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Zwanzig Jahre nachher

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VI
Worin nachgewiesen wird, daß die erste Bewegung immer die beste ist

Die drei Edelleute schlugen dm Weg nach der Picardie ein, diesen ihnen so wohl bekannten Weg, der in Athos und Aramis einige von den pittoreskesten Erinnerungen ihrer Jugend zurückrief.

Wäre Mousqueton bei uns,« sprach Athos, als sie zu der Stelle gelangten, wo sie mit den Straßenarbeitern Streit gehabt hatten, »wie würde er zittern. Erinnert Ihr Euch, Aramis, hier bekam er die bekannte Kugel.«

»Meiner Treue, ich würde es ihm wohl hingehen lassen, denn ich selbst bebe einigermaßen bei dieser Erinnerung. Seht, dort jenseits des Baumes ist ein kleiner Punkt, wo ich glaubte, ich müßte sterben.«

Man setzte den Marsch fort. Bald war es die Sache von Grimaud, in seinem Gedächtnisse zurückzugehen. Der Herberge gegenüber angelangt, wo sein Herr und er einst eine so ungeheure Schmauserei gehalten hatten, näherte er sich Athos, deutete auf das Luftloch des Kellers und sagte:

»Würste.«

Athos lachte, denn diese Tollheit seiner Jugendjahre kam ihm so belustigend vor, als wenn man sie ihm von einem Andern erzählt hätte.

Endlich nach einem Marsche von zwei Tagen und einer Nacht erreichten sie gegen Abend bei einem herrlichen Wetter Boulogne, eine beinahe öde Stadt, gänzlich auf der Anhöhe erbaut; was man jetzt die untere Stadt nennt, bestand damals noch gar nicht. Als man zu den Thoren gelangte, sagte Lord Winter:

»Meine Herren, machen wir es hier, wie in Paris. Trennen wir uns, um keinen Verdacht zu erregen. Ich habe eine wenig besuchte Herberge, deren Wirth mir ganz und gar ergeben ist. Ich will mich dahin begeben, denn es erwarten mich Briefe. Ihr geht in das nächste beste Gasthaus der Stadt, zum Schwerte des großen Heinrich z. B., erfrischt Euch und findet Euch dann auf dem Hafendamme ein. Unsere Barke muß dort unserer harren.«

Die Sache wurde so verabredet. Lord Winter setzte seinen Weg die äußeren Bollwerke entlang fort, um durch ein anderes Thor in die Stadt zu gelangen, während die zwei Freunde durch dasjenige einritten, vor welchem sie sich befanden. Nach zweihundert Schritten fanden sie das bezeichnete Gasthaus.

Man ließ den Pferden Futter geben, aber ohne sie abzusatteln. Die Lackeien nahmen Abendbrod, denn es fing cm spät zu werden, und die zwei Herren, welche es drängte, sich einzuschiffen, bestellten sie auf den Hafendamm, mit dem Befehle, mit keinem Menschen ein Wort zu wechseln. Dieser Befehl betraf natürlich nur Blaisois; für Grimaud war er längst überflüssig geworden.

Athos und Aramis gingen nach dem Hafen hinab.

Durch ihre mit Staub bedeckten Kleider, durch eine gewisse freie Miene, welche stets den an Reisen gewöhnten Menschen erkennen läßt, zogen die zwei Freunde die Aufmerksamkeit einiger Spaziergänger auf sich.

Sie sahen besonders Einen, auf welchen ihre Ankunft offenbar einen Eindruck hervorgebracht hatte. Dieser Mensch, den sie aus denselben Ursachen, durch welche sie Andern auffielen, zuerst wahrgenommen hatten, ging traurig auf dem Hafendamme auf und ab. Sobald er sie erblickte, schaute er sie unablässig an und schien vor Begierde, sie anzureden, zu brennen.

Dieser Mensch war jung und bleich. Er hatte Augen von einem so unsicheren Blau, daß sie, wie die des Tigers, je nach den Reflexen in allen Farben zu spielen schienen. Sein Gang war trotz der Langsamkeit und Ungewißheit seiner Wendung steif und keck. Er war schwarz gekleidet und trug ein langes Schwert mit ziemlich viel Anmuth.

Als Athos und Aramis den Hafendamm erreichten, standen sie stille, um ein kleines Schiff anzuschauen, welches an einen Pfosten angebunden und ganz equipirt war, als ob es warte.

»Das ist ohne Zweifel das unsere,« sprach Athos.

»Ja,« antwortete Aramis, und die Schaluppe, welche sich da unten segelfertig macht, sieht aus, als wäre sie diejenige, welche uns an den Ort unserer Bestimmung führen soll. Wenn nur Lord Winter nicht auf sich warten läßt,« fuhr er fort; »es ist gar nicht belustigend, hier zu verweilen; keine einzige Frauensperson kommt vorüber.«

»Stille,« sagte Athos, »man behorcht uns.«

Der Unbekannte war wirklich, die zwei Freunde beschauend, wiederholt hinter ihnen auf und ab gegangen und bei dem Namen von Lord Winter plötzlich stille gestanden. Da aber sein Antlitz, als er diesen Namen hörte, keine besondere Gemüthsbewegung ausdrückte, so konnte auch sein Stehenbleiben dem Zufall zuzuschreiben sein.

»Meine Herren,« sprach der junge Mann, sich mit großer Leichtigkeit und Höflichkeit verbeugend, »verzeiht meine Neugierde, aber ich sehe, daß Ihr von Paris kommt oder wenigstens in Boulogne fremd seid.«

»Ja, mein Herr, wir kommen von Paris,« antwortete Athos mit derselben Höflichkeit. »Was steht zu Dienst?«

»Mein Herr,« sprach der junge Mann, »wollt Ihr wohl die Güte haben, mir zu sagen, ob der Herr Cardinal von Mazarin wirklich nicht mehr Minister ist?«

»Das ist eine seltsame Frage,« sagte Aramis.

»Er ist es oder ist es nicht,« antwortete Athos; »das heißt, die eine Hälfte von Frankreich jagt ihn fort, während er sich bei der andern durch Intriguen und Versprechungen aufrecht erhält. Dieser Zustand kann sehr lange dauern.«

»Er ist also weder auf der Flucht begriffen, noch im Gefängniß?« fragte der Fremde.

»Nein, mein Herr, wenigstens für dm Augenblick.«

»Meine Herren, empfangt meinen Dank für Eure Gefälligkeit,« sprach der junge Mann und entfernte sich.

»Was haltet Ihr von diesem Frager?« sagte Aramis.

»Es ist ein Provinzmensch, der sich langweilt, oder ein Spion, der sich unterrichten will.«

»Und Ihr antwortetet ihm auf diese Weise?«

»Nichts berechtigte mich, anders zu antworten. Er war höflich gegen mich, ich war es gegen ihn.«

»Aber wenn es ein Spion ist?«

»Was soll ein Spion machen? Wir leben nicht mehr in der Zeit des Cardinals von Richelieu, der auf einen einfachen Verdacht hin die Häfen schließen ließ.«

»Gleich viel, Ihr hattet Unrecht, ihm zu antworten, wie Ihr dies thatet,« sagte Aramis, mit den Augen den jungen Mann verfolgend, welcher hinter den Dünen verschwand.

»Und Ihr,« sprach Athos, »Ihr vergeßt, daß Ihr eine noch viel größere Unklugheit begangen habt, indem Ihr den Namen von Lord Winter nanntet. Erinnert Ihr Euch nicht, daß der junge Mann bei diesem Namen stehen blieb?«

»Ein Grund mehr, als er Euch ansprach, ihn aufzufordern, seines Weges zu gehen.«

»Um einen Streit zu erregen,« sagte Athos.

»Seit wann macht Euch ein Streit bange?«

»Ein Streit macht mir immer bange, wenn man mich irgendwo erwartet, und dieser Streit mich abhalten kann, zu rechter Zeit anzukommen. Und dann, soll ich Euch etwas gestehen? Auch ich war neugierig, diesen jungen Menschen.von Nahem zu sehen.«

»Und warum dies?«

»Aramis, Ihr werdet über mich spotten, Aramis, Ihr werdet sagen, ich wiederhole immer dasselbe, Aramis, Ihr werdet mich den furchtsamsten Geisterseher nennen.«

»Nun?«

»Wem findet Ihr, daß dieser junge Mann ähnlich ist?«

»Im Schönen oder im Häßlichen?« fragte Aramis lachend.

»Im Häßlichen, und so viel ein Mann einer Frau gleichen kann.«

»Ah, bei Gott!« rief Aramis, »Ihr bringt mich auf einen Gedanken. Nein, Ihr seid kein Geisterseher, mein lieber Freund. Und jetzt, wenn ich mir die Sache überlege …. Ihr habt meiner Treue Recht, dieser feine Mund, diese Augen, welche stets den Befehlen des Geistes und nie denen des Herzens zu gehorchen scheinen … Es ist ein Bastard von Mylady.«

»Aramis, Ihr lacht.«

»Nur aus Gewohnheit; denn ich schwöre Euch, ich wünschte dieser jungen Schlange eben so wenig, als Ihr, auf meinem Wege zu begegnen.«

»Ah, hier kommt Lord Winter,« sprach Athos.

»Gut, es fehlte jetzt nur noch Eines,« versetzte Aramis, »daß unsere Lackeien auf sich warten ließen.«

»Nein, ich erblicke sie. Sie kommen zwanzig Schritte hinter Mylord. Ich erkenne Grimaud an seinem Hellen Kopfe und an seinen langen Beinen. Tomy trägt unsere Carabiner.«

»Wir schiffen uns alle bei Nacht ein?« fragte Aramis mit einem Blicke nach dem Westen, wo die Sonne nur noch eine goldene Wolke zurückließ, welche, allmälig in das Meer sinkend, zu erlöschen schien.

»Das ist wahrscheinlich,« sagte Athos.

»Teufel,« versetzte Aramis, »ich liebe das Meer nicht besonders bei Tag, und noch viel weniger bei Nacht. Das Tosen der Wellen, das Geräusch der Winde, die furchtbare Bewegung des Schiffes, ich gestehe, ich ziehe das Kloster in Noisy vor.«

Athos lächelte auf seine traurige Weise, denn er hörte das, was ihm sein Freund sagte, während er offenbar an etwas ganz Anderes dachte, und ging auf Lord Winter zu. Aramis folgte ihm.

»Was hat denn unser Freund,« sprach Aramis; »er gleicht den Verdammten von Dante, denen Satan den Hals umgedreht hat, wonach sie ihre Fersen anschauen. Was Teufels hat er denn immer hinter sich zu sehen?«

Als Lord Winter die Freunde erblickte, verdoppelte er seine Schritte und kam mit auffallender Raschheit zu ihnen.

»Was habt Ihr denn, Mylord,« sagte Athos, »und was bringt Euch so außer Athem?«

»Nichts,« sprach Lord Winter, »nichts. Als ich jedoch an dm Dünen vorüber ging, kam es mir vor, …« und er wandte sich abermals um.

Athos schaute Aramis an.

»Aber gehen wir,« fuhr Lord Winter fort, »das Boot muß uns erwarten und unsere Schlupe liegt vor Anker. Ich wünschte schon darauf zu sein.«

Und er wandte sich noch einmal um.

»He,« sagte Aramis, »habt Ihr denn etwas vergessen?«

»Nein, ein Gedanke beunruhigt mich.«

»Er hat ihn gesehen,« sprach Athos ganz leise zu Aramis.

Man war zu der Treppe gelangt, die in die Barke führte; der Lord ließ zuerst die Lackeien hinabsteigen, welche die Waffen trugen, dann die Knechte mit dem Gepäcke und sing endlich an selbst hinabzusteigen.

 

In diesem Augenblick bemerkte Athos einen Menschen, welcher dem Rande des Meeres, parallel mit dem Hafendamm, folgte und seinen Gang beschleunigte, als wollte er auf der andern kaum zwanzig Schritte entfernten Seite des Hafens ihrem Einschiffen beiwohnen.

Er glaubte mitten im Schatten, der sich herabzusenken anfing, den jungen Menschen zu erkennen, welcher sie befragt hatte.

»Oho,« sagte er zu sich selbst, »wäre es wirklich ein Spion, und sollte er sich unserem Einschiffen widersetzen wollen!«

Da es aber, falls der Fremde diese Absicht gehabt hätte, zur Ausführung derselben bereits zu spät gewesen wäre, so stieg Athos ebenfalls die Treppe hinab, ohne jedoch den jungen Menschen aus dem Gesicht zu verlieren. Dieser trat, um die Sache kurz zu machen, auf eine Schleuße vor.

»Er hat es offenbar auf uns abgesehen,« sprach Athos, »aber schiffen wir uns immerhin ein. Sind wir einmal auf offener See, so mag er kommen.«

Und Athos sprang in die Barke, die sich sogleich vom Ufer losmachte und unter der Anstrengung von vier Ruderern sich zu entfernen begann.

Aber der junge Mann bemühte sich, der Barke zu folgen oder vielmehr ihr vorauszueilen. Sie mußte zwischen der von dem Leuchtthurme, welcher sich so eben entzündet hatte, beherrschten Spitze des Hafendammes und einem überhängenden Felsen durchfahren. Man sah ihn von ferne den Felsen erklettern, so daß er die Harke beherrschen konnte, wenn sie vorüberkam.

»Ah,« sagte Aramis zu Athos, »dieser junge Mensch ist offenbar ein Spion!«

»Was für ein Mensch?« fragte Lord Winter, sich umdrehend.

»Derjenige, welcher uns folgte, uns ansprach und da unten erwartet. Seht!«

Lord Winter folgte der Richtung des Fingers von Aramis. Der Leuchtthurm übergoß mit Klarheit die kleine Meerenge, durch die man zu schiffen hatte, und den Felsen, auf welchem der junge Mann stand, der mit entblößtem Haupte und gekreuzten Armen wartete.

»Er ist es!« rief Lord Winter, Athos beim Arme fassend, »er ist es! Ich glaubte ihn zu erkennen und tauschte mich nicht.«

»Wer?« fragte Aramis.

»Der Sohn von Mylady,« antwortete Athos.

»Der Mönch!« rief Grimaud.

Der junge Mensch hörte diese Worte. Es war, als wollte er sich herabstürzen, so weit außen stand er auf dem Felsen über das Meer herabgebeugt.

»Ja, ich bin es, mein Oheim! ich, der Sohn von Mylady, ich der Mönch, ich der Secretär und Freund von Cromwell, und ich kenne Euch und Eure Gefährten.«


Es befanden sich in der Barke drei Männer, tapfere Männer, denen Niemand ihren Muth streitig zu machen gewagt hätte. Bei dieser Stimme, bei diesem Tone, bei dieser Geberde aber fühlten sie, wie der Schauder des Schreckens ihre Adern durchlief.

Bei Grimaud sträubten sich die Haare auf seinem Haupte und der Schweiß strömte von seiner Stirne.

»Ah!« sprach Aramis, »es ist der Neffe, es ist der Mönch, es ist der Sohn von Mylady, wie er selbst sagt.«

»Ach, ja,« murmelte Lord Winter.

»Dann wartet,« versetzte Aramis.

Und er nahm mit der Kaltblütigkeit, die er bei den äußersten Veranlassungen besaß, eine von den zwei Musketen, welche Tomy hielt, spannte und legte auf den jungen Mann an, der sie mit der Hand und mit dem Blicke verfolgend aufrecht wie der Engel des Fluches auf dem Felsen stand.

»Feuer!« rief Grimaud außer sich.

Athos warf sich auf den Lauf des Karabiners und hielt den Schuß zurück.

»Der Teufel soll Euch holen!« rief Aramis, »ich faßte ihn so gut mit meiner Muskete und die Kugel hätte ihn mitten in die Brust getroffen.«

»Es ist genug, daß wir die Mutter getödtet haben,« sprach Athos mit dumpfem Tone.

»Die Mutter war eine Verbrecherin, die uns Alle in uns selbst oder in denjenigen, welche uns theuer waren, getroffen hatte.«

»Aber der Sohn hat uns nichts gethan.«

Grimaud, welcher aufgestanden war, um die Wirkung des Schusses zu sehen, fiel entmuthigt und die Hände ringend zurück.

Der junge Mann brach in ein Gelächter aus.

»Ah! Ihr seid es,« sagte er, »Ihr seid es … ich kenne Euch nun.«

Sein scharfes Gelächter und seine drohenden Worte gingen vom Winde fortgetragen über die Barke hin und verloren sich in den Tiefen des Horizonts.

Aramis bebte.

»Ruhe!« sprach Athos. »Sind wir denn keine Männer mehr?«

»Allerdings,« sagte Aramis; »aber dieser dort ist ein Teufel. Fragt den Oheim, ob ich Unrecht hatte, ihn von seinem theuren Neffen befreien zu wollen.«

Lord Winter antwortete mit einem Seufzer.

»Alles wäre vorbei gewesen,« fuhr Aramis fort. »Ah! ich befürchte, Athos, Ihr habt mich mit Eurer Weisheit eine Thorheit begehen lassen.«

Athos nahm Lord Winter bei der Hand und suchte das Gespräch auf einen andern Gegenstand zu bringen.

»Wann werden wir in England landen?« fragte er den Lord; aber dieser hörte ihn nicht und gab keine Antwort.

»Halt, Athos,« sprach Aramis, »vielleicht wäre es noch Zeit, Seht, er ist immer noch auf derselben Stelle.

Athos wandte sich mit einem gewissen Widerstreben um; der Anblick des jungen Mannes war ihm offenbar peinlich.

Er stand wirklich immer noch auf dem Felsen; der Leuchtthurm verbreitete eine Art von Glorie um ihn.

»Aber was macht er in Boulogne?« fragte Athos, der, die Vernunft selbst, von Allem die Ursache suchte, ohne sich viel um die Wirkung zu bekümmern.

»Er folgte mir, er folgte mir,« sagte Lord Winter, der diesmal die Stimme von Athos gehört hatte, denn die Stimme von Athos stand in Verbindung mit seinen Gedanken.

»Um Euch zu folgen, mein Freund,« versetzte Athos, »hätte er unsere Abreise wissen müssen, und er ist uns, aller Wahrscheinlichkeit nach, eher vorausgegangen.«

»Dann begreife ich es nicht,« sprach der Engländer, den Kopf schüttelnd, wie ein Mensch, dem es unnöthig scheint, gegen eine übernatürliche Macht zu kämpfen.«

»Ich glaube, ich habe entschieden Unrecht gehabt, Aramis,« sagte Athos, »daß ich Euch nicht gewähren ließ.«

»Schweigt,« erwiderte Aramis, Ihr würdet mich weinen machen, wenn ich könnte.«

Grimaud stieß ein dumpfes Seufzen aus.

In diesem Augenblick rief sie eine Stimme von der Schlupe an. Der Lootse, welcher am Steuerruder saß, antwortete und die Barke erreichte das Schiff.

In einer Minute waren Herren, Bedienten und Gepäcke an Bord, der Patron erwartete nur die Passagiere, um abzugehen, und kaum hatten sie den Fuß auf das Verdeck gesetzt, als man gegen Hastings steuerte, wo man landen sollte.

Jetzt warfen die drei Freunde unwillkürlich noch einen Blick nach dem Felsen, wo der drohende Schatten, der sie verfolgte, immer noch sichtbar hervortrat.

Dann gelangte bis zu ihnen eine Stimme, die ihnen die letzte Drohung zusandte.

»Auf Wiedersehen, meine Herren, in England!«

VII
Das Te Deum des Sieges von Lens

Die ganze Bewegung, welche Madame Henriette wahrgenommen hatte, ohne die Ursache davon ergründen zu können, war durch die Verkündigung des Sieges von Lens hervorgebracht worden, zu dessen Boten der Herr Prinz den Herzog von Chatillon, einen edlen Theilhaber an demselben, gemacht hatte; der Herzog war überdies beauftragt, in den Gewölben von Notre-Dame zweiundzwanzig, theils von den Spaniern, theils von den Lothringern eroberte Fahnen aufzuhängen.

Diese Nachricht war entscheidend: sie schnitt den mit dem Parlament zu Gunsten des Hofes eingeleiteten Prozeß ab. Alle summarisch einregistrirten Steuern, gegen die sich das Parlament erhob, waren stets durch die Nochwendigkeit, die Ehre Frankreichs aufrecht zu erhalten, und in der gewagten Hoffnung, den Feind zu besiegen, motiviert worden. Da man aber seit Nördlingen nur Schläge erlitten hatte, so war es dem Parlament ganz leicht, an Herrn von Mazarin vorwurfsvolle Fragen in Beziehung auf die stets versprochenen und immer wieder vertagten Siege zu stellen; diesmal aber war man zu einem Ziele gelangt, man hatte einen Triumph und zwar einen vollständigen! Jedermann begriff auch, daß darin für den Hof ein doppelter Sieg lag, ein Sieg gegen Außen, ein Sieg im Innern, so daß Alle, Keinen, selbst den jungen König nicht, ausgenommen, riefen:

»Ah! meine Herren vom Parlament, wir wollen sehen, was Ihr dazu sagen werdet.«

Die Königin drückte ihr königliches Kind, dessen stolzes, Unbändiges Wesen so gut mit ihrem Charakter im Einklänge stand, an ihr Herz. An demselben Abend fand ein Rath statt, wozu der Marschall de la Meilleraie und Herr von Villeroy, weil sie Mazariner waren, Chavigny und Seguier, weil sie das Parlament haßten, und Guitaut und Comminges, weil sie der Königin ergeben waren, berufen wurden.

Nichts verlautete von dem, was im Rache beschlossen worden war. Man erfuhr nur, daß am nächsten Sonntag ein Te Deum zu Ehren des Sieges von Lens gesungen werden sollte.

Am folgenden Sonntag erwachten also die Pariser sehr heiter: ein Te Deum war zu jener Zeit eine großartige Angelegenheit. Man hatte damals noch keinen Mißbrauch mit solchen Ceremonien getrieben und sie brachten noch ihre Wirkung hervor. Die Sonne schien Theil an dem Feste zu nehmen, sie erhob sich strahlend und vergoldete die düsteren Thürme der bereits mit einer ungeheuren Menschenmenge gefüllten Hauptstadt; die dunkelsten Gassen der Cité hatten ein festliches Aussehen angenommen, und die Quais entlang sah man ausgedehnt? Reihen von Bürgern, Handwerkern, Frauen und Kindern, welche, wie ein zu seiner Quelle zurückkehrender Fluß, Notre-Dame zuströmten.

Die Buden waren verlassen, die Häuser geschlossen. Jeder wünschte den jungen König mit seiner Mutter und den berüchtigten Cardinal zu sehen, den man dergestalt haßte, daß sich Niemand seiner Gegenwart berauben wollte.

Es herrschte indessen die größte Freiheit unter dieser ungeheuren Volksmasse; alle Meinungen drückten sich offen aus und klangen, so zu sagen, Meuterei wie die tausend Glocken aller Kirchen von Paris Te Deum klangen. Da die Polizei der Stadt durch die Stadt selbst gemacht wurde, so störte nichts Drohendes die Einhelligkeit des allgemeinen Haffes, so vereiste nichts die Worte in dem schmähenden Munde des Volkes.

Indessen hatte sich schon um acht Uhr Morgens das Regiment der Garden der Königin unter dem Befehle von Guitaut und von Comminges, seinem Neffen, Trommeln und Trompeten an der Spitze, von dem Palais-Royal bis zu Notre-Dame aufgestellt, ein Manöver, dem die Pariser, stets begierig auf militärische Musik und glänzende Uniformen, ruhig zuschauten.

Friquet zog seinen Sonntagsstaat an und erhielt unter dem Vorwande einer Geschwulst, die er sich für den Augenblick dadurch verschaffte, daß er eine Anzahl von Kirschensteinen in eine Seite seines Mundes schob, von Bazin, seinem Herrn, einen Urlaub auf den ganzen Tag. Anfangs schlug Bazin den Urlaub ab, denn er war übler Laune, einmal über die Entfernung von Aramis, welcher abgereist war, ohne ihm zu sagen, wohin er ging, und dann weil er bei einer Messe dienen sollte, welche zur Feier eines Sieges gehalten wurde, der nicht seiner Gesinnung entsprach. Bazin war Frondeur, wie man sich erinnern wird, und Hütte sich der Meßner möglicher Weise bei einer solchen Feierlichkeit entfernen können, wie ein einfacher Chorknabe, so würde Bazin sicherlich an den Erzbischof dieselbe Bitte gerichtet haben, die man an ihn richtete. Er verweigerte also Anfangs, wie gesagt, jeden Urlaub, aber in Gegenwart von Bazin nahm die Geschwulst dergestalt an Umfang zu, daß er zur Ehre der Körperschaft der Chorknaben, welche durch eine solche Mißstaltung beschimpft worden wäre, am Ende brummend nachgab. An der Thüre von Bazin spuckte Friquet seine Geschwulst aus und schleuderte nach der Seite von Bazin eine von den Geberden, welche einem Pariser Straßenjungen seine Ueberlegenheit über alle Straßenjungen des Weltalls sichern. In seinem Gasthause hatte er sich natürlich dadurch losgemacht, daß er vorgab, er müsse die Messe bedienen.

Friquet war also frei und hatte, wie gesagt, seine kostbarste Toilette gemacht; besonders trug er als merkwürdige Bezeichnung seiner Person eine von den nicht wohl zu beschreibenden Mützen, welche die Mitte halten zwischen dem Barer des Mittelalters und dem Hute aus der Zeit von Ludwig XIII. Seine Mutter hatte ihm diese seltsame Kopfbedeckung fabricirt und sich dabei, sei es aus Laune, sei es aus Mangel an gleichem Stoffe, wenig sorgfältig in Beziehung auf Anordnung der Farben gezeigt, so daß dieses Meisterwerk der Kappenmacherei des siebzehnten Jahrhunderts gelb und grün auf der einen, weiß und roth auf der andern Seite war. Friquet aber, der stets den Wechsel in den Tönen geliebt hatte, schritt darum nicht minder stolz und triumphierend einher.

Als Friquet Bazin verließ, lief er in der größten Eile nach dem Palais-Royal. Er gelangte gerade in dem Augenblick dahin, wo das Regiment der Garden herausmarschierte, und da er aus keinem andern Grunde kam, als um sich seines Anblicks zu erfreuen und sich an seiner Musik zu ergötzen, so nahm er seine Stelle an der Spitze des Regiments, trommelte mit zwei Stückchen Schiefer und ging von dieser Hebung zu der Trompete über, welche er mit dem Munde auf eine Weise nachahmte, die ihm wiederholt die Lobeserhebungen der Liebhaber der imitativen Harmonie eingetragen hatte.

 

Diese Unterhaltung dauerte von der Barriere des Sergens bis zu der Place Notre-Dame, und Friquet fand ein wahres Vergnügen daran. Als das Regiment aber Halt machte und die Compagnieen sodann sich ausbreitend bis in das Herz der Cité drangen und am Ende der Rue Saint-Christophe bei der Rue Cocatrix, wo Broussel wohnte, Posto faßten, erinnerte sich Friquet, daß er nicht gefrühstückt hatte, überlegte, wohin er seine Schritte lenken könnte, um diese wichtige Handlung des Tages zu vollführen, und beschloß nach reiflicher Ueberlegung, der Rath Broussel sollte die Kosten seines Mahles tragen.

Er lief folglich rasch weg, gelangte athemlos vor die Thüre des Rathes und klopfte heftig an.

Seine Mutter, die alte Dienerin von Broussel, öffnete.

»Was machst Du hier, Taugenichts?« sagte sie, »und warum bist Du nicht in Notre-Dame?«

»Ich war dort, Mutter Nannette,« antwortete Friquet, »aber ich sah, daß Dinge vorgingen, von denen Meister Broussel nothwendig unterrichtet werden müßte, und mit Erlaubniß von Herrn Bazin, Ihr wißt wohl, Mutter Nannette, von Herrn Bazin, dem Meßner, kam ich Hierher, um mit Herrn Broussel zu sprechen.«

»Was willst Du Herrn Broussel sagen, Affe?«

»Ich will mit ihm selbst sprechen.«

»Das kann nicht sein; er arbeitet.«

»Dann werde ich warten,« antwortete Friquet.

Und er stieg rasch die Treppe hinauf, während Nannette langsamer folgte.

»Aber sage mir doch,« sprach sie, »was willst Du bei Herrn Broussel?«

»Ich will ihn benachrichtigen,« antwortete Friquet, aus Leibeskräften schreiend, »daß ein ganzes Regiment Garden in der Richtung nach diesem Hause aufmarschiert. Da ich nun überall sagen hörte, es herrsche am Hofe eine böse Stimmung gegen ihn, so will ich ihn warnen, damit er auf seiner Hut ist.«

Broussel hörte das Geschrei des Straßenjungen und eilte, entzückt über seinen rastlosen Eifer, in das erste Stockwerk hinab, denn er arbeitete wirklich in seinem Cabinet im zweiten.

»He, mein Freund,« sagte er, »was geht uns das Regiment der Garden an, und bist Du nicht verrückt, daß Du einen solchen Lärmen machst? Weißt Du nicht, daß es so üblich ist, daß diese Herren die Gewohnheit haben, das Regiment als Spalier auf dem Wege des Königs auszustellen?«

Friquet spielte den Erstaunten und drehte seine neue Mütze zwischen seinen Fingern hin und her.

»Ich wundere mich nicht darüber,« sprach er, »daß Ihr es wißt, Herr Broussel, der Ihr Alles wißt; aber mir war es beim wahrhaftigen Gott! nicht bekannt, und ich glaubte Euch diese Nachricht gleichsam als einen guten Rath bringen zu müssen. Ihr müßt mir deshalb nicht grollen, Herr Broussel.«

»Im Gegentheil, mein Junge, im Gegentheil, Dein Eifer gefällt mir. Dame Nannette, seht doch ein wenig nach den Aprikosen, welche uns Frau von Longueville gestern von Noisy schickte, und gebt Eurem Sohne ein halbes Dutzend davon, nebst einem zarten Stückchen Brod.«

»Ah! ich danke, Herr Broussel,« sagte Friquet, »ich danke, gerade die Aprikosen liebe ich sehr.«

Broussel ging nun zu seiner Frau und verlangte sein Frühstück. Es war halb zehn Uhr. Der Rath setzte sich an das Fenster. Die Straße war völlig verlassen; aber in der Ferne hörte man, ähnlich dem Geräusche einer steigenden Fluth, das ungeheure Tosen der Volkswogen, welche um Notre-Dame her immer mehr zunahmen.

Dieses Geräusch verdoppelte sich, als d’Artagnan mit einer Compagnie Musketiere sich an den Pforten von Notre-Dame aufstellte, um den Kirchendienst verrichten zu lassen. Er hatte Porthos gesagt, er möge diese Gelegenheit benützen, um die Ceremonie zu sehen. Porthos bestieg in großer Galla sein schönstes Pferd und machte den Ehrenmusketier, wie dieß einst d’Artagnan so oft gethan hatte. Der Sergent dieser Compagnie, ein alter Soldat aus dem spanischen Kriege, erkannte in Porthos seinen ehemaligen Gefährten und setzte bald alle diejenigen, welche unter ihm dienten, von den Heldenthaten dieses Riesen, der Ehre der Musketiere von Treville, in Kenntniß. Porthos wurde von der Compagnie nicht nur gut empfangen, sondern auch mit Bewunderung betrachtet.

Um zehn Uhr verkündigte die Kanone des Louvre den Abgang des Königs. Eine Bewegung wie die der Bäume, deren Gipfel der Sturmwind faßt und schüttelt, durchlief die Menge, die sich hinter den unbeweglichen Musketen der Garden hin- und hertrieb. Endlich erschien der König mit der Königin in einem ganz mit Gold überzogenen Wagen. Zehn andere Wagen folgten mit den Ehrendamen, den Officieren des königlichen Hauses und dem ganzen Hofe.

»Es lebe der König!« rief man von allen Seiten.

Der junge König hielt ernst den Kopf an den Kutschenschlag, machte eine ziemlich dankbare Miene und grüßte sogar leicht, wodurch sich das Geschrei der Menge verdoppelte.

Der Zug rückte langsam vor und brauchte beinahe eine Stünde, um den Raum zurückzulegen, welcher den Louvre von der Place Notre-Dame trennt. Hier angelangt, begab er sich allmälig unter das ungeheure Gewölbe der düsteren Kathedrale, und der Gottesdienst begann.

In dem Augenblick, wo der Hof Platz nahm, verließ eine Carrosse mit dem Wappen von Comminges die Reihe der Wagen des Hofes und fuhr langsam an das Ende der gänzlich verlassenen Rue Saint-Christophe. Vier Garden und ein Gefreiter stiegen hier in die plumpe Maschine, schlossen die Schirmleder, und der Gefreite schaute durch eine kleine Oeffnung die Rue Cocatrix entlang, als ob er die Ankunft von irgend Jemand erwartetet?

Jedermann war mit der Ceremonie beschäftigt, so daß weder der Wagen, noch die Vorsichtsmaßregeln, mit denen sich diejenigen umgaben, welche sich in demselben befanden, bemerkt wurden. Friquet, dessen stets lauerndes Auge allein auf diese Sache hätte aufmerksam’ werden können, speiste seine Aprikosen unter dem vorspringenden Gesimse eines Hauses am Vorhofe von Notre-Dame. Von hier aus sah er den König, die Königin und Herrn von Mazarin, und hörte die Messe, als ob er selbst dabei diente.

Als die Königin am Ende des Gottesdienstes bemerkte, daß Comminges in ihrer Nähe stand und eine Bestätigung des Befehles erwartete, den sie ihm, ehe sie den Louvre verließ, gegeben hatte, so sagte sie halblaut zu ihm:

»Geht, Comminges, und Gott stehe Euch bei!«

Comminges entfernte sich sogleich, trat aus der Kirche und begab sich nach der Rue Saint-Christophe.

Friquet, der diesen schönen Offizier, gefolgt von zwei Leibwachen, einherschreiten sah, belustigte sich damit, ihm nachzugehen, und zwar mit um so größerer Geschwindigkeit, als die Ceremonie in demselben Augenblick endigte und der König wieder in seinen Wagen stieg.

Kaum sah der Gefreite Comminges am Ende der Rue Cocatrix erscheinen, als er ein Wort zu dem Kutscher sagte, welcher sogleich seine Maschine in Bewegung setzte und vor die Thüre von Broussel fuhr.

Comminges klopfte zu derselben Zeit, wo der Wagen hier hielt, an die Thüre.

»Was machst Du da, Junge,« fragte Comminges.

»Ich warte, um bei Meister Broussel einzutreten, Herr Offizier,« antwortete Friquet mit dem trägen Tone, den der Straßenjunge von Paris so gut bei Gelegenheit anzunehmen weiß.

»Er wohnt also wirklich hier?« fragte Comminges.

»Ja, Herr.«

»Welchen Stock bewohnt er?«

»Das ganze Haus,« sagte Friquet, »das ganze Haus gehört ihm.«

»Aber wo hält er sich gewöhnlich auf?«

»Um zu arbeiten im zweiten Stocke, um zu speisen im ersten. In diesem Augenblick muß er sein Mittagsbrod nehmen, denn es ist zwölf Uhr.«

»Gut,« sagte Comminges.

»Man öffnete nun. Der Offizier fragte den Bedienten und erfuhr, daß Meister Broussel wirklich zu Hause war und zu Mittag speiste. Comminges ging hinter dem Bedienten und Friquet hinter Comminges die Treppe hinauf.

Broussel saß mit seiner Familie bei Tische, ihm gegenüber seine Frau, zu seinen beiden Seiten seine Töchter und am Ende der Tafel Louvières, den wir bereits bei dem Unfälle haben erscheinen sehen, der dem Rath begegnet war, von welchem sich dieser jedoch bereits wieder gänzlich erholt hatte. Zur vollen Gesundheit zurückgekehrt, genoß der gute Mann das schöne Obst, das ihm Frau von Longueville geschickt hatte.