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Zwanzig Jahre nachher

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Der Portwein

Nach Verlauf von zehn Minuten schliefen die Herren; nicht so war es mit den ausgehungerten und zagenden Dienern.

Blaisois und Mousqueton schickten sich an, ihr Bett zu machen, das aus einem Brette und einem Felleisen bestand, während auf einer Tafel, welche, wie die in dem anstoßenden Zimmer, aufgehängt war, bei dem Schwanken des Schiffes ein Laib Brod, ein Bierkrug und drei Gläser sich wiegten.

»Verfluchtes Schwanken!« sprach Blaisois. »Ich fühle, daß es mich wieder packen wird, wie bei unserer ersten Ueberfahrt.«

»Und gar nichts zur Bekämpfung der Seekrankheit haben, als Gerstenbrod und Hopfenwein! Puh!«

»Aber Euere Weidenflasche, Herr Mouston,« fragte Blaisois, der die Vorkehrungen zu seinem Lager getroffen hatte und sich wankend dem Tische näherte, an welchem Mousqueton bereits saß; »aber Euere Weidenflasche, habt Ihr sie etwa verloren?«

»Nein,« erwiderte Mousqueton, »aber Parry hat sie behalten. Diese Teufel von Schottländern haben immer Durst. Und Ihr, Grimaud,« fragte Mousqueton seinen Gefährten, welcher eben zurückkehrte, nachdem er d’Artagnan bei seiner Runde begleitet hatte, »habt Ihr Durst?«

»Wie ein Schottländer,« antwortete Grimaud lakonisch.

Und er setzte sich neben Blaisois und Mousqueton, zog eine Schreibtafel aus der Tasche und fing an die Rechnungen der Gesellschaft zu machen, deren Oekonom er war.

»Oh! la! la!« rief Blaisois, »in meinem Leibe fährt Alles durcheinander.« .

»Wenn dem so ist,« erwiderte Mousqueton, »so nehmt ein wenig Speise zu Euch.«

»Ihr nennt das Speise?« sagte Blaisois mit einer kläglichen Miene die verächtliche Geberde begleitend, mit der er auf das Gerstenbrod und den Bierkrug deutete.

»Blaisois,« erwiderte Mousqueton, »erinnert Euch, daß das Brod die wahre Speise des Franzosen ist, … und der Franzose hat nicht einmal immer; fragt nur Grimaud.«

»Ja, aber das Bier,« versetzte Blaisois mit einer Geschwindigkeit, die seinem lebendigen Erwiederungsgeifte Ehre machte; »aber das Bier, ist das sein wahres Getränke?«

Was das betrifft,« sagte Mousqueton, in einer Klemme gefaßt und ziemlich verlegen über eine Antwort; »ich muß gestehen, nein, das Bier ist ihm so zuwider, als der Wein den Engländern.«

»Wie, Herr Mouston,« sprach Blaisois, welcher diesmal sehr an den tiefen Kenntnissen von Mousqueton zweifelte, vor denen er indessen in den gewöhnlichen Lebensverhältnissen die größte Achtung hatte; »wie, Herr Mouston, die Engländer lieben den Wein nicht?«

»Sie verabscheuen ihn.«

»Aber ich habe sie doch trinken sehen.«

»Zur Buße; und zum Beweise mag dienen,« fuhr Mousqueton sich blähend fort, »daß ein englischer Prinz eines Tages gestorben ist, weil man ihn in ein Faß Malvasier gesteckt hatte. Ich habe die Geschichte den Herrn Abbé d’Herblay erzählen hören.«

»Der Dummkopf!« ’sagte Blaisois, »ich möchte wohl an seinem Platze sein.«

»Du kannst es,« sagte Grimaud, immer fort Zahlen an einander reihend.

»Wie dies,« fragte Blaisois, »ich kann es?«

»Ja,« erwiderte Mousqueton, vier behaltend und diese Zahl auf die nächste Seite übertragend.

»Ich kann es? Erklärt Euch, Herr Grimaud.«

Mousqueton schwieg während der Fragen von Blaisois, aber an dem Ausdrucke seines Gesichtes war leicht zu sehen, daß dies nicht aus Gleichgültigkeit geschah.

Grimaud fuhr fort zu rechnen und setzte die Summe.

»Portwein,« sagte er sodann und streckte die Hand in der Richtung des von d’Artagnan und ihm in Begleitung des Patrons besuchten Gelasses aus.

»Wie! diese Fässer, die ich durch die halbgeöffnete Thüre wahrgenommen habe?«

»Portwein,« wiederholte Grimaud und begann eine neue arithmetische Operation.

»Ich habe sagen hören,« versetzte Blaisois, »der Portwein sei ein vortrefflicher spanischer Wein.«

»Vortrefflich,« wiederholte Mousqueton, mit der Zungenspitze über die Lippe fahrend, »vortrefflich; es findet sich ein solcher in dem Keller des Herrn Baron de Bracieux.«

»Wenn wir die Engländer bitten würden, eine Flasche an uns zu verkaufen?« fragte der ehrliche Blaisois.

»Kaufen!« versetzte Grimaud, zu seinem Maraudeur-Instinkte zurückkehrend. »Man sieht wohl, junger Mann, daß Ihr noch keine Erfahrung in den Dingen des Lebens habt. Warum kaufen, wenn man nehmen kann?«

»Nehmen,« sagte Blaisois, »sich nach dem Gute seines Nächsten gelüsten lassen! mir scheint, das ist verboten.«

»Wo dies?« fragte Mousqueton.

»Im Gesetze Gottes oder der Kirche, ich weiß es nicht mehr.«

»Das ist abermals ein kindisches Wort, Herr Blaisois,« sprach Mousqueton mit seinem erhabensten Protektorstone. »Ja, kindisch, so ist es. Wo habt Ihr in der Schrift gefunden, daß die Engländer Eueres Gleichen sind?«

»Nirgends, das ist wahr, wenigstens erinnere ich mich dessen nicht.«

»Ein kindisches Wort, ich wiederhole es,« versetzte Mousqueton. »Wenn Ihr zehn Jahre im Felde gewesen wäret, wie Grimaud und ich, mein lieber Blaisois, so wüßtet Ihr, welcher Unterschied zwischen dem Gute eines Fremden und dem Gute eines Nächsten stattfindet. Ein Engländer aber ist, denke ich, ein Feind, und dieser Porto gehört Engländern. Er gehört also uns, in Betracht, daß wir Franzosen sind.«

Diese Beredsamkeit, unterstützt durch das Ansehen, welches Mousqueton aus seiner langen Erfahrung schöpfte, setzte Blaisois in Erstaunen. Er neigte das Haupt, als wollte er sich sammeln, erhob aber bald wieder die Stirne, wie ein mit unumstößlichen Beweisen bewaffneter Mensch und sprach:

»Und die Herren, werden sie Euerer Ansicht sein, Herr Mouston?«

Mousqueton lächelte verächtlich.

»Ich müßte vielleicht,« versetzte er, »ich müßte vielleicht den Schlaf dieser erhabenen Herren stören, um ihnen zu sagen: »»Meine Herren, Euer Diener Mouston hat Durst, wollt Ihr ihm erlauben, zu trinken?«« Ich frage Euch, was liegt Herrn de Bracieux daran, ob ich Durst habe oder nicht?«

»Es ist ein sehr theurer Wein,« sprach Blaisois, den Kopf schüttelnd.

»Und wäre es trinkbares Gold, Herr Blaisois,« sprach Mousqueton, »so würden sich unsere Herren des Genusses doch nicht enthalten. Erfahrt, daß der Herr Baron de Bracieux allein reich genug ist, um eine. Tonne Porto zu trinken, und müßte er jeden Tropfen mit einer Pistole bezahlen. Ich sehe aber nicht ein,« fuhr Mousqueton immer herrlicher in seinem Stolze fort, »warum sich die Diener enhalten sollten, da die Herren sich nicht enthalten würden.«

Hiernach erhob sich Mousqueton, nahm den Bierkrug, leerte ihn bis auf den letzten Tropfen durch eine Stückpforte und ging majestätisch nach der Thüre, welche in den Raum führte, wo der Portwein verwahrt sein sollte.

»Ah! ah! geschlossen,« sagte er. »Diese Teufel von Engländern, wie mißtrauisch sind sie doch!«

»Geschlossen!« wiederholte Blaisois in nicht minder verdrießlichem Tone. »Ah! Pest! das ist ein Unglück, denn ich fühle, daß es in meinem Magen immer mehr durcheinander geht.«

Mousqueton wandte sich mit einem so kläglichen Gesichte gegen Blaisois, daß es ganz offenbar wurde, er theile in hohem Grade den Aerger des braven Burschen.

»Geschlossen!« wiederholte er ebenfalls.

»Aber,« versetzte Blaisois, »aber ich hörte Euch erzählen, Herr Mouston, Ihr hättet in Euerer Jugend, in Chantilly, glaube ich, Euern Herrn und Euch selbst dadurch ernährt, daß Ihr Rebhühner mit der Schlinge, Karpfen mit der Leine und Flaschen mit dem Lasso gefangen,«

»Allerdings,« erwiderte Mousqueton, »das ist die volle Wahrheit. Grimaud kann es Euch bezeugen. Aber es war ein Luftloch im Keller und der Wein in Flaschen. Ich kann den Lasso nicht durch diesen Verschlag werfen und eben so wenig mit einem Bindfaden ein Faß Wein ziehen, das vielleicht zwei Centner schwer ist.«

»Nein, aber Ihr könnt die paar Bretter des Verschlags ausheben,« entgegnete Blaisois, »und an einem von den Fässern ein Loch mit einem Bohrer machen.«

Mousqueton riß seine Augen unmäßig weit auf und schaute Blaisois wie ein Mensch an, der sehr darüber erstaunt ist, bei einem andern Menschen Eigenschaften zu finden, die er nicht bei ihm vermuthete.

»Das ist wahr,« sagte er, »das läßt sich thun; aber einen Meißel, um die Bretter zu sprengen, einen Bohrer, um das Faß zu öffnen?«

»Das Bündel,« sprach Grimaud, während er zugleich die Probe bei seiner Rechnung machte.

»Ah! ja, das Bündel,« versetzte Mousqueton, »und ich dachte nicht daran.«

Grimaud war wirklich nicht nur der Oekonom der Truppe, sondern auch ihr Waffenmeister: außer einem Register besaß er ein Bündel. Da nun Grimaud ein äußerst vorsichtiger Mann war, so enthielt dieses sorgfältig in seinem Felleisen verwahrte Bündel alle Instrumente für den gewöhnlichen Bedarf.

Es enthielt folglich auch einen Bohrer von ansehnlicher Dicke. Mousqueton ergriff denselben.

Was den Meißel betrifft, so hatte er nicht lange zu suchen, der Dolch, den er im Gürtel trug, vermochte ihn vortrefflich zu ersetzen.

Mousqueton suchte einen Winkel, wo die Bretter etwas getrennt wären, was leicht zu finden war, und ging sogleich an das Werk.

Blaisois schaute ihm mit einer Bewunderung zu, mit der sich eine gewisse Ungeduld vermischte, wobei er von Zeit zu Zeit über die Art und Weise, einen Nagel auszubrechen oder ein Aufwiegen zu bewerkstelligen, sich Bemerkungen voll Verstand und Scharfsinn erlaubte.

Nach einem Augenblick hatte Mousqueton drei Bretter gesprengt.

Mousqueton war das Gegentheil von dem Frosch in der Fabel, der sich für dicker hielt, als er war. War es ihm auch gelungen, seinen Namen um ein Drittel zu verkürzen, so hatte leider nicht dasselbe bei seinem Bauche stattgefunden. Er suchte durch die Oeffnung zu schlüpfen, die er gemacht hatte, und sah zu seinem Schmerze, daß er wenigstens noch zwei bis drei Bretter ausheben mußte, wenn die Oeffnung seinem Umfange entsprechen sollte.

 

Er stieß einen Seufzer aus und zog sich zurück, um wieder an das Werk zu gehen.

Aber Grimaud, der seine Rechnungen vollendet hatte, stand in diesem Augenblick auf, näherte sich mit inniger Theilnahme an der Operation, in deren Ausführung man begriffen war, seinen zwei Gefährten und betrachtete die vergeblichen Anstrengungen von Mousqueton, in das gelobte Land zu gelangen.

»Ich,« sagte Grimaud.

Dieses Wort war für sich ein ganzes Sonett Werth, was bekanntlich so viel Werth ist als ein ganzes Gedicht.

Mousqueton wandte sich um und fragte:

»Was, Ihr?«

»Ich werde durchschlüpfen.«

»Das ist wahr,« sprach Mousqueton mit einem Blicke auf den langen und dünnen Körper seines Freundes, »Ihr könnt durchkommen und zwar leicht.«

»Das ist richtig,« sagte Blaisois; »er kennt die vollen Fässer, da er schon einmal mit dem Herrn Chevalier d’Artagnan in dem Keller gewesen ist. Laßt Herrn Grimaud durch, Herr Mouston.«

»Ich wäre so gut durchgekommen, als Grimaud,« sagte Mousqueton etwas gereizt.

»Ja, aber das hätte langer gedauert, und ich verspüre großen Durst; auch rumort es in meinem Magen immer mehr.«

»Vorwärts also, Grimaud,« sprach Mousqueton und reichte demjenigen, welcher die Expedition statt seiner versuchen sollte, den Bierkrug und den Bohrer.

»Schwenke die Gläser,« versetzte Grimaud.

Dann machte er Mousqueton eine freundschaftliche Geberde, als wollte er ihn um Verzeihung bitten, daß er eine Expedition vollende, welche ein Anderer so glänzend begonnen hatte, schlüpfte wie eine Schlange durch die Oeffnung und verschwand.

Blaisois schien ganz entzückt. Von allen Thaten, welche seit ihrer Ankunft in England von den außerordentlichen Menschen, denen er beigesellt zu sein das Glück hatte, ausgeführt worden waren, kam ihm diese als die unzweifelhaft wunderbarste vor.

»Ihr werdet sehen,« sprach Mousqueton, mit einer Erhabenheit Blaisois anschauend, der dieser sich nicht einmal zu entziehen versuchte, »Ihr werdet sehen, wie wir alte Soldaten trinken, wenn wir Durst haben.«

»Den Mantel,« sagte Grimaud aus dem Keller hervor.

»Das ist richtig, erwiderte Mousqueton.

»Was verlangt er?« fragte Blaisois.

»Daß man die Oeffnung mit dem Mantel verstopfe.«

»Warum dies?«

»Einfältiger!« erwiderte Mousqueton, »wenn Jemand herein käme.«

»Ah! das ist wahr!« rief Blaisois mit immer sichtbarer hervortretender Bewunderung. »Aber er wird nicht hell sehen?«

»Grimaud sieht immer hell,« antwortete Mousqueton, »bei Nacht wie bei Tag.«

»Er ist sehr glücklich,« versetzte Blaisois, »wenn ich kein Licht habe, kann ich nicht zwei Schritte machen, ohne anzustoßen.«

»Ihr habt auch nicht gedient, sonst hättet Ihr eine Nadel in der größten Finsterniß aufheben gelernt. Aber stille! mir scheint, man kommt.«

Mousqueton ließ einen kleinen Alarmpfiff vernehmen, mit dem die Lackeien aus den Tagen ihrer Jugend vertraut waren, setzte sich wieder an den Tisch und hieß Blaisois durch ein Zeichen dasselbe thun.

Blaisois gehorchte.

Die Thüre öffnete sich. Es erschienen zwei Männer in ihre Mäntel gehüllt.

»Oh! oh!« sagte der Eine, »es ist ein Viertel auf zwölf Uhr und Ihr habt Euch noch nicht niedergelegt? das ist wider die Vorschrift. In einer Viertelstunde muß Alles ausgelöscht sein und Jedermann schnarchen.«

Die zwei Männer gingen auf die Thüre des Raumes zu, in welchen Grimaud geschlüpft war, öffneten diese Thüre, traten ein und schlossen hinter sich.

»Ah!« flüsterte Blaisois bebend, »er ist verloren!«

»Grimaud ist ein feiner Fuchs,« murmelte Mousqueton.

Und sie warteten mit gespanntem Ohre und den Athem an sich haltend.

Es vergingen zehn Minuten, während deren man kein Geräusch vernahm, woraus sich schließen ließ, Grimaud wäre entdeckt.

Nach Ablauf dieser Zeit sahen Mousqueton und Blaisois die Thüre sich wieder öffnen, und zwei Männer im Mantel kamen heraus, verschlossen die Thüre so vorsichtig, wie vorher, und entfernten sich unter Erneuerung des Befehls, sich niederzulegen und die Lichter auszulöschen.

»Werden wir gehorchen?« fragte Blaisois; »diese ganze Geschichte kommt mir verdächtig vor.«

»Sie sagten eine Viertelstunde; wir haben noch fünf Minuten.«

»Wenn wir die Herren benachrichtigen würden?«

»Wir wollen auf Grimaud warten.«

»Aber wenn sie ihn umgebracht haben?«

»Grimaud hätte geschrieen,«

»Ihr wißt, daß er beinahe stumm ist.«

»Wir hätten den Schlag gehört.«

»Aber wenn er nicht kommt?«

»Hier ist er.«

In demselben Momente drückte Grimaud wirklich den Mantel auf die Seite, der die Oeffnung verbarg, und schob durch diese Oeffnung einen leichenbleichen Kopf, dessen durch den Schrecken gerundete Augen einen kleinen Augenstern in einem großen Weißen Kreise sehen ließen. Er hielt in der Hand den Bierkrug, angefüllt mit irgend einem Stoffe, näherte ihn dem Lichte, das die rauchige Lampe von sich gab, und murmelte die einzige Sylbe: Oh! mit einem Ausdrucke so tiefen Schreckens, daß Mousqueton bestürzt zurückwich und Blaisois beinahe in Ohnmacht fiel.

Beide warfen nichtsdestoweniger einen neugierigen Blick in den Bierkrug: er war voll Pulver.

Einmal überzeugt, daß das Schiff mit Pulver statt mit Wein beladen war, stürzte Grimaud nach der Luke und machte nur einen Sprung bis an das Zimmer, worin die vier Freunde schliefen. Hier drückte er sachte die Thüre auf, welche, sich öffnend, sogleich d’Artagnan aufweckte, der unmittelbar hinter derselben lag.

Kaum hatte dieser das entstellte Gesicht von Grimaud erblickt, als er begriff, daß etwas Außerordentliches vorging, und schreien wollte; aber mit einer Geberde, schneller als das Wort, legte Grimaud einen Finger auf seine Lippen und löschte mit einem Hauche, den man in einem so schwächlichen Körper nicht vermuthet hätte, die Nachtlampe auf drei Schritte aus.

D’Artagnan erhob sich auf den Ellenbogen, Grimaud setzte ein Knie auf die Erde und flüsterte ihm so, den Hals vorgestreckt, eine Erzählung in das Ohr, die im Ganzen dramatisch genug war, um der Geberde und des Spiels der Gesichtszüge entbehren zu können.

Während dieser Erzählung schliefen Athos, Porthos und Aramis wie Menschen, die seit acht Tagen nicht geschlafen haben, und auf dem Zwischendecke knüpfte Mousqueton aus Vorsicht seine Nesteln, während Blaisois vom Schrecken erfaßt mit zu Berge stehenden Haaren dasselbe zu thun versuchte.

Man vernehme, was sich ereignet hatte.

Kaum war Grimaud durch die Oeffnung verschwunden und in den ersten Raum gedrungen, als er zu untersuchen begann und hierbei ein Faß fand. Er schlug daran: das Faß war leer. Er ging an ein anderes: es war ebenfalls leer; aber das dritte, an welchem er den Versuch wiederholte, gab einen so matten Ton von sich, daß man sich nicht täuschen konnte. Grimaud erkannte, daß es voll war.

Er blieb an diesem, suchte eine taugliche Stelle, um es anzubohren, und brachte seine Hand, während er diese Stelle suchte, an einen Hahnen.

»Gut!« sagte Grimaud, »das erspart mir das Geschäft.«

Und er näherte seinen Bierkrug, drehte den Hahnen um und fühlte, daß der Inhalt ganz sachte aus einem Gefäß in das andere überging.

Grimaud setzte, nachdem er behutsamer Weise den Hahnen wieder geschlossen hatte, den Krug an seine Lippen, denn er war zu gewissenhaft, um seinen Gefährten einen Trank zu bringen, für den er ihnen nicht hätte stehen können, als er das Signal horte, das ihm Mousqueton gab; er vermuthete eine Nachtrunde, schlüpfte in den Zwischenraum der zwei Tonnen und verbarg sich hinter einem Fasse.

Ein^n Augenblick nachher öffnete sich wirklich die Thüre und schloß sich wieder, nachdem zwei Männer in Mänteln eingetreten waren, die wir mit dem Befehle, die Lichter auszulöschen, an Blaisois und Mousqueton haben vorübergehen sehen.

Der Eine trug eine sorgfältig geschlossene Glaslaterne, welche so hoch war, daß die Flamme die Oberfläche nicht erreichen konnte. Die Gläser waren überdies mit einem Blatte Weißen Papiers bedeckt, welches das Licht und die Wärme milderte oder vielmehr einschluckte.

Dieser Mensch war Groslow.

Der Andere hielt in seiner Hand etwas Langes, Biegsames, Zusammengerolltes, einem weißlichen Stricke ähnlich. Sein Gesicht war von einem breitkrämpigen Hute bedeckt. Im Glauben, dieselbe Neigung führe diese Männer, in den Keller wie ihn, und sie machten, wie er, dem Portwein einen Besuch, kauerte sich Grimaud immer tiefer hinter das Faß, wobei er sich sagte, wenn er auch entdeckt würde, so wäre sein Verbrechen doch nicht so groß.

Sobald die zwei Männer zu der Tonne gelangt waren, hinter der Grimaud verborgen lag, blieben sie stehen.

»Habt Ihr die Lunte?« fragte englisch derjenige, welcher die Stocklaterne trug.

»Hier ist sie,« sagte der Andere.

Bei der Stimme des Letzteren bebte Grimaud; er fühlte, wie ein Schauer bis in das Mark seiner Knochen drang; er erhob sich aber langsam, bis sein Kopf über den hölzernen Kreis ging, und erkannte unter dem großen Hute das bleiche Gesicht von Mordaunt.

»Wie lange kann diese Lunte währen?« fragte der Letztere.

»Ungefähr fünf Minuten,« antwortete der Patron.

Diese Stimme war Grimaud ebenfalls nicht unbekannt. Seine Blicke gingen von dem Einen auf den Andern über, und nach Mordaunt erkannte er Groslow.

»Heißt Eure Leute sich bereit halten,« sprach Mordaunt, »jedoch ohne ihnen zu sagen, wozu. Folgt die Schaluppe dem Schiffe?«

»Wie ein Hund seinem Herrn am Koppelriemen folgt.«

»Wenn Ihr auf der Pendeluhr ein Viertel nach Mitternacht schlagen hört, so versammelt Ihr Eure Leute und steigt geräuschlos in die Schaluppe hinab.

»Nachdem ich Feuer an die Lunte gelegt habe?«

»Das ist meine Sorge. Ich will meiner Rache gewiß sein. Die Ruder sind im Boote?«

»Alles ist vorbereitet.«

»Gut.«

»Abgemacht also.«

Mordaunt kniete nieder und befestigte ein Ende seiner Lunte an den Hahnen, wonach er nur noch Feuer an das andere Ende zu legen hatte.

»Mein lieber Groslow,« sprach Mordaunt, »Ihr kennt das französische Sprichwort: On n’est bien servi que par soi-même. Ich werde es zur Anwendung bringen.«

Grimaud hatte Alles gehört, wenn auch nicht Alles verstanden; aber der Blick ersetzte bei ihm den Mangel vollkommener Sachverständnis; er hatte die zwei Todfeinde der Musketiere erkannt und gesehen; er hatte Mordaunt die Lunte anlegen sehen; er hatte das Sprichwort gehört, das Mordaunt zu seiner Erleichterung französisch gesagt hatte. Er rüttelte den Inhalt des Kruges hin und her, den er in der Hand hielt, aber statt der Flüssigkeit, welche Mousqueton und Blaisois erwarteten, krachten unter seinen Fingern die Körner eines groben Pulvers.

Mordaunt entfernte sich mit dem Patron. An der Thüre blieb er horchend stehen.

»Hört Ihr, wie sie schlafen?« sagte er.

Man hörte in der That Porthos durch den Boden schnarchen.

»Gott überliefert sie Eueren Händen!« sprach Groslow.

»Und diesmal würde sie der Teufel nicht mehr retten!« versetzte Mordaunt.

Hiernach gingen Beide hinaus.

Grimaud wartete, bis er das Schloß ächzen hörte, und als er sich überzeugt hatte, daß er allein war, richtete er sich langsam auf.

»Ah!« sagte er, mit seinem Aermel die großen Schweißtropfen abwischend, welche auf seiner Stirne perlten, »ah! welch ein Glück, daß Mousqueton Durst hatte.«

Er schlüpfte eilig durch sein Loch, denn er glaubte, noch zu träumen, aber der Anblick des Pulvers in dem Bierkruge bewies ihm, daß der Traum ein tätlicher Alp war.

D’Artagnan vernahm, wie sich leicht denken läßt, alle diese Einzelheiten mit wachsendem Interesse, und ohne zu warten, bis Grimaud geendigt hatte, erhob er sich und näherte seinen Mund dem Ohre von Aramis, der zu seiner Linken schlief? und berührte zugleich seine Schulter, um jeder ungestümen Bewegung vorzubeugen.

»Chevalier,« sagte er, »erhebt Euch und macht nicht das geringste Geräusch.«

Aramis wachte auf. D’Artagnan wiederholte seine Aufforderung, ihm die Hand drückend. Aramis gehorchte.

»Ihr habt Athos zu Eurer Rechten, benachrichtigt ihn, wie ich Euch benachrichtigt habe.«

Aramis weckte ohne Mühe Athos auf, dessen Schlaf leicht war, wie es gewöhnlich bei allen zarten, nervigen Naturen ist; aber man fand mehr Schwierigkeiten, um Porthos zu wecken. Er wollte nach den Ursachen und Gründen der, wie es schien, ihm sehr unangenehmen Unterbrechung seines Schlafs fragen, als ihm d’Artagnan statt jeder Erklärung die Hand auf den Mund legte.

Dann streckte unser Gascogner die Arme aus und zog sie wieder an sich, indem er auf diese Art in ihren Kreis die drei Köpfe seiner Freunde schloß, so daß sie sich gleichsam berührten.

 

»Freunde,« sagte er, »wir müssen sogleich das Schiff verlassen, oder wir sind insgesamt todt.«

»Bah! entgegnete Athos, »abermals?«

»Wißt Ihr, wer der Kapitän des Schiffes ist?«

»Nein.«

»Der Oberste Groslow.«

Ein Beben der drei Musketiere belehrte d’Artagnan, daß seine Rede einigen Eindruck auf die Freunde zu machen anfing.

»Groslow!« versetzte Aramis, »alle Teufel!«

»Wer ist das, Groslow?« fragte Porthos, ich erinnere mich nicht mehr.«

»Derjenige, welcher Parry den Kopf zerschmettert hat und nun unsere Köpfe zu zerschmettern im Begriffe ist.«

»Oh! oh!«

»Und sein Lieutenant? wißt Ihr, wer sein Lieutenant ist?«

»Sein Lieutenant? Er hat keinen!« erwiderte Athos. »Man hat keinen Lieutenant auf einer Felucke, deren ganze Mannschaft aus vier Personen besteht.«

»Allerdings, aber Herr Groslow ist kein Kapitän, wie ein Anderer. Er hat einen Lieutenant, und dieser Lieutenant ist Herr Mordaunt.«

Diesmal war es mehr, als ein Beben unter den Musketieren, es war beinahe ein Schrei. Diese unbesiegbaren Männer waren dem geheimnißvollen, unseligen Einflüsse unterworfen, den der Name Mordaunt auf sie ausübte, und fühlten sich schon von einem Schrecken erfaßt, wenn sie ihn nur aussprechen hörten.

»Was ist zu thun?« fragte Athos.

»Wir müssen uns der Felucke bemächtigen, »erwiderte Aramis.

»Und ihn tödten,« fügte Porthos bei.

»Die Felucke ist unterminirt,« sprach d’Artagnan. Die Tonnen, welche ich für Fässer mit Portwein gefüllt hielt, sind Pulverfässer. Sieht sich Mordaunt entdeckt, so wird er Alles in die Luft sprengen, Freund und Feind, aber er ist, bei meiner Treue! ein zu schlimmer Kamerad, als daß ich mich in seiner Gesellschaft, sei es im Himmel, sei es in der Hölle, zu zeigen wünschen sollte.«

»Ihr habt also einen Plan?« fragte Athos.

»Ja,«

»Welchen?«

»Habt Ihr Zutrauen zu mir?«

»Befehlt,« erwiderten gleichzeitig die drei Musketiere.

»Nun, so kommt.«

D’Artagnan ging an ein Fenster, welches so niedrig war, wie ein Speigatt, aber doch Raum genug bot, daß ein Mann durchschlüpfen konnte; er ließ es sachte auf seinem Charnier zurückgleiten.

»Das ist der Weg,« sagte er.

»Teufel!« murmelte Aramis, es ist sehr kalt, lieber Freund.«

»Bleibt hier, wenn Ihr wollt, aber ich sage Euch, daß es sogleich zu heiß werden wird.«

»Wir können das Land nicht schwimmend erreichen!«

»Die Schaluppe folgt an einem Tau, wir erreichen die Schaluppe und schneiden das Tau ab. Vorwärts, meine Herren!«

»Einen Augenblick,« sagte Athos, »die Lackeien.«

»Wir sind hier,« sprachen Mousqueton und Blaisois, welche Grimaud geholt hatte, um alle seine Kräfte in der Kajüte zu concentriren.

Die drei Freunde waren indessen unbeweglich vor dem furchtbaren Schauspiele geblieben, das sie durch die enge Oeffnung erblickten, als d’Artagnan den Laden aufhob.

Wer nur ein Mal in seinem Leben dieses Schauspiel gesehen hat, weiß in der That, daß es nichts Ergreifenderes gibt, als ein stürmisches Meer, das mit dumpfem Gemurmel seine schwarzen Wogen beim bleichen Schimmer eines Wintermondes hinwälzt.

»Bei Gott, es scheint, wir zögern,« sagte d’Artagnan. »Wenn wir zögern, was werden dann die Lackeien thun?«

»Ich zögere nicht,« sprach Grimaud.

»Herr, ich kann nur im Flusse schwimmen,« versetzte Blaisois.

»Und ich kann gar nicht schwimmen,« sagte Mousqueton.

Mittlerweile war d’Artagnan. durch die Oeffnung geschlüpft.

»Ihr seid entschlossen, Freund?« fragte Athos.

»Ja,« antwortete der Gascogner. »Auf, Athos; Ihr, der Ihr der vollkommene Mann seid, heißt den Geist die Materie beherrschen. Ihr, Aramis, setzt die Lackeien in’s Klare; Ihr, Porthos, schlagt Alles todt, was uns ein Hinderniß macht.«

Und nachdem er Athos die Hand gedrückt hatte, wählte d’Artagnan den Augenblick, wo durch eine schwankende Bewegung der Länge nach die Felucke nach hinten tauchte, so daß er sich nur in das Wasser gleiten lassen durfte, das ihn bereits bis an den Gürtel umgab.

Athos folgte ihm, ehe die Felucke sich wieder erhoben hatte; nach Athos hob sie sich und man sah die Kabel, mit welcher die Schaluppe befestigt war, sich spannen und aus dem Wasser hervorkommen.

D’Artagnan schwamm nach dieser Kabel und erreichte sie.

Hier wartete er, mit einer Hand an dem Tau hängend und den Kopf über dem Wasserspiegel.

Nach Verlauf einer Sekunde holte ihn Athos ein.

Dann sah man an der Wendung der Felucke zwei andere Köpfe erscheinen. Es waren die von Aramis und Grimaud.

»Blaisois beunruhigt mich,« sagte Athos. »Habt Ihr nicht gehört, daß er äußerte, er könnte nur im Flusse schwimmen?«

»Wenn man schwimmen kann, so schwimmt man überall,« erwiderte d’Artagnan; »zur Barke! zur Barke!«

»Aber Porthos? ich sehe ihn nicht.«

»Seid unbesorgt, Porthos wird kommen; er schwimmt wie Leviathan selbst.

Porthos erschien wirklich nicht, denn eine halb burleske, halb dramatische Scene fiel zwischen ihm, Mousqueton und Blaisois vor.

Erschrocken über dem Geräusch des Wassers, über dem Pfeifen des Windes, bestürzt bei dem Anblick des in der Tiefe brausenden schwarzen Meeres, wichen Mousqueton und Blaisois zurück, statt vorzuschreiten.

»Vorwärts! vorwärts!« rief Porthos, »in’s Wasser!«

»Aber, gnädiger Herr,« erwiderte Mousqueton, »ich kann nicht schwimmen, laßt wich hier.«

»Und mich auch, Herr,« sprach Blaisois..

»Ich versichere Euere Gnaden, daß ich Euch in dieser kleinen Barke in Verlegenheit bringen würde,« sagte Mousqueton.

»Und ich würde sicherlich ertrinken, ehe ich dahin gelangte,« fuhr Blaisois fort.

»Ich erdrossle Euch Beide, wenn Ihr nicht hinausgeht!« sprach Porthos, sie an der Gurgel packend, »vorwärts, Blaisois.«

Ein durch die eiserne Hand von Porthos unterdrückter Seufzer war die ganze Antwort von Blaisois, denn der Riese faßte ihn beim Halse und an den Füßen, ließ ihn wie ein Brett durch das Fenster gleiten und stieß ihn den Kopf nach unten in das Meer.

»Mouston,« sprach nun Porthos, »ich hoffe, Ihr werdet Euren Herrn nicht verlassen.«

»Ach! gnädiger Herr,« erwiderte Mousqueton, Thränen in den Augen, »warum habt Ihr wieder Dienst genommen? wir waren so gut im Schlosse Pierrefonds.«

Und ohne eine weitere Einwendung fiel Mousqueton, zum leidenden Gehorsam zurückgekehrt, sei es durch wirkliche Ergebenheit oder durch das in Beziehung auf Blaisois gegebene Beispiel, köpflings in das Meer. Jedenfalls eine erhabene Handlung, denn Mousqueton hielt sich für todt.

Aber Porthos war nicht der Mann, der auf diese Art seinen treuen Gefährten im Stiche ließ. Der Herr folgte dem Diener so nahe, daß der Sturz der zwei Körper nur ein Geräusch machte, und als Mousqueton ganz geblendet auf das Wasser zurückkam, fand er sich durch die breite Hand von Porthos unterstützt und konnte, ohne daß er eine Bewegung zu machen nöthig hatte, mit der Majestät eines Meergottes nach dem Tau vorrücken.

In demselben Augenblick sah Porthos Etwas im Bereiche seines Armes Wirbeln. Er nahm dieses Etwas beim Haare: es war Blaisois, dem Athos entgegenkam.

»Fort, fort, Graf,« sagte Porthos, »ich bedarf Eurer nicht.«

Und mit einem kräftigen Stoße der Kniebeuge erhob sich Porthos wirklich wie der Niese Adamastor über der Welle, und durch drei Bewegungen war er mit seinen Freunden vereinigt.

D’Artagnan, Aramis und Grimaud halfen Blaisois und Mousqueton einsteigen; dann kam die Reihe an Porthos, der, sich an Bord schwingend, das kleine Fahrzeug beinahe umwarf.

»Und Athos?« fragte d’Artagnan.

»Hier bin ich,« erwiderte Athos, welcher, wie ein General den Rückzug deckend, erst zuletzt einsteigen wollte und sich am Rande der Barke hielt. »Seid Ihr beisammen?«

»Alle,« antwortete d’Artagnan. »Und Ihr, Athos, habt Ihr Euren Dolch?«

»Ja.«

»Dann schneidet das Tau ab und kommt.«

Athos zog einen scharfen Dolch aus seinem Gürtel und schnitt das Tau ab, die Felucke entfernte sich, die Barke blieb auf der Stelle, ohne eine andere Bewegung als die, welche die Wellen derselben verliehen.

»Kommt, Athos,« sagte d’Artagnan.


Und er reichte dem Grafen de la Fère die Hand, und dieser nahm ebenfalls in dem Fahrzeuge Platz.

»Es war Zeit,« sagte der Gascogner, »und Ihr werdet etwas Seltsames sehen.«