzung gem. § 162 Abs. 2 S. 2 AO. Häufig gewinnt man den Eindruck, dass es der Betriebsprüfung, wie angeführt, hauptsächlich auf die Erzielung gerade dieser Rechtsfolge bei Beanstandungen der Buchführung des Unternehmens ankommt. Doch entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung führen nicht sämtliche Mängel einer Buchhaltung zu der Möglichkeit einer Hinzuschätzung im Rahmen einer sachgerechten Ermessensausübung durch das Finanzamt.

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Es ist zu unterscheiden zwischen schweren Mängeln, die die Buchführung in der Tat verwerfbar machen, wie z.B. gefälschten Belegen über Betriebsausgaben (u.U. auch strafbar als Urkundenfälschung, § 267 StGB), Installation einer Manipulationssoftware (insbesondere bei Ladenkassen), gehäuften rechnerischen Kassenfehlbeträgen oder fehlender Inventur.[38] In diesen Fällen kommt der Buchführung keine Beweiskraft nach § 158 AO zu. Das gilt jedenfalls für die genannten schweren materiellen Mängel der Buchführung, die die inhaltliche Richtigkeit des Buchführungsergebnisses beeinflussen.[39] Demgegenüber sind kleinere formelle Mängel der Buchführung unbeachtlich, z.B. kleinere Fehlbeträge in der Kasse, die auf menschliche Unzulänglichkeit – insbesondere wenn die Kasse von fremden Dritten, d.h. Angestellten ohne Beaufsichtigung des Unternehmers oder der Unternehmensleitung geführt wird – zurückzuführen sind.[40] Allerdings kommt es auch bei diesen formellen Mängeln, die sich auf einen Verstoß gegen die Ordnungsvorschriften der §§ 142 ff. AO beziehen, auf das sachliche Gewicht des formellen Buchführungsmangels an. Es kommt also darauf an, ob die sachliche Richtigkeit des Buchführungsergebnisses aufgrund des formellen Mangels angezweifelt werden kann oder nicht.[41]

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Zu beachten ist insoweit auch, dass allein ein Verstoß gegen die GoBD v. 14.11.2014 keinen Mangel der Buchführung darstellt. Denn die GoBD stellen nur eine interne Verwaltungsrichtlinie der Finanzverwaltung dar, die teilweise über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehen. Daher kommt es darauf an, ob der Verstoß gegen die GoBD v. 14.11.2014 auch einen Verstoß gegen die gesetzlichen Ordnungsvorschriften der §§ 142 ff. AO darstellt.[42]

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Des Weiteren ist einschränkend für die Schätzung gem. § 162 Abs. 2 AO der Grundsatz der Abschnittsbesteuerung zu beachten. Stellt das Finanzamt im Rahmen einer Betriebsprüfung schwere formelle Mängel in einem der drei Prüfungsjahre des regelmäßigen Prüfungszeitraumes (vgl. § 4 Abs. 3 BpO) fest, die eine Hinzuschätzung für dieses eine Jahr rechtfertigen, darf es daraus nicht ohne Weiteres zugleich auf formelle Mängel, jedenfalls nicht ohne weitere gesonderte Anhaltspunkte für diese Jahre, in den anderen beiden Prüfungsjahren schließen.[43] Die Schätzung ist also grundsätzlich aus rechtlicher Sicht auf das eine Jahr zu beschränken. Die Verwaltung sieht das in der Praxis aber zumeist anders, so dass Rechtsmittel geboten ist.