Internal Investigations

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dd) Positive und negative Kritik – kommunikative Folgen

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Bei Rückmeldungen an die Auskunftsperson ist es wichtig, dass ein positives Feedback erfolgt. Dies kann etwa die umfangreiche Art der Darstellung betreffen, aber auch das ehrliche Eingestehen von Erinnerungslücken. Gerade Letzteres fällt vielen schwer, so dass eine Stärkung besonders wichtig ist. Viele Auskunftspersonen befinden sich in einem Interessenkonflikt. Dem Wunsch die Wahrheit sagen zu wollen, stehen mitunter andere Interessen entgegen. Dieser Konflikt ist oft zu Beginn der Vernehmung noch nicht abgeschlossen.[36] Im Laufe des Gesprächs wird sich die Auskunftsperson aber für einen Weg entscheiden müssen. Daher sollte direkt von Anfang an die Möglichkeit genutzt werden, die Auskunftsperson zu bestärken, die Wahrheit zu sagen. Ein nicht übertriebenes Lob kann die ausschlaggebende Wirkung auf die Auskunftsperson haben.

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Die Auskunftsperson sollte nicht unnötig angegriffen werden. Wird dem Mitarbeiter ein bestimmtes Verhalten vorgeworfen, wird er versuchen, sich zu verteidigen oder sogar die Bereitschaft verlieren, vollständig zu berichten.[37] Es entsteht die Gefahr, dass die Situation in einem anderen – für die Auskunftsperson positiveren – Licht dargestellt wird. Der Sachverhalt wird in seinen Einzelheiten (unbewusst) anders dargestellt oder auch mit einer anderen Schwerpunktsetzung berichtet. Es sollte also vermieden werden, die Auskunftsperson in eine Verteidigungsposition zu bringen. Ein Mittel dazu ist, die Mitteilungen aus der eigenen Position heraus zu formulieren und nicht einen Fehler bei dem Anderen zu suchen.[38]

ee) Verständlichkeit und klare Sprache

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Nicht zu unterschätzen ist die Verständlichkeit und Klarheit der Sprache bei einer Vernehmung. Der Vernehmer sollte lange, verschachtelte Sätze vermeiden.[39] Auch Fragehäufungen führen nicht zu einer effektiveren und schnelleren Vernehmung.[40] So wird die Auskunftsperson die einzelnen Fragen in der Regel nicht vollständig aufnehmen bzw. den Kern der Frage bei vielen Verschachtelungen und Zusätzen nicht erkennen können.

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Es tritt bei Vernehmungen immer wieder das Problem auf, dass Fragen anders verstanden werden, als vom Vernehmer gewollt.[41] Diese Missverständnisse sind nicht zwingend auf einen niedrigen Bildungsstand zurückzuführen. Im Rahmen der Kommunikation kommen viele Faktoren wie Herkunft, Sprache, Dialekt, Hintergrundwissen, Fragestellung, Herangehensweise, Wortwahl etc. hinzu. Der Vernehmer sollte daher versuchen, sich auf die Auskunftsperson und ihre Persönlichkeit einzustellen. Da dies nicht immer ausreichend möglich ist, kann man sich durch Nach- oder Rückfragen versichern. Nicht immer wird mit gleichen Wörtern dieselbe Bedeutung verbunden. Dies lässt sich durch Empathie und Nachhaken klären.

ff) Kompetenz

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Die Vorbereitung in der Sache stellt die Grundlage einer jeden Vernehmung dar.[42] Zum einen können nur auf diese Weise die notwendigen Fragen bzw. Rückfragen gestellt werden, zum anderen führt die sachliche Kompetenz in der Regel zu mehr Autorität. Allein die Position der leitenden Person reicht nicht aus, um die notwendige Kompetenz zu vermitteln. Der Vernehmer, der neben seinem Wissen über den Akteninhalt bzw. des Sachverhaltes auch die ausreichende Kompetenz besitzt, eine Vernehmung qualifiziert zu führen, wird bei der Wahrheitsfindung Erfolg aufweisen können.[43] Die fachliche Kompetenz wird nicht dadurch erreicht, dass der Vernehmer besonders laut und streng auftritt. Ein ausgleichendes Auftreten, das Fehler und Schwächen zulässt, aber auch ein entschlossenes Vorgehen umfasst, wird die Auskunftsperson mehr beeindrucken und die Auskunftsbereitschaft steigern.

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Je nach Stellung des Vernehmers gegenüber der Auskunftsperson oder aufgrund großer Emotionalität kommt es nicht selten zu Provokationen. Auf diese Art und Weise sollte sich der Vernehmer nicht einlassen. Klare Grenzen sind zu formulieren, aber auf einer sachlichen Ebene.[44] Soweit Konsequenzen angekündigt werden, sollten sie eingehalten werden. Klare Regeln schaffen Transparenz und auch Vertrauen. Die Einhaltung der Regeln gelten selbstverständlich für alle Beteiligten, also auch für den Vernehmer. Soweit die Situation droht, dass die Vernehmung aus den Fugen gerät, kann eine Pause hilfreich sein. Im Anschluss sollte es dann in der Sache ohne Bezug auf die vorherigen Geschehnisse weitergehen.

b) Grundstruktur der Vernehmung

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Grundlage einer jeden Vernehmung sollte sein, zuerst einen Bericht der Auskunftsperson zu ermöglichen und erst im Anschluss das Verhör, d.h. Nachfragen, anzuschließen. Diese Grundstruktur ist für den Straf- sowie den Zivilprozess gesetzlich festgeschrieben (§ 69 Abs. 1 StPO und § 396 Abs. 1 ZPO). Dieser Anspruch wurde zwar für den gerichtlichen Prozess formuliert, doch sollte der Grundsatz für jede Vernehmung gelten. Er ist aussagepsychologisch von allgemeiner Gültigkeit: Die Fehlerquote ist bei einer Vernehmung grundsätzlich höher, wenn direkt mit dem Verhör begonnen wird.[45] Der Auskunftsperson sollte daher die Zeit gegeben werden, in Ruhe die Erinnerungen frei zu berichten. Soweit die Schilderung etwas kurz oder lückenhaft gerät, kann durch offene Fragen die Auskunftsperson zur Erweiterung des Berichtes aufgefordert werden. Dies kann etwa erreicht werden, indem an einer bestimmten Stelle des Berichtes angeknüpft wird und um genaueren Bericht gebeten wird. Konkrete Sachfragen verhelfen dabei weniger zu einer allgemeinen Erweiterung, da bei Einzelfragen durch Details, die in der Frage schon formuliert werden, immer die Gefahr steckt, die Auskunftsperson in irgendeiner Richtung zu beeinflussen.[46]

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Nicht alle Auskunftspersonen können in der Vernehmungssituation, die oft als belastend empfunden wird, ihre Erinnerungen in einen gesamten, vollständigen Bericht formulieren. An dieser Stelle gilt wieder, die Auskunftsperson in ihrer Aussagebereitschaft zu stärken. Je nach Persönlichkeit kann auch eine gewisse Hilfestellung sinnvoll sein. Dann sollten aber immer noch offene Fragen gestellt werden, die die Auskunftsperson ausfüllen kann (z.B. „Was ist an dem Tag genau vorgefallen?“ oder „Was haben Sie danach gemacht?“).

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Beim Bericht gilt es ganz besonders, sich als Vernehmer zurückzunehmen und die Fragen erst einmal zu notieren. Oft werden viele Fragen im Laufe des Berichtes beantwortet. Die Ausführungen sind dann in freier Erinnerung – ohne Detailfragen – wiedergegeben worden, so dass die Aussagekraft nicht aufgrund möglicher Beeinflussung in Frage gestellt werden sollte.

c) Fragetypen

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An den Bericht schließt sich das Verhör an. Sind bestimmte Fragen noch offen, können diese nun konkret gestellt werden. Dies ermöglicht die ggf. notwendige detailliertere Ausklärung des Sachverhaltes. Auch können Fragen genutzt werden, um die Glaubhaftigkeit der Aussage zu überprüfen.

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Bei der Formulierung der Fragen sollten die oben aufgeführten Regeln der Vernehmung besonders beachtet werden. Jedes einzelne Wort hat eine Wirkung auf die Auskunftsperson. Dies sollte sich der Vernehmer immer wieder bewusst machen. Die Fragen sollten klar, kurz und freundlich gestellt werden. Festlegungen sind nach Möglichkeiten zu vermeiden. So verhilft etwa schon das Weglassen von bestimmten Artikeln zu einer offeneren Frage. Bestenfalls formuliert der Vernehmer sog. W-Fragen (wer, wie, was, wo). Dann ist gesichert, dass die Auskunftsperson Informationen bekunden muss, außer sie hat keine Erinnerung. Eine Reduzierung auf einen bestimmten Gegenstand oder Person wird dann nicht suggeriert.

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Vermeiden sollte der Vernehmer negativ formulierte Fragen. Darin könnte die Auskunftsperson eine Wertung, vielleicht sogar einen Angriff sehen. Die Antwort wird aller Wahrscheinlichkeit in eine bestimmte Richtung gelenkt, die nicht unbedingt gewollt war und jedenfalls nicht ganz unbefangen ist.[47]

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Es besteht die Möglichkeit, nebensächliche Fragen zu stellen, um zu überprüfen, ob die Erinnerungen der Auskunftsperson echt sind. So können nach dem Bericht zum Kerngeschehen, das der Vernehmer im Ergebnis aufklären will, Fragen zum Rahmengeschehen gestellt werden. Das ist in der Sache zwar für den Vernehmer nicht interessant. Allerdings bietet diese Vorgehensweise eine Variante, die Glaubhaftigkeit zu überprüfen. Hat sich jemand einen Sachverhalt nur ausgedacht, wird es ihm schwer fallen, über unwichtige Details wie das Wetter, die Kleidung anderer Leute, über Gerüche oder ähnliches zu berichten. Umso mehr Details erwähnt werden, umso schwieriger hat es der Lügner, sich nicht in Widersprüche zu verstricken.[48] Es dürfen allerdings nicht zu schnell Rückschlüsse gezogen werden, wenn bestimmte Angaben nicht gemacht werden können, da es realitätsfern wäre, wenn keine Erinnerungslücken bestehen.

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Hilfreich für eine Vernehmung ist, wenn sich der Vernehmer grundsätzliche Fragetypen verinnerlicht und sie auch bewusst einsetzt. Die Fragearten können detailliert aufgeschlüsselt werden. Vorliegend soll eine grobe Einordnung der wichtigsten Typen dargestellt werden:[49]

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Die sog. Filterfrage stellt die Eingangsfrage zu Beginn des Berichtes dar. Es ist zu klären, aus welchem Grund die Auskunftsperson zur Sache etwas beitragen kann und worauf ihr Wissen beruht. Der Vernehmer muss klären, ob die Auskunftsperson vor Ort war und was sie selbst wahrnehmen konnte.

 

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Im Fall einer Auswahlfrage bietet der Vernehmer der Auskunftsperson mehrere Möglichkeiten zur Auswahl an. Die Auskunftsperson kann dann eine Variante auswählen. Hierbei sollte der Vernehmer beachten, dass eine offene Variante angeboten wird, wie etwa „… oder war es anders?“. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sich die Auskunftsperson auf die nächstliegende Variante festlegt, obwohl der Sachverhalt sich für sie etwas anders darstellt.

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Bei zu langen Ausschweifungen der Auskunftsperson kann es notwendig sein, dass der Vernehmer die Richtung auf das eigentliche Thema lenken sollte. Dies kann er mit einer Lenkungsfrage erreichen. Die sogenannte Rangierfrage ermöglicht dem Vernehmer, die Auskunftsperson auf einen bestimmten Punkt zu lenken. Es sollte ein fließender Übergang von den Ausführungen der Auskunftsperson zu dem fraglichen Thema formuliert werden.[50] Hierbei muss der Vernehmer Acht geben, die Auskunftsperson nicht zu abrupt zu unterbrechen und den Redefluss nicht zu sehr zu stören. Steigen die Emotionen bei der Auskunftsperson zu stark, kann eine Ablenkungsfrage, ggf. mit kleiner Pause, wieder Sachlichkeit in die Vernehmung bringen. Der Vernehmer sollte die Emotionen ernst nehmen, aber auch nicht verstärken.

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Abschließend ist auf die Suggestivfrage hinzuweisen, die trotz des Wissens um ihre Folgen immer wieder auftaucht. In der Suggestivfrage wird immer eine Tatsache schon angenommen, die für die Antwort eine Voraussetzung ist. Wird nach dem Aussehen eines Kleidungsstücks gefragt, setzt diese Frage voraus, dass die fragliche Person das Kleidungsstück überhaupt trug. Die Suggestivfrage ist nicht per se ohne Beweiswert. Allerdings muss bei der Würdigung beachtet werden, dass allein die Überhangantwort Aussagekraft hat. Also nur der Inhalt der Antwort, der in der Frage noch nicht vorausgesetzt wurde, ist zu berücksichtigen.[51]

4. Dokumentation

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Die Anhörung der Auskunftsperson ist in der Regel schriftlich zu dokumentieren. Nach der Begründung der zitierten BRAK-These muss die Dokumentation den Anschein einer „amtlichen“ Handlung vermeiden. Ob dem Mitarbeiter auf Verlangen später Einsicht zu gewähren ist, mag im Einzelfall entschieden werden. Die BRAK empfiehlt das.

Wie bei den meisten Einzelfragen rund um das Interview gibt es keine Pauschallösungen. So sind Fälle denkbar, in denen Befragungen von Mitarbeitern nicht weiter dokumentiert werden müssen. Die Motivation dafür kann unterschiedlich sein. In der Regel soll die Untersuchung Ermittlungsergebnisse generieren, die zu Beweis- oder anderen Untersuchungszwecken in Schriftform festgehalten werden.

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Eine authentische Dokumentation ist heutzutage technisch problemlos durch Bild-Ton-Aufnahmen gewährleistet. Dennoch gibt es Gründe, die gegen eine solche Dokumentationsform sprechen. Faktisch wird die Atmosphäre extrem formalisiert und insgesamt sinkt die Auskunftsfreude spürbar. Während bei aussagepsychologischen Begutachtungen die Audio- oder Videoaufnahme mit anschließender Transkription dem wissenschaftlichen Standard entspricht, ist diese Form bei den meisten unternehmensinternen Untersuchungen nicht das Mittel der Wahl. Hinzu treten rechtliche Probleme: Eine (Bild-)Ton-Aufnahme der Befragung ist ohne die ausdrückliche Einwilligung aller Gesprächsteilnehmer unzulässig. Außerdem ist bei grenzüberschreitenden Untersuchungen für die SEC oder das DOJ zu beachten, dass eine Abschrift oder (Bild-)Ton-Aufnahme nicht unter das „Attorney-Client-Privilege“ fallen würde, da sie keine juristische Bewertung durch den Anwalt enthält.[52] Damit wären die Aufnahmen bzw. Transkriptionen nicht beschlagnahmefrei.

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Derzeit werden Mitarbeiterbefragungen vorzugsweise durch Gesprächsprotokolle dokumentiert, die der Interviewer verfasst. Um späteren Streitigkeiten über den Inhalt, soweit es geht, bereits im Vorfeld zu begegnen, sollte das Gesprächsprotokoll vom Mitarbeiter abgezeichnet werden. So werden auch Missverständnisse vermieden. Die Aussagen des Mitarbeiters sollten möglichst wortgetreu und wertneutral dargestellt werden. Es ist für die spätere Bewertung der Auskünfte besser, wenn die Fragen ebenfalls protokolliert werden.

5. Kosten

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Die BRAK empfiehlt dem Unternehmensanwalt darauf hinzuwirken, dass die Kosten für den Rechtsbeistand im Rahmen des rechtlich Zulässigen vom Unternehmen übernommen werden.[53] In der Regel geschieht dies unter dem Vorbehalt der Rückforderung, wenn wegen des Gegenstands der Befragung später eine rechtskräftige Verurteilung wegen Vorsatzes erfolgen sollte. Das Mandatsverhältnis besteht dennoch ausschließlich zwischen Rechtsbeistand und Mitarbeiter.

Anmerkungen

[1]

Vgl. Wendler S. 188, 190.

[2]

Rn. 78 ff.

[3]

Die Zeit, 4.10.1991, Nr. 41.

[4]

Mohrbach S. 157.

[5]

Deutsches Aktieninstitut Internal Investigations bei Compliance-Verstößen, Studien des Deutschen Aktieninstituts, Heft 48, 2010, S. 57.

[6]

Püschel S. 223, 225.

[7]

Püschel S. 223, 225.

[8]

Rn. 2.

[9]

Rn. 78 ff.

[10]

Rübenstahl WiJ 2012, 17, 25.

[11]

Rudkowski NZA 2011, 612.

[12]

S. Rn. 8.

[13]

Rn. 10 ff.

[14]

Rudkowski NZA 2011, 612, 613.

[15]

Vgl. BAG v. 13.3.2008 – II AZR 961/06 und LAG Berlin/Brandenburg v. 6.11.2009 – 6 Sa 1121/09; siehe a. Rn. 89 f.

[16]

Ignor CCZ 2011, 143, 146.

[17]

Ignor CCZ 2011, 143, 146.

[18]

Ignor CCZ 2011, 143, 146.

[19]

Ignor CCZ 2011, 143, 146.

[20]

Rübenstahl WiJ 2012, 17, 25.

[21]

Das empfiehlt sich in problematischen Fällen ohnehin aus Sicht des Mitarbeiters.

[22]

Vgl. auch Szesny BB 45/2011, VI, VII; Rübenstahl WiJ 2012, 17, 30 ff.

[23]

These 3; vgl. Ignor CCZ 2011, 143, 145.

[24]

Ignor CCZ 2011, 143, 145.

[25]

Vgl. Rübenstahl WiJ 20102, 18, 19 f.

[26]

Zur Dokumentation des Interviews vgl. Rn. 74 ff.

[27]

Bender/Nack/Treuer Rn. 705 ff.

[28]

Vgl. Wendler S. 188, 189.

[29]

Zu unterschiedlichen Vernehmungsbedingungen aus aussagepsychologischer Sicht vgl. Jansen Rn. 166 ff.

[30]

Bender/Nack/Treuer Rn. 709.

[31]

Vgl. dazu Nack S. 219, 250; Bender/Nack/Treuer Rn. 713 ff. und 733 ff.

[32]

Vgl. Wendler/Hoffmann Rn. 46, 50 f.

[33]

Bender/Nack/Treuer Rn 733 ff.; Nack S. 219, 251.

[34]

Vgl. Bender/Nack/Treuer Rn. 722 und 821 ff.; Nack S. 219, 251.

[35]

Wendler/Hoffmann Rn. 46.

[36]

S. dazu auch Bender/Nack/Treuer Rn. 729.

[37]

Vgl. Wendler/Hoffmann Rn. 50 f.

[38]

Vgl. Wendler/Hoffmann Rn 69.

[39]

S. dazu Bender/Nack/Treuer Rn. 742 ff.

[40]

Vgl. Wendler/Hoffmann Rn 56.

[41]

Dazu auch Bender/Nack/Treuer Rn. 742 ff.

[42]

S. Rn. 25 ff.

[43]

Vgl. Bender/Nack/Treuer Rn. 760 ff.

[44]

Dazu Bender/Nack/Treuer Rn. 766 ff.

[45]

Bender/Nack/Treuer Rn 810.

[46]

Bender/Nack/Treuer Rn. 811 ff.; Wendler/Hoffmann Rn. 46 f.

[47]

Dazu Wendler/Hoffmann Rn. 52.

[48]

Siehe Bendler/Nack/Treuer Rn. 905 ff.

[49]

Näher dazu: Nack S. 219, 255 f.; Bender/Nack/Treuer Rn. 869 ff.

[50]

Vgl. dazu Bender/Nack/Treuer Rn. 924 ff.; Ziegert S. 219, 255 f.

[51]

 

Nack S. 219, 256.

[52]

Deutsches Aktieninstitut Internal Investigations bei Compliance-Verstößen, Studien des Deutschen Aktieninstituts, Heft 48, 2010, S. 58. Zur Problematik der Beschlagnahme von Interviewprotokollen in Deutschland vgl. LG Braunschweig BB 2015, 2771; LG Gießen BeckRS 2012, 15498; LG Mannheim Beschluss v. 3.7.2012 – 24 Qs 1/12, BeckRS 2012, 15309 dagegen LG Bonn NZWiSt 2013, 21 ff.; siehe auch LG Saarbrücken NZWiSt 2013, 153 ff.; zuvor LG Hamburg NJW 2011, 942.

[53]

Ignor CCZ 2011, 143, 146.

1. Teil Ermittlungen im Unternehmen › 7. Kapitel Ermittlungen und Beweissicherungen – Personenbefragungen › III. Arbeitsrechtliche Grenzen

III. Arbeitsrechtliche Grenzen

1. Anhörung als Voraussetzung der Verdachtskündigung

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Bei Internal Investigations stehen meist strafrechtliche- oder Compliancethemen im Vordergrund. Es geht den Ermittlern primär darum, aus dem Unternehmen begangene Straftaten aufzuklären und langwierige behördliche Verfahren zu vermeiden. Die internen Ermittler sind meist die internen Revisoren oder externe Berater wie Rechtsanwälte oder Wirtschaftsprüfer. Regelmäßig wird (erst) während oder nach Abschluss der Ermittlungen über arbeitsrechtliche Konsequenzen nachgedacht. Neben dem Ziel der strafrechtlichen Überführung und der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche sollte der interne Ermittler aber schon früh eine arbeitsrechtliche Besonderheit bedenken. Arbeitsrechtlich wird zwischen der Tat– und der Verdachtskündigung unterschieden.[1] Das Arbeitsrecht billigt dem (verletzten) Arbeitgeber das Privileg zu, trotz des letzten fehlenden Nachweises kündigen zu können. Der Arbeitnehmer kann – für den Strafrechtler schwer verständlich – seinen Arbeitsplatz verlieren, obwohl letzte Zweifel an seiner Verfehlung bestehen. Die Kündigung ist aber entgegen vielfachem Fehlverständnis keine „Strafe“. Die Kündigung als solche „bestraft“ nie vergangenes Tun, sondern wird gerechtfertigt durch die Wiederholungsgefahr in der Zukunft. Kein Arbeitgeber soll mit einem Arbeitnehmer zusammenarbeiten müssen, bei dem er befürchten muss, schwerwiegend geschädigt zu werden. Die eigentliche Rechtfertigung der Verdachtskündigung ist daher die Wiederholungsgefahr. Die Verdachtskündigung verstößt deshalb auch nicht gegen die in Art. 6 Abs. 2 MRK verankerte Unschuldsvermutung.[2]

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Die Hürden für eine (erfolgreiche) Verdachtskündigung sind entsprechend hoch. Eine Verdachtskündigung liegt vor, wenn der Arbeitgeber seine Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines (nicht erwiesenen) strafbaren bzw. vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört.[3] Der Verdacht muss (1) auf objektiven Tatsachen beruhen, (2) die hohe Wahrscheinlichkeit der Verfehlung muss die weitere Zusammenarbeit unzumutbar machen und (3) der Arbeitgeber muss den Sachverhalt aufzuklären versuchen, mindestens den Arbeitnehmer anhören.[4] Verständlicherweise muss die vermutete Verfehlung ein gewisses Gewicht haben, im erwiesenen Fall müsste sie eine Kündigung rechtfertigen können.

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Abzulehnen sind Tendenzen der Rechtsprechung, den anzuhörenden Arbeitnehmer mit Rechten wie den Beschuldigten im Strafverfahren auszustatten. Teilweise wird verlangt, dass dem Arbeitnehmer in der Einladung der Gegenstand des Gespräches mitgeteilt und die Hinzuziehung eines Rechtsbeistandes ermöglicht werden müsse.[5] Sogar die Beweismittel soll der Arbeitgeber im Einzelnen benennen müssen, um dem Arbeitnehmer allein den Angriff auf die Beweismittel zu ermöglichen.[6] Nachvollziehbar erscheint noch, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht über den Inhalt des Gespräches täuschen sollte, also nicht bewusst zu einem falschen Thema einlädt, etwa zu einem allgemeinen Personalgespräch wegen der Übernahme zusätzlicher Schichten.[7] Es muss aber reichen, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer ohne Angabe irgendeines Grundes zu einem Gespräch bittet. Der dolose Arbeitnehmer weiß dann, worum es gehen kann, der Unschuldige kann sich auch ohne Vorbereitung ausreichend einlassen. Dem Arbeitgeber muss aber die Möglichkeit verbleiben, die Reaktion des verdächtigten Mitarbeiters auf Vorhalte zu beurteilen, ohne dass dieser vorher mit seinem Anwalt eine Verteidigungsstrategie entwickeln konnte. Jeder Richter beurteilt die Glaubwürdigkeit eines Zeugen auch an dessen spontanen Reaktionen, an Erröten, Schweigen, Stottern etc. Die Würdigung dieser Reaktionen muss auch dem Arbeitgeber in einer Anhörung erlaubt sein.

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Klargestellt hat das BAG, dass ein 21-jähriger Auszubildender zum Bankkaufmann, dem ein Kassenfehlbestand vorgeworfen wird, nicht über den beabsichtigten Gesprächsinhalt vor Durchführung der Anhörung unterrichtet werden muss.[8] Dies folge insbesondere nicht aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör, da Art. 103 Abs. 1 GG nur die Gerichte binde. Die vorherige Mitteilung des Gesprächsthemas gebe dem Auszubildenden zwar die Möglichkeit der Vorbereitung, nehme ihm aber die Chance, sich möglichst unbefangen mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen und möglicherweise schon mit seiner spontanen Reaktion eine Entlastung herbeizuführen.[9] Allerdings kann es im Einzelfall geboten sein, bei einem sichtlich überforderten Auszubildenden auf dessen Wunsch hin die Anhörung zu unterbrechen und einen Fortsetzungstermin anzuberaumen. Auch könne eine Unterbrechung notwendig werden, wenn der Auszubildende die Beratung mit einer Vertrauensperson verlange. Eine dahingehende Hinweispflicht besteht für den Ausbildenden hingegen nicht.[10]

82

Auch wenn die Entscheidung ein Berufsausbildungsverhältnis betrifft, so kann im Arbeitsverhältnis doch nichts grundlegend Abweichendes gelten. Entscheidend sind stets die Umstände des Einzelfalles. Sollen in der Anhörung umfangreiche Sachverhalte geklärt werden, kann eine Vorbereitung durch den verdächtigten Arbeitnehmer sinnvoll sein. Soll unter mehreren Verdächtigen eine Tatbeteiligung geklärt werden, empfiehlt es sich, dem BAG folgend, das Thema im Vorhinein gerade nicht mitzuteilen und die spontanen Reaktionen genau zu dokumentieren.

83

Die Einladung zur Anhörung kann mündlich, schriftlich oder elektronisch erfolgen. Ist damit zu rechnen, dass sich der Arbeitnehmer gar nicht äußern wird oder ist er arbeitsunfähig erkrankt, empfiehlt sich die Zustellung des Einladungsschreibens durch einen Boten, der den Text des von ihm überbrachten Schreibens kennen muss. Zu Beweiszwecken empfiehlt es sich, dass der Bote auf einer Kopie der Einladung handschriftlich vermerkt, wann und wo er das Schreiben übergeben oder in den Hausbriefkasten eingeworfen hat. Einwurfeinschreiben haben demgegenüber den Nachteil, dass sie nicht beweisen können, welchen Inhalt das Schreiben hatte, von Rückscheineinschreiben ist allgemein abzuraten. Sie werden vom nicht angetroffenen Empfänger oftmals nicht abgeholt und gehen dann an den Absender zurück.

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Es besteht auch die Möglichkeit, den Arbeitnehmer statt der Einladung zu einem persönlichen Gespräch gleich schriftlich anzuhören. Das BAG hat klargestellt, dass an eine solche schriftliche Anhörung keine überzogenen Anforderungen gestellt werden dürfen, insbesondere nicht das Niveau einer Betriebsratsanhörung erreicht werden müsse.[11] Die Anhörung muss sich auf einen greifbaren Sachverhalt beziehen und dem Arbeitnehmer die Möglichkeit geben, bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen zu bestreiten oder den Verdacht entkräftende Tatsachen zu bezeichnen und so zur Aufklärung beizutragen.[12] Die Anhörung vor der Verdachtskündigung sei dagegen nicht dazu da, als verfahrensrechtliches Erschwernis die Aufklärung zu verzögern und die Wahrheit zu verdunkeln. Es reicht also eine einfache Schilderung des Vorwurfs mit Angabe der Art des Vorwurfs und Ort und Zeitpunkt der Verletzungshandlung aus. Ist dem Arbeitnehmer ein Durchsuchungsbeschluss bekanntgegeben worden, kann der Arbeitgeber darauf Bezug nehmen.[13] Allerdings wird die Kenntnis seines Strafverteidigers dem Arbeitnehmer nicht zugerechnet.[14] Es reicht also nicht aus, dass der Verteidiger Akteneinsicht hatte. Die (allein) schriftliche Anhörung sollte aber auf Fälle beschränkt bleiben, in denen der Arbeitnehmer nicht greifbar ist oder ein sehr einfacher Sachverhalt vorliegt. Nur in einem persönlichen Gespräch kann der Arbeitgeber spontane Reaktionen auf Vorhalte werten, sich der Arbeitnehmer in Widersprüche verwickeln und dessen Gefühlsregungen beurteilt werden. Dies kann einen Verdacht entkräften oder aber eben auch verstärken. Dieser Erkenntnismöglichkeiten sollten sich die internen Ermittler und der Arbeitgeber nicht begeben.

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Die außerordentliche Kündigung kann nach § 626 Abs. 2 BGB nur innerhalb einer Frist von 2 Wochen ab Kenntnis von den die Kündigung begründenden Tatsachen erfolgen. Entscheidend ist die Kenntnis eines zur Kündigung Berechtigten. Insofern ist es für den internen Ermittler, bspw. für die interne Revisionsabteilung oder den ermittelnden externen Berater, eine entscheidende Frage, ab wann er Vorstand/Geschäftsführung informiert. Um sich spätere Diskussionen über die Zweiwochenfrist zu ersparen, sollte die Information erst zu einem Zeitpunkt erfolgen, zu dem der Verdacht weitgehend erhärtet ist. Die Information sollte in Form eines Vermerkes oder einer Mail auch hinsichtlich ihres Zeitpunktes dokumentiert werden. Der interne Ermittler sollte im Hinblick auf die Zweiwochenfrist spätestens zu diesem Zeitpunkt den Personalleiter in seine Information einbeziehen und idealerweise auf die ab dann laufende Frist für arbeitsrechtliche Maßnahmen hinweisen. Geht es um ein strafbares Verhalten des Arbeitnehmers, kann sich der Kündigungsberechtigte am Fortgang des Strafverfahrens orientieren. Er kann jedoch nicht zu jedem beliebigen Zeitpunkt während des laufenden Strafverfahrens außerordentlich kündigen. Für den gewählten Zeitpunkt muss es einen sachlichen Grund geben. Sachlicher Grund können etwa neue Tatsachen oder neue Beweismittel aus den Ermittlungsakten sein, wodurch der Kündigungsberechtigte nunmehr einen – neuen – ausreichenden Erkenntnisstand für eine Kündigung zu haben glaubt.[15] Weitere mögliche Zeitpunkte sind Anklageerhebung oder Verurteilung. Selbst ein Freispruch hindert den Ausspruch einer Verdachtskündigung nicht, wenn dieser nur wegen „letzter – geringer – Zweifel“ erging.[16] Nur bei einem Freispruch wegen „erwiesener Unschuld“ fehlt der Verdachtskündigung endgültig die Grundlage.

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Die Anhörung muss innerhalb einer angemessenen Frist, i.d.R. einer Woche, erfolgen.[17] Wird diese Frist gewahrt, ist die zweiwöchige Kündigungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB bis zum Abschluss der Anhörung gehemmt.[18] Der mit der beabsichtigten Anhörung verbundene Fristaufschub entfällt auch dann nicht, wenn der Arbeitgeber das ergebnislose Verstreichen der Frist zur Stellungnahme für den Arbeitnehmer zum Anlass nimmt, nunmehr auf dessen Anhörung zu verzichten.[19] Findet die Anhörung dagegen erst nach Ablauf der Wochenfrist statt, obwohl das Gespräch auch früher hätte erfolgen können, beginnt die Frist bereits mit Kenntnis des Arbeitgebers bzw. der kündigungsberechtigten Person.

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Bei internen Ermittlungen wird der Ablauf regelmäßig so sein, dass die Ermittler den Sachverhalt vor allem auf dolose Handlungen hin aufzuklären versuchen. Arbeitsrechtliche Aspekte stehen dabei (zunächst) nicht im Fokus. Die Ermittler sind keine kündigungsberechtigten Personen. Haben Sie den dolosen Mitarbeiter eingehend befragt und teilen danach den Verdacht dem Arbeitgeber mit, stellt sich die Frage, ob der Mitarbeiter damit durch die Ermittler bereits angehört wurde. Auch wenn sich der verdächtige Mitarbeiter gegenüber den Ermittlern weitgehend eingelassen hat, ist dem Arbeitgeber zu raten, den Mitarbeiter vor Ausspruch einer Verdachtskündigung erneut anzuhören. Die Situation in einem Ermittlergespräch muss nicht dieselbe wie in einem Anhörungsgespräch sein. Erst im Anhörungsgespräch, bei dem sich der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber gegenüber sieht, muss ihm klar werden, dass es um den Bestand des Arbeitsverhältnisses geht. Auch nach umfangreichen Ermittlungsgesprächen sollte daher der kündigungsberechtigte Vertreter, seien es Personalchef(in) oder Vorstand/Geschäftsführung, den Arbeitnehmer in der dargestellten Weise anhören.