Tod auf der Finca

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Fünf

„Was für ein Widerling!“ Joan schloss das Auto auf.

„Ja.“ Carmen legte ihre Hände an das Autodach. „Jetzt rumflennen, er hätte das doch alles nicht gewollt und wie sein Leben ohne sie weitergehen soll.“

„Mit Affekt kommt er jedenfalls nicht durch, denn der zuständige Rechtsmediziner vom Instituto Anatómico Forense sagt, sie können nachweisen, dass zwischen dem ersten Messerstich und den nachfolgenden mindestens eine Stunde vergangen war.“ Joan stieg ein.

Carmen sah noch einmal zum Gefängnisgebäude hinüber. „Hoffentlich kommt er da so schnell nicht wieder raus“, sagte sie und setzte sich auf den Beifahrersitz.

„Wir müssen alles nur stichhaltig für den Ermittlungsrichter aufbereiten, dann kriegt er mindestens zehn und vielleicht sogar fünfzehn Jahre.“

„Wenn es reicht“, stimmte Carmen zögerlich zu. „Ich glaube, der würde es aus Eifersucht wieder tun. Hoffentlich bekommt er nicht später eine vorzeitige Haftprüfung und irgendjemand bescheinigt dann, dass von ihm keine Gefahr mehr ausgeht. Auch wenn aus seinen Augen Tränen flossen, seine Seele trauert nicht.“

„Starke Worte. Deine psychologische Weiterbildung scheint echt gut gewesen zu sein. Kein Wunder, dass man dich befördert hat, Sargento.“ Joan zwinkerte ihr zu und fuhr anschließend vom Parkplatz auf die Ringautobahn von Palma. „Soll ich dich gleich bei dir zu Hause absetzen? Du hast doch bestimmt noch genug mit deiner Umzugsvorbereitung zu tun, oder?“

„Das ist lieb, danke, aber mein Auto steht ja noch beim Schießtraining, wenn du mich also da vorbeifahren könntest, dann komme ich ins Büro nach und wir schreiben zusammen das Protokoll. Damit will ich dich nicht allein lassen.“ Sie sah auf die Uhr. „Außerdem kommt in drei Stunden ja auch noch die Schwester der Toten, um ihre Aussage zu machen. Immerhin hat sie einiges mitbekommen, was die Streitereien anbelangt und von Frau zu Frau redet es sich oft befreiter.“

Joan stoppte in zweiter Reihe. „Dann bis gleich.“ Carmen stieg aus und hob die Hand zum Abschiedsgruß.

***

„Ja, das sieht wirklich schon sehr gut aus“, sagte der Arzt und wies die Sprechstundenhilfe an, Roberto einen neuen Verband anzulegen. „Trag einen mit Baumwolle gefütterten Gummihandschuh. Meine Assistentin gibt dir welche mit. Wenn du Pause machst, zieh ihn bitte aus und wechsle ihn, falls er feucht sein sollte.“

Erleichtert nickte Roberto. „Und die Tabletten?“

„Die nimmst du noch bis nächsten Sonntag.“

„Prima, dann kann ich also arbeiten und auch meinen Urlaubstag am Freitag nehmen?“

„Ja, sofern es keine Schwellung gibt oder es stärker pocht, ist alles okay, und wir sehen uns erst nächsten Montag wieder. Du solltest jeden Abend den Verband wechseln, dafür geben wir dir auch Sachen mit. Das schaffst du doch, oder?“

„Klar.“

Mit geschickten Fingern legte die Sprechstundenhilfe den neuen Verband an und packte anschließend die Materialien in eine Tüte. „Wenn du noch mehr Handschuhe brauchst, komm einfach vorbei. Gute Besserung.“

„Danke“, verabschiedete sich Roberto und ging nach draußen, um noch eine Zigarette zu rauchen.

Sollte er seinen Opa noch einmal anrufen? Nein, beantwortete er sich selbst die Frage. Im Moment galt es, Streit zu vermeiden. Einzig seine mögliche Heldentat wäre ein geeignetes Mittel, damit sein Großvater die Testamentspläne noch einmal überdachte. Was für ein Glück, dass Roberto die Einladung zur Hochzeit bekommen hatte. Der perfekte Zeitpunkt, sich zu Opas Liebling zu machen.

„Na, was macht deine Hand?“, begrüßte ihn Felipe, der einen Container aus dem Gebäude rollte.

„Gut so weit und ich kann arbeiten.“

Felipe kam auf ihn zu und zündete sich ebenfalls eine Zigarette an. „Dann fährst du also auch zu dieser Hochzeit?“

Roberto nickte.

„Ana will diesen Sommer auch mal nach Mallorca in Urlaub. Kannst du eine Ecke empfehlen?“

„Ich war da selbst ewig nicht mehr. Erinnere mich aber, dass die Playa de Muro im Nordosten ganz hübsch ist. Langer Sandstrand, flaches Wasser. Aber pass auf, dass du kein Hotel zu dicht am Feuchtgebiet der Albufera nimmst, sonst fressen dich die Mücken auf.“

„Danke. Was machst du eigentlich im Sommer?“

Roberto unterdrückte ein Grinsen. Wenn alles lief wie geplant, wäre er in Las Vegas. „Weiß noch nicht. Ich habe keine Freundin, die die Pläne für mich macht.“

Felipe gab ihm einen Klaps auf die Schulter. „Klar, der einsame Wolf plant nicht.“ Er sah auf die Uhr. „Wir sollten dann mal rein, sonst gibt es noch Ärger.“

***

Der typische Verkehr um diese Uhrzeit in Palma, wenn einige der Schulen den Unterricht beendeten, hielt Carmen auf. Als sie zum Parkhaus am Paseo Mallorca rechts abbog, ließ der Verkehr langsam nach, obwohl auch hier immer Eltern in zweiter Reihe parkten, um ihre Kinder direkt an der Schule abzuholen.

Sie fuhr in die Tiefgarage zu ihrem Parkplatz. Künftig konnte sie sich diese monatliche Ausgabe sparen.

Schwungvoll ging sie die Treppen nach oben und überquerte an der Ampel die breite Straße. Sie brauchte dringend noch einen Kaffee und holte gegenüber des Haupt­eingangs in der Bar zwei Becher zum Mitnehmen, einen für sich und einen für Joan. Normalerweise verabscheute sie es, aus einem Pappbecher ihren Kaffee zu trinken, doch manchmal ließ es sich eben nicht vermeiden.

Sie verzichtete auf den Aufzug und ging die Treppen hinauf.

„Kleine Stärkung“, sagte Carmen, als sie das Büro betrat, in dem Joan bereits vor dem Computer saß. „Schwarz und mit viel Zucker.“ Sie reichte ihm den Becher.

„Gracias, das ist ja nett.“ Joan nahm ihn ihr ab und nippte gleich daran. „Schön heiß und süß.“

„Hast du schon mit dem Verhörprotokoll von heute Morgen angefangen?“ Carmen setzte sich an ihren Schreibtisch.

Joan schüttelte den Kopf. „Bin erst noch einmal das Aufnahme- und Festnahmeprotokoll … wie soll ich sagen … durchgegangen.“

Carmen senkte ihr Kinn und blickte ihn von unten her an. „Es war irgendwie ein Reflex.“ Sie wusste, dass sie nicht nach Vorschrift gehandelt hatte, aber in solchen Momenten lief in ihr eine Art Automatismus ab. „Findest du, dass ich manchmal übereifrig bin?“

Joan starrte einen Moment auf den Kaffeebecher, bevor er wieder aufsah. „Du weißt, wie sehr ich dich als Kollegin mag, und dass ich dich wirklich vermissen werde. Aber das ab und zu Ungestüme an dir wird mir eher nicht fehlen.“

Carmen presste die Lippen zusammen. Er hatte ja recht. Sie fragte sich, ob sie genauso auf den Angreifer zugestürmt wäre, ohne Joan an ihrer Seite zu wissen. Schon häufiger hatten sie sich bei einem Einsatz blind aufeinander verlassen und bisher war es immer gut ausgegangen. Wie das wohl mit den Kollegen in Inca werden würde?

„Jetzt guck nicht so. Ich wollte nur ehrlich sein und damit sagen, dass du auf dich aufpassen sollst.“

Dankbar sah Carmen Joan an. „Werde ich … versprochen. Dann schreibe ich jetzt das Protokoll von heute und du bereitest den Zeugenraum für die Schwester vor?“

„Danke, dass du mir die Tipperei ersparst.“ Joan nickte ihr zu und trank den Becher leer. „Ich hole mir dann auch noch rasch ein Bocadillo. Magst du auch was?“

„Belegtes Brötchen brauche ich nicht, aber eine Cola wäre nett.“

Gerade drückte Carmen den Speicherknopf, als Joan zurückkam und ihr eine Dose Cola auf den Tisch stellte. „Die Schwester ist eben gekommen. Sie sitzt schon im Zeugenraum“, sagte er.

„Danke.“ Carmen öffnete die Getränkedose und nahm einen großen Schluck.

„Willst du erst einmal ohne mich mit ihr reden?“ Joan lehnte sich an ihren Schreibtisch. „So von Frau zu Frau?“

„Gute Idee.“ Carmen nickte zustimmend und stand auf.

„Wie geht es ihr?“, fragte sie, während sie gemeinsam mit Joan den Flur entlangging.

„Sie ist glücklicherweise ziemlich gefasst. Ich glaube, sie hatte in letzter Zeit nicht mehr viel Einfluss auf die Schwester.“

„Ist sie einverstanden mit einer Tonaufzeichnung?“

„Ja.“ Joan öffnete Carmen die Tür. „Ruf mich, wenn ich reinkommen soll.“

Sie nickte ihm noch einmal zu und ging hinein. „Buenos días. Ich bin Carmen. Bleiben Sie doch sitzen“, bat sie, als die Frau aufstehen wollte. Carmen setzte sich ihr gegenüber. „Mein aufrichtiges Beileid.“

Die Frau blieb stumm, ihre Augen schimmerten tränenfeucht und sie rieb sich die Hände, die sie auf den Tisch gelegt hatte. Es wühlte Carmen immer wieder auf, wenn sie sah, wie sehr die Angehörigen litten, wenn ein Gewaltverbrechen ihre Lieben aus dem Leben gerissen hatte. Ganz anders bei Unfällen, da nahmen es die Betroffenen eher als Schicksal.

Nicht abschweifen, mahnte sich Carmen und konzen­trierte ihre Gedanken auf die Befragung.

Carmen schaltete das Gerät ein. „Zeugenbefragung im Todesfall zum Nachteil von Dolores María Velazques García. Anwesend die Schwester der Verstorbenen Elena Velazques García und Sargento Carmen Munar Rotger.“

„Er war schon immer ein Teufel, doch sie hat nicht auf mich gehört“, sagte Elena leise.

***

Was für ein Tag. Carmen ließ sich aufs Sofa fallen. Sie goss sich aus der Flasche vom Vorabend ein Glas Rotwein ein. Obwohl es nach einem harten Arbeitstag überaus anstrengend war, in der Turnhalle mit den Mädchen und jungen Frauen Selbstverteidigung zu trainieren, müsste sie schon richtig krank sein, um es abzusagen. Es war einfach zu wichtig und gab den Teilnehmerinnen nicht nur Möglichkeiten an die Hand, sich zur Wehr zu setzen, sondern Carmen bemerkte auch immer, wie von Training zu Training das Selbstbewusstsein der jüngeren Mädchen zunahm.

Sie trank einen Schluck. Vielleicht könnte sie eine zweite Trainingsgruppe in Inca aufbauen? Ihre Gedanken glitten zu dem Gespräch der Kollegen vor der Comandancia in Inca und die Ablehnung, die sie dabei wahrgenommen hatte. Einer ihrer Ausbilder hatte einmal gesagt, dass ein Team nur so gut sein konnte, wie es der Leiter zuließ. Dazu musste man auf Augenhöhe gleichberechtigt zusammenarbeiten, aber, wenn nötig, musste auch klar sein, wer den Ton angab. Eine Gratwanderung.

 

Sie trank ihr Glas aus, bestellte bei der Pizzeria um die Ecke eine Lasagne und sprang unter die Dusche.

Zwanzig Minuten später brachte der Bote das Essen und Carmen merkte, als sie den Deckel der Schale abnahm und ihr der Duft in die Nase stieg, wie hungrig sie war. Fast gierig aß sie die erste Hälfte, bevor sie sich aus dem Kühlschrank ein alkoholfreies Bier holte, denn sie hatte Frühdienst am nächsten Tag. Ab dem Nachmittag hätte sie frei, damit sie in Ruhe die letzten Dinge für den Umzug am Mittwoch erledigen konnte.

Sie legte die Gabel zur Seite, als ihr Handy klingelte.

„Sí, diga“, meldete sie sich.

„Carmen? Laura hier.“

Hoffentlich keine Schwierigkeiten mit der Wohnung. Carmen schluckte. „Was für eine Überraschung. Wie geht es dir?“, sagte sie gepresst.

Laura lachte. „Du solltest deine Stimme hören, aber keine Sorge, ich mache keinen Rückzieher.“

„Das erleichtert mich.“

„Ich wollte dir nur sagen, dass meine Nichte heute schon alles aus der Wohnung geräumt hat und du ab morgen deine Sachen bringen kannst. Wenn du willst, könntest du auch gleich übernachten.“

„Das ist ja fantastisch. Danke, Laura. Bist du am Spätnachmittag zu Hause und kannst mir aufschließen?“

„Leider nicht, da habe ich einen Arzttermin, aber ich kann den Schlüssel, wenn du willst, am Vormittag in Peters Praxis abgeben, da kannst du ihn dir dann abholen.“

„Prima, Laura, so machen wir das.“

Nachdem sie sich voneinander verabschiedet hatten, starrte Carmen auf das Telefon. Sie wollte Peters Hilfe nicht überstrapazieren, aber wenn er noch zu seinem Angebot, ihr den Pick-up zur Verfügung zu stellen, stünde … Vielleicht sogar Zeit hätte, ihr beim Verladen der sperrigen Sachen zu helfen?

Carmen trank den letzten Schluck aus der Dose und wählte.

Dreimal klingelte es, bis Peter abnahm. „Na, wie geht es dir?“

„Gut, danke. Ich kann ab morgen Mittag schon in die Wohnung und da dachte ich …“

„Um wie viel Uhr brauchst du mich und mein Auto?“

Von wegen, nur sie käme immer gleich zum Punkt. Peter redete auch nie viel drum herum. „So gegen zwölf?“

„Müsste klappen.“

Carmen hörte es in der Leitung leise tuten.

„Warte mal“, sagte Peter und drückte Carmen kurz weg. „Ein Unfall. Pferd gegen Auto. Ich muss los. Wir sehen uns morgen.“ Er legte auf, noch bevor Carmen sich verabschieden konnte.

Er hatte ihr noch nicht einmal die Gelegenheit gelassen, ihm von Laura und dem Schlüssel zu berichten. In einer kurzen WhatsApp klärte sie das auf und bat darum, dass er den Wohnungsschlüssel mitbrachte.

Es half nichts, wenn sie am nächsten Tag vorbereitet sein wollte, musste sie noch einige Sachen zusammenpacken. Sie ging ins Schlafzimmer, holte zwei Koffer unter dem Bett hervor und fing an, ihre Kleidung aus dem Schrank hineinzulegen.

Das würde nicht reichen. Aber, wenn erst einmal die wichtigsten Dinge in der neuen Wohnung waren, könnte sie den Rest auch selbst hin- und herfahren.

Sechs

Carmen rieb sich den Nacken. Immer, wenn sie viel am Computer gesessen hatte, verspannte sich alles. Doch sie war erleichtert, das Zeugengespräch vom Vortag nun getippt fertig zu haben, und löste den Druckauftrag aus. „Ich bin so weit“, sagte sie zu Joan, stand auf und ging zum Drucker, der bereits ratterte.

„Ich schreibe gerade den letzten Satz, dann habe ich auch alles komplett.“

„Denkst du auch, mit der Zeugenaussage der Schwester wird es reichen?“

Joan nickte. „Wir packen jetzt alle Berichte, Aussagen und die Details der Rechtsmedizin zusammen und dann ist unsere Arbeit erledigt. Den Rest müssen wir dem Gericht überlassen.“

„Ich hoffe wirklich, dass er so schnell nicht wieder rauskommt.“ Carmen zog die Papiere aus dem Drucker und steckte sie zur Mappe, die Joan ihr hinhielt.

„Wie weit bist du eigentlich mit deinen Umzugsvorbereitungen?“

„Ich habe inmitten von gepackten Kisten geschlafen. Nachher geht es ja los. Deshalb bin ich froh, dass wir den Fall nun von unserer Seite abgeschlossen haben, denn so kann ich ohne schlechtes Gewissen freinehmen.“

„Dann wünsche ich dir alles Gute.“ Joan umarmte sie. „Du packst das dort.“

„Danke.“ Carmen wünschte, sie könnte Joans Zuversicht teilen.

Pünktlich bog Carmen auf das Parkplatzgelände bei ihrer Wohnung ein und stellte sich auf den Platz ihrer Nach­barin im Geschoss unter ihr. Sie war den ganzen Tag unterwegs, und da Carmens Parkplatz näher zur Tür lag, sollte sich Peter dort mit seinem Pick-up hinstellen.

Sie betrat das Treppenhaus, als ihr Handy klingelte. „Hola, Peter.“

„Ich habe den Schlüssel und bin in fünf Minuten da. Wo soll ich parken?“

„Auf meinem Parkplatz, der ist frei.“ Carmen ging die Treppe hinauf, schloss ihre Wohnung auf und ließ die Tür angelehnt.

Für einen Kaffee musste noch Zeit sein und sie schaltete die Maschine an. Diese Nacht würde sie also schon in Inca verbringen …

Die Kaffeemaschine signalisierte, dass sie aufgeheizt hatte, und Carmen stellte eine Tasse darunter.

„Hola, guapa.“ Peter stand hinter ihr und breitete seine Arme aus.

„Danke für das Kompliment, aber hübsch ist heute echt was anderes.“ Sie ließ sich von ihm kurz umarmen. „Magst du noch einen Kaffee, bevor es losgeht?“

„Wenn du auch zwei hast?“ Peter ging zur Tür und öffnete sie weit. „Ich habe nämlich noch einen Helfer mitgebracht. Das ist Sebastian, er hat mir beim Umbau meiner Praxis geholfen und ich dachte, noch ein Mann mehr wäre nicht schlecht.“

Jetzt hatte er sie wirklich überrascht: Nicht nur pünktlich, sondern auch noch mit Hilfe im Gepäck. „Das ist großartig.“ Carmen begrüßte Sebastian. „Und selbstverständlich bezahle ich für deine Hilfe.“ Sie ging zurück in die Küche und drückte den Knopf der Kaffeemaschine. Ein echtes Glück, dass ein zweiter Mann dabei war, denn sie hatte schon hin und her überlegt, wie sie mit Peter den fast fünfundsiebzig Kilo schweren Waffentresor tragen sollte.

Peter und Sebastian waren ihr gefolgt und blieben in der Küche stehen.

„Das mit Sebastians Hilfe regle ich.“ Peter lächelte breit. „Mein Einzugsgeschenk an dich.“

***

Zufrieden saß Roberto vor dem Computer. Noch hatte er Zeit, denn seine Schicht begann später. Am Vorabend war ihm erneut das Glück bei einem kleinen Spiel treu gewesen und er hatte weitere dreihundertachtzig Euro gewonnen.

Die Wunde hatte sich glücklicherweise nicht entzündet und schmerzte kaum noch, und wenn Roberto wieder zurück aus Mallorca war, sollten am nächsten Montag die Fäden gezogen werden. Es lief im Moment.

Roberto wandelte die Reservierung der Fähre in eine feste Buchung und kurz danach kam die Bestätigungsmail auch auf sein Handy und ersetzte ein ausgedrucktes Ticket. Der einzige Unsicherheitsfaktor war das Wetter, aber selbst, wenn die Nachtfähre mit Verspätung losfuhr, würde er am Samstagvormittag genügend Zeit haben, zu seinem Großvater zu fahren. Wichtig war nur, dass die Rückfähre überhaupt ablegen konnte und nicht eine zu raue See ihn davon abhalten würde, wieder pünktlich am Montag auf der Arbeit zu erscheinen.

Erneut sah Roberto sich Videos von Schweineattacken an. Es gab mehrere Methoden, Eduardo zu reizen. Ein kleiner Nadelstich, ein bisschen Pfefferspray unters Ringelschwänzchen – Hauptsache Eduardo spielte mit. Das Pfefferspray hatte er sich schon besorgt, und da er das auf keinen Fall im Handgepäck im Flugzeug mitnehmen konnte, war es ein weiterer Grund außer dem günstigen Preis, mit der Fähre zu reisen. Sein Opa würde es zu schätzen wissen, dass er kein Geld für einen Mietwagen ausgab. Möglicherweise konnte er ihn bei einem Gespräch von Angesicht zu Angesicht besser überzeugen als nur am Telefon. Vielleicht sollte er auch noch ein paar Leckereien für Eduardo einpacken und so seine Anerkennung für Opas Liebling zeigen. Wenn alles nichts half, hatte er ja noch Nadel und Pfefferspray.

Und wenn es so nicht funktionierte? Roberto hatte eine Idee und ging an sein Bücherregal. Nach kurzem Suchen wurde er fündig und ging zurück in die Küche.

Einen Kaffee später schlug er das Buch zu. „Machbar“, sagte er laut zu sich selbst.

***

Das Bild, wie Antonio nach dem ungewollten Schubs von Eduardo auf dem Boden gelandet war, ging Miquel nicht mehr aus dem Kopf. Möglicherweise gäbe es doch eine sehr einfache Lösung für sein Problem. Vor Jahren, als sie noch gut miteinander ausgekommen waren, hatte Miquel schon mehrmals die Fütterung von Antonios Schweinen übernommen, wenn dieser einige Tage verhindert war. Er musste Antonios Vertrauen zurückgewinnen, sodass, wenn es zu einem Missgeschick käme, er ihm freiwillig die Pflege seiner Schweine in der Zeit anvertrauen würde.

Miquel sah auf die Uhr. Bald stand die Fütterungszeit an. Besser, er ging vorher erneut zu Antonio und versuchte sein Bestes.

„Du schon wieder?“, fragte Antonio, als Miquel vor seinen Stallungen stand.

„Ich …“, Miquel räusperte sich, „wollte mich entschuldigen.“ Er hielt Antonio eine Flasche mallorquinischen Rotwein hin.

Zögerlich griff Antonio nach der Weinflasche und betrachtete das Etikett. „Wusste nicht, dass du so einen guten Geschmack hast.“

„Pass auf“, Miquel schob seine Hände in die Hosentaschen, „ich habe mittlerweile verstanden, dass du, was meine Art der Schweinezucht angeht, eine andere Auffassung hast. Trotzdem sind wir doch Nachbarn und …“

„Schön, dass du das einsiehst, aber komm zum Punkt.“ Antonio tippte mit dem Zeigefinger auf seine Armbanduhr. „Fütterungszeit.“

Kurz presste Miquel die Lippen zusammen. Jetzt oder nie! „Wir haben uns doch früher schon geholfen, wenn einer mal wegmusste oder nicht konnte. Erinnerst du dich, als ich vor elf Jahren den Unterschenkel gebrochen hatte oder du mal für eine längere Untersuchung im Krankenhaus warst? Da haben wir …“

„Willst du in Urlaub oder bist du krank?“, unterbrach Antonio.

Miquel nickte erleichtert. „Vielleicht werde ich demnächst ein paar Tage wegmüssen, könntest du da meine Schweine versorgen?“

„Klar, wenn du sonst niemanden hast. Kann ja schlecht deine Viecher verhungern lassen.“

„Danke.“ Miquel nahm die Hände aus den Hosentaschen und reichte ihm die rechte Hand. „Ich sage dir dann noch Bescheid. Und wenn du mal verhindert bist … also ich meine, du brauchst keine Angst um Eduardo zu haben und ich werde auch keine Dummheiten machen.“

Antonio nahm seine Hand und drückte sie fest. „Ich habe zwar weder vor zu verreisen noch krank zu werden, außerdem könnten auch Kollegen aus der Zuchtvereinigung einspringen, aber“, er ließ Miquels Hand los, „wenn es nötig wäre, würde ich dich fragen. Und solltest du dann Dummheiten machen, bekäme ich es sowieso raus.“

„Habe ich nicht vor“, sagte Miquel und bemühte sich um einen gelassenen Tonfall. „Dann geh mal deine Schweine versorgen und danke, dass du dich kümmern würdest, wenn ich verhindert bin.“

Antonio winkte ab. „Ja, schon gut.“ Er öffnete die Stalltür. „Und jetzt muss ich füttern.“

War nicht schlecht gelaufen, befand Miquel, als er Antonios Finca verließ, und erinnerte sich erneut daran, wie Eduardo sein Herrchen umgeschubst hatte. Der Beschützerinstinkt des Schweins war stärker als jede Vorsicht. Vielleicht konnte er sich das zunutze machen und so dafür sorgen, dass Antonio sich den Knöchel verknackste oder etwas Ähnliches. Dann hätte er freien Zugriff auf Eduardo und dessen Sperma. Tiefgekühlt geliefert nach China, wie wollte ihm Antonio das jemals nachweisen. Beschwingt ging Miquel zu seinen Schweinen, denn auch sie hatten mittlerweile bestimmt Hunger. Anschließend wollte er den Chinesen schreiben, dass alles vorbereitet wäre. Besser, sie bei Laune zu halten, damit sie nicht möglicher­weise noch einen Rückzieher machten. Außerdem brauchte er einen Plan, wie er Antonio zu Fall bringen könnte. Vielleicht wäre sogar Eduardo selbst ihm eine Hilfe. Er müsste es nur irgendwie hinbekommen, noch einmal so ungestüm loszurennen …

***

Die Morgensonne schien in Carmens Schlafzimmer und weckte sie auf. Genüsslich streckte sie Arme und Beine, bevor sie aufstand. Noch hatte sie drei Tage frei, bis sie am Samstag ihren Dienst antrat, und die wollte sie nutzen.

 

„Au!“ Carmen blieb auf dem Weg ins Bad mit dem rechten kleinen Zeh an einer der Kisten hängen. Was für ein Chaos noch herrschte!

Nur, weil die Schrauben an ihrem blöden Bett so festgesessen hatten, war sie gestern mit Peter, Sebastian und ihren ganzen Sachen erst am Spätnachmittag hier aufgeschlagen. Aber wenigstens war es ihnen gelungen, das Bett als Ganzes sowohl aus der Palmawohnung hinaus als auch in die Incawohnung hineinzubringen.

Erstaunlicherweise war Peter nicht zu einem Notfall gerufen worden, sodass Carmen ihn und Sebastian gegen neun Uhr am Abend noch in ein Restaurant eingeladen hatte. Danach hatte Carmen es nur noch geschafft, die wichtigsten Klamotten in den Schrank zu hängen, und war danach erschöpft eingeschlafen.

Der Schmerz am Zeh ließ langsam nach und Carmen ging ins Badezimmer. Obwohl es klein war, strahlte es eine gewisse Gemütlichkeit aus, was bestimmt auch daran lag, dass die Toilette verborgen hinter einer gefliesten Wand stand.

Während sich Carmen die Haare vor dem Spiegel zusammenband, wurde ihr erst bewusst, wie schön es war, Tageslicht im Bad zu haben, und wie sehr sie das eigentlich immer vermisst hatte.

Da sie vorher keine Gelegenheit gehabt hatte, in Erfahrung zu bringen, wann ihr neuer Kollege Dienst hatte, um sich zwischendurch schon einmal vorzustellen, holte sie das jetzt nach und rief bei der Koordinationsstelle in Palma an.

„Danke, dann eben am Samstag“, beendete Carmen das Gespräch. Gerado hatte diese Woche Urlaub und würde auch erst mit Carmen seinen Dienst wieder antreten.

Sie schlüpfte in ihre Sportklamotten, packte noch einige Einkaufstaschen, Wasserflasche und Handtuch ins Auto und fuhr durch Inca hindurch auf die Landstraße nach Alcúdia.

Nach wenigen Minuten erreichte sie die Zufahrt zum Puig de Santa Magdalena. In einer Ausbuchtung parkte sie und lief in lockeren Laufschritten los. Die kleine gewundene Straße bot schon auf halbem Weg eine unglaubliche Weitsicht in die Ebene um Inca. Gesäumt wurde der Asphalt von Steinmauern, hinter denen sich manchmal sogar ein Haus befand. Auf der Hangseite standen Steineichen und Oliven.

Es schien kein beliebtes Terrain von Läufern zu sein, allerdings überholten sie mehrere Radfahrer oder kamen ihr von oben entgegen.

Carmen trat der Schweiß aus allen Poren, als der Weg immer steiler wurde. Sie verlangsamte ihre Schritte, als die Aussichtsplattform in Sicht kam. Keuchend stützte sie sich an der Umrandungsmauer ab. Sie musste wirklich an ihrer Form arbeiten. Weit in der Ferne erkannte sie die Bucht von Alcúdia. Fast glaubte sie, das Meer glitzern zu sehen.

Nach einer kurzen Verschnaufpause machte sie sich auf den Rückweg und freute sich, dass es nun fast nur bergab ging.

Am Auto angekommen nahm Carmen das Handtuch aus dem Kofferraum und wischte sich den Schweiß aus dem Nacken. Die Steigung von diesem Hügel hatte es echt in sich gehabt. Sie trank die halbe Wasserflasche in einem Zug. Wenige Sekunden später quittierte ihr leerer Magen das mit einem lauten Glucksen. Sie sah an sich hinunter. Ob sie in diesem Aufzug in ein Lokal zum Frühstücken gehen konnte?

„Ey, Achtung!“, rief jemand, Carmen hob den Kopf und sprang zur Seite.

Mindestens elf Radfahrer fuhren in einem rasenden Tempo an ihr vorbei. „Könnt ihr nicht aufpassen?“, schrie Carmen zurück, doch da waren sie schon außer Hörweite … eine echt andere Umgebung als Palma.

Sie beschloss, in dem Café, das zum großen Supermarkt gehörte, etwas zu frühstücken, da sollte sie in ihrem Sportdress nicht anecken. Rückwärts fuhr sie aus der Parkbucht, um zu drehen, als sie ein lautes Bimmeln hörte.

Sie bremste und sah im Rückspiegel eine Schafherde den Bergweg einschlagen. Im Takt läuteten die Glocken, die die Schafe an einem Band um den Hals trugen. Hoffentlich passierte so eine Begegnung auf enger Straße nie, wenn sie zu einem Notfall gerufen wurde. Da gab es kein Durchkommen. Am Ende der Herde erspähte Carmen den Schäfer, an dessen Seite gemächlich ein beeindruckend großer, schwarzer Hund trottete.

Ihr blieb nichts anderes übrig, als abzuwarten, bis die Herde vorbeigelaufen war. Sie wandte ihren Blick zum Berg und in der ersten weiter oben sichtbaren Kurve entdeckte sie drei Radfahrer, die bergab rasten. Das konnte nicht gut gehen. Sie sprang aus dem Auto, da hörte sie schon die Schreie und sah ein Fahrrad durch die Luft fliegen.

„Idiotas!“, brüllte der Schäfer und gab seinem Hund den Befehl, nach vorne zum Leittier zu gehen und die Herde zu stoppen.

Aus dem Kofferraum holte Carmen den Erste-­Hilfe-Koffer und ihr Handy und rannte, so gut es ging, durch die blökende Schafherde. Der Hund war schneller, da dort, wo er entlanglief, die Tiere bereitwillig Platz machten.

Der gestürzte Radfahrer stand mit leicht benommenem Gesichtsausdruck am Straßenrand und starrte auf sein Rad, als Carmen hinzukam. Der eingedrückte Helm hing schief auf seinem Kopf und von Schnittwunden an der rechten Wange lief Blut bis zum Kinn. Die beiden anderen Fahrer, zwei Frauen, waren abgestiegen und hielten krampfhaft ihre Lenker umfasst.

„Brauchen Sie Hilfe?“ Carmen beugte sich zu dem verletzten Fahrer.

Keine Reaktion.

Vorsichtig tippte sie ihn an die Schulter und erschrocken sah er sie an.

„Mein Rad war neu“, jammerte er.

Carmen hörte einen deutlichen Akzent aus seinem Spanisch und vermutete, dass er aus Deutschland kam. Sie legte die Erste-Hilfe-Box auf den Boden, öffnete sie und holte ein Wundspray heraus. „Zuerst einmal sollten wir Ihre Wunden versorgen. Setzen Sie sich bitte auf den Boden.“

„Was machen wir denn jetzt?“, fragte eine der Frauen auf Deutsch.

Sie hatte also richtig vermutet.

„Habt ihr eurer Gehirn auf dem Gepäckband gelassen?“, brüllte der Schäfer und begutachtete ein Lämmchen, das an der Nase blutete. Als es sich zu seiner Mutter drehte und an der Zitze nuckelte, zog der Anflug eines Lächelns über sein Gesicht.

„Nun, dem Lamm ist wohl nichts größer passiert“, sagte Carmen und bückte sich zu dem Radfahrer, der mit angezogenen Knien auf dem Boden saß. „Es kann ein bisschen brennen.“ Carmen schirmte das Auge des Mannes ab und sprühte das Wundspray auf dessen Wange, bevor sie sich die Beine ansah. Beide Unterschenkel waren übersät mit kleinen Wunden. „Ihre Beine haben auch was abbekommen.“

Er senkte seinen Kopf, streckte die Knie und betrachtete ruhig seine Verletzungen. „Ist nicht so schlimm. Das heilt, aber mein Rad nicht.“

Unglaublich, noch immer schien dem Kerl sein Fahrrad wichtiger als der eigene Körper.

„Ich denke, damit ist unsere Tour beendet.“ Er zog ein Handy aus der Rückentasche seines Trikots. „Danke für Ihre Hilfe, ich rufe uns ein Taxi.“

Die beiden Frauen hatten anscheinend das Wort Taxi verstanden und diskutierten heftig, während der Schäfer sich von Carmen verabschiedete und mit seiner Herde weiterzog.

Bevor Carmen sich wieder dem Radfahrer zuwandte, fuhren die zwei Frauen schimpfend bergab.

„Tja“, er zuckte mit den Schultern, „das war es dann wohl mit den beiden.“ Traurig starrte er auf sein Fahrrad. „Und damit.“

Carmen schloss den Erste-Hilfe-Koffer. „Sie kommen klar?“

Er nickte. „Danke.“

„Schauen Sie sich einmal in Ruhe Ihren Helm an, der ist so hinüber, dass Sie echt froh sein sollten, so davongekommen zu sein.“ Sie hob die Hand zum Gruß und ging zu ihrem Auto.

Noch hatte das Rathaus offen, und nachdem sie sich nach einem kurzen Frühstück in der Bar des Supermarkts zu Hause rasch geduscht und umgezogen hatte, wurde sie dort vorstellig, um sich offiziell mit ihrem neuen Wohnort anzumelden. Einige Minuten später schob ihr der freundliche, ältere Herr das Dokument, welches ihren Erstwohnsitz bestätigte, über den Schreibtisch zu. Er tupfte sich seine Glatze mit einem Stofftaschentuch ab. „Ich kann für Sie auch den Abmeldeantrag für Palma von hier aus schicken, wenn Sie das möchten.“

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