Tax Compliance

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Teil 1 Tax Compliance und Unternehmen › 3. Kapitel Verantwortliche für Tax Compliance

3. Kapitel Verantwortliche für Tax Compliance

Inhaltsverzeichnis

I. Unterschiedliche Arten von Compliance-Pflichten

II. Die materielle Compliance-Pflicht

III. Die delegierte Compliance-Pflicht

IV. Die prozessuale Compliance-Pflicht

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Die steuerrechtliche Verantwortung des Einzelnen in einem Unternehmen, einer Unternehmensgruppe oder einer anderen Organisation richtet sich nach den unmittelbar bestehenden gesetzlichen Pflichten und den kraft Delegationen entstandenen Beziehungen.

Teil 1 Tax Compliance und Unternehmen › 3. Kapitel Verantwortliche für Tax Compliance › I. Unterschiedliche Arten von Compliance-Pflichten

I. Unterschiedliche Arten von Compliance-Pflichten

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Zur sachgerechten Handhabung der allgemeinen Frage nach der Verantwortung kann zwischen drei Arten von Compliance-Pflichten unterschieden werden: der materiellen Compliance-Pflicht, der delegierten Compliance-Pflicht und der prozessualen Compliance-Pflicht.

Teil 1 Tax Compliance und Unternehmen › 3. Kapitel Verantwortliche für Tax Compliance › II. Die materielle Compliance-Pflicht

II. Die materielle Compliance-Pflicht

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Die Compliance-Pflicht im materiellen Sinne entspricht der Summe der hergebrachten steuerlichen Pflichten des Einzelnen nach EStG, KStG, UStG, AO usw. und fügt dem Pflichtenkanon im Unternehmen unmittelbar nichts Eigenständiges hinzu. Zu diesen hergebrachten Pflichten zählen beispielsweise die Pflichten zur Steueranmeldung (z.B. Umsatzsteuer, Lohnsteuer) oder sonstigen Steuererklärung (z.B. Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer), die Pflicht zur Anzeige und Berichtigung (§ 153 AO) wie auch die Haftungsschulden nach AO (z.B. §§ 69, 34 f., 191 AO). Die Pflichten können sich auf die eigene Steuerschuld beziehen, z.B. bei einem Einzelunternehmer, oder auf eine fremde Steuerschuld, z.B. bei einem über § 34 AO verpflichteten GmbH-Geschäftsführer.

1. Verpflichtung als Unternehmen/Unternehmer

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Ausgangspunkt der Betrachtung ist der Begriff des Steuerpflichtigen.

Steuerpflichtiger ist nach § 33 Abs. 1 AO,


wer eine Steuer schuldet,
wer für eine Steuer haftet,
wer eine Steuer für Rechnung eines Dritten einzubehalten und abzuführen hat,
wer eine Steuererklärung abzugeben hat,
wer Sicherheit zu leisten hat,
wer Bücher und Aufzeichnungen zu führen hat oder
wer andere ihm durch die Steuergesetze auferlegte Verpflichtungen zu erfüllen hat.

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Steuerpflicht setzt Steuerrechtsfähigkeit voraus.[1] Wer steuerrechtsfähig ist, bestimmt sich nach den jeweiligen Steuergesetzen, auf die § 33 Abs. 1 AO als Blankettnorm verweist. Natürliche Personen, wie z.B. der Einzelunternehmer, der Gesellschafter einer Personengesellschaft oder der Geschäftsführer einer GmbH, besitzen Steuerrechtsfähigkeit von der Geburt bis zum Tod.[2]

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Bei Organisationen ist zu differenzieren: Juristische Personen, wie z.B. eine GmbH oder AG, besitzen Steuerrechtsfähigkeit, wenn sie nach Gesellschaftsrecht (z.B. §§ 1 ff. GmbHG, §§ 23 ff. AktG) entstanden sind, unter Umständen auch bereits mit Abschluss des Gesellschaftsvertrags.[3] Die Steuerrechtsfähigkeit einer juristischen Person endet mit der gesellschaftsrechtlichen Beendigung, jedoch nicht vor dem Abschluss der Abwicklung ihrer steuerlichen Rechte und Pflichten.[4] Personengesellschaften, wie z.B. eine OHG, KG oder BGB-Gesellschaft, können Steuerrechtsfähigkeit besitzen, und zwar auch unabhängig von der Frage ihrer Rechtsfähigkeit nach dem Zivilrecht. So ist bspw. eine Personengesellschaft steuerrechtsfähig im Hinblick auf die Umsatzsteuer[5] und, wenn ihre Tätigkeit die Anforderungen eines Gewerbebetriebs erfüllt, im Hinblick auf die Gewerbesteuer (§ 5 Abs. 1 S. 3 GewStG). Nicht steuerrechtsfähig ist eine Personengesellschaft im Vergleich dazu, was die Einkommensteuer anbetrifft; einkommensteuerpflichtig ist jeder Gesellschafter für sich selbst.

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Auch eine rein faktische Gesellschaft, d.h. eine Personenmehrheit, die ohne zivilrechtlich wirksamen Gesellschaftsvertrag nach außen hin als Einheit auftritt, kann steuerrechtsfähig sein.[6]

2. Verpflichtung als Unternehmensorgan

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Die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer nicht rechtsfähiger Personenvereinigungen und Vermögensmassen haben deren steuerliche Pflichten zu erfüllen (§ 34 Abs. 1 S. 1 AO). Dasselbe gilt für die Vermögensverwalter im Rahmen ihrer Verwaltungsbefugnis (§ 34 Abs. 3 AO). § 34 AO lässt die in der Vorschrift genannten Personen in ein unmittelbares Pflichtenverhältnis zur Finanzbehörde treten.[7] Die hierdurch entstehende öffentlich-rechtliche Pflicht steht, was ihren Umfang anbetrifft, nicht zur Disposition der genannten Personen und lässt sich demzufolge auch nicht durch privatrechtliche Vereinbarungen einschränken.[8]

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§ 34 AO erfasst u.a. folgende Personengruppen:


den Geschäftsführer einer GmbH (§ 35 Abs. 1 S. 1 GmbHG),
den Vorstand einer Aktiengesellschaft (§ 78 Abs. 1 S. 1 AktG),
den Vorstand einer Genossenschaft (§ 24 Abs. 1 S. 1 GenG),
den Vorstand eines eingetragenen Vereins (§ 26 Abs. 1 BGB),
den Vorstand einer rechtsfähigen Stiftung ( § 86 S. 1 i.V.m. § 26 Abs. 1 BGB),
den gerichtlich bestellten Abwickler einer AG (§§ 265 Abs. 3 S. 1; 269 Abs. 1 AktG),
den Liquidator einer Genossenschaft (§§ 83, 88 GenG), einer GmbH (§§ 66, 70 GmbHG) oder eines Vereins (§ 48 Abs. 2 i.V.m. § 26 Abs. 1 BGB),
den Insolvenzverwalter ( § 56 InsO),
den Nachlassverwalter (§ 1985 BGB),
die Geschäftsführer nicht rechtsfähiger Personenvereinigungen und Vermögensmassen (§ 34 Abs. 1 S. 1 AO),
die Mitglieder oder Gesellschafter nicht rechtsfähiger Personenvereinigungen ohne Geschäftsführer (§ 34 Abs. 2 S. 1 AO).

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Die Verpflichtung der gesetzlichen Vertreter nach § 34 Abs. 1 AO setzt voraus, dass deren Stellung nach den hierfür geltenden Rechtsvorschriften (d.h. außerhalb des Steuerrechts) wirksam zustande gekommen ist, also z.B. der GmbH-Geschäftsführer gesellschaftsrechtlich wirksam bestellt worden ist. Ist eine solche wirksame Bestellung gegeben, setzt die Verpflichtung nach § 34 Abs. 1 AO nicht weiter voraus, dass die bestellte Person auch entsprechend tätig wird. Daher ist beispielsweise auch diejenige Person nach § 34 Abs. 1 AO verpflichtet, die lediglich „auf dem Papier“, als Strohmann neben einem tatsächlich agierenden, aber nicht offiziell bestellten Geschäftsführer eingesetzt ist.[9] Unerheblich für die Entstehung wie auch für die Beendigung der Stellung als gesetzlicher Vertreter ist die Eintragung in das Handelsregister.[10]

 

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Demgegenüber können fehlerhaft bestellte oder faktische Geschäftsführer ebenso wie sonstige faktische Gesellschaftsorgane steuerlich nur über § 35 AO verpflichtet werden (siehe hierzu auch Rn. 22). Dies setzt voraus, dass sie entsprechend im Namen des Unternehmens nach außen aufgetreten sind.[11] Dasselbe gilt für andere als in § 34 AO genannte Personengruppen, wie z.B. die Gesellschafter von Kapitalgesellschaften.[12]

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Die in § 34 AO aufgeführten Personengruppen haben insbesondere folgende steuerlichen Pflichten des vertretenen Steuerpflichtigen, z.B. des Unternehmens, zu erfüllen:


Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten (§§ 140 ff. AO),
Steuererklärungspflichten (§ 149 Abs. 1 AO),
Pflicht zur Berichtigung von Steuererklärungen (§ 153 AO),
Pflicht zur Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer (§ 38 Abs. 3; § 41a Abs. 1 EStG),
Pflicht zur Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen (§ 18 Abs. 1 S. 1 UStG),
Pflicht zur Sorge, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten (§ 34 Abs. 1 S. 2 AO).

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Beziehen sich die steuerlichen Pflichten einer hiernach vertretenen Gesellschaft auch auf eine andere Gesellschaft, z.B. beim Organträger in einem umsatzsteuer- oder gewerbesteuerrechtlichen Organschaftsverhältnis oder bei der geschäftsführenden Komplementär-GmbH in einer GmbH & Co. KG, erstrecken sich diese Pflichten nach § 34 AO im selben Umfang auch auf den gesetzlichen Vertreter und den Vermögensverwalter. Bei einem Unternehmenskauf im Wege des Anteilskaufs (sog. Share Deal) können die Pflichten des erworbenen Unternehmens auf das erwerbende Unternehmen übergehen; dies hat dann zur Folge, dass auch diese Pflichten fortan über § 34 AO erfasst werden.

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Verletzen die in §§ 34, 35 AO genannten Personen vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihnen auferlegten Pflichten, haften sie nach § 69 AO für den hierdurch verursachten Steuerausfall. Im Falle des Vorsatzes besteht zudem das Risiko einer Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung (§ 370 AO) und daran angelehnt das Risiko einer steuerlichen Haftung nach § 71 AO. Dieses Risiko einer Haftung nach §§ 370, 71 AO besteht nicht nur für den in §§ 34, 35 AO genannten Personenkreis, sondern für jeden an der Steuerhinterziehung (oder einer Steuerhehlerei, § 374 AO) Beteiligten, wie z.B. einen Angestellten im Unternehmen oder einen beauftragten externen Steuerberater. Beteiligte in diesem Sinne sind sowohl der Täter (§ 25 Abs. 1 StGB), der Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB) als auch der Gehilfe (§ 27 Abs. 1 StGB) oder der Anstifter (§ 26 StGB) einer Steuerhinterziehung.

Teil 1 Tax Compliance und Unternehmen › 3. Kapitel Verantwortliche für Tax Compliance › III. Die delegierte Compliance-Pflicht

III. Die delegierte Compliance-Pflicht

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Die delegierte Compliance-Pflicht ist genau genommen ein Unterfall der Compliance-Pflicht im materiellen Sinne. Sie wird der Übersichtlichkeit halber gesondert dargestellt.

1. Allgemeines

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Insbesondere in größeren Organisationen ist eine systematische Delegation von Pflichten unverzichtbar, um die zunächst einmal auf der Leitungsebene verdichtet vorhandenen Aufgaben sachgerecht aufzuteilen und tatsächlich beherrschbar zu machen. Im Ergebnis erzeugen diverse Delegationen und Weiterdelegationen eine mehrstufige Hierarchie, die im Idealfall eine effiziente Aufbau- und Ablauforganisation verkörpert und die Schnittstellen zu den externen Stakeholdern, insbesondere Lieferanten und Kunden, aber auch Behörden, reibungslos gestaltet.

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Delegiert werden können eine Pflicht oder einzelne Bestandteile einer Pflicht, d.h. Teilaufgaben, an eine andere Person innerhalb oder außerhalb der jeweiligen Organisation. Erfolgt eine solche Delegation wirksam (siehe zu den Voraussetzungen sogleich Rn. 26 ff.), führt sie zu einer entsprechenden Überwälzung von Verantwortung und begründet auf Seiten des Delegationsempfängers eine abgeleitete Pflicht im Umfang der jeweils konkret delegierten Aufgabe. Auf Seiten des Delegierenden löst die Delegation eine Compliance-Pflicht im prozessualen Sinne aus (siehe nachher Rn. 55 ff.).

2. Innenverhältnis

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Die kraft Delegation entstehende Pflicht des Delegationsempfängers, z.B. eines einzelnen Mitarbeiters in der Finanz- oder Steuerabteilung des Unternehmens, ist zunächst einmal zivilrechtlicher, typischerweise arbeitsrechtlicher Natur. Der Mitarbeiter hat die ihm übertragene Pflicht kraft seines Arbeitsvertrages mit dem Unternehmen und dem daraus entstehenden Weisungsverhältnis gegenüber seinem Vorgesetzten zu erfüllen. Der Mitarbeiter ist fortan der Erfüllungsgehilfe seines Vorgesetzten.

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In diesem Sinne handelt es sich um eine Pflicht im Innenverhältnis des Unternehmens. Erfüllt der Mitarbeiter diese Pflicht nicht oder nicht ordnungsgemäß, richtet sich seine Haftung nach den üblichen Vorschriften der Arbeitnehmerhaftung. Im Außenverhältnis, d.h. gegenüber Dritten außerhalb des jeweiligen Unternehmens (z.B. den Steuerbehörden), hat diese Pflicht grundsätzlich keine Auswirkungen. Der Delegationsempfänger ist allein aufgrund der ihm arbeitsvertraglich delegierten Pflicht noch nicht gegenüber den Steuerbehörden verpflichtet und hat demzufolge auch grundsätzlich nicht bei Verstößen gegen diese Pflicht zu haften.

3. Außenverhältnis

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Steuerlich kann eine Pflicht des Delegationsempfängers im Außenverhältnis unter den Voraussetzungen des § 35 AO entstehen. Hiernach hat, wer als Verfügungsberechtigter im Namen des Unternehmens rechtsgeschäftlich nach außen auftritt,[13] die steuerlichen Pflichten eines gesetzlichen Vertreters (§ 34 Abs. 1 AO), soweit er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen kann.

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Beispiele für ein solches Auftreten nach außen sind die Unterzeichnung der Eröffnungsbilanz oder von Steuererklärungen einer GmbH,[14] das Unterschreiben von Schecks oder Überweisungen im Namen des Unternehmens[15] oder auch bereits das Auftreten, das erkennen lässt, dass man fortan über die Mittel des Anderen, hier des Unternehmens, verfügen kann.[16]

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Handelt der Delegationsempfänger in entsprechender Weise im Außenverhältnis, muss er sich an diesem von ihm gesetzten Signal festhalten lassen. Demgemäß bezieht sich die Verpflichtung nach § 35 AO auch ausschließlich auf den geschäftlichen Bereich, im Hinblick auf den der Delegationsempfänger nach außen auftritt (z.B. als faktischer Geschäftsführer für einen bestimmten Betrieb). Die steuerlichen Pflichten nach § 35 AO können insofern die gesetzliche Folge sein, dass der Delegationsempfänger den ihm übertragenen Pflichten aus dem Innenverhältnis nachkommt. § 35 AO geht indes noch weiter. Inwieweit der in entsprechender Weise nach außen Auftretende aus dem Innenverhältnis wirklich verpflichtet und berechtigt ist, ist nicht entscheidend.[17] Entscheidend ist allein, dass er – ggf. mit Hilfe anderer Personen im Unternehmen – tatsächlich in der Lage ist, die steuerlichen Pflichten aus §§ 34, 35 AO zu erfüllen, also z.B. die fälligen Steuern des Unternehmens zu entrichten.[18] Daher kann sich ein Delegationsempfänger gegen eine Verpflichtung aus § 35 AO (und eine evtl. Haftung nach § 69 AO) nicht etwa mit dem Argument wehren, dass die Delegation im Innenverhältnis fehlerhaft gewesen sei, solange er in entsprechender Weise nach außen auftritt und fähig ist. Umgekehrt besteht – auch im Falle wirksamer Delegation im Innenverhältnis – grundsätzlich keine Pflicht aufgrund § 35 AO, wenn die dem Betreffenden tatsächlich verfügbaren Mittel des Unternehmens nicht (mehr) ausreichen, die steuerlichen Pflichten des Unternehmens zu erfüllen.[19]

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Die Verpflichtung nach § 35 AO erlischt erst, wenn der Betreffende sich eindeutig nach außen von seiner bisherigen Position lossagt.[20] Nach § 35 AO bereits entstandene Verpflichtungen können jedoch fortbestehen (§ 36 AO).

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Unabhängig vom Entstehen einer Verpflichtung beim Delegationsempfänger nach § 35 AO besteht die steuerliche Pflicht des Delegierenden, z.B. nach § 34 AO, fort. Lediglich bei der Frage der Haftung (nach Strafrecht, Bußgeldrecht oder Steuerrecht) kommt dem Delegierenden, der die Voraussetzungen wirksamer Delegation erfüllt, zugute, dass er dann nur noch an der – inhaltlich gelockerten – prozessualen Compliance-Pflicht gemessen wird.

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Besonderheit bei der Haftung nach § 69 AO: Bevor gegen einen Rechtsanwalt, Patentanwalt, Notar, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchprüfer ein Haftungsbescheid erlassen werden kann wegen einer Handlung, die er in Ausübung seines Berufs vorgenommen hat, ist die zuständige Berufskammer anzuhören (§ 191 Abs. 2 AO). Nach der Rechtsprechung des BFH erfüllt ein Angehöriger der genannten Berufe, der bei einer GmbH als ständiger Geschäftsführer angestellt ist, bei der Wahrnehmung der steuerlichen Pflichten dieser Gesellschaft keine für seinen Beruf i.S.d. § 191 Abs. 2 AO spezifischen Pflichten.[21] Inwieweit diese Rechtsprechung etwa im Hinblick auf die in § 46 Abs. 2 BRAO eigens geschaffenen Syndikusrechtsanwälte aufrechterhalten werden kann, bleibt abzuwarten.

4. Voraussetzungen wirksamer Delegation

Allgemeines

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Der Gegenstand einer Delegation kann grundsätzlich frei gewählt werden. Delegiert werden können einzelne Pflichten oder Pflichtenbündel, sei es mit unmittelbar zu erfüllenden Pflichten oder mit Pflichten, die nur unter bestimmten Voraussetzungen zu erfüllen sind, z.B. bei Eintritt bestimmter Bedingungen. Delegiert werden können auch lediglich einzelne Bestandteile von Pflichten, d.h. Teilaufgaben, die vorgeschaltet oder in sonstiger Weise ergänzend zur Erfüllung der (Gesamt-)Pflicht durch den Delegierenden beitragen.

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Die Richtung der Delegation ist ebenfalls frei wählbar. In Betracht kommen Delegationen „nach unten“, d.h. an in der Organisationshierarchie nachgeordnete Stellen (z.B. den direkt zugeordneten Mitarbeiter), Delegationen „nach oben“, d.h. an in der Organisationshierarchie übergeordnete Stellen (z.B. ein sog. Shared Service Center in der Obergesellschaft im Konzern), oder Delegationen „nach außen“, d.h. an außerhalb des Unternehmens und des Konzerns befindliche Dritte (z.B. externe Steuerberater- oder Steueranwaltskanzleien).

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Je nach rechtlicher Stellung und Befugnis der Beteiligten kann eine rechtswirksame Delegation einseitig per Weisung erfolgen, oder sie setzt Einvernehmen zwischen Delegierendem und Delegationsempfänger, d.h. Angebot und Annahme, voraus.

 

Eindeutige Zuordnung

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Erforderlich ist eine eindeutige und klar verständliche Beschreibung der Pflicht bzw. der Tätigkeit, die der Adressat der Delegation übernehmen soll.[22] Der Delegierende hat seine Erwartungshaltung unmissverständlich zu transportieren. Der Adressat der Delegation muss aufgrund der Beschreibung imstande sein, den Delegierenden „beim Wort zu nehmen“. Dies sollte an sich selbstverständlich sein, ist es aber in der Praxis häufig nicht.

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Die Beschreibung muss zudem hinreichend präzise sein. Dies ist insbesondere wichtig, wenn im Einzelfall nicht die ganze Pflicht, sondern ausschließlich einzelne Tätigkeiten, die für die Erfüllung der Pflicht von Bedeutung sind, delegiert werden sollen. In diesem Sinne ist beispielsweise festzulegen, ob der Delegationsadressat bestimmte Informationen lediglich zu beschaffen hat oder ob er diese von ihm beschafften Informationen – nach bestimmten Vorgaben – auch auszuwerten hat. Desgleichen ist festzulegen, ob der Adressat der Delegation einen wahrgenommenen Missstand abzustellen oder lediglich an eine andere Stelle zu berichten hat.

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Auch eine eindeutige Klärung der Frage, wer Stellvertreter ist (oder wer den Stellvertreter bestimmen darf), gehört hierher. Zu empfehlen ist für jede Delegation eine geeignete Dokumentation; diese bringt Sicherheit, Transparenz und Effizienz nicht nur für den Delegierenden und den Adressaten, sondern für jeden anderen Interessierten, der berechtigterweise auf eine tragfähige Organisation vertraut und einen kompetenten Ansprechpartner sucht.

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Die Zuweisung der betreffenden Pflicht bzw. Tätigkeit an den Adressaten sollte passgenau „eins zu eins“ erfolgen. In diesem Sinne ist ratsam, eine bestimmte Aufgabe ausschließlich einer Person zuzuweisen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Unklarheiten entstehen, die Beteiligten in ihrem Bemühen einander behindern oder sich irrigerweise auf den jeweils anderen verlassen und die Aufgabe am Ende unerledigt bleibt. Vor diesem Hintergrund besteht die Möglichkeit, bei z.B. zwei Adressaten eine Tätigkeit vertikal in zwei (Teil-)Tätigkeiten zu unterteilen und diese jeweils eindeutig zuzuweisen oder horizontal ein Vorrang-/Nachrangverhältnis zu definieren, indem der eine Adressat originär zuständig ist und der andere Adressat ausschließlich hilfsweise in einem eindeutig vordefinierten Szenario und Umfang einzuspringen hat.

Richtige Auswahl und Einweisung

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Der Delegierende hat als Adressaten der Delegation eine geeignete Person auszuwählen, die für die jeweilige Aufgabe eine hinreichende berufliche Qualifikation, persönliche Eignung und ggf. Erfahrung mitbringt. Sofern und soweit er dies nicht selbst beurteilen kann, hat sich der Delegierende fachkundigen Rat bei der Beurteilung des potentiellen Adressaten einzuholen. Auch in der Zeit nach erfolgter Delegation hat der Delegierende sicherzustellen, dass der Adressat bei Bedarf die erforderliche Weiterbildung erhält.

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Der Delegierende hat dafür zu sorgen, dass der Adressat hinreichend in seine neue Aufgabe und sein neues Tätigkeitsumfeld eingewiesen wird. Je nach Umfang und Bedeutung der Aufgabe ist eine Mitteilung durch den Delegierenden an die Organisation oder zumindest an ausgewählte, im Rahmen der Aufgabenerfüllung besonders relevante Personen sinnvoll. Auf diese Weise kann der Delegierende den Delegationsadressaten in seiner neuen Rolle bekannt machen, ihm den nötigen „Rückenwind“ geben und darum bitten, dass man ihn bei der Erfüllung der Aufgabe unterstützen möge. Je nach Aufgabe bietet eine solche Mitteilung durch den Delegierenden zugleich die – in ihrer Wirkung nicht zu unterschätzende – Gelegenheit, die Wichtigkeit der betreffenden Aufgabe in das kollektive Gedächtnis zu rufen, verstärkt mit einem persönlichen Bekenntnis der Führungsebene („tone from the top“).

Angemessene Ausstattung

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Der Adressat hat die für die Erfüllung der Aufgabe erforderliche Ausstattung mit materiellen und ggf. personellen Ressourcen zu erhalten. Auch sind ihm die für die Aufgabenerfüllung erforderlichen Befugnisse (Vollmachten, Weisungsbefugnisse, Informationsrechte und dergl.) zu gewähren.[23] Idealerweise regelt der Delegierende in diesem Zusammenhang sogleich das Ob und das Wie einer möglichen Weiterdelegation von Pflichten(-bestandteilen) durch den Adressaten mit.

Verbleibende Überwachung durch den Delegierenden

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Nach der ins Werk gesetzten Delegation der Pflicht oder des Bestandteils einer Pflicht endet die Verantwortung des Delegierenden diesbezüglich nicht. Der Delegierende bleibt im Außenverhältnis gegenüber der Steuerbehörde verpflichtet, z.B. nach § 34 AO. Allerdings beschränkt sich aus Haftungssicht die maßgebliche Pflicht des Delegierenden fortan nur auf eine Compliance-Pflicht im prozessualen Sinne (siehe sogleich Rn. 55 ff.). Eine Pflichtverletzung durch den Delegationsempfänger löst auf Seiten des Delegierenden ausschließlich dann noch eine Haftung aus, wenn ihm eine Verletzung seiner prozessualen Compliance-Pflicht vorzuwerfen ist.

Nur in diesem Fall kann Vorsatz, grobe Fahrlässigkeit oder Leichtfertigkeit i.S.v. § 69 S. 1 AO oder §§ 370, 378 AO gegeben sein.

Rückmeldung durch den Delegationsadressaten

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Der Delegationsadressat hat fortan neben der Erfüllung der jeweiligen Aufgabe eine Obliegenheit. Er muss dem Delegierenden Rückmeldung geben, sobald er zusätzliche Unterstützung für die Erfüllung seiner Aufgaben benötigt, er also seine Aufgabe nicht (mehr) ohne Weiteres erfüllen kann, sei es z.B. aufgrund fehlender eigener Expertise oder sei es aufgrund mangelnder Ausstattung oder Befugnisse. Die Rückmeldung an den Delegierenden dient dazu, die erforderliche zusätzliche Unterstützung (z.B. Weiterbildung oder weitere Ressourcen) zu erhalten.

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Zugleich führt die Rückmeldung dazu, dass die Delegation auf den Delegierenden zurückfällt, dieser also wieder für die Aufgabe zivilrechtlich zuständig und steuerlich haftbar wird, wenn die Unterstützungsanfrage tatsächlich berechtigt ist und der Delegierende die Unterstützung nicht gewährt. Meldet der Delegationsadressat trotz des Defizits nicht, bleibt er zuständig und verstößt sehenden Auges, also vorsätzlich, gegen seine Aufgabe. Der Delegierende wird dann allenfalls im Rahmen seiner Überwachungspflicht dem Missstand auf die Spur kommen.

Typische Beispiele unternehmensinterner Delegationen

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Wesentlich ist die Unterscheidung zwischen (i) der Delegation von Pflichten und Pflichtbestandteilen im Innenverhältnis des Unternehmens sowie (ii) der Begründung von steuerlichen Pflichten im Außenverhältnis gegenüber den Finanzbehörden. Steuerrechtliche Folgen können beide haben, (i) die Delegation im Innenverhältnis mittelbar für den Delegierenden bei der Frage nach dessen Haftung im Falle von Rechtsverstößen durch den Delegationsempfänger und (ii) die Begründung von Pflichten gegenüber den Finanzbehörden, insbesondere über § 35 AO, für den Delegationsempfänger zweifelsohne unmittelbar. Dies vorausgeschickt, sind ausgewählte Beispiele unternehmensinterner Delegation zu nennen.

Dezentrale Geschäftsleitungen

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Insbesondere in großen international aufgestellten Unternehmensgruppen weist die Aufbauorganisation oftmals eine sog. Matrix-Struktur auf. Hiernach gibt es in der Organisation Einheiten, die die einzelnen Geschäftsmodelle oder Geschäftsbereiche abbilden, und Einheiten, die in den einzelnen Ländern verortet sind, in denen und von denen aus das Unternehmen geschäftlich tätig wird. Innerhalb dieses Rahmens, typischerweise in den Ländereinheiten, gibt es Zentralfunktionen (sog. Shared Services), die geschäftsbereichsübergreifend Aufgaben übernehmen, z.B. aus den Themengebieten Recht, Steuern, Compliance und Personal. Die geschäftsbereichsbezogene Abgrenzung von Einheiten muss nicht der gesellschaftsrechtlichen Sichtweise entsprechen, d.h. mehrere Geschäftsbereiche (wirtschaftliche Einheiten) in einem Land können auf entsprechend viele Rechtseinheiten verteilt oder unter dem Dach einer gemeinsamen Rechtseinheit zusammengefasst sein. Auch kann eine Rechtseinheit den Shared Service für eine andere Rechtseinheit übernehmen.

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Diese Vielschichtigkeit innerhalb der Aufbau- und Ablauforganisation führt zwangsläufig zu einer entsprechend vielschichtigen Struktur und Häufung von Delegationen. Hierbei können Delegationen „klassisch“ in der Folge des hierarchischen Weisungsverhältnisses, d.h. vertikal „nach unten“, ablaufen. Möglich sind daneben aber auch – einvernehmliche – Delegationen von Aufgaben an „benachbarte“ Stellen gleicher Hierarchiestufe oder an Stellen höherer Hierarchiestufe, ggf. sogar vertikal „nach oben“ (z.B. an Fachabteilungen der Konzernobergesellschaft).

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Ist die Geschäftsleitung zugleich gesetzlicher Vertreter einer Rechtseinheit hat sie die steuerlichen Pflichten der Rechtseinheit zu erfüllen (§ 34 Abs. 1 AO). Demgegenüber kommt eine Verpflichtung nach § 35 AO insbesondere für die Leitungen in Betracht, die einem Geschäftsbereich, aber keiner eigenen Rechtseinheit vorstehen, wenn sie entsprechend ihrer wirtschaftlichen Stellung als Verfügungsberechtigte nach außen auftreten. Desgleichen ist § 35 AO ein Fall für die Mitarbeiter in den gebündelten Zentralfunktionen, wenn z.B. der Leiter der zentralen Steuerabteilung für eine oder mehrere Rechtseinheiten die Steuererklärungen abgibt. Delegieren diese Personengruppen die Aufgaben in der Hierarchie nach den genannten Kriterien wirksam weiter, beschränkt sich ihre Haftung nach § 69 AO fortan nur noch auf vorsätzliche oder grob fahrlässige Verstöße gegen ihre prozessuale Compliance-Pflicht (siehe hierzu sogleich Rn. 60 ff.). Neben der üblichen (Weiter-)Delegation vollständiger Pflichten für größere Themengebiete kann sich in großen Unternehmen mit komplexer Struktur eine Delegation ausgewählter Spezialthemen an dezentrale, auf die einzelnen Einheiten verteilte Experten („Leuchttürme“, Personalkapazität nach Bedarf der jeweiligen zugeordneten Einheit) empfehlen, wie z.B. Officer für Umsatzsteuer, Officer für Verrechnungspreise, Officer für Betriebsstätten, Officer für Zölle usw.