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Zwanzig Jahre nachher

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XII
Das Unglück verleiht Gedächtniß

Anna war wüthend in ihr Betzimmer zurückgekehrt.

»Wie!« rief sie, ihre schönen Arme verdrehend, »wie! das Volk hat Herrn von Condé, den ersten Prinzen von Geblüt, durch meine Schwiegermutter, Maria von Medicis, verhaftet gesehen; es hat meine Schwiegermutter, ihre ehemalige Regentin, von dem Cardinal vertrieben gesehen; es hat Herrn von Vendome, den Sohn von Heinrich IV., in Vincennes gefangen gesehen und nichts gesagt, als man diese hohen Personen beschimpfte, einkerkerte, bedrohte, und für einen Broussel ein solches Toben! Jesus, was ist aus dem Königthum geworden.«

Die Königin berührte hier, ohne daran zu denken, den wunden Fleck. Das Volk hatte für die Prinzen nichts gethan; das Volk erhob sich für Broussel, weil es sich um einen Plebejer handelte, und Broussel vertheidigend, fühlte es instinktartig, daß es sich selbst vertheidigte.

Während dieser Zeit ging Mazarin in seinem Cabinet auf und ab und schaute wiederholt seinen zersprungenen venetianischen Spiegel an.

»Ach,« sagte er, »ich weiß wohl, es ist traurig, so nachgeben zu müssen; doch wir werden uns zu entschädigen wissen; was liegt an Broussel, das ist ein Name und keine Sache.«

»Ein so gewandter Politiker Mazarin auch war, so täuschte er sich doch diesmal; Broussel war eine Sache und nicht ein Name.

Als Broussel am andern Morgen nach Paris in einem großen Wagen, seinen Sohn Louvières neben sich, zurückkehrte, lief ihm alles Volk bewaffnet entgegen; der Ruf: »Es lebe Broussel! es lebe unser Vater! erscholl von allen Seiten und trug den Tod in die Ohren von Mazarin; von allen Seiten brachten die Spione des Cardinal s und der Königin ärgerliche Nachrichten zurück, welche den Minister sehr bewegt und die Königin sehr ruhig fanden; die Königin schien in ihrem Kopfe einen großen Entschluß zur Reife zu bringen was die Unruhe von Mazarin verdoppelte. Er kannte die stolze Person und fürchtete die Entschlüsse der Königin.

Der Coadjutor war in das Parlament zurückgekehrt, mehr König, als es der König, die Königin und der Cardinal mit einander waren. Auf seinen Rath forderte ein Edict des Parlaments die Bürger auf, die Waffen abzulegen und die Barricaden zu zerstören; sie gehorchten, denn sie wußten nun, daß es nur einer Stunde bedurfte, um die Waffen wieder zu ergreifen, und einer Nacht, um die Barricaden wieder herzustellen.

Mancher war in seine Bude zurückgekehrt: der Sieg amnestiert; Planchet befürchtete nicht mehr, gehängt zu werden, er war überzeugt, wollte man nur Miene machen, ihn zu verhaften, so würde sich das Volk für ihn erheben, wie es sich für Broussel erhoben hatte.

Rochefort hatte seine Chevaurlegers dem Chevalier d’Humières zurückgegeben; es fehlten zwei beim Appell; aber der Chevalier, der in seinem Innern Frondeur war, wollte nichts von einer Entschädigung wissen.

Der Bettler hatte wieder seinen Platz im Vorhofe von Saint-Eustache eingenommen, theilte abermals mit einer Hand sein Weihwasser aus uns forderte mit der andern das Almosen, und Niemand ahnte, daß diese zwei Hände so eben aus dem socialen Gebäude den Grundstein des Königthums gezogen hatten.

Louvières war stolz und zufrieden; er hatte sich an Mazarin gerächt, den er verabscheute, und viel zu der Befreiung seines Vaters aus dem Gefängniß beigetragen; sein Name war mit Schrecken im Palais-Royal genannt worden, und er sprach lächelnd zu dem seiner Familie zurückgegebenen Rathe:

»Glaubt Ihr, mein Vater, wenn ich jetzt von der Königin eine Compagnie verlangte, sie würde mir eine geben?«

D’Artagnan benützte den Augenblick der Ruhe, um Raoul fortzuschicken, den er während des Aufruhrs nur mit großer Mühe eingeschlossen gehalten hatte, denn er wollte durchaus für den Einen oder den Andern das Schwert ziehen. Raoul machte Anfangs einige Schwierigkeiten, aber d’Artagnan sprach im Namen des Grafen de la Fère. Raoul besuchte Frau von Chevreuse und ging zum Heer ab.

Rochefort allein fand das Ende der Sache schlecht; er hatte dem Herzog von Beaufort geschrieben, er möge kommen; der Herzog sollte bald erscheinen und würde dann Paris ruhig finden.

Er suchte den Coadjutor auf und fragte ihn, ob er dem Prinzen Kunde geben solle, damit er auf dem Wege anhalte; aber Gondy dachte einen Augenblick nach und erwiderte:

»Laßt ihn seinen Weg fortsetzen.«

»Die Sache ist also noch nicht beendigt?« sagte Rochefort.

»Mein lieber Graf, wir sind erst beim Anfang.«

»Was bringt Euch zu diesem Glauben?«

»Meine Kenntniß von dem Charakter der Königin; sie wird nicht geschlagen bleiben wollen.«

»Sie bereitet also etwas vor?«

»Ich hoffe es.«

»Sprecht, was wißt Ihr?«

»Ich weiß, daß sie an den Herrn Prinzen geschrieben hat, er möge in aller Eile von dem Heere zurückkommen.

»Ah! ah!« sagte Rochefort, »Ihr habt Recht, man muß Herrn von Beaufort kommen lassen.«

Am Abend des Tages, an welchem dieses Gespräch stattfand, verbreitete sich das Gerücht, der Herr Prinz sei angelangt.

Es war eine ganz einfache und natürliche Neuigkeit und dennoch hatte sie einen ungeheueren Wiederhall: man behauptete, es seien Indiskretionen von Frau von Longueville begangen worden, der der Herr Prinz, den man einer Zärtlichkeit für seine Schwester beschuldigte, welche die Grenzen brüderlicher Freundschaft überschritt, vertrauliche Mitteilungen gemacht hätte. Diese Mittheilungen enthüllten finstere Pläne von Seiten der Königin.

Am Abend der Ankunft des Herrn Prinzen gingen höher gestellte Bürger, Schöppen, Quartier-Capitäne zu ihren Bekannten und sagten:

»Warum nehmen wir nicht den König und bringen ihn in das Stadthaus? Es ist Unrecht, daß wir ihn von unsern Feinden erziehen lassen, die ihm schlechte Nachschlüge geben, während er, wenn er von dem Herrn Coadjutor geleitet würde, nationale Grundsätze einsaugen und das Volk lieben müßte.«

In der Nacht herrschte eine dumpfe Bewegung; am andern Morgen erschienen die grauen und schwarzen Mantel, die Patrouillen bewaffneter Kaufleute und die Bettler-Banden wieder.

Die Königin hatte die Nacht allein mit dem Herrn Prinzen in einer Unterredung zugebracht und war erst um fünf Uhr von ihm verlassen worden.

Um fünf Uhr begab sich die Königin in das Cabinet von Mazarin. Hatte sie sich nicht niedergelegt, so war dagegen der Cardinal bereits aufgestanden.

Er entwarf eine Antwort an Cromwell; sechs Tage waren von den zehn abgelaufen, die er von Mordaunt gefordert hatte.

»Bah,« sagte er, »ich habe ihn ein wenig warten lassen, aber Herr Cromwell weiß zu gut, was Revolutionen sind, um mich nicht zu enschuldigen.«

Er überlas wohlgefällig den ersten Paragraphen seines Schreibens, als man an die Thüre klopfte, welche mit den Gemächern der Königin in Verbindung stand. Anna von Oesterreich konnte allein durch diese Thüre kommen. Der Caidinal stand auf und öffnete.

Die Königin war im Negligé; aber das Negligé stand ihr gut, denn wie Diana von Poitiers und Ninon bewahrte Anna von Oesterreich das Vorrecht, stets schön zu bleiben; nur war sie an diesem Morgen schöner, als gewöhnlich, denn ihre Augen hatten den vollen Glanz, den eine innere Freude dem Blicke verleiht.

»Ja, Giulio,« sagte sie, ich bin stolz und glücklich, denn ich habe das Mittel gefunden, diese Hydra zu ersticken.«

»Ihr seid groß in der Politik, meine Königin,« sprach Mazarin; »nennt mir das Mittel.«

Und er verbarg, was er schrieb, indem er den angefangenen Brief unter weißes Papier schob.

»Ihr wißt, sie wollen mir den König nehmen,« sagte die Königin.

»Ach ja, und mich hängen.«

»Sie werden den König nicht haben.«

»Und mich nicht hängen.«

»Hört! ich will ihnen meinen Sohn und mich selbst und Euch mit mir entführen. Dieses Ereigniß, das von heute bis morgen das Angesicht der Dinge verändern wird, soll in Erfüllung gehen, ohne daß es Jemand außer Euch, mir und einer dritten Person erfährt.«

»Und wer ist diese dritte Person?«

»Der Herr Prinz.«

»Er ist also angekommen, wie man mir sagte?«

»Gestern Abend.«

»Und Ihr habt ihn gesehen?«

»Ich verlasse ihn so eben.«

»Er bietet seine Hand zu dem Unternehmen?«

»Der Rath kommt von ihm.«

»Und Paris?«

»Er hungert es aus und nöthigt es, sich auf Gnade oder Ungnade zu ergeben.«

»Es fehlt dem Plane nicht an großartigem Charakter; nur sehe ich dabei ein Hinderniß.«

»Welches?«

»Die Unmöglichkeit.«

»Ein leeres Wort, ein Wort ohne Sinn, nichts ist unmöglich.«

»Im Plane!«

»In der Ausführung. Haben wir Geld?«

»Ein wenig,« sagte Mazarin, zitternd aus Angst, Anna-könnte aus seiner Börse schöpfen wollen.

»Haben wir Truppen?«

»Fünf bis sechs tausend Mann.«

»Haben wir Muth?«

»Viel.«

»Dann ist die Sache abgemacht. Versteht Ihr, Giulio? Paris, dieses verhaßte Paris, erwacht eines Morgens ohne König und ohne Königin, eingeschlossen, belagert, ausgehungert, ohne eine andere Hilfsquelle, als sein einfältiges Parlament und seinen magern Coadjutor mit den krummen Beinen.

»Schön, schön!« sagte Mazarin, »ich begreife die Wirkung, aber ich sehe nicht das Mittel, um dazu zu gelangen.«

»Ich werde es finden.«

»Ihr wißt, was der Krieg bedeutet, der heiße, erbitterte, unversöhnliche Bürgerkrieg?«

»Oh! ja, der Bürgerkrieg,« sprach Anna von Oesterreich, »ja, ich will diese Stadt in Asche legen, ich will das Feuer im Blute löschen, ein furchtbares Beispiel soll das Verbrechen und die Strafe verewigen. Paris! ich hasse es, ich verabscheue es!«

»Ganz schön, Anna, Ihr seid blutgierig; nehmt Euch in Acht, wir sind nicht in den Zeiten der Malatesta und der Castruccio Castracani. Ihr macht, daß man Euch enthaupten wird, meine schöne Königin, und das wäre Schade!«

»Ihr lacht?«

»Ich lache nicht. Der Krieg mit einem ganzen Volke ist sehr gefährlich. Seht Euern Bruder Karl I. an. Es steht schlimm, sehr schlimm mit ihm.«

 

»Wir sind in Frankreich, und ich bin Spanierin.«

»Desto schlimmer, per Bacco! desto schlimmer! Wäret Ihr lieber eine Französin und ich ein Franzose, man würde uns Beide weniger hassen.«

»Doch Ihr billigt mein Vorhaben?«

»Ja, wenn die Sache möglich ist.«

»Sie ist es, ich sage es Euch. Trefft Vorkehrungen zu Eurer Abreise.«

»Ich bin immer bereit zu reisen; nur, wie Ihr wißt, reise ich nie … und diesmal eben so wenig, als sonst.«

»Aber wenn ich reise, werdet Ihr auch reisen?«

»Ich werde es versuchen.«

»Ich sterbe vor Ungeduld über Eure Befürchtungen, Giulio; vor was habt Ihr denn Angst?«

»Vor vielen Dingen.«

»Vor welchen?«

Das spöttische Gesicht von Mazarin wurde düster, und er erwiderte;

»Anna, Ihr seid eine Frau, und als Frau könnt Ihr nach Belieben die Männer beleidigen, da Ihr der Straflosigkeit sicher sein dürft. Ihr beschuldigt mich der Furcht. Ich habe weniger Furcht, als Ihr, da ich nicht fliehe. Gegen wen schreit man? gegen Euch oder gegen mich? Ich trotze dem Sturm, ich, den Ihr der Furcht beschuldigt, nicht aus Prahlerei, das ist nicht meine Art und Weise, aber ich halte Stand. Amt mich nach: nicht so viel Lärmen, mehr Wirkung. Ihr schreit laut und erreicht kein Ziel. Ihr sprecht von Fliehen!« Mazarin zuckte die Achseln, nahm die Königin bei der Hand und führte sie an das Fenster.

»Nun« sagte die Königin, durch seine Hartnäckigkeit geblendet.

»Nun? was seht Ihr von diesem Fenster aus? Es sind, wenn ich mich nicht täusche, Bürger mit Panzern und Helmen und mit guten Musketen bewaffnet, wie zur Zeit der Ligue; sie betrachten das Fenster, aus dem Ihr sie erschaut, so scharf, daß sie Euch sehen werden, wenn Ihr den Vorhang so hoch aufhebt.

Kommt nun an das andere Fenster. Was seht Ihr? Leute aus dem Volke mit Hellebarden bewaffnet bewachen Eure Thore. An jeder Oeffnung des Palastes, an die ich Euch führen werde, könnt Ihr eben so viele sehen. Eure Thüren sind bewacht, die Luftlöcher Eurer Keller sind bewacht, und ich sage Euch, was mir der gute La Ramée von Herrn von Beaufort sagte, wenn Ihr nicht ein Vogel oder eine Maus seid, kommt Ihr nicht hinaus.«

»Er ist doch hinaus gekommen.«

»Gedenkt Ihr auf dieselbe Weise zu entfliehen?«

»Ich bin also eine Gefangene hier?«

»Bei Gott,« sprach Mazarin, seit einer Stunde beweise ich Euch dies.«

Mazarin nahm ruhig seine angefangene Depesche bei der Stelle wieder auf, wo er sie abgebrochen hatte.

Zitternd vor Zorn, roth durch die Demüthigung, verließ Anna das Cabinet und schlug die Thüre mit der größten Heftigkeit hinter sich zu.

Mazarin wandte nicht einmal den Kopf um.

In ihre Gemächer zurückgekehrt, sank die Königin auf einen Stuhl und fing an zu weinen.

Aber plötzlich durch einen Gedanken berührt, erhob sie sich und rief:

»Ich bin gerettet, oh ja, ja! ich kenne einen Menschen, der mich aus Paris zu bringen vermag, einen Menschen, den ich nur zu lange vergessen habe.«

Und träumerisch, obgleich mit einem Gefühle der Freude, fügte sie bei:

»Ich Undankbare, ich habe zwanzig Jahre lang diesen Mann vergessen, aus dem ich einen Marschall von Frankreich hätte machen sollen. Meine Schwiegermutter hat Geld, Liebkosungen, Würden an Concini verschwendet, der sie zu Grunde richtete der König hat Vitry für einen Mord zum Marschall von Frankreich gemacht, und ich ließ diesen edlen d’Artagnan, der mich rettete, in der Vergessenheit, in der Armuth.

Und sie lief an einen Tisch, nahm Feder und Papier und fing an zu schreiben.

XIII
Die Unterredung

D’Artagnan lag an diesem Morgen in dem Zimmer von Porthos. Es war eine Gewohnheit, welche die zwei Freunde seit den Unruhen angenommen hatten. Unter ihrem Kopfkissen war ihr Degen und auf dem Tische, im Bereiche ihrer Hand, befanden sich ihre Pistolen.

D’Artagnan schlief noch und träumte, der Himmel bedecke sich mit einer großen, gelben Wolke; aus dieser Wolke ströme ein Goldregen herab, und er halte seinen Hut unter eine Traufe.

Porthos träumte, sein Kutschenschlag sei nicht breit genug für das Wappen, das er darauf malen ließ.

Sie wurden um sieben Uhr von einem Diener ohne Livree geweckt, der d’Artagnan einen Brief brachte.

»Von wem?« fragte der Gascogner.

»Von der Königin,« antwortete der Diener.

»Wie?« rief Porthos, sich in seinem Bette erhebend, was enthält er denn?«

D’Artagnan bat den Diener, in ein anstoßendes Zimmer zu gehen, sprang, sobald die Thüre wieder geschlossen war, aus seinem Bette und las rasch, während ihn Porthos mit weit aufgesperrten Augen, und ohne daß er eine Frage an ihn zu richten wagte, anschaute.

»Freund Porthos,« sprach d’Artagnan, ihm den Brief reichend, »hier finden sich diesmal Dein Baron-Titel und mein Kapitäns-Patent. Nimm, lies und urtheile!«

Porthos streckte die Hand aus, nahm den Brief und las folgende Worte von einer zitternden Hand:

»Die Königin will Herrn d’Artagnan sprechen… Er folge dem Ueberbringer.«

»Nun?« sagte Porthos.

»Nun?« sprach d’Artagnan.

»Ich sehe nichts Besonderes darin.«

»Aber ich sehe darin viel Außerordentliches,« versetzte d’Artagnan. »Wenn man mich ruft, so geschieht es, weil die Angelegenheiten in großer Verwirrung sind. Bedenke ein wenig, was für eine Aufregung in dem Geiste der Königin herrschen muß, daß nach zwanzig Jahren das Andenken an mich wieder auf die Oberfläche kommt.«

»Das ist richtig,« sprach Porthos.

»Schleife Deinen Degen, Baron, lade Deine Pistolen, gib den Pferden Haber, ich stehe Dir dafür, daß vor morgen Neues sich ereignen wird.«

Könnte es nicht eine Falle sein, die man uns stellt, um sich unserer zu entledigen?« versetzte Porthos, stets den Aerger befürchtend, den seine zukünftige Größe einem Andern verursachen müßte.

»Wenn es eine Falle ist,« sprach d’Artagnan, »sei unbesorgt, ich werde sie riechen. Ist Mazarin ein Italiener, so bin ich ein Gascogner.«

Und d’Artagnan kleidete sich blitzgeschwinde an.

Während Porthos, der immer noch im Bette lag, ihm seinen Mantel zuhäkelte, klopfte man zum zweiten Male an die Thüre.

»Herein,« sprach d’Artagnan.

Ein zweiter Diener trat ein.

»Von Seiner Eminenz, dem Herrn Cardinal Mazarin,« sagte er.

D’Artagnan schaute Porthos an.

»Die Sache wird verwickelt,« sagte Porthos, »wo anfangen?«

»Das kommt vortrefflich!« versetzte d’Artagnan. »Seine Eminenz bestellt mich in einer halben Stunde.«

»Gut.«

»Mein Freund,« sprach d’Artagnan, sich zu dem Bedienten umwendend, »sagt Seiner Eminenz in einer halben Stunde sei ich zu seinem Befehl.«

Der Diener verbeugte sich und ging ab.

»Es ist ein Glück, daß er den Andern nicht gesehen hat,« sagte d’Artagnan.

»Du glaubst also, es lassen Dich beide wegen derselben Sache holen?«

»Ich glaube nicht, ich bin es überzeugt.«

»Vorwärts, vorwärts, d’Artagnan, geschwinde! Bedenke, daß die Königin Dich erwartet, und nach der Königin der Cardinal, und nach dem Cardinal ich.«

D’Artagnan rief den Bedienten von Anna von Oesterreich herein und sagte zu ihm:

»Ich bin bereit, mein Freund, führt mich.«

Der Diener führte ihn durch die Rue des Petits-Champs und ließ ihn, sich links wendend, durch die kleine Thür des Gartens eintreten, der nach der Rue de Richelieu ging. Dann erreichte man eine geheime Treppe und d’Artagnan wurde in das Betzimmer eingeführt.

Eine gewisse Gemüthsbewegung, von der er sich keine Rechenschaft geben konnte, machte das Herz des Lieutenants schlagen. Er besaß nicht mehr das Vertrauen der Jugend, und die Erfahrung hatte ihn den ganzen Ernst der Ereignisse gelehrt. Er wußte, was die Erhabenheit der Fürsten und die Majestät der Könige ist. Er hatte sich daran gewöhnt, seine Mittelmäßigkeit hinter die Illustration des Vermögens und der Geburt zu reihen. Früher hätte er sich Anna von Oesterreich wie ein junger Mensch gegenübergestellt, der eine Frau begrüßt; jetzt war es etwas Anderes, und er begab sich zu ihr, wie ein demüthiger Soldat zu einem berühmten Heerführer.

Ein leises Geräusch unterbrach die Stille des Betzimmers. D’Artagnan bebte, sah eine weiße Hand den Vorhang heben, und erkannte an ihrer Form und Schönheit die königliche Hand, die man ihm eines Tags zu küssen gegeben hatte.

Die Königin trat ein.

»Ihr seid es, Herr d’Artagnan!« sprach sie, auf den Offizier einen Blick voll einnehmender Schwermuth heftend, »Ihr seid es, und ich erkenne Euch wieder. Schaut mich ebenfalls an; ich bin die Königin, erkennt Ihr mich?«

»Nein, Madame,« antwortete d’Artagnan.

»Aber wißt Ihr denn nicht mehr, fuhr Anna von Oesterreich mit einem liebreichen Tone fort, den sie, wenn sie wollte, ihrer Stimme zu verleihen vermochte, »wißt Ihr denn nicht mehr, daß die Königin eines Tags eines jungen und ergebenen Cavaliers bedurfte, daß sie diesen Cavalier fand, und obgleich er sich von ihr vergessen glauben konnte, einen Platz für ihn im Grunde ihres Herzens bewahrte?«

»Nein, Madame, ich weiß es nicht,« sprach der Musketier.

»Desto schlimmer, mein Herr,« sagte Anna von Oesterreich, »desto schlimmer, wenigstens für die Königin, denn die Königin bedarf heute desselben Muthes und derselben Ergebenheit.«

»Wie!« rief d’Artagnan, »die Königin, umgeben von so treuen Dienern, von so vielen Räthen, von Männern, so groß durch ihr Verdienst oder ihre Stellung, läßt sich herab, ihre Augen auf einen unbekannten Soldaten zu werfen!«

Anna begriff diesen Vorwurf; sie war dadurch mehr gerührt, als gereizt. So viel Verleugnung, so viel Uneigennützigkeit von Seiten des gascognischen Edelmannes hatte sie wiederholt gedemüthigt. Sie hatte sich an Edelmuth übertreffen lassen.

»Alles, was Ihr mir da von meiner Umgebung sagt, ist vielleicht wahr,« sprach die Königin, »aber ich habe nur zu Euch allein Zutrauen. Ich weiß, daß Ihr dem Herrn Cardinal angehört: Gehört aber auch mir an, und ich übernehme es, Euer Glück zu machen. Laßt hören: werdet Ihr für mich heute thun, was einst für die Königin jener Edelmann gethan hat, den Ihr nicht kennt?«

»Ich werde Alles thun, was mir Euere Majestät befiehlt,« sprach d’Artagnan.

Die Königin dachte einen Augenblick nach und sagte sodann, die umsichtige Haltung des Musketiers wahrnehmend:

»Ihr liebt vielleicht die Ruhe?« »Ich weiß nicht, denn ich habe nie geruht, Madame.«

»Habt Ihr Freunde?«

»Ich habe drei; zwei von ihnen haben Paris verlassen, und es ist mir nicht bekannt, wohin sie gegangen sind. Ein einziger bleibt mir, aber dieser ist einer von denen, welche, wie ich glaube, den Cavalier kennen, von dem Eure Majestät mit mir zu sprechen mir die Ehre erwiesen hat.«

»Es ist gut,« sagte die Königin, »Ihr und Euer Freund seid so viel Werth, als ein Heer.«

»Was soll ich thun, Madame?«

»Kommt in fünf Stunden zurück und ich werde es Euch sagen. Aber sprecht mit keiner lebendigen Seele von dem Rendezvous, das ich Euch gebe.«

»Nein, Madame.«

»Schwört bei Christus.«

»Madame, ich habe nie mein Wort gebrochen; wenn ich Nein sage, so bleibt es bei dem Nein!«

Obgleich erstaunt über diese Sprache, an welche sie ihre Höflinge nicht gewöhnt hatten, zog doch die Königin ein gutes Vorzeichen für den Eifer daraus, mit welchem sie d’Artagnan bei der Ausführung ihres Vorhabens unterstützen würde. Es war eines von den Kunststücken des Gascogners, seine Scharfsinnigkeit unter dem Anscheine einer rauhen Rechtschaffenheit zu verbergen.

»Hat mir die Königin für den Augenblick nichts Anderes mehr zu befehlen?«

»Nein, mein Herr,« antwortete Anna von Oesterreich, »und Ihr könnt Euch bis zu dem Augenblick, den ich Euch genannt habe, zurückziehen.«

D’Artagnan verbeugte sich und trat ab.

»Teufel, sagte er, als er vor der Thüre war, »es scheint, man bedarf hier meiner sehr.«

Dann, nachdem die halbe Stunde abgelaufen war, ging er durch die Gallerte und klopfte an die Thüre des Cardinals.

Bernouin führte ihn ein.

»Ich unterziehe mich Euern Befehlen, Monseigneur,« sprach der Gascogner.

Seiner Gewohnheit gemäß warf d’Artagnan einen raschen Blick um sich her, und er gewahrte auf dem Schreibtisch einen versiegelten Brief. Er lag auf der Seite der Überschrift, so daß man unmöglich sehen konnte, all wen er adressiert war.

»Ihr kommt von der Königin?« sprach Mazarin, d’Artagnan fest anschauend.

»Ich, Monseigneur? Wer hat Euch das gesagt?«

»Niemand, aber ich weiß es.«

»Es thut mir unendlich leid, Monseigneur, sagen zu müssen, das Ihr Euch täuscht,« antwortete frecher Weise der Gascogner, gestählt durch das Versprechen, das er Anna von Oesterreich geleistet hatte.

 

»Ich habe selbst das Vorzimmer geöffnet und Euch vom Ende der Gallerie herkommen sehen.«

»Ich wurde über die geheime Treppe eingeführt.«

»Wie dies?«

»Ich weiß es nicht, es wird Wohl ein Mißverständniß gewesen sein.«

Mazarin war es bekannt, daß man d’Artagnan nicht dazu brachte, das zu sagen, was er verbergen wollte. Er verzichtete auch für den Augenblick darauf, das Geheimniß des Gascogners zu enthüllen.

»Sprechen wir von meinen Angelegenheiten,« sagte der Cardinal, »da Ihr mir die Eurigen nicht mittheilen wollt.«

D’Artagnan verbeugte sich.

»Liebt Ihr das Reisen?« fragte der Cardinal.

«Ich habe mein Leben auf der Landstraße zugebracht.«

»Sollte Euch etwas in Paris zurückhalten?«

»Nichts würde mich in Paris zurückhalten, als ein höherer Befehl.«

»Gut. Hier ist ein Brief, der an seine Adresse überbracht werden muß.«

»An seine Adresse, Monseigneur? es ist keine darauf.«

Auf der dem Siegel entgegengesetzten Seite war wirklich keine Schrift zu finden.

»Der Brief hat einen doppelten Umschlag,« versetzte Mazarin.

»Ich begreife … ich soll den ersten zerreißen, wenn ich an Ort und Stelle angelangt bin.«

»Vortrefflich. Steckt den Brief ein und geht. Ihr habt einen Freund, Herrn du Vallon, ich liebe ihn sehr. Nehmt ihn mit Euch.«

»Teufel!« sprach d’Artagnan zu sich selbst, »er weiß, daß wir seine Unterredung gestern gehört haben, und will uns von Paris entfernen.«

»Solltet Ihr zögern?« fragte Mazarin.

»Nein, Monseigneur, ich reise auf der Stelle, nur wünsche ich Eines.«

»Was?« brecht!«

»Daß sich Eure Eminenz zu der Königin begeben möge.«

»Wann?«

»Sogleich.«

»Zu welchem Behufe?«

»Um ihr nur folgende Worte zu sagen: »Ich schicke Herrn d’Artagnan irgendwohin und lasse ihn sogleich reisen.

»Seht Ihr,« sprach Mazarin. »Ihr seid bei der Königin gewesen.«

»Ich hatte die Ehre, Eurer Eminenz zu sagen, es habe möglicher Weise ein Mißverständniß stattgefunden.«

»Was soll dies bedeuten?« fragte Mazarin.

»Dürfte ich es wagen, Eurer Eminenz, meine Bitte zu wiederholen?«

»Es ist gut, ich gehe, erwartet mich hier.«

Mazarin schaute aufmerksam umher, ob kein Schlüssel an den Schränken zurückgeblieben wäre, und entfernte sich.

Es verliefen zehn Minuten, während welcher d’Artagnan sich im höchsten Maße anstrengte, um durch den ersten Umschlag zu lesen, was auf dem zweiten geschrieben stand, aber es gelang ihm nicht.

Mazarin kehrte bleich und mit äußerst sorgenvoller Miene zurück; er setzte sich an seinen Schreibtisch. D’Artagnan schaute ihn forschend an, wie er den Brief angeschaut hatte; aber die Umhüllung seines Gesichtes war beinahe eben so undurchdringlich, als der Umschlag des Briefes.

»Ei, ei,« sagte der« Gascogner, »er sieht sehr ärgerlich aus. Sollte er gegen mich aufgebracht sein? Er sinnt nach, etwa um mich in die Bastille zu schicken? Alles schön und gut, Monseigneur! bei dem ersten Worte, das Ihr sprecht, erdrossele ich Euch und werde Frondeur. Man trügt mich im Triumph umher, wie Herrn Broussel, und Athos ruft mich zum französischen Brutus aus. Das wäre drollig!« .

Der Gascogner ersah mit seiner stets galoppirenden Einbildungskraft bereits den ganzen Vortheil, den er aus der Lage der Dinge ziehen konnte.

Aber Mazarin gab keinen Befehl dieser Art, sondern fing im Gegentheil an, d’Artagnan eine Sammetpfote zu machen.

»Ihr habt Recht,« sagte er zu ihm; »mein lieber Herr d’Artagnan, Ihr könnt noch nicht reisen; ich bitte, gebt mir diese Depesche zurück.«

D’Artagnan gehorchte. Mazarin versicherte sich, daß das Siegel unberührt war.

»Ich werde Eurer diesen Abend bedürfen, kommt in zwei Stunden zurück.«

»In zwei Stunden, Monseigneur, habe ich ein Rendezvous, bei dem ich nicht fehlen darf.«

»Das kümmere Euch nicht,« versetzte Mazarin, »es ist dasselbe.«

»Gut,« dachte d’Artagnan, »ich vermuthete es.«

»Kommt also um fünf Uhr zurück und bringt mir den lieben Herrn du Vallon mit. Nur laßt ihn im Vorzimmer, ich will mit Euch allein sprechen.«

D’Artagnan verbeugte sich.

»Während dieser Verbeugung sagte er zu sich selbst:

»Beide denselben Befehl, Beide zur selben Stunde, Beide im Palais-Royal … ich errathe! Ah! das ist ein Geheimniß, wofür mir Herr von Gondy hunderttausend Livres bezahlen würde.«

»Ihr überlegt?« sagte Mazarin unruhig.

»Ja, ich fragte mich, ob wir bewaffnet sein sollten oder nicht.«

»Bis unter die Zähne bewaffnet.«

»Gut, Monseigneur, es wird so sein.«

D’Artagnan grüßte, entfernte sich und lief nach Hause, um seinem Freunde die schmeichelhaften Versprechungen von Mazarin zu wiederholen, welche Porthos eine unglaubliche Behendigkeit verliehen.