Tax Compliance

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b) Ermittlungen in sozialen Netzwerken und im Internet

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Die sozialen Netzwerke sind aus unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Es wird gepostet, getwittert und geliket, was das Zeug hält. Dabei werden eine Fülle von Information in die virtuelle Öffentlichkeit gestellt, von der merkwürdigerweise viele Nutzer ein Gefühl von Vertraulichkeit haben. Sie können sich nicht vorstellen, dass sich die Ermittlungsbehörden ebenfalls in den sozialen Netzwerken bewegen. Sie müssen dies aber tun. Der frühere reale Marktplatz wurde durch den virtuellen Marktplatz ersetzt. Es wäre nicht vermittelbar, wenn sich die Ermittlungsbehörde bei der Erforschung von Straftaten dort nicht ebenso bewegen würde wie der Teil der Gesellschaft, der die Straftaten begeht. Es gibt keinen ermittlungsfreien Raum im Internet.

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Rechtlich ist für solche Ermittlungen eine Anpassung der Eingriffsnormen an die geänderten virtuellen Verhältnisse erforderlich und möglich. Die allgemeine Ermittlungsbefugnis nach § 160 StPO reicht grundsätzlich aus, soweit nicht in Grundrechte der Bürger eingegriffen wird. Allerdings ist die Intimsphäre auch im Internet geschützt, gleichgültig, was der Bürger davon preisgibt.

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Die von den Nutzern in den sozialen Netzwerken hinterlassenen Informationen sind vielfältig und vielfach nützlich für Ermittlungen:


genaue Namen, Aliasnamen, Spitznahmen, Privatanschriften, weitere Aufenthaltsorte des Beschuldigten und dritter Personen?,
familiäres, befreundetes und berufliches Umfeld und sonstige Kontaktpersonen?,
genutzte Kfz, geplante berufliche und private Aktivitäten, oft sogar mit Fotos,
berufliche Tätigkeiten z.B. als Freelancer, die für die Bewerbung ihrer Fähigkeiten spezielle Plattformen entwickelt haben;
Erkenntnisse können im Einzelfall höchst praxisrelevante Erkenntnisse für Durchsuchungen oder die Vollstreckung von Haftbefehlen bringen.

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Bei der Nutzung der sozialen Netzwerke müssen die Fahnder allerdings gewisse Regeln beachten, um einerseits die Ermittlungen nicht zu gefährden (z.B. Benutzung neutraler Internetzugänge, Nutzung von Fake Accounts) und um sich andererseits nicht selbst Schadensersatzansprüchen auszusetzen (grundsätzlich keine Nutzung privater Accounts). Die Polizei ist hier Vorreiter bei der Schaffung der Regelungen, unter denen solche Ermittlungen rechtsstaatlich zulässig sein müssen.[80]

c) Schätzungsmethoden und deren Reichweite

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Das Instrument der Schätzung ist ein Mittel zur Ermittlung des Sachverhalts, das die Finanzverwaltung einsetzen muss, wenn der Sachverhalt trotz Anwendung der anderen Ermittlungsinstrumente immer noch offen ist und keine weiteren Ermittlungsmöglichkeiten bestehen. Es besteht kein Ermessen der Finanzverwaltung darüber, ob sie schätzen will, sondern in Fällen anderweitig nicht aufklärbarer Sachverhalte hat sie eine Pflicht zur Schätzung.

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Damit ist die steuerliche Schätzung bereits nach dem Gesetzeswortlaut Instrument zur Sachverhaltsermittlung. Sie ist weder Sanktion für unerwünschtes Verhalten (sog. Straf-Schätzungen sind rechtswidrig) noch Zwangsmittel (keine „Androhung“ einer Schätzung, sondern richtigerweise Gewährung rechtlichen Gehörs, § 91 AO).

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Ziel einer steuerlichen Schätzung ist die größtmögliche Wahrscheinlichkeit der geschätzten Besteuerungsgrundlagen. Nach dem Amtsermittlungsgrundsatz (§ 88 AO) muss das Finanzamt dabei sowohl steuererhöhende wie steuersenkende Umstände berücksichtigen. Wenn die Umsatzerhöhung ohne zusätzlichen Wareneinkauf oder zusätzliche Löhne nicht wahrscheinlich ist, müssen diese als zusätzliche Betriebsausgaben ebenfalls geschätzt werden.

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Allerdings reduziert sich der zu erreichende Wahrscheinlichkeitsmaßstab umso mehr, als die Unaufklärbarkeit des Sachverhaltes auf Verletzung der Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen zurückzuführen ist. Je stärker die Mitwirkungspflichtverletzung, desto geringer sind die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schätzungsergebnisses.[81] Das führt jedoch niemals zu einer völligen Umkehr der Beweislast, sondern nur zu Beweismaßerleichterungen für die Finanzverwaltung.[82]

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Schätzungen sind auch im Strafrecht zulässig, wenn sich der Sachverhalt nicht anders ermitteln lässt. Grundsätzlich gibt es strafrechtlich keine anderen Schätzungsmethoden wie im Steuerrecht. Bei der strafrechtlichen Schätzung müssen jedoch die andersgearteten strafrechtlichen Verfahrensgrundsätze beachtet werden, so dass der Strafrichter die Schätzung des Finanzamtes nur nach sorgfältiger Prüfung der Einhaltung dieser strafrechtlichen Grundprinzipien übernehmen darf.

aa) Schätzungsanlässe

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Neben den Schätzungen, die sich aus allgemeinen Grundsätzen des Steuerrechts ergeben (z.B. Teilwert-Schätzung von Wirtschaftsgütern, Schätzung von Aufteilungsmaßstäben bei der Vorsteuer, Schätzung der Nutzungsdauer von Wirtschaftsgütern etc.) sind steuerstrafrechtlich überwiegend Schätzungen wegen Pflichtverstößen des Steuerpflichtigen von Relevanz. Es kommen dabei in Betracht:


Nichtabgabe von Steuererklärungen, deren Abgabe gesetzlich vorgeschrieben ist,
keine oder keine ordnungsgemäße Buchführung,
Verstoß gegen Auskunftspflichten, § 162 Abs. 2, 2. Alt. AO i.V.m. § 93 AO,
Verstoß gegen die erweiterten Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten nach § 90 Abs. 2 AO: Verstoß gegen Beweisvorsorgeverpflichtung,
Verletzung der Buchführungspflicht, die weiter zu differenzieren ist zwischen formell und materiell fehlerhaft.

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Eine bloß formell fehlerhafte Buchführung liegt vor, wenn gegen Ordnungsvorschriften der AO und aus anderen Gesetzen verstoßen worden ist, die steuerliche Bedeutung haben (§ 140 AO). Es sind dies überwiegend die Verstöße gegen §§ 143 ff. AO. Eine formell fehlerhafte Buchführung berechtigt das Finanzamt grundsätzlich noch nicht zu Zuschätzungen, wenn nicht auch materielle Fehler vorliegen. Allerdings zeigt sich in neuerer Zeit bei größeren formellen Fehlern die Neigung der Finanzverwaltung, Zuschätzungen vorzunehmen ohne die Feststellung von materiellen Fehlern. Die Diskussion dürfte sich entwickeln, was unter größeren formellen Fehlern zu verstehen sein dürfte.

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Materielle Fehler der Buchführung liegen vor bei Unvollständigkeit der Aufzeichnungen, Fehlbuchungen, Kassenfehlern o.Ä., die insgesamt Zweifel an der Richtigkeit des Zahlenwerkes zu wecken vermögen. Dadurch wird die Vermutung des § 158 AO erschüttert, wonach die ordnungsgemäße Buchführung der Besteuerung zugrunde zu legen ist, so dass das Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen schätzen darf (und muss). Die wichtigsten Indizien für materielle Fehler ergeben sich aus Nachkalkulationen, Geldverkehrs- und Vermögenszuwachsrechnung oder ungeklärten Mittelzuflüssen.[83]

bb) Schätzungsmethoden

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Die Finanzverwaltung hat eine Vielzahl von Schätzungsmethoden entwickelt, die angepasst an den jeweiligen Einzelfall eingesetzt werden können. Die Überzeugungskraft der Schätzung steigt, wenn mehrere parallel angewandte Methoden zu ähnlichen Ergebnissen kommen, weswegen darauf nicht verzichtet werden sollte.

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Die Methoden im Überblick:


a)

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b) Ausbeute – Kalkulation rechnet z.B. vom Wareneinkauf (WES) und dem Aufschlagsatz (RAS) hoch zum rechnerischen wirtschaftlichen Umsatz (WUS) und vergleicht den Wert mit dem tatsächlich deklarierten Umsatz. Die Methode funktioniert nur gut bei einfach strukturierten Betrieben oder wird ansonsten sehr arbeitsintensiv.

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c)

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d) Geldverkehrsrechnung (GVR) geht vom Grundgedanken aus, dass niemand mehr Geld ausgeben kann als er eingenommen hat (ohne Sparkonten). Es werden daher die Zu- und Abflüsse verglichen, um eine Aussage darüber treffen zu können, ob der Lebensstandard von dem Einkommen bestritten werden konnte – oder ob es zusätzliche (nicht erklärte bzw. bisher nicht bekannte) Einnahmen gegeben haben muss.

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e) Vermögenszuwachsrechnung (VZR) ist sehr ähnlich zur GVR und hinterfragt, ob die Vermögenszuwächse mit den vorhandenen Einnahmen und Vermögen finanziert werden konnten. GVR und VZR setzen möglichst lückenlose Informationen über Einnahmen, Ausgaben und Konten voraus.

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f)

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g) Chi2–Test und Benfords Law sind statistische Auswertemethoden, die eine Aussage darüber zulassen, ob eine Reihe von wirtschaftlich entstandenen Zahlen (wie z.B. die Tageseinnahmen von zwei Jahren) zufällig verteilt sind oder eine Störung der statistischen Normalverteilung vorliegt. Falls das so ist, muss nach Gründen dafür gesucht werden. Lassen sich keine nachvollziehbaren anderen Gründe finden, besteht ein Indiz dafür, dass die Zahlenfolgen manuell beeinflusst worden sind wie es beim freien Erfinden von Tageseinnahmen (unter Weglassen der echten Einnahmen) vorkommt.

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h) Statistisches Wahrscheinlichkeitsnetz sowie sog. Summarische Risiko Prüfung (SRP) benutzen ebenfalls die Methoden der Statistik und versuchen die Abweichung der erklärten Tageseinnahmen (oder jeder anderen wirtschaftlich entstandenen Zahlenreihe) von der nach der statistischen Normalverteilung zu erwartenden Verteilung zu bestimmen. Die Differenz könnte im obigen Beispiel bei Tageseinnahmen der wahrscheinlich erzielte Schwarz – Umsatz sein. Die Wahrscheinlichkeit liegt bei den von der Finanzverwaltung verwendeten Programmen höher als 99 %. Während Chi2–Test und Benfords Law nur eine Aussage über Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit einer Zahlenreihe machen, kann die SRP eine Aussage darüber machen, um wie viel die Wahrscheinlichkeit gestört ist und kommt damit zu konkreten Schätzungszahlen. Eine gerichtliche Überprüfung dieser Methode steht aber derzeit noch aus.

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Weitere Schätzungsmethoden können sich je nach Einzelfall angepasst auf die Situation ergeben.

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Eine fundierte Schätzung macht Mühe. Das Ziel der größtmöglichen Wahrscheinlichkeit ihres Ergebnisses sollte begleitet sein vom Nebenziel einer größtmöglichen Überzeugungskraft des gefundenen Ergebnisses, wozu regelmäßig mehrere Methoden nebeneinander zur Anwendung kommen sollten.

d) Empfängerbenennung, § 160 AO

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Ein in Prüfungen häufig angewandtes Instrument ist die Empfängerbenennung von Betriebsausgaben nach § 160 AO, dessen Grundansatz häufig falsch verstanden wird. Die Vorschrift schafft – ähnlich wie § 159 AO – eine Gefährdungshaftung zu Lasten des die Betriebsausgaben geltend machenden Unternehmers, mit der ein möglicher Steuerausfall beim Zahlungsempfänger ausgeglichen werden soll.

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Eigentlich wären die vom Zahlenden geltend gemachten (steuermindernden) Aufwendungen beim Zahlungsempfänger als (steuererhöhende) Betriebseinnahmen zu erfassen. Da das aber nicht sichergestellt und auch nicht zu kontrollieren ist, weil der wahre Zahlungsempfänger durch den zahlenden Unternehmer nicht benannt wird. Dadurch schafft der Zahlende eine Gefährdungslage, die es rechtfertigt, ihn in Anspruch zu nehmen. Er hätte es ja regelmäßig jederzeit in der Hand, der Aufforderung des Finanzamtes nachzukommen und den wahren Empfänger zu benennen. Tut er das nicht, muss er für eine fremde Steuer einstehen.

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Das wird dadurch erreicht, dass beim Zahlenden die betreffenden Betriebsausgaben[87] ganz oder teilweise nicht zum Abzug zugelassen werden, so dass dadurch sein Gewinn ansteigt und die ihm gegenüber festzusetzende Steuer um den Betrag ansteigt, in dessen Höhe der Steuerausfall beim Zahlungsempfänger vermutet wird. Es geht also im Endergebnis gar nicht um die Steuer des Zahlenden, sondern um die Steuer des Zahlungsempfängers. Die Steuererhöhung beim Zahlenden ist nur der Weg zur Beseitigung der Gefährdung infolge der möglichen Nichtversteuerung beim Zahlungsempfänger.

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In der Anwendung bedeutet § 160 AO eine Kombination von Ermessensentscheidungen und Schätzung:


(1) Entschließungsermessen, ob an den Steuerpflichtigen ein Benennungsverlangen zu richten ist und
(2) Ermessensentscheidung über die Hinzurechnung – dem Grunde nach: ist der Empfänger hinreichend konkret benannt oder nicht; – der Höhe nach: wie hoch muss hinzugerechnet werden, um den befürchteten Steuerausfall beim Zahlungsempfänger auszugleichen.

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Hierbei darf der Steuersatz des Zahlungsempfängers im Bereich eines höheren Steuersatzes (ca. 35–40 %) geschätzt werden. Je niedriger der Steuersatz des Zahlenden ist, desto höher muss die Hinzurechnung ausfallen (max. aber 100 %), um den Steuerausfall beim Zahlungsempfänger zu kompensieren. Hat der Zahlende einen hohen Steuersatz, braucht bei ihm nur ein Teil der Betriebsausgaben zugerechnet zu werden, um die Steuergefährdung auf der Ebene des Zahlungsempfängers zu beseitigen.

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Das Instrument ist einerseits gut geeignet, das fiskalische Interesse an der Reduzierung einer Steuergefährdung zu befriedigen. Es ist aber andererseits ebenso gut geeignet, das Ermittlungsinteresse eines Prüfers zu besänftigen, indem der Zahlungsempfänger gerade nicht benannt wird. Das führt zwar in der Regel zur gewinnerhöhenden Hinzurechnung von Betriebsausgaben (und damit indirekt zu einem Mehrergebnis des Prüfers – sein eigentliches Ziel), aber nicht zur Aufdeckung des hinter der Zahlung steckenden tatsächlichen Vorgangs, der möglicherweise viel sensibler ist. Insbesondere bei korruptiven Vorgängen würde ja erst durch die Benennung des Zahlungsempfängers der Verdacht auf eine Bestechung geweckt werden, der dann vom Betriebsprüfer nach § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 10 EStG an den Staatsanwalt weitergegeben werden müsste – häufig die viel gravierendere Folge.

3. Strafprozessuale Eingriffe

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Nach der Einleitung des Steuerstrafverfahrens ist grundsätzlich über das weitere Vorgehen zu entscheiden. Wenn der Ermittlungsaufwand gering oder der Sachverhalt in einfach gelagerten Fällen schon vollständig bekannt ist, kommt die weitere Bearbeitung unmittelbar durch die BuStra in Betracht. Der Fall wird dann an diese abgegeben und dort bearbeitet.

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Ist der Fall von erheblicher Bedeutung, bedarf es vielleicht eines Haftbefehls und/oder Auslandsermittlungen oder liegt ein anderer Abgabegrund[88] vor, ist der Fall der Staatsanwaltschaft vorzutragen und ggf. an diese abzugeben.

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Bleibt der Fall zur Bearbeitung bei der Steuerfahndung, kommen je nach Schwere des Tatverdachtes und den Umständen des Einzelfalls die Bearbeitung in einem schriftlichen Verfahren, ein Spontanbesuch beim Verdächtigen oder die strafprozessuale Durchsuchung (§ 102 StPO) in Betracht.

a) Ermittlungen auf niederer Schwelle

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Lassen sich die Ermittlungen ohne Durchsuchung auf niederer Schwelle führen, wird der Steuerfahndungs – Sachgebietsleiter das anstreben. In Betracht kommt ein schriftliches Verfahren in einfach gelagerten, massenhaft auftretenden Fällen wie z.B. bei der Welle der Kapitalanlegerfälle ab 2010. Je nach Umfang der schon vorhandenen Informationen ist in diesen Fällen eine Durchsuchung beim Verdächtigen, auch angesichts des damit verbundenen Aufwands, nicht erforderlich.

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Dem Verdächtigen wird schriftlich die Einleitung des Steuerstrafverfahrens mitgeteilt und er wird ebenso schriftlich über seine Rechte belehrt. Gleichzeitig wird er aufgefordert die erforderlichen Unterlagen beizubringen um die Steuer korrekt festsetzen zu können. Zwar ist der Beschuldigte nach dem „nemo tenetur-Grundsatz“ strafrechtlich nicht verpflichtet, zu seiner Belastung beizutragen, § 136 Abs. 1 S. 2 StPO. Zur steuerlichen Mitwirkung bleibt er aber trotz der Einleitung des Strafverfahrens weiter verpflichtet. Seine Mitwirkung im Besteuerungsverfahren kann zwar nicht erzwungen werden (§ 393 Abs. 1 S. 2 AO), aber das kommt in diesen Verfahren ohnehin nicht in Frage. Allerdings ist dann die Finanzverwaltung berechtigt, die Besteuerungsgrundlagen, die nicht auf andere Weise ermittelt werden können, zu schätzen, § 162 AO.

 

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Der Beschuldigte muss sich nun zwischen Kooperation oder Nicht–Kooperation entscheiden und hat im Grunde genommen fast die Wahl zwischen Regen und Traufe.

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Wählt der Beschuldigte die Kooperation zahlt sich das in den meisten Fällen aus, denn die Ermittlungsbehörde hat durch die Wahl des schriftlichen Verfahrensweges schon deutlich gemacht, dass sie den Fall nicht so hoch hängen will. Je nach Umfang der Steuerhinterziehung kann daher die vollumfängliche Kooperation der Weg zur Verfahrenseinstellung gegen Auflage (§ 153a StPO) oder zu einem „kleinen“ Strafbefehl sein, §§ 407 ff. StPO. Bei dieser Art von Verfahren geht es ja meist nicht mehr um Schuld oder Unschuld, sondern nur noch darum, das Strafverfahren ordentlich zu managen, wenn man nun einmal „ertappt“ ist. Hier kann das Nachtat – Verhalten ein wichtiger Milderungsgrund sein.[89]

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Dabei kann es gefährlich sein, sich nur für eine eingeschränkte Kooperation zu entscheiden nach dem Motto „Ich gebe alles zu, was Sie mir nachweisen können!“ Das macht m.E. aus Verteidigersicht nur Sinn, wenn bekannt ist, was die Finanzbehörde weiß bzw. nicht weiß. Strafrechtlich wirkt es sich meist nachteilig aus, wenn der Beschuldigte seine Kooperation je nach Vorhalt des Ermittlers stückweise erweitern muss.

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Entscheidet sich der Beschuldigte für Nicht–Kooperation, so muss die Ermittlungsbehörde ihr weiteres Vorgehen überdenken. Einmal abgesehen davon, dass es dem Ermittler nachträglich leid tut, sich für das schriftliche Verfahren entscheiden zu haben, kommt jetzt immer noch eine Durchsuchung in Betracht. Mögen deren Erfolgsaussichten auch deutlich geringer sein als sie ursprünglich (vor dem schriftlichen Verfahren) gewesen waren, verbleibt doch immer noch eine Auffindungsvermutung, die die Beantragung eines Durchsuchungsbeschlusses rechtfertigt. Daher sollte bei der Entscheidung zur Nicht–Kooperation die psychische Belastung der Durchsuchung seitens des Beschuldigten auch im Interesse seiner Angehörigen berücksichtigt werden.

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Steuerlich kann/muss die Finanzbehörde in diesen Fällen zum Instrument der Schätzung greifen, § 162 AO. Dieses kann mehr oder minder erfolgreich eingesetzt werden, je nachdem welche Informationen der Finanzbehörde vorliegen. Der nicht kooperierende Beschuldigte spielt in dieser Situation ein wenig Roulette. Hat die Finanzbehörde ausreichend Informationen für eine nicht angreifbare Schätzung, war seine Nicht–Kooperation strafrechtlich schädlich ohne dadurch steuerliche Vorteile erlangt zu haben. Zudem erfordert der Angriff von Schätzungsbescheiden, wenn diese nicht grob fehlerhaft sind, häufig die Vorlage derselben Unterlagen, die die Finanzbehörde schon zu Beginn des Verfahrens von ihm angefordert hat. Nunmehr muss er sie zur Begründung seiner Klage gegen den Schätzungsbescheid vorlegen – kein großer Gewinn.[90]

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Die Nicht–Kooperation kann aus Beschuldigtensicht dann Sinn machen, wenn die Finanzbehörde wenig weiß, so dass die Schätzung relativ niedrig ausfallen muss, um den möglichen Schätzungsrahmen nach Aktenlage nicht zu verlassen.

„Schätzen Sie mal – vielleicht gefällt es mir!“