Chef, wir müssen reden. Der Traum vom Ausstieg auf Zeit

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Vom Operationssaal zu den Mönchen

Ein Schweizer Chefarzt berichtet über seine Auszeit in der Mönchsrepublik

Athos/Griechenland

Das Sabbatjahr bezeichnet ein in der Tora beschriebenes göttliches Gebot, ein Gesetz zum Schutz der Schöpfung, auch des Schutzes vor Raffgier und menschlicher Schwäche. Es fordert zur Ruhe und zum Innehalten auf – Ermahnungen, die in der heute stark leistungsorientierten Gesellschaft sehr fremd klingen mögen. Für mich persönlich war ein Aufenthalt in der Mönchsrepublik Athos in Griechenland der Höhepunkt meines mehrmonatigen Sabbaticals, das ich vor wenigen Jahren genießen durfte.

Der heilige Berg Athos ist eine orthodoxe Mönchsrepublik mit autonomem Status unter griechischer Souveränität. Der Zutritt zum Berg Athos ist Frauen grundsätzlich verwehrt. Ein Grund dafür ist wohl der Wunsch der Mönche, von optischen sexuellen Reizen unbeeinflusst zu leben und sich ungestörter Gottesverehrung widmen zu können. Selbst weibliche Tiere sind vom Verbot betroffen, allerdings wiegen gewisse praktische Notwendigkeiten schwerer: Mönche, die Ikonen malen, benötigen für ihre Arbeit frischen Eidotter und dürfen daher als einzige Hühner halten. Außerdem sind Katzen erlaubt, um die mönchischen Siedlungen frei von Mäusen, Ratten und Schlangen zu halten. Männliche, nicht-orthodoxe Besucher benötigen ein Visum, das mehrere Monate im Voraus beantragt werden muss – bewilligt wird in der Regel nur ein Aufenthalt von knapp einer Woche. Ein Aufenthalt in der Mönchsrepublik muss gut geplant und vorbereitet sein.

Zeit zum Nachdenken

Zusammen mit drei Weggefährten habe ich mich auf diese Reise vorbereitet. Das Erlebnis war einmalig – vorwiegend zu Fuß haben wir einige der 20 Großklöster, die Teile des UNESCO-Welterbes sind, besucht. Neben unbeschreiblichen Naturerlebnissen haben wir bruchstückhaft miterlebt, was das Leben im orthodoxen Kloster bedeutet. Als Tourist ist man automatisch Gast des Klosters, gleichzeitig aber auch Pilger. Entsprechend darf man im zugeteilten Schlafsaal übernachten und gemeinsam mit den Mönchen, bei gesprochenem Gebet, die eher frugalen Mahlzeiten im Refektorium einnehmen. Zu den meist mehrstündigen Gottesdiensten in den Klöstern ist jeder herzlich eingeladen, allerdings müssen Angehörige nicht-orthodoxen Glaubens im Vorraum der Kirche verharren. Besonders hier hat man viel Zeit zum Nachdenken und Innehalten. Ruhe und Meditation lösen hier das sonst dominierende Effizienz- und Leistungsdenken ab. Gleichzeitig gab mir dieser Aufenthalt mit außergewöhnlichen Erlebnissen auch die Möglichkeit, drei Menschen näher kennenzulernen, die ich vorher eigentlich nur flüchtig kannte. Besonders spannend war für mich auch die Tatsache, dass ich damit Freunde gewonnen habe, die beruflich gar nichts mit der Medizin zu tun haben.

Athos bildete ganz klar den Höhepunkt meines Sabbaticals – daneben gab es aber auch eine ganze Reihe von weiteren prägenden Erlebnissen, die meine viermonatige Auszeit kennzeichneten. Selbstverständlich habe ich mich auch chirurgisch fortgebildet – ohne diesen direkt greifbaren medizinischen Inhalt wäre mein Sabbatical vonseiten des Verwaltungsrates des Spitals gar nicht bewilligt worden. Im Rahmen von zwei 14-tägigen Gastarzt-Aufenthalten an Spezialkliniken für kolorektale Chirurgie habe ich fachlich viel profitieren können. Daneben habe ich teilweise hautnah miterlebt, wie einerseits KollegInnen und andererseits PatientInnen in andere Gesundheitssysteme eingebettet sind – das National Health Service (NHS) und der Einblick in die Arbeit an einer deutschen Universitätsklinik waren geeignet, sehr kontrastreiche Eindrücke zu vermitteln: Behandlungsqualität, Patientensicherheit und Behandlungsabläufe sowie Hierarchie, Weiterbildungsqualität, Entlohnung und Lebensqualität sind nur ein paar wichtige Parameter, die zum Nachdenken Anlass gegeben haben. Neben fachlichen, organisatorischen und gesundheitspolitischen Inputs vermochten diese Aufenthalte auch immer wieder die im chirurgischen Alltag eines Chefarztes teilweise als sehr anstrengend und mühsam empfundene Probleme etwas zu relativieren. Grundsätzlich banale Erkenntnisse wie »So schlecht geht es uns gar nicht« oder »Die kochen auch nur mit Wasser« wirken äußerst wohltuend.

Nabelschnur abgeschnitten

Ich war in der glücklichen Lage, dass für die Dauer meiner Abwesenheit von der Spitaldirektion ein erfahrener (externer) Stellvertreter bewilligt wurde, der dann zusammen mit dem langjährigen Chefarztstellvertreter die Klinik führte. Nach einer einwöchigen Einarbeitungszeit dieses Stellvertreters habe ich das Spital mit einem etwas mulmigen Gefühl verlassen: Es hätte ja noch einige Pendenzen gegeben, die ich vor meiner Abwesenheit dringend regeln wollte und zudem gab es ein paar frisch operierte PatientInnen, die mir am Herzen lagen. Deswegen habe ich mich nach ein paar Tagen telefonisch gemeldet, um nach dem Stand der Dinge zu fragen. Ich bekam eine eher knappe und zugegebenermaßen auch etwas brüske Antwort: »Es geht alles gut, ich glaube Du musst nicht mehr anrufen…«. Damit war die »Nabelschnur« zum Spital endgültig durchtrennt und ich musste mich auf einen anderen Alltag einstellen, was dann aber doch relativ rasch und gut gelang.

Nach meiner Rückkehr stellte ich erleichtert und erfreut fest, dass tatsächlich alles gut gegangen war. Mein Stellvertreter genoss eine hohe Akzeptanz und war beliebt, ja sogar sehr beliebt. Selbstverständlich musste er als »Außenstehender« nicht so viele vielleicht unangenehme Entscheide fällen oder schwierige Mitarbeitergespräche führen. Sehr bald habe ich realisiert, dass es aber auch andere Dinge gab, die ihm Achtung und Wertschätzung verliehen. Glücklicherweise durfte ich in der Folge während mehrerer Wochen mit ihm zusammenarbeiten, da mein langjähriger chirurgischer Partner und Chefarztstellvertreter ebenfalls die Gelegenheit für eine Auszeit bekommen hatte. Während dieser Zeit kam es teilweise zu angeregten und fruchtbaren Diskussionen, bei denen der befreundete Gast und Kollege nicht selten in der Lage war, mir sozusagen von extern gewisse Dinge zu beleuchten oder gar einen Spiegel betreffend meiner Rolle als Chefarzt vorzuhalten. Hier sei nur ein Beispiel erwähnt: Während ich früher im Schnellzugtempo die Chefarztvisite abspulte und dabei eigentlich am Schluss immer selbst frustriert war, pflege ich diesen Akt heute sehr viel intensiver und bewusster als wichtigen Moment für Teaching und Kommunikation. Gleichzeitig bemühe ich mich vermehrt darum, ein einfühlsamer Ratgeber für PatientInnen und ein Vorbild für MitarbeiterInnen zu sein.

Fazit und Ausblick

Rückblickend hat mir das Sabbatical vor allem eins gegeben, nämlich Zeit – Zeit für die Familie und auch einmal Zeit für mich selbst, Zeit zum Innehalten. Daran muss man sich zuerst gewöhnen – nach jahrelangem ziel- und karriereorientiertem Dauerlauf ist dies nicht ganz einfach. Ruhe und die Halbinsel Athos haben mir dabei geholfen. Ohne Zeit geht nichts – nur sie erlaubt es, sich auch an heiklere Fragen heranzuwagen, wie zum Beispiel: »Was habe ich bis jetzt gemacht oder erreicht« oder »Soll es genauso oder anders weitergehen?« Fast vier Jahre später gibt mir die Realität folgende Antwort: »Das bisher Erreichte ist gut und prinzipiell geht es auf dem gleichen Wege weiter«. In der Zwischenzeit habe ich aber einige Veränderungen des beruflichen und persönlichen Lebensstils vorgenommen und gelegentlich nehme ich mir auch bewusst Zeit für ein »Mini-Sabbatical«.

Aus eigener Erfahrung ist ein Weg aus dem Operationssaal zu den Mönchen dringend empfehlenswert. Ich gehe davon aus, dass der Alltagstramp grundsätzlich für alle Chirurgen weitgehend identisch ist. Den persönlichen Weg aus dem Operationssaal zu einem erfolgreichen Sabbatical muss sich jedoch jeder selbst suchen und gestalten – es lohnt sich!

Prof. Dr. Gian A. Melcher, Swiss Knife, Mitgliedermagazin der Schweizerischen Gesellschaft für Chirurgie

Stille Einkehr im Kloster

Ein Erfahrungsbericht von Daniela Scholl, die eine Auszeit Agentur leitet


© Nepomuk Karbacher Bilder.n3po.com

Ich fahre zum ersten Mal in meinem Leben in ein Kloster. Es ist das Kloster der Dominikanerinnen in Rickenbach bei Luzern. Ich nähere mich in abnehmenden Tempo: ab Frankfurt fährt der schnelle ICE nach Basel, ab dort der deutlich langsamere InterRegio nach Sursee und den Rest des Weges lege ich mit dem Postbus zurück, der mich in Rickenbach am Kirchplatz aus seinem gelben Bauch entlässt.

Das Kloster liegt ländlich am Rande des Ortes Rickenbach. Gleich nebenan ist ein Bauernhof mit Milchwirtschaft, so dass das sanfte Glockengebimmel der Kuhglocken mich durch den Tag und die Nacht begleitet.

Das Gebäude selbst ist ein eher nüchterner Bau aus den 80er Jahren und stimmt rein optisch gar nicht mit den Bildern überein, die ich mir von Klöstern mache. Erstaunlicherweise erleichtert diese architektonische Tatsache das Ankommen ungemein: das Kloster ist ein ruhiger, aber sehr lebendiger Ort. Es gibt nicht vor, etwas Besonderes zu sein, sondern besticht durch seine Lebensnähe und seine Alltagstauglichkeit. Das Ankommen ist daher einfach: Ich bin für einige Tage ein herzlich willkommener Gast in familiärer Atmosphäre.

Das Abendessen nehmen alle Gäste gemeinsam an großen Tischen sein. Es gibt ein kleines kaltes Buffet mit leckeren Salaten. Und ich weiß sofort, was ein anderer Gast meint, der sagt: »Hier würde es auffallen, wenn jemand nicht zum Essen kommt«. Ich bin Teil einer Gemeinschaft. Es ist nicht aufdringlich, ich habe meine Freiheit, aber es tut mir gut, dass es einen Unterschied macht, ob ich da bin oder nicht. Im Kloster Rickenbach gibt es tägliche Angebote für Gäste und zusätzlich ein festes Programmangebot, welche durch zwei Seelsorger liebevoll erstellt und durchgeführt werden. Ich nehme gleich nach dem Frühstück an einer Stunde Körperarbeit teil. Bei der Eutonie geht es um Körperwahrnehmung und Dasein im Hier und Jetzt, und ich erlebe die Dreiviertelstunde des Einfühlens in mich selbst als sehr wohltuend. Ich will gar nicht mehr aufstehen, sondern (gefühlt) tief eingesunken im flauschigen Teppich verweilen. Danach besteht die Möglichkeit, an einer Meditation teilzunehmen. Ich bin kein besonders gläubiger Mensch und verspüre anfangs eine gewisse Abneigung gegen den Impuls aus dem Buch Jesaja: »Ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen« und dem Thema dieser Meditation: »Wer bin ich?«. Doch dann passiert etwas mit mir, das ich gar nicht erwartet habe: während der Kopf noch denkt, dass dieses Angebot vielleicht nicht so zu mir passt, hat ein zweiter Gedankengang angefangen, sich zu entwickeln. »Wie nennen mich die Menschen, welchen Namen geben sie mir?« Und ich merke nicht, wie die Zeit verstreicht, bin voll und ganz gefangen von meinem Gedanken und mentalen Aufzählungen der Namen, die ich von anderen bekomme. Wer bin ich? Vielleicht ist es an der Zeit, darüber tiefer nachzudenken, denn ich habe keine passende Antwort parat, nur Bruchstücke.

 

Das Mittagessen findet wieder mit allen Gästen statt. Es werden dampfende Schüsseln auf den Tisch gestellt, aus welchen sich alle bedienen. Ganz nach Belieben. Schwester Maria wirbelt wie bei jeder Mahlzeit durch den Raum und spricht mit den Gästen. Sie bietet jedem Gast nach dem Mittagessen einen Kaffee an: »Da legen wir Wert drauf«. Es ist einfach schön, hier zu sein.

Nachmittags habe ich Gelegenheit zum Gespräch mit den beiden Seelsorgern. Gespräche spielen eine wichtige Rolle, wenn Menschen sich mit dem eigenen Ich beschäftigen. Seelsorge als Fürsorge für die Seele, für die eigenen Bedürfnisse. Die beiden Seelsorger im Kloster leben im tiefen Glauben, dass alles seinen Platz hat, alles gut ist, wie es ist. Ich empfinde dieses offene »willkommen Sein« als sehr wohltuend und befreiend. »Ich darf sein, wie ich bin. Und das ist gut so«. Erkenntnis des Tages: Toleranz ist oft dort, wo ich sie nicht erwarte. Erschöpft von den neuen Eindrücken schlafe ich abends zum Geläute der Kuhglocken schnell ein.

Am nächsten Morgen wird meditativer Tanz angeboten. Ich bin eher skeptisch, ob ich mich mit dieser ganzheitlichsten Form des Betens identifizieren kann. Aber Versuch macht klug, und so stehe ich nach dem Frühstück im Aufenthaltsraum und bin gespannt, was mich erwartet. Der Tanz startet mit einer indianischen Weise und zieht mich sofort in seinen Bann. Zu den fremden Klängen brauchen wir uns nur wenige ganz natürliche Schritte und Bewegungen zu merken, wir fließen mit im natürlichen Rhythmus der Musik. Oder ist es mein eigener Rhythmus, der sich mir als ganz natürlich darstellt? Die nachfolgenden Lieder sind quer Beet aus der Populärmusik, anderen Religionen und Kulturen entliehen. Der Zugang dazu fällt mir deutlich schwerer. Die Erkenntnis der Stunde: mein eigener Rhythmus ist der indianischen Weise am nächsten. Und wieder die Frage: Wie bin ich?

Passend dazu gehe ich zur nächsten Meditation, diesmal mit dem Impuls »Gott gibt den Erschöpften Kraft und den Kraftlosen Stärke« und dem Thema »ich bin müde«. Wieder verspüre ich einen inneren Widerstand. Doch dann zeigt der Seelsorger ein Bild mit einem Säckchen Kartoffeln. Und die Gedanken beginnen zu wirbeln, zu toben. Jeder Mensch trägt ein Säckchen Kartoffeln mit sich herum. Die einen tragen 2 kg kleiner, runder Kartoffeln, die kaum beim Tragen stören. Andere tragen auch einen Sack mit 2 kg, aber darin sind wenige, dafür größere und sperrige Kartoffeln, die beim Tragen deutlich drücken. Manch einer hat mit einem kleinen Säckchen Kartoffeln angefangen und trägt inzwischen einen Zentner Kartoffeln mit sich herum. Jeden Tag. Und ein Zentner Kartoffeln ist auf Dauer zu schwer, selbst, wenn es kleine, runde Kartoffeln sind. Die Kartoffel als Sinnbild des Lebens …. Ich gehe nach der Meditation eine halbe Stunde spazieren und die Kartoffeln haben meine Gedanken weiterhin fest im Griff: jede Kartoffel ist unterschiedlich. Selbst gleiche Sorten haben bei gleichem Gewicht unterschiedliche Formen und Maserungen. Weiß ich eigentlich, welche und wie viele Kartoffeln ich so trage, Tag für Tag? Wann habe ich zum letzten Mal das Säckchen abgenommen, jede einzelne Kartoffel heraus genommen und mich gefragt, wie schwer jede einzelne ist, und ob mich diese oder jene Kartoffel besonders drückt? »Im letzten Urlaub« kommt mir spontan in den Sinn. »Da habe ich das Säckchen einfach daheim gelassen«. Kein Wunder, dass die Erholung nicht lange anhält, wenn ich nach dem Urlaub den Sack wieder schultere und weiter mache wie vorher. Erkenntnis des Tages: Urlaub heißt, Säckchen daheim lassen. Auszeit heißt, sich mit den Kartoffeln zu beschäftigen. Kartoffeln aussortieren. Anders weitermachen als vorher. Mit weniger Last oder einer besseren Verteilung.

Mittags wartet leider schon der gelbe Postbus auf mich und ich nähere mich wieder meinem Alltag. Erkenntnis der kurzen Kloster-Auszeit: Ich brauche einen gewissen Rahmen und Impulse, um meine Gedanken anzustoßen. Zwei Tage sind zu kurz. Auch Reibung schafft Bewegung. Daher: auf ein Wiedersehen, Kloster Rickenbach!

Daniela Scholl

Mönch auf Zeit

In Asien nimmt sich Erik (40) immer wieder Auszeiten vom hektischen Alltag. Auf einer buddhistischen Klosterinsel hat der Psychologe sein persönliches Refugium gefunden, in das er regelmäßig zurückkehrt

Ausgelöst wurde mein Interesse an Meditationstechniken und Buddhismus durch ein autogenes Training, bei dem ich als Führungskraft in einer Sparkasse mitmachte. Sobald ich meine Augen schloss, spürte ich, dass etwas mit mir passierte. Am Ende lösten die Entspannungsübungen ein Gefühl von innerer Sicherheit und Ruhe aus. Einige Zeit verbrachte ich in einem Schweigekloster im Allgäu und fühlte mich während des stundenlangen Sitzens, als würde ein Vulkan in meinem Inneren ausbrechen. Ich wollte wissen, was für enorme Kräfte da in mir schlummerten und meldete mich zu einem buddhistischen Vipassana-Kurs an. Bei dieser Meditationstechnik wird die Achtsamkeit oder klare Sicht auf die Dinge geschult. Kontinuierliche Selbstbeobachtung beruhigt den Geist.

Meditation erzeugt ein Gefühl von Freiheit, das wurde mir immer klarer. Im Frühjahr 2005 nahm ich mir dann ein halbes Jahr unbezahlten Urlaub und brach nach Asien auf. Im Südwesten Sri Lankas entdeckte ich einen völlig abgeschiedenen Ort, an dem ich meine Meditationspraxis vertiefen konnte. Polgasduwa Island ist eine Klosterinsel, auf der nur buddhistische Mönche leben.

Als Klosterschüler nahm ich am normalen Tagesablauf der Mönche teil. Der Tag beginnt sehr früh, zwischen 5 und 5.30 Uhr stehen alle auf und meditieren. Frühstückszeit ist um 6 Uhr. Bereits um 11.30 Uhr gibt es Mittag, nach 12 Uhr wird nichts mehr gegessen. Da buddhistische Mönche keine materiellen Güter besitzen dürfen, spenden Dorfbewohner die Lebensmittel. Denen bereitet es große Freude, den Mönchen etwas geben zu dürfen. Eine interessante Erfahrung, denn für einen Europäer wäre es ja eher eine Schande, um essen zu betteln. Die meiste Zeit verbringen die Mönche mit Meditation und dem Studium buddhistischer Texte. Abends versammeln sie sich noch zu einer Gruppenmeditation mit Sprechgesängen. Danach geht jeder in sein Kuti, so heißen die Mönchsklausen.

Ich hatte keine Schwierigkeiten mich an das Leben als Mönch zu gewöhnen, denn ich glaube der Mensch braucht feste Regeln. Auf dem Weg zu größerer innerer Freiheit geben sie nur den äußeren Rahmen vor. Das hat meines Wissens Buddha schon gesagt. Ich habe gesehen, dass die Mönche diese Regeln befolgen und ihren Mitmenschen mit sehr viel Wertschätzung begegnen. Das hat mich von Anfang an beeindruckt und hatte Vorbildcharakter. Natürlich hatte ich abends manchmal Hunger. Aber ich wollte mich ja von Konditionierungen, zu denen auch das Essen gehört, lösen und habe das Magenknurren dann einfach aus meiner meditativen Distanz beobachtet.

Sechs Wochen verbrachte ich auf der Klosterinsel. Ursprünglich wollte ich länger bleiben, aber ich musste anderen Gästen Platz machen, denn das Kloster will möglichst vielen Menschen den Aufenthalt als Mönch auf Zeit ermöglichen. Daher reiste ich weiter nach Thailand. Dort belegte ich einen Tai Chi-Kurs und befasste mich weiter mit Meditation. Im Laufe der vergangenen Jahre bin ich dann noch ein paar Mal nach Sri Lanka zurückgekehrt, zuletzt im Februar 2011.

Abgeschiedenheit und Einkehr haben mein Leben nachhaltig verändert. Ich habe gelernt, nicht mehr so schnell Groll gegen Menschen zu hegen, die mich unfreundlich behandeln oder abweisend auf mich wirken. Wer respektvoll zu seinen Mitmenschen ist, bekommt Achtung und Wertschätzung zurück. Durch die regelmäßige Meditation bin ich aber vor allem zu der Erkenntnis gelangt, dass man wahre Befriedigung nicht durch äußere Faktoren wie beispielsweise Geld und materielle Dinge erlangt. Nur das eigene Denken führt zu innerem Frieden. Das stille Klosterleben bildet einen Gegenpol zum geschäftigen Treiben, an das wir im Westen so gewöhnt sind. Man konzentriert sich auf das Sein im Hier und Jetzt.

Durch die Meditationserfahrungen bin ich ausgeglichener geworden und habe Kraft gewonnen für die täglichen Widrigkeiten. Andererseits habe ich irgendwann erkannt, dass sich meine damalige Arbeit nicht mit meinen veränderten Werten vereinbaren ließ. Daher habe ich gekündigt und Psychologie studiert. Nun arbeite ich als selbstständiger Trainer und Coach für Personalentwicklungsthemen. Ich sehe diesen Wandel sehr positiv, denn die Meditation hat mir Auswege aus Abhängigkeit und Fremdbestimmung gezeigt. Mein Mut und meine innere Stärke sind gewachsen, während meine materiellen Ansprüche geschrumpft sind.

Natürlich möchte ich irgendwann gern wieder zu den Mönchen. Die Abgeschiedenheit und Stille sind der ideale Ort, sich auf sich selbst zu besinnen. Auf der anderen Seite gibt es auch in Deutschland immer mehr Möglichkeiten sich zurückzuziehen. Deswegen plane ich eigene Retreats, die losgelöst von einer Tradition und Lehrern sind.

Das auf einer Laguneninsel errichtete Kloster ist hervorragend geeignet, sich als Mönch auf Zeit eine Auszeit vom Alltag zu nehmen. Vor 100 Jahren gründete ein deutscher Mönch auf Polgasduwa die Insel Einsiedelei – wegen der umfangreichen deutsch- und englischsprachigen Bibliothek ist sie der ideale Ort für Westeuropäer, die sich für Buddhismus und Meditation interessieren. Die Aufenthaltsdauer ist auf sechs Wochen begrenzt und nur für Männer möglich. Wer auf Tuchfühlung mit dem Buddhismus gehen will, muss sich schriftlich anmelden, eine Einladung der Klosterleitung abwarten und wird dann mit dem Boot auf die Insel gebracht. Das Kloster erhebt keine Gebühren, Gäste geben eine Spende auf freiwilliger Basis.

Erik

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