Za darmo

Zwanzig Jahre nachher

Tekst
0
Recenzje
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Der Herzog von Elboeuf erhielt die Bezahlung gewisser Summen, die man seiner Gemahlin schuldig war, hunderttausend Livres für seinen ältesten Sohn und fünfundzwanzigtausend für Jeden von den drei Andern.

Nur der Coadjutor erhielt Nichts: man versprach ihm Wohl, seine Angelegenheit in Betreff des Cardinalshutes mit dem Papste zu unterhandeln, aber er wußte, was man von solchen Versprechungen zu halten hatte, wenn sie von der Königin und Herrn von Mazarin kamen. Im Gegensatze zu Herrn von Conti, mußte er, da er nicht Cardinal werden konnte, Mann vom Schwerte bleiben.

Als sich ganz Paris über die auf den andern Tag bestimmte Rückkehr des Königs freute, war auch Herr von Gondy allein inmitten der allgemeinen Heiterkeit so schlechter Laune, daß er sogleich zwei Männer rufen ließ, welche er, sobald er sich in dieser Stimmung des Geistes befand, rufen zu lassen pflegte.

Diese zwei Männer waren der Eine der Graf von Rochefort, der Andere der Bettler von Saint-Eustache.

Sie erschienen mit ihrer gewöhnlichen Pünktlichkeit, und der Coadjutor brachte einen Theil der Nacht mit ihnen zu.

XXV
Worin bewiesen ist, daß es den Königen zuweilen schwerer wird, in die Hauptstadt ihres Königreiches zurückzukehren, als daraus wegzugehen

Während d’Artagnan und Porthos den Cardinal nach Saint-Germain führten, waren Athos und Aramis, welche dieselben in Saint-Denis verlassen hatten, nach Paris zurückgekehrt.

Jeder von ihnen hatte seinen Besuch zu. machen.

Kaum hatte Aramis seine Reiterkleider abgelegt, so lief er in das Stadthaus, wo sich Frau von Longueville befand. Bei der ersten Kunde vom Frieden stieß die schöne Herzogin ein lautes Geschrei aus. Der Krieg machte sie zur Königin, der Frieden führte ihre Abdankung herbei. Sie erklärte, daß sie nie den Vertrag unterzeichnen würde, und wollte einen ewigen Krieg

Als jedoch Aramis ihr diesen Frieden unter seinem wahren Lichte, nämlich mit seinen Vortheilen dargestellt, als er ihr in: Austausch gegen ihr precäres und bestrittenes Königthum von Paris das Vicekönigthum des Pont-de l’Arche, d. h. der ganzen Normandie gezeigt hatte, als er an ihren Ohren die von dem Cardinal versprochenen fünfmal hunderttausend Franken klingeln und vor ihren Augen die Ehre glänzen ließ, die ihr der König erwies, indem er ihr Kind über die Taufe hob, da protestierte Frau von Longueville nur noch in Folge der Gewohnheit, zu protestieren, welche die hübschen Frauen haben, und vertheidigte sich nur, um sich zu ergeben.

Aramis stellte sich, als glaubte er an die Wahrheit ihres Widerstandes, und wollte sich in seinen eigenen Augen das Verdienst nicht nehmen, sie überredet zu haben.

»Madame,« sagte er zu ihr, »Ihr wolltet einmal den Herrn Prinzen, Euern Bruder, den größten Feldherrn unserer Zeit tüchtig klopfen, und wenn die Frauen von Genie einmal etwas wollen, so gelingt es ihnen immer. Es ist Euch gelungen: der Herr Prinz ist geschlagen, da er nicht mehr Krieg führen kann. Nun zieht ihn auf unsere Partei herüber, macht ihn ganz sachte von der Königin los, die er nicht liebt, und von Herrn von Mazarin, den er verachtet. Die Fronde ist eine Komödie, von der wir bis jetzt nur den ersten Akt gespielt haben. Erwarten wir Herrn von Mazarin bei der Entwicklung, d. h. an dem Tage, wo der Herr Prinz, durch Euch angetrieben, sich gegen den Hof gewendet haben wird.«

Frau von Longueville wurde überredet. Sie war so gut überzeugt von der Gewalt ihrer schönen Augen, diese Frondeuse-Herzogin, daß sie durchaus nicht an ihrem Einflüsse sogar auf Herrn von Condé zweifelte, und die Chronik der Scandale jener Zeit sagt, sie habe sich nicht zu viel angemaßt.

Als Athos Aramis auf der Place-Royale verließ, begab er sich zu Frau von Chevreuse. Hier war abermals eine Frondeuse zu überreden; aber diese war schwerer zu besiegen, als ihre junge Rivalin. Man hatte keine Bedingung zu ihren Gunsten festgestellt. Herr von Chevreuse war nicht zum Gouverneur irgend einer Provinz ernannt worden, und wenn die Königin Pathin zu werden einwilligte, so konnte es nur bei ihrem Enkel oder ihrer Enkelin sein.

Bei dem ersten Worte vom Frieden runzelte auch Frau von Chevreuse die Stirne, und trotz aller Logik von Athos, der ihr zu beweisen suchte, daß ein längerer Krieg unmöglich wäre, bestand sie auf den Feindseligkeiten.

»Schöne Freundin,« sprach Athos, »erlaubt mir, Euch zu bemerken, daß Jedermann des Krieges müde ist, daß, Euch und den Herrn Coadjutor vielleicht ausgenommen, alle Welt den Frieden wünscht. Ihr werdet machen, daß man Euch verbannt, wie zur Zeit von König Ludwig XIII. Glaubt mir, wir haben das Alter der Erfolge in der Intrigue hinter uns, und Eure schönen Augen sind nicht dazu bestimmt, in Thränen über Paris zu erlöschen, wo es stets zwei Königinnen geben wird, so lange Ihr daselbst seid.«

»Oh,« sagte die Herzogin, »ich kann den Krieg nicht allein machen, aber ich kann mich an dieser undankbaren Königin und an dem ehrgeizigen Günstling rächen, und so wahr ich Herzogin bin, ich werde mich rächen!«

»Madame,« sprach Athos, »ich bitte Euch dringend, bereitet Herrn von Bragelonne keine schlimme Zukunft. Er ist in die Welt getreten, der Herr Prinz will ihm wohl, er ist jung, lassen wir ihn mit dem jungen König sich feststellen. Ach, entschuldigt meine Schwäche, Madame: es kommt ein Augenblick, wo der Mensch in seinen Kindern wieder auflebt und jung wird.«

Die Herzogin lächelte halb zärtlich, halb ironisch.

»Graf,« sagte sie, »Ihr seid, ich muß es befürchten, für die Partei des Hofes gewonnen. Habt Ihr nicht irgend ein blaues Band in Eurer Tasche?«

»Ja, Madame,« sprach Athos, ich habe den Hosenbandorden, den mir der König Karl einige Tage vor seinem Tod gegeben hat.«

Der Graf sprach die Wahrheit. Er wußte Nichts von der Bitte von Porthos, und es war ihm nicht bekannt, daß er noch einen andern Orden hatte, als diesen.

»Vorwärts! man muß am Ende eine alte Frau werden,« sprach die Herzogin träumerisch.

Athos nahm ihre Hand und küßte sie. Sie seufzte und schaute ihn an.

»Graf,« sagte sie, »Bragelonne muß ein reizender Aufenthalt sein. Ihr seid ein Mann von Geschmack, Ihr müßt Wasser, Wald, Blumen haben.«

Sie seufzte abermals und stützte ihren reizenden Kopf auf ihre coquettisch zurückgebogene und nach Form und Weiße immer noch bewunderungswürdig hübsche Hand.

»Madame,« erwiderte der Graf, »was sagtet Ihr so eben? Nie habe ich Euch so jung, nie habe ich Euch so schön gesehen.«

Die Herzogin schüttelte den Kopf und sprach:

»Bleibt Herr von Bragelonne in Paris?«

»Was denkt Ihr davon?« fragte Athos.

»Laßt ihn mir,« versetzte die Herzogin.

»Nein, Madame, wenn Ihr die Geschichte von Oedipus vergessen habt, so erinnere ich mich derselben.«

»In der That, Graf, Ihr seid sehr artig, und ich Würde gern einen Monat in Bragelonne leben.«

»Fürchtet Ihr nicht, mir viele Neider zuzuziehen, Herzogin?« erwiderte Athos.

»Nein, ich werde incognito reisen, Graf, unter dem Namen Marie Michon.«

»Ihr seid anbetungswürdig, Madame.«

»Aber laßt Raoul nicht bei Euch.«

»Warum dieß?«

»Weil er verliebt ist.«

»Er, ein Kind?«

»Er liebt auch ein Kind.«

Athos wurde träumerisch.

»Ihr habt Recht, Herzogin: diese seltsame Liebe für ein Kind kann ihn eines Tages sehr unglücklich machen. Man wird sich in Flandern schlagen, und er soll dahin gehen.«

»Bei seiner Rückkehr schickt Ihr ihn mir, und ich werde ihn gegen die Liebe panzern.«

»Ach! Madame,« sprach Athos, »heut zu Tage ist die Liebe wie der Krieg, und der Panzer ist unnütz geworden.

In diesem Augenblick trat Raoul ein. Er meldete dem Grafen und der Herzogin, der Graf von Guiche, sein Freunds habe ihm mitgetheilt, am andern Tage werde der feierliche Einzug des Königs, der Königin und des Ministers stattfinden.«

Am andern Morgen bei Tagesanbruch traf der Hof feierlich alle Vorkehrungen, um Saint-Germain zu verlassen.

Die Königin hatte schon am Abend vorher d’Artagnan kommen lassen.

»Mein Herr,« sagte sie zu ihm, »man versichert mich, Paris sei nicht ruhig. Ich habe bange für den König: stellt Euch an den Kutschenschlag rechts.

«Euere Majestät mag unbesorgt sein,« erwiderte d’Artagnan, »ich stehe für den König.«

Und sich vor der Königin verbeugend, trat er ab.

Als d’Artagnan die Königin verließ, sagte ihm Bernouin, der Cardinal erwarte ihn in wichtigen Angelegenheiten.

Er begab sich sogleich zu dem Cardinal.

»Mein Herr,« sagte Mazarin, »man spricht von einer Meuterei in Paris. Ich werde links vom König sitzen, und da ich hauptsächlich bedroht bin, so haltet Euch am Kutschenschlage links.

»Euere Eminenz beruhige sich,« erwiderte d’Artagnan,« man wird kein Haar von Ihrem Haupte berühren.«

»Teufel!« murmelte er, als er im Vorzimmer war, »wie soll ich mich da herausziehen? Ich kann nicht zugleich am Kutschenschlage links und an dem rechts sein. Ah, bah! ich bewache den König, und Porthos bewacht den Cardinal.«

Diese Anordnung befriedigte Jedermann, was ziemlich selten ist. Die Königin hatte Zutrauen zu dem Muthe von d’Artagnan. den sie kannte, und Mazarin zu der Tapferkeit von Porthos, die er erprobt hatte.

Der Zug setzte sich nach Paris in einer zuvor bestimmten Folge in Bewegung. Guitaut und Comminges marschierten an der Spitze der Garden voraus; dann kam der königliche Wagen, an einem von seinen Schlägen d’Artagnan, am andern Porthos; hierauf folgten die Musketiere, die alten Freunde von d’Artagnan seit zweiundzwanzig Jahren, ihrem Lieutenant seit zwanzig, ihrem Kapitän seit dem Tage vorher.

Als man an die Barrière gelangte, wurde der Wagen von einem gewaltigen: »Es lebe der König! Es lebe die Königin!« begrüßt. Einige Rufe: »Es lebe Mazarin!« mischten sich darein, fanden aber keine Echos.

 

Man begab sich nach der Notre-Dame, wo das Te Deum gesungen werden sollte.

Die ganze Bevölkerung von Paris war auf den Straßen. Man hatte die Schweizer am Wege als Spaliere aufgestellt. Da aber der Weg lang war, so standen sie immer auf sechs bis acht Schritte Entfernung voneinander und nur einen Mann hoch. Der Wall war also völlig ungenügend, und von Zeit zu Zeit hatte der Damm, von einer Volkswoge durchbrochen, die größte Mühe, sich wiederherzustellen.

Bei jedem Durchbruche, so wohlwollend er auch war, denn er rührte von dem Verlangen der Pariser her, ihren König und ihre Königin wiederzusehen, deren sie seit einem Jahre beraubt gewesen waren, schaute Anna von Oesterreich d’Artagnan besorgt an; dieser aber beruhigte sie mit einem Lächeln.

Mazarin, der wohl, um: »Es lebe Mazarin!« schreien zu lassen, tausend Louisd’or ausgegeben und die Rufe, die er gehört, nicht zu zwanzig Pistolen angeschlagen hatte, schaute Porthos ebenfalls unruhig an; aber der riesige Garde antwortete auf diesen Blick mit einer so schönen Baßstimme: »Seid unbesorgt, Monseigneur!« daß sich Mazarin beruhigte.

Als man zum Palais-Royal gelangte, fand man die Volksmenge immer größer. Sie war auf diesen Platz durch alle anliegende Straßen geströmt, und man sah wie einen großen, unruhigen Fluß die ganze Masse dem Wagen entgegenkommen und sich stürmisch in die Rue Saint-Honoré wälzen.

Als man den Platz erreichte, erschollen mächtige Rufe: »Es leben Ihre Majestäten!« Mazarin legte sich aus dem Kutschenschlage: zwei oder drei Rufe: »Es lebe der Cardinal!« begrüßten seine Erscheinung: doch beinahe in demselben Augenblick wurden sie durch Pfeifen und Zischen unbarmherzig erstickt. Mazarin erbleichte und warf sich rasch zurück.

»Canaillen!« murmelte Porthos.

D’Artagnan sagte Nichts; aber er kräuselte seinen Schnurrbart mit einer eigentümlichen Geberde, welche andeutete, daß seine gascognische Galle zu kochen begann.

Anna von Oesterreich neigte sich an das Ohr des jungen Königs und flüsterte ihm zu:

»Macht ein freundliches Gesicht und richtet ein paar Worte an Herrn d’Artagnan, mein Sohn.«

Der König neigte sich aus dem Kutschenschlage und sagte:

»Ich habe Euch noch nicht guten Morgen gewünscht, Herr d’Artagnan, und doch erkannte ich Euch gar wohl. Ihr wäret hinter meinen Bettvorhängen in der Nacht, als die Pariser mich schlafen sehen wollten.«

»Und wenn es der König erlaubt,« versetzte d’Artagnan, »so werde ich bei ihm sein, so oft er einer Gefahr preisgegeben ist.«

»Mein Herr,« sagte Mazarin zu Porthos, »was würdet Ihr thun, wenn sich das Volk auf uns stürzte?«

»Ich würde so viel, als ich vermöchte, todtschlagen,« erwiderte Porthos.«

»Hm!« murmelte Mazarin, »so brav und stark Ihr auch seid, so vermöchtet Ihr doch nicht Alles todt zu schlagen.«

»Das ist wahr,« sagte Porthos, sich auf den Steigbügeln erhebend, um die unermeßliche Menge besser zu überschauen, »das ist wahr, es sind ihrer Viele.«

»Ich glaube, der Andere wäre mir lieber,« sprach Mazarin, und warf sich wieder in den Hintergrund des Wagens zurück.

Die Königin und ihr Minister hatten Ursache, sich einigermaßen beunruhigt zu fühlen, wenigstens der letztere. Den Anschein der Achtung und sogar der Zuneigung für den König und die Regentin bewahrend, sing doch die Menge an, sich stürmisch zu bewegen. Man hörte dumpfe Geräusche umherlaufen, die, wenn sie über die Wellen hinstreifen, den Sturm anzeigen, und wenn sie die Menge berühren, den Aufruhr verkündigen.

D’Artagnan wandte sich gegen die Musketiere um und machte, mit den Augen blinzelnd, ein für das Volk unmerkliches, aber für diese brave Elite sehr verständliches Zeichen.

Die Reihen der Pferde schlossen sich an einander an und ein leichtes Beben durchlief die Männer. An der Barriere des Sergents war man genöthigt, Halt zu machen; Comminges verließ die Spitze der Escorte und kam an den Wagen der Königin. Die Königin fragte d’Artagnan mit dem Blick. D’Artagnan antwortete ihr in derselben Sprache.

»Geht vorwärts,« sagte die Königin.

Comminges ging wieder an seinen Posten. Man machte einen Anlauf und die lebendige Barriere wurde mit Gewalt durchbrochen.

Es erhob sich aus der Menge einiges Gemurmel, das diesmal ebensowohl an den König, als an seinen Minister gerichtet war.

»Vorwärts!« rief d’Artagnan mit voller Stimme.

»Vorwärts,« wiederholte Porthos.

Aber es ergossen sich nun, als hätte die Menge nur diese Kundgebung erwartet, um zu beginnen, alle feindseligen Gesinnungen, welche dieselbe in sich schloß, aus einmal. Das Geschrei: »Nieder mit Mazarin! Tod dem Cardinal!« erscholl von allen Seiten.

Zu gleicher Zeit wälzte sich durch die Rues Grenelle-Saint-Honoré und du Coq-Saint-Honoré eine doppelte Woge hervor, durchbrach das schwache Spalier der Schweizer-Garden und trieb seinen ungestümen Wirbel bis zu den Beinen der Pferde von d’Artagnan und Porthos.

Dieser neue Einbruch war gefährlicher als die andern, denn er bestand aus bewaffneten Leuten, aus Menschen, welche besser bewaffnet erschienen, als es gewöhnlich die Leute aus dem Volke in solchen Fällen sind. Man sah, daß diese letzte Bewegung nicht die Wirkung des Zufalls war, welcher eine gewisse Anzahl von Unzufriedenen auf demselben Punkte vereinigte, sondern die Combination eines feindseligen Geistes, der einen Angriff organisirt hatte.

Diese zwei Massen wurden jede von einem Chef angeführt. Der Eine derselben schien nicht dem Volke, sondern der ehrenwerthen Körperschaft der Bettler anzugehören, wahrend man in dem Andern, obgleich er das Wesen des Volkes nachzuahmen trachtete, leicht einen Edelmann erkennen konnte.

Beide handelten offenbar von einem und demselben Impulse angetrieben.

Es entstand eine lebhafte Erschütterung, welche sich bis in den königlichen Wagen fühlbar machte. Dann erschollen tausend Rufe, einen mächtigen Schrei bildend mit ein paar Flintenschüssen vermischt.

»Herbei, Musketiere!« rief d’Artagnan.

Die Escorte trennte sich in zwei Reihen; die eine ritt auf die rechte Seite des Wagens, die andere auf die linke, die eine kam d’Artagnan, die andere Porthos zu Hilfe.

Nun entspann sich ein Handgemenge, das um so furchtbarer war, als es kein bestimmtes Ziel hatte, und um so trauriger erschien, als man nicht wußte, warum und für wen man sich schlug.

Wie alle Bewegungen des großen Haufens, so war der Anlauf dieser Menge furchtbar; durchaus nicht zahlreich, schlecht aneinandergereiht, begannen die Musketiere, welche ihre Pferde unter dieser Volksmasse nicht gehörig kreisen lassen konnten, in Unordnung zu gerathen. D’Artagnan wollte die Vorhänge des Wagens herablassen, aber der junge König streckte den Arm aus und sprach:

»Nein, Herr d’Artagnan, ich will sehen.«

»Wenn Eure Majestät sehen will,« erwiderte d’Artagnan, »nun wohl, so mag sie schauen!«

Und sich mit jenem Ungestüm umwendend, das ihn so furchtbar machte, drang d’Artagnan auf den Anführer der Meuterer ein, der, eine Pistole in der einen, ein breites Schwert in der andern Hand, sich bis zu dem Kutschenschlage, mit zwei Musketieren kämpfend, Bahn gebrochen hatte.

»Platz, Mord und Tod!« rief d’Artagnan, »Platz!«

Bei dieser Stimme hob der Mann mit der Pistole und dem breiten Schwerte den Kopf in die Höhe; aber es war bereits zu spät: d’Artagnan hatte seinen Streich geführt; sein Degen war tief in die Brust gedrungen.

»Ah, Ventre-Saint-gris!« rief d’Artagnan, indem er zu spät seinen Streich zurückzuhalten suchte, »was Teufels machet Ihr hier, Graf?«

»Ich mußte mein Geschick in Erfüllung bringen,« erwiderte Rochefort, auf ein Knie fallend; »ich habe mich bereits von dreien Eurer Schwertstreiche erhoben; von dem vierten aber werde ich mich nicht erheben.«

»Graf,« sagte d’Artagnan mit einer gewissen Rührung, »ich habe geschlagen, ohne zu wissen, daß Ihr es wäret. Es wäre mir sehr leid, wenn Ihr sterben, wenn Ihr mit Gefühlen des Hasses gegen mich verscheiden würdet.«

Rochefort reichte d’Artagnan die Hand; d’Artagnan nahm sie. Der Graf wollte sprechen, aber ein Blutstrom erstickte seine Worte. Er streckte sich in einer letzten Convulsion aus und verschied.

»Zurück, Canaille!« rief d’Artagnan. »Euer Anführer ist todt und Ihr habt nichts mehr hier zu schaffen.«

In der That, als wäre der Graf von Rochefort die Seele des Angriffes gewesen, der nach dieser Seite der königlichen Carrosse gerichtet war, ergriff die Menge, die ihm folgte und ihm gehorchte, die Flucht, als sie ihn fallen sah. D’Artagnan machte einen Einfall mit etwa zwanzig Musketieren in die Rue du Coq, und dieser Theil des Aufruhrs verschwand wie eine Rauchwolke, sich auf der Place Saint-Germain-l’Auxerrois zerstreuend, und verlor sich bald auf den Quais.

D’Artagnan kehrte zurück, um Porthos Hilfe zu leisten, sollte dieser derselben bedürfen. Aber Porthos hatte seine Arbeit ebenso gewissenhaft vollführt, als d’Artagnan. Die linke Seite der Carrosse war nicht minder gut abgefegt, als die rechte, und man hob den Vorhang des Kutschenschlags empor, den Mazarin, minder kriegerisch, als der König, vorsichtiger Weise herabgelassen hatte.

Porthos sah äußerst schwermüthig aus.

»Was für ein Teufelsgesicht macht ihr denn, Porthos, und welch eine sonderbare Miene habt Ihr für einen Sieger!« rief d’Artagnan.

»Aber Ihr selbst.« versetzte Porthos, »Ihr kommt mir sehr bewegt vor?«

»Es ist auch Grund dazu vorhanden; denn ich habe so eben einen alten Freund getödtet.«

»Wirklich!« sprach Porthos. »Wen denn?«

»Den armen Grafen von Rochefort.«

»Nun, das ist gerade wie bei mir. Ich habe einen Menschen getödtet, dessen Gesicht mir nicht unbekannt ist. Leider schlug ich ihn an den Kopf und in einem Augenblick war das ganze Gesicht voll Blut.«

»Und er hat im Fallen nichts gesagt?«

»Doch; er sagte: Uf!«

»Ich begreife,« versetzte d’Artagnan, der sich des Lachens nicht enthalten konnte, »ich begreife, daß es Euch nicht sehr in’s Klare brachte, wenn er nichts Anderes gesagt hat.«

»Nun, mein Herr?« fragte die Königin.

»Madame,« erwiderte d’Artagnan, »die Straße ist vollkommen frei, und Eure Majestät kann ihren Weg fortsetzen.«

Der Zug gelangte wirklich ohne irgend einen andern Unfall zu der Notre-Dame Kirche, unter deren Portal die Geistlichkeit, den Coadjutor an der Spitze, den König, die Königin und den Minister erwartete, für deren glückliche Rückkehr ein Te Deum gesungen werden sollte.

Während des Gottesdienstes und im Augenblick, da derselbe seinem Ende nahte, kam ein Straßenjunge ganz bestürzt in die Kirche gelaufen, eilte in die Sacristei, kleidete sich rasch als Chorknabe, durchschritt mit Hilfe der ehrwürdigen Uniform, die er angezogen, die Menge, welche den Tempel füllte, und näherte sich Bazin, der in seinem blauen Gewände und den mit Silber verzierten Fischbeinstab in der Hand mit ernster Miene dem Schweizer am Eingange des Chors gegenüberstand.

Bazin fühlte, daß man ihn am Rocke zog. Er senkte seine voll Andacht zum Himmel aufgeschlagenen Augen zu Boden und erkannte Friquet.

»Nun, Bursche,« fragte der Meßner, »was gibt es denn, daß Du es wagst, mich in Ausübung meiner Functionen zu stören?«

»Herr Bazin, antwortete Friquet, »Herr Maillard, Ihr wißt, der Weihwassergeber von Saint-Eustache«

»Ja, weiter?«

»Er hat bei der Zänkerei einen Schwertstreich auf den Kopf bekommen. Der große Riese, den ihr dort seht, der mit den vielen Stickereien hat ihm denselben gegeben.«

»Ja, und in diesem Falle muß er sehr krank sein,« sprach Bazin.

»So krank, daß er stirbt, und gern vor seinem Tode dem Herrn Coadjutor beichten möchte, der, wie man sagt, die Macht besitzt, die groben Sünden zu vergeben.«

»Und er bildet sich ein, der Coadjutor werde sich seinetwegen stören lassen?«

»Ja, allerdings, denn es scheint, der Herr Coadjutor hat es ihm versprochen.«

»Wer sagt Dir das?«

»Herr Maillard selbst.«

»Du hast ihn also gesehen?«

»Gewiß: ich war dabei, als er fiel.«

»Was hast Du dort gemacht?«

»Ich schrie: Nieder mit Mazarin! Tod dem Cardinal! Den Italiener an den Galgen! Hießet Ihr mich nicht dieses schreien?«

»Willst Du wohl schweigen, kleiner Tölpel!« sprach Bazin und schaute unruhig umher.

»Der arme Herr Maillard sprach also zu mir; »»Hole mir den Herrn Coadjutor, Friquet, und wenn Du mir ihn bringst, so mache ich Dich zu meinem Erben.« Sagt doch, Vater Bazin: der Erbe von Herrn Maillard, dem Weihwassergeber in Saint-Eustache! Ich habe nicht mehr zu thun, als meine Arme zu kreuzen. Gleichviel, ich möchte ihm immerhin sehr gerne diesen Dienst leisten; was sagt Ihr dazu?«

»Ich will den Herrn Coadjutor benachrichtigen,« sprach Bazin.

Und er näherte sich wirklich ehrfurchtsvoll und langsam dem Prälaten, sagte ihm einige Worte in das Ohr, worauf dieser mit einem bejahenden Zeichen antwortete, kehrte mit demselben Schritte, mit dem er weggegangen war, zurück und sprach:

 

»Sage dem Sterbenden, er solle sich gedulden, Monseigneur werde in einer Stunde bei ihm sein.«

»Gut,« versetzte Friquet, mein Glück ist gemacht.«

»Doch sprich,« fragte Bazin, »wohin hat er sich tragen lassen?«

»Nach dem Thurms von Saint – Jacques-la-Boucherie.«

Entzückt über den Erfolg seiner Botschaft, verließ Friquet, ohne sein Chorknabengewand abzulegen, das ihm überdies den Durchgang bedeutend erleichterte, die Kirche und schlug mit aller Geschwindigkeit, der er fähig war, den Weg nach dem Thurms von Saint-Jacques-la-Boucherie ein.

Sobald das Te Deum vollendet war, begab sich der Coadjutor seinem Versprechen gemäß und ohne seine priesterlichen Gewänder abzulegen, ebenfalls nach dem alten Thurme, der ihm so wohl bekannt war. Er kam noch zu rechter Zeit; obgleich jeden Augenblick schwächer werdend, war der Verwundete doch noch nicht todt.

Man öffnete ihm die Thüre des Zimmers, wo der Bettler im Sterben lag.

Einen Augenblick nachher kam Friquet heraus, einen großen ledernen Sack in der Hand haltend, den er aufriß, sobald er aus dem Zimmer war, und zu seinem nicht geringen Erstaunen voll Gold fand.

Der Bettler hatte Friquet Wort gehalten und ihn zu seinem Erben gemacht.

»Oh! Mutter Nannette,« rief Friquet athemlos, »oh! Mutter Nannette!«

Er konnte nicht mehr sagen; aber die Kraft, die ihm fehlte, um zu sprechen, blieb ihm, um zu handeln. Er nahm einen verzweiflungsvollen Lauf nach der Straße, und wie der Grieche von Marathon, der auf dem Platze von Athen seinen Lorbeerkranz in der Hand niederfiel, gelangte Friquet auf die Schwelle des Ruthes Broussel, stürzte vorwärts und streute auf dem Boden die Louisd’or aus, die sich aus seinem Sacke ergossen.

Die Mutter Nannette fing damit an, daß sie die Louisd’or aufhob. und hob dann auch Friquet auf.

Während dieser Zeit gelangte der Zug in das Palais-Royal.

»Das ist ein tapferer Mann, meine Mutter, dieser Herr d’Artagnan,« sagte der junge König.

»Ja, mein Sohn, und er hat Euerem Vater große Dienste geleistet. Behandelt ihn also in Zukunft auf eine freundliche Weise.«

»Herr Kapitän,« sprach der König aus dem Wagen steigend zu d’Artagnan, »die Frau Königin beauftragt mich, Euch für heute zum Mittagsbrod einzuladen, Euch und Eueren Freund, den Herrn Baron Du Vallon.«

Es war dies eine große Ehre für d’Artagnan und für Porthos. Sie erfüllte Porthos auch mit Entzücken; aber während der ganzen Dauer des Mahles schien der würdige Edelmann äußerst unruhig.

»Was hattet Ihr denn, Baron?« sagte d’Artagnan zu ihm, als sie mit einander die Treppe des Palais-Royal hinabstiegen; »Ihr kämet mir ganz sorgenvoll während des Mahles vor.«

»Ich suchte mich zu erinnern, wo ich den Bettler gesehen, den ich getödtet haben muß,« antwortete Porthos.

»Und Ihr könnt nicht damit zum Ziele kommen?«

»Nein.«

»Nun so sucht, mein Freund, sucht, und wenn Ihr gefunden habt, so werdet Ihr es mir sagen, nicht wahr?«

»Bei Gott, ja,« erwiderte Porthos.