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Überraschungen im Sudan

Sabine und Thomas aus Bayern sammelten schon früh Reiseerfahrungen, indem sie viele Monate in zahlreichen Ländern auf fast allen Kontinenten verbrachten. Von 2009 an waren sie sechs Jahre mit ihrem Reisemobil, dem Mercedes Oldtimer-LKW „Paula“ in der ganzen Welt unterwegs. Sie verstanden ihre Reise nicht als „Aussteigen“, sondern als mobiles Leben auf Zeit. Auf ihrer Homepage www.abseitsreisen.de finden sich sehr interessante Reiseberichte, viele Tipps und Infos und schöne Fotos.

Über ihre Erfahrungen im Sudan berichten sie hier:

Manchmal ist man selbst verwundert, wie einfach vieles zuhause ist. Dinge, die man bei uns eben mal schnell nach Feierabend auf dem Nachhauseweg erledigt, sind auf Reisen oft ein Ding der Unmöglichkeit. So vieles ist umständlicher, komplizierter oder einfach nicht machbar. Trinkwasser besorgen, Toilettenpapier kaufen, Wäsche waschen, Milch kaufen, Emails abholen. In Europa eine Aufgabe von fünf Minuten. Aber unterwegs? Ein aktuelles Beispiel: Mal schnell tanken fahren.

Vom Tanasee in Äthiopien bis zur sudanesischen Grenze sind es knapp 250 Kilometer. Da der Sprit im Sudan deutlich günstiger ist als in Äthiopien, wollen wir keinen unnötigen Ballast umherfahren. Gut kalkuliert, nicht nur bis zur Grenze, sondern bis zur ersten größeren Stadt im Sudan – 90 Liter sollten reichen. So rollen wir los vom Tanasee, brechen auf gen Sudan. Nach drei Stunden ein Anruf von unserem Freund Mathias. Er steht mit durchlöchertem Kühler in einem Dorf. Was tun?

Weitere drei Stunden Feldweg später hängt sein Unimog an unserem LKW, mit 17 Tonnen im Nacken schiebt sich Paulas Motor über die vom Sturzregen aufgeweichten Schlammpisten und saugt kräftig am Tank.

Nach der nächtlichen fünfstündigen Abschleppaktion vom Tanasee nach Gonder sind die Dieselreserven deutlich geschrumpft. Kein Problem, hier in Gonder gibt’s direkt am Ortsausgang drei Tankstellen hintereinander. Beim Weg aus der Stadt können wir noch eben schnell mal nachfüllen. Von wegen, und so beginnt die Misere. Leider sind alle Tankstellen leer. Und jetzt? Auf dem Weg zur Grenze kommen noch einige größere Orte, kurz durchgerechnet – das schaffen wir noch. Im größten Notfall können wir den Bodensatz unserer drei Tanks ablaufen lassen, zusammenschütten und mit den letzten Tropfen noch bis in den Sudan rollen. Dort gibt es sicher direkt hinter der Grenze Diesel an der Zapfsäule. Also alles halb so wild.

100 Kilometer hinter Gonder neigt sich die Nadel schon verdächtig gegen „leer“. In einem kleinen Dorf findet sich noch eine Zapfsäule mit Diesel. Wir füllen mit den letzten äthiopischen Birr gut 50 Liter in den Tank. Jetzt kann nichts mehr schief gehen – wir sind auf der sicheren Seite. Dachten wir.

Drei Stunden später rollen wir über die Grenze. Tatsächlich, direkt neben dem Schlagbaum die erste Tankstelle. „Nie die erste Tanke hinter der Grenze nehmen“, denken wir uns. Der Sprit ist in Äthiopien dreimal teurer, da boomt sicherlich der Schmuggel. Die direkt an der Grenze gelegenen Tankstellen sind immer dazu prädestiniert, dass der Sprit gepanscht ist. Richtig oder falsch, egal. Die erste Tankstelle lassen wir links liegen. Noch haben wir ja Sprit für 100 Kilometer. Nach 50 Kilometer die nächste Tankstelle, wir fahren raus. Der Tankwart winkt bereits aus der Ferne ab. Kein Diesel. Nicht so schlimm, wir fahren zur nächsten, hier gibt es ja eine nach der anderen. 10 Kilometer weiter wieder ein winkender Tankwart. „Diesel?!“ „Vielleicht im Ort.“ Wir fahren in den staubigen Ort hinein, fragen uns bis zur Tankstelle durch. Hier gibt es Diesel aber keinen Strom für die Pumpe. „Vielleicht bei der andern Zapfsäule im Ort.“ Auch dort nichts. Ein Blick auf die Karte, die nächste Stadt ist 40 Kilometer entfernt. Mit etwas Glück könnten wir es bis dorthin schaffen. Daumen drücken und auf Rückenwind hoffen.

Gedaref, eine Stadt mit knapp 400.000 Einwohnern und damit fast so groß wie Nürnberg, dreimal so groß wie Regensburg. Dort werden wir sicher auffüllen können. Schon vor dem Stadtrand liegt die erste Tankstelle. Die orange Nadel am Armaturenbrett zeigt bereits unter Null. Paula rollt an den Zapfhahn, ein hoffnungsvoller Blick zum Tankwart. Ein fester Händedruck „Welcome to Sudan“. „Thank you. Do you have Diesel?” „No. Maybe in town at the main petrol station.” Oh Mann!

Wir rollen ins Zentrum, vorbei an unzähligen Eselskarren, Traktoren, Minibussen. Da, Pentapetrol! Eine lange Schlange an Bussen, Jeeps und den wunderbaren alten Bedford Haubenwagen davor. Sieht gut aus. „Diesel“? „No, tomorrow, day after tomorrow or in three days.“ Auf Nachfrage klärt sich, dass derzeit die Regenzeit beginnt, daher alle Landwirte Sprit für ihre Traktoren brauchen und deswegen Treibstoffknappheit herrscht. Großartig: Morgen, übermorgen oder in drei Tagen. Was tun? Irgendwo muss es doch in einer Stadt mit knapp einer halben Million Menschen Diesel geben. Wir drücken wieder den Startknopf und Paula saugt die letzten Tropfen aus dem Tank, wieder zuckt die Nadel ein Stück weiter ins Leere jenseits von Null. Nach einer weiteren Tankstelle im Zentrum suchen wir die nächste Anlaufstelle: Pashaia Market. Wir irren durch die Stadt, fragen einen LKW-Fahrer, ein älterer Herr bietet seine Hilfe an, steigt zu uns ins Fahrzeug und weist uns den Weg durch die verstopften Altstadtgassen quer durch den Basar, entlang einer Ausfallstraße. Nach 15 Minuten erscheint am Horizont ein Tankstellendach und auf der Gegenspur taucht eine nicht enden wollende LKW-Schlange auf. Unverkennbar, hier gibt es Diesel. Die Reihe aus LKWs, Bussen und Minivans nimmt kein Ende. Ganz hinten stellen wir uns dazu. Der ältere Herr verabschiedet sich, wir bedanken uns vielfach, halten ein Tuk-Tuk an, wollen ihm die Rückfahrt in die Stadt bezahlen. Er lässt uns nicht, wehrt sich mit Händen und Füßen, lässt sich keinesfalls Fahrtgeld geben. Das muss die vielgepriesene sudanesische Gastfreundschaft sein, von der wir schon so oft gehört hatten.

Wir stehen in der Schlange und rechnen wie lange es wohl dauern wird, bis wir an der Reihe sein könnten? Drei Stunden? Vier Stunden? Wird in vier Stunden noch etwas in den Behältern der Tankstelle sein? Alternativen? Wir nehmen die Karte zur Hand, suchen nach der nächsten verzeichneten Tankstelle, fragen die lokalen Minibusfahrer. Auf dem Weg nach Khartoum kommt in etwa 100 Kilometern der nächste größere Ort. Dort soll es Diesel geben.

100 Kilometer, das sind bei ebener Straße 22 Liter, die Paula verbrennt, um unser Häuschen zu bewegen. Wenn wir den Bodensatz der anderen Tanks zusammenschütten …

10 Minuten später stehen wir an der nächsten leeren Tankstelle am Stadtrand, eine Plastikwanne unter den Tanks, die Ablass-Schraube offen, die Arme bis zum Ellbogen eingedieselt. 10, 15, 20, 30, 35 Liter und ein Löffel voll Dreck laufen aus der Öffnung, finden den Weg durch den Trichter zu den letzten Tropfen im ersten Tank. Vorerst genug um weiterzukommen.

Nach fünf Kilometern die nächste LKW-Schlange. Wir stellen uns an. Sabine wirft sich das Kopftuch über, bahnt sich den Weg durch die Busse und Anhänger, die aus den verschiedensten Richtungen auf die verheißungsvolle Zapfsäule deuten. Mindestens 2 Stunden Wartezeit heißt es, aber mit einem Kanister könnten wir vielleicht vorgelassen werden. Schnell schnallen wir zwei der alten Bundeswehrkanister vom Dach, Sabine stellt sich in die Reihe der Wartenden. 1000 Liter fließen zuerst in die Fässer auf der Ladefläche eines Pickups, das dauert gut 20 Minuten. Jetzt ist die Schlange der Reservekanister an der Reihe. Sabine reicht dem Tankwart 150 Pfund und deutet auf unsere beiden Kanister. Der Tankwart nickt, wirft noch einmal einen Blick auf das Geld in seiner Hand und drückt den Zapfhahn solange in die Kanister, bis die Anzeige 150 Pfund anzeigt. Dass die Kanister nur Diesel für 140 Pfund fassen ist völlig egal, der Tankwart steht längst in einer immer größer werdenden Pfütze Diesel.

40 Liter helfen uns fürs erste. Irgendwo innerhalb der nächsten 300 Kilometer muss es doch endlich möglich sein, den Tank zu füllen. Auf in Richtung Khartoum!

50 Kilometer weiter finden wir tatsächlich noch einen Tankwart, der neben der eigentlichen Zapfsäule einige Kanister stehen hat. Der Preis ist mit 6 Pfund je Liter zwar doppelt so hoch wie normal, aber mit den 50 Liter extra kommen wir sicher bis in die Hauptstadt.

Am Abend schaffen wir es tatsächlich bis Khartoum, der Tank wieder knapp vor Null. Drei Tage beobachten wir die Tankstelle neben unserem Parkplatz, fragen bei den Angestellten, wann sie die nächste Lieferung bekommen. „Am Abend, um sieben Uhr, naja, besser acht wäre gut.

Dann kommt der Tankwagen.“ Um halb acht stehen wir vor Nile Petroleum. Ein verheißungsvoller Tanklastzug parkt neben den Zapfsäulen, der Muezzin singt zum Abendgebet, die Angestellten stehen aufgereiht zum Gebet neben der Tankstelle. Es ist Ramadan, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang wird weder gegessen noch getrunken. Jeden Tag etwa gegen sieben Uhr wird nach dem Abendgebet zeremoniell das Fasten gebrochen. Alle Tankstellenbediensteten haben den ganzen Tag auf das Essen gewartet, also können auch wir warten. Teppiche werden ausgerollt, Tee eingeschenkt.

Zeit innezuhalten und sich umzublicken. Eine schöne Stimmung herrscht in der Stadt. Die Straßen sind menschenleer, jeder ist beim Gebet. Die Dämmerung hüllt die Stadt in ein warmes, langsam schwächer werdendes Licht und von den Minaretten dringt sanft der Ruf zur Ehre Allahs herab. Ein leichter Wind weht durch die breiten Straßen und kühlt die staubige Hitze des Tages langsam unter die 35 Grad Marke ab. Gedanken drängen sich auf. Welch eine Aktion, nur um einmal den Tank zu füllen.

 

Eine halbe Stunde später ist das Gebet beendet, der Tanklastzug rollt unter dem Dach heraus, die Neonröhren von Nile Petroleum flackern kurz und leuchten dann rot in die hereinbrechende Nacht. Der Tankwart winkt uns heran. In arabischen Ziffern schreibe ich „°..“ mit dem Finger in die dicke Schmutzschicht auf der Kabine. 500 Liter Diesel fließen für 1600 Pfund, knapp 150 Euro durch den Hahn. Mit 30 Eurocent je Liter endlich wieder ein angenehmer Preis für den Treibstoff. Tanken im Sudan hat doch auch seine positiven Seiten, selbst wenn es manchmal etwas länger dauert.

Es gibt Länder, die als Traumreiseziele bekannt sind. Neuseeland und die Vereinigten Staaten, Island oder Thailand. Es gibt andere Länder, die haben einen Ruf bei denen es erst mal vielen die Augenbrauen hochzieht und die Stirn in Falten legt. Es besteht allerdings ein gewaltiger Unterschied zwischen dem, was von Ländern generell berichtet und gedacht wird und dem, was Reisende erzählen, die ein Land besucht haben. Ein Beispiel: Der Iran. Das typische Augenbrauenhochziehland. In Deutschland eher mit Argwohn betrachtet, von Reisenden in den höchsten Tönen gelobt. Der Iran ist nur ein Beispiel von vielen. Angola, Mexiko, Pakistan, spricht man mit Menschen, die dort waren und das Land hautnah erlebt haben, zeichnet sich oft ein vollkommen anderes Bild ab als das, was man als Querschnitt im kollektiven Bewusstsein vorfindet.

Ist der Sudan ein weiteres Paradebeispiel für diese Diskrepanz? Ein Land, das selten bereist wird, fernab der touristischen Pfade, in den Nachrichten allerdings überhäuft mit Negativschlagzeilen. Ein Land aber, von denen die wenigen, die es bereits besuchten, in höchsten Tönen schwärmten, von unermesslicher Gastfreundschaft und herzlichen Begegnungen berichten. Wir sind euphorisch gespannt, aber wie werden wir den Sudan erfahren, wenn wir schon mit so großen Erwartungen durchs Land reisen? Kann man dann nicht enttäuscht werden?

Die erste Nacht verbringen wir am Rande eines kleinen Dorfes. Es ist heiß im Sudan, am Tag klettert das Thermometer über die vierzig Grad Marke. In unserem Fahrzeug ist es noch heißer, unser Thermometer hört bei fünfzig Grad auf zu zählen. Da bleibt einem gar nichts anderes übrig, als die Haustüre sperrangelweit offen stehen zu lassen, in der Hoffnung der wenige Wind schafft etwas Linderung. Auf der anderen Seite sind wir müde vom Grenzübertritt, es war ein langer Tag. Jetzt noch mit allen möglichen Leuten reden müssen, die zufällig am Fahrzeug vorbeikommen? Halt, völlig falscher Gedankengang. Wir sind nicht mehr in Äthiopien, wo man in wenigen Minuten von unzähligen Menschen umringt und neugierig begutachtet wird. Das zeigt der Blick aus der Tür ganz deutlich. Hier im Sudan schätzen die Menschen ihre Privatsphäre und gestehen sie auch dem anderen zu. Der Blick aus der Tür, er ist und bleibt unverstellt.

Ein paar Tage später machen wir für die Mittagspause direkt am Nil halt. Wieder ist unsere Türe geöffnet. Die Männer, die zufällig vorbeikommen, rufen im Vorübergehen ein kurzes ‚Welcome to Sudan‘ und sind auch schon wieder verschwunden. Nach einer Stunde, wir wollten schon wieder packen, kommt ein Fischer vorbei und lädt uns zum Tee ein, er müsse nur noch kurz einen besorgen gehen. Als er zurückkommt, folgen wir ihm die Uferböschung hinab. Hier im Schatten der Bäume hat Walid mit seinen drei Fischereikumpanen ein kleines Lager aufgeschlagen. Schnell werden ein paar Zweige Holz gesammelt, Feuer gemacht und Tee aufgesetzt. Dass das Wasser direkt vom Nil kommt und nur kurz erwärmt wird, wird uns schon nicht umbringen. Die vier zeigen uns ihren Fang des Tages und wollen uns gleich einen riesigen Barsch fürs Abendessen schenken. Lachend lehnen wir ab, der zappelnde Fisch wird wieder ins Wasser getaucht, und wir verabschieden uns von den vier herzlichen Fischern. Was für eine nette, ungezwungene Begegnung.

Es ist gerade Ramadan, eigentlich kein guter Zeitpunkt, um den Sudan zu besuchen. Nicht nur, dass die vielen vermutlich sehr leckeren Essensstände entlang der Straßen geschlossen sind, die Ortschaften wirken wie ausgestorben. Die meisten Geschäfte sind geschlossen, wer irgendwie kann döst im Schatten und bewegt sich so wenig wie möglich. Bei diesen Temperaturen heißt es Kräfte sparen. Das Leben beginnt erst mit Sonnenuntergang und dauert bis Sonnenaufgang, doch da stehen wir meist abseits der Dörfer inmitten der Wüste.

Erst als wir Magzoub, den Besitzer eines kleinen nubischen Gästehauses in Abri begegnen, lernen wir das nächtliche Treiben kennen. Er lädt Luigi aus Italien, dem einzigen Touristen, dem wir in ganz Sudan begegnen, und uns zum abendlichen Ramadan-Essen ein. Wir warten gemeinsam auf den Sonnenuntergang und sobald der Ruf des Muezzins erklingt, wird das Fasten mit einer Dattel gebrochen. Jetzt sitzen die Männer in den Straßen zusammen und essen einfache, leichte Mahlzeiten. Wir lernen, dass zunächst nur wenig gegessen und langsam getrunken wird. Erst nach einigen Stunden verträgt der Magen weitere Nahrung.

Gegen zehn Uhr beginnt das gesellige Leben. Nun ist die Zeit des Shisha-Rauchens, Teetrinkens und der Besuche. Unser Gastgeber führt uns durch das städtische Krankenhaus, auch hier herrscht reges Treiben. „Sabine, was hältst du von einer Henna-Bemalung von Händen und Füßen?“, frag Magzoub zwischen zwei Zügen aus der Wasserpfeife. „Ja gern, wie wär’s morgen?“, antworte ich schon leicht schlaftrunken. „Nein, es ist Ramadan, da ist jetzt die beste Zeit“, und schon sind wir wieder auf den Beinen. Magzoub klopft an eine eiserne Tür und führt uns in den Innenhof eines großen nubischen Hauses. Dass bereits Mitternacht ist, als wir das Heim der Kosmetikerin betreten, ist völlig normal. Drei kleine Kinder liegen tief schlafend auf den Betten im Innenhof, die älteren Töchter werfen sich gemächlich ein Kopftuch über und wir folgen der Mutter in den hinteren Bereich des Hauses. Datteln und frisches, eiskaltes Wasser wird gereicht, dann beginnt die aufwändige Verzierung meiner Gliedmaßen. Die Nachbarin kommt vorbei, sie darf zur großen Freude aller Thomas‘ Füße bemalen, das wird ihm die nächsten Tage noch viele Kommentare einbringen.

Nicht nur Magzoub ist um unser Wohlergehen bemüht, das ganze Dorf scheint sich zur Aufgabe gemacht zu haben, uns willkommen zu heißen. Als Thomas am letzten Abend seinen neuen, handgenähten Araagi, die traditionelle weiße Kutte der nubischen Männer trägt, können wir uns vor Einladungen gar nicht mehr retten. Auf dem Weg zum Abendessen, wir sind erneut bei Magzoub eingeladen, werden wir von südsudanesischen Arbeitern zum Tee eingeladen. „Gern, aber wir haben nur zehn Minuten.“ Kaum haben wir uns verabschiedet, tritt ein stattlicher Nubier vor sein Tor, begrüßt uns und bittet uns in sein Haus. „Vielen Dank, aber wir müssen zu einer Einladung.“ „Ja, ja“, sagt dieser und lässt Thomas‘ Hand nicht los, bis wir in seinem schönen Innenhof stehen. Uns werden süße Datteln gereicht, man wünscht uns einen schönen Aufenthalt im Sudan und lässt uns weiterziehen.

Unsere Erwartungen waren nach all den lobenden Berichten hoch, doch die Begegnungen im Sudan haben diese noch weit übertroffen. Was für ein tolles Land, welch nette Menschen! Wir sind froh, dass wir uns selbst ein Bild von einem Land machen durften, bei dessen Namen wir in Zukunft nicht die Augenbrauen, sondern die Mundwinkel hochziehen werden.

Äthiopien: „You, you, give me, give me”

Seit 2005 verwirklichen Doro und Josef aus Kevelaer ihren Traum von einer Weltreise. Mit einem umgebauten Mercedes Benz LA911, Baujahr 1977, genannt „Monster“, ging es zunächst quer durch Europa; es folgten Asien, Australien, Neuseeland, Süd- und Mittelamerika. Vier Jahre verbrachten sie mit Monster auf dem afrikanischen Kontinent, bevor er 2014 nach Nordamerika verschifft wurde. Viele spannende Berichte und Geschichten sowie eindrucksvolle Fotos findet man auf ihrer Homepage unter: www.monster-worldtour.de.

Im nachfolgenden Text lassen Sie die beiden Weltreisenden an ihrem „Abenteuer Äthiopien“ teilhaben:

Bereits an der Grenze bekommen wir einen kleinen Eindruck davon, was uns in Äthiopien erwartet. Menschenmassen, die sich auf der Straße tummeln, die meisten treiben Kühe, Schafe oder Esel vor sich her; das Autofahren wird hier vermutlich kein Vergnügen werden. Doch zunächst müssen wir die Einreiseformalitäten hinter uns bringen, wozu selbstverständlich auch das Abwimmeln der allgegenwärtigen Grenzhelfer gehört. Einer tut sich als besonders dreist hervor, verlangt er doch tatsächlich Geld dafür, dass er uns das Zollgebäude zeigt, in das wir gerade hinein gehen wollen. Nun denn, solche Kleinigkeiten können uns inzwischen nicht mehr erschüttern, die ersten Kilometer auf äthiopischen Straßen hingegen sehr wohl. Die holprige Straße windet sich über schroffe Hänge und durch tiefe Täler auf eine Höhe von über 2.200 Meter. Es gibt kaum Verkehr, selbst der in der arabischen Welt obligatorische Eselskarren und das im Sudan häufig gesichtete Fahrrad scheinen hier unbekannt zu sein. Nur wenige Busse überholen uns mit überhöhter Geschwindigkeit. Lange bevor wir diese jedoch sehen, können wir sie hören, denn die auf dem Dach befindlichen Lautsprecher beschallen jeden mit ohrenbetäubender Musik.

Die vielen Menschen hier sind zu Fuß unterwegs, ewig auf der Wanderschaft, von hier nach da und keiner weiß wohin; manche gebeugt, den schmalen Rücken vollgepackt mit Holz, manche gestreckt und scheinbar ohne Ziel. Allgegenwärtig sind jedoch die Scharen von Kindern jeglichen Alters.

Da sind die Teenies, die uns verschämte Blicke zuwerfen, die 7- bis 8jährigen Mädchen, die bei unserem Anblick oftmals schreiend davonlaufen und eben auch die kleinen Jungen, die anstatt zur Schule zu gehen, das Vieh hüten müssen und dieses auf den Straßen entlang treiben. „You, you, you“, rufen sie und die Hand, die gerade noch gewinkt hat, dreht sich zum Betteln herum. Anhalten ist völlig unmöglich, sofort sind wir umringt von einer Kinderschar und jedes bettelt: „You, you give money!“

Wir haben Mühen mit diesem Land und sind froh, als wir in Tim und Kims Village am Lake Tana dem Ganzen eine Zeitlang aus dem Weg gehen können. Tim unterhält uns mit einigen Geschichten aus dem äthiopischen Alltagsleben, unter anderem erzählt er uns die Story seines Moskitonetzes.

Nach über dreieinhalb Jahren im kleinen Dorf Gorgora haben Tim und Kim nun endlich ein Bett bekommen. Um darüber ein Moskitonetz zu befestigen, benötigen sie ein kleines Gestell. Aus Eisenstangen werden jeweils zwei gleich lange Teile geschnitten, also zwei Rohre sind 2,00 Meter lang, die anderen beiden 1,60 Meter. Diese sollen nun zu einem rechteckigen Rahmen miteinander verschweißt werden und wandern dazu ins Dorf. Am nächsten Morgen kehrt der Rahmen frisch verschweißt zurück, nur leider hat er nicht die Form eines Rechtecks, sondern die einer Raute. Dem Schweißer ist es tatsächlich gelungen, die langen und kurzen Stücke zu vertauschen! Diese Geschichte ist gleich zweimal passiert und trotzdem mussten die beiden jeweils den vollen Preis zahlen.

Wir verbringen einige entspannte Tage am Lake Tana, doch irgendwann müssen wir wieder hinaus ins feindliche Leben. Wir haben kaum den steinigen Weg vom Camp ins Dorf zurückgelegt, da holt uns die äthiopische Wirklichkeit bereits wieder ein. Auf einem klapprigen Bambusgestell, nur mit einem Tuch bedeckt, wird eine menschliche Leiche an uns vorübergetragen, doch niemand außer uns nimmt Notiz davon. Anscheinend gehört auch so etwas hier zum Tagesgeschehen.

Nach einem kurzen Stopp in Gondar, einer kleinen Stadt mit Palästen aus dem 17. Jahrhundert, machen wir uns auf den Weg in die Simien-Berge. Bereits die wenigen Kilometer auf der Straße bis nach Debark vermitteln uns eine Ahnung davon, was uns erwartet. Für nur 100 Kilometer benötigen wir geschlagene sieben Stunden und so erreichen wir den kleinen Ort am Rande des Simien Nationalparks erst bei Einbruch der Dunkelheit. Wir quartieren uns auf dem Hof des Simien Park Hotels ein und erhalten eine Hiobsbotschaft nach der anderen. Zunächst erfahren wir, dass man in den Nationalpark nicht nur einen Guide mitnehmen muss, sondern auch noch einen Scout. Eigentlich keine dramatische Sache, doch diese beiden schmutzigen, stinkenden und verlausten Typen sollen uns in unserem Monster begleiten und müssten dafür hinten auf unserer Sitzgruppe Platz nehmen. Allein schon der Gedanke verursacht einen Juckreiz am ganzen Körper und die Aussicht auf einen Floh im Bett gibt dann den Ausschlag.

Die Simien Berge können wir eigentlich auch aus einiger Entfernung sehen. Also tritt Plan B in Kraft, die Weiterfahrt nach Aksum.

 

Leider gibt es auch hier keine guten Nachrichten, denn die Straße dorthin wird gerade von einigen Chinesen ausgebaut und asphaltiert und einige der Baustellen sind zu unbestimmten Zeiten auf unbestimmte Zeit gesperrt. Wir treffen zwei Australier, die heute von Aksum heruntergekommen sind. Die beiden haben für die Strecke zehn Stunden benötigt und erzählen, die betreffende Baustelle wäre aufgrund der Mittagspause der Chinesen in der Zeit von 12.00 bis 14.00 Uhr auf jeden Fall offen. Wir beginnen zu rechnen und kommen zu dem Schluss, dass wir um 5.30 Uhr starten müssen, um in dieser Zeit an der Baustelle zu sein.

Im Laufe des Abends ändern wir unsere Meinung nochmals und wir beschließen später zu starten und eventuell eine Übernachtung einzulegen. Allerdings haben wir die Rechnung ohne die örtliche Dorfjugend gemacht, denn die Typen haben genau diese Nacht für eine Party auserkoren und so ist an Schlaf kaum zu denken. Da wir trotz Ohrstöpsel um 4.30 Uhr noch immer wach liegen, können wir genauso gut aufstehen und abfahren.

Uns erwartet eine einzige Horrorfahrt, die Straße und auch die Baustellen sind in einem schlimmen Zustand. An einer Stelle setzen wir mit der Hinterachse derartig auf einen Felsen auf, dass die Hinterräder in der Luft hängen und wir nicht mehr vorwärts kommen. Erst mit Hilfe des eingeschalteten Allradantriebs können wir uns von dem Felsen befreien. Zu allem Überfluss scheint sich die Mittagspause verschoben zu haben, denn obwohl wir uns um 13.00 Uhr an der betreffenden Stelle einfinden, ist diese geschlossen und wir müssen eineinhalb Stunden warten. Folglich erreichen wir Aksum erst bei Einbruch der Dunkelheit. Warum dieser Ort zum Unesco Weltkulturerbe zählt, bleibt uns schleierhaft. Die angeblich gigantischen Riesenstelen können unserer Meinung nach kaum dazu geführt haben. Etwas frustriert ob des langen und anscheinend überflüssigen Weges treten wir nach zwei Tagen die Weiterreise an.

Dieses Mal haben wir uns für eine Offroadstrecke von Adwa über Abi Adi, Abergele und Sekota nach Lalibela entschieden und bereits nach wenigen Kilometern sind wir völlig begeistert. Keine Touristen, keine Steine werfenden Kinder, kaum ein Fahrzeug, einzig eine grandiose Landschaft. Die einzige Menschenseele, die wir unterwegs sehen, ist ein Viehhirte, der uns bei der Zubereitung des Abendessens interessiert zuschaut. Welch eine Erholung! Damit ist es endgültig vorbei, als wir Lalibela, dessen elf Kirchen ebenfalls in die Liste des Unesco Weltkulturerbes aufgenommen wurden, erreichen.

Kaum fahren wir auf den Parkplatz eines Hotels, umkreisen uns die Guides schon wie die Geier und wir können nur mit Mühe erklären, dass es für eine Besichtigung bereits zu spät ist. Am nächsten Morgen gelingt es uns unbeobachtet davon zu schleichen und ganz dreist ohne Führer in die Kirchen vorzudringen. Diese wurden zunächst von oben nach unten samt allen Ornamenten aus dem Gestein gehauen, anschließend wurden die Innenräume durch die Fenster und Türen ausgehöhlt. Die kreuzförmige St. Georgs Kirche aus dem 13. Jahrhundert steht zum Beispiel in einem zwölf Meter tiefen Loch und ist durch einen kleinen Schacht zugänglich.

Der Zufall will es, dass wir an einem Samstag hier in Lalibela sind und somit haben wir Glück, denn es ist Markttag. Aus der ganzen Umgebung strömen die Menschen zusammen, die einen treiben Kühe, Ziegen oder Esel vor sich her, die anderen bieten Gemüse an. Leider ist das äthiopische Angebot an diesem recht beschränkt, bis auf Kartoffeln, Zwiebeln, Knoblauch, Chilis und einigen verschrumpelten Möhren können wir nichts finden. Dafür finden die Leute uns und nach eineinhalb Stunden ständiger „you, you, you“ Rufe und Bettelei können wir es nicht mehr ertragen und müssen eine Pause einlegen.

Was bietet sich da mehr an, als in ein kleines Café zu gehen und endlich eine Kaffeezeremonie zu erleben, wie sie in fast jedem äthiopischen Haushalt am Nachmittag abgehalten wird? Dazu werden die frischen Kaffeebohnen gewaschen, über einem kleinen Feuer geröstet, in einem Mörser zerstoßen und am Ende in einer Kanne mit Wasser aufgekocht. Der Geruch von dem frisch gerösteten Kaffee und einigen Weihrauchblättern, die auf das Feuer gelegt werden, ist einmalig und fast genauso schmeckt dann auch der Kaffee. Einfach grandios!

Dermaßen gestärkt wagen wir uns wieder hinaus ins Getümmel und sogleich ist ein junger Bursche an unserer Seite. Dieser hat sich eine bisher unbekannte Masche zugelegt, er bettelt zwar auch, aber mit den Worten: „Hast du Euros? Ich bin nämlich Münzsammler und brauche noch Euros!“ Soviel Einfallsreichtum muss ja schon fast belohnt werden, denn andere verlegen sich einfach darauf, uns bei unseren Einkäufen zu „helfen“, in dem sie vermeintlich dolmetschen. Da die Marktfrauen weder deutsch noch englisch sprechen und es mit unserem Amharisch auch nicht zum Besten steht, übersetzen diese Jungs den Preis ins Englische. Leider vergessen sie dabei zu erwähnen, dass sie den eigentlichen Preis verdoppelt haben und nach unseren Einkäufen zur Verkäuferin zurückkehren, um ihre Provision abzuholen. Aber auch dieser Trick hilft heute nicht, denn mittlerweile kennen wir die Preise für das karge Gemüseangebot.

Die Strecke von Lalibela bis zur neuen chinesischen Straße wird zu einer Art Spießrutenlauf, denn auf diesem Stück tummeln sich besonders viele Steinewerfer. Wir fragen uns immer wieder, warum diese Kinder uns bewerfen und finden so recht keine Erklärung. Ist es einfach nur ein Spiel? Oder schauen sie es sich bei den Erwachsenen ab, die sowohl das Vieh als auch die Kinder mit Steinen bewerfen, um sie zur Ordnung zu rufen? Wir wissen es nicht, es ist nur einfach sehr schade, dass wir Monsters Fenster mit Spanngurten verkleiden müssen, um keinen Schaden davon zu tragen und die grandiose Landschaft kaum genießen können, da wir unsere Augen ständig auf den Straßenrand richten müssen.

Auf dem Weg nach Addis Abeba muss Monster die steile Nilschlucht bezwingen und so kommt es, dass wir vor Einbruch der Dunkelheit keinen sicheren Hotelparkplatz für die Übernachtung finden und stattdessen mit einem Plateau am Rande der Schlucht vorlieb nehmen. Nach dem obligatorischen Besuch einiger Viehhirten, die einfach nur dasitzen und uns anstarren als ob sie Fernsehschauen, bleibt es ruhig und wir legen uns zufrieden ins Bett.

Nachts werde ich wach und denke: Jetzt verfolgen dich diese „you, you“ Rufe bereits in deinen Träumen! Erst als Jupp sich neben mir regt und aus dem Bett springt, realisiere ich, das ist ja gar kein Traum! Draußen stehen tatsächlich zwei Typen im Militärdress und rufen. Ob es Jupps Anblick mit zu Berge stehenden Haaren ist oder seine wüsten Beschimpfungen in deutscher Sprache, was sie vertreibt, bleibt ungeklärt.

Auf der Strecke durchs Omo-Valley zur inoffiziellen kenianischen Grenze am Turkana See, ändert sich nicht nur die Landschaft, nein, auch die Menschen tun das. Auffallend ist, dass sie sich völlig anders kleiden, die Frauen zum Bespiel tragen ein rockartiges Fell aus Ziegenleder und der Oberkörper bleibt unbedeckt. Auch ihr Verhalten ist kein typisch äthiopisches mehr. Sie stehen zwar wie gehabt am Wegesrand, aber es wird nicht mehr so aufdringlich gebettelt und so mancher legt ein kleines Tänzchen für uns hin. In Konso können wir völlig unbehelligt den Markt besuchen und sehen dabei die Bekleidungen der verschiedenen Naturvölker. Möchte man allerdings ein Foto zum Beispiel einer Hamerfrau machen, muss man dafür zwei Birr berappen.