Tax Compliance

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b) Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in diesem Staat auf unbestimmte Zeit

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Die ausländische Gesellschaft muss eine wirtschaftliche Tätigkeit zum Erwerbszweck ausüben, und zwar mittels einer festen Einrichtung im Aufnahmemitgliedstaat.[78] Eine feste Einrichtung setzt eine physische Präsenz im Aufnahmemitgliedstaat voraus. Im Aufnahmemitgliedstaat darf nicht nur eine Geschäftsadresse, eine Bankkontoverbindung oder ein Telefonanschluss mit einem Anrufbeantworter bestehen. Die ausländische Gesellschaft darf auch nicht lediglich unter der Adresse einer Anwaltskanzlei domizilieren.[79]

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Es müssen eigene oder angemietete Räumlichkeiten und eine der jeweiligen Funktion und dem – im Zeitablauf möglicherweise variierenden – Geschäftsumfang der betreffenden Gesellschaft angemessene Ausstattung mit Personal sowie Geld- und Sachkapital bestehen. Die jeweilige feste Einrichtung im Aufnahmemitgliedstaat muss der Abwicklung der Geschäftsvorgänge dienen, die die Geschäftstätigkeit der betreffenden Gesellschaft (z.B. Finanzierungstätigkeit, Holdingtätigkeit) erfordert.[80]

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In diesem Zusammenhang ist ferner von Bedeutung, dass der BFH in dem vorgenannten Urteil vom 13.10.2010[81] für einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb auch darauf abgestellt hat, dass vor Ort Handelsbücher geführt, Bilanzen erstellt und die Geschäftskorrespondenz aufbewahrt wurden. Die ausländische Gesellschaft sollte diesen Verpflichtungen, möglicherweise einschließlich der Prüfung der Jahresabschlüsse vor Ort, im Aufnahmemitgliedstaat nachkommen.

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Ein in kaufmännischer Weise eingerichteter Betrieb i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 3–5 AStG der ausländischen Gesellschaft entfaltet eine Indizwirkung für eine gegebene tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit i.S.d. § 8 Abs. 2 AStG.[82] Dennoch verlangt der Gesetzgeber auch bei vorliegendem in kaufmännischer Weise eingerichteten Betrieb den Nachweis einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit i.S.d. § 8 Abs. 2 AStG.[83]

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Die wirtschaftliche Tätigkeit der ausländischen Gesellschaft muss zudem auf unbestimmte Zeit ausgeübt werden. Es liegt in der Natur dieser zeitlichen Vorgabe des EuGH, dass eine genaue Bestimmung dieses Zeitraums nur schwer möglich ist. Deshalb dürfte für den Nachweis des § 8 Abs. 2 AStG entscheidend sein, dass nicht nur eine vorübergehende, sondern eine dauerhafte Integration im Aufnahmemitgliedstaat beabsichtigt ist.[84]

c) Greifbares Vorhandensein der beherrschten ausländischen Gesellschaft (Geschäftsräume, Personal, Ausrüstungsgegenstände)

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Nach den Anforderungen des EuGH müssen bei der ausländischen Gesellschaft, entsprechend der Forderung nach einer festen Einrichtung im Aufnahmemitgliedstaat, (eigene oder angemietete) Geschäftsräume vorhanden sein, in denen (ständig) eigene Mitarbeiter mit den notwendigen Ausrüstungsgegenständen (Sach- und Geldkapital) konkret mit der Geschäftstätigkeit der Gesellschaft (z.B. Finanzierungs-, Holdingtätigkeit) befasst sind.[85] Die Art der Tätigkeit der ausländischen Gesellschaft kann der Satzung der Gesellschaft und den Jahresabschlüssen bzw. Geschäftsberichten entnommen werden.[86] Die sachliche und personelle Ausstattung orientiert sich auch außensteuerrechtlich an der Art und dem Umfang der Geschäftstätigkeit.[87]

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Die ausländische Gesellschaft muss sich als „lebender Organismus“[88] erweisen. Die Größe und Ausstattung der Geschäftsräume der ausländischen Gesellschaften muss der jeweiligen Art und dem jeweiligen Umfang der Geschäftstätigkeit in den einzelnen Geschäftsjahren entsprechen. Die konkreten Geschäfts-/Ausführungshandlungen müssen entsprechend der Art und der Intensität der Geschäftstätigkeit durch geschäftsleitendes und angestelltes und für die jeweilige Tätigkeit qualifiziertes Personal[89] vorgenommen werden. Über den im Jahresabschluss bzw. Geschäftsbericht ausgewiesen Personalaufwand kann die angemessene Personalausstattung belegt werden.[90] Die jeweiligen Geschäftsführer müssen die für die Geschäftstätigkeit bedeutsamen Entscheidungen selbst treffen, was durch die jeweiligen Protokolle zu den Sitzungen der Geschäftsleitung nachweisbar sein sollte. In diesem Fall kann die ausländische Gesellschaft die ihr übertragenen Aufgaben selbstständig erfüllen. Dies entspricht insoweit auch den Anforderungen des BMF-Schreiben vom 8.1.2007,[91] auf das aus praktischer Sicht zurückgegriffen werden kann.[92] Nach dem BMF-Schreiben vom 8.1.2007[93] hat die ausländische Gesellschaft ständig[94] sowohl geschäftsleitendes als auch anderes Personal im Aufnahmemitgliedstaat[95] zu beschäftigen. Ob aus dieser Formulierung folgt, dass mindestens zwei Personen bei der ausländischen Gesellschaft beschäftigt werden müssen, ist fraglich.[96] Bislang war eine Beschäftigung von mindestens zwei Personen dennoch ratsam,[97] auch wenn sich aus der Vorgabe des EuGH nicht auf die Anzahl des Personals schließen lässt. Allerdings könnte das Urteil des FG Münster vom 20.11.2015[98] zukünftig zu einer anderen Einschätzung führen. Dem FG Münster geht mit Urteil vom 20.11.2015[99] die formale Betrachtung der Finanzverwaltung in ihrer Allgemeinheit zu weit, da sie nicht darauf abstellt, welche personellen Ressourcen die konkrete Tätigkeit der ausländischen Gesellschaft erfordert; nicht zwingend erforderlich seien mindestens zwei Personen. Abzuwarten bleibt, ob sich die Auffassung des FG Münsters insoweit im anhängigen Revisionsverfahren durchsetzen kann.

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Die ausländische Gesellschaft muss jeweils über einen für ihren jeweiligen Geschäftszweck angemessenen eingerichteten Geschäftsbetrieb verfügen, d.h. eine angemessenen Ausstattung mit Sach- und Geldkapital (z.B. eigene oder zur Nutzung entgeltlich überlassene Büromöbel, Aktenschränke, EDV-Ausstattung inklusive eigener Drucker, Telefone und Faxgeräte, Internetanschlüsse, Büromaterial, Software, Geldkapital). Der Umfang der Ausrüstungsgegenstände kann den Jahresabschlüssen bzw. Geschäftsberichten der ausländischen Gesellschaft entnommen werden (Höhe der Abschreibungen, Miet-, Pacht- und Leasingaufwendungen). Diese Informationen stehen dem steuerpflichtigen Inlandsbeteiligten unabhängig von seiner Beteiligungshöhe in der Regel zu Verfügung.[100] Darüber hinaus können Verträge aller Art mit Geschäftspartnern, Arbeitnehmer, Vermietern, Dienstleistungsunternehmen etc. als Nachweis dienen. Bei nicht mehrheitlich beteiligten inländischen Steuerpflichtigen dürfte diese Nachweisführung schwierig sein.[101]

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Im Ergebnis muss die ausländische Gesellschaft ihrer jeweiligen Funktion entsprechend aufgrund ihrer jeweiligen personellen und sachlichen Ausstattung in der Lage sein, die angestrebte wirtschaftliche Tätigkeit selbstständig zu erfüllen.[102] Wenn die ausländische Gesellschaft – entsprechend der Diktion des EuGH – über die nötige wirtschaftliche Realität im Aufnahmemitgliedstaat verfügt, kommt es nach der Rechtsprechung des EuGH nicht mehr darauf an, ob der Einsatz der Gesellschaft auch steuerlich motiviert sein könnte.[103]

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Es zeigen sich gewisse Parallelen zur Prüfung des Ortes der Geschäftsleitung gem. § 10 AO. Dieses Kriterium dient dazu, nicht auf die formalen Merkmale der Gründung und Registrierung einer Gesellschaft zu blicken, sondern die materiell-wirtschaftliche Leitung der Gesellschaft als Abgrenzungsmerkmal zu verwenden. Die Prüfung des Orts der Geschäftsleitung führt die vom EuGH im Zusammenhang mit der Hinzurechnungsbesteuerung geforderte „wirtschaftliche“ Betrachtungsweise im Kern bereits durch.[104] Folglich sind die vom EuGH im Zusammenhang mit der Hinzurechnungsbesteuerung aufgestellten Kriterien zur wirtschaftlichen Substanz der ausländischen Gesellschaft bereits im Wesentlichen Gegenstand der Prüfung des Orts der Geschäftsleitung.

d) Auskunftsaustausch

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Weitere Voraussetzung ist, dass die EU-Amtshilferichtlinie oder eine vergleichbare zwei- oder mehrseitige Vereinbarung im Verhältnis zum Aufnahmemitgliedstaat den von § 8 Abs. 2 S. 2 AStG geforderten Auskunftsaustausch ermöglicht. Unter den EU-/EWR-Mitgliedstaaten existierte bislang nur im Verhältnis zu Liechtenstein mangels Einschlägigkeit der EU-Amtshilferichtlinie bzw. einer großen Auskunftsklausel eines DBA keine geeignete Rechtsgrundlage für einen Auskunftsaustausch. Seit der Unterzeichnung eines Abkommens über die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch in Steuerfragen zwischen Deutschland und Liechtenstein,[105] das der großen Auskunftsklausel eines DBA entspricht, ist ab 2010 auch in Liechtenstein ansässigen Zwischengesellschaften eine Nachweisführung i.S.d. § 8 Abs. 2 AStG eröffnet.[106]

Teil 1 Tax Compliance und Unternehmen › 6. Kapitel Tax Planning und Gestaltungsmissbrauch › III. Nachweis für EU-/EWR-Gesellschaften gem. BMF-Schreiben vom 8.1.2007

III. Nachweis für EU-/EWR-Gesellschaften gem. BMF-Schreiben vom 8.1.2007

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Bis zur erstmaligen Anwendung des § 8 Abs. 2 AStG ist das BMF-Schreiben v. 8.1.2007[107] auf alle Fälle anzuwenden, in denen die Einkommen- oder Körperschaftsteuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist.[108] Dem BMF-Schreiben vom 8.1.2007 kommt aber auch im zeitlichen Anwendungsbereich des § 8 Abs. 2 AStG praktische Bedeutung zu.[109]

 

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Die Anforderungen des BMF-Schreibens v. 8.1.2007[110] an eine wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit der ausländischen Gesellschaft im Aufnahmemitgliedstaat sind erfüllt, wenn der Nachweis gelingt, dass


die ausländische Gesellschaft in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung hat, am dortigen Marktgeschehen im Rahmen ihrer gewöhnlichen Geschäftstätigkeit aktiv, ständig und nachhaltig teilnimmt,
das Personal der ausländischen Gesellschaft über die Qualifikation verfügt, um die der Gesellschaft übertragenen Aufgaben eigenverantwortlich und selbstständig zu erfüllen,
die Einkünfte der ausländischen Gesellschaft ursächlich aufgrund der eigenen Aktivitäten der Gesellschaft erzielt werden und
den Leistungen der ausländischen Gesellschaft, sofern sie ihre Geschäfte überwiegend mit nahestehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG betreibt, für die Leistungsempfänger wertschöpfende Bedeutung zukommt und die Ausstattung mit Kapital zu der erbrachten Wertschöpfung in einem angemessenem Verhältnis steht.

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Die durch das BMF-Schreiben formulierten Anforderungen gehen deutlich über die Grundsätze des EuGH in der Rs. Cadbury Schweppes hinaus.[112]

Teil 1 Tax Compliance und Unternehmen › 6. Kapitel Tax Planning und Gestaltungsmissbrauch › IV. Ort der Geschäftsleitung

IV. Ort der Geschäftsleitung

1. Definition „Ort der Geschäftsleitung“

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Die im vorherigen Abschnitt dargestellten Anforderungen an die wirtschaftliche Substanz einer ausländischen Gesellschaft haben bereits Parallelen zur Prüfung des Orts der Geschäftsleitung gem. § 10 AO aufgezeigt. Der Ort der Geschäftsleitung bildet neben dem deutlich leichter aus der Satzung oder dem Handelsregister bestimmbaren Sitz einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse gem. § 11 AO den Anknüpfungspunkt für die unbeschränkte Steuerpflicht bei der Körperschaftsteuer (§ 1 Abs. 1 KStG), bei der (seit dem 1.1.1997 nicht mehr erhobenen) Vermögensteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 VStG) und bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer (§ 2 Abs. 1 Nr. 1d und Nr. 2 ErbStG).[113] Darüber hinaus kommt dem Ort der Geschäftsleitung auch in weiteren steuerlichen Zusammenhängen Bedeutung zu.[114]

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Nach § 10 AO ist die Geschäftsleitung der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung. Ortsbezogen konkretisiert der BFH den Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung als den Ort, an dem der maßgebliche Wille der Körperschaft gebildet wird.[115] Der BFH stellt zudem auf den Ort ab, wo die für die Geschäftsführung erforderlichen Maßnahmen von einiger Wichtigkeit angeordnet werden.[116] Bei Körperschaften ist dies der Ort, an dem die gesetzlich zur Vertretung befugten Personen (z.B. Vorstand einer AG, Geschäftsführer einer GmbH) die ihnen obliegende Geschäftsführertätigkeit entfalten und die Tagesgeschäfte vorgenommen werden.[117] Eine mehr ausübungsbezogene Konkretisierung nimmt Buciek unter Bezugnahme auf den Ort vor, an dem die Tätigkeiten ausgeübt werden, die ein Geschäftsführer beziehungsweise der Vorstand einer Kapitalgesellschaft selbst ausübt.[118]

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Der Ort der Geschäftsleitung ist tatsächlicher Natur.[119] Der BFH stellt deshalb auf den Ort ab, an dem die faktische Geschäftsführung erfolgt,[120] d.h. die Geschäftsführung muss an dem Ort der geschäftlichen Oberleitung auch tatsächlich ausgeübt werden.[121] Formale Kriterien, wie z.B. der Satzungssitz, die Postanschrift oder die Lage der Büroräume, werden als Indizien für die Bestimmung des Ortes der geschäftlichen Oberleitung herangezogen.[122]

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Diesem jeweils nach außen hin erkennbaren Verwaltungssitz der ausländischen Gesellschaft muss hinzutreten, dass an diesem Ort tatsächlich die der Geschäftsleitung obliegende Geschäftsführungstätigkeit ausgeübt wird.[123]

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Die Geschäftsleitung umfasst ein sachliches und ein örtliches Kriterium.[124] Unter das sachliche Kriterium fällt der Prozess der Entscheidungsfindung, unter das örtliche Kriterium der Ort, an der dieser Prozess stattfindet. Obwohl die Definition der Geschäftsleitung nicht unmittelbar auf ein persönliches Kriterium abstellt, kommt den an der Entscheidungsfindung beteiligten Personen für die Beurteilung entscheidende Bedeutung zu.

2. Sachliches Kriterium: Prozess der Entscheidungsfindung

a) Relevanz der Willensbildung, nicht aber der Willenserklärung

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Für die Willensbildung i.S.d. Entscheidungsfindung sind nur solche Entscheidungen für die Bestimmung des Ortes der Geschäftsleitung relevant, die für Rechnung der ausländischen Gesellschaft getroffen werden.[125] Maßgeblich ist zudem der Prozess der Willensbildung selbst und nicht die anschließende Willenserklärung oder die Umsetzung der getroffenen Entscheidungen.[126] Im Regelfall ist am Ort der Willenserklärung auch der maßgebliche Wille tatsächlich gebildet worden.[127] Hierzu ist der Prozess der Willensbildung von Bedeutung, der in dem Gremium der Geschäftsleitung erfolgt. Regelmäßig ist in der Satzung das genaue Reglement für eine ordnungsmäßige Durchführung von Sitzungen der Geschäftsleitung festgelegt. Dies beinhaltet insbesondere die (vollständige oder mehrheitliche) Teilnahme der Geschäftsführer an den Sitzungen der Geschäftsleitung oder ihre ordnungsgemäße Vertretung und die Art und Weise der Beschlussfassung (z.B. Einstimmigkeit, einfache oder qualifizierte Stimmenmehrheit).

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Sämtliche Maßnahmen in organisatorischer und rechtsgeschäftlicher Hinsicht sollten zum Gegenstand zu fassender Beschlüsse der Geschäftsleitung gemacht und durch die Sitzungsprotokolle dokumentiert werden. Im Rahmen der Beschlussfassung kann auch die Festlegung und Kompetenzzuweisung an einzelne Geschäftsführer erfolgen, die getroffenen Entscheidungen der Geschäftsleitung umzusetzen. Diese Delegation von Geschäftsführungskompetenzen auf einzelne oder mehrere Geschäftsführer beschränkt sich regelmäßig auf die Umsetzung der getroffenen Entscheidungen der Geschäftsleitung. Dieser faktisch vorgenommenen Geschäftsverteilung bezogen auf die Ausführungsphase kommt allerdings für die Bestimmung des Ortes der Geschäftsleitung keine Bedeutung zu.[128]

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Von dem Prozess der Willensbildung und Entscheidung ist neben der Entscheidungsdurchführung auch die Entscheidungsvorbereitung abzugrenzen. Die der Willensbildung vorgelagerte Vorbereitungsphase umfasst allfällige Vorbereitungsmaßnahmen, die in der Ableitung von Handlungsbedarfen und der Identifizierung von Handlungsalternativen und deren Bewertung bestehen können. Diese können durch einzelne Organe selbst vorgenommen oder in Form von Beratungsleistungen bezogen werden. In der Vorbereitung der Geschäftsführer auf die Sitzung der Geschäftsleitung durch Festlegung und Abstimmung der Agenda sowie die Auswertung von Dokumenten, Vertragsentwürfen und Ähnlichem zu einzelnen Punkten der Tagesordnung liegt keine Vorwegnahme des Prozesses der Entscheidungsfindung. Es entspricht vielmehr den Grundsätzen ordnungsmäßiger Geschäftsführung und betrifft damit die jedem Geschäftsführer aus seiner Organfunktion erwachsenden Pflichten, dass das individuelle Votum auf einer möglichst umfassenden Sach- und Fachkenntnis basiert.

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Nehmen einzelne Organe der Gesellschaft auch Organfunktionen in anderen Gesellschaften wahr und/oder üben auch Tätigkeiten in Konzernzentralbereichen (z.B. Corporate Finance, Controlling) aus, kommt dem Ort, an dem diese Vorbereitungsmaßnahmen tatsächlich ausgeübt wurden, für die Bestimmung des Orts der Geschäftsleitung der Gesellschaft keine Bedeutung zu, wenn die Entscheidungsfindung diesen Personen in der Funktion als Organ der Gesellschaft obliegt und dem Ort der Geschäftsleitung zuzurechnen ist. Bloße Vorbereitungshandlungen sind deshalb stets von der tatsächlichen Willensbildung im Sinne einer Geschäftsleitungsentscheidung abzugrenzen. Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen mehrere Geschäftsführer bestellt sind, die nach dem Organisationsreglement der Geschäftsführung für die betreffenden Geschäfte eine (einfache oder qualifizierte) Mehrheitsentscheidung zu treffen haben.

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Dass in einem Konzern für bestimmte Geschäfte eine zentrale Koordination mit entsprechenden Abstimmungsmaßnahmen der Konzernspitze erfolgt, ist eine anerkannte Realität von Konzernorganisationen zur Sicherstellung einer abgestimmten Investitions- und Finanzplanung im Gesamtverbund. Deshalb zählen auch koordinierende Vorgaben (z.B. Konzernfinanzierungsrichtlinie) zum Bereich der Vorbereitungsmaßnahmen.

b) Relevanz der Tagesgeschäfte

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Nach der Rechtsprechung des BFH und einstimmiger Meinung in der Literatur kommt es für die Bestimmung der Geschäftsleitung auf die laufenden Tagesgeschäfte von einiger Wichtigkeit an.[129] Zur laufenden Geschäftsführung gehören tatsächliche und rechtsgeschäftliche Handlungen des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes (Tagesgeschäfte) der Gesellschaft sowie organisatorische Maßnahmen, die der gewöhnlichen Verwaltung der Gesellschaft entsprechen.[130] Maßgeblich sind Entscheidungen, die für den normalen, den laufenden Geschäftsablauf wichtig sind. Dies sind regelmäßig die Entscheidungen, die von der Geschäftsführung getroffen werden.[131]

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Neben diesem qualitativen Merkmal ist es in quantitativer Hinsicht bedeutsam, wo die Geschäftsführung die überwiegende Zahl der geschäftsleitenden Entscheidungen fällt. Entscheidend ist, wo dauernd die für die Geschäftsführung nötigen Maßnahmen von einiger Wichtigkeit angeordnet werden.[132]

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Nicht ausschlaggebend ist, wo wichtige Einzelentscheidungen (z.B. auf Geschäftsreisen[133]) getroffen werden. Insbesondere spielen die Festlegung der Unternehmensgrundsätze oder Entscheidungen der Gesellschafterversammlung in bedeutenden Einzelfällen keine Rolle.[134]

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Bei der Beurteilung der Tagesgeschäfte sind insbesondere Art und Umfang, Struktur und Eigenart des Unternehmens zu berücksichtigen (z.B. Holding- oder Finanzierungsgesellschaft),[135] wobei zu beachten ist, dass sich die tatsächlich ausgeübte Geschäftstätigkeit mit Blick auf den im Gesellschaftsvertrag festgelegten Gesellschaftszweck im zeitlichen Ablauf seit der Gründung in Art und Umfang verändern kann.

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Beispielsweise erschöpft sich das Tagesgeschäft von Holding- und Finanzierungsgesellschaften üblicherweise in nur in verhältnismäßig großen Zeitabständen zu treffenden Entscheidungen, die für den laufenden Geschäftsablauf wichtig sind (z.B. in Anlageentscheidungen oder der Teilnahme an Gesellschafterversammlungen bei den Tochtergesellschaften). Der Ort der Geschäftsleitung bei solchen Gesellschaften ist demnach der Ort, an dem der oder die Geschäftsführer turnusmäßig (z.B. vierteljährlich) ihre Sitzungen abhalten und die vorgenannten Verwaltungsentscheidungen treffen.

 

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Verfügt das Tagesgeschäft etwa aufgrund der Art der Tätigkeit oder aufgrund der Lebenszyklusphase nur über einen vergleichsweise geringen Umfang, ist auch ein zeitlich beschränkter Aufenthalt einzelner Mitglieder der Geschäftsleitung im Ansässigkeitsstaat der Gesellschaft hinreichend, um dort die erforderlichen Entscheidungen zu treffen.[136] Ebenso ist es in solchen Fällen eines geringen Umfangs der Tagesgeschäfte der Gesellschaft unbedeutend, wenn Geschäftsführer der Gesellschaft an einem anderen Ort einer weiteren beruflichen Tätigkeit nachgehen.[137]

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Als Nachweis für die in regelmäßigen Abständen stattfindenden Sitzungen der Geschäftsleitung in den Geschäftsräumen der Gesellschaft können insbesondere die Sitzungsprotokolle dienen. Die Anzahl der Sitzungen kann in Abhängigkeit der Geschäftsentwicklung und der Intensität des Tagesgeschäfts variieren.

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Bei einer Beteiligungsverwaltung und Finanzierungstätigkeit beispielsweise zählen zum Tagesgeschäft unter anderem folgende Geschäftsleitungsentscheidungen, die allerdings nicht ausschließlich Holding- und Finanzierungsgesellschaften vorbehalten sind:


die Eröffnung und Führung eines Bankkontos sowie die Festlegung der Kompetenzen für Verfügungen über das Bankkonto;
die Erfüllung der Veröffentlichungspflichten nach dem Handelsrecht und Handelsregisterrecht des Ansässigkeitsstaates;
die Einstellung von Personal;
die Darlehensaufnahme und -ausreichung;
die Teilnahme und Ausübung der Stimmrechte in der Gesellschafterversammlung der Beteiligungsgesellschaften;
der Abschluss von Mietverträgen;
der Erwerb und die Veräußerung von Beteiligungen;
die Hedgingvereinbarungen;
die Investitionen in (neu zu gründende) Tochtergesellschaften;
die Errichtung von Holdings;
der Abschluss eines Beratungsvertrag;
die Erfüllung von Registerverpflichtungen im Ansässigkeitsstaat.

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Die aufgeführten Geschäftsleitungsentscheidungen müssen ausschließlich in den Geschäftsräumen der Gesellschaft getroffen und durch die Sitzungsprotokolle dokumentiert werden. Durch die Verwaltung von Beteiligungen an anderen Gesellschaften wird grundsätzlich nicht die Leitung der Geschäfte dieser Gesellschaften übernommen.[139]

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Nach der finanzgerichtlichen Rechtsprechung bedarf es für die sog. Tagesgeschäfte geeigneter Räume, zumeist (eigener oder angemieteter[140]) Büroräume.[141] Das Vorliegen solcher kann z.B. durch Mietverträge oder durch Photoaufnahmen (einschließlich der Sozial- und Sanitärräume) dokumentiert werden.

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Ergänzend lässt sich anführen, dass nach der Rechtsprechung des BFH bei einer nur vermögensverwaltenden Tätigkeit einer Kapitalgesellschaft (z.B. Holdinggesellschaft) der Ort ihrer Geschäftsleitung auch dort liegen kann, wo sie die laufende Kontrolle über ihr Vermögen ausübt, wo sie ihre Wertpapiere verwahrt oder ihre Steuererklärungen ausfertigt bzw. unterschreibt,[142] ggf. unter Inanspruchnahme der Dienstleistungen eines Wirtschaftsprüfers/Steuerberaters.

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Moderne Kommunikationsmittel (Telefon- und Videokonferenzen, E-Mail) haben auf die Bestimmung des Ortes der Geschäftsleitung keinen Einfluss. Sofern der Prozess der Entscheidungsfindung regelmäßig an einem Ort erfolgt, liegt dort der Ort der Geschäftsleitung.[143] Daher hat die nur gelegentliche Zuschaltung von einzelnen Mitgliedern der Geschäftsleitung der Gesellschaft von ihren jeweiligen ausländischen Aufenthaltsorten via Video-/Telefonkonferenz zu den Sitzungen der Geschäftsleitung keinen Einfluss auf den Ort der Geschäftsleitung. Bedeutsam können in diesem Zusammenhang das regelmäßige Treffen von Entscheidungen in den Geschäftsräumen der Gesellschaft und das Erfordernis der Anwesenheit der Mehrheit der Geschäftsführer oder deren Vertreter nach den Organisationsreglements für eine wirksame Beschlussfassung sein. Ferner bewirkt die Abgabe eines Votums eines einzelnen Geschäftsführers keine Willensbildung, wenn für die Beschlussfassung eine Mehrheitsentscheidung erforderlich ist.

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Allerdings erscheint es gerade angesichts moderner Kommunikationsmittel (Telefon- und Videokonferenzen, E-Mail) und Datenzugriffsmöglichkeiten („cloud computing“) denkbar, dass Geschäftsleitungsentscheidungen (gemeinsam) von jedem Ort der Welt aus getroffen werden können und ein Unternehmen mehrere Orte der Geschäftsleitung haben kann.[144] Unternehmen können infolge dieser Technologien virtuell bestehen und ohne räumlich eindeutig bestimmbare Unternehmenszentrale existieren.[145] Kommen mehrere Orte als Ort der Geschäftsleitung in Betracht, so ist grundsätzlich eine Gewichtung der Tätigkeiten an den verschiedenen Orten vorzunehmen. Der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung nach § 10 AO ist dort anzunehmen, wo sich die dem Gesamtbild der Verhältnisse in organisatorischer und wirtschaftlicher Hinsicht bedeutsamste Stelle befindet.[146] Nehmen mehrere Personen gleichwertige Geschäftsführungsaufgaben von verschiedenen Orten aus wahr, ist eine Gewichtung nicht möglich, so dass mehrere Orte der Geschäftsleitung bestehen.[147]

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In Zweifelsfällen können sich der Steuerpflichtige und die Finanzverwaltung im Rahmen einer tatsächlichen Verständigung über den Ort der Geschäftsleitung einigen.[148]