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Tausend und Ein Gespenst

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XII.
Das Urtheil des Paris

Hoffmann war ein Mann plötzlicher Uebergänge Nach dem Revolutionsplatze und dem lärmenden, um ein Schaffot herum befindlichen Volke, dem dunkeln Himmel und dem Blute, bedurfte er des Glanzes der Kronleuchter, dir fröhlichen Menge, der Blumen, kurz des Lebens. Er war nicht sehr sicher, ob das Schauspiel, dem er beigewohnt halte, durch dieses Mittel aus seinen Gedanken verschwinden würde; aber er wollte zum Mindesten seinen Augen eine Zerstreuung gewähren und sich beweisen, daß es noch Leute auf der Welt gäbe, welche lebten und welche lachten.

Er ging daher nach der Oper, aber er kam dort an, ohne zu wissen, wie er dahin gekommen war. Sein Entschluß war ihm vorausgegangen, und er war ihm gefolgt, wie ein Blinder seinem Hunde folgt, während sein Geist auf einem entgegengesetzten Wege durch ganz entgegengesetzte Eindrücke wanderte.

Wie auf dem Revolutionsplatze, fand ein Gedränge auf dem Boulevard dort statt, wo zu jener Zeit das Schauspielhaus der Oper sich befand, nämlich dort, wo heut zu Tage das Theater der Porte Saint-Martin steht.

Hoffmann blieb vor dieser Menge stehen und betrachtete den Theaterzettel.

Man spielte das Urtheil des Paris, pantomimisches Ballet in drei Acten, von Herrn Gardel dem Jüngeren, dem Sohne des Tanzmeisters Maria Antoinettens, der späterhin Balletmeister des Kaisers wurde.

– Das Urtheil von Paris, murmelte der Dichter, indem er den Theaterzettel starr anblickte, wie um sich mit Hilfe der Augen und des Gehöres die Bedeutung der vier Worte: Le Jugement de Paris einzuprägen.

Vergebens wiederholte er sich die Sylben, welche den Titel des Ballets bildeten, sie schienen ihm ohne Sinn, so große Mühe hatten seine Gedanken, um die schrecklichen Erinnerungen abzuschütteln, von denen sie erfüllt warm, um dem, von Herrn Gardel dem Jüngeren Homers Iliade entliehenen Werke Platz zu gewähren.

Welche sonderbare Zeit jene Zeit war, in welcher man an ein und demselben Tage des Morgens verurtheilen, um vier Uhr hinrichten, des Abends tanzen sehen konnte, und in welcher man dem ausgesetzt war, sich selbst bei der Rückkehr von allen diesen Gemüthserschütterungen verhaften zu sehen?

Hoffmann sah ein, daß, wenn ihm nicht ein Anderer, als er, sagte, was man spiele, es ihm nicht gelingen würde, zu erfahren, was man spielte, und daß er vielleicht wahnsinnig vor diesem Theaterzettel würde.

Er näherte sich daher einem dicken Herrn, der mit seiner Frau sich in die Reihe gestellt hatte, denn zu allen Zeiten haben die dicken Männer die Sucht gehabt, sich mit ihren Frauen in die Reihen zu stellen, und er sagte zu ihm:

– Mein Herr, was spielt man heute Abend?

– Sie sehen es wohl an dem Anschlagzettel, mein Herr, antwortete der dicke Mann, man spielt das Urtheil des Paris.

– Das Urtheil des Paris. . . wiederholte Hoffmann. Ach! ja, das Urtheil von Paris, ich weiß, was das ist.

Der dicke Herr betrachtete diesen sonderbaren Frager, und zuckte die Achseln mit einer Miene höchster Verachtung für diesen jungen Mann, der in dieser ganz mythologischen Zeit einen Augenblick lang halte vergessen können, was das Urtheil des Paris war.

– Wollen Sie die Erklärung des Ballets, Bürger? sagte ein Textverkäufer, indem er sich Hoffmann näherte.

– Ja, geben Sie!

Das war für unseren Helden ein neuer Beweis, daß er in das Schauspiel ginge, und er bedurfte desselben.

Er schlug das Buch auf und warf die Augen darauf.

Dieses Buch war sauber auf weißes Papier gedruckt, und mit einer Vorrede des Verfassers bereichert.

– Welche wunderbare Sache der Mensch ist, dachte Hoffmann, indem er die wenigen Heilen dieser Vorrede betrachtete, Zeilen, die er noch nicht gelesen hatte, die er aber lesen würde, und wie er, indem er dabei ein Theil der gemeinsamen Masse der Menschen ist, allein, selbstsüchtig und gleichgültig auf dem Wege seiner Interessen und des Ehrgeizes dahinschreitet! So ist hier ein Mann, Herr Gardel der Jüngere, der am 5. März 1793, das heißt, sechs Wochen nach dem Tode des Königs, das heißt, sechs Wochen nach einem der wichtigsten Ereignisse der Welt, dieses Ballet hatte aufführen lassen; nun denn! an dem Tage, an welchem dieses Ballet aufgeführt worden ist, hatte er persönliche Gemüthsbewegungen in den allgemeinen Gemüthsbewegungen gehabt; das Herz hatte ihm geklopft, als man Beifall geklatscht hat, und wenn man ihm in diesem Augenblicke von jenem Ereignisse gesprochen hätte, welches noch die Welt erschütterte, und wenn man ihm den König Ludwig XVI. genannt hätte, so würde er ausgerufen haben: Ludwig XVI., von wem wollen Sie sprechen? Dann wie als ob von dem Tage an, an welchem er sein Ballet dem Publikum übergeben, die ganze Erde nur noch mit diesem Ereignisse der Tanzkunst hätte beschäftigt sein müssen, hatte er eine Vorrede zur Erklärung seiner Pantomime gemacht. Nun denn! lesen wir seine Vorrede, und sehen wir, ob ich in ihr, indem sie den Datum verhehlt, au welchem sie geschrieben worden ist, die Spur der Dinge wiederfinde, unter welchen sie entsprungen ist.

Hoffmann lehnte sich an das Geländer des Schauspielhauses, und las Folgendes:

»Ich habe immer bemerkt, daß in den zur Aufführung gebrachten Ballets die Wirkung der Decorationen und der mannichfaltigen und angenehmen Zwischenspiele das waren, was am meisten die Menge und die lebhaften Beifallsbezeugungen herbeiführte.«

– Man muß gestehen, daß dieser Mann eine merkwürdige Bemerkung gemacht hat, dachte Hoffmann, indem er sich nicht enthalten konnte, bei dem Lesen dieser ersten Treuherzigkeit zu lächeln. Wie! er hat bemerkt, daß das, was bei den Balletten anzieht, die Wirkungen der Decorationen und die mannichfaltigen und angenehmen Zwischenspiele sind. Was das artig für die Herren Haydn, Pleyel und Mehul ist, welche die Musik zu dem Urtheile des Paris gemacht haben! Fahren wir fort.

»Nach dieser Bemerkung habe ich einen Gegenstand gesucht, der sich einrichten ließe, um die großen Talente geltend zu machen, welche allein die Oper von Paris in der Tanzkunst besitzt, und der mir erlaubte, die Ideen zu entwickeln, welche der Zufall mir bieten könnte. Die poetische Geschichte ist der unerschöpfliche Boden, den der Balletmeister cultiviren muß; dieser Boden ist nicht ohne Dornen, aber man muß sie zu beseitigen wissen, um die Rose zu pflücken.«

– Ah! das ist zum Beispiel eine Stelle, die in einen goldenen Rahmen gefaßt werden muß, rief Hoffmann aus. Nur in Frankreich schreibt man solche Dinge! und er begann das Buch zu betrachten, indem er sich anschickte, diese interessante Lektüre fortzusetzen, welche ihn zu erheitern begann; aber von seiner wahrhaften Beschäftigung abgelenkt, kehrte sein Geist allmählig wieder darauf zurück; die Buchstaben verwirrten sich unter den Augen des Träumers, er ließ die Hand sinken, welche das Urtheil des Paris hielt, heftete die Augen auf den Boden und murmelte:

– Arme Frau!

Es war der Schatten der Madame Du Barry, der nochmals in den Erinnerungen des jungen Mannes vorüberzog.

Nun schüttelte er den Kopf, wie um aus ihm mit Gewalt die traurigen Wirklichkeiten zu verscheuchen, und indem er das Buch des Herrn Gardel des Jüngeren in seine Tasche steckte, nahm er einen Platz und ging in das Theater.

Der Saal war voll, rieselnd von Blumen, Edelsteinen, Seide und bloßen Schultern. Ein ungeheures Summen, ein Summen wohlriechender Frauen, leichtfertiger Aeußerungen, gleich dem Geräusche, das Tausend in einer Papierschachtel fliegende Fliegen machen würden, und voll jener Worte, welche in dem Geiste dieselbe Spur zurücklassen, als die Flügel der Schmetterlinge in den Fingern der Kinder, welche sie nehmen, und die zehn Minuten nachher, indem sie nicht mehr wissen, was sie mit ihnen anfangen sollen, die Hände in die Luft erheben, und ihnen die Freiheit wiedergeben.

Hoffmann nahm einen Platz in dem Orchester, und von der glühenden Atmosphäre des Saales beherrscht, gelang es ihm einen Augenblick lang zu glauben, daß er sich seit dem Morgen daselbst befände, und daß dieser traurige Todesfall, den seine Gedanken ohne Unterlaß betrachteten, ein schwerer Traum und keine Wirklichkeit wäre. Nun wandte sich sein Gedächtniß, das, wie das Gedächtniß jedes Menschen, zwei zurückwerfende Gläser hatte, das eine in dem Herzen, das andere in dem Verstande, allmählig und durch die natürliche Abstufung der heiteren Eindrücke, nach diesem lieblichen jungen Mädchen, das er zurückgelassen hatte, und deren Medaillon er wie ein anderes Herz gegen das Klopfen des seinigen schlagen fühlte. Er betrachtete alle die Frauen, welche ihn umgaben, alle diese weißen Schultern, alle diese blonden und braunen Haare, alle diese geschmeidigen Arme, alle diese Hände, welche mit einem Fächer spielten oder koketter Weise die Blumen eines Kopfputzes wieder befestigten, und er lächelte sich selbst zu, indem er den Namen Antonia aussprach, wie als ob dieser Name genügt hätte, um jeden Vergleich zwischen der, welche ihn trug, und den Frauen verschwinden zu lassen, die sich anwesend befanden, und um ihn in eine Welt von Erinnerungen zu versetzen, welche Tausend Mal reizender als alle diese Wirklichkeiten waren, so schön sie auch sein^ mochten. Dann, wie als ob das nicht genug gewesen wäre, wie als ob er zu fürchten gehabt hätte, daß das Porträt ihm nur durch die Entfernung seine Gedanken wiedergäbe, und in dem Ideale verschwinden möchte, wodurch es ihm erschien, steckte Hoffmann ohne Geräusch die Hand in seinen Busen, ergriff dort das Medaillon, wie ein furchtsames Mädchen einen Vogel in einem Neste ergreift, und nachdem er sich versichert halte, daß es Niemand sehen und mit einem Blicke das süße Bild trüben könnte, das er in seine Hand nahm, zog er das Porträt des jungen Mädchens hervor, erhob es zu der Höhe seiner Augen, verehrte es einen Augenblick lang mit dem Blicke, dann, nachdem er es frommer Weise an seine Lippen gedrückt, verbarg er es von Neuem ganz nahe an seinem Herzen, ohne daß Jemand die Freude errathen konnte, welche, indem er die Bewegung eines Mannes machte, der die Hand in seine Weste steckt, dieser junge Zuschauer mit schwarzen Haaren und bleicher Gesichtsfarbe gehabt hatte.

 

In diesem Augenblicke gab man das Signal, und die ersten Noten der Ouvertüre begannen heiter in dem Orchester wie zänkische Finken in einem Gebüsche zu kreisen.

Hoffmann setzte sich, und indem er wieder ein Mensch wie Jedermann zu werden trachtete, das heißt ein aufmerksamer Zuschauer, öffnete er seine beiden Ohren der Musik.

Aber nach Verlauf von fünf Minuten hörte er nicht, mehr und wollte nicht mehr hören; diese Musik war es nicht, mit der man Hoffmanns Aufmerksamkeit fesselte, um so mehr als er sie zwei Mal hörte, da ein Nachbar, ohne Zweifel ein fleißiger Besucher der Oper und ein Bewunderer der Herrn Pleyel, Haydn und Mehul mit einer feinen Stimme im halben Falsett und mit einer vollkommenen Genauigkeit die verschiedenen Melodien dieser Herren begleitete. Der Dilettant fügte dieser Begleitung des Mundes eine andere Begleitung der Finger hinzu, indem er mit einer allerliebsten Fertigkeit seiner langen und spitzigen Nägel auf der Tabaksdose, die er in seiner linken Hand hielt, den Tact schlug.

Mit jener Gewohnheit der Neugierde, welche natürlicher Weise die erste Eigenschaft jedes Beobachters ist, begann Hoffmann diese Person zu betrachten, welche sich ein besonderes auf das allgemeine Orchester geimpfte Orchester bildete.

In Wahrheit, die Person verdiente die Prüfung.

Man stelle sich einen kleinen Mann vor, der einen schwarzen Rock, schwarze Weste und Beinkleid trug, ein weißes Hemd und Halsbinde, aber von einem Weiß, das mehr als weiß war, fast ebenso ermüdend für die Augen, als der Silberschein des Schnees. Man lege auf die Hälfte der Hände dieses kleinen Mannes magere, wie Wachs durchsichtige Hände, welche auf dem schwarzen Beinkleide hervortraten, wie als ob sie von Innen erleuchtet gewesen wären, mit der größten Sorgfalt gefältelte und wie Lilienblätter geschmeidige Manschetten von feinem Batist, und man wird das Ganze des Körpers haben. Man betrachte jetzt den Kopf und betrachte ihn, wie es Hoffmann that, das heißt mit einer mit Erstaunen gemischten Neugierde. Man stelle sich ein länglich rundes Gesicht vor, mit wie Elfenbein glatter Stirn, mit seltenen und fahlen Haaren, welche von Stelle zu Stelle, wie Büschel von Gestrüpp in einer Ebene, wuchsen. Man lasse die Augenbrauen weg, und mache unter der Stelle, wo sie sein sollten, zwei Löcher, in die man wie Glas kalte, fast immer starre Augen setzt, und die man um so mehr für leblos zu halten geneigt war, als man vergebens in ihnen den lichtvollen Punkt suchte, den Gott wie einen Funken von dem Heerde des Lebens in das Auge gelegt hat. Diese Augen waren blau wie der Saphir, ohne Milde und ohne Härte. Sie sahen, das war gewiß, aber sie betrachteten nicht. Eine dürre, magere, lange und spitzige Nase, ein kleiner Mund mit halb offen stehenden Lippen über Zähnen, die nicht weiß, sondern von derselben Wachsfarbe als die Haut waren, wie als ob bleiches Blut in sie gedrungen und sie die Farbe davon angenommen hätten, ein spitziges, mit der größten Sorgfalt rasirtes Kinn, hervorstehende Backenknochen, hohle Wangen, in deren Höhlung man eine Nuß hätte legen können, das waren die charakteristischen Züge des Zuschauers, welcher in der Nachbarschaft Hoffmanns saß.

Dieser Mann konnte ebensogut fünfzig, als dreißig Jahre alt sein. Wenn er achtzig alt gewesen wäre, so wäre die Sache nicht außergewöhnlich gewesen; wenn er nur zwölf alt gewesen wäre, so wäre es wieder nicht sehr unwahrscheinlich gewesen. Es schien, daß er so auf die Welt gekommen sein müßte, wie er war. Er war ohne Zweifel niemals jünger gewesen, und' es war unmöglich, daß er älter schien.

Es war wahrscheinlich, daß, indem man seine Haut berührte, man dieselbe Empfindung von Kälte empfunden hätte, als wie bei der Berührung der Haut einer Schlange oder einer Leiche.

Aber die Musik liebte er zum Beispiele sehr.

Von Zeit zu Zeit öffnete sich sein Mund ein wenig mehr unter einem Drucke Musik liebender Wollust, und drei kleine Falten, welche auf jeder Seite genau dieselben waren, beschrieben an den äußersten Enden seiner Lippen einen Halbkreis, und blieben daselbst fünf Minuten lang eingeprägt, dann verschwanden sie allmählig wie die Kreise, welche ein in das Wasser gefallener Stein verursacht, und die sich immer mehr erweitern, bis daß sie sich gänzlich mit der Oberfläche vermischen.

Hoffmann wurde es nicht müde, diesen Mann zu betrachten, der sich gemustert fühlte, der sich aber deshalb durchaus nicht rührte. Diese Regungslosigkeit war so groß, daß unser Dichter, der bereits zu jener Zeit den Keim der Einbildungskraft hatte, der Coppelius erzeugen sollte, seine beiden Hände auf die Lehne des Sperrsitzes stützte, der sich vor ihm befand, seinen Körper vorneigte, und, indem er den Kopf zur Rechten wandte, den von vorn zu sehen versuchte, den er nur erst von der Seite gesehen hatte.

Der kleine Mann blickte Hoffmann ohne Verwunderung an, lächelte ihm zu, machte ihm eine kleine freundschaftliche Verbeugung und fuhr fort die Augen auf denselben Punkt zu besten, einen für jeden andern als für ihn unsichtbaren Punkt, und das Orchester zu begleiten.

– Das ist sonderbar, äußerte Hoffmann, indem er sich wieder setzte, ich hätte gewettet, daß er nicht lebte.

Und wie als ob der junge Mann, obgleich er den Kopf seines Nachbars sich hatte bewegen sehen, noch nicht recht überzeugt gewesen wäre, daß der übrige Theil des Körpers beseelt wäre, warf er von Neuem die Augen auf die Hände dieser Person. Nun überraschte ihn etwas, nämlich, daß auf der Tabaksdose, mit welcher diese Hände spielten, eine Tabaksdose von Ebenholz, ein kleiner Todtenkopf in Diamanten funkelte.

Alles sollte an diesem Tage vor den Augen Hoffmanns phantastische Anstriche annehmen; aber er warfest entschlossen zu seinem Zwecke zu kommen, und indem er sich herabneigte, wie er sich vorgeneigt hatte, heftete er seine Augen auf diese Tabaksdose in dem Grade, daß seine Lippen fast die Hände dessen berührten, welcher sie hielt.

Als der so gemusterte Mann sah, daß seine Tabaksdose von so großem Interesse für seinen Nachbar wäre, reichte er sie ihm schweigend, damit er sie ganz nach seinem Gefallen betrachten könnte.

Hoffmann nahm sie, wandte sie zwanzig Male um, und machte sie dann auf.

Es befand sich Tabak darin!

XIII.
Arséne

Nachdem er die Tabaksdose mit der größten Aufmerksamkeit betrachtet hatte, gab Hoffmann sie ihrem Eigenthümer zurück, indem er ihm mit stummen Nicken des Kopfes dankte, auf welches der Eigenthümer ihm durch ein gleichfalls höfliches, aber wenn es möglich ist, noch bei weitem schweigsameres Zeichen antwortete.

Sehen wir jetzt, ob er spricht, fragte sich Hoffmann, und sich an seinen Nachbar wendend, sagte er zu ihm:

– Ich bitte Sie, meine Unbescheidenheit zu entschuldigen, mein Herr, aber dieser kleine Todtenkopf in Diamanten, der Ihre Tabaksdose verziert, halte mich auf den ersten Blick verwundert, denn es ist eine seltene Verzierung auf einer Tabaksdose.

– In der That, ich glaube, daß es die einzige ist, welche man gemacht hat, erwiderte der Unbekannte mit einer schneidenden Stimme, deren Klang ziemlich dem Klingen von Silberstücken gleich kam, die man auf einander stellt; ich habe sie von dankbaren Erben erhalten, deren Vater ich behandelt hatte.

– Sie sind Arzt?

– Ja, mein Herr.

– Und Sie haben den Vater jener jungen Leute geheilt?

– Im Gegentheile, mein Herr, wir haben das Unglück gehabt, ihn zu verlieren.

– Ich erkläre mir das Wort: Dankbarkeit.

Der Arzt begann zu lachen.

Seine Antworten verhinderten ihn nicht, immer vor sich hin zu singen, und indem er vor sich hin sang, erwiderte er:

– Ja, ich glaube wohl, daß ich diesen Greis getödtet habe.

– Wie, getödtet?

– Ich habe an ihm den Versuch mit einem neuen Arzneimittel gemacht. O! mein Gott! nach Verlauf von einer Stunde war er todt. Das ist wahrhaftig sehr spaßhaft.

Und er begann wieder vor sich hin zu singen.

– Sie scheinen die Musik zu lieben, mein Herr? fragte Hoffmann.

– Besonders diese, ja, mein Herr.

– Den Teufel! dachte Hoffmann, das ist ein Mann, der sich in der Musik wie in der Medicin irrt.

In diesem Augenblick ging der Vorhang auf.

Der seltsame Doctor schnupfte eine Prise Tabak, und lehnte sich so bequem als möglich wie ein Mann in seinen Sperrsitz, der nichts von dem Schauspiele verlieren will, dem er beizuwohnen im Begriffe steht.

Indessen sagte er zu Hoffmann, wie als ob er nachgedacht hätte:

– Sie sind ein Deutscher, mein Herr?

– In der That.

– Ich habe Ihre Heimath an Ihrer Aussprache erkannt. Schönes Land, garstige Aussprache.

Hoffmann verneigte sich vor dieser Aeußerung, die halb als Kompliment, halb als Tadel gemacht war.

– Und warum sind Sie nach Frankreich gekommen? – Um zu sehen.

– Und was haben Sie bereits gesehen?

– Ich habe guillotiniren sehen, mein Herr.

– Waren Sie heute auf dem Revolutionsplatze?

– Ich war dort.

– Dann haben Sie dem Tode der Madame Du Barry beigewohnt.

– Ja, äußerte Hoffmann mit einem Seufzer.

– Ich habe sie genau gekannt, fuhr der Doctor mit einem Blicke vertraulicher Mittheilung fort, die das Wort gekannt bis an das Ende seiner Bedeutung trieb. Sie war meiner Treue ein schönes Mädchen.

– Haben Sie dieselbe etwa auch behandelt?

– Nein, aber ich habe ihren Neger Zamore behandelt.

– Der Elende! man hat mir gesagt, daß er es sei, der seine Gebieterin angegeben hätte.

– In der That, dieser kleine Neger war ein großer Patriot.

– Sie hätten wohl aus ihm das machen dürfen, was Sie aus dem Greise gemacht haben, Sie wissen, dem Greise der Tabaksdose.

– Wozu? er hatte keine Erben.

Und das Gelächter des Doctors erschallte von Neuem.

– Und Sie, mein Herr, Sie wohnten dieser Hinrichtung von vorhin nicht bei? begann Hoffmann wieder der sich von einem unwiderstehlichen Bedürfnisse ergriffen fühlte, von dem armen Geschöpfe zu sprechen, denn blutiges Bild ihn nicht verließ.

– Nein. War sie mager geworden?

– Wer?

– Die Gräfin.

– Ich kann es Ihnen nicht sagen, mein Herr.

– Warum das?

– Weil ich sie zum ersten Male auf dem Karren gesehen habe.

– Um so schlimmer. Ich hätte es wissen mögen, denn ich habe sie sehr wohlbeleibt gekannt, aber morgen werde ich ihre Leiche sehen. Ah! Betrachten Sie das.

Und zu gleicher Zeit deutete der Arzt auf die Bühne, auf welcher in diesem Augenblicke Herr Vestris, der die Rolle des Paris spielte, auf dem Berge Ida erschien, und alle Arten von Zierereien mit der Nymphe Ornone trieb.

Hoffmann betrachtete das, was ihm sein Nachbar zeigte, aber nachdem er sich versichert hatte, daß dieser traurige Arzt wirklich aufmerksam auf den Auftritt war, und daß das, was er so eben gehört und gesagt, keine Spur in seinem Geiste zurückgelassen hätte, sagte sich Hoffmann:

– Es wäre merkwürdig, diesen Mann weinen zu sehen.

– Kennen Sie den Gegenstand des Stückes? begann der Doctor nach einem Schweigen von einigen Minuten wieder.

– Nein, mein Herr.

– O! er ist sehr interessant. Es befinden sich sogar rührende Stellen darin. Einer meiner Freunde und ich hatten neulich Thränen in den Augen.

– Einer seiner Freunde! murmelte der Dichter, was kann der Freund dieses Menschen sein? Das muß ein Todtengräber sein.

– Ah! bravo, bravo, Vestris, kreischte der kleine Mann, indem er in seine Hände klatschte.

Um seine Bewunderung an den Tag zu legen, hatte der Arzt den Moment gewählt, wo Paris, wie es der Text sagte, den Hoffmann vor der Thür gekauft hatte, seinen Wurfspieß ergriff und Hirten zu Hilfe eilte, die entsetzt vor einem schrecklichen Löwen entflohen.

– Ich bin nicht neugierig, aber ich hätte den Löwen sehen mögen.

So schloß sich der erste Act. Nun stand der Doctor auf, lehnte sich an den vor dem seinigen befindlichen Sperrsitz, und indem er statt seiner Tabaksdose eine kleine Lorgnette in die Hand nahm, begann er die Frauen zu betrachten, welche sich in dem Saale befanden.

Hoffmann folgte unwillkürlich der Richtung der Lorgnette, und er bemerkte voll Erstaunen, daß die Person, auf welche sie sich heftete, auf der Stelle erbebte und auf der Stelle die Augen nach demjenigen wandte, der sie betrachtete, und das, wie als ob sie durch eine unsichtbare Gewalt dazu gezwungen gewesen wäre. Sie behielt diese Stellung, bis der Doctor aufhörte, sie zu betrachten.

 

Haben Sie diese Lorgnette etwa auch von einem Erben, mein Herr? fragte Hoffmann.

– Nein, ich habe sie von Herrn von Voltaire.

– Sie haben ihn also auch gekannt?

– Genau, wir waren sehr befreundet.

– Sie waren sein Arzt?

– Er glaubte nicht an die Arzneikunde. Freilich glaubte er eben nicht an vieles.

– Ist es wahr, daß er gestorben ist, indem er beichtete?

– Er, mein Herr, er! Arouet! gehen Sie doch! nein, er hat nicht allein nicht gebeichtet, sondern auch noch den Priester artig empfangen, der gekommen war, um ihn zum Tode vorzubereiten! Ich kann Ihnen mit Ueberzeugung davon sprechen, ich war gegenwärtig.

– Was hat sich denn zugetragen?

– Arouet stand im Begriffe zu sterben; Tersac, sein Pfarrer, kam und sagte ihm im Eintreten wie Jemand, der keine Zeit zu verlieren bat: Mein Herr, erkennen Sie die Dreieinigkeit Jesus Christus an?

– Ich bitte Sie, mein Herr, lassen Sie mich in Ruhe sterben, antwortete ihm Voltaire.

– Indessen, mein Herr, fuhr Tersac fort, ist es wichtig, daß ich weiß, ob Sie Jesus Christus als den Sohn Gottes anerkennen.

– In des Teufels Namen, rief Voltaire aus, sprechen Sie mir nicht mehr von diesem Menschen, und indem er die wenige Kraft zusammen nahm, die ihm übrig blieb, versetzte er dem Pfarrer einen Faustschlag auf den Kopf, und starb. Habe ich gelacht, mein Gott! habe ich gelacht!

– In der That, das war lächerlich, äußerte Hoffmann mit verächtlicher Stimme, und so mußte wohl der Verfasser der Jungfrau von Orleans sterben.

– Ah! ja, die Jungfrau von Orleans, rief der schwarze Mann aus, welches Meisterstück! Mein Herr, welche wundervolle Sache! Ich kenne nur ein Buch, das mit diesem zu rivalisiren vermögte.

– Welches?

– Justine, des Herrn von Sades; kennen Sie Justine?

– Nein, mein Herr.

– Und den Marquis von Sades?

– Eben so wenig.

– Sehen Sie, mein Herr, begann der Doctor voll Begeisterung wieder, man kann nichts Unmoralerischeres lesen als Justine, es ist Crebillon Sohn ganz nackend, es ist wundervoll. Ich habe ein junges Mädchen behandelt, die es gelesen hatte.

– Und sie ist gestorben, wie Ihr Greis?

– Ja, mein Herr, aber sie ist sehr glücklich gestorben.

Und das Auge des Arztes funkelte vor Behagen bei dem Andenken an die Ursachen dieses Todes. Man gab das Signal zum zweiten Acte. Hoffmann war es nicht unlieb, sein Nachbar flößte ihm Furcht ein.

– Ah! äußerte der Doctor, indem er sich setzte, und mit einem Lächeln der Zufriedenheit, wir werden Arséne sehen.

– Wer ist Arséne?

– Sie kennen sie nicht?

– Nein, mein Herr.

– Ah! Sie kennen also Nichts, junger Mann! Arséne ist Arséne, das ist Alles gesagt; außerdem werden Sie sehen.

Und bevor das Orchester eine Note angestimmt, hatte der Arzt wieder die Einleitung des zweiten Actes vor sich hinzusingen begonnen.

Der Vorhang ging auf.

Die Bühne stellte eine Laube von Blumen und Laub vor, durch welche ein Bach floß, der an dem Fuße eines Felsens entsprang.

Hoffmann ließ seinen Kopf in seine Hand sinken.

Bestimmt, das, was er sah, das, was er hörte, vermogte nicht, ihn von dem schmerzlichen Gedanken und von der traurigen Erinnerung abzuziehen, welche ihn dahin geführt hatte, wo er war.

– Was hätte das geändert? dachte er, indem er Plötzlich wieder in die Eindrücke des Tages zurückkehrte, was hätte das in der Welt geändert, wenn man diese unglückliche Frau hätte leben lassen! Welches Unglück hätte das angestiftet, wenn dieses Herz fortgefahren hätte zu schlagen, dieser Mund Athem zu holen? welches Unglück wäre daraus hervorgegangen? Warum alles das plötzlich unterbrechen? Mit welchem Rechte das Leben in Mitte seines Aufschwunges aufhören lassen? Sie befände sich so gut unter allen diesen Frauen, während in diesem Augenblicke ihr armer Körper, der Körper, der von einem Könige geliebt war, in dem Kothe eines Friedhofes ohne Blumen, ohne Kreuz, ohne Kopf liegt. Wie sie schrie, mein Gott, wie sie schrie! dann plötzlich. . .

Hoffmann verbarg seine Stirne in seine beiden Hände.

– Was mache ich hier? sagte er sich; o! ich will gehen.

Und er wäre vielleicht in der That gegangen, als er, indem er den Kopf wieder erhob, auf der Bühne eine Tänzerin erblickte, welche in dem ersten Acte nicht erschienen war, und die der ganze Saal tanzen sah, ohne eine Bewegung zu machen, ohne einen Athemzug auszuhauchen.

– O! wie schön diese Frau ist! rief Hoffmann laut genug aus, daß es seine Nachbaren und selbst die Tänzerin hörten.

Die, welche diese plötzliche Bewunderung erweckt hatte, blickte dm jungen Mann an, der diesen Ausruf unwillkürlich ausgestoßen hatte, und Hoffmann glaubte, daß sie ihn mit dem Blicke danke.

Er errölhete und erbebte, wie als ob er den electrischen Funken berührt hätte.

Arséne, denn sie war es, das heißt diese Tänzerin, deren Namen der kleine Greis ausgesprochen hatte, Arséne war wirklich ein sehr wundervolles Geschöpf, und von einer Schönheit, die nichts von der gewöhnlichen Schönheit hatte.

Sie war groß, wundervoll gebaut und von einer durchsichtigen Blässe unter der Schminke, welche ihre Wangen bedeckte. Ihre Füße waren ganz klein, und wenn sie auf die Bretter der Bühne zurückfiel, so hätte man sagen können, daß die Spitze ihres Fußes auf einer Wolke ruhte, denn man hörte nicht das geringste Geräusch. Ihr Wuchs war so schlank, so geschmeidig, daß eine Schlange sich nicht um sich selbst gedreht hätte, wie diese Frau es that. Jedes Mal, wenn sie in ihren Biegungen sich zurückneigte, konnte man glauben, daß ihr Mieder springen würde, und man errieth aus der Energie ihres Tanzes und der Zuversicht ihres Körpers, sowohl die Gewißheit einer vollständigen Schönheit, als jene feurige Natur, welche gleich der Messoline des Alterthumes vielleicht zuweilen ermüdet, aber niemals gesättigt werden kann. Sie lächelte nicht, wie gewöhnlich die Tänzerinnen lächeln, ihre Purpurlippen öffneten sich fast niemals, nicht etwa, daß sie garstige Zähne zu verbergen gehabt hätte, nein, denn in dem Lächeln, das sie an Hoffmann gerichtet, als er sie so treuherziger Weise laut bewundert, hatte unser Dichter eine doppelte Reihe so weißer, so reiner Perlen sehen können, daß sie dieselben ohne Zweifel hinter ihren Lippen verbarg, damit die Luft sie nicht trüben mögte. In ihre schwarzen und glänzenden Haare von einem bläulichen Scheine waren breite Traubenblätter geflochten, und es hingen aus ihnen Trauben herab, deren Schatten auf ihren nackten Schultern spielte. Was die Augen anbetrifft, so waren sie groß, klar, schwarz, glänzend in dem Grade, daß sie Alles um sie herum erleuchteten, und daß Arséne, hätte sie auch in der Nacht getanzt, den Platz erleuchtet hätte, auf welchem sie tanzte. Was die Orginalität dieses Mädchens noch erhöhte, ist, daß sie ohne irgend einen Grund in dieser Rolle als Nymphe, denn sie spielte oder tanzte vielmehr eine Nymphe, ein kleines Halsband von schwarzem Sammet trug, das mit einer Schnalle oder zum mindesten mit einem Gegenstande geschlossen war, der die Gestalt einer Schnalle zu haben schien, und der, von Diamanten gemacht, blendendes Feuer aussprühte.

Der Arzt betrachtete diese Frau mit all seinen Augen, und seine Seele, eine Seele, wie er sie haben mogte, schien an den Flug der jungen Frau gefesselt. Es war sehr augenscheinlich, daß er so lange, als sie tanzte, keinen Athem schöpfte.

Nun konnte Hoffmann etwas Merkwürdiges bemerken; sie mogte zur Rechten, zur Linken, zurück oder vorwärts gehen, niemals verließen die Augen Arsénes die Linie der Augen des Doctors, und eine sichtliche Wechselbeziehung bestand zwischen den beiden Blicken. Noch mehr, Hoffmann sah sehr deutlich die Strahlen, welche die Schnalle von dem Halsbande Arsénes warf, und die, welche der Todtenkopf des Doctors warf, sich auf halbem Wege in einer geraden Linie begegnen, aufeinanderstoßen, sich zurückstoßen und in ein und derselben, aus Tausenden von weißen, rothen und goldenen Funken gebildetem Garbe aufsprühen.

– Wollen Sie mir Ihre Lorgnette borgen, mein Herr? sagte Hoffmann außer Athem und ohne den Kopf umzuwenden, denn es war auch ihm unmöglich, aufzuhören, Arséne zu betrachten.